Q07 // Christophe Fricker // Das schöne Auge des Betrachters // Gedichte

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christophe fricker Das schöne Auge des Betrachters Illustrationen von Timothy J. Senior

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Die Gedichte setzen den Banalitäten der Gegen­wart Ideen und Werte entgegen, die seit der Romantik vergessen schienen und im ersten Augenblick fremd wirken. War die Moderne auf Bruch und Demontage der Tradition aus, bieten Christophe Frickers Gedichte Denkanstöße zu Sinnfindung und Halt. Dabei ist die Liebessprache seiner Verse auf andere Weise behutsam als die der Angela Krauß.

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christophe fricker Das schöne Auge des Betrachters

Illustrationen von Timothy J. Senior

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Wir vergessen Geheimnisse, die sich verflüchtigen, bevor sie einsichtig werden. Wir werden dereinst erst erschüttert werden, wenn alles sich aufgegeben, wenn Gnaden sich überstürzen, denn unseren Tod werden umgeben die Büttel des Lebens.

Wir behaupten uns und wir sind nicht allein. Wir werden unsere Brüder heißen. Nichts ist stärker als unsere Nacken, auch unser Suchen nicht. Wir sind Hirngespinste unschlüssiger Sternetief in unserem Innern.

Wir sind berufen, die Urteile Unbekannter zu bestätigenund schlüssig zu begründen, wir sind berufen, uns zugehörig zu fühlen, wir sind von kränkender Ausgewogenheit, und unser Wahnsinn ist nicht im Turmbau, sondern darin, am Abgrund zu gehen, immer weiter.

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Die aufkommenden Besten haben keine Gründe. Die am weitesten Vorstoßenden sind sicher beschirmt von außerhalb. Sternen überlegen vergnügen sie sich und sagen, die Sonne irre sich. Sie sinnen ihrem Strahlen nach.

Wir sind unvergessene Söhne, Dümpelnde über Schlußkursen, Endreimen, Schreckbildern, wahllos verpönen wir weniges, nicht Ton in Ton auszugehen zum Beispiel. Wir sind Allzubeschäftigte und driften zwischen Porträts, wir tragen wehleidige Schuhe und reden über erfüllte Wünsche.

Lichter fliehen, und schwarzes Rauschen hält sich schadlos an unserem Eifern. Vorläufig ohne göttlichen Heilsplan sind wir verloren im Universum, das sich ausdehnt wie ein überfüllter Festsaal, und wir stoßen uns daran nicht.

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II

Alpi Carniche

für Fazurin

Längst nahm ich davon Abschied, daß der Tisch und die Pumpe, daß Wiese und Brunnen, dein erklärbarer Blick und mein Gehorchen beseelt sind. Meine kalten Hände beschwören den Ofen, der sie nicht wärmt.

Meine aneinandergelegten Hände sind so groß wie der Hang, der uns schultert. Wir wandern. Für den Weg haben wir üppige Zehrung. Wie die klare Luft die Hänge hinabrinnt, unbeirrbar, gehen wir vorbei an allem, was niemals auf uns wirken wird.

Wasser friert an einem Felsen fest, erst sehr weit unten fließt es wieder. Wir gehen in ungestümem Unbeteiligtsein, aber unsere Füße hemmt nasses Laub. Die sinkende Sonne über dem Tal, unendlich beschienene Trübe.

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Uns eint ein Urteil über einen, das wir uns verschweigen. Wir beruhen auf gebreiteter, schweigend einander anheimgegebener Einsicht. Wir tragen dicke Wäsche gegen die Kältein dem massiven Haus. Ein kleines Feuer wärmt nicht, erhellt nur meine Finger.

Ich saß meinen Träumen auf, weil ich dachte, sie trügen. Nun lasse ich meine Träume gehen, weil ich weiß, daß sie trogen. Müßte ich nicht anstürmen oder etwasim Schilde führen, da ich langsam begreife?

An jedem der heutigen Tagesehen die dürren Bäume auf den Boden, der jeden auf seinen Schatten zurückwirft. Ihre knorrigen Schatten streben zur Erde. Wir bleiben, zwei Leiden, die einander enthüllen.

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Diese Änderungen hören nie auf, die kein Beginnen sind. Warum müssen wir erneuern, was noch taugt? Warum müssen wir Aufbrüche reihenund dürfen nicht auf das vertrauen, was ist?

Warum wollt ihr alles verstehen, und warum werdet ihr nicht schon trübsinnig mit dem, was ihr wißt? Dem Schwindelerregenden fehlt es an Tiefe, und wer zu allem bereit ist, wird niemals ein anderer werden.

Es war wieder genug. Du schläfst im anderen Zimmer. Am Ende unseres abendlichen Weges wetterleuchtete es. Wir wandten uns umwie der verwandelte Königsbauer und gingen in einen anderen Anfang.

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III

Wir sind unentschieden

für Gloria und Kelly-Anne

Ich habe Angst vor dem, was ich erlebte. Nicht zu bändigen ist es und nicht zu belangen. Eines Sonntags fahren wir mit dem Leihwagen an die Küste. Die Sonne, die Hütten, Boote und Felsen waren allein mit uns, die wir vorsichtig barfuß nach unten sehend über die Steine gingen.

Zwischen den Felsen im abstehenden Wasser eine rostende Schraube. In sanftem Wind und unerbittlichem Licht sitzen wir bei Ebbe. Wir können solche Ruhe und leichten Tage nicht erzeugen, aber wir wissen untrüglich, sie zu finden.

Sekt und Plastikgläser, Krabbensalat und eingewickelte Zeit haben wir dabei. Im Rückspiegel sehen wir die Möwen zu einer angepaßten Symphonie ein letztes Mal. Ich habe Angst auch vor diesem Tag, der nie mehr zu bändigen ist.