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Die Sendung mit den Mäusen Siebeneinhalb Milliarden Euro Rundfunkgebühren bezahlen die Deutschen im Jahr, beinahe so viel wie Kirchensteuer. Aus der Kirche indes können sie austreten, aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen bald nicht mehr. Dabei verschwendet das System schon heute viel Geld und wird seinem Auftrag oft nicht gerecht. V or kurzem teilte das Köl- ner Verwaltungsgericht Axel Hofmann in einem offiziellen Brief mit, dass er seinen Kampf ge- gen den Fernsehmoderator Gün- ther Jauch und ein wucherndes Sys- tem verloren hat. Doch eigentlich schrieb der Richter nicht nur Hof- mann. Mit dem Brief, in dem es heißt, dass „sog. Populäranträge“ ausgeschlossen seien, teilte das Ge- richt 80 Millionen Deutschen mit, dass jeder Widerstand gegen das Fernsehprogramm von ARD und ZDF zwecklos ist. Nachdem die ARD vor einigen Wochen die Verpflichtung Jauchs für angeblich 10,5 Millionen Euro pro Jahr verkündet hatte, klagte Hofmann, ehedem mit dem angese- henen Grimme-Preis ausgezeichneter Redak- teur des WDR, gegen diese „Verschwendung von Gebührengel- dern“, die für ihn nur ei- nes von vielen Beispie- len ist. Er fragte sich, ob ARD und ZDF ihr Geld noch wert sind. Die Frage ist heute be- rechtigter denn je, denn seit Jahren stei- gen ihre Einnahmen. Al- lein 2010 überweisen die Deutschen 7,604 Milliarden Euro Gebühren, beinahe so viel wie die 9,3 Milliarden Euro, die sie den beiden großen Kirchen an Steuern bezahlen. Aus der Kir- che können sie indes austreten, aus dem öffentlich-rechtlichen Fernse- hen wird das bald nicht mehr mög- lich sein. Die für den Rundfunk zuständi- gen Bundesländer wollen die bishe- rige Gerätegebühr abschaffen. Ab 2013 soll jeder Haushalt zahlen, egal ob es darin einen Fernseher gibt oder nicht. ARD und ZDF kommt das sehr entgegen, seit die Zahl der Leute, die sich von den Ge- bühren befreien lassen, steigt. Dabei fließen die vielen Milliarden heute schon in unsinnige und frag- würdige Kanäle: in Millionengehäl- ter von Bundesliga-Fußballern, in Technik, die kaum jemand nutzt, in fünf Chöre, vier Big Bands, elf ARD- Orchester, in neun Regionalsender, die fast rund um die Uhr senden, in 64 Radioprogramme, in Schlagerpar- tys und eine illustre Reihe neuer Sparten-Sender, die quasi unter Aus- schluss der Öffentlichkeit stattfin- den. Der WDR betreibt am Kölner Dom sogar ein Einkaufszentrum in bester Innenstadtlage. In den Paragraph 11 des Staatsver- trages für Rundfunk und Teleme- dien, das Grundgesetz von ARD und ZDF, hatten deren Gründer ein- mal geschrieben: Sie haben „der Bil- dung, Information, Beratung und Unterhaltung zu dienen. Sie haben Beiträge insbesondere zur Kultur anzubieten.“ Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung – das ist die Rei- henfolge im Gesetz. Mit der Wirk- lichkeit der Pro- gramme hat das nicht mehr viel zu tun. Wenn es ums Geldaus- geben geht, interessie- ren sich die Sender mehr für den Musikan- tenstadel als fürs Par- lament. Für seine Be- richterstattung über die gesamte deutsche Politik beispielsweise gab das ZDF 2009 laut Haushaltsplan 14 Mil- lionen Euro aus, für die über Wirtschaft sieben, aber allein für die Bewer- bung ihrer Unterhaltungssendun- gen neun Millionen Euro. Doch wer mehr wissen und der Spur der Milliarden folgen will, um zu erfahren, was genau mit ihnen passiert, der bekommt kaum ge- naue Antworten darauf. Was bei- spielsweise die Auftritte eigentümli- cher Musikanten beim Sommerfest der Volksmusik im Vergleich zu poli- tischer Berichterstattung kosten, verraten die Manager der Öffent- lich-Rechtlichen nicht. Sie sind in Wirklichkeit die Heimlich-Unersättli- chen, Herren eines intransparenten Systems aus 24000 Mitarbeitern, das nach Umsatz der drittgrößte Me- dienkonzern Europas ist. In einem verwinkelten Büro eines Türmchens der rheinland-pfälzi- schen Staatskanzlei zu Mainz zieht Horst Wegner einen 60 Zentimeter hohen Papierstapel aus einem Re- gal: die detaillierten Haushaltspläne von ARD, ZDF und Deutschlandra- dio. Wegner ist Geschäftsführer der Kommission zur Ermittlung des Fi- nanzbedarfs der öffentlich-rechtli- chen Sender (KEF). Alle zwei Jahre überprüft er zusammen mit Vertre- tern der Landesrechnungshöfe die Zahlen im weit verzweigten Reich von ARD und ZDF. Die KEF entschei- det dann über die Höhe der Rund- funkgebühr. Wegner hält den Papierstapel, in dem wie in anderen internen Papie- ren detaillierte Antworten auf den Verbleib der 7,6 Milliarden Euro ste- hen, kurz hoch wie eine Trophäe und lässt ihn dann schnell wieder im Regal verschwinden: „Nicht für die Öffentlichkeit.“ Die Öffentlichkeit und damit die meisten Gebührenzahler, so wollen es Politiker und Anstalten, dürfen nur einen Teil davon sehen, allge- meinere Posten, die im 388 Seiten starken 17. offiziellen Bericht der KEF aufgelistet sind. Darin steht, dass die ARD 2,8 Milliarden Euro für ihr Programm ausgibt und das ZDF 1,1 Milliarden, zusammen die Hälfte der Gebühreneinnahmen. Interessant wäre vor allem, was nicht in den öffentlichen Berichten steht: Wie viele Übertragungswa- gen die Sender anschaffen und ob sie sinnvoll sind; was sie für Reisen ausgeben, was für Spesen, was Mo- deratoren verdienen. Die Deut- schen können im Internet zwar nachlesen, was die Kanzlerin ver- dient, in Geschäftsberichten erfah- ren, was der Vorstand eines Unter- nehmens bekommt, dessen Aktio- när sie sind. Aber wofür das Geld in einem System ausgegeben wird, in das sie nicht freiwillig einzahlen, ist Verschlusssache. Als vor kurzem pu- blik wurde, dass eine Reihe von Fernsehintendanten deutlich mehr verdient als die Bundeskanzlerin, führte das denn auch zu viel Ver- wunderung. Doch selbst die allgemein zugäng- lichen Zahlen werfen teilweise mehr Fragen auf, als sie beantwor- ten. Was zum Beispiel geben die Sender für Information aus, was für Unterhaltung? In den Plänen der Länderanstalten der ARD steht dazu nichts, der des ZDF weist für das laufende Jahr aus: 628 Millio- nen Euro für Unterhaltung, 458 Mil- lionen Euro für das Informations- programm, darin enthalten 14 Mil- lionen Euro für die Berichterstat- tung über deutsche Politik. Nach Pa- ragraph 11 klingt das nicht. Eine andere interessante Frage: Was kostet die Verwaltung? Die ARD gibt 230 Millionen Euro an. Re- daktionssekretariate, Disposition und Einkauf aber werden als Pro- grammkosten geführt. Höhe? Unbe- kannt. So ist nicht nachprüfbar, ob stimmt, was manche Redakteure in den eigenen Reihen hartnäckig mut- maßen und die Senderchefs ebenso hartnäckig bestreiten: dass viele An- stalten längst Verwaltungen mit an- geschlossenen Sendern sind und zu viel Geld in die Apparate und zu we- nig ins Programm fließt. Selbst die scheinbar klaren Be- zeichnungen der Sendeinhalte wir- ken im zugänglichen Daten-Mate- rial bei genauerem Hinsehen sehr dehnbar. Das ZDF verbucht bei- spielsweise 284 Millionen Euro, die es für Sportübertragungen ausgibt, nicht als Unterhaltung, sondern als Informationsprogramm. Den Rechnungsprüfer Wegner nach der Angemessenheit der Aus- gaben für Sportrechte zu fragen, ist kaum möglich. Zwar sagt er, dass sie ein gutes Beispiel für Sparmög- lichkeiten seien. Eine Summe darf er aber nicht nennen. Er darf über- haupt nicht über Programm-In- halte reden. Das wäre ja Zensur. Wegner und seine Finanzkommis- sion sind nur für Zahlen da. Und wenn das ZDF sagt, dass Sport Infor- mation ist, dann ist das so. Tatsächlich gibt es viel zu infor- mieren über Biathlon, Fechten, Fußball, Kajak, Reiten, Rodeln, Ru- dern, Segeln, Tischtennis, Turnen. 780 Millionen Euro haben die Öf- fentlich-Rechtlichen für ihr Sport- programm deshalb im Budget. Die ARD hat allein für die Übertragungs- rechte an der Fußball-Bundesliga 100 Millionen Euro springen las- sen. Private Sender wie RTL, Pro Sieben und Sat 1 bieten in dieser Preislage schon längst nicht mehr mit. „Wir kaufen außer Formel 1-Rechten und Rechten für ein paar „Wir produzieren für Menschen mit Schlafstörungen.“ Klaus Stern Dokumentarfilmer Marc Neller, Roman Pletter, Sven Prange, Hans-Peter Siebenhaar Nachrichtenstudio des ZDF AM WOCHENENDE ** ****** Beck & Eggeling ullstein bild - Public Address WM-Spiele keine Sportrechte, weil sich so etwas für den Sender ein- fach nicht rechnen kann“, sagt ein RTL-Manager, der seit Jahrzehnten die Mechanismen des TV-Marktes kennt und sieht, wie ARD und ZDF die Preise hoch treiben. ARD und ZDF brauchen sich um Marktpreise indes nicht zu küm- mern. Sie haben ja 7,6 Milliarden zur freien Verfügung, um daraus Mondpreise zu machen. Sehr zur Freude der Fußball-Bundesliga-Ver- eine, die mit dem Geld ihre Spieler bezahlen können. Die Frage ist, ob Fußballrechte in Zeiten des Privatfernsehens noch Grundversorgung sind. Ja, was ist Grundversorgung heute über- haupt? Wie sieht eine moderne In- terpretation des Paragraph 11 aus? Es ließe sich also schon einiges an Geld sparen, wenn unnötige Regio- nalangebote wegfielen, ohne dass deshalb das Programm schlechter werden müsste. Trotzdem wollen die Sender alle Jahre wieder mehr Geld, nicht weniger. Das öffentlich-rechtliche Fernse- hen, so sagen die Intendanten dann, würde in Zukunft doch noch wichtiger. Tatsächlich steigt der Be- darf an Information in einer kom- plexen Welt. Die Finanzkrise, eine chaotische Bundesregierung, ein kompliziertes Europa, schwierige Themen allerorten. Doch für Pro- gramme, die sich um Erklärungen bemühen, wollen die Sender in der Realität möglichst wenig ausgeben. Der Filmemacher Klaus Stern ist ein zurückhaltender Mann mit zu ei- nem Pferdeschwanz zusammenge- bundenem Haar. Er sieht nicht aus wie ein Nachrichtensprecher, aber eigentlich ist er eine Art wandeln- der Paragraph 11-Produzent, einer der großen seiner Zunft. Sterns Filme wurden mit Preisen über- häuft, sie sind auf eine zurückhal- tende Art unterhaltend und schaf- fen es, anhand weniger Protagonis- ten komplexe wirtschaftliche Phä- nomene zu erklären, den Irrsinn der New Economy, den Größen- wahn von Unternehmen oder Politi- kern. Vor einiger Zeit hat er zum Bei- spiel einen Film gedreht, den er „Weltmarktführer“ nannte. Er han- delt von Tan Siekmann, einem hes- sischen Unternehmer, der mit sei- ner Firma während des New-Eco- nomy-Booms rasant zum Liebling der Börsen aufstieg und dann ebenso spektakulär abstürzte. Kaum einer stand so sehr für Hybris und Wahnsinn wie Siekmann mit seinem Unterneh- men Biodata. Eine der einprägsamsten Szenen des Films zeigt den jungen Mann, wie er vor der Börse in kindlicher Freude den dort auf- gestellten Bullen rei- tet. Seine Füße ste- cken in Kinderso- cken. Stern hat mit der Kamera festgehal- ten, wie Siekmann abhebt, pleite geht, sich berappelt, wie- der Pleite geht und am Ende zusam- menbricht. Dieses Portrait eines Größenwahnsinnigen war besonde- res Fernsehen. Stern bekam 100000 Euro vom ZDF für zwei Jahre Recherche, 60 Drehtage, nicht viel, um davon zwei Jahre zu leben. Das ZDF hat den Film dann um 0:20 Uhr ausgestrahlt. „Wir produ- zieren für Menschen mit Schlafstö- rungen“, sagt Stern. Stern ist derzeit Vertretungspro- fessor an der Kunsthochschule Kas- sel. Dort konfrontiert er seine Film- Studenten manchmal mit der Wirk- lichkeit in Form von Fernsehredak- teuren. Die sagen dann, dass Cha- raktere in ARD-Dokumentationen sympathisch sein müssen. Kein Zu- schauer will, so haben sie sich das bei der ARD zurechtgelegt, Miesepe- ter sehen. Wer in Deutschland ein Problem hat, das von größerer ge- sellschaftlicher Bedeutung ist und Thema im Fernsehen werden soll, der muss es lachend rüberbringen können und möglichst kurz. Der Mann, der diese Regeln macht und im ZDF das Programm be- stimmt, betrachtet die Welt von sehr weit oben. Ein graues Hochhaus am Lerchenberg, lange Flure, viel braun, 14. Stock, Büro 1454. Thomas Bellut wirft einen flüchtigen Blick aus dem Fenster über die bleigrau verhangene Mainzer Vorstadt. „Ich habe gerade mit zwei Kolle- gen in Pakistan telefoniert“, sagt Bellut. „Schwierige Sache.“ Pakistan wird von einer Flutkata- strophe heimgesucht, der Monsun hat Bäche und Flüsse in reißende Ströme verwandelt. Städte sind aus- gelöscht, ganze Landstriche verwüs- tet, eine halbe Million Menschen um- gekommen. Ihn hätten Politiker an- gerufen, sagt Bellut, sie fänden eine Spendengala im ZDF gut. Bellut findet eine Gala gar nicht gut: „Das Thema ist nicht emotional. Es packt die Leute nicht.“ Mit den To- ten in Pakistan stimmt etwas nicht. Bellut läuft in seinem Büro auf und ab, in der Hand zwei Papiere mit bunten Diagrammen. Die Dia- gramme zeigen, welcher Sender am Vortag zu welcher Uhrzeit die meis- ten Zuschauer hatte. Bei RTL ist fast der ganze Abend rot markiert. RTL hat den Wettlauf um Reichweite ge- wonnen, wie so oft. Mit Berichten aus Pakistan ist da nichts zu ma- chen. „Miese Quoten“, sagt Bellut. Und da soll er eine Gala ma- chen, soll teure Stars ver- pflichten und auch noch das Programm komplett umbauen? Bellut schüt- telt den Kopf. Schwierig, sehr schwierig. Man versteht das bes- ser, wenn man das Prin- zip kennt, das hinter den Programmen steht. Man versteht dann auch, wa- rum das ZDF Klaus Sterns Film „Weltmarkt- führer“ erst in der Nacht gesendet hat. Der Samstag, sagt Bel- lut, sei in der ARD der Sportschau- Tag, „viele junge Zuschauer, schwie- rig für uns“. Er versucht es im ZDF dann mit Sendungen, die vor allem Frauen mögen, einer Familienserie, einem Boulevardmagazin, später mit einem Krimi oder Carmen Ne- Kunstmarkt: Die Düsseldorfer Galerien überraschen mit sensationellen Entdeckungen. Seite 66 „Wenn das Programm nicht stimmt, krieg ich das Haus nicht voll.“ Thomas Bellut ZDF-Programmdirektor Literatur: „Kreative sind die Gewinner der Krise“, sagt Richard Florida über sein neues Buch. Seite 64 Fredrik von Erichsen/dpa; Uwe Zucchi/ dpa; ZDF/Carmen Sauerbrei Fortsetzung auf Seite 58 © Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an [email protected]. © Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an [email protected].

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© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an [email protected].

Die Sendungmit den MäusenSiebeneinhalb Milliarden Euro Rundfunkgebühren bezahlen dieDeutschen im Jahr, beinahe so viel wie Kirchensteuer. Aus derKirche indes können sie austreten, aus dem öffentlich-rechtlichenFernsehen bald nicht mehr. Dabei verschwendet das Systemschon heute viel Geld und wird seinem Auftrag oft nicht gerecht.

Vor kurzem teilte das Köl-ner VerwaltungsgerichtAxel Hofmann in einemoffiziellen Brief mit,dass er seinen Kampf ge-

gen den Fernsehmoderator Gün-ther Jauch und ein wucherndes Sys-tem verloren hat. Doch eigentlichschrieb der Richter nicht nur Hof-mann. Mit dem Brief, in dem esheißt, dass „sog. Populäranträge“ausgeschlossen seien, teilte das Ge-richt 80 Millionen Deutschen mit,dass jeder Widerstand gegen dasFernsehprogramm von ARD undZDF zwecklos ist.

Nachdem die ARD vor einigenWochen die Verpflichtung Jauchsfür angeblich 10,5 Millionen Europro Jahr verkündet hatte, klagteHofmann, ehedem mit dem angese-henen Grimme-Preisausgezeichneter Redak-teur des WDR, gegendiese „Verschwendungvon Gebührengel-dern“, die für ihn nur ei-nes von vielen Beispie-len ist. Er fragte sich,ob ARD und ZDF ihrGeld noch wert sind.

Die Frage ist heute be-rechtigter denn je,denn seit Jahren stei-gen ihre Einnahmen. Al-lein 2010 überweisendie Deutschen 7,604Milliarden Euro Gebühren, beinaheso viel wie die 9,3 Milliarden Euro,die sie den beiden großen Kirchenan Steuern bezahlen. Aus der Kir-che können sie indes austreten, ausdem öffentlich-rechtlichen Fernse-hen wird das bald nicht mehr mög-lich sein.

Die für den Rundfunk zuständi-gen Bundesländer wollen die bishe-rige Gerätegebühr abschaffen. Ab2013 soll jeder Haushalt zahlen,egal ob es darin einen Fernsehergibt oder nicht. ARD und ZDFkommt das sehr entgegen, seit dieZahl der Leute, die sich von den Ge-bühren befreien lassen, steigt.

Dabei fließen die vielen Milliardenheute schon in unsinnige und frag-würdige Kanäle: in Millionengehäl-ter von Bundesliga-Fußballern, in

Technik, die kaum jemand nutzt, infünf Chöre, vier Big Bands, elf ARD-Orchester, in neun Regionalsender,die fast rund um die Uhr senden, in64 Radioprogramme, in Schlagerpar-tys und eine illustre Reihe neuerSparten-Sender, die quasi unter Aus-schluss der Öffentlichkeit stattfin-den. Der WDR betreibt am KölnerDom sogar ein Einkaufszentrum inbester Innenstadtlage.

In den Paragraph 11 des Staatsver-trages für Rundfunk und Teleme-dien, das Grundgesetz von ARDund ZDF, hatten deren Gründer ein-mal geschrieben: Sie haben „der Bil-dung, Information, Beratung undUnterhaltung zu dienen. Sie habenBeiträge insbesondere zur Kulturanzubieten.“

Bildung, Information, Beratungund Unterhaltung – das ist die Rei-henfolge im Gesetz. Mit der Wirk-

lichkeit der Pro-gramme hat das nichtmehr viel zu tun.Wenn es ums Geldaus-geben geht, interessie-ren sich die Sendermehr für den Musikan-tenstadel als fürs Par-lament. Für seine Be-richterstattung überdie gesamte deutschePolitik beispielsweisegab das ZDF 2009 lautHaushaltsplan 14 Mil-lionen Euro aus, fürdie über Wirtschaft

sieben, aber allein für die Bewer-bung ihrer Unterhaltungssendun-gen neun Millionen Euro.

Doch wer mehr wissen und derSpur der Milliarden folgen will, umzu erfahren, was genau mit ihnenpassiert, der bekommt kaum ge-naue Antworten darauf. Was bei-spielsweise die Auftritte eigentümli-cher Musikanten beim Sommerfestder Volksmusik im Vergleich zu poli-tischer Berichterstattung kosten,verraten die Manager der Öffent-lich-Rechtlichen nicht. Sie sind inWirklichkeit die Heimlich-Unersättli-chen, Herren eines intransparentenSystems aus 24 000 Mitarbeitern,das nach Umsatz der drittgrößte Me-dienkonzern Europas ist.

In einem verwinkelten Büro einesTürmchens der rheinland-pfälzi-

schen Staatskanzlei zu Mainz ziehtHorst Wegner einen 60 Zentimeterhohen Papierstapel aus einem Re-gal: die detaillierten Haushaltsplänevon ARD, ZDF und Deutschlandra-dio. Wegner ist Geschäftsführer derKommission zur Ermittlung des Fi-nanzbedarfs der öffentlich-rechtli-chen Sender (KEF). Alle zwei Jahreüberprüft er zusammen mit Vertre-tern der Landesrechnungshöfe dieZahlen im weit verzweigten Reichvon ARD und ZDF. Die KEF entschei-det dann über die Höhe der Rund-funkgebühr.

Wegner hält den Papierstapel, indem wie in anderen internen Papie-ren detaillierte Antworten auf denVerbleib der 7,6 Milliarden Euro ste-hen, kurz hoch wie eine Trophäeund lässt ihn dann schnell wiederim Regal verschwinden: „Nicht fürdie Öffentlichkeit.“

Die Öffentlichkeit und damit diemeisten Gebührenzahler, so wollenes Politiker und Anstalten, dürfennur einen Teil davon sehen, allge-meinere Posten, die im 388 Seitenstarken 17. offiziellen Bericht derKEF aufgelistet sind. Darin steht,dass die ARD 2,8 Milliarden Eurofür ihr Programm ausgibt und dasZDF 1,1 Milliarden, zusammen dieHälfte der Gebühreneinnahmen.

Interessant wäre vor allem, wasnicht in den öffentlichen Berichtensteht: Wie viele Übertragungswa-gen die Sender anschaffen und obsie sinnvoll sind; was sie für Reisenausgeben, was für Spesen, was Mo-deratoren verdienen. Die Deut-schen können im Internet zwarnachlesen, was die Kanzlerin ver-dient, in Geschäftsberichten erfah-ren, was der Vorstand eines Unter-nehmens bekommt, dessen Aktio-när sie sind. Aber wofür das Geld ineinem System ausgegeben wird, indas sie nicht freiwillig einzahlen, istVerschlusssache. Als vor kurzem pu-blik wurde, dass eine Reihe vonFernsehintendanten deutlich mehrverdient als die Bundeskanzlerin,führte das denn auch zu viel Ver-wunderung.

Doch selbst die allgemein zugäng-lichen Zahlen werfen teilweisemehr Fragen auf, als sie beantwor-ten. Was zum Beispiel geben dieSender für Information aus, was für

Unterhaltung? In den Plänen derLänderanstalten der ARD stehtdazu nichts, der des ZDF weist fürdas laufende Jahr aus: 628 Millio-nen Euro für Unterhaltung, 458 Mil-lionen Euro für das Informations-programm, darin enthalten 14 Mil-lionen Euro für die Berichterstat-tung über deutsche Politik. Nach Pa-ragraph 11 klingt das nicht.

Eine andere interessante Frage:Was kostet die Verwaltung? DieARD gibt 230 Millionen Euro an. Re-daktionssekretariate, Dispositionund Einkauf aber werden als Pro-grammkosten geführt. Höhe? Unbe-kannt. So ist nicht nachprüfbar, obstimmt, was manche Redakteure inden eigenen Reihen hartnäckig mut-maßen und die Senderchefs ebensohartnäckig bestreiten: dass viele An-stalten längst Verwaltungen mit an-geschlossenen Sendern sind und zuviel Geld in die Apparate und zu we-nig ins Programm fließt.

Selbst die scheinbar klaren Be-zeichnungen der Sendeinhalte wir-ken im zugänglichen Daten-Mate-rial bei genauerem Hinsehen sehrdehnbar. Das ZDF verbucht bei-spielsweise 284 Millionen Euro, die

es für Sportübertragungen ausgibt,nicht als Unterhaltung, sondern alsInformationsprogramm.

Den Rechnungsprüfer Wegnernach der Angemessenheit der Aus-gaben für Sportrechte zu fragen, istkaum möglich. Zwar sagt er, dasssie ein gutes Beispiel für Sparmög-lichkeiten seien. Eine Summe darfer aber nicht nennen. Er darf über-haupt nicht über Programm-In-halte reden. Das wäre ja Zensur.Wegner und seine Finanzkommis-sion sind nur für Zahlen da. Undwenn das ZDF sagt, dass Sport Infor-mation ist, dann ist das so.

Tatsächlich gibt es viel zu infor-mieren über Biathlon, Fechten,Fußball, Kajak, Reiten, Rodeln, Ru-dern, Segeln, Tischtennis, Turnen.780 Millionen Euro haben die Öf-fentlich-Rechtlichen für ihr Sport-programm deshalb im Budget. DieARD hat allein für die Übertragungs-rechte an der Fußball-Bundesliga100 Millionen Euro springen las-sen. Private Sender wie RTL, ProSieben und Sat 1 bieten in dieserPreislage schon längst nicht mehrmit. „Wir kaufen außer Formel1-Rechten und Rechten für ein paar

„Wir produzierenfür

MenschenmitSchlafstörungen.“

Klaus SternDokumentarfilmer

Marc Neller, Roman Pletter, Sven Prange,Hans-Peter Siebenhaar

Nachrichtenstudiodes ZDF

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WM-Spiele keine Sportrechte, weilsich so etwas für den Sender ein-fach nicht rechnen kann“, sagt einRTL-Manager, der seit Jahrzehntendie Mechanismen des TV-Markteskennt und sieht, wie ARD und ZDFdie Preise hoch treiben.

ARD und ZDF brauchen sich umMarktpreise indes nicht zu küm-mern. Sie haben ja 7,6 Milliardenzur freien Verfügung, um darausMondpreise zu machen. Sehr zurFreude der Fußball-Bundesliga-Ver-eine, die mit dem Geld ihre Spielerbezahlen können.

Die Frage ist, ob Fußballrechte inZeiten des Privatfernsehens nochGrundversorgung sind. Ja, was istGrundversorgung heute über-haupt? Wie sieht eine moderne In-terpretation des Paragraph 11 aus? Es ließe sich also schon einiges an

Geld sparen, wenn unnötige Regio-nalangebote wegfielen, ohne dassdeshalb das Programm schlechterwerden müsste. Trotzdem wollendie Sender alle Jahre wieder mehrGeld, nicht weniger.

Das öffentlich-rechtliche Fernse-hen, so sagen die Intendantendann, würde in Zukunft doch nochwichtiger. Tatsächlich steigt der Be-

darf an Information in einer kom-plexen Welt. Die Finanzkrise, einechaotische Bundesregierung, einkompliziertes Europa, schwierigeThemen allerorten. Doch für Pro-gramme, die sich um Erklärungenbemühen, wollen die Sender in derRealität möglichst wenig ausgeben.

Der Filmemacher Klaus Stern istein zurückhaltender Mann mit zu ei-nem Pferdeschwanz zusammenge-bundenem Haar. Er sieht nicht auswie ein Nachrichtensprecher, abereigentlich ist er eine Art wandeln-der Paragraph 11-Produzent, einerder großen seiner Zunft. SternsFilme wurden mit Preisen über-häuft, sie sind auf eine zurückhal-tende Art unterhaltend und schaf-fen es, anhand weniger Protagonis-ten komplexe wirtschaftliche Phä-nomene zu erklären, den Irrsinnder New Economy, den Größen-wahn von Unternehmen oder Politi-kern.

Vor einiger Zeit hat er zum Bei-spiel einen Film gedreht, den er„Weltmarktführer“ nannte. Er han-delt von Tan Siekmann, einem hes-sischen Unternehmer, der mit sei-ner Firma während des New-Eco-

nomy-Booms rasant zum Lieblingder Börsen aufstieg und dannebenso spektakulär abstürzte.Kaum einer stand so sehr für Hybrisund Wahnsinn wie Siekmann mitseinem Unterneh-men Biodata. Eineder einprägsamstenSzenen des Filmszeigt den jungenMann, wie er vor derBörse in kindlicherFreude den dort auf-gestellten Bullen rei-tet. Seine Füße ste-cken in Kinderso-cken.

Stern hat mit derKamera festgehal-ten, wie Siekmannabhebt, pleite geht,sich berappelt, wie-der Pleite geht und am Ende zusam-menbricht. Dieses Portrait einesGrößenwahnsinnigen war besonde-res Fernsehen. Stern bekam100 000 Euro vom ZDF für zweiJahre Recherche, 60 Drehtage,nicht viel, um davon zwei Jahre zuleben.

Das ZDF hat den Film dann um

0:20 Uhr ausgestrahlt. „Wir produ-zieren für Menschen mit Schlafstö-rungen“, sagt Stern.

Stern ist derzeit Vertretungspro-fessor an der Kunsthochschule Kas-sel. Dort konfrontiert er seine Film-Studenten manchmal mit der Wirk-lichkeit in Form von Fernsehredak-teuren. Die sagen dann, dass Cha-raktere in ARD-Dokumentationensympathisch sein müssen. Kein Zu-schauer will, so haben sie sich dasbei der ARD zurechtgelegt, Miesepe-ter sehen. Wer in Deutschland einProblem hat, das von größerer ge-sellschaftlicher Bedeutung ist undThema im Fernsehen werden soll,der muss es lachend rüberbringenkönnen und möglichst kurz.

Der Mann, der diese Regeln machtund im ZDF das Programm be-stimmt, betrachtet die Welt von sehrweit oben. Ein graues Hochhaus amLerchenberg, lange Flure, vielbraun, 14. Stock, Büro 1454. ThomasBellut wirft einen flüchtigen Blickaus dem Fenster über die bleigrauverhangene Mainzer Vorstadt.

„Ich habe gerade mit zwei Kolle-gen in Pakistan telefoniert“, sagtBellut. „Schwierige Sache.“

Pakistan wird von einer Flutkata-strophe heimgesucht, der Monsunhat Bäche und Flüsse in reißendeStröme verwandelt. Städte sind aus-gelöscht, ganze Landstriche verwüs-tet, eine halbe Million Menschen um-gekommen. Ihn hätten Politiker an-gerufen, sagt Bellut, sie fänden eineSpendengala im ZDF gut.

Bellut findet eine Gala gar nichtgut: „Das Thema ist nicht emotional.Es packt die Leute nicht.“ Mit den To-ten in Pakistan stimmt etwas nicht.

Bellut läuft in seinem Büro aufund ab, in der Hand zwei Papieremit bunten Diagrammen. Die Dia-gramme zeigen, welcher Sender amVortag zu welcher Uhrzeit die meis-ten Zuschauer hatte. Bei RTL ist fastder ganze Abend rot markiert. RTLhat den Wettlauf um Reichweite ge-wonnen, wie so oft. Mit Berichtenaus Pakistan ist da nichts zu ma-chen.

„Miese Quoten“, sagt Bellut. Undda soll er eine Gala ma-chen, soll teure Stars ver-pflichten und auch nochdas Programm komplettumbauen? Bellut schüt-telt den Kopf. Schwierig,sehr schwierig.

Man versteht das bes-ser, wenn man das Prin-zip kennt, das hinter denProgrammen steht. Manversteht dann auch, wa-rum das ZDF KlausSterns Film „Weltmarkt-führer“ erst in der Nachtgesendet hat.

Der Samstag, sagt Bel-lut, sei in der ARD der Sportschau-Tag, „viele junge Zuschauer, schwie-rig für uns“. Er versucht es im ZDFdann mit Sendungen, die vor allemFrauen mögen, einer Familienserie,einem Boulevardmagazin, spätermit einem Krimi oder Carmen Ne-

Kunstmarkt:DieDüsseldorfer Galerienüberraschenmitsensationellen Entdeckungen.Seite 66

„Wenn dasProgramm

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ZDF-Programmdirektor

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bels Volksmusik-Sendung. Der Sonn-tag ist „Tag der Gefühle“, Rosa-munde Pilcher, Krimis aus Schwe-den oder Dänemark. Montag ist Fil-metag, Dienstag ist Infotag.

Als Bellut am Ende der Woche an-gekommen ist, hat er sehr oft vonGefühlen, Krimis, Frauen und Infor-mation gesprochen. Aber entschei-dende Wörter sind andere: Audi-enceflow und Quote.

Audienceflow steht für den Ver-such, die Zuschauer von einer Sen-dung in die nächste mitzunehmenund so eine hohe Quote, einen ho-hen Marktanteil, zu halten. VomEuropa-Magazin zur Telenovela,vom Spielfilm ins Heute-Journal,vom Heute-Journal in das Spätabend-programm. Klaus Stern und Pakis-tan passen da irgendwie nicht rein.Würde er um 20:15 Uhr eine Repor-tage senden, eine Dokumentationoder Kultursendung gar, sagt Bellut,der ganze Abend wäre futsch.

Was die Gebührenprüfer nichtdürfen, der Audienceflow darf es:ins Programm eingreifen. Er be-stimmt sogar die Handlung von Fil-men. Ein Produzent, der gut im Ge-schäft ist, berichtet davon, dass erund seine Kollegen ihre „Filme soanlegen, dass die maximale Action,die höchste Spannung dann dranist, wenn in einem anderen Pro-gramm ein vielgesehenes Pro-gramm anfängt.“ Wenn etwa um20 Uhr in der ARD die Tagesschaubeginnt, jagen in einem ZDF-Filmkurz vorher Polizisten einem Mör-der hinterher, damit möglichst we-nige Zuschauer zur Tagesschauschalten.

„Der Audienceflow“, sagt in ei-nem kleinen Büro, ein paar Stock-

werke unter Belluts Zimmer, ein altgedienter ZDF-Redakteur, „ist derGrund, warum wir immer gesichtslo-ser werden. Warum wir nichts mehrwagen. Keine Brüche, nichts Uner-wartetes. Wir trauen uns ja nicht ein-mal, nachmittags unter der Wochenoch eine Kindersendung mit Ni-veau ins Programm zu nehmen.“

Bellut bringt am Nachmittag – für

das Kinderfernsehen ist nun ja derKika zuständig – lieber die Topfgeld-jäger, eine Kochsendung. 30 000Euro Kosten für eine Stunde Sende-zeit, in der Welt des Fernsehens istdas nichts, und noch besser: die Sen-dung hat „sensationell eingeschla-gen: 11,2 Prozent Quote“. Die Teleno-velas, etwa 80 000 Euro die Stunde:nicht billig, aber mit Quote und gu-

tem Audienceflow, also gut vertret-bar. Nachrichten, Bellut wird nüch-terner: „100 000 Euro die Stunde“,muss sein für einen öffentlich-recht-lichen Sender. Fernsehfilme: „1,2bis 1,5 Millionen“, muss auch sein,Programmauftrag.

Eine Telenovela wie „Hanna –Folge Deinem Herzen“ kostet etwagenauso viel wie eine eineinhalb-stündige Dokumentation des KlausStern, an der der Autor und seinTeam zwei Jahre lang gearbeitet ha-ben. „Wenn das Programm nichtstimmt, krieg ich das Haus nichtvoll“, sagt Bellut.

Einen Zweifel daran, den Auftrageines öffentlich-rechtlichen Sen-ders zu erfüllen, hat er nicht – wieihn auch viele seiner Kollegen inden ARD-Sendeanstalten ehrlichnicht zu haben scheinen. Wie beiden Sportrechten stellt sich kaum ei-ner die Frage, warum ein Staatsfern-sehen täglich Telenovelas mit harm-los albernen Handlungssträngenzeigen muss, wenn es einen Marktdafür gibt bei den Privaten.

In den unteren Etagen der Sen-der und bei externen Produzentenund anderen Mitarbeitern, dort,wo sie noch versuchen, Journalis-mus zu machen, gibt es denn auchZweifel daran, ob Paragraph 11 tat-sächlich noch der Maßstab ist, auchwenn sich kaum einer aus der Ano-nymität heraus traut wie der TV-Re-porter, der sagt: „Gut dass Sie darü-ber schreiben. Es ist nicht die Auf-gabe der Gebührenzahler, ein sichselbst erhaltendes System zu finan-zieren wie zum Ende der DDR. Fürwas geben wir das Geld in letzterZeit wirklich aus? Das würde ichgerne einmal wissen!“

Dazu ein paar Zahlen des ZDF: dieMittel für Kultur und Wissenschaft

werden dieses Jahr um 16,4 Millio-nen Euro auf 52,9 Millionen Euro ge-kürzt, die für Wirtschaftsberichter-stattung um 273000 Euro auf 7,1 Mil-lionen und die für Zeitgeschichteund Zeitgeschehen um 835 000 auf15,7 Millionen. Ersparnisse alleror-ten. Aber wo ist das Geld hin? Nun,für den Sport etwa war im Jahr derFußball-WM eine große Steigerungdrin: 284,3 Millionen Euro gibt dasZDF dafür aus. Im Vorjahr waren esnoch 181,3 Millionen Euro. Immer-hin fließen beim 88,3 MillionenEuro in Nachrichten, wobei 24,2 Mil-lionen Euro für die Boulevard-For-mate "Hallo Deutschland" (10,2 Mil-lionen), Drehscheibe Deutschland(8,7 Millionen) und "Leute heute"(6,1 Millionen) draufgehen.

Angesichts des Programmauf-trags könnte man das eine bemer-kenswerte Schwerpunktsetzungnennen, und die Liste solcher Bei-spiele lässt sich mühelos fortsetzen,ganz zu schweigen von Zahlen wieden 1,259 Milliarden Euro an Netto-aufwendungen für die Altersversor-gung, die die KEF allein für die Jahre2005 bis 2009 ausweist.

Die ARD investiert 33 Millionen Euro inTechnik, die kaum einer nutzen kann

Aber das ist nicht alles. Der Gebüh-renprüfer Horst Wegner kommt inseinem Büro ziemlich schnell auf et-was zu sprechen, das im bestenSinne niemand zu sehen bekommt,unnötige Technik zum Beispiel.

Fast 400 Millionen Euro gabendie Öffentlich-Rechtlichen in die-sem Jahr nur für Übertragungstech-nik aus, für Kanäle, Sendemasten,für elf verschiedene Arten, Pro-gramme auszustrahlen, oftmals voll-kommen unsinnig. Die ARD etwa in-vestiert 33 Millionen Euro, um ihreRadio-Programme im Digitalstan-dard DAB zu senden, obwohl es inDeutschland so gut wie keine Gerätegibt, mit denen das Programm zuempfangen ist. Wegner hat diesesGeld nun gestrichen. Es gibt nocheine Reihe weiterer Beispiele.

Wegners Abteilung prüft, rech-net, streicht. Aber das Problem be-heben kann Wegner nicht. Wennseine Kommission der ARD mal wie-der vorrechnet, dass allein sie 50Millionen Euro Personalkosten ein-sparen könnte, ohne dass es einemZuschauer auffiele, passiert meis-tens nichts. Es war überraschend,dass der SWR neulich dann dochVollzug meldete: eine Stelle abge-baut in den vergangenen zwei Jah-ren. Der BR und Radio Bremenschafften sogar je neun Stellen.

Rechnungsprüfer Wegner kanndrohen und Fristen setzen, er tut inseinem Turmbüro, was in seinerMacht steht. Aber wenn es daraufankommt, entscheidet nicht er, derBeamte. Dann entschieden Leute,die er fast täglich unten auf dem Hofder Staatskanzlei sieht.

Martin Stadelmaier, 51, rundeBrille, graue Föhnfrisur, Schnäuzer,sanftes Lächeln, ist nicht von derSorte Mensch, der man ihren Ein-fluss sofort ansieht. Wenn die Sekre-tärin aber die Tür zu seinem Büro öff-net, zeigt sich ein langer Raum mithellem Parkett, einem gewaltigenSchreibtisch, einem Stehpult amFenster mit bestem Blick auf dasMainzer Rheinufer. Der Bespre-chungstisch ist eingedeckt mit Servi-etten, darauf das Wappen von Rhein-land-Pfalz. Gegen Stadelmaiers Bürosind die des Programmdirektors Bel-lut und das des Kontrolleurs HorstWegner Dienstbotenräume.

Stadelmaier ist der wichtigste

27921379

75975

11039

Was passiert mit den Rundfunkgebühren?

2,79

4,234,56 4,73

5,69 5,92

6,65 6,797,12 7,30

7,60

1990 '92 '93'91 '94 '95 '96 '97 '98 '99 '00 '01 '02 '03 '04 '05 '06 '07 '08 '09

Verteilt nach ARD und ZDF*, Ausgaben in Mio. Euro

Quellen: HB-Research, GEZ, Rundfunkanstalten*Differenz = Arte und DeutschlandradioHandelsblatt

Einnahmen aus den Rundfunkgebührenin Mrd. Euro

2053355

Gesamt: 7600 Mio. Euro

Programm Personal

Telemedien Sonstige

ARD

ARDZDF

ZDF

Fortsetzung von Seite 57

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Mann des Rheinland-Pfälzischen Mi-nisterpräsidenten Kurt Beck, Leiterder Staatskanzlei, treuer SPD-Anhän-ger und seit Jahren einer der einfluss-reichsten Medienpolitiker im Land.Der ehrgeizige Staatsdiener hat an al-len Rundfunkstaatsverträgen der ver-gangenen Jahre mitgewirkt.

Es gibt einiges, das Stadelmaieram deutschen Fernsehen missfällt:zu viel Werbung zum Beispiel; zu vielProductplacement; zu viele krawal-lige Polit-Talkshows; zu viel Fixie-rung auf die Quote; zu kurze Nach-richtenbeiträge; zu späte Sendezei-ten für wichtige Programme.

So geht das einige Zeit. Stadel-maier klingt, als bereite eine Grab-rede auf das deutsche Staatsfernse-hen vor. Doch irgendwann, ganzplötzlich, sagt er: „Der Bedarf an öf-fentlich-rechtlichem Fernsehenwächst“, und fortan scheint ein ande-rer auf dem Stuhl zu sitzen, auf demeben noch Stadelmaier saß. Noch im-mer ist es ein Mann mit Föhnfrisurund Schnäuzer, Stadelmaier zum Ver-wechseln ähnlich. Aber dieser an-dere Mann ist ein Versteher undFreund der Intendanten. ARD undZDF? Kreativ darin, neue Sendungenzu entwickeln! Beachtliche Anstren-gungen! Sorgfältigerer Umgang mitGebührengeld!

Es handelt sich bei der Wandlungdes Herrn Stadelmaier um eine Meta-morphose aus Not, denn sein Dienst-herr, der Ministerpräsident, und alldie anderen Politiker, haben nur die-sen einen öffentlich-rechtlichenRundfunk mit seinen Fernsehkanä-len und Radios. Sie regieren dort hi-nein, beispielsweise wenn es um dieBesetzung von Chefredakteurspos-ten geht, wie gerade erst bei der Ab-setzung des ZDF-Chefs Nikolaus Bren-der. Das können sie sonst nirgends.Oder sie protegieren genehme Redak-teure. Es gibt Mitarbeiter des SWR,die sprechen davon, dass sie wieder„Beck-TV“ machen müssen, weil einRedakteur sie auf einen Terminschickt, damit der Politiker zufrie-den ist und im Fernsehen vorkommt.

ARD und ZDF bestimmen indirektselbst, wie viel Geld sie bekommen

Um dieses System zu erhalten, brau-chen die Politiker aber Gebührengel-der. Wenn sie neben ARD und ZDF,neun Regionalsendern, Arte, 3Satund Phoenix auch noch sechs Digital-kanäle haben wollen, dann mussRechnungsprüfer Wegner das Geldbewilligen, obwohl er es für falschhält. Und wenn sie auch Geld für In-ternetangebote wollen, dann mussWegner ihnen auch das geben.

Nicht einmal die Höhe der Gebüh-ren kommt auf transparentem Wegezustande. Die einzige Grundlage, dieWegner und seine Gebührenkommis-sion haben, sind die Kostenrechnun-gen von ARD und ZDF. „Wir schauen,wie sich die Kosten für Rundfunk inden vergangenen Jahren entwickelthaben und folgern daraus für die Zu-kunft“, sagt Wegner, der nicht in Da-ten der Privatsender schauen kann,um zu vergleichen. Je mehr ARD undZDF ausgegeben haben, desto besserstehen ihre Chancen, bei der nächs-ten Gebührenprüfung mehr Geld zubekommen.

Könnten ARD und ZDF denn nicht,Herr Stadelmaier, eine Milliarde spa-ren, wenn man den ganzen Unsinnbei Sportrechten und dergleichenweg ließe, so wie der Rechnungsprü-fer Wegner sich das denkt?

Stadelmaier sagt etwas irritiert:„Dann wäre es ein anderes System.“Die Frage, was daran schlimm wäre,kann er nicht beantworten.

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