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Quellenanalyse zum Lohengrin-Vorspiel Richard Wagner Das Vorspiel zu Lohengrin (1853) Aus einer Welt des Hasses schien die Liebe ver- schwunden zu sein: in keiner Gemeinschaft der Men- schen zeigte sie sich mehr als Gesetzgeberin. Aus der Sorge um Gewinn und Besitz sehnte sich das Liebes- verlangen des menschlichen Herzens endlich wieder nach Stillung, da es in dieser Wirklichkeit nicht mehr zu erfüllen war. Die Vorstellungskraft gab diesem unbegreiflichen Liebesdrang eine Gestalt außerhalb der Wirklich- keit. Unter dem Namen „Heiliger Gral“ glaubten, ersehnten und suchten die Menschen eine tröstende Vorstellung, die als wirklich vorhanden und doch un- nahbar fern galt. Dies war das kostbare Gefäß, aus dem einst der Heiland den Jüngern den letzten Ab- schiedsgruß zutrank, und in welchem dann sein Blut, als er am Kreuze aus Liebe litt, aufgefangen wurde. Dieses Gefäß wird bis heute als Quell unvergänglicher Liebe verwahrt. Schon war der Heilskelch der unwür- digen Menschheit entrückt, als eine Engelschar ihn aus höchsten Himmelshöhen wieder herabbrachte, ihn unter die Aufsicht reiner Menschen stellte, um sie so zu irdischen Streitern für die ewige Liebe zu machen. Diese wunderwirkende Niederkunft des Gra- les im Geleite der Engelschar und seine Übergabe an hochbeglückte Menschen, wählte sich der Tondichter des „Lohengrin“ als Einleitung für sein Drama aus, um dieses Bild - diese Erläuterung möge mir erlaubt sein - dem Hörer in Tönen vorzuführen. Zu Beginn verdichtet sich als Ausdruck überirdischer Liebessehnsucht der klarste blaue Himmel zu einer kaum wahrnehmbaren, zauberhaften Erscheinung. In unendlich zarten Linien zeichnet sich mit wach- sender Bestimmtheit eine Engelschar ab, die sich aus lichten Höhen unmerklich herabsenkt, indem sie in ihrer Mitte den Gral mitführt. Sobald die Erscheinung deutlicher wird und sichtbar der Erde zuschwebt, ent- strömen ihr süße, berauschende Düfte: sie wallen wie goldenes Gewölk nieder, und nehmen die Sinne des Betrachtenden bis in die Tiefe seines Herzens gefan- gen. Bald verspürt er lustvolle Schmerzen, bald be- glückende Lust. Der Zauber der Erscheinung weckt in ihm mit unwiderstehlicher Macht alle unterdrückten Liebesbedürfnisse. Sie steigern sich ins Unermess- liche, so dass er von der gewaltigen Sehnsucht fast zerstört wird. Noch nie empfand ein menschliches Herz solche Hingebungs- und Auflösungstriebe. Und doch beglückt den Betrachter diese Empfindung. Vor seinen überwältigten Sinnen breitet sich die göttli- che Erscheinung aus. Und als endlich der Gral enthüllt wird und dem Blick des Gewürdigten nicht mehr verborgen ist, sendet er aus seinem Inneren Sonnenstrahlen höchster Liebe, leuchtet er weithin sichtbar wie ein himmlisches Feu- er und alle Herzen erbeben im Flammenglanz seiner ewigen Glut. Da schwinden dem Betrachter die Sinne; wie ohnmächtig sinkt er nieder. Doch über ihn gießt der Gral seinen Segen aus, mit dem er ihn zu seinem Ritter weiht. Die leuchtenden Flammen dämpfen sich zu mildem Glanz ab. Dieser verbreitet sich wie ein Atemhauch und erfüllt den Anbetenden mit unglaub- lichem Entzücken. Lächelnd schwebt die Engelschar wieder in die Höhe. Den Ursprung der Liebe, den „Gral“, der auf Erden versiegt war, brachte sie von neuem zu uns zurück. Sie stellte ihn unter die Aufsicht reiner Menschen, in deren Herzen er segnend wirkt. Und im hellsten Licht des blauen Himmels verschwinden nun die Engel, so, wie sie sich zu Beginn genaht hatten. (Didaktische Be- arbeitung, Uwe Jacobsen 2009) 1. Fertige nach dem ersten konzentrierten Hören des Lohengrin-Vorspiels eine abstrakte Gestaltung mit Was- serfarben an. Hört das Vorspiel mehrfach während eurer Erarbeitung. 2. Vergleicht die Gestaltungen untereinander und zeigt Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf. Welche Farben habt ihr verwendet? Welche Strukturen weisen eure Bil- der auf? 3. Vergleicht die Gestaltungen mit zwei Bildern des fran- zösischen Malers Fantin-Latour. Welche Beobachtungen lassen sich festhalten? 4. Erarbeitet den gegebenen Text unter Verwendung euch bekannter Methoden der Textanalyse. 5. Findet ihr die Hauptaussagen des Textes in euren Ge- staltungen und in der Musik wieder? Wie kann dieser Um- stand begründet werden? 6. Belegt Wagners Absichten am Notentext des Vorspiels.

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Quellenanalyse zum Lohengrin-Vorspiel

Richard WagnerDas Vorspiel zu Lohengrin (1853)

Aus einer Welt des Hasses schien die Liebe ver-schwunden zu sein: in keiner Gemeinschaft der Men-schen zeigte sie sich mehr als Gesetzgeberin. Aus der Sorge um Gewinn und Besitz sehnte sich das Liebes-verlangen des menschlichen Herzens endlich wieder nach Stillung, da es in dieser Wirklichkeit nicht mehr zu erfüllen war. Die Vorstellungskraft gab diesem unbegreiflichen Liebesdrang eine Gestalt außerhalb der Wirklich-keit. Unter dem Namen „Heiliger Gral“ glaubten, ersehnten und suchten die Menschen eine tröstende Vorstellung, die als wirklich vorhanden und doch un-nahbar fern galt. Dies war das kostbare Gefäß, aus dem einst der Heiland den Jüngern den letzten Ab-schiedsgruß zutrank, und in welchem dann sein Blut, als er am Kreuze aus Liebe litt, aufgefangen wurde. Dieses Gefäß wird bis heute als Quell unvergänglicher Liebe verwahrt. Schon war der Heilskelch der unwür-digen Menschheit entrückt, als eine Engelschar ihn aus höchsten Himmelshöhen wieder herabbrachte, ihn unter die Aufsicht reiner Menschen stellte, um sie so zu irdischen Streitern für die ewige Liebe zu machen. Diese wunderwirkende Niederkunft des Gra-les im Geleite der Engelschar und seine Übergabe an hochbeglückte Menschen, wählte sich der Tondichter des „Lohengrin“ als Einleitung für sein Drama aus, um dieses Bild - diese Erläuterung möge mir erlaubt sein - dem Hörer in Tönen vorzuführen.Zu Beginn verdichtet sich als Ausdruck überirdischer Liebessehnsucht der klarste blaue Himmel zu einer kaum wahrnehmbaren, zauberhaften Erscheinung.In unendlich zarten Linien zeichnet sich mit wach-sender Bestimmtheit eine Engelschar ab, die sich aus lichten Höhen unmerklich herabsenkt, indem sie in ihrer Mitte den Gral mitführt. Sobald die Erscheinung deutlicher wird und sichtbar der Erde zuschwebt, ent-strömen ihr süße, berauschende Düfte: sie wallen wie goldenes Gewölk nieder, und nehmen die Sinne des Betrachtenden bis in die Tiefe seines Herzens gefan-gen. Bald verspürt er lustvolle Schmerzen, bald be-glückende Lust. Der Zauber der Erscheinung weckt in ihm mit unwiderstehlicher Macht alle unterdrückten

Liebesbedürfnisse. Sie steigern sich ins Unermess-liche, so dass er von der gewaltigen Sehnsucht fast zerstört wird. Noch nie empfand ein menschliches Herz solche Hingebungs- und Auflösungstriebe. Und doch beglückt den Betrachter diese Empfindung. Vor seinen überwältigten Sinnen breitet sich die göttli-che Erscheinung aus.Und als endlich der Gral enthüllt wird und dem Blick des Gewürdigten nicht mehr verborgen ist, sendet er aus seinem Inneren Sonnenstrahlen höchster Liebe, leuchtet er weithin sichtbar wie ein himmlisches Feu-er und alle Herzen erbeben im Flammenglanz seiner ewigen Glut. Da schwinden dem Betrachter die Sinne; wie ohnmächtig sinkt er nieder. Doch über ihn gießt der Gral seinen Segen aus, mit dem er ihn zu seinem Ritter weiht. Die leuchtenden Flammen dämpfen sich zu mildem Glanz ab. Dieser verbreitet sich wie ein Atemhauch und erfüllt den Anbetenden mit unglaub-lichem Entzücken.Lächelnd schwebt die Engelschar wieder in die Höhe. Den Ursprung der Liebe, den „Gral“, der auf Erden versiegt war, brachte sie von neuem zu uns zurück. Sie stellte ihn unter die Aufsicht reiner Menschen, in deren Herzen er segnend wirkt. Und im hellsten Licht des blauen Himmels verschwinden nun die Engel, so, wie sie sich zu Beginn genaht hatten. (Didaktische Be-arbeitung, Uwe Jacobsen 2009)

1. Fertige nach dem ersten konzentrierten Hören des Lohengrin-Vorspiels eine abstrakte Gestaltung mit Was-serfarben an. Hört das Vorspiel mehrfach während eurer Erarbeitung.

2. Vergleicht die Gestaltungen untereinander und zeigt Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf. Welche Farben habt ihr verwendet? Welche Strukturen weisen eure Bil-der auf?

3. Vergleicht die Gestaltungen mit zwei Bildern des fran-zösischen Malers Fantin-Latour. Welche Beobachtungen lassen sich festhalten?

4. Erarbeitet den gegebenen Text unter Verwendung euch bekannter Methoden der Textanalyse.

5. Findet ihr die Hauptaussagen des Textes in euren Ge-staltungen und in der Musik wieder? Wie kann dieser Um-stand begründet werden?

6. Belegt Wagners Absichten am Notentext des Vorspiels.

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Jean Theodore Fantin-Latour: Prélude de Lohengrin (Litographie 1882)Bayreuther Festspiele (Programmheft „Lohengrin“ 1980)

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Jean Theodore Fantin-Latour: Prélude de Lohengrin (Öl auf Leinwand um 1877)Vom Klang der Bilder. München 1985

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