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Rat für radikale Realpolitik Konversion – wie geht das? »Alternative Produktion« als Krisenpolitik: Strategieprobleme

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Rat für radikale Realpolitik

Konversion – wie geht das?

»Alternative Produktion« als Krisenpolitik:

Strategieprobleme

Bernd Röttger

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Mit den in der Krise propagierten Konzepten der

»Wirtschaftsdemokratie« oder des »sozial-ökologischen Umbaus« wird

die aktuellen Weltwirtschaftskrise als »große Krise« interpretiert, deren

Überwindung nicht nur einen Bruch mit bisherigen Formen der

Wirtschaftsregulation, sondern auch die Durchsetzung eines »neuen

Produktionsmodells« voraussetzt.

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Bei allgemeiner Prosperität »kann von einer wirklichen Revolution keine Rede sein. Eine solche Revolution ist nur in

den Perioden möglich, wo [...] die modernen Produktivkräfte und die

bürgerlichen Produktionsformen [...] in Widerspruch geraten…. Eine neue

Revolution ist nur möglich im Gefolge einer neuen Krisis. Sie ist aber auch

ebenso sicher wie diese.« (MEW 7/98)

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Wenn Bundeskanzlerin Merkel von einer »großen Krise« plaudert, um im

selben Atemzug zu verkünden, die Krise sei überwunden, wenn der »Zustand vor der Krise« wieder

hergestellt ist und zu den »bewährten« Mustern der

Wirtschaftsregulation zurückgekehrt werden könne, deutet das auf

konservierende Krisenpolitik hin.

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Überblick

1. Kapitalismus, Krisen und Krisenausgänge: Mythen und Realitäten, oder: Annäherungen an den Charakter der gegenwärtigen Krise

2. Traditionslinien gewerkschaftlicher Krisenpolitik und »Alternativen der Arbeiterbewegung«: ungelöste Probleme von »Konversion« und »alternativer Produktion«

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Kapitalismus – Krisen –Krisenausgänge

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Mythos 1

Eher in »apologetischen Phrasen« geübt, »um die Krise wegzuleugnen«

(26.2/519) scheiden bürgerliche Theorien für eine Krisenprognose aus.

Eugen Varga (1969/88f) sprach von der »vollständigen Unfähigkeit der

bürgerlichen Nationalökonomen, den Konjunkturverlauf vorauszusehen« .

Die wahren »Krisenspezialisten« sind allein die Marxisten.

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Realitäten

Richtig ist: »Niemals zuvor in der Geschichte ist ein

Schiff untergegangen, dessen Kapitän und Besatzung über die Gründe seines Unglücks weniger Bescheid gewusst

haben und ähnlich außerstande gewesen sind, etwas dagegen zu

unternehmen« – so Eric Hobsbawm (1969/47) über die

Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre.

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Realitäten

Richtig ist: Tatsächlich waren es immer materialistische Kritiker, die die

Krisentendenzen des Kapitalismus identifiziert und den Ausbruch von Krisen

vorhergesagt haben. Eugen Varga, Chefökonom der Komintern, etwa bei der

Krise 1929 – allerdings hatte er die (finale )Krise des Kapitalismus auch jedes Jahr vorher schon prognostiziert. – Oder

die linken Kritiker des Neoliberalismus, die dessen finales Ende seit Mitte der 1980er

Jahre immer wieder verkündeten.

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Realitäten

Falsch ist, dass die Ausgänge ökonomischer Krisen einer teleologischen Richtung folgen –

etwa einem erweiterten Staatsinterventionismus und somit einen

»Übergangspunkt zu einer neuen Produktionsform« (25/454) markieren. Die

Geschichte zeigt, dass kapitalistische Krisen auch Phasen bezeichnen, die von den jenen Kräften zur Stabilisierung ihrer Herrschaft

und zur Restrukturierung ihrer ökonomischen Basis genutzt werden können, die durch die

Krise gerade historisch negiert wurden.

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»Ausgeschlossen kann werden, dass die unmittelbaren

Wirtschaftskrisen von sich aus fundamentale Ereignisse

hervorbringen; sie können nur einen günstigeren Boden für die Verbreitung bestimmter Weisen

bereiten, die für die ganze weitere Entwicklung des staatlichen

Lebens entscheidenden Fragen zu denken, zu stellen und zu lösen. « (Gramsci, Gef., H. 13, § 17, 1563)

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Mythos 2

Es gibt die marxistische Krisentheorie, aus der sich Ursachen, Verlaufsformen

und Ausgänge ökonomischer Krisen des Kapitalismus eindeutig bestimmen lassen. Faktisch gibt es aber allenfalls eine marxistische Krisenheuristik, die in jeder wirklichen Krise neu entfaltet

werden muss.

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Realitäten

Im Kapital gibt es Umrisse einer Theorie der »Möglichkeiten« von Krisen (MEW

26.2/500ff) in der kapitalistischen Produktionsweise, aus der dann (später)

Unterkonsumtion, Überproduktion, Überakkumulation zu »allgemeinen

Krisentheorien« destilliert wurden. Eine Analyse der Bedingungen, »wo die Möglichkeit sich zur Wirklichkeit«

entwickelt (26.2/512), fehlt weitgehend.

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Realitäten

Beim frühen Marx findet man Elemente »rationalistischer Endzeiterwartung« (Alain Lipietz). Schon 1858 aber ruderte er zurück, weil sich die revolutionären Konsequenzen der Krise von 1857 nicht einstellen wollten: »Eine Gesellschaftsordnung geht nie unter,

bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind… ; und neue höhere Produktionsverhältnisse

treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoße der alten selbst ausgebrütet sind.« (MEW

13/9)

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Realitäten

Seitdem werden Krisen zweischneidig interpretiert: Sie sind sowohl Lösungsform der

Fortexistenz der kapitalistischen Produktionsweise, durch die »das gestörte

Gleichgewicht für den Augenblick« wiederhergestellt wird (25/259); sie sind

zugleich »Zwangsmittel der gesellschaftlichen Umwälzung« (20/268), durch die sich die

Gesellschaft auf immer höherer Stufenleiter reproduziert. Engels weist der Arbeiterklasse

die Aufgabe zu, »auf jeden Fall eine Krise herbeizuführen« (8/98f): steigende Löhne als

»Sturmvogel einer Krise« (24/409).

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Realitäten

Und: Krise ist nicht gleich Krise. Schon Marx unterscheidet zwischen

»partiellen Krisen« und »allgemeinen Krisen« (26.2/521). Zudem hat sich im historischen Verlauf der Typus der Krisen erheblich verändert: es gibt

unterschiedliche Krisentypen und unterscheidbare Krisenausgänge.

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Realitäten

In einer marxistischen Krisenheuristik besteht die entscheidende Funktion

ökonomischer Krisen nicht prinzipiell in der Bestandsgefährdung der

kapitalistischen Produktionsweise, sondern paradoxerweise in ihrer

Bestandssicherung. Ökonomische Krisen fungieren dann als »ökonomisches Moment

der Regeneration politischer Macht des Kapitals«. Elmar Altvater (1983/71)

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Realitäten

In »großen Krisen« des Kapitalismus (1873ff; 1929ff; 1974/75ff; 2008ff) ist jedoch keine Krisenüberwindung im bestehenden Gefüge der Regulation

mehr möglich; die Krise entfaltet sich als Prozess gesamtgesellschaftlicher Umwälzungen, die einen neuen

»Entwicklungstyp« als Ergebnis sozialer Kämpfe generieren (kapitalistische

Regulation als »glückliche Fundsache« (Lipietz) .

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Zum Charakter der Krise

„Alles, was auf Erden erfunden wird, / liegt irgendwo schon auf der Lauer“

(Peter Rühmkorf)

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Mythos 3

Krisen des Kapitalismus markieren Zeiten, in denen sich

Gewerkschaftspolitik radikalisieren muss, um die Interessen der abhängig Beschäftigten noch

wirksam vertreten zu können.

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Realitäten

Krisen des Kapitalismus schwächen in der Regel die Macht der

Gewerkschaften: sie entkräften Kampfformen als Druckmittel (Streik) und lassen (unter den Bedingungen drohender oder

existierender Massenarbeitslosigkeit)

Organisationsmacht schwinden.

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Realitäten

Krisenpolitik der Gewerkschaften ist Abwehrkampf. Ihre zentrale Aufgabe besteht

darin, die Handlungskorridore der Interessenpolitik nicht weiter zu verengen.

Krisen können aber auch mit eingeschliffenen politischen Formen der Konfliktaustragung brechen. Klassenkonflikte reflektieren in

solchen Situationen zugleich die »institutionell determinierende Logik« wie sie

(oft) einen »Angriff auf diese Logik« darstellen (Fox Piven/Cloward 1986/ 8).

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Annäherung an den Charakter der

gegenwärtigen Krise

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These (1)

Die aktuell zu beobachtende »Rückkehr des Staates« in der Krise wird konstituiert durch

den gleichen Machtblock, der vorher die Privatisierung öffentlicher Funktionen

besorgte (konservierende Krisenpolitik). Die Bourgeoisie wechselt vom »Fluchtpunkt

Ökonomie« (mit dem sie sich aus den Fesseln des fordistischen

Klassenkompromisses befreien wollte) zum »Fluchtpunkt Staat« (der sie vor den

eigenen Kräften der Selbstvernichtung schützen soll).

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These (2)

Die aktuelle Krise ist das Ergebnis prozessierender Widersprüche der

vorhergehenden Konjunktur neokapitalistischer Landnahme, d.h. das

Ergebnis einer gigantischen Umverteilung von unten nach oben sowie der Privatisierung der

sozialen Sicherungssysteme und des Sozialstaates (Hypotheken ersetzen den

sozialen Wohnungsbau) . Trickle-down-Effekte dieser Umverteilungspolitik blieben aus;

insofern handelt es sich bei der in der Krise waltenden Kapitalvernichtung vorrangig um

eine Selbstversenkung des Kapitals.

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Zugespitzt ließe sich behaupten, dass es die Krise der gewerkschaftlichen Organisation

war, die die gegenwärtige Krise des Kapitalismus hervorgerufen hat. Ihr ist es nicht gelungen, den Geldhahn, aus dem sich die spekulativen Blasen speisten,

abzudrehen, und es ist ihr nicht gelungen, durch tarif- und strukturpolitische

Interventionen das industrielle Spezialisierungsprofil der bundesdeutschen

Exportökonomie zu transformieren.

These (3)

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These (4)

Dennoch deutet vieles darauf hin, dass die Krise 2008ff eine große Krise ist, weil wirkliche

Krisenüberwindung den radikalen Bruch mit alten Strukturen erfordert. Objektiv besteht

(ähnlich der Krise in den 1930er Jahren) eine »keynes-ähnliche Situation«, die aber keine

»keynesianische Konstellation« hervorbringt, weil auf die aktuelle Krise keine starke

Arbeiterbewegung mehr antwortet, die eine erschütterte Bourgeoisie zu Konzessionen

zwingend könnte.

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»Die Arbeiter der dreißiger Jahre hatten keine Richtlinien, denen sie hätten folgen und die ihnen hätten Schutz gewähren können: Ihre

Kämpfe trotzten den Konventionen des politischen Spiels um Einfluss und Macht und

verschmähten daher auch den Schutz, den diese Konventionen zu bieten haben. Die

Arbeiter zahlten einen hohen Preis für ihren Widerstand: Tausende wurden festgenommen, Hunderte verletzt und viele getötet. Und doch

haben sie auch Erfolge erzielt.« (Fox Piven/Cloward 1986, 198f)

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Kapitalstrategien stellen in der Krise verstärkt Löhne,

Mitbestimmungsrechte und Arbeitsstandards in Frage und

versuchen erneut, die Lasten der Krise unmittelbar den Arbeiterklassen

aufzuhalsen – oder über den bürgerlichen Staat zu sozialisieren. Das

bedeutet: das Kapital und der bürgerliche Staat fallen als Akteure

erfolgreiche Krisenüberwindung aus.

These (5)

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These (6)

Krisenausgänge sind weder eindeutig bestimmbar, noch beliebig kontingent:

ob sich Krisen des Kapitalismus zu »großen Krisen« entfalten, lässt sich

nur ex post (nach dem Ausfechten der Kämpfe) bestimmen; dennoch gibt es in

jeder Krise bestimmte objektive Handlungskorridore, in denen

kapitalistische Krisenüberwindung möglich ist.

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»Was die Situation verschlimmert, ist, dass es sich um eine Krise handelt, bei der

verhindert wird, dass die Elemente der Lösung sich mit der nötigen Geschwindigkeit

entwickeln; wer herrscht, kann die Krise nicht lösen, hat aber die Macht [zu

verhindern], dass andere sie lösen, das heißt hat nur die Macht, die Krise selbst zu

verlängern.« (Gramsci)

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»What is to be done – and who – the hell – will do it?« (David

Harvey)

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These (7)

Die aktuelle Krise bezeichnet keine Krise Marxschen Typs im Sinne von

bereits »im Schoße« der kapitalistischen Gesellschaft

gereiften Bedingungen für einen progressiven Ausweg aus der Krise.

Diese Bedingungen müssen von Gewerkschaften u.a. im Prozess der

Krise erst hergestellt werden.

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Alternativen der Arbeiterbewegung

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Tradition I (Genossenschaften): In den Kooperativfabriken sah Marx den

praktischen »Beweis, dass der Kapitalist als Funktionär der Produktion ebenso

überflüssig geworden [ist], wie der Kapitalist selbst […] den Großgrundbesitzer

überflüssig findet.« (K III, 25/400). Sie bilden »Übergangsformen aus der

kapitalistischen Produktionsweise in die kommunistische« (K III, 25/456).

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»Ihr großes Verdienst besteht darin, praktisch zu zeigen, dass das bestehende despotische und Armut hervorbringende

System der Unterjochung der Arbeit unter das Kapital verdrängt werden kann

durch das demokratische und segensreiche System der Assoziation von

freien und gleichen Produzenten« (Forderungen der IAA, 16/195).

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Tradition II (Rätebewegung): »Die Fabrikräte waren eine erste Form

dieser historischen Erfahrungen der italienischen Arbeiterklasse, die zur

Selbstregierung im Arbeiterstaat strebt« (Gramsci 1980: 51).

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»Die moderne proletarische Klasse führt ihren Kampf nicht nach irgendeinem fertigen, in

einem Buch, in einer Theorie niedergelegten Schema... Das ist ja gerade das

Bewundernswerte, das ist ja gerade das Epochemachende dieses kolossalen Kulturwerks, das in der modernen

Arbeiterbewegung liegt: dass zuerst die gewaltige Masse des arbeitenden Volkes selbst

aus eigenem Bewusstsein, aus eigener Überzeugung und auch aus eigenem

Verständnis sich die Waffen zu ihrer eigenen Befreiung schmiedet« (GW 2: 465).

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Weil der revolutionäre Impuls aus den Betrieben erstickt wurde, »verwandten sie

[die Gewerkschaften] inzwischen ihre ganze Kraft darauf, die Lebensbedingungen des

Proletariats zu verbessern, indem sie höhere Löhne, verkürzte Arbeitzeit und

einen corpus sozialer Gesetzgebung verlangten« (Gramsci 1967: 45 f.).

Gewerkschaften wurden zu unverzichtbaren Bestandteilen fordistischer

Reproduktion.

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In der »Krise des Fordismus« wurden zum einen korporatistische

Krisenregulierungen verstärkt. Gewerkschaften wurden zu »Experten für

sozialverträglichen Beschäftigungsabbau«. Zum anderen

entstanden in den sich als Branchen- und Regionalkrisen manifestierenden Krisenprozessen auch alternative

Konzeptionen: »Rüstungskonversion«, »alternative Produktion«, »qualitatives

Wachstum« usw.

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Strategieprobleme alternativer Produktion

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Bezug vor allem Schiffbaukrise, wo Mitte der 1980er Jahre Arbeitkreise aus

Arbeitern, Angestellten, Vertrauensleuten und Betriebsräten

entstanden, die unterstützt von lokalen Gewerkschaftsgliederungen und Wissenschaftern autonom vom

Management, teilweise gegen der erklärten Widerstand des Managements,

Konzepte der Konversion bestehender Produktionslinien entwickelten.

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Problem 1: Aktivierung der Belegschaften

»Die entscheidende Grundlage für die Führung des Kampfes war aber die

ständige Unterrichtung der Belegschaft und deren intensive Einbeziehung in

Aktionen der vielfältigsten Art.« (Hartmut Schulz, Der Fall Mönninghoff, oder: die schmerzliche Erfahrung eines

fehlgeschlagenen Versuchs zur Überleitung auf eine alternative

Produktionspolitik)

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Problem 2: Gewerkschaftsidentität

»Es ist von der IG Metall vorgeschlagen worden, ohne das

Zutun der Kollegen aus den Betrieben. Weder Betriebsräte noch

Vertrauensleute, noch die alternativen Arbeitskreise sind an dieser »Entwicklungsgesellschaft Werfen« beteiligt gewesen.«(49)

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noch Problem 2

»Eine Entwicklungsgesellschaft, wenn es richtig gemacht wird, ist nur mit der Geschlossenheit

der Werftarbeiter, also der organisierten Werftarbeiterschaft, durchsetzbar, denn

welcher Unternehmer will sich schon gerne von der IG Metall und den Belegschaften

erzählen lassen, wie die Verbesserung der Unternehmensorganisation aussehen soll? Das kann ich nur mit Kampf durchsetzen. Und das kann ich auch nur dann durchsetzen, wenn die Belegschaft dahinter steht. Das kann ich nicht am grünen Verhandlungstisch durchsetzen…«

(51)

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noch Problem 2

»In der zugespitzten Lage der Werftindustrie entstehen Konstellationen, in denen mit den Mitteln der traditionellen Tarifpolitik nichts

mehr zu machen ist. Man hätte also über neue Kampfformen reden müssen. So blieb

während der Zeit der Besetzung immer unklar, ob die IG Metall die Besetzung offiziell unterstützt. Inoffiziell ist die Gewerkschaft auf

den Besetzerzug aufgesprungen und ist uns auf Sekretärsebene und mit ehrenamtlichen

Kollegen behilflich gewesen. Offiziell ist diese Unterstützung allerdings nie geworden.« (73)

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noch Problem 2

„Es gibt nun mal in der deutschen Gewerkschaftsbewegung sehr viel mehr

Rechtssekretäre als Arbeitskampfsekretäre – ein völlig ausgefallener, gewissermaßen unmöglicher

Begriff. Wollte die Gewerkschaft effektiv um Arbeitsplätze kämpfen und nicht nur über

Interessenausgleich, Sozialplan und manchmal auch staatliche Subventionen (mit)verhandeln, so

müsste sie ihren Charakter in der Tat ändern. Das würde nicht nur eine andere Bildungsarbeit,

sondern auch manche Änderungen in der Organisationsstruktur und einen völlig anderen Einsatz der finanziellen Ressourcen bedeuten“

(Wolfgang Däubler 1984, 196)

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Problem 3: Co-Management

Auch in autonomen gewerkschaftlichen Arbeitskreisen

entwickelte Konzeptionen von »alternativer Produktion« sind vor

einer co-managerialen Inkorporation für die Erschließung

neuer »Geschäftsfelder« der Unternehmen nicht gefeit.

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Problem 4: Makroökonomische Flankierung

Betriebliche Strategien »alternativer Produktion« (»wie wollen wir arbeiten«) bleiben unter den

Bedingungen eines wettbewerbskorporatistischen

»Umfeldes« notwendig restringiert. Sie müssen in eine makroökonomische Strategien »qualitativen Wachstums«

o.ä. integriert sein.

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Problem 5: Demokratische Steuerung

In der Schiffbaukrise waren die Entwürfe »alternativer Produktion«

an die Errichtung regionaler Wirtschafts- und Strukturräte

gekoppelt. Die sind jedoch nicht vor »kapitalistischer Landnahme« gefeit

(s.o. und Lehre aus der gewerkschaftliche initiierten regionalen Strukturpolitik).

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Problem 6: wer zahlt?

Ambitionierte Projekte zum Umbau einer regionalen Produktionsstruktur

können sich nicht auf die Förderkulissen der bürgerlichen

Staatsapparate oder Staatsbetriebe verlassen. In Dortmund wurde das

krisenverursachende Unternehmen von der lokalen Arbeiterbewegung zur Co-Finanzierung gezwungen.

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Problem 7: Transnationale Produktion

Die Übernahme von Produktionsstätten durch die

Belegschaften steht unter den Bedingungen transnational integrierter Produktion vor neuen Problemen: Konzepte »alternativer Produktion«

erfordern ein stärkeres maß an transnationaler Koordination.

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Problem 8: Kapitalistisches Eigentum

»Vor die Demokratie im Betrieb hat das bürgerliche Recht das Eigentum, das Arbeitsrecht die Kündigung gesetzt. Demokratisierung der betrieblichen

Sphäre setzt daher ... Konfliktualität im Sinne erhöhter Konflikt- und

Risikobereitschaft einerseits, erhöhter institutionell und rechtlich gesicherter Konfliktfähigkeit andererseits voraus.«

(Thomas Blanke)

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»Nun trifft sie [die Gewerkschaften, B.R.] die Krise in einer Phase, in der es zuletzt Anzeichen einer Revitalisierung und

erneuten Stärkung ihrer Organisations- und Verhandlungsmacht gab. Aber damit dürfte es vorerst vorbei sein. Die Wucht,

mit der die Rezession Arbeitsplätze, Einkommen und Arbeitsstandards in Frage stellt, droht gewerkschaftliche Ressourcen

erneut vor allem in Abwehrkämpfen zu binden« . Hans-Jürgen Urban (2009/72)

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»Vergiss nicht: dies sind die Jahre/ wo es gilt, die Niederlagen zu

erfechten« (Brecht) . – Krisenzeiten sind zugleich die der

Abwehrkämpfe: progressive Kräfte »können nur versuchen, das zu

gewinnen, was gewonnen werden kann; zu dem Zeitpunkt, wenn es

gewonnen werden kann« (Fox Piven/Cloward 1986 61).

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»Es gibt jedoch vor allem ein Feld, auf dem […] Bewusstseinsformen fast über Nacht verändert

werden können, und das ist der aktive politische Kampf. Dies ist nicht die fromme Hoffnung der

Linken, sondern eine empirische Tatsache. Wenn sich Menschen, die in bescheidenen,

lokalen Formen politischen Widerstands engagiert sind, sich durch die Eigendynamik

dieser Konflikte direkt mit der Macht des Staates konfrontiert sehen, dann kann es

geschehen, dass sich ihr politisches Bewusstsein definitiv und irreversibel verändert…« (Terry

Eagleton 2000, 256)

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»Wenn es Ungleichheit gibt, aber keine Kultur,

gedeiht der Kommunismus nicht,

doch wenn es Ungleichheit und Kultur

gibt, lebt der Kommunismus wieder

auf…«Manuel Vázquez Montalbán, Requiem für einen Genießer