Raytracing im Einsatz für die Medizin - breault.com · (Condylomata acuminata) dar. Hierbei soll...

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BERNHARD MICHEL TOBIAS J. BECK D ie Strahlverfolgung (Raytracing) ist das Standardverfahren zur Simula- tion optischer Systeme und dient seit vielen Jahrzehnten für das Design von Abbildungssystemen. Besonders für die radiometrische Analyse setzt man so ge- nannte nichtsequenzielle Raytracer ein. In diesen wird die Reihenfolge der Ob- jekte, auf die ein Strahl trifft, nicht fest vorgegeben, sondern während der Strahl- ausbreitung berechnet. Wegen des relativ großen Rechenaufwands konnten sich nichtsequenzielle Raytracer erst mit dem Aufkommen leistungsfähiger Computer durchsetzen. Inzwischen haben sie aber praktisch alle Industriezweige erobert, in denen Licht kreativ eingesetzt wird. Soft- wareprodukte wie das ›Advanced System Analysis Program‹, Asap, der Breault Re- search Organization (BRO) führen zudem wellenoptische Simulationen durch und kön- nen mit anderen Programmen gekoppelt werden, sodass praktisch alle Phänomene der klassischen Optik innerhalb ei- ner einheitlichen Benutzer- oberfläche modelliert werden können. Gewebeoptik simulieren Die Simulation von Licht streu- enden Medien, besonders von biologischem Gewebe, ist ein Kerngebiet der Biophotonik. Bei der Lichtausbreitung in biologischem Gewebe dominieren Absorp- tion und Vielfachstreuung, wobei sowohl elastische als auch inelastische Prozesse eine Rolle spielen. Benachbarte Streuzen- tren im Gewebe (Zellen als Ganzes, Zell- wände, Organellen) haben meist nur einen geringen Abstand voneinander, sodass sie sich im gegenseitigen Nahfeld befinden und kohärent wechselwirken. Die Ab-in- itio-Berechnung der Streueigenschaften ist schwierig. Deswegen wird in der Praxis meist auf phänomenologische Modelle zu- rückgegriffen. Die dazu nötigen experi- mentellen Gewebeparameter findet man in der Literatur [1] und in Datenbanken. Weil die Daten mit verschiedenartigen Präparations-, Mess- und Auswerteverfah- ren gewonnen werden, sind sie oft nicht miteinander vergleichbar und mit großen Messfehlern behaftet. Kritisch ist auch die Reproduzierbarkeit von Messergebnissen, die wegen der hohen Variabilität von Gewebeproben oft nicht gegeben ist. Manchmal bieten ›Gewebephantome‹ ei- nen Ausweg: Dies sind künstliche, gut cha- rakterisierte Materialien, deren Streuei- genschaften natürlichem Gewebe ähneln. Insgesamt kann man sagen, dass immer eine gründliche und kritische Bewertung der verwendeten Gewebedaten erfolgen sollte, bevor mit der Optiksimulation be- gonnen wird. Monte-Carlo-Raytracing Die theoretische Grundlage für die Licht- ausbreitung in streuenden Medien bildet die Strahlungstransportgleichung [2]: Optik-Design SPEZIAL: BIOPHOTONIK Laser+Photonik 5 | 2005 38 Raytracing im Einsatz für die Medizin SIMULATION LICHT STREUENDER MATERIALIEN MIT ASAP Eine Raytracing-Software simuliert die Lichtausbrei- tung in biologischem Gewebe und anderen streuenden Materialien. Sie hilft bei der Optikent- wicklung biomedizinischer Geräte. 1 Prinzip des Monte-Carlo-Strahlungstransports Monte-Carlo-Raytracing dI r ds Ir sca abs , , ω µ µ ω ( ) =− + ( ) ( ) + p sca , ' µ π ωω + ( ) 4 4π ω ω ( ) Ir d , ' '

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BERNHARD MICHELTOBIAS J. BECK

Die Strahlverfolgung (Raytracing) istdas Standardverfahren zur Simula-tion optischer Systeme und dient

seit vielen Jahrzehnten für das Design vonAbbildungssystemen. Besonders für dieradiometrische Analyse setzt man so ge-nannte nichtsequenzielle Raytracer ein.In diesen wird die Reihenfolge der Ob-jekte, auf die ein Strahl trifft, nicht festvorgegeben, sondern während der Strahl-ausbreitung berechnet. Wegen des relativgroßen Rechenaufwands konnten sichnichtsequenzielle Raytracer erst mit demAufkommen leistungsfähiger Computerdurchsetzen. Inzwischen haben sie aberpraktisch alle Industriezweige erobert, indenen Licht kreativ eingesetzt wird. Soft-wareprodukte wie das ›Advanced SystemAnalysis Program‹, Asap, der Breault Re-search Organization (BRO)führen zudem wellenoptischeSimulationen durch und kön-nen mit anderen Programmengekoppelt werden, sodasspraktisch alle Phänomene derklassischen Optik innerhalb ei-ner einheitlichen Benutzer-oberfläche modelliert werdenkönnen.

Gewebeoptik

simulieren

Die Simulation von Licht streu-enden Medien, besonders vonbiologischem Gewebe, ist einKerngebiet der Biophotonik.Bei der Lichtausbreitung in

biologischem Gewebe dominieren Absorp-tion und Vielfachstreuung, wobei sowohlelastische als auch inelastische Prozesseeine Rolle spielen. Benachbarte Streuzen-tren im Gewebe (Zellen als Ganzes, Zell-wände, Organellen) haben meist nur einengeringen Abstand voneinander, sodass siesich im gegenseitigen Nahfeld befindenund kohärent wechselwirken. Die Ab-in-itio-Berechnung der Streueigenschaftenist schwierig. Deswegen wird in der Praxismeist auf phänomenologische Modelle zu-

rückgegriffen. Die dazu nötigen experi-mentellen Gewebeparameter findet man inder Literatur [1] und in Datenbanken.

Weil die Daten mit verschiedenartigenPräparations-, Mess- und Auswerteverfah-ren gewonnen werden, sind sie oft nichtmiteinander vergleichbar und mit großenMessfehlern behaftet. Kritisch ist auch dieReproduzierbarkeit von Messergebnissen,die wegen der hohen Variabilität vonGewebeproben oft nicht gegeben ist.Manchmal bieten ›Gewebephantome‹ ei-nen Ausweg: Dies sind künstliche, gut cha-rakterisierte Materialien, deren Streuei-genschaften natürlichem Gewebe ähneln.

Insgesamt kann man sagen, dass immereine gründliche und kritische Bewertungder verwendeten Gewebedaten erfolgensollte, bevor mit der Optiksimulation be-gonnen wird.

Monte-Carlo-Raytracing

Die theoretische Grundlage für die Licht-ausbreitung in streuenden Medien bildetdie Strahlungstransportgleichung [2]:

Optik-DesignSPEZIAL: B IOPHOTONIK

Laser+Photonik 5 | 200538

Raytracingim Einsatz für die MedizinSIMULATION LICHT STREUENDER

MATERIALIEN MIT ASAP

Eine Raytracing-Software simuliert die Lichtausbrei-

tung in biologischem Gewebe und anderen

streuenden Materialien. Sie hilft bei der Optikent-

wicklung biomedizinischer Geräte.

1 Prinzip des Monte-Carlo-Strahlungstransports

Monte-Carlo-Raytracing

dI rds

I rsca abs

,,

ω µ µ ω( )

= − +( ) ( ) +

psca , 'µ

πω ω+ ( )

4 4ππ

ω ω∫ ( )I r d, ' '

Dabei bedeutet I die Strahlstärke desLichts am Ort r in Richtung des Raumwin-kels ω und dI/ds die Richtungsableitung;µabs ist der Absorptionskoeffizient, µsca

der Streukoeffizient und p(ω,ω’) die Pha-senfunktion, welche die Winkelverteilungdes Streulichts angibt. Für eine ausführli-che Diskussion verweisen die Autoren aufdie Literatur [2].

Ein Standardverfahren zur numerischenLösung der Strahlungstransport-Gleichung ist das Monte-Carlo-Raytracing. Der Strah-

lengang im streuenden Medium wird dabeidurch eine abwechselnde Folge von gerad-liniger Ausbreitung und Streuung be-schrieben, die so lange fortgesetzt wird,bis der Strahl das Medium verlässt (Bild 1)oder ein anderes Abbruchkriterium erfülltwird. Bei der Streuung ändert sich dieRichtung und – bei absorbierenden Me-dien – auch der Strahlfluss. Einschränkun-gen in der Anwendbarkeit des Monte-Carlo-Raytracings ergeben sich lediglichbei optisch dicken Medien, wo die Me-thode wegen der zu langen Rechenzeitenunpraktikabel wird.

Die Optiksoftware Asap implementiertdas Monte-Carlo-Raytracing und ist somitgeeignet für die Simulation Licht streuen-der Medien. Die Eingabegrößen für dieStrahlungstransportgleichung – µabs, µsca

und p(ω,ω’) – können im Rahmen der Mie-Theorie berechnet werden. Alternativ ste-hen das in der Biophotonik populäre Hen-yey-Greenstein-Modell oder beliebige be-nutzerdefinierte Modelle zur Verfügung.Auch inelastische Streuung, zum BeispielFluoreszenz oder Ramanstreuung, kann inAsap modelliert werden. Die Breault Re-

search Organization bietet ein speziellesAnwenderseminar ›Volume Scattering andBiomedical Optics‹ an, in dem diese Mög-lichkeiten detailliert vorgestellt und dis-kutiert werden.

Die Vorteile

kommerzieller Software

Ein wesentlicher Vorzug kommerziellerRaytracer sind die umfangreichen einge-bauten Analysemöglichkeiten. Wir ver-deutlichen dies am Beispiel eines Gewe-bephantoms in einer Küvette, die mit ei-nem Laserstrahl beleuchtet wird (Bild 2).Die Simulation wurde mit Asap vorgenom-men, und es wurden die folgenden Größenbestimmt: n die Strahldichteverteilung als fotorealis-

tisches Bild (›Lit Appearance Model‹),n die Bestrahlungsstärkeverteilung auf ei-

nem Detektor,n die Verteilung der absorbierten Leis-

tung im Volumen,n das Flugzeitspektrum (›Time-of-Flight

Spectrum‹) des transmittierten Lichts.Grundsätzlich können alle radiometri-schen (und fotometrischen) Größen

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2 Modell eines Gewebephantoms mit Tumor(gelb dargestellt) in einer Küvette: a) Strahldichtebild; b) Asap-Modell mit Strahlengang, auf der Detektorfläche ist dieBestrahlungsstärkeverteilung zu sehen; c) Lichtfluss im Volumen

2 d) Flugzeit-spektrum derStrahlen (Zeit in Pikose-kunden)

Flugzeitspektrum eines Gewebephantom-Modells

a b c

© Laser+Photonik

3 Detailliertes Hautmodell mit Haaren: oben: Strahldichtebild; unten: Asap-Modell

auf allen definier-ten Flächen und, so-weit sinnvoll, auch imVolumen berechnet wer-den. Mit der Skriptspra-che von Asap lassensich auch benutzerdefi-nierte Verteilungsfunk-tionen, wie im obigenBeispiel das Flugzeit-spektrum, aus den Strah-lendaten bestimmen.

NichtsequenzielleRaytracer wurden ur-sprünglich für die Simu-lation komplizierter op-to-mechanischer Sys-teme entwickelt. IhreStärke bei der Modellie-rung komplexer Geome-trien ist aber auch inder Bio-Optik vorteil-haft. Bild 3 zeigt eindetailliertes Modell zurBerechnung des Ab-sorptions-/Reflexions-verhaltens menschli-cher Haut mit Haaren. Die Berücksichti-gung von Blutgefäßen im Modell istbereits geplant.

Licht streuende Medien sind meist nurein Teil eines optischen Gesamtsystems,das simuliert werden soll. Ein erheblicherNutzen kommerzieller Raytracer ergibtsich dabei durch ihre Kompatibilität mitanderer Software. So können fertige Licht-

quellenmodelle aus Daten-banken, optische Bauteileaus Linsendesignprogram-men und die mechani-schen Komponenten ausCAD-Programmen impor-tiert werden. Wegen derMöglichkeit, ein Gesamt-system zu modellieren,werden Raytracer in der Biophotonik zu-nehmend für virtuelles Prototyping einge-setzt. Das heißt, die Geräteentwicklungfindet soweit wie möglich im Computerstatt. Ein ›echter‹ Prototyp wird erst ge-fertigt, nachdem das Gerätedesign schonim Detail festgelegt wurde. Im Idealfallsind dann nur noch Feinanpassungen desOptikdesigns nötig. Virtual Prototypingspart Entwicklungszeit und -kosten undsetzt sich daher immer mehr durch. n

Fazit: Biophotonik als

Gesamtsystem simulieren

Nichtsequenzielle Raytracer wie Asapsind für das virtuelle Prototyping in derBiophotonik geeignet. Sie können so-wohl biologische Materialien als auchderen technisches Umfeld – von derLichtquelle bis zum Detektor – zuver-lässig und genau simulieren.

AUTORENDr. BERNHARD MICHEL leitet ein Ingenieurbüro für

Optikdesign und vertritt die Breault Research Organiza-

tion in Mitteleuropa.

TOBIAS J. BECK ist Geschäftsführer bei Curalux in

München.

Die Autoren danken Paul Holcomb, Breault Research Or-

ganization, der das Hautmodell zur Verfügung gestellt

hat, sowie Corinna Spirres, Ludwig-Maximilians-Univer-

sität München, für die Durchführung der Simulations-

rechnungen für den Lichtapplikator.

LITERATUR1 ›Biomedical Photonics Handbook‹; Tuan Vo-Dinh

Editors, CRC Press, New York 2003

2 Akira Ishimaru: ›Wave Propagation and Scattering in

Random Media‹; Oxford University Press, 1997

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K O N TA K T

Ing.-Büro Dr. Bernhard Michel –Wissenschaftliche Beratung,91126 Rednitzhembach,Tel. 0 91 22 /8 75 09 14,Fax 0 91 22 /8 75 09 15,www.lightscattering.de

Curalux GbR,81377 München,Tel. 0 89 /70 95 48 84,Fax 0 89 /70 95 48 64,www.curalux.de

Breault Research Organization, Inc.,Tucson, USA-Arizona 85715,Tel. 0 01 /5 20 /7 21 -05 00,Fax 0 01 /5 20 /7 21 -96 30,www.breault.com

4 Prototyp eines Lichtapplikators mit Streukappeund Streuzylinder (siehe Kasten Seite 41)

5 Asap-Simulation des Lichtapplikators aus Bild 4

Optik-Design SPEZIAL: B IOPHOTONIK

5 | 2005 Laser+Photonik 41

Die Entwicklung eines Lichtapplikators für die FotodynamischeTherapie ist ein Beispiel dafür, wie die Verwendung einer Ray-tracing-Software den Entwicklungsprozess von Medizinpro-dukten unterstützen und beschleunigen kann. Die Fotodyna-mische Therapie (PDT) ist ein Verfahren zurBehandlung von Tumoren und anderen Ge-webeneubildungen mit Licht in Kombina-tion mit einem so genannten Fotosensibi-lisator.

Dem Patienten wird dabei ein solcherSensibilisator verabreicht, der sich selektivim zu behandelnden Gewebe anreichert.Anschließend wird der Tumor und das ihnumgebende gesunde Gewebe mit Licht ge-eigneter Wellenlänge bestrahlt. Dabei er-zeugen fotochemische Prozesse toxischeSubstanzen, die aufgrund der Gewebese-lektivität des Sensibilisators gezielt dasTumorgewebe schädigen, das therapiertwerden soll. Eine viel versprechende Me-thode stellt die PDT auch bei der Behand-lung von gutartigen Feigwarzen am Penis(Condylomata acuminata) dar. Hierbei solldie Bestrahlung mit Licht sowohl in derHarnröhre als auch auf der äußeren Penis-oberfläche erfolgen. Der dazu verwendeteLichtapplikator soll folgende Anforderungen erfüllen: Die ap-plizierte Bestrahlungsstärke soll an allen bestrahlten Oberflä-chen gleich groß sein, und es soll insgesamt eine gute Effi-zienz erreicht werden.

Die komplexe Geometrie mit vielen Freiheitsgraden würdeeine rein experimentelle Entwicklung sehr aufwändig machen.Mit Asap konnten in der Entwicklungsphase viele verschiedeneAusführungen in kurzer Zeit simuliert und ausgewertet wer-den.

Eine dieser möglichenAusführungen zeigt Bild 4.Ein Lichtleiterbündel kop-pelt das Licht in den Appli-kator ein. Ein Teil des Lichtswird in die Streukappe aus-gekoppelt und dient zur Be-strahlung der Penisoberflä-che. Der andere Teil desLichts wird in den hervorste-henden Zylinderdiffusor ge-leitet. Dieser wird in derHarnröhre platziert und ver-sorgt diese mit Licht. EinAsap-Modell des Lichtappli-kators ist in Bild 5 zu sehen.Sowohl die Geometrie alsauch die optischen Eigen-

schaften des Modells können in Asap parametrisiert werden.Leistungsstarke Algorithmen stehen zur Verfügung, um die Pa-rameter systematisch zu optimieren. Wir erläutern dies amBeispiel des Zylinderdiffusors: Durch Dotierung mit einem

Streumedium wird eine diffuse Lichtauskopplung erreicht, de-ren Charakteristik durch die Konzentration des Streumediumsbestimmt wird. Bild 6 zeigt den typischen Strahlengang in ei-ner solchen Simulation. In Bild 7 sind mehrere Abstrahlkur-ven in Abhängigkeit von der Konzentration des Streumediumszu sehen. Die Konzentration wurde so lange variiert, bis einegleichmäßige Bestrahlungsstärke erzielt wurde. Mit der glei-chen Vorgehensweise wurde auch das Abstrahlverhalten deranderen Applikatorkomponenten optimiert.

Anwendungsbeispiel

6 Strahlengang im Zylinderdiffusor

Abstrahlverhalten

© Laser+Photonik

Lichtapplikator für die Fotodynamische Therapie

7 Abstrahlkurvendes Zylinderdiffu-sors in Abhängigkeitvon der Streukon-zentration