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ZEITSCHRIFT DER SAVIGNY-STIFTUNG FÜR RECHTSGESCHICHTE HERAUSGEGEBEN VON R. KNUTEL, G. THUR, G. KÖBLER, P. OESTMANN, J. RÜCKERT, H. -J. BECKER, H. DE WALL, A. THIER 125. BAND GERMANISTISCHE ABTEILUNG 2008 BÖHLAU VERLAG WIEN-KÖLN-WEIMAR ý'(1 /. '< I?

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ZEITSCHRIFT DER SAVIGNY-STIFTUNG

FÜR

RECHTSGESCHICHTE HERAUSGEGEBEN VON

R. KNUTEL, G. THUR, G. KÖBLER, P. OESTMANN, J. RÜCKERT,

H. -J. BECKER, H. DE WALL, A. THIER

125. BAND

GERMANISTISCHE ABTEILUNG

2008

BÖHLAU VERLAG WIEN-KÖLN-WEIMAR

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J. Strothmann, Das Königtum Pippins 411

Das Königtum Pippins als Königtum der Familie und die Bedeutung der Clausula de unctione Pippini*)

Fragen nach der Qualität frühmittelalterlichen Königtums und mit ihm im Beson- deren nach der Königserhebung Pippins sind hochaktuell, geht es mit ihnen doch mit- telbar um die Begründung und Herleitung mittelalterlicher Herrschaft und der ihnen zugrundeliegenden Konzepte').

Die Erhebung Pippins zum König der Franken allein hätte wohl kaum genügt, das Königtum in seiner Familie zu sichern. Es wäre möglicherweise nicht zu den Mero- wingern zurückgekehrt, hätte aber kaum ausreichend einigende Funktion besessen, die ja gerade das Königtum der Karolinger auszeichnete, das auch bei Herrscherwechseln verhältnismäßig sicher war. Nun ist unbestritten, daß mit der Erhebung Pippins ein Dynastiewechsel verbunden war. Aber nicht nur die Familien wurden ausgewechselt, die neue Dynastie erhielt eine weitergehende Sanktion. Es wurde ein Instrument ge- funden, mit dem die Konkurrenz innerhalb der einen Herrscherfamilie und daraus entstehende Parteiungen im Reich minimiert werden konnten.

Illegitime Nachfahren Pippins waren im Regnum Francorum grundsätzlich nicht nachfolgefähigz). Das wird gemeinhin mit einem ius paternum erklärt, das dem Herr- scher als Vater die Entscheidung über die Nachfolge zubilligte'). So stellen es die Quellen zwar dar, aber gerade die Konflikte zwischen Nachkommen und zuneh- mende Erhebungen gegen den Vater deuten etwas anderes an. Sie zeigen, daß die Großen vor allem seit der Zeit Ludwigs des Frommen sich der Söhne bedienten und die väterliche Gewalt in Zeiten der Krise nicht ausreichte, das zu verhindern.

') Sehr dankbar, auch für das Gespräch über die hier behandelten Fragen, bin ich Herrn Prof. Dr. Jörg Jarnut. Ihm sei der Text zugeeignet.

1) Es ist das Wegbrechen des Antagonismus von römisch und �germanisch", das

zu einem Teil für dieses starke Interesse an diesen Fragen verantwortlich zu machen ist. S. dazu Akkulturation, Probleme einer germanisch-romanischen Kultursynthese in Spätantike und frühem Mittelalter, hg. v. Jörg Jarnut, Dieter Hägermann und Wolfgang Haubrichs, Berlin 2004 (RGA, Ergänzungsband 41) und Leges - Gentes - Regna, Zur Rolle von germanischen Rechtsgewohnheiten und lateini- scher Schrifttradition bei der Ausbildung der frühmittelalterlichen Rechtskultur, he. v. Gerhard Dilcher und Eva-Marie Distler, Berlin 2006, mit mehreren Bei- trägen, die aus rechtshistorischer Perspektive an der Dichotomie der Rechtskulturen festhalten. Zur Monarchie und ihrer sakralen Qualität s. exemplarisch Joachim Eh- lers, Grundlagen der europäischen Monarchie in Spätantike und Mittelalter, in: Ma- jestas 8/9 (2000/2001), 49-80; Das frühmittelalterliche Königtum, Ideelle und reli- giöse Grundlagen, hg. v. Franz-Reiner Erkens, Berlin 2005, und speziell zum Königtum der Karolinger Der Dynastiewechsel von 751, Vorgeschichte, Legitimati- onsstrategien und Erinnerung, hg. v. Matthias Becher und Jörg Jarnut, Mün- ster 2004.

Z) Die Feststellung von Brigitte Kasten, Chancen und Schicksale �uneheli- cher" Karolinger im 9. Jahrhundert, in: Kaiser Arnolf, Das ostfränkische Reich am Ende des 9. Jahrhunderts, hg. v. Franz Fuchs undPeter Schmid, München 2002, 38, daß die Aussichten unehelicher Karolinger im 9. Jahrhundert so schlecht gar nicht gewesen seien, beruht im wesentlichen auf den Erfolgen der späten unehelichen Ka- rolinger. Die Frage ist auch, ob es herrschaftsfähige eheliche Konkurrenten gab.

3) Brigitte Kasten, Königssöhne und Königsherrschaft, Untersuchungen zur Teilhabe am Reich in der Merowinger- und Karolingerzeit, Hannover 1997,132 u. ö.

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Auch ist das nicht einfach eine Frage der Macht der Kirchen, auf deren Vorstellun-

gen die Auffassung von Legitimität bei den Karolingem später beruhte. Selbst eine

�verfassungsartige" Erklärung eines karolingischen Herrschers hätte das nicht leisten

können. Es läßt sich aus dem Komplex der Königserhebung Pippins ersehen, daß nach der

ersten Erhebung von 751 bereits 754 mit großer Umsicht an der Befestigung der Dy- nastie gearbeitet wurde. Ein wesentlicher Punkt dabei war die Erhebung von Vater und Söhnen gemeinsam zu Königen und ihre Einbindung in römisch-kirchliche Herr- schaftsvorstellungen, u. a. durch die Verleihung des Patriziats. Mit der kirchlichen Sanktion der Salbung der drei und mit der Einbindung der Königin, deren legitime Söhne damit zur Nachfolge designiert wurden, wurde die entscheidende Basis für den Erhalt der Herrschaft in dieser Familie geschaffen. Das allein hätte vielleicht noch nicht ausgereicht, die Nachfolge unehelicher Nachkommen auszuschließen. Hinzu kommt die Clausula de unctione Pippini, die über die tatsächlichen Geschehnisse ge- wissermaßen als �karolingische Hausordnung" das theoretische Konzept ausbreitet.

Werner Affeldts grundlegende Untersuchung zur Königserhebung Pippins erleich- tert den Umgang mit dem Problem erheblich, da er die Forschung zur Sache und zu den Quellen einer umfassenden konstruktiven Kritik unterzog, die es erlaubt, weiter- gehende Fragen zu stellen, ohne das Problem grundsätzlich neu behandeln zu müs- sen"). Durch die Neubewertung der Clausula de unctione Pippini wird es erleichtert, ihre Angaben für das Verständnis des karolingischen Königtums heranzuziehen). Matthias Becher war im wesentlichen dadurch in der Lage, die Rolle Drogos, des äl-

^) Werner Affeldt, Untersuchungen zur Königserhebung Pippins, Das Papst- tum und die Begründung des karolingischen Königtums im Jahre 751, in: Frühmittel- alterliche Studien 14 (1980), 95-187 behandelt zwar im Kern nur die Erhebung von 751, seine Behandlung der Quellen wie der politischen Umstände betrifft aber auch den Akt von 754.

5) Alain J. Stoclet, La �Clausula de unctione Pippini regis": mises au point et nouvelles hypotheses, in: Francia 8 (1980), 1-42 mit Edition und ders., La Clausu- la de unctione Pippini regis, vingt ans apres, in: Revue Belge de philologie et d'his- toire 78 (2000), 719-771 favorisiert eine Entstehung im 10. Jahrhundert. Seine Ar- gumente sind jedoch vor allem philologischer Art. Seme Auffassung von der Entste- hung findet kaum Zustimmung, da erden historischen Kontext vernachlässigt; vgl. J. Fleckenstein, Clausula de unctione Pippini, in: Lexikon des Mittelalters 11 (1983), 2134f., der an der Datierung auf 767 festhält. Zweifel an der Datierung auf 767 hat Odilo Engels, Zum päpstlich-fränkischen Bündnis im B. Jahrhundert, in: Ecclesia et Regnum, Beiträge zur Geschichte von Kirche, Recht und Staat im Mittelalter, Fest- schrift Franz-Josef Schmale, hg. v. Dieter Berg und Hans-Werner Goetz, Bo- chum 1989,21-59,32f. �Echtheit" ist für die Clausula ein unangemessener Begriff, da nicht ohne weiteres klar ist, worauf sich die Echtheit beziehen sollte, auf die Da- tierung, den Inhalt oder die Verfertigung als offiziöses Dokument. Daher schätzt auch Engels den Wert der Clausula als Quelle für die Salbung Pippins und seiner Söhne als hoch ein. Vgl. auch die Diskussion ihres Quellenwertes bei Rosamond McKitte- ri ck, The Illusion of Royal Power in the Carolingian Annals, in: The English Histo- rical Review 140 (2000), 1-20,7f., die in jedem Fall die Bezeichnung der Clausu- la als Fälschun& ablehnt. Josef Semmler: Der Dynastiewechsel von 751 und die fränkische Königssalbung, Düsseldorf 2003,49 sieht ebenfalls den Kern der Clau- sula, nämlich die Sanktion der neuen Dynastie als authentisch an. Vgl. die in diese Richtung gehenden Vermutungen von Olaf Schneider, Die Königserhebung Pip- pins 751 in der Erinnerung der karolingischen Quellen, in: Dynastiewechsel (o. Anm. 1), 243-275,268-275.

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testen Sohnes Karlmanns zu klären'). Während Becher die Clausula als authentische Quelle für 754 auffaßt, soll im folgenden nicht davon ausgegangen werden, daß die Strafbestimmung gegen eine Königserhebung weiterer Familienmitglieder am Ende der Clausula im Jahr 754 von Papst Stephan bereits in dieser Form ausgesprochen wurde, wenngleich das keinesfalls auszuschließen ist.

Nun hat Josef Semmler gegen die Annahme einer Königssalbung bei der Erhebung von 751 Einwände erhoben'). Semmler bestreitet nicht die Erhebung von 751 im Gan-

zen, sondern die Salbung als Teil des Aktes von 751. Seine Argumente sind beden- kenswert, weil hinter ihnen die Bereitschaft steht, zwischen der Erhebung selbst und ihrer kirchlichen Sanktion zu unterscheiden. In einer Bestandsaufnahme der Quellen-

angaben zur Erhebung stellt Semmler fest, daß die Continuationes Fredegarii als dem Ereignis nächste Quellen von einer Salbung bei der eigentlichen Königserhebung von 751 nichts berichten'). Aus der allgemeinen Abhängigkeit weiterer chronikalischer Quellen von den Berichten Childebrands und Niebelungs, den Fortsetzern Fredegars,

schließt Semmler, daß wesentliche Zutaten späterer offiziöser Quellen mit einem gro- ßen Fragzeichen zu versehen seien. Zu diesen Erweiterungen gehören auch die ver- schiedenen Berichte über eine Salbung von 751.

Semmler argumentiert mit derA-priori-Annahme, daß sachlich zutreffende Informa- tionen späterer Quellen nur auf schriftlichem \Vege dorthin gelangt sein könnten. Er

weist auf den zeitlichen Abstand zum Ereignis von bis zu 50 Jahren hin'). Nun handelt

es sich um ein zentrales, wenn nicht sogar das zentrale Ereignis des Jahrhunderts aus der Sicht der Franken am Ende des B. Jahrhunderts. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß die tatsächlichen wesentlichen Bestandteile der Erhebung Pippins nicht in der Erin-

nerung der beteiligten Kreise erhalten geblieben und in den Familien tradiert worden sein sollten10). Außer Betracht läßt Semmler die Möglichkeit, daß gerade Fredegars Fortsetzer bewußt Informationen zurückhalten, die erst zu späterer Zeit der Familie der Karolinger gut anstanden und also nun mitgeteilt werden durften.

Semmler gelingt es zu zeigen, daß die Anfrage Pippins bei Papst Zacharias zwar authentisch ist, nicht aber um eine päpstliche Erlaubnis zur Königserhebung nach-

6) Matthias Becher, Drogo und die Königserhebung Pippins, in: Frühmittelal- terliche Studien 23 (1989), 131-153,140.

7) Josef Semmler, ZeitgeschichtsschreibungundHofhistoriographieunterden frühen Karolingern, in: Von Fakten und Fiktionen, Mittelalterliche Geschichtsdarstel- lungen und ihre kritischeAufarbeitung, hg. v. Johannes Laudage, Köln 2003 (Eu- ropäische Geschichtsdarstellungen 1), 135-164 und als Monographie mit Erweite- rungen ders. (o. Anm. 5). Vgl. dazu Rudolf Schieffer, �Die

folgenschwerste Tat des ganzen Mittelalters"? Aspekte des wissenschaftlichen Urteils über den Dynastie- wechsel von 751, in: Dynastiewechsel (o. Anm. 1), 1-13,1 l f.

11) Immerhin gebrauchen sie den Begriff consecratio; zur Bedeutung des Begrif- fes in der Vulgata als �Heiligmachung", die eine Überleitung in die Sphäre des Hei- ligen bedeutete und die Hauptsalbung durchaus mit einschließen konnte, s. Arnold Angenendt, Pippins Königserhebung und Salbung, in: Dynastiewechsel (o. Anm. 1), 179-209,190. S. auch den Einwand von Franz-Reiner Erkens, Auf der Su- che nach den Anfängen: Neue Überlegungen zu den Ursprüngen der fränkischen Kö- nigssalbung, in: ZRG Kan. Abt. 90 (2004), 494-509,504.

9) Semmler (o. Anm. 7), 144. 10) Auch Erkens (o. Anm. 8), 505 sieht in dem zeitlichen Abstand des Berichts

vom Ereignis keinen zwingenden Grund, die Angaben des Berichts für nichtig zu er- klären.

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suchte, sondern - was päpstliche Zustimmung voraussetzt - die Lösung der Franken

von ihrem Herrschereid erbat. Über die Möglichkeit einer Salbung durch Bonifatius geht Semmler schnell hinweg und legt dann mit guten Argumenten dar, daß eine Sal- bung durch irgendwelche Bischöfe ihn nicht überzeugt. Sein Lösungsansatz für die Ungereimtheiten der Berichte über das Ereignis bedenkt nicht eine mögliche Salbung oder auch nur rituelle Erhebung durch Bonifatius.

In der Salbung der Könige erkennt er mit Arnold Angenendt eine �postbaptismale Taufsalbung", die erst Papst Stephan 754 ins Frankenreich gebracht habe. Bis dahin hätten die Franken einen solchen Erhebungsritus nicht gekannt. Dem hat inzwischen Arnold Angenendt mit guten Argumenten widersprochen und seinerseits differenziert, indem er zwar das Ritual der Taufsalbung entlehnt sieht, nicht jedoch die Herrschersal- bung als solche, für die es mit David und Salomo bedeutende Vorbilder gebe' 1). Gegen eine Salbung durch Bonifatius reicht Semmlers Argument denn auch nicht aus12). Die folgenden Ausführungen werden vor allem unter Berücksichtigung und Bewertung der von Semmler vernachlässigten Clausula de unctione Pippini weniger spektakuläre Antworten auf die von Semmler aufgeworfenen Fragen geben:

1. Welchen Wert haben die Nachrichten von der Erhebung von 751? 2. Worin bestand der Auftrag an Papst Zacharias? 3. Welche Aufgabe kommt der päpstlichen Sanktion des Königtums der Karolinger

zu, und wie steht sie zum eigentlichen Erhebungsakt?

Das päpstliche Responsum und die Salbung durch Bonifatius: Im Jahr 751 wurde der Hausmeier der Merowinger, Pippin der Jüngere, zum König

erhoben13). Mehrere Annalen kennen allein diese Tatsache und bezeichnen die Erhe- bung mit dem Wort �elevates", �erhoben"'"). Als Form der Elevatio nennen wenige der Quellen mit einfacher Erwähnung der Königserhebung die Salbung15). Ähnlich ist auch einmal von �benedictio" die Rede16). Mehrere der ausführlicheren Quellen

11) Angenendt (o. Anm. 8), 179-209,192f., dort auch zu liturgischen Vorbildern im Frankenreich selbst. Vgl. mit guten Argumenten gegen die postbaptismale Tauf- salbung Hans-Hubert Anton, Sakralkönigtum §18 �Franken", in: Reallexikon für Germanische Altertumskunde 26 (2004), S. 258-266,262f.; ebenda auch zu den Kö- nigen des Alten Bundes als Vorbilder für die Königssalbung. - S. zur Diskussion über die Herkunft der Salbung Pippins Michael J. Enright, Iona, Tara and Sois- sons, The Origin of the Royal Anointing Ritual, Berlin 1985; kritisch dazu Michael Richter, Die frühmittelalterliche Herrschersalbung und die Collectio Canonum Hi- bernensis, in: Dynastiewechsel (o. Anm. 1), 211-219. Für �nicht völlig eindeutig be- antwortbar" hält Erkens (o. Anm. 8), 507 die Frage nach der Herkunft der Salbung.

12) Dahin geht auch die Argumentation von Erkens (o. Anm. 8) 506, der ebenda seinerseits jedoch eine alleinige Weihe durch Bonifatius nahezu ausschließt. 13) Michael Si crc k, Festtag und Politik, Studien zur Tagewahl karolingischer Herrscher, Köln 1995,82f. hält den Martinstag, also den 11. November, für den wahr- scheinlichen Tag der Salbung.

14) Annales Petavini continuatio 752, MGH SS 1, S. 11. - Annales Laureshamen- ses 752, MGH SS 1, S. 24. -Annales Alamannici 751, MGH SS 1, S. 26. -Annales Guelferbytani 751, MGH SS 1, S. 27. - Annales Nazariani 751, MGH SS 1, S. 27. Nach Mediae Latinitatis Lexicon minus, hg. v. J. F. Niermeyer und C. van de Kieft, überarbeitet von J. W. J. Burgers 2 2002 1. aufheben, stützen, helfen, 2. rüh- men, 5. auf den Thron bringen.

15) Annales Laubacensium continuatio 751, MGH SS 1, S. 10. - Annales S. Aman- di continuatio 751, MGH SS 1, S. 10.

16) Annales Sangalenses Baluzii 752, MGH SS 1, S. 63. Nach Mediae latinitatis le-

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wissen von einer Salbung durch Bonifatius"), nicht aber die Vita des Bonifatius und vor allem nicht die Continuatio Fredegarii des Childebrand'$), die wohl als die frühe- ste Quelle anzusehen ist"). Das hat zu Zweifeln an der Salbung durch Bonifatius ge- führt20), denen aber in neuerer Zeit von Jörg Jarnut ein recht plausibles Bild von einer von Bonifatius vollzogenen Salbung entgegengehalten wurde21).

Die Frage, ob Bonifatius an der elevatio von 751 teilhatte, indem er die Salbung vollzog, hängt auch an der Beurteilung eines weiteren Problems, nämlich dem der Historizität der Anfrage Pippins bei Papst Zacharias. Eine Gesandtschaft an diesen wird es wohl gegeben haben; sie ist zu genau belegt, als daß sie eine Erfindung sein könnte'). Was aber war der Auftrag der Gesandtschaft"? Suchte sie wirklich um die

xicon minus (o. Anm. 14) durchaus mit sakraler Bedeutung: 1. Segen, (2. Lebewohl, ) 3. Kirchweihe, 4. Priesterweihe, 5. Königsweihe; und benedicere hat danach die fol- genden Bedeutungen: 1. segnen, 2. (eine Kirche einweihen, 3. (einen Priester) or- dinieren, also weihen, 4. (einen König) weihen (frz.: sacrer), 5. beten, 6. anbeten, 7. Lebewohl sagen (frz. dire adieu).

Il) Regino von Prüm: Chronicon 750 (ed. Friedrich Kurze, 1890). -Annales Laurissenses minores 750, MGH SS 1, S. 116. -Annales Regni Francorum, 750 (ed. Friedrich Kurze, 1895). -Annales Mettenses priores 750 (ed. B. v. Simson, 1905), MGH SS 1, S. 331. -Annales Fuldenses 752 (ed. Friedrich Kurze, 1891).

18) Childebrand schreibt von consecratio episcopona». Semmler (o. Anm. 7), 156ff. versieht nun nicht das episcoponini mit dem primären Fragezeichen, sondern die consecratio. Hier ist der umgekehrte Weg gewählt, wenn wir zuerst die direkte Beteiligung der Bischöfe bestreiten und erst dann die genaue Bezeichnung des Vor- gangs untersuchen. Im Mediae latinitatis lexicon minus (o. Anm. 14) findet sich die Ubersetzung von consecratio als 1. Einsegnung (eines Altars oder einer Kirche), 2. Weihe; 3. Königssalbung, 4. Diözese. Hier überwiegt doch eindeutig die Bedeutung als �Weihe,

Ordination". Das reicht uns, ist doch die Frage, ob dies bereits mit Salb- öl geschah, sekundär. Warum also sollte Childebrand einen Begriff verwenden, der so eindeutig eine religiöse Sanktion bedeutet, wenn es diese beim Erhebungsakt selbst doch gar nicht gegeben haben sollte?

19) Affeldt (o. Anm. 4), 102. - S. auch die Beurteilung von Roger Collins, Pippin III as Mayor of the Palace: the Evidence, in Dynastiewechsel (o. Anm. 1), 75-91,76.

20) Vgl. v. a. Kurt-Ulrich Jäschke, Bonifatius und die Königssalbung Pippins des Jüngeren, in: Archiv für Diplomatik 23 (1977), 25-54.

21) Jörg Jarnut, Wer hat Pippin 751 zum König gesalbt?, in: Frühmittelalterli- che Studien 16 (1982), 45-57. Auch Josef Semmler, Bonifatius, die Karolinger und �die

Franken", in: Mönchtum - Kirche - Herrschaft 750-1000, hg. v. Dieter R. Bauer, Rudolf Hiestand, Brigitte Kasten und Sönke Lorenz, Sigmaringen 1998,3-49,45f., vermutet die Salbung durch Bonifatius, von dem er auch annimmt, daß die Form der Erhebung kaum auf dessen Konzeption zurückgegangen sein wird.

22) Mit Nennung der Gesandten ausführlich beschrieben ist siez. B. in den Annales regni Francorum 750 (ed. Friedrich Kurze, 1895, S. 8 und 9). Die Annales Met- tenses priores 750 (ed. B. v. Simson, 1905) kennen immerhin die Konsultation des Papstes: �... erconsultoZachariaepapaeurbisRoniae...... Vgl. Heinrich Büttner, Aus den Anfängen des abendländischen Staatsgedankens, Die Königserhebung Pip- pins, in: Das Königtum, Seine geistigen und rechtlichen Grundlagen, hg. v. Theodor Mayer, Lindau 1956,155-167,157. Inzwischen hat Rosamond McKitterick (o. Anm. 5) die Berichte von der Königserhebung von 751 mit einem großen Frage- zeichen versehen, läßt dabei aber außer Acht, daß die dort mitgeteilten Informationen kaum auf die Anschlußfähigkeit an das �kollektive Gedächtnis" der fränkischen Gro- ßen verzichten konnten. S. nun auch Angenendt (o. Anm. 8), 195, der vermutet, daß daspäpstliche Responsum auch Fragen der Liturgie behandelte.

2) S. Schieffer (o. Anm. 7), 12: �Vermutlich wissen wir daher weit weniger ge-

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Erlaubnis nach, Pippin zum König zu erheben, diese möglicherweise als Befehl des römischen Bischofs an die fränkischen Großen zu erlangen, denen auch 50 Jahre spä- ter die rechtlich-moralischen Vorstellungen der römischen Kirche nicht wirklich nahe- gingen? Die eigentliche Entscheidung traf doch wohl nicht der Papst per auctoritatem apostolicam (Annales Regni Francorum), sondern mußten die Großen treffen, ob sie nämlich Pippin als König dulden und anerkennen wollten24). Denn ohne sie und ihre Zustimmung war das Königtum Pippins nicht denkbar2S). Mindestens eine informelle Bestellung Pippins mußte vor einer Anfrage an Papst Zacharias bereits stattgefunden haben. Aber wofür war denn der päpstliche Entscheid noch notwendig? Semmler hat auf die Bedeutung der Chronographia des Theophanes Confessor für diese Frage hin- gewiesen und legt überzeugend dar, daß eine Aufgabe des Papstes bei der Elevatio von 751 in der Lösung der Franken vom Herrschereid gelegen haben wird26). Neben der Lösung vom Eid hatte der Papst für die notwendige Sanktion zu sorgen, mit deren Hilfe das Königtum Pippins rituell gesichert werden sollte. Pippin brauchte einen Er- satz für das Geburtskönigtum der Merowinger - sei dieses nun durch Königsheil oder Gewohnheit begründet27).

Aus der Perspektive der Jahre nach 754 war es ohnehin nicht mehr so wichtig, wer genau die Salbung vorgenommen hatte; da konnte eine mögliche Beteiligung des Bonifatius sogar das Konzept des Königtums der Familie stören, weil eine Erhebung auctoritae Bonifacii eine Minderung der Stellung Pippins und seiner Familie bedeu- ten konnte. Pippin trat 751 ein Königtum an, dessen Grundlage nichts weiter war als die weitgehende Zustimmung der Großen, die aber keinesfalls einhellig war2S), und darüber hinaus die Zustimmung eines Papstes zu seinem Königtum. Die Nachfolge wurde mit dieser Erhebung nicht geregelt. Es war ein erster Schritt, der der Zustim- mung der Großen zu einer Person, der Ausschaltung der bisherigen Königsfamilie und einer kirchlichen Beteiligung daran bedurfte.

Die kirchliche Beteiligung war sinnvoll geworden, da die Kirchen und speziell die römische in den letzten Jahren an der Herrschaft der Hausmeier nicht unwesentlich

nau, als die bisherigen Interpreten meinten, mit welcher Frage sich der Hausmeier Pippin an den Papst gewandt hat und welche Antwort er erhielt. " 2) Affeldt (o. Anm. 4), 134ff. zum Begriff der auctoritas und 181ff. zur Frage nach der Bedeutung eines päpstlichen Befehls an die Großen zur Erhebung Pippins zum König und ebenda 184 mit der Auffassung,

�daß man dem Papst gestattet ha- ben sollte, über des Hausmeiers Pippin weiteres politisches Schicksal zu verfügen, ... halte ich schlechterdings für ausgeschlossen". S. auch Egon Boshof, Die Vor- stellung vom sakralen Königtum in karolingisch-ottonischer Zeit, in: Das frühmittel- alterliche Königtum (o. Anm. 1), 331-358,335, der das Responsum als �zusätzliche Legitimierung` begreift.

26) Zur Rolle der Großen vgl. Affeldt (o. Anm. 4), 183f. Semmler (o. Anm. 7), 147ff. Wie die Sicherung der Entthronung der Mero-

winger 751 ohne eine in der elevatio Pippins liegende Sanktion aus Rom aus&esehen haben sollte, sagt Semmler nicht und behauptet ebenda 147, es habe ihrer nicht be- durft. Schon Georg Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte, Die Verfassung des Fränkischen Reichs, Bd. 3, Berlin 1883,75 weist auf den byzantinischen Bericht hin, nach dem Pippin von seinem Eid auf den merowingischen König vom Papst entbun- den worden sei.

27) Zum Stand der Kontroverse um ein merowingisches Sakralkönigtum s. Das frühmittelalterliche Königtum (o. Anm. 1). 28) Vgl. Affeldt (o. Anm. 4), 184.

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beteiligt gewesen waren und zu einer wesentlichen Stütze der neuen Politik - auch der Pippins29) - geworden waren. Es war den karolingischen Hausmeiern gelungen, mit Hilfe der kirchlichen Organisationen eine Erneuerung der politischen Infrastruktur anzustoßen, die später als �Karolingische Renaissance" zu einem tragenden Prinzip karolingischer Herrschaftsstruktur und -kultur werden sollte30). Da lag es nahe, bei dem tatsächlichen Regierungswechsel sich dieser Kräfte zu bedienen11). Und zunächst handelte es sich um kaum mehr als einen Herrscherwechsel, der allerdings durch die Vermönchung des letzten Merowingers als unumkehrbar anzusehen ist.

Ohne den Akt von 754 hätte das Königtum zwar als ein karolingisches sicherlich fortbestanden. Der neue König und seine Nachfolger hätten aber bei der Nachfolge

vermutlich größte Zugeständnisse an die Großen machen müssen. Denn, was ihnen bis 754 fehlte, war die königliche Höhe, die im Zweifel ausreichen konnte, die großen Familien auf Abstand zu halten. Bonifatius' kirchliche Stellung war eben geringer als die des Papstes, zumal sie ja auch von der Einsetzung durch den Papst abhing.

Da Pippin schon früher an Bonifatius vorbei sich an den Papst gewandt hatte32), ist

zu vermuten, daß er die Beteiligung des Bonifatius von diesem selbst nicht wird er- langt haben können"). Zu sehr war Bonifatius vom Regiment Pippins bis dahin ausge-

29) Semmler (o. Anm. 21), 27f. sieht in der Beteiligung an der Abhaltung der Synode von Soissons am 3. März 744 den Beitritt Pippins zum Reformwerk des Bo- nifatius.

30) Vgl. in diesem Tenor Jürgen Strothmann, Karolingische Renaissance, in: Der Neue Pauly, Bd. 14 (2000), Sp. 816-821 und in ihrer Summe mehrere Beiträge in: 799, Kunst und Kultur der Karolingerzeit, Bd. III. Beiträge zum Katalog der Aus- stellung Paderborn 1999, hg. v. Christoph Stiegemann und Matthias Wem- ho ff, Mainz 1999.

31) Semmler (o. Anm. 7), 149f. referiert ausführlich die Petrusnähe der frühen Karolinger, die seine These stützt, der Papst sei gebraucht worden, um die Franken von ihrem Herrschereid zu lösen. Für den Vollzug der elevatio Pippins aber stellt er sich auf den Standpunkt, daß �der autochthonen Liturgie Galliens ... Ritus und bischöf- licher Vollzug" einer solchen von ihm ebenda 162 unter Bezug auf Arnold Ange- nendt, Kaiserherrschaft und Königstaufe, Kaiser, Könige und Päpste als geistliche Patrone in der abendländischen Missionsgeschichte, Berlin 1984,77-81 postulierten römischen �postbaptismalen Taufsalbung" unbekannt gewesen sei. Da Semmler (o. Anm. 7), 153f. von einer einzigen Alternative einer Sanktion durch die Bischöfe aus- geht und eine Salbung oder auch nur eine einfache rituelle Sanktion durch Bonifati- us nicht wirklich in Betracht zieht, kann ihm die ausführliche Darlegung einer erst um die Mitte des B. Jahrhunderts greifbaren Durchdringung fränkischer Kirchen mit römischer Liturgie als Ar&ument für die Einführung der Königssalbung durch Papst Stephan genügen, da so eine eigenständige Entwicklung bzw. Adaption in den frän- kischen Kirchen durch ihre Bischöfe unwahrscheinlich wird. Vgl. auch Semmler (o. Anm. 5), 87-110, wo er noch ausführlicher auf den Handschriftenbefund zu spre- chen kommt. Daß er ebenda 124f. die von Hinkmar von Reims an Karl dem Kahlen vollzogene Salbung als aus der gallikanischen Liturgie hergeleitete unctio zum Be- leg für den Charakter der- nach seiner Ansicht nicht vorgenommenen - Salbung Pip- pins nimmt, reicht wegen der gallikanischen Grundhaltung Hinkmars nicht zum Ar- gument.

32) Das betont Semmler (o. Anm. 21), 3- 49,44f. 33) Jarnut (o. Anm. 21), 50 schildert eindringlich den inneren Konflikt des Boni-

fatius, der geschworen hatte, keine Gemeinschaft mit unwürdigen Priestern zu haben, die nach Ansicht des Bonifatius am Hof Pippins zahlreich vertreten waren, und daß bei einer Salbung durch ihn eine Gemeinschaft mit diesen nicht zu vermeiden sein würde; ähnlich auch Jäs ch ke (o. Anm. 20), 38.

30 Zeitschrift fur Rechtsgeschichte. C? QCV. Gcrin. Abt.

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schlossen gewesen, und zu sehr widersprach Pippins Regierung den Vorstellungen des Bonifatius, wie auch aus dessen eigener Nähe zu Karlmann zu schließen ist. Was Pip-

pin nach der erlangten Zustimmung der Großen - die in jedem Fall vorauszusetzen ist

- brauchte, war nicht per aucloritatem apostolicam die Erlaubnis zum Königtum. Das hätte in dieser Form - ohne päpstliche Beteiligung an der Zeremonie - die Gesamtheit der Großen nicht wirklich beeindruckt. Was er brauchte, war der päpstliche Befehl an Bonifatius bzw. eine wie auch immer geartete Zustimmung, die Salbung bzw. Weihe

- einen der wesentlichen Teile einer solchen Erhebung - vorzunehmen"). Zum König erhoben wurde den Quellen zufolge 751 nur Pippin. Von einer Erhe-

bung seiner Gattin berichten die Quellen mit Ausnahme der Continuatio Fredegarii

nichts, auch nicht von einer Erhebung bzw. Salbung der Söhne. Pippins größtes Anlie-

gen nach der Königserhebung selbst mußte sein, die großen Familien im Frankenreich von einer Konkurrenz mit der Familie des Königs abzuhalten. Dazu hatte er einen Abstand zu den Großen zu schaffen, der zu jeder der großen Familien in etwa gleich sein mußte.

Die Sanktion bestand aber nicht eigentlich in einem päpstlichen Responsum3S), sondern in der rituellen elevatio, einer Weihe durch einen kirchlichen Amtsträger. Die nahm aber bekanntlich nicht Zacharias vor, sondern Bonifatius oder irgendwelche fränkische Bischöfe. Bonifatius selbst hätte sicherlich gerne den kirchlich aktiveren Karlmann an Pippins Stelle gesehen96). Seine Autorität aber war vonnöten, nicht die irgendwelcher namentlich nicht genannter Bischöfe, auch nicht die des Papstes al- lein. Das Verschweigen einer Beteiligung Bonifatius' an der Königserhebung Pippins in dessen Vita kann auch bedeuten, daß dies gar nicht dem Willen Bonifatius' ent- sprach37). Da er aber päpstlicher Legat war, konnte er eine Beteiligung an der Erhe- bung Pippins auf päpstliche Weisung nicht verweigern38).

Im übrigen ist zu bedenken, daß Pippin ja bereits Königssohn war. Er war als Kind vom König der Langobarden adoptiert worden39), womit er über einen gewissen Ab-

34) Jarnut (o. Anm. 21), 50f. und 54 zeigt mit einiger Plausibilität, daß die von Bonifatius selbst zum Ausdruck gebrachte Notlage in Bezug auf die Zusammenkunft mit den falschen Priestern am Hof Pippins ihren Grund in einer solchen Weisung des Papstes hatte.

35) Zu dieser Klassifizierung der päpstlichen Antwort nach der Wortwahl der Quel- lenvgl. Affeldt (o. Anm. 4), 134ff.

36) Er war immerhin Bischof in Karlmanns Reichsteil, vgl. Semmler (o. Anm. 21), 136, der ebenda 35f. seit 744 eine Hinwendung des Bonifatius zu Karlmann beob- achtet. Erste Wahl des Bonifatius war möglicherweise Pippins und Karlmanns Halb- bruder Grifo gewesen, Matthias Becher, Eine verschleierte Krise, Die Nachfolge Karl Martells 741 und die Anfänge der karolingischen Hofgeschichtsschreibung, in: Fakten und Fiktionen (o. Anm. 7), 95-133,129.

37) Vgl. auch Jarnut (o. Anm. 21), 52, der die mit der Salbung verbundene Ge- meinschaft mit von Bonifatius nicht anerkannten Priestern als Hauptgrund vermutet, die ihn in seiner eigenen Vita hätte desavouieren können.

38) Jarnut (o. Anm. 21), 51. 39) Jörg Jarnut, Die Adoption Pippins durch König Liutprand und die Italien-

politik Karl Martells, in: Karl Mart ell in seiner Zeit, hg. v. Jörg Jarnut u. a., Sig- maringen 1994,217-226; vgl. auch Gunther Wolf, Grifos Erbe, die Einsetzung König Childerichs III. und der Kampf um die Macht -zugleich Bemerkungen zur ka- rolingischen �Hofhistoriogra

hie", m: Archiv für Diplomatik 38 (1992), 1-16,1; vgl. auch Semmler (o. Anm. 21,11, der den Zusammenhang der Adoption mit dem Tod König Theuderichs betont.

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stand zu möglichen Konkurrenten verfügte. Der päpstliche Befehl als solcher jeden- falls kann nicht den fränkischen Großen gegolten haben, sondern allenfalls dem Bo- nifatius. Es wird im folgenden deutlich werden, daß erst der Akt von 754 und mit ihm die Deutung durch die Clausula de unctione Pippini all die Sicherheit des neuen Königtums mit sich brachte, von der wir auszugehen gewohnt sind.

Das Königtum der Familie: Um Weihnachten 753 erreicht Pippin die Nachricht, Papst Stephan sei zu ihm auf

dem Weg und habe bereits die Alpen überschritten. Ein Treffen beider in St. Maurice d'Agaune versäumt Pippin und bittet Stephan zu ihm zu kommen. Bei Ponthion emp- fängt Pippin den Papst am 6. Januar (Epiphaniae! ) mit allen gehörigen Ehren40), wo vermutlich am nächsten Tag Stephan erneut die Bitte an den König richtet, ihm gegen die Langobarden beizustehen.

Während im Auftrag Pippins eine Gesandtschaft zu König Aistulf zieht, diesen aufzufordern, von Übergriffen auf das römische Umland abzusehen, wartet der Papst in St. Denis. Am 1. März beschließt dann nach der Weigerung Aistulfs, der Auffor- derung nachzukommen, eine Reichsversammlung einen Heereszug gegen die Lango- barden. Am 14. April endlich macht Pippin nach abgehaltener Reichsversammlung sein urkundliches Schenkungsversprechen an Petrus bzw. den Paps01). Am 28. Juli 754 kommt es dann zur erneuten Salbung Pippins, dieses Mal durch den Papst selbst. Vor einer genaueren Schilderung des Ereignisses ist es geboten, die Bedeutung der Salbung durch den Papst herauszustellen.

Die Karolinger hatten ihren politischen Aufstieg schon seit längerem mit dem heili- gen Petrus verbunden. Ausgelöst und befördert wurde das vor allem von Bonifatius, der die enge Beziehung zwischen fränkischer und römischer Kirche verkörperte42). Das vor allem von Karlmann, aber auch von Pippin maßgeblich unterstützte Bemühen um die Einführung römischer Liturgie, in gewisser Weise auch römischer Rechts- und Ordnungsvorstellungen, die Einsetzung von Bischöfen durch die Hausmeier und damit der Zugriff auf ein wesentliches vorstaatliches Ordnungsmittel, das die fränkischen Kirchen bedeuteten, hatte mit den Karolingern an der alten politischen Ordnung vorbei neue Eliten entstehen lassen43), zu deren ldentifikationsgestalt Petrus gewiß geworden war'). Das Bekenntnis Pippins zu Petrus wird einmal mehr deutlich, wenn der Nach-

40) Schilderung des päpstlichen Adventus im Liber pontificalis, Vita Stephani, cap. 25. Vgl. dazu Achim Thomas Hack, Das Empfangszeremoniell bei mittelalterli- chen Papst-Kaiser-Treffen, Köln 1999,436-440, dessen Argumentation nahelegt, daß der im Papstbuch überlieferte Stratordienst als eine spätere Zutat anzusehen ist.

41) Jörg Jarnut, Quierzy und Rom, Bemerkungen zu den �Promissiones Dona- tionls" Pippins und Karls, in: Historische Zeitschrift 220 (1975), 265-297,275.

42) Jörg Jarnut, Bonifatius und die fränkischen Reformkonzilien (743-748), in: ZRG Kan. Abt. 65 (1979), 1-26; vgl. auch Jarnut (o. Anm. 21), 57.

43) Die Entstehung dieser neuen Eliten unter der Dominanz der Karolinger, beson- ders deutlich in der Besetzung von Bistümern, konstatiert Karl Ferdinand Wer- ner, Bedeutende Adelsfamilien im Reich Karls des Großen, Ein personengeschicht- licher Beitrag zum Verhältnis von Königtum und Adel im frühen Mittelalter, in: Karl der Große, Lebenswerk und Nachleben, Bd. 1: Persönlichkeit und Geschichte, hg. v. Helmut Beumann, Düsseldorf 21965,83-142.

44) Schon Carl Rodenberg, Pippin, Karlmann und Papst Stephan II., Berlin 1923,6f. fiel ein Brief Stephans auf, in dem er die Großen auffordert, Pippin zu unter- stützen, und ihnen andernfalls mit dem Verlust des Seelenheils droht (MGH, Epp. III,

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folger Petri ihn im Namen seines Vorgängers zum König weiht. Darin liegt zugleich ein Signal an die genannten neuen Eliten, daß ihre Verbindung untereinander und zum König nun zu einer institutionalisierten Form gefunden hat. Das ist das eigentliche Ende der alten politischen Ordnung der Franken. Fortan ist das Frankenreich offen für

eine zaghafte aber nachhaltige Rezeption römischer politischer Formen, zunächst der

rein kirchlichen, mit diesen zunehmend auch für eine Rezeption römisch-rechtlicher Ordnungsvorstellungen41)

In diesen Zusammenhang gehört auch die Verleihung des Patricius-Titels an Pip-

pin und seine Söhne. Mit ihm wird die Verbindung des Rex Francorum zu Petrus, als dessen Beschützer der Patricius verstanden wird, institutionalisiert46). Mit der Kaiser- krönung Karls des Großen findet diese Aufgabe dann Eingang in das Kaisertum der Franken, das dem Wesen nach ein römisches ist47).

Pippin hat sich und den Großen, deren Zustimmung er brauchte, viel Zeit gelassen, eine Form für das gegenseitige Abkommen mit dem Papst zu finden, nachdem bereits Verhandlungen der Gesandtschaften Pippins mit Stephan stattgefunden hatten48). Daß der Adventus des Nachfolgers Petri ausgerechnet an Epiphaniae stattfand, wird seinen Grund in der Bedeutung Petri für Pippin und seine Anhänger gehabt haben. Mit diesem

Codex Carolinus, Nr. 5, S. 488). Nach Rodenberg ebenda fehle jeder Anhaltspunkt

�für das, was mit der anderen Seite oder Partei gemeint ist", von der Stephan spricht, wenn er schreibt: �si quis declinaverit in aliampartem, ab aeternae beatitudinis here- ditate erit alienus". Becher (o. Anm. 6), 149f. greift diese Frage auf und betont die auffallende Rolle, die dem Brief zufolge dem heiligen Petrus zukommt, der u. a. als Beschützer der Franken bezeichnet wird. Becher schließt ebenda auf eine Partei, die anders als Pipein an der Verbindung mit den Langobarden festhalten wollte und ein so weitgehends Bündnis mit dem Papst ablehnte. Ein weiterer Hinweis liegt in dem Satz: ,,.. ipso principe apostolorum cuius causa est largiente, vestra deleantur pec- cata et, ut habet potestatem a Deo concessam sicut claviger regni caelorunt, vobis aperiat ianuam et ad vitam introducat aeternam. " Den noch zwischen beiden Par- teien schwankenden Großen, wie sicher auch den Großen der anderen Partei wird mit diesem Satz noch einmal die-Notwendigkeit vorAugen geführt, sich mit Petrus gut zu stellen, der so eng mit Stephan, seinem Sachwalter, und mit Pippin und seiner Partei verbunden war. Es fehlen zwar weitgehend Hinweise aus fränkischen Quellen auf ei- ne Rompartei Pippins (Aber die Continuatio Fredegars, cap. 34 sieht Petrus durchaus als Patron der Franken, Elisabeth Pfeil, Die fränkische und deutsche Romidee des frühen Mittelalters, München 1929,92) und eine politisch traditionell bestimmte Par- tei unter den Großen, aber in diesem Brief liegt recht deutlich eine Bestätigung der Vermutung, daß das Königtum Pipppins eine �Petrus-Partei" voraussetzt (vgl. auch die Beispiele aus Papstbriefen bei Pfeil, 89). Dies wird dann auch in der Konfrontation mit der Partei Karlmanns und Grifos deutlich, die Becher, Pippin 1989,148 als die �traditionalistische

Partei" betrachtet. 45) Zur Bestandsaufnahme vgl. Fr. L. Ganshof, Droit romain Jans les Capitu-

laires, Mailand 1969. 46) Vgl. Herwig Wolfram, Intitulatio I. Lateinische Königs- und Fürstentitel

bis zum Ende des B. Jahrhunderts, Graz 1967,234. 47) Vgl. grundlegend: Zum Kaisertum Karls des Großen, Beiträge und Aufsät-

ze, hg. v. Gunther Wolf, Darmstadt 1972, und nun umfassend: Hans Hubert Anton, Solium imperii und Principatus sacerdotum in Rom, fränkische Hegemo- nie über den Okzident I Hesperien, Grundlagen, Entstehung und Wesen des karolin- gischen Kaisertums, in: Von Sacerdotium und Regnum, Geistliche und weltliche Ge- walt im frühen und hohen Mittelalter, Festschrift Egon Boshof, hg. v. Franz-Reiner Erkens und Hartmut Wolff, Köln 2002,203-274.

46) Rodenberg (o. Anm. 44), 24.

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feierlichen Einzug des Papstes erkennt Pippin die Rechtmäßigkeit einer Vertreterschaft des Papstes für den Apostelfürsten an und erlaubt dem Papst, in große Nähe zum Hei- land zu treten. Aus dieser Nähe und der Vertretung Petri heraus hat der Papst für den geplanten Akt die Autorität, die Pippin zur Legitimation brauchte49).

Die älteste ausführliche Quelle, die Fortsetzung des Fredegar, übergeht den eigent- lichen Akt von 754. Aus den Angaben der Annales Regni Francorum und der Anna- les Mettenses priores läßt sich aber mit einiger Sicherheit Inhalt und Ablauf des Er- hebungsaktes von 754 erschließen. Der erste Teil der Reichsannalen, dem auch der Bericht zu 754 zugehört, wurde aller Wahrscheinlichkeit nach zwischen 787 und 793 geschrieben, nach neueren Annahmen entstand der Teil um 754 nicht vor 79011):

�Stephanus papa, postqum a rege Pippino ecclesiae Romanae defensionis frrmi- tatem accepit, ipsum sacra unctione ad regiae dignitatis honorem consecravit et cum eo duos filios eius Karlum et Carlomannum DCCLIIII. Supradictus apostolicus Stephanus confirmavit Pippinum unctione sancta in regem et cum eo inunxit duos frlios eins, domnum Carolum et Carolmannum in regibus"51). Stephan �bekräftigte" also Pippin �mit

der heiligen Salbung zum König, und mit ihm weihte er dessen zwei Söhne, den Herrn Karl und Karlmann zu Königen". Von der Verleihung des Patricius-Titels, die durch einige Briefe der Päpste aus den folgenden Jahren einwandfrei belegt ist52), schweigt die offizielle Angabe in den Annales Regni Francorum ebenso wie der Titel Pippins selbst. War der Titel bei der Königssalbung

von 754 im Frankenreich selbst noch von Bedeutung für die Herstellung der Petrus-

nähe des Königs, so war er zugleich auch zu verstehen als Unterordnung, nämlich mit dem Titel eines kaiserlichen Beamten. Entweder war der Patricius in diesem Fall no- minell ein vom Papst bestellter Beamter des byzantinischen Kaisers oder aber nach der

möglicherweise bereits entstandenen Konstantinischen Schenkung, dem Constitutum Constantini53), ein Beamter des Papstes als rechtmäßiger Nachfolger des Kaisers im Westen. Beides konnte Pippin nicht zulassen, wiewohl er den in dem Titel liegenden Ausdruck der Nähe zu Petrus im Inneren des Frankenreiches zur Identitätsstiftung

unter seinen Anhängern gebraucht haben wird. Indem mit Pippin auch seine Söhne zu Königen gesalbt wurden, erhielt seine Familie die Ursprungslegitimität einer Dyna-

stie. Hier wird zur Zeit Karls des Großen wohl von der frühen Bestimmung Karls und seiner Familie zur Führung der Franken berichtet, mehr aber hätte die Bedeutung des Papstes unnötig betont und auch die mittlerweile gewonnene Führungsstärke Karls

49) Zur Bedeutung der päpstlichen Autorität für Pippins Vorhaben vgl. Boden- berg (o. Anm. 44), 26.

so) Heinz Löwe, Reichsannalen, in: Wattenbach/Levison, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter, Vorzeit und Karolinger II, Weimar 1953. S. auch Ulrich Nonn, Reichsannalen, in: Lexikon des Mittelalters VII (1995), 616f. Zur Datierung "der Berichte zur Königserhebung auf frühestens 790 vgl. Jäschke (o. Anm. 20), 31; ihm folgt Jarnut (o. Anm. 21), 53.

51) Annales regni Francorum 754 (cd. Friedrich Kurze, 1895); vgl. auch Anna- lesRegni Franconrm qui dicuntur Einhardi, ebenda.

s So etwa Rudolf Schieffer, Die Karolinger, Stuttgart 1992,62; Wolfram (o. Anm. 46), 227 hingegen sieht die Titulatur Pippins und seiner Söhne als palricii durch die Päpste nicht als Ergebnis des Aktes von 754, was er m. E. nicht ausreichend erklären kann, wenngleich aus der Sicht nach 754 das Interesse an diesem Titel der Karolinger ganz auf Seiten der Päpste lag, wie Wolfram meint.

53) Anton (o. Anm. 47), 226 zur Entstehung im dritten Viertel des B. Jahrhun- derts.

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relativiert. Deshalb ist die Angabe dieser offiziellen Chronik der Karolinger so knapp

gehalten, wie zu vermuten ist. Ganz anders konnte nach der Krönung Karls des Großen zum Kaiser, um 805, der

Autor der Annales Mettenses priores von dem Ereignis berichten:

�Ordinavitque [Papst Stephan] secundum morem maiorum unctione sacra Pippi- num piissimum pnncipem Francis in regem et patricium Romanorum et films eius duos felici successione, Carolum et Carolomannum, eodem coronavit honore"54).

Als handele es sich um einen üblichen Erhebungsakt, wurde danach Pippin nach der Sitte der Vorväter55) - gedacht ist wohl eigentlich an die Könige des Alten Bun- des - den Franken zum König und zum Patricius Romanorum eingesetzt und seine beiden Söhne Karl und Karlmann zur glückhaften Nachfolge mit derselben Würde geschmückt`). Der Patricius-Titel ist Teil der Vergangenheit, da er übertroffen wurde vom Kaisertitel und einem gerade in den Annales Mettenses priores betonten

�natür- lichen" aus Leistung resultierendem Kaisertum51). Daher darf der Titel als eine Art Ehrentitel erwähnt werden.

An dieser Stelle wird noch viel deutlicher als in den Reichsannalen, daß die Familie zum Königtum erhoben wurde, wenn nämlich die Söhne dieselbe Würde erhalten wie der Herrscher und zugleich zur Nachfolge designiert werden. Da zur Abfassungszeit Karls nachfolgeberechtigte Söhne Karl der Jüngere, Ludwig (der Fromme) und Pippin ihrerseits bereits zu Königen erhoben waren58), dienten nun Patricius- und Königstitel der Söhne Pippins als Präjudiz, womit die Gültigkeit des Familienkönigtums doku- mentiert werden konnte.

Im Jahr, nachdem vermutlich die Annales Mettenses priores verfaßt wurden, hat Karl der Große in der Divisio regnorum, seiner Nachfolgeregelung, augenscheinlich unabhängig über die Herrschaft im Frankenreich verfügt, wie ein Erblasser in einem

54) Annales Mettensens priores 754 (ed. B. v. Simson, 1905). 55) Vgl. die Deutung des antiquitus ordo im Bericht Fredegars zu 751 bei Semm-

1er (o. Anm. 7), 152 als Bestimmung zum ordnungsgemäßen Verlauf der Königser- hebung. Auch Erkens (o. Anm. 8), 499 sieht in seiner Auseinandersetzung mit den Thesen von Achim Thomas Hack, Zur Herkunft der karolingischen Königssal- bung, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 110 (1999), 170-190 das alttestamentari- sche Vorbild als durchaus naheliegend. Als wahrscheinliches Vorbild sieht es Bos- h of (o. Anm. 24).

56) Diese Bedeutung ist die einzig mögliche der im Mediae latinitatis lexicon mi- nus (o. Anm. 14), Bd. 1,360 aufgeführten. Von einer Krönung im wörtlichen Sinne ist für die Königserhebung Pippins noch nicht die Rede, Joachim Ott, Die Früh- geschichte von Krone und Krönung, in: Krönungen, Könige in Aachen - Geschichte und Mythos, Katalog derAusstellung [Aachen, 2000], 2 Bde., hg. v. M ari o Kramp, Mainz 2000, I, 122-130,126. Dennoch ist eine Bedeutung

�krönen" im Sinne von �zum König erheben" (auch ohne Krone) mitzudenken, Bedeutung nach Mittellatei- nischen Glossar, hg. v. E. Habel, Paderborn 21959.

57) Vgl. Irene Hase lbach, Aufstieg und Herrschaft derKarlingerinderDarstel- lung der sogenannten Annales Mettenses priores, Ein Beitrag zur Geschichte der poli- tischen Ideen im Reiche Karls des Großen, Lübeck und Hamburg 1970,142f.

58) Pippin und Ludwig im Jahr 781, s. Egon Boshof, Einheitsidee und Tei- lungsprinzip in der Regierungszeit Ludwigs des Frommen, in: Charlemagne's Heir, New Perspectives on the Reign of Louis the Pious (814-840), hg. v. Peter Godman und Roger Collins, Oxford 1990,161-189,168f., und Karl der Jün- gere spätestens 800 bei der Kaiserkrönung seines Vaters, s. Schieffer (o. Anm. 52), 103.

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Testament über sein privates Gut verfugt. Sogar über das ihm vom Nachfolger Petri verliehene Kaisertum verfugte Karl der Große bei der Krönung Ludwigs des Frommen im Jahr 813 ohne Beteiligung des Papstes"). Zu dieser Zeit genügte es, darauf hinzu- weisen, daß das Königtum der Karolinger als ein Königtum anzusehen sein sollte, das in der Familie zu bleiben habe, wie nach den Annales Mettenses priores schon Papst Stephan durch die Verleihung der königlichen Würde diese Tatsache gewissermaßen anerkannt und bestätigt hatte.

Daß dem aber nicht so war, sondern das Königtum Pippins im Jahre 754 die Sankti- on eines dynastischen Königtums erhielt, dürfte keiner weiteren Herleitung bedürfen. Sonst jedenfalls hätte Pippin dafür kein so weitreichendes Schutz- und Schenkungs- versprechen an den Nachfolger Petri gegeben.

Aus den herangezogenen Quellen lassen sich die folgenden Einzelheiten der Königserhebung Pippins und seiner Familie ersehen:

1. Das faktische Königtum Pippins als Ergebnis der Reichsversammlung 2. Die päpstliche Sanktion der Herrschaft Pippins 3. Die Anbindung der neuen Herrschaft im Frankenreich an die römische Kirche

mit der Salbung durch Bonifatius 4. Die Erhebung der Gattin zur Königin 5. Die eigentliche Sanktion des Königs als eines von Petrus ernannten Königs 6. nämlich als Patricius (i. e. Beschützer und Bevollmächtigter Petri, des Vertreters

Christi) 7. Die Sanktion des Königtums der Söhne B. Die Erhöhung der Könige als von Petrus ernannt

Die Aufgabe der Clausula de unctione Pippini: Waren die letztgenannten Punkte schon 754 zusammengefaßt vorgenommen wor-

den, nämlich als Sanktion des Königtums Pippins und seiner Nachfolger, so bedurften die Vorgänge noch einer weiteren Zusammenfassung als ein Sinnzusammenhang, der

sicherlich z. T. bereits in der Zeremonie von 754 zu erkennen war. Diese (wertende! ) Zusammenfassung bedeutet die Clausula de unctione Pippini.

Datiert auf das Jahr 767, ein Jahr erkennbarer Stabilität der Königsherrschaft Pip-

pins, führt sie noch einmal alle Punkte, wie in einer solemnen Zeremonie zu einer rituellen Einheit zusammen: Vater und Söhne, mit ihnen die Mutter, wurden zum Königtum erhoben, zur Herrschaft für Petrus als Sachwalter der römischen (i. e. von Christus gestifteten - Tu es Petncr... ) Kirche für das Frankenreich. Und wer noch nicht begriffen haben sollte, welche Exklusivität darin zu liegen hatte, wurde - gewisser- maßen als Ersatz für die Eindringlichkeit einer Zeremonie - darauf hingewiesen, daß

754 nicht nur die Karolinger exklusiv mit der Königsherrschaft ausgestattet worden waren, sondern weiter eingeschränkt die Nachkommengemeinschaft dieser genann- ten Kleinfamilie:

�Simulque francorum principes benedictione sancti Spiritus gratia confirmavit et

tali omnes interdictu et excommunicationis lege constrinxit, ut numquam de alterius lumbis regem in evo presumant eligere,..: `60).

59) Zum Mitkaisertum Ludwigs und seiner Erhebung durch Karl den Großen s. Egon Boshof, Ludwig der Fromme, Darmstadt 1996,87f.

60) Clausula de unctione Pippini, cd. Stoclet (o. Anm. 5).

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Becher hat gezeigt, daß die 754 hergestellte Exklusivität der königlichen Nach- kommengemeinschaft von Pippin, Bertrada und ihren zwei Söhnen einen konkreten Anlaß hatte, nämlich die Rechte Drogos und seiner Brüder auf das Erbe ihres Vaters Karlmann, der sein Reich und seine Söhne seinem Bruder Pippin kommendiert hat- tet'). Diese Rechte, die wohl trotz der Vermönchung der Erben Karlmanns im Jahr 753 als fortbestehend angesehen werden konnten, wurden nun auf reine Erbrechte einge- schränkt, die sie als Mönche jedoch nicht werden geltend gemacht haben können. Mit dieser Bestimmung wird die Nachfolge vom Erbe getrennt, was für die karolingische Nachfolge- und Erbauffassung der nächsten hundert Jahre bestimmend blieb"). Für einen zu Unrecht vermönchten Erben materieller Güter einzutreten, war bei weitem nicht so reizvoll für die Großen wie einen potentiellen Nachfolger zu unterstützen. Daß die Strafbestimmung der Clausula schon 754 von Papst Stephan ausgesprochen wurde, ist mithin recht wahrscheinlich, ihre Aufnahme in die Clausula als schriftli- ches Manifest der Grundlagen karolingischen Königtums hat vielleicht die größere Wirkung gehabt.

Gegen Ende des Jahres 768 stirbt Pippin, womit der erste Nachfolgefall in der karolingischen Königsherrschaft eintritt. Obwohl die Herrschaft Pippins als konso- lidiert bezeichnet werden kann, ist es dennoch ein Gebot der Stunde, die Nachfolge nicht nur vom Vater bestimmen zu lassen bzw. als vom Vater bestimmt darzustellen, sondern darüberhinaus an die Grundlagen der Nachfolge seiner Söhne zu erinnern. Zu der grundsätzlichen Notwendigkeit der Nachfolgesicherung tritt hinzu, daß sich das fränkische Königtum noch in einem langandauernden Krieg mit dem aquitanischen Herzog Waifar befand, dessen Abwehr die Einigkeit der fränkischen Verbände erfor- derte. Die Quellen berichten ausführlich gerade auch für 767 von dieser Bedrohung, von der nicht zu wissen war, ob in ihr nur eine äußere Bedrohung lag oder sie bereits erneut Anlaß geboten hatte, auch innerfränkische Gegner zu aktivieren63). Zudem galt es, die Nachfolge des einen Königs Pippin durch zwei Könige im Frankenreich abzu- sichern, da ja die theoretische Grundlage der neuen Königsherrschaft zum Teil eine römisch-kirchliche war, die anders als bei den Merowingern die Nachfolge des Einen durch einen hätte erwarten lassen. Es gab also hinreichend Grund, gegen Ende der Regierungszeit Pippins nocheinmal an die Erhabenheit der Familie und die Geschichte der Sanktion des Königtums dieser Familie zu erinnern. Die Clausula de unetione Pip- pini versammelt im Sinne der Familie Pippins die wesentlichen Punkte der Sanktion des Königtums Pippins und seiner Nachfolge.

Die eigenwillig die Geschichte des Königtums der Familie Pippins bündelnde Poenformel gegen die Erhebung anderer als der Nachkommen Pippins zum Königtum erhält ihren Sinn an dieser Stelle fränkischer Geschichte - und nach 754 nur hier. Für alle späteren Generationen kann die Sanktion der Nachkommengemeinschaft Pippins nur mehr ein Präzedenzfall, nicht aber eine konkret anwendbare Funktion gegenüber nahen Verwandten, etwa nicht ehelichen Söhnen bzw. Brüdern, haben. Eine Schrift

61) Becher (o. Anm. 6), 140f. 62) S. die Ausführungen von Kasten (o. Anm. 2), 28 zum fränkischen Erbrecht,

nach dem uneheliche Nachkommen voll erbberechtigt waren. 63) Wie schon in der Auseinandersetzung Karlmanns und Pippins mit ihrem Halb- bruder Grifo, in die auch das aquitanische Herzogtum einbezogen war, Wolf (o. Anm. 39), 5f.

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J. Strothmann, Das Königtum Pippins 425

späterer Zeit hätte den Akzent anders setzen müssen, etwa ausdrücklich die von kirch- licher Seite sanktionierte Ehe als Voraussetzung der Nachfolge betonen müssen.

Ist denn die Clausula nun eine Quelle für die Vorgänge von 751/54? In gewisser Weise ist sie das. Da die eigentlichen Quellen für die Königserhebung Pippins und seiner Familie die Geschichte aus der Sicht der Herrscherfamilie bieten, läßt sich an ihnen auch der Wandel dieser Sicht ablesen. Auf den Patricius-Titel, den Pippin von Stephan 754 zugelegt bekommen hatte, verzichtete er in seinem Herrschertitel zeitle- bens'). Der Gebrauch des Titels hätte den Eindruck der Anerkennung päpstlicher oder sogar byzantinischer Oberhoheit erwecken können. Ein Hinweis auf besondere Petrus- bzw. Romnähe zur Identitätsstiftung unter den Anhängern der Karolinger wäre der notwendigen Integration weiterer Kreise und der Konsolidierung der Ansätze zur Staatlichkeit nur hinderlich gewesen65); er hätte allenfalls die Ausgrenzung der ur- sprünglich nicht der karolingischen Familie anhängenden Kreise und somit Parteiung unter den Franken bewirkt. Das Gebot der allgemein anerkannten Herrschaft Pippins war die Einigung der Franken und die Erneuerung einer fränkischen Identität.

Auch nach der erfolgten Herrschaftsübemahme durch die Söhne Pippins und deren Sanktion durch (erneute) Salbung in Noyon bzw. Soissons am Dionysiustag66) konnte

aus denselben Gründen ein Hinweis auf die Verleihung des Patriciustitels ebenfalls nur hinderlich sein. Besonders zur Zeit der Konkurrenz der beiden Herrscher, die mit dem Tod Karlmanns am 4.12.771 ihr Ende fand und Karl zum alleinigen Nachfolger

seines Vaters machte, hätte eine Erinnerung an die Parteiung, die dem Vater zum Kö-

nigtum verhalf, wiederum nur Parteiung zur Folge gehabt, da die Vorgänge noch kei-

ne ganze Generation zurücklagen und in guter Erinnerung gewesen sein dürften. Die

zweite Continuatio Fredegarii verzichtet für 751 auf eine Erwähnung der Teilnahme des Bonifatius an der Königserhebung Pippins, und die dritte Continuatio berichtet

von dem Akt von 754 gar nichts, nur daß Papst Stephan um Hilfe ersuchend in das Frankenreich kam und diese Hilfe auch gewährt bekam. Die beiden Continuationes können in einigermaßen konsolidierter politischer Lage (ab 751 und ab 768) die Rolle der römischen Kirche für die Legitimation der karolingischen Herrschaft weitgehend verschweigen. Auch ist es nicht notwendig, besonders die Sanktion der Familie Pip-

pins als Nachfolgegemeinschaft zu betonen, weshalb ein Hinweis auf die �römische

Partei" unter den Franken unterbleiben kann. Da derAkt von 754 in erster Linie dieser Sanktion der Nachfolgegemeinschaft gedient hatte, konnte diese neuerliche Königs-

salbung sogar verschwiegen werden. Im Jahr, 774 nahm Karl der Große den Patricius-Titel zunächst gelegentlich in sei-

nen Herrschertitel aufs'). Aber erst ein Jahr später stellte er unter diesem Titel eine

64) Josef Deer, Zum Patricius-Romanorum-Titel Karls des Großen, in: Archivi- um Historiae Pontificiae 3 (1965), 31-86, zitiert aus: Kaisertum Karls des Großen (o. Anm. 47), 240-308,255.

65) Es fehlt eine besondere Betonung des vorhandenen starken Petrusbezuges in der Wahl von Festtagen für politische Ereignisse, bevorzugt werden die alten fränki- schen �Reichsheiligen" St. Dionysius und Martin, S ierck (o. Anm. 13) passim.

66) Schieffer (o. Anm. 52,71 (9.10.758); vgl. Continuatio Fredegarii, cap. 54 (IV, 137), ed. Krusch, in: SRM 2 (1888), S. 193.

67) Nach DKarol. Nr. 81 für Tours vom Juli 774, weitere für St. Denis, Flavi. Uny, Tours und Farfa. Vgl. Wolfram (o. Anm. 46), 232f. zur �Unsicherheit

in der Titel- führung".

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Urkunde für einen ostfränkischen Empfänger aus, nämlich für Hersfeld61). Es ist hier

nicht der Ort, weitere Schlüsse daraus zu ziehen, als den, daß diese Neuerung zu- nächst vorsichtig umgesetzt wurde. Offensichtlich aber konnte Karl es sich erlauben, auf diese Ehrung zu verweisen, ohne seiner Legitimation im Frankenreich Schaden zuzufügen. Aber noch um 790 unterließ der Autor der Reichsannalen eine Nennung der Verleihung des Patriciustitels an Pippin und seine Söhne. Immerhin konnte Bo- nifatius die Salbung Pippins im Jahr 751 vollzogen haben, was ebenfalls für eine starke Position und integrative Kraft Karls des Großen spricht, dessen persönliches Königtum - um das ging es zur Zeit der Abfassung der Reichsannalen für 751 und 754 - nicht ernstlich bestritten worden sein wird. Nach der Erlangung des Kaisertums durch Karl den Großen und der Königserhebung seiner Söhne (Karl der Jüngere zu- sammen mit der Kaiserkrönung des Vaters) war die Stellung Karls und seiner Familie unangefochten unter den Franken und Papst und byzantinischem Kaiser gegenüber erhaben über eine mögliche Diminuierung durch das Bekenntnis zum Patriciustitel von 754, und auch die Salbung durch Bonifatius konnte die königliche Stellung nicht mehr beeinträchtigen, weder durch die Minderstellung des Bonifatius gegenüber dem

�Coronator" von 754 noch durch eine etwaige Erinnerung an die �römische Partei" der Karolinger der 40er Jahre.

Große Ähnlichkeiten in den Angaben zur Königserhebung Pippins zwischen der Clausula de unctione Pippini und der sehr viel später entstandenen Chronik des Regi- no von Prüm69) bis hin zu wörtlichen Übereinstimmungen legen eine direkte Abhän- gigkeit der Angaben des Regino von der Clausula recht nahe, was vermuten läßt, daß der Text der Clausula keine private Notiz möglicherweise zur Buchsubskription gewesen sein wird, wie gelegentlich vermutet wird, ohne angeben zu können, aus wel- chem Grund denn eine solch präzise und umfassende Feststellung zu einem �staatspo- litischen Akt", der zudem noch 80 Jahre zurückgelegen haben soll, verfertigt worden sein könnte70).

Ein Vergleich der entsprechenden Stellen von Clausula und der Chronik Reginos zu 753 kann an wenigen signifikanten Abweichungen zeigen, daß die Clausula als dem Ereignis recht nah angesehen werden kann:

61) DKarol. Nr. 103 vom August 775. 69) Zur Bewertung der Chronik Reinos machte Karl Ferdinand Werner, Zur

Arbeitsweise des Regino von Prüm, in: Die Welt als Geschichte 19 (1959,96-116 darauf aufmerksam, daß unter den zahlreichen falsch datierten bzw. in an erer Hin- sicht unstimmigen Angaben des Regino durchaus

�uns sonst verlorene Überlieferung enthalten" sein kann, was Werner auf den weitgehenden Verzicht Reginos auf �ge- naue. Notizen" zurückführt, ebenda 113. Jedenfalls muß Regino als ausgesprochen gut informiert gelten, wie Hans-Henning Kortüm, Weltgeschichte am Ausgang der Karolingerzeit: Regino von Prüm, in: Historiographie im frühen Mittelalter, hg. v. Anton Scharer und Georg Scheibelreiter, München 1994,499-513,501 be- tont, der ebenda 513 Regino nach Analyse des Procemiums Reginos als Historiker der Zeitgeschichte und der actio hominum qualifiziert.

70) So etwa Haselbach (o. Anm. 57), 199f., die die Clausula für nach 834 ent- standen hält. Ihre textkritische Beweisführung stützt sich auf einen Vergleich von Clausula, Constitutum Constantini und Gesta Hilduins; deren Ähnlichkeiten an den von ihr herangezogenen Stellen sind aber für eine Beweisführung bei weitem zu ge- ring, weshalb auch Affeldt (o. Anm. 4), 108, der ebenda 103-109 auf der Basis der Forschungsmeinungen eine Examination der Echtheitsfrage vornimmt, ihr nicht fol- gen will.

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Regino: �Gesta sunt autem haec anno ab incam. Domini DCCLIII. V. Kal. Aug., quo Christi roboratus virtute inter celebrationem consecrationis prefati altaris et oblationem sacrificii unxit in reges Francorum regem Pippinum et duos filios eius Karolum et Carlomannum-7'). Dieser Abschnitt ist kürzer als der entsprechende Abschnitt der Clausula und kann

als Zusammenfassung aufgefaßt werden. Auch die Verleihung des Patricius-Titels

wird im Gegensatz zur Clausula nicht erwähnt, was gar nicht verwundern muß, hat doch seit einem Jahrhundert der Kaisertitel diesen Vorläufer obsolet gemacht. Bis zum Jahr 800 aber ist der Patricius-Titel von einiger politischer Bedeutung.

Reýino: �Sed et Bertradam coniugem ipsius regis indutam cicladibus regiis gratia Spiritus sancti septiformis consignavit in Dei nomine; "

dazu die Passage der Clausula:

�In ipsa namque beatorum martyrum aecclesia, uno eodemque die, nobilissimam

atque devotissimam et sanctis martiribus devotissime adherentem Berteradam, iam dicti florentissimi regis coniugem, praedictus venerabilis pontifex regalibus indu- tam cicladibus gratia septiformis Spiritus benedixit. "

Auch hier nimmt sich der Bericht Reginos deutlich knapper aus - auch inhaltlich,

was die Nennung von Zeit und Ort (im B. Jahrhundert ist die gemeinsame Erhebung

gar nicht so üblich, was eine Erwähnung sinnvoll macht) und auch was die rechtliche Form betrifft: da ist

�consignavit" weniger präzise als �benedixit", nämlich eher eine

zusammenfassende Verallgemeinerung. Reggino: �atque Francorum proceres apostolica benedictione sanctificans auctoritate sancti Petri sibi a Christo tradita obligavit et obtestatus est, ut nunquam de altera stirpe per succedentium temporum curricula ipsi vel quique ex eorum progenie orti regem super se presumant aliquo modo constituere, nisi de comm progenie, quos et divina providentia ad sedem apostolicam tuendam eligereet per cum, videlicet sancti Petri vicarium, immo domini Iesu Christi, in potestatem regiam dignata est sublimare et unctione sacratissima consecrare. ̀

Dazu die Passage aus der Clausula:

�Simulque francorum principes benedictione sancti Spiritus gratia confirmavit et

tali omnes interdictu et excommunicationis lege constrinxit, ut numquam de alte- rius lumbis regem in evo presumant eligere, sed ex ipsorum quos et divina pietas exaltare dignata esse et sanctorum apostolorum intercessionibus per manus vicarii ipsorum beatissimi pontificis confirmare et consecrare disposuit. "

Auch hier sind die Angaben der Clausula präziser, so z. B. ist von der Vertretung des

Papstes für die Apostel die Rede, was bei Regino eingeschränkt wird auf die tragende Rolle des Papstes als Vertreter Petri. Das ist kirchenrechtlich fortgeschrittener, inso-

fern klarer, aber eben auch später. Regino legt deutlich das Gewicht auf die folgenden Zeiten, die er in ausreichendem

zeitlichen Abstand überblickt, während die Clausula mit aevum die gesamte irdische

Zukunft in den Blick nimmt, was einer zeitgenössischen Rechtsbestimmung weitaus besser ansteht. Auch die Bestimmtheit, mit der Regino von ea-iun progenies und stirps

spricht, deutet die genauere Kenntnis der Zukunft an. Die Clausula engt den Kreis der Nachfolgeberechtigten auf die Söhne Karl und

Karlmann und die Nachkommen ihrer �Lenden" ein. Daß letztlich nur den Nachkom-

men Karls die Zukunft gehören sollte, ist ihr ganz offensichtlich nicht bekannt. An-

11) Regino an Prüm, Chronicon 753 (ed. Friedrich Kurze, 1890, S. 45).

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ders scheint Regino in Kenntnis des Kommenden und auch der kirchenrechtlichen Konsequenzen aus dieser mutmaßlichen Bestimmung von 754 allgemein von den Nachkommen der Familie Pippins und Bertradas zu sprechen (�eonim progenies" als Anschluß an die Nennung aller vier Familienmitglieder, insbesondere im direkten Anschluß an die Erwähnung Bertradas). Er nämlich wußte, daß Bertrada die einzige Frau Pippins bleiben würde, anders als wohl die Clausula, die mögliche weitere Kinder Pippins von der Nachfolge ausschließt, sollten sie nicht etwa mit apostolischer Sank- tion �nachgeschoben" werden, wie zu vermuten ist. Ergibt also schon der �libellus", den die Clausula darstellen sollte, an anderer Stelle als 767/768 keinen wirklichen Sinn als eigenständige Schrift, so zeigt sich im Vergleich mit Reginos sehr ähnlichen Ausführungen zu 754 ebenfalls, daß ihre Entstehung lange vor der Entstehung der Chronik Reginos liegen wird.

Etwas anderes ist an dieser Stelle leider nicht wirklich zu verfolgen, nämlich das Verhältnis von Clausula und Constitutum Constantini, für dessen Entstehung um 754 manches Indiz schon beigebracht wurde"), das aber immer noch allgemein für jünger gehalten wird. Auch im Constitutum Constantini sind Petrus und Paulus vom Papst vertreten. Sie und mit ihnen der Papst sind Empfänger der umfangreichen Translation von Herrschaft durch Konstantin. An anderer Stelle wäre einmal zu zeigen, wann in der offiziellen römischen und fränkischen Auffassung Paulus hinter Petrus so weit zu- rücktritt, daß Petrus zur alleinigen Rechtsperson der römischen Kirche wird.

Die Clausula nennt wie die nach 751 entstandene zweite Fortsetzung der Chronik Fredegars nicht die Salbung durch Bonifatius von 751, braucht es auch nicht, liegt ihr Hauptgewicht doch auf den bedeutungsschwereren Vorgängen von 754. Seit den Reichsannalen konnte Bonifatius die Salbung (wieder) vorgenommen haben.

Die für das Königtum der Familie so wichtige Sanktion dieses Königtums durch Papst Stephan ist deutlichstes Anliegen der Clausula. Nicht erwähnt vom dritten Fort- setzer der Chronik Fredegars (ab 768), ist auf fränkischer Seite seit den Reichsanna- len (ab 790) das Königtum von Vater und Söhnen und erst in den Annales Mettenses priores ist auch das Patriziat von Vater und Söhnen erwähnt. Nach dem erlangten Kai- sertum Karls des Großen ist das Patriziat der Familie für ihre Herrschaftslegitimation nicht mehr von großer Bedeutung und das Königtum der Familie nicht mehr zu be- streiten, haben doch die für die Nachfolge vorgesehenen Söhne ihr Königtum erlangt, das unter dem Schutz des unangefochtenen Kaisers Karl ihnen zu dessen Lebzeiten gar nicht zu nehmen gewesen wäre. Nach Karls Tod - soviel war zu diesem Zeitpunkt schon seit Jahren klar, gab es nur einen möglichen legitimen Nachfolger, für dessen Nachfolge die Bestimmungen der Clausula wie für spätere Nachfolgefälle mindestens die (kirchlich-)familienrechtliche Legitimität ausdrücklich hätte betonen müssen.

Die Clausula de unctione Pippini ist eine Quelle von großer Bedeutung in ihrer Intention und unter Berücksichtigung weiterer Kenntnisse wie des Wissens um die

12) Neuere Argumente für die Annahme einer Entstehung im 8. Jahrhundert von Hack (o. Anm. 40), 439 für eine Entstehung im Pontifikat Pauls I. und - an ande- rer Stelle bereits zitiert -Anton (o. Anm. 47), 226, der keinen Zweifel hat, daß das Constitutum Constantini im dritten Viertel des 8. Jahrhunderts entstanden ist. S. aber die Ausführungen von Johannes Fried, �Donation of Constantine" and �Constitu- tum Constantin i", The Misinterpretation of a Fiction and its Original Meaning, With a contribution by Wolfram Brandes: "The Straps of Constantine", Berlin 2007, der

neue Argumente für die Entstehung jedenfalls des Textes im 9. Jahrhundert bringt.

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Gründe des Verschweigens einer Beteiligung von Bonifatius an dem Akt von 751 auch von hohem Wert für die Rekonstruktion des Geschehens. Ob die Poenformel gegen Versuche, andere als Nachkommen Pippins zum Königtum zu erheben, so ausgespro- chen wurde, ist zwar nicht zu wissen; sie entspricht aber den Interessen der römischen Kirche') und ist implizit in der durch die Salbung der Familienmitglieder zum König- turn vorgenommenen Sanktion bereits enthalten.

Mit der Clausula de unctione Pippini wird der sakrale Zusammenhang der geschil- derten Einzelheiten verdeutlicht, die Botschaft der Zeremonie von 754 in Worte gefaßt. Großer Wert aber kommt der Clausula für die Herrschaftsauffassung der Karolinger von 767/768 zu. Sie zeigt, daß das karolingische Königtum als eine neue Qualität des Königtums aufgefaßt werden sollte, und kann als eine Art Verfassung des karolingi- schen Herrscherhauses verstanden werden. Mit ihr wird die karolingische Familie dem

neuen, nämlich kirchlichen Familienrecht wenn nicht unterstellt, so doch nahegestellt, die exklusive Nachfolgefähigkeit legitimer Söhne begründet und so der Einfluß der Großen auf die Familie im Nachfolgefall beschränkt; damit wurden die Regeln der Nachfolge im Frankenreich grundsätzlich - auch ganz im Sinn der römischen Kirche

- zu Gunsten des Erhalts der Dynastie römisch-kirchlich rechtlich definiert.

Paderborn Jürgen Strothmann

73) Damit wird auch für die römische Kirche Sicherheit geschaffen, nämlich mit der erhöhten Kontinuität der Familienherrschaft, der eingeschränkten Zahl möglicher Nachfolger und natürlich über die Anlehnung an kirchliche familien- bzw. eherecht- liche Vorstellungen.