Rede von Matthias Wissmann, Präsident des Verbands der Automobilindustrie, auf dem eMobility Summit...

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1 Rede von Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), am 21. Mai 2012, 18.00 Uhr anlässlich des eMobility Summit 2012 im Verlagshaus Der Tagesspiegel, Berlin

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Rede von Matthias Wissmann, Präsident des Verbands der Automobilindustrie, auf dem eMobility Summit am 21. Mai 2012

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Rede von

Matthias Wissmann,

Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA),

am 21. Mai 2012, 18.00 Uhr

anlässlich des eMobility Summit 2012

im Verlagshaus Der Tagesspiegel, Berlin

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Meine sehr geehrten Damen und Herren, über Ihre Einladung hierher zum 2. eMobility Summit des Tagesspiegel habe ich mich außerordentlich gefreut. Fast genau vor einem Jahr fand hier der erste eMobility Summit statt und seitdem hat sich Vieles getan. Am heutigen Tag wurden hier bereits spezifische Fragestellungen der Umsetzung der Empfehlung der Nationalen Plattform Elektromobilität und des resultierenden Regierungsprogramms der Bundesregierung betrachtet, ich denke da insbesondere an die Schaufenster Elektromobilität und die Betrachtung zu den Entwicklungen im Bereich der Li-Ionen Traktionsbatterien. Am morgigen Tag werden weitere zentrale Themenbereiche bearbeitet und ich bin davon überzeugt, dass dabei, wie schon heute, entscheidende und für die Entwicklung der Elektromobilität in Deutschland zukunftsweisende Aspekte betrachtet werden. Zum Abschluss des heutigen Tages möchte ich Ihnen die Sichtweise der deutschen Automobilindustrie auf diese Form der neuen Mobilität punktuell vorstellen. Wir leben in spannenden Zeiten und die Welt verändert sich mit hoher Geschwindigkeit, auch beim Thema Mobilität. Eine entscheidende Schlüsselkomponente der Zukunft ist die Elektromobilität. Wir beleuchten seit längerem die großen Möglichkeiten aber auch die Herausforderungen, die mit dieser neuen Technologie verknüpft sind. Mit der Nationalen Plattform Elektromobilität haben wir dazu in Deutschland ein weltweit einzigartiges Forum der Zusammenarbeit der Industrie, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft installiert. Es wird noch ein langer Weg sein, bevor es eine breite Marktdurchdringung im Volumensektor gibt, aber das Jahr 2012 stellt für den Markthochlauf für Elektrofahrzeuge in Deutschland wichtige Weichen. Deswegen kommt es entscheidend darauf an, die beschlossenen Maßnahmen konsequent umzusetzen und die Projekte zügig zu starten. Zudem brauchen wir auch für die darauffolgenden Jahre einen Fahrplan für die Elektromobilität, damit die Industrie bei ihren Investitionen Planungssicherheit hat. Das gemeinsame Ziel ist es, Leitmarkt und Leitanbieter zu werden. Der Weg dorthin wird durch drei Entwicklungsphasen gekennzeichnet. Lassen Sie mich an dieser Stelle kurz auf die drei Entwicklungsphasen eingehen. Die erste Phase ist die Marktvorbereitungsphase bis 2014 und ist durch die zentralen Punkte der Forschung und Entwicklung sowie Ausbildung und Qualifizierung geprägt. Im vergangenen Jahr standen für uns die Themen Normung, Bildung und Qualifizierung sowie die Förderung von Forschung und Entwicklung ganz oben auf der Agenda. Die zweite Phase des Markthochlaufs bis 2017 wird durch den Marktaufbau für Fahrzeuge und die Infrastruktur geprägt und dabei werden die Aktivitäten in den Bereichen Forschung und Entwicklung bedarfsgerecht weitergeführt. In dieser Phase sind die Möglichkeiten für die intelligente Einbindung von Elektrofahrzeugen in ein intelligentes Energiesystem (Smart Grid) zu schaffen. Mit den richtigen Rahmenbedingungen und durch zielgerichtete Maßnahmen werden wir in dieser Phase eine zügige Erhöhung der Anzahl im Markt befindlicher Elektrofahrzeuge sehen. Als drittes Element aus diesem Modell folgt die Massenmarktphase bis 2020 mit einem wirtschaftlich abbildbareren beginnenden Massenmarkt. Die nächste Generation von Fahrzeugen wird dann bereits produziert und auf die Straße gebracht werden. Eine weiterentwickelte Infrastruktur stellt immer mehr Schnittstellen zum Energiesystem bereit und die Nachfrage wird zunehmend selbsttragender. Es entwickeln sich dann mehr und mehr tragfähige Geschäftsmodelle, die auch die Berücksichtigung von regenerativ erzeugtem, fluktuierendem Strom mit einschließen. Im Rahmen des in der NPE vereinbarten Monitoringprozesses wird die Plattform – knapp ein Jahr nach dem zweiten Bericht ihren ersten Fortschrittsbericht vorlegen. Ich möchte an dieser Stelle diesem Bericht nicht vorgreifen, möchte Ihnen hier aber kurz skizzieren, wo wir heute stehen. Wir befinden uns aktuell in der

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Marktvorbereitungsphase die bis 2014 reicht. Auch wenn diese Phase noch nicht abgeschlossen ist, können wir ein Zwischenfazit ziehen und dabei erkennen: Wesentliche Weichenstellungen sind in der Zwischenzeit erfolgt. In der Nationalen Plattform Elektromobilität haben wir gemeinsam einen detaillierten Handlungsplan erarbeitet und verabschiedet. In all unseren Bemühungen verstehen wir die Elektromobilität so, dass sie für unsere Kunden gemacht sein muss. Alle Beteiligten haben verstanden: Nur als systemischer Ansatz kann sie alle ihre Vorteile entfalten. Die deutsche Industrie ist in vielen Feldern Technologie- und Innovationsführer: Auto, Elektronik, Energietechnik, Chemie. Wir wollen auch in der Zukunftstechnologie Elektromobilität die Vorreiterrolle übernehmen. Die Industrie treibt den Aufbau der Elektromobilität in Deutschland konsequent voran. Vieles, das vor einem Jahr noch auf dem Papier stand, ist jetzt bereits Realität. Die Unternehmen haben ihre Forschungsaktivitäten massiv aufgestockt, Projekte initiiert und damit Wertschöpfung und Arbeitsplätze in Deutschland gesichert oder neu geschaffen. Branchenübergreifend investiert die deutsche Industrie in den nächsten drei bis vier Jahren bis zu 17 Milliarden Euro in die Elektromobilität. Allein die Automobilindustrie steckt in den nächsten drei bis vier Jahren 10 bis 12 Milliarden Euro in die Entwicklung alternativer Antriebe, das sind 40 Prozent aller Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen, die wir für Antriebstechnik ausgeben. Elektromobilität erlebbar machen und die Kundenakzeptanz gezielt steigern, ist unter anderem ein Ziel der Schaufensterprojekte. Die branchenübergreifende Zusammenarbeit und deren Wahrnehmung konnte ich vor einigen Tagen dabei erst selbst wieder erleben. Beim „Strom tanken“ an einer der Ladesäulen hier in Berlin nahmen Passanten, Berliner und Berlinerinnen, Touristen aus anderen deutschen Regionen und internationale Gäste, dabei sowohl die Ladesäule als auch das Elektrofahrzeug genauer in Augenschein. Ich bin mir sicher: Das Interesse an der Elektromobilität ist weiterhin ungebrochen hoch. Von Seiten der deutschen Automobilindustrie werden weiter Innovationen realisiert, neue Produkte entwickelt und damit die internationale Sichtbarkeit deutscher Technologien und Dienstleistungen unterstützt. Rund die Hälfte der Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen der Automobilindustrie geht dabei in grüne Technologien. Die Beispiele des Engagements sind vielfältig. Erst vor wenigen Tagen hat Audi in unmittelbarer Nähe zu Ingolstadt ein “Projekthaus Hochvolt-Batterie” eröffnet. 100 Experten arbeiten hier an Hochvolt-Batterien auf Zell-, Modul- und Systemebene. Mit der Auslieferung des BMW ActiveE ging BMW zum Ende letzten Jahres in ein neues Zeitalter der Mobilität. Hier in Berlin sind die Fahrzeuge bereits ein Teil des täglichen Stadtbildes. Für BMW war und ist die Produktion des ActiveE im Leipziger BMW-Werk eine wichtige Vorbereitung für den Start BMW i3. Continental startete im Herbst letzten Jahres mit der Produktion von fremderregten Synchronmotoren in seinem Werk in Gifhorn. Diese Motoren sind die Ersten ihrer Art, die in hohen Stückzahlen für den automobilen Serieneinsatz gefertigt werden und dabei frei von Seltenen Erden sind. Die Liste der Beispiele lässt sich beliebig fortsetzen. Was ich an diesen Beispielen zeigen möchte ist: Unsere Unternehmen nehmen sich der technologischen Zeitenwende kraftvoll an und treiben entschlossen die Innovation und den Fortschritt bei der Elektromobilität treiben. 1. Die deutsche Automobilindustrie heute Im letzten Jahr konnten wir 125 Jahre Automobil in Deutschland feiern und auf eine entsprechend erfolgreiche Entwicklungsgeschichte Automobil zurückblicken. Die Innovationen für noch mehr Umweltfreundlichkeit, Sicherheit und Komfort zeigen: Diese erfolgreiche Geschichte ist noch lange nicht zu Ende geschrieben. Das Auto wird weiterhin das Rückgrat unserer Mobilität bleiben – im Personenverkehr genauso wie im Güterverkehr. An dieser

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Erfolgsgeschichte schreibt die deutsche Automobilindustrie mit. Die deutsche Automobilwirtschaft hat kein gutes, sondern ein sehr gutes Jahr hinter sich. Deutsche Pkw und Nutzfahrzeuge erfahren in der ganzen Welt Anerkennung und Beliebtheit. Der Genfer Autosalon Anfang März hat das erneut bestätigt. Die internationale Wertschätzung unserer Fahrzeuge zeigt sich vor allem in den Exportzahlen. Im vergangenen Jahr haben wir in Deutschland 5,9 Millionen Fahrzeuge produziert. Davon gingen 4,5 Millionen Einheiten in den Export. Das sind rund 77 Prozent - ein Rekordergebnis. Von den über 65 Millionen Pkw, die 2011 weltweit verkauft wurden, tragen 20 Prozent ein deutsches Markenzeichen. Für 2012 erwarten wir deutlich mehr Gegenwind. Die hohen Wachstumsraten, die wir 2011 verbuchen konnten, lassen sich in dieser Form nicht einfach fortschreiben. Insbesondere Westeuropa macht uns Sorgen. Insgesamt erwarten wir 2012, trotz der Probleme, vor allem in Südeuropa ein Wachstum des weltweiten Pkw-Marktes von 4 %. Das sind gute Perspektiven. Unsere Unternehmen sind gegenüber vielen Wettbewerbern global breiter aufgestellt und potenzielle Nachfragerückgänge in einzelnen Regionen können so durch andere Wachstumsmärkte aufgefangen werden. Gleichzeitig verfügen wir über einen Weltmarktanteil von 80 Prozent im weniger konjunkturabhängigen Premiumbereich. Nachfragerückgänge in einzelnen Regionen und Schwankungen im Volumenmarkt sind aktuell dennoch spürbar. In den ersten vier Monaten des Jahres wuchs der Automarkt in Deutschland insgesamt um 1,8 Prozent auf rund 1,048 Millionen Neuzulassungen. Der deutsche Pkw-Markt erweist sich damit als Stabilitätsanker in einem schwierigen europäischen Marktumfeld. Das Vertrauen in deutsche Technik wird in vielen Ländern durch deutsche Autos geprägt. Wir sind eine bedeutende Visitenkarte Deutschlands in der Welt. Mit dem Vertrauen in deutsche Qualität ebnen wir den Weg in die internationalen Märkte. Elektromobilität aus Deutschland kann und wird hier erfolgreich anknüpfen und dabei zu einem bedeutenden Faktor für den Industrie- und Wissenschaftsstandort Deutschland werden. Dies lässt sich nur über massive Investitionen in Forschung und Entwicklung realisieren. Der finanzielle Aufwand für unsere Branche ist enorm. Trotz aller negativen wirtschaftlichen Randbedingungen in den vergangen Jahren haben wir die F&E-Investitionen stabil gehalten – und den F&E-Anteil am Umsatz gesteigert. Die Automobilindustrie steht für mehr als ein Drittel der gesamten industriellen Forschungsleistungen. Rund die Hälfte der Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen der Automobilindustrie geht dabei in grüne Technologien. 2. Mobilität heute und morgen „Die Mobilität von morgen“: Das ist ein großes Thema. Und wo fängt man da am besten an, wenn nicht bei der Definition: Mobilität kommt aus dem Lateinischen von mobilitas und bedeutet Beweglichkeit, Fortbewegung, Lageveränderung. Es geht also um die Bewegung von Menschen und Gütern zwischen verschiedenen Orten, kurz: um eine grundlegende Funktion des Wirtschafts- und des Privatlebens. Mobilität passiert auf unseren Straßen, die Transportmittel sind unsere Fahrzeuge. Hier entsteht im ökonomischen Sinn ein Markt mit einem Bedarf, der bedient und auch gemanaged werden kann. Mobilität ist also kein Luxusgut, sondern ein elementares Bedürfnis der Menschen und wechselseitig Voraussetzung und Ausdruck für ökonomischen Fortschritt. Wichtig ist: Für die Entwicklung kundengerechter und zukunftsweisender Mobilitätsangebote müssen wir zunächst die Motive und Zwecke für die zurückgelegten Wege verstehen. Umfangreiche Studien widmen sich dieser Fragestellung. Sie analysieren die zukünftige Mobilität in Deutschland, Europa und der Welt. Eine repräsentative Studie zur Mobilität in Deutschland, die von der DLR veröffentlichte Studie “Mobilität in Deutschland, MID 2008“, zeigt beispielsweise, dass eine „durchschnittliche Person“ pro Tag 3,4 Wege und durchschnittlich eine Gesamtstrecke von 39 Kilometern zurücklegt. Der einzelne Weg ist damit im Durchschnitt knapp

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zwölf Kilometer lang. 79 Prozent aller zurückgelegten Distanzen werden im motorisierten Individualverkehr (MIV) absolviert. Dabei haben Elektrofahrzeuge ein enormes Marktpotenzial. Die im Auftrag von Continental durch das Marktforschungsinstitut infas erstellte Continental-Mobilitätsstudie 2011 zeigt, dass 99 Prozent der Deutschen kennen Elektrofahrzeuge und in Deutschland fahren neun von zehn Pkw-Nutzern weniger als 100 Kilometer täglich. Das zeigt mit den aktuellen elektrischen Reichweiten bis zu 150 Kilometern könnten in Deutschland bereits 52 Prozent der Autofahrer ihren Alltag problemlos bewältigen, mit künftig noch leistungsfähigeren Energiespeichern und Reichweiten bis zu 300 Kilometern könnten sich sogar 97 Prozent der Autofahrer ihre Mobilitätswünsche problemlos erfüllen. Der Anteil des motorisierten Individualverkehrs am Gesamtverkehrsaufkommen ist über die vergangenen Jahre nahezu konstant hoch. Die Untersuchungen bestätigen: Der Pkw ist und bleibt das wichtigste Verkehrsmittel. Freizeit und Einkaufen sind die häufigsten Gründe, um aus dem Haus zu gehen; zusammen bilden sie über 50 Prozent der Wegezwecke. Zugleich reduziert sich die relative Bedeutung von Arbeitswegen und dienstlichen Wegen. Wichtige Gründe hierfür sind die weitere Zunahme der Einpersonenhaushalte sowie der demografische Wandel. Der Anteil der Erwerbspersonen an der Gesamtbevölkerung wird schrumpfen und der zunehmende Anteil der home-office-Nutzungen führen zu einer leichten Verminderung des Berufsverkehrs. Hinsichtlich des Güterverkehrs auf den Straßen ist sicher, dass dieser weiter deutlich zunehmen wird. Allein für das Jahr 2025 wird ein Anstieg seiner Fahrleistung um knapp 30% auf 101,7 Mrd. Fahrzeugkilometer vorausgesagt. Dies würde bedeuten, dass der Güterverkehrsanteil im Durchschnitt aller Straßenkategorien von heute 11,4% auf 12,5% im Jahr 2025 zunehmen würde. Bis 2050 wäre ein Güterverkehrsanteil von fast 20% zu erwarten. Die Dynamik des Straßengüterverkehrs ist also ungebrochen. Dies bringt die Herausforderung mit sich, Güterverkehr noch nachhaltiger zu organisieren. Innovative Nutzfahrzeugkonzepte wie der Lang-Lkw können in ihrem Einsatzfeld zwischen logistischen Knoten einen wichtigen Beitrag zur Effizienzsteigerung im Straßengüterverkehr leisten. Im stark wachsenden, kleinräumigen Verteilerverkehr in den Ballungsräumen gilt es, neue intelligente City-Logistikkonzepte zu entwickeln. Um die Effizienz weiter zu steigern und den Verbrauch weiter zu reduzieren, werden in naher Zukunft Hybridantriebe zum Einsatz kommen. Das gilt insbesondere im Verteilerverkehr. Für den innerstädtischen Lieferverkehr mit kurzen Strecken sind auch batterieelektrische Fahrzeuge denkbar. Dies werden wir so in den Schaufensterprojekten Elektromobilität sehen können. Der innerstädtische Verteilverkehr verfügt über ein nahezu ideales Nutzungsprofil für elektrische Fahrzeuge. Das Grundbedürfnis nach Mobilität ist in hochverdichteten Kernstädten, im verdichteten Umland und in ländlichen Kreisen ähnlich stark ausgeprägt. Allerdings gibt es auch spürbare Unterschiede. In den verdichteten Räumen nehmen Verkehrsaufkommen und Verkehrsleistung zu, in den ländlichen Kreisen dagegen ab. Die Bewohner der ländlichen Räume sind pro Tag zwar ebenso häufig unterwegs wie die Bewohner der verdichteten Kreise und der Kernstädte. Dabei legen sie längere Strecken zurück, benötigen jedoch weniger Zeit. Die Bewohner der Kernstädte sind wesentlich häufiger mit öffentlichen Verkehrsmitteln und zu Fuß unterwegs als die Bewohner der verdichteten und der ländlichen Kreise. Die Urbanisierung wird dazu führen, dass car sharing-Konzepte eher genutzt werden als heute. Aspekte rund um das Thema car-sharing wurden hier heute Mittag bereits angesprochen. Diese Konzepte setzen eine Basisversorgung der Mobilität durch den öffentlichen Personennahverkehr voraus, diese wird dann im Bedarfsfall durch Carsharing-Angebote oder Mietwagen ergänzt. In diesem Bereich hat sich die Automobilindustrie zum Anbieter weiterer innovativer Mobilitätsdienstleistungen entwickelt. Neue und alternative Mobilitätsformen ergänzen unsere bekannten Formen der individuellen Mobilität. Deutsche Unternehmen wie Daimler mit

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"Car2Go", BMW mit "Drive Now", und Volkswagen mit "Quicar - Share a Volkswagen" sind bereits am Markt. Dabei ist CarSharing auch gerade interessant, weil es ein Seismograph für technologische Präferenzen sein kann. Autokritische Zukunftsforscher prophezeien allenthalben die bevorstehende Autodämmerung und haben das eigene Auto schon abgeschrieben. Sie beziehen sich dabei auf die Reurbanisierung, die steigenden Energiepreise und machen – gerade unter jungen Leuten – einen ganz allgemeinen kulturellen Trend weg vom Auto aus. Dass alle jüngeren Menschen als „digital natives“ generell autouninteressiert seien, stimmt nicht. Richtig ist zwar: Bei den 18-29-Jährigen zeigt sich in den letzten 20 Jahren ein klar abnehmender Motorisierungsgrad. Das ist aber nicht mit Desinteresse zu verwechseln. Tatsächlich zeigt sich, dass junge Leute von heute nach wie vor eine große Wertschätzung gegenüber dem Auto haben. Eine Untersuchung des Instituts TNS infratest vom November 2010 förderte zutage, dass für 81% der 18-34-jährigen das erste eigene Auto etwas „ganz besonderes“ ist. Für 75% ist es wichtig, ein eigenes Auto zu besitzen. Auf ein eigenes Auto zu verzichten, käme noch nicht einmal für jeden Vierten dieser Gruppe infrage. Damit entspricht diese Quote dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung. Über 90 % – und damit mehr als in anderen Altersgruppen – sagen die 18-29-jährigen: „Autofahren macht mir einfach Spaß!“ Junge Menschen lassen sich von der Elektromobilität emotional begeistern und finden diese Form des Antriebes dabei richtig „cool“. Nimmt man nun alle wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Megatrends zusammen, so zeigen die heute verfügbaren Prognosen, dass sich nicht nur das heutige Niveau des Personenverkehrs halten wird, sondern dass auch das Auto noch über viele Jahrzehnte seinen heutigen Anteil von ca. 80% an diesem Markt halten, wenn nicht sogar noch vergrößern wird. Für einen Abgesang auf das Auto gibt es daher keinen Grund – zumal es bewiesen hat, dass es in der Lage ist, sich immer wieder selbst neu zu erfinden und sich den Herausforderungen und Trends der Zeit anzupassen. Kommen wir jetzt zu der Frage, wie die Automobilindustrie diesem Bedarf an Mobilität nachhaltig begegnet. 3. Die Fächerstrategie des VDA Der noch lange Weg „weg vom Öl“ wird nicht über eine einzelne Technik führen, sondern eine Vielfalt unterschiedlicher Ansätze beinhalten. Die Automobilindustrie verfolgt daher einen von ihr ausgearbeiteten strategischen Dreiklang des Einsparens, des Ergänzens und des Ersetzens! Mit dieser Strategie verbinden wir kurzfristig erreichbare und langfristig umzusetzende Maßnahmen in Richtung Nachhaltigkeit und CO2-Reduktion. Diese so genannte Fächerstrategie reicht von der Optimierung der konventionellen Verbrennungsmotoren über den Einsatz alternativer Kraftstoffe bis zur Elektrifizierung des Antriebsstranges. Jedes Prozent Effizienzsteigerung verringert die Abhängigkeit von fossilen Treibstoffen. Unsere Fahrzeuge sind dabei schon heute hocheffizient. Und wir arbeiten unablässig an weiteren Optimierungen. Bei der Einsparung geht es darum, den Verbrennungsmotor hin zu einem noch geringeren Kraftstoffverbrauch weiterzuentwickeln. Hier ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Das sogenannte Downsizing durch Hochaufladung und Hubraumverkleinerung – ist ein vielversprechender Weg, um einen niedrigen Verbrauch zu erzielen. Die Weiterentwicklungen konzentrieren sich auf die Verbesserung der Effizienz und damit auf die Reduktion der CO2-Emissionen. Leichtbau, variable Ventilsteuerungen, Start-Stopp-Systeme, Thermomanagement und Getriebe- optimierung sind weitere Schlüssel zur Effizienzsteigerung. Gegenüber der Standard-Motor-Technik sehen wir bis zum Ende dieses Jahrzehnts ein Einsparvolumen von bis zu 25 %. Neue Technologien ermöglichen uns, unsere Fahrzeuge zu verbessern. Aber neue Technologien fallen nicht vom Himmel, sondern sind das Ergebnis harter Arbeit und gewaltiger Investitionen in Forschung und Entwicklung. Rund 20 Milliarden Euro investieren unsere

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Unternehmen jährlich in diesen Bereich. Die Ergebnisse können sich sehen lassen: Laut der Statistik des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) haben unsere Fahrzeuge in allen 10 Fahrzeugsegmenten - von den Kleinwagen über die Vans bis hin zu den Sport- und Geländewagen - durchschnittlich auch absolut einen kleineren CO2-Wert als die Importeure. Beim Ziel, die CO2-Emissionen bis zum Jahr 2015 auf 130 g/km zu senken, sind wir auf Kurs. Vor vier Jahren erreichten unsere in Deutschland neu zugelassenen Pkw einen durchschnittlichen CO2-Wert von 170 Gramm pro Kilometer. Vor zwei Jahren waren es bereits 154 Gramm. Und aktuell liegen wir bei 143,6 g CO2/km. Unser Weg ist allerdings mit großen Anstrengungen verbunden. Er wird sich in diesem Tempo nicht unbegrenzt fortsetzen lassen. Die Verknüpfung von Nachhaltigkeit und wirtschaftlichem Erfolg verlangt uns alles ab. Je weiter wir in der Entwicklung fortschreiten, desto aufwendiger werden die Maßnahmen, die zu reduzierten CO2-Emissionen beitragen. Die zweite Säule unserer Fächerstrategie ist die Ergänzung und der langfristige Ersatz der herkömmlichen fossilen Kraftstoffarten durch Biokraftstoffe. Diese leisten einen wichtigen Beitrag für Klimaschutz und Versorgungssicherheit, weil sie helfen, die Abhängigkeit vom Öl zu reduzieren. Der Einsatz von Biokraftstoffen hat den entscheidenden Vorteil, dass die CO2-Einsparungen sofort im gesamten Pkw-Bestand mit Ottomotor auf deutschen Straßen wirksam werden. Die weit überwiegende Mehrheit der Pkw mit Ottomotor in Deutschland kann mit E10 betankt werden. Insgesamt sind rund 99 Prozent der Pkw deutscher Hersteller mit Benzinmotor für die neue Kraftstoffsorte geeignet. Dass sich immer noch viele Autofahrer für eine andere, teurere Kraftstoffsorte entscheiden, liegt nicht an mangelnder Information über die Verträglichkeit. Die deutschen Hersteller haben eine detaillierte Übersicht veröffentlicht, welche Modelle E10-tauglich sind. Viele Kunden haben noch immer Zweifel am ökologischen Nutzen von E10. Obwohl Nachhaltigkeitskriterien sicherstellen, dass die Kraftstoffe nicht zur Verdrängung von Lebensmittelproduktion oder Regenwäldern führten, sondern aus nachhaltigem Anbau stammten, bleiben bei den Verbrauchern offene Fragen. Die Automobilhersteller, Händler und Werkstätten werden die laufende Information fortsetzen, um die Akzeptanz für E10 zu erhöhen. Gleichzeitig ist zu empfehlen die Werbung an den Tankstellen zu verstärken. Eine Flankierung der Maßnahmen der Industrie durch die Politik unter Ausnutzung ihrer Möglichkeiten der Verbraucherinformation kann zu einer weiteren Akzeptanzverbesserung führen. Für die Zukunft setzen wir auf die intelligenten Biokraftstoffe der 2. Generation. Diese Biokraftstoffe der 2. Generation werden aus landwirtschaftlichen Abfallprodukten gewonnen und haben eine hohe Qualität. Sie leisten zudem einen erheblichen Beitrag zum Klimaschutz und sind in ihrer gesamten Umweltbilanz den heutigen Kraftstoffen deutlich überlegen. Neben den Verbrennungsmotoren setzen unsere Unternehmen auf die Elektrifizierung des Antriebsstranges. Dies ist die dritte Säule der Fächerstrategie. Gemeint ist dabei die Elektromobilität in all ihren Ausprägungen:

• Hybrid Fahrzeuge • Plug-in-Hybrid Fahrzeuge • Range-Extender Fahrzeuge • batteriebetriebene Elektrofahrzeuge und • Fahrzeuge mit Brennstoffzelle.

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Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, dass bis zum Jahr 2020 eine Million Elektrofahrzeuge auf Deutschlands Straßen fahren. Damit wäre Deutschland Leitmarkt für Elektromobilität. Dieses Ziel unterstützt die deutsche Automobilindustrie. Wir wollen aber auch im Sinne des Industriestandortes Leitanbieter sein. Das heißt, die Fahrzeuge sollen auch hier in Deutschland gebaut werden. Wir alle wissen jedoch: Die Einführung von Elektrofahrzeugen im Markt wird kein Selbstläufer werden. Um die beiden Ziele Leitmarkt und Leitanbieter zu realisieren, müssen die Rahmenbedingungen für Forschung, Pilotfertigung und Markteinführung stimmen. Die deutsche Automobilindustrie hat mit intensiven Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen erhebliche Fortschritte erzielt. Bis 2014 werden die deutschen Hersteller 15 neue elektrifizierte Fahrzeugmodelle auf den Markt bringen. Jeder einzelne dieser Serienanläufe steht für hunderte Millionen Euro Entwicklungskosten. Sie sehen, die Elektromobilität steht weiterhin oben auf der Agenda der deutschen Automobilindustrie Im 2. Bericht der NPE wurde beschrieben, dass die Technologieleuchttürme das Rückgrat einer Innovationsstrategie Elektromobilität bilden. Sechs F&E Leuchttürme wurden auf den Weg gebracht.

1) Leuchtturm Batterie 2) und 3) Leuchttürme Antriebstechnologie und Fahrzeugintegration 4) Leuchtturm Leichtbau 5) Leuchtturm Recycling 6) Leuchtturm IKT (Informations- und Kommunikationstechnologie) und Infrastruktur

Die deutsche AI beteiligt sich in grösser Breite an den jeweiligen Themenclustern der Forschungs- und Entwicklungsleuchttürme. So investieren z.B. Daimler, BMW, Audi in die Entwicklung neuer Systeme und Technologien auf dem Gebiet des Leichtbaues. Kompetenzzentren entstehen dabei in Hamburg (Daimler), Wackersdorf und Landshut (BMW) und Ingolstadt und Neckarsulm (Audi). Im Bereich der Antriebstechnologie sind die Zulieferer Bosch und Continental jeweils auf dem Feld der Entwicklung und Produktion neuer Elektromotoren aktiv. Das im vergangenen Jahr beschlossene Regierungsprogramm Elektromobilität enthält erste richtige Schritte. Diese sollten konsequent umgesetzt werden. Denn das laufende Jahr 2012 stellt für den Markthochlauf für Elektrofahrzeuge in Deutschland wichtige Weichen. Unterstützend zum Markthochlauf und den Forschungsprojekten muss Elektromobilität erlebbar und im Wortsinne „erfahrbar“ werden. Den Empfehlungen der Nationalen Plattform Elektromobilität folgend, konzentrierte Schaufensterprojekte zu schaffen, hat die Bundesregierung im letzten Jahr ein entsprechendes Wettbewerbsverfahren gestartet und dann Anfang April diesen Jahres Ihre Entscheidung für vier "Schaufensterregionen" vorgestellt. Im Rahmen des Programms "Schaufenster Elektromobilität" werden

• Living Lab BW E-Mobil (Baden-Württemberg) • Internationales Schaufenster der Elektromobilität (Berlin/Brandenburg) • Unsere Pferdestärken werden elektrisch (Niedersachsen) • Elektromobilität verbindet (Bayern/Sachsen)

gefördert. Diese Testfelder sollen die Elektromobilität alltagtauglich und für den Kunden konkret erlebbar machen, denn am Ende ist er es, der mit seiner Kaufentscheidung über den Markterfolg dieser

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Technologie bestimmt. Für das auf drei Jahre angelegte Programm stellt der Bund Fördermittel in Höhe von bis zu 180 Mio. Euro zur Verfügung. Die Projekte werden dabei gleichzeitig durch die Wirtschaft und entsprechende Landesmittel kofinanziert. Ziele der Schaufensterregionen sind Erkenntnisse zum Beispiel zum Nutzerverhalten und zum Zusammenspiel der verschiedenen Technologien im Alltag zu sammeln und gleichzeitig die Technologie-, Dienstleistungs- und Interaktionskompetenz der deutschen Wirtschaft in einem abgegrenzten System zu demonstrieren. Ein wesentlicher Aspekt ist dabei die Einbindung einer breiten Öffentlichkeit sein, mit der Zielsetzung: Akzeptanz zu schaffen, Interesse zu wecken und dadurch eine Marktbereitschaft generieren. Wir erwarten, dass Deutschland mit diesen Schaufenstern auf dem Weg in Richtung Leitmarkt und Leitanbieter erheblich vorankommen wird. Denn für den Bürger wird Elektromobilität dann sichtbar und erlebbar. Wir wissen: Wer schon einmal ein Elektroauto gefahren hat, ist von dieser emissionsfreien Mobilität gerade in urbanen Räumen begeistert. Gemeinsam mit Vertretern der vier Schaufensterregionen wurden hier, auf dem 2. eMobility Summit des Tagesspiegel, der an einem der Schaufensterstandort veranstaltet wird, bereits entsprechende Diversitäten der einzelnen Regionen vorgestellt und intensiv betrachtet. Mit den Schaufensterregionen findet die Elektromobilität in Deutschland überregionale Keimzellen, Wegbereiter und Multiplikatoren. Die Berücksichtigung von Groß- und Mittelstädten, überregionalen Verbünden in Kombination mit einem hohen Industriecommittment und der breiten Einbindung kleiner und mittlere Unternehmen sowie die intensive Zusammenarbeit mit der Wissenschaft stellen eine hervorragende Basis für den systematischen Ausbau von Schaufensterregionen zu einer bundesweiten Elektromobilität dar. Lassen Sie mich kurz einige der Themen und Schwerpunkte aus den 4 Schaufensterregionen nennen. Im „Living Lab BW E-Mobil (Baden-Württemberg)“ stehen der Flottenbetrieb, das Carsharing und die Intermodalität auf dem Fahrplan zum systematischen Ausbau von Metropolregionen hin zu einer landesweiten und grenzübergreifenden Elektromobilität. Das „Internationale Schaufenster der Elektromobilität (Berlin/Brandenburg)“ stellt u.a. die Emissionsfreie Mobilität im Personen- und Güterverkehr und die Elektromobilität als Teil des Smart Grid in einer internationalen Metropole in Kombination mit einem Energie- und Flächenland dar. Im Schaufenster „Unsere Pferdestärken werden elektrisch (Niedersachsen)“ werden wir Elektromobilität ohne Hindernisse sowie die dezentrale Energieerzeugung bei einer guten Mischung aus Groß- und Mittelstädten wiederfinden. Das „Schaufenster Elektromobilität verbindet (Bayern/Sachsen)“ umfasst Metropolen bis hin zum ländlichen Raum und wir die Langstreckenmobilität abbilden. Der Entscheidung der Bundesregierung für diese vier Schaufensterregionen schließt sich ein Verfahren zur Prüfung und Bewilligung der in den erfolgreichen Schaufenstern gebündelten Einzelprojekte an. In der aktuellen zweiten Verfahrensstufe werden die förmlichen Projektanträge durch die Projektträger bearbeitet und das Ziel der Bundesregierung ist es, im laufenden Jahr die ersten Fördermittelbescheide auszustellen. Wir sollten alles dafür tun, damit die Mobilität von morgen nicht nur in Asien oder Amerika von den Bändern rollt, sondern hier am Standort Deutschland. Diesen Anspruch haben auch die Kunden an die deutsche Automobilindustrie. Wir werden das Ziel nur gemeinsam erreichen. Wir brauchen den Schulterschluss mit der Politik – und wir brauchen Kooperationen mit Hochschulen und anderen Partnern. Politik, Wirtschaft und Wissenschaft sind aufgefordert, diese Vision zur „gesellschaftlichen Realität“ zu machen. Und die deutsche Automobilindustrie wird ihren Beitrag leisten, um auch künftig den hohen Kundenansprüchen gerecht zu werden.

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Die Entwicklung von leistungsstarken, leichten, kompakten und schnell aufladbaren Batterien steht dabei im Mittelpunkt der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten der kommenden Jahre. Denn erst mit einem technologischen Quantensprung in der Speicherung elektrischer Energien wird sich die Elektromobilität in größerem Rahmen durchsetzen. Bei der Batterieforschung gibt es in Deutschland bereits Fortschritte. In Dresden, München, Münster und Ulm entstehen Kompetenzzentren der Batterieforschung. Denn eine der größten Herausforderungen sind die Kosten für die Elektromobilität. In den kommenden Jahren werden die Anschaffungs- und Betriebskosten eines Elektroautos noch um mehrere tausend Euro über denen eines vergleichbaren Pkw mit Verbrennungsmotor liegen. Dieser Preisunterschied ist ein erhebliches Kaufhindernis.

Betrachten wir nur die Betriebskosten eines Elektrofahrzeugs sind diese bereits mit den heutigen Strom- bzw. Benzinkosten im Vergleich zu konventionellen Fahrzeugen deutlich geringer. Aufgrund der hohen Anschaffungskosten lägen die Gesamtkosten („Total Cost of Ownership") für den Kunden trotzdem in den kommenden Jahren um mehrere tausend Euro über denen eines vergleichbaren Pkw mit Verbrennungsmotor („TCO-Lücke"). Hauptgrund dafür sind Batteriekosten.

Daher sollen zukünftig Käufer eines Elektroautos für zehn Jahre von der Kfz-Steuer befreit werden. Es ist gut, dass die Bundesregierung diese Kfz-Steuerreform bereits auf den Weg gebracht hat. Auch die Nutzer eines elektrisch angetriebenen Dienstwagens müssen aufgrund der hohen Batteriekosten vergleichsweise mehr zahlen, denn der zu versteuernde geldwerte Vorteil beträgt ein Prozent des Bruttolistenpreises. Dieser Nachteil ist auszugleichen. Wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass wir ohne marktstimulierende Maßnahmen nur ca. 500.000 Fahrzeuge in 2020 auf deutschen Straßen sehen werden. Das ist die Schätzung der NPE-Experten, die wir teilen. Leitmarkt zu sein erfordert eben auch die richtigen Rahmenbedingungen – um den Nutzen der zunächst sehr teuren Fahrzeuge zu maximieren. Nehmen wir als Bespiel die privilegierte Nutzung von ausgewiesenen Parkflächen in den Innenstädten durch elektrifizierte Fahrzeuge. Für die Umsetzung bedeutet das, diese Fahrzeuge müssen nach bestimmten Kriterien ausgewählt und gekennzeichnet werden. Welche Fahrzeuge sollten das unserer Meinung nach sein:

• Plug-in-Hybrid und Range-Extender Fahrzeuge • batteriebetriebene Elektrofahrzeuge und • Fahrzeuge mit Brennstoffzelle.

Diese Fahrzeuge verfügen über die technischen Voraussetzungen, mit regenerativen Energien geladen zu werden. Und mit dem rein elektrischen Fahrbetrieb kommen die Vorteile gegenüber konventionellen Antrieben in der lokalen Emissionsfreiheit zusätzlich zur Geltung. Die klassische Keimzelle der Elektromobilität sind die Ballungsräume, wo die Fahrten kurz sind und durch häufiges Bremsen Energie zurückgewonnen wird. Ein dichtes Netz an Ladestationen kann hier die entsprechende Versorgungssicherheit gewährleisten. Bei Langstreckenverkehren wird zweifellos der Verbrennungsmotor auf lange Sicht eine sehr wichtige Rolle einnehmen. Eine Analyse des noch jungen Marktes für Elektrofahrzeuge zeigt, dass dieser Preisunterschied ein erhebliches Kaufhindernis darstellt. Wir beobachten, dass der Absatz von elektrisch betriebenen Pkw weltweit steigt – allerdings auf einem insgesamt noch sehr niedrigen Niveau. Gemeinsam mit den USA und Japan gehörte Deutschland zu den großen Absatzmärkten für Elektroautos. Jetzt kommt es entscheidend darauf an, in dem immer intensiver werdenden Wettbewerb zwischen den Staaten die gute Position Deutschlands zu halten und auszubauen.

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Für uns ist jedoch nicht nur entscheidend, wie viele Fahrzeuge in absehbarer Zeit unterwegs sein werden, sondern wo diese gebaut werden und wo die entsprechenden Arbeitsplätze angesiedelt sind. Wir wollen Leitanbieter für Elektromobilität sein und sind gut unterwegs. Aber nicht nur die Automobilindustrie, die gesamte deutsche Industrie hat beste Voraussetzungen, bei der Elektromobilität eine globale Führungsrolle zu übernehmen. Sie ist heute in vielen der relevanten Felder Technologie- und Innovationsführer: Elektronik, Energietechnik und Chemie. Jetzt gilt es, auch in der Zukunftstechnologie Elektromobilität die Vorreiterrolle zu übernehmen. Dass wir auf dem richtigen Weg sind zeigt der aktuelle Elektromobilitätsindex EVI der Unternehmensberatung McKinsey. Deutschland hat China bei der Elektromobilität überholt. Der Elektromobilitätsindex EVI zeigt das Deutschland in den vergangenen eineinhalb Jahren deutlich schneller vorangekommen ist als China. Die Arbeit der Nationalen Plattform Elektromobilität trägt Früchte. Deutschland ist auf einem guten Weg, Leitanbieter und Leitmarkt für Elektrofahrzeuge zu werden. Nun wird deutlich, dass die weltweit einzigartige Bündelung aller Kräfte aus Industrie, Wissenschaft, Politik, Gewerkschaften und Gesellschaft ein echtes Erfolgsrezept ist. Dabei hat die Bundesregierung mit ihren Entscheidungen gezeigt, dass sie an dem gemeinsamen Ziel von einer Million Elektrofahrzeugen im Jahr 2020 weiter festhält. Deutschland hat sich im Elektromobilitätsindex EVI gegenüber Juni 2010 von 1,3 auf 2,0 Punkte verbessert. China hingegen erreichte nur einen geringen Fortschritt von 1,4 auf 1,5 Punkte. Der Index misst den Fortschritt bei der Entwicklung alternativer Antriebe und die Reife von Elektromobilitätsmärkten. In die Erhebung fließen Einzelfaktoren wie die erwartete Elektrofahrzeugproduktion, Prototypen, Förderung von Forschung und Infrastruktur sowie Anreize für potenzielle Käufer von Elektroautos ein. Ein starkes und gutes Signal, diese Werte müssen nun verstätigt und weiter ausgebaut werden. Jetzt kommt es entscheidend darauf an, in dem immer intensiver werdenden Wettbewerb zwischen den Staaten die gute Position Deutschlands zu halten und auszubauen. Der im 2. Bericht der NPE empfohlene Maßnahmenmix ist dazu nach wie vor der richtige Weg. 4. Systemischer Ansatz und Mobilität 3.0 Unsere Autos werden zukünftig nicht nur verstärkt elektrisch angetrieben. Sie werden auch intelligenter. Und damit wachsen sie über die Aufgaben des reinen Transportes hinaus. Mit mehr Intelligenz im Auto ermöglichen wir die Vernetzung der Fahrzeuge, neue Funktionen, mehr Sicherheit und mehr Infotainment. Und dazu haben wir viele neue Innovationen in der Pipeline. Das vernetzte Fahrzeug mit dem Zusammenspiel zwischen Mensch, Straßeninfrastruktur und Fahrzeugtechnik nimmt bei der modernen Mobilität einen immer größeren Stellenwert ein. Mit SimTD“ ´sichere, intelligente Mobilität – Testfeld Deutschland` wurde vom VDA das weltweit größte Forschungsprojekt zum vernetzten Auto initiiert. Zu diesem Konsortium gehören 18 Projektpartner, darunter Audi, BMW, Daimler, Ford, Opel und Volkswagen – sowie die Zulieferer Bosch und Continental. Jetzt im Frühjahr 2012 beginnt der Großversuch in Hessen, bis Juli werden die 120 Fahrzeuge der Versuchsflotte umgerüstet und auf die Straße gebracht. Wir versprechen uns daraus bessere Lösungen für verschiedenste Verkehrssituationen. Beispielsweise kann ein hinter einer Kurve oder einer Bergkuppe liegen gebliebenes Fahrzeug automatisch ein Warnsignal an alle nachfolgenden Fahrzeuge abgeben. Auch die aktuelle Fahrtgeschwindigkeit auf den einzelnen Streckenabschnitten wird an die nachfolgenden Fahrzeuge oder über die Infrastruktur an die Verkehrsleitzentralen kommuniziert. So wird bei Staus eine viel schnellere Umleitungsempfehlung ermöglicht als bisher. Langfristig ist mit intelligenten Verkehrssystemen an noch weiter reichende Anwendungen zu denken. Autos, die in der Lage sind, beim Vorbeifahren Parklücken am Straßenrand zu erkennen, geben diese Information an umgebende Fahrzeuge ab, deren Fahrer gerade auf der Suche nach einem Parkplatz sind. Immerhin macht der Parksuchverkehr in Großstädten je nach

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Wochentag und Tageszeit zwischen 7% und 21% des Gesamtverkehrs aus. Natürlich unter der Voraussetzung, dass datenschutzrechtliche Vorgaben eingehalten werden, würden Autofahrer eines Tages durch ihr Auto vor herannahenden Fußgängern und Fahrradfahrern gewarnt werden, wenn diese für den Fahrer noch gar nicht sichtbar sind. Auch mit Hinblick auf Infotainment erfindet sich das Auto immer wieder neu. Ich habe eben von den „digital natives“ gesprochen. Für sie ist die permanente Vernetzung eine Selbstverständlichkeit. Unsere Unternehmen wissen sehr genau, dass fast die Hälfte der 18- bis 25-Jährigen von einem vernetzten Auto erwartet, dass sie dort bei jeder Geschwindigkeit einen ungehinderten Zugang ins Internet haben und uneingeschränkt ihre Handys inklusive SMS-Funktion nutzen können. Auch darauf sind wir vorbereitet. Zu diesem Zweck ist bereits Software auf dem Markt, die dem Autofahrer empfangene SMS und E-Mails vorliest. Der Fahrer kann auch per Sprachsteuerung antworten, ohne Tasten bedienen zu müssen und so von der Straße abgelenkt zu sein. Damit treten wir in eine neue Phase der Automobilgeschichte ein: Haben wir uns bisher um die Transportmittel für Menschen und Güter im Schwerpunkt gekümmert, gestalten wir zukünftig unsere Autos zusätzlich als Kommunikationsknoten und Träger von Mobilitätsdienstleistungen. Dafür gibt es gute Gründe. Der Bedarf an Mobilitätsinformationen, gewerblich genutzten Diensten und Infotainment wächst rasant. Die Nachfrage gründet sich im Wesentlichen auf drei Bedürfnisse unserer Kunden:

• Verbesserung der Mobilität • Individualisierung des Autos • Schärfung der Markenidentität.

Fahrzeuge der Premiumklasse, trendige City Cars und Fahrzeuge mit alternativen Antriebstechnologien: Sie alle dienen als Technologie- und Innovationsträger für die Vernetzung. Bei Neufahrzeugen des oberen Fahrzeugsegmentes entwickelt sich die Vernetzung mit einer hohen Durchdringung von ca. 80% bis zum Jahre 2015 zum Standard. Bei den City Cars wird die Vernetzung auch durch die Smartphones geschehen. Dahinter verbirgt sich die Herausforderung für die Automobilindustrie, attraktive Dienste in der Geschwindigkeit bereitzustellen, die die Internetgemeinde gewohnt ist – und dabei keine Abstriche an der Qualität, die unsere Fahrzeugkunden gewohnt sind, zu machen. Wenn wir von „New Mobility“ reden, meinen wir genau innovative, nachhaltige Lösungen beim Antrieb, beim Fahrzeug und bei Informations- und Service- Dienstleistungen. „Volle Innovationshöhe bei höchster Qualität“: Mit unser Philosophie setzen wir die Benchmark für die neue Mobilität. 5. Wirtschaftsstandort Deutschland Lassen Sie mich zum Abschluss meiner Rede noch einige grundsätzliche Worte zum Wirtschaftsstandort Deutschland sagen. Dass wir die vergangenen Krisenjahre gut überstanden haben, verdanken wir unserer industriellen Basis und ihren international gefragten Produkten. Wir haben uns deutlich schneller erholt als unsere europäischen Nachbarn.Der Kern unserer Industrie: Elektrotechnik-Elektronik, Automobilbau, Maschinenbau und Chemie sind die eigentlichen Treiber unseres Erfolges. Damit dies auch zukünftig so bleibt, müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Das ist sicher nicht das Anliegen nur von Unternehmensführungen. Es ist vielmehr die Bedingung dafür, dass dieses Land, Deutschland, so stark bleiben kann, wie es heute ist. Um unseren wirtschaftlichen Erfolg – gerade in Zeiten der Finanz- und Schuldenkrisen – langfristig zu sichern, müssen wir uns zu den

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Voraussetzungen dieses Erfolges bekennen. Wir brauchen ein klares „Ja“ zu Industrie, zu Technologie, zu Innovation und zur Verkehrsinfrastruktur. Deutschland erwirtschaftet rund 27 Prozent der industriellen Bruttowertschöpfung der EU. Dies ist mehr als Großbritannien und Frankreich zusammen. Die Industrie steht für fast 90 Prozent der deutschen Exporte. Und in der Industrie erfolgen über 90 Prozent der F&E-Ausgaben der deutschen Wirtschaft. Eigentlich sollten wir uns dieser Zusammenhänge jederzeit bewusst sein. Dennoch geraten sie hierzulande immer wieder viel zu schnell in Vergessenheit. Ökonomisch notwendig Maßnahmen – mögen sie auch noch so unpopulär sein – müssen immer wieder ins Gewissen gerufen werden. Mit Blick auf die neuen Formen der Mobilität sind in Deutschland völlig neue branchenübergreifende Kooperationen entstanden. Diese branchenübergreifende Zusammenarbeit eröffnet neue Dimensionen und Perspektiven. Heute arbeiten Industrien Hand in Hand, die noch vor Jahren nicht so eng beieinander standen. Am Beispiel der Energiewirtschaft, der Chemischen Industrie und der Automobilindustrie wird das schnell sichtbar. Erneuerbare Energie fließt in neue Energiespeicher und treibt unsere Autos an. Die hier nur grob skizzierte Zusammenarbeit findet auf der ganzen Breite der Wertschöpfungskette mit allen beteiligten Industrien statt. Gleichzeitig stellen wir fest, dass es eine neue Zusammenarbeit gerade durch die Technologie der Elektromobilität zwischen der Großindustrie, kleinen und mittlere Unternehmen (KMU) und den Start-Ups gibt. Die Bündelung des Innovationspotentials mit der wirtschaftlichen Stärke stellt ein enormes Potential dar und trägt erste Früchte. Die vernetzte Kraftanstrengung aller beteiligten Industriezweige ist der richtige Weg, um die Querschnittsaufgabe Elektromobilität zu meistern. Wir sind wir auf einem guten Weg, die Chancen der Elektromobilität für den deutschen Wirtschaftsstandort erfolgreich zu nutzen. Vielen Dank!