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60. Jahrgang – ifo Schnelldienst 4/2007 3 Sozialstaat und Globalisierung Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs ist die Welt nicht mehr, wie sie war. Die 28% der Menschheit, von Polen bis China, die bis dahin im kommunistischen System gefangen waren, wollen nun das Markt- spiel so betreiben, wie es die 15%, die in den OECD-Ländern leben, schon vor- her getan haben. Und wenn man Indien hinzurechnet, dann treten nun sogar 45% der Menschheit der Marktwirtschaft westlichen Musters bei. Diese vielen Menschen sind arm, aber hoch motiviert und arbeitswillig. Sie bieten ihre Dienste auf dem Weltarbeitsmarkt an und berei- ten zunächst den einfachen Arbeitern der westlichen Länder eine massive Niedrig- lohnkonkurrenz. Schon die Beteiligung der asiatischen Tigerländer hat in den siebziger und achtziger Jahren des letz- ten Jahrhunderts eine erhebliche Nied- riglohnkonkurrenz gebracht, die die Ver- teilung der Löhne der meisten großen In- dustrieländer stärker gespreizt hat. Die Beteiligung der ex-kommunistischen Länder und Indiens verstärkt diesen Trend noch und bereitet damit den So- zialstaaten Westeuropas erhebliche Schwierigkeiten. Die westeuropäischen Länder haben sich dem Lohndruck bislang weitgehend wi- dersetzt, indem sie ein Bollwerk aus ex- pliziten gesetzlichen Mindestlöhnen und, noch effektiver, impliziten Mindestlöhnen auf dem Wege der Lohnersatzleistungen des Sozialstaates errichtet haben. Da- durch gelang es zwar, die Einkommens- verteilung kompakt zu halten, doch war eine wachsende Massenarbeitslosigkeit am unteren Rand der Qualifikationsvertei- lung die Folge. Besonders Deutschland leidet unter einer hohen Langzeitarbeits- losigkeit und einer extrem hohen Arbeits- losigkeit der Geringqualifizierten. Kein OECD-Land hat eine höhere Arbeitslosen- quote unter gering qualifizierten Arbeit- nehmern mittlerer Altersgruppen als Deutschland. Wenn keine größeren Reformen des deutschen Arbeitsmarktes und des So- zialsystems stattfinden, die den Markt- kräften wieder mehr Raum gewähren, wird die deutsche Arbeitslosigkeit auf Dauer nicht zu beherrschen sein. Die Ar- beitslosigkeit hat sich in einem linearen Trend, überlagert durch konjunkturelle Zyklen, über 35 Jahre hinweg aufgebaut. Eine Fortsetzung des Trends über aber- mals 35 Jahre würde den Anteil der offen und versteckt Arbeitslosen in Deutschland gegen 30% gehen lassen, was eine völlig unakzeptable Vorstellung ist. Dass die Konjunktur derzeit von neu- em in eine günstige Richtung vom Trend abweicht, darf man nicht als Trendwen- de interpretieren. Arbeitslosigkeit ist jedoch nicht gottge- geben; sie ist kein Schicksal, das man hinnehmen und verwalten muss. Dies- bezügliche Aussagen mancher Soziolo- gen rufen unter Ökonomen nur Kopf- schütteln hervor. Arbeitslosigkeit ent- steht vielmehr durch Ausweichreaktio- nen der Arbeitgeber, ausgelöst durch Löhne für einfache Arbeit, die oberhalb ihres markträumenden Niveaus festge- zurrt werden: Maschinen und Roboter treten an die Stelle von Menschen (»Werkhallen für Roboter«). Arbeitsintensive Binnensektoren wer- den zugunsten der wissens- und kapi- talintensiven Exportsektoren auf- gegeben, was bedeutet, dass nicht al- le einfachen Arbeiter mitgenommen werden (»pathologischer Exportboom«). Durch Outsourcing werden die arbeits- intensiven Vorproduktketten verlagert, und die frei werdenden Produktions- faktoren spezialisieren sich auf die ka- pital- und wissensintensiven Endstu- fen, was abermals zu einem Nettover- lust einfacher Arbeitplätze führt (»Ba- sareffekt«). Der technische Fortschritt wird so ge- lenkt, dass ohne einfache Arbeit pro- duziert werden kann (»Skill-biased technological progress«). Kapital wird als Finanzmittel oder durch Direktinvestitionen ins Ausland expor- tiert (»Kapitalflucht«). Haushaltsnahe Dienstleistungen wer- den als zu teuer empfunden und nicht mehr in Anspruch genommen (»Deut- sche dienen nicht«). Niedriglohnbereich: Ein Überblick Hans-Werner Sinn, Wolfgang Meister, Wolfgang Ochel und Martin Werding Reformkonzepte zur Erhöhung der Beschäftigung im

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60. Jahrgang – i fo Schne l ld ienst 4/2007

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Sozialstaat und Globalisierung

Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs istdie Welt nicht mehr, wie sie war. Die 28%der Menschheit, von Polen bis China, diebis dahin im kommunistischen Systemgefangen waren, wollen nun das Markt-spiel so betreiben, wie es die 15%, diein den OECD-Ländern leben, schon vor-her getan haben. Und wenn man Indienhinzurechnet, dann treten nun sogar 45%der Menschheit der Marktwirtschaftwestlichen Musters bei. Diese vielenMenschen sind arm, aber hoch motiviertund arbeitswillig. Sie bieten ihre Diensteauf dem Weltarbeitsmarkt an und berei-ten zunächst den einfachen Arbeitern derwestlichen Länder eine massive Niedrig-lohnkonkurrenz. Schon die Beteiligungder asiatischen Tigerländer hat in densiebziger und achtziger Jahren des letz-ten Jahrhunderts eine erhebliche Nied-riglohnkonkurrenz gebracht, die die Ver-teilung der Löhne der meisten großen In-dustrieländer stärker gespreizt hat. DieBeteiligung der ex-kommunistischenLänder und Indiens verstärkt diesenTrend noch und bereitet damit den So-zialstaaten Westeuropas erheblicheSchwierigkeiten.

Die westeuropäischen Länder haben sichdem Lohndruck bislang weitgehend wi-dersetzt, indem sie ein Bollwerk aus ex-pliziten gesetzlichen Mindestlöhnen und,noch effektiver, impliziten Mindestlöhnenauf dem Wege der Lohnersatzleistungendes Sozialstaates errichtet haben. Da-durch gelang es zwar, die Einkommens-verteilung kompakt zu halten, doch wareine wachsende Massenarbeitslosigkeitam unteren Rand der Qualifikationsvertei-lung die Folge. Besonders Deutschlandleidet unter einer hohen Langzeitarbeits-losigkeit und einer extrem hohen Arbeits-losigkeit der Geringqualifizierten. KeinOECD-Land hat eine höhere Arbeitslosen-quote unter gering qualifizierten Arbeit-nehmern mittlerer Altersgruppen alsDeutschland.

Wenn keine größeren Reformen desdeutschen Arbeitsmarktes und des So-zialsystems stattfinden, die den Markt-

kräften wieder mehr Raum gewähren,wird die deutsche Arbeitslosigkeit aufDauer nicht zu beherrschen sein. Die Ar-beitslosigkeit hat sich in einem linearenTrend, überlagert durch konjunkturelleZyklen, über 35 Jahre hinweg aufgebaut.Eine Fortsetzung des Trends über aber-mals 35 Jahre würde den Anteil deroffen und versteckt Arbeitslosen inDeutschland gegen 30% gehen lassen,was eine völlig unakzeptable Vorstellungist. Dass die Konjunktur derzeit von neu-em in eine günstige Richtung vom Trendabweicht, darf man nicht als Trendwen-de interpretieren.

Arbeitslosigkeit ist jedoch nicht gottge-geben; sie ist kein Schicksal, das manhinnehmen und verwalten muss. Dies-bezügliche Aussagen mancher Soziolo-gen rufen unter Ökonomen nur Kopf-schütteln hervor. Arbeitslosigkeit ent-steht vielmehr durch Ausweichreaktio-nen der Arbeitgeber, ausgelöst durchLöhne für einfache Arbeit, die oberhalbihres markträumenden Niveaus festge-zurrt werden:

– Maschinen und Roboter treten an dieStelle von Menschen (»Werkhallen fürRoboter«).

– Arbeitsintensive Binnensektoren wer-den zugunsten der wissens- und kapi-talintensiven Exportsektoren auf-gegeben, was bedeutet, dass nicht al-le einfachen Arbeiter mitgenommenwerden (»pathologischer Exportboom«).

– Durch Outsourcing werden die arbeits-intensiven Vorproduktketten verlagert,und die frei werdenden Produktions-faktoren spezialisieren sich auf die ka-pital- und wissensintensiven Endstu-fen, was abermals zu einem Nettover-lust einfacher Arbeitplätze führt (»Ba-sareffekt«).

– Der technische Fortschritt wird so ge-lenkt, dass ohne einfache Arbeit pro-duziert werden kann (»Skill-biasedtechnological progress«).

– Kapital wird als Finanzmittel oder durchDirektinvestitionen ins Ausland expor-tiert (»Kapitalflucht«).

– Haushaltsnahe Dienstleistungen wer-den als zu teuer empfunden und nichtmehr in Anspruch genommen (»Deut-sche dienen nicht«).

Niedriglohnbereich: Ein Überblick

Hans-Werner Sinn, Wolfgang Meister, Wolfgang Ochel und Martin Werding

Reformkonzepte zur Erhöhung der Beschäftigung im

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Niedriglohnsektor

Bis auf die letzte sind all diese Reaktionen zwar prinzi-piell richtig für eine Volkswirtschaft, die an den Segnun-gen einer verbesserten internationalen Arbeitsteilung par-tizipieren möchte. Sie haben aber nur dann das richtigeAusmaß, wenn die Lohnstrukturen, von denen sie hervor-gerufen werden, das Ergebnis eines freien Spiels vonAngebot und Nachfrage auf den Arbeitsmärkten sind.Wird der Lohn für einfache Arbeit durch politische Ein-flussnahme oberhalb des markträumenden Niveaus fest-gehalten, dann werden die Reaktionen im Übermaß for-ciert mit der Folge, dass Arbeitslosigkeit entsteht und dassdie Handelsgewinne, die eine effizient reagierende Volks-wirtschaft erzielen kann, beeinträchtigt oder sogar aufge-zehrt werden.

Die meisten Ökonomen sind sich einig, dass dieser Sach-verhalt eine Abschaffung der expliziten und impliziten Min-destlöhne nahe legt, die durch einschlägige Gesetze unddie Rückwirkungen des Sozialstaates zustande kommen.Für Deutschland heißt das, dass keine gesetzlichen Min-destlöhne eingeführt werden sollten und dass die Art undWeise, wie der Sozialstaat den weniger leistungsfähigenMitgliedern der Gesellschaft unter die Arme greift, grundle-gend verändert werden muss. Die bloße Finanzierung vonArbeitslosigkeit auf dem Wege des Lohnersatzes wird zu-nehmend als Irrweg der Sozialpolitik gesehen, weil sie im-plizit die Mindestlöhne erzeugt hat, die als wesentliche Ur-sache der deutschen Massenarbeitslosigkeit angesehenwerden können.

Einigkeit besteht natürlich auch darin, dass die Bildung ver-bessert werden muss, um die Produktivität der bislang Ge-ringqualifizierten anzuheben. Die Verbesserung des Schul-systems, von der Einrichtung flächendeckender Vorschu-len über die Ganztagsschule bis zu einem wettbewerblichenUniversitätssystem, sind wenig kontrovers. Solche Maßnah-men können aber schon deshalb den Umbau des Sozial-staats nicht ersetzen, weil sie eine sehr lange Ausreifungs-zeit haben.

Im Kern geht es darum, weniger Geld fürs Wegbleibenund mehr fürs Mitmachen zu geben, um auf diese Wei-se die Lohnkosten direkt oder indirekt über eine Verrin-gerung der Lohnansprüche zu senken. Welche Gewich-te diese beiden Alternativen bei den Ökonomen erhal-ten, erklärt sich vor allem dadurch, wie eng die staatlichenBudgetzwänge gesehen werden. Fast alle Ökonomensprechen sich für Zuschüsse an Geringverdiener aus, diean die Aufnahme eines Beschäftigungsverhältnisses ge-knüpft sind. Ökonomen, die eine Mehrbelastung des Staa-tes vermeiden wollen, plädieren zugleich dafür, die Leis-tungen für arbeitsfähige Personen, die nicht arbeiten, zuverringern oder im Austausch für diese Leistungen eineArbeitsleistung zu verlangen.

Die verglichenen Reformkonzepte

Nachdem das ifo Institut im Mai des Jahres 2002 seineStudie zur Aktivierenden Sozialhilfe vorgestellt hatte (vgl.Sinn et al. 2002), hat sich in Deutschland eine Diskussi-on zu den Möglichkeiten einer aktivierenden Sozialpolitikzum Zwecke der Entwicklung des Niedriglohnsektors er-geben, die bis zum heutigen Tage anhält und beständigan Breite gewinnt. Am Beginn der Diskussion standennoch im selben Jahr die Reaktionen der Hartz-Kommis-sion, des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesmi-nisterium für Wirtschaft und des Sachverständigenrats,die wesentliche Elemente des ifo-Vorschlages übernah-men.1 Es folgte die European Economic Advisory Groupat CESifo, und dann kam die Politik mit der »Agenda 2010«und dem Entwurf eines »Existenzgrundlagengesetzes«,das nach einem Erfolg im Bundesrat auch in die Verhand-lungen im Vermittlungsausschuss über die endgültige Fas-sung des »Vierten Gesetzes für Moderne Dienstleistun-gen am Arbeitsmarkt« einging, dort aber zurücktrat.2 DieMagdeburger Alternative wurde entwickelt (vgl. Schöbund Weimann 2003), und mittlerweile erinnert man sichwieder an die alten Konzepte einer negativen Einkom-mensteuer oder eines Bürgergeldes, die schon ein Jahr-zehnt früher vor allem von soziologischer Seite diskutiertworden waren, das IZA tritt für eine allgemeine Arbeits-verpflichtung für Sozialleistungsbezieher (Workfare) ein,und in Kiel wird die Idee der Einstellungsgutscheine pro-pagiert. In diesem Schnelldienstheft wird der Versuch un-ternommen, Ordnung in die Vielfalt der inzwischen aus-gearbeiteten Vorschläge zu bringen.

Zu diesem Zweck wurden einige der relevanten Autorengebeten, ihre Vorstellungen in knapper Form für den ifoSchnelldienst darzulegen. Im Einzelnen sind dies:

– die Autoren des ifo Instituts (Hans-Werner Sinn, Christi-an Holzner, Wolfgang Meister, Wolfgang Ochel und Mar-tin Werding; Aktivierende Sozialhilfe),

– Friedrich Breyer als Mitglied des WissenschaftlichenBeirats beim Bundesministerium für Wirtschaft (BMWi-Beirat),

– Wolfgang Franz vom Sachverständigenrat (Mehrheitsvor-schlag SVR),

– Ulrich Walwei und Martin Dietz vom Institut für Arbeits-markt- und Berufsforschung, die ihren gemeinsam mitPeter Bofinger von der Universität Würzburg erarbeitetenVorschlag (negative Einkommensteuer) darlegen,

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1 Vgl. Kommission »Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt« (2002); Wis-senschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft (2002); Sach-verständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung(2002, Tz. 432–482).

2 Vgl. European Economic Advisory Group at CESifo (2002, Kap. 6); Ent-wurf eines »Existenzgrundlagengesetzes« (BT-Drs. 15/1523); »Viertes Ge-setz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt« vom 24. Dezem-ber 2003 (BGBl. I S. 2954).

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Niedriglohnsektor

– Holger Bonin, Armin Falk und Hilmar Schneider vom Ins-titut zur Zukunft der Arbeit (Workfare),

– Dennis Snower, Alessio Brown und Christian Merkl vomInstitut für Weltwirtschaft (Beschäftigungsgutscheine),

– Ronnie Schöb und Joachim Weimann von der Universi-tät Magdeburg (Magdeburger Alternative) und

– Dieter Althaus, Ministerpräsident von Thüringen (Solida-risches Bürgergeld).

Die einschlägigen Veröffentlichungen dieser Autoren sind inKasten 1 zusammengestellt.

Die alternativen Reformkonzepte zur Erhöhung der Beschäf-tigung im Niedriglohnsektor weisen eine Reihe von Gemein-samkeiten auf:

– Sie gehen übereinstimmend davon aus, dass die Arbeits-losigkeit überwiegend strukturell und nicht konjunkturellbedingt ist. Die Arbeitslosigkeit kann durch eine Senkungder Lohnkosten bzw. eine verstärkte Lohnspreizung ver-ringert werden.

– Sie zielen zuallererst auf eine Beschäftigung geringqualifizierter Arbeitsloser im ersten Arbeitsmarkt. Ei-ne auf Dauer angelegte Beschäftigung im zweiten Ar-beitsmarkt (z.B. in Form von ABM-Stellen) wird ab-gelehnt.

– Sie lehnen eine Senkung der Lohnkosten auf dem We-ge über eine Verminderung des Realeinkommens der Be-troffenen ab und fordern deshalb mehrheitlich eine Sub-ventionierung der Beschäftigung.

– Sie wollen die Betroffenen bevorzugt in reguläre Vollzeit-beschäftigung bringen. Die Subventionierung von Mini-jobs soll dagegen abgebaut werden.

Neben diesen grundlegenden Gemeinsamkeiten weisen dieModelle aber auch erhebliche Unterschiede auf. Diese zei-gen sich insbesondere im Instrumentarium, mit dem die Wie-dereingliederung gering qualifizierter Langzeitarbeitsloserin den ersten Arbeitsmarkt gefördert werden soll. Grund-sätzlich lassen sich dabei veränderte finanzielle Anreize undWorkfare-Ansätze unterscheiden, deren gemeinsames Zieles ist, die Lohnansprüche zu senken und dadurch Stellenzu schaffen.

Unter Workfare versteht man einen Politikansatz, bei demerwerbsfähige Personen im Gegenzug zum Bezug staatli-cher Transfers (»Welfare«) zugleich Arbeitsgelegenheitenwahrnehmen müssen, die von der öffentlichen Hand be-reitgestellt werden. Die Ausübung von Workfare-Jobs wirddabei zur Bedingung dafür gemacht, dass Arbeitslose dasvolle Arbeitslosengeld II beziehen können. Die Sanktionenbei Nichtannahme von Workfare sind unterschiedlich. Eben-

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Kasten 1

Grundlegende Veröffentlichungen zu den vorgestellten Förderkonzepten

ifo Sinn, H.-W., C. Holzner, W. Meister, W. Ochel und M. Werding (2002), »Aktivierende Sozialhilfe, Ein Weg zu mehr Beschäftigung und Wachstum«, ifo Schnelldienst 55(9), 1–-52. Sinn, H.-W., C. Holzner, W. Meister, W. Ochel und M. Werding (2006), »Aktivierende Sozialhilfe 2006: Das Kombilohn-Modell des ifo Instituts«, ifo Schnelldienst 59(2), 6–27. Sinn, H.-W., C. Holzner, W. Meister, W. Ochel und M. Werding (2006), Redesigning the Welfare State, Germany's Current Agenda for an Activating Social Assistance, Edward Elgar, Cheltenham, Northampton, MA.

BMWi-Beirat Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (2002), Reform des Sozialstaats für mehr Beschäftigung im Bereich gering qualifizierter Arbeit, BMWi Dokumentation 512.

SVR Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2002), Zwanzig Punkte für Beschäftigung und Wachstum (Jahresgutachten 2002/03), Wiesbaden (insbes. Textziffern 432–482). Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2006), Arbeitslosengeld II reformieren: Ein zielgerechtes Kombilohnmodell, Expertise im Auftrag des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie, Wiesbaden.

Bofinger et al. Bofinger, P., M. Dietz, S. Genders und U. Walwei (2006), Vorrang für das reguläre Arbeitsverhältnis: Ein

Konzept für existenzsichernde Beschäftigung im Niedriglohnbereich, Gutachten für das Sächsische Ministerium für Wirtschaft und Arbeit (SWMA), o.O.

IZA Bonin, H. und H. Schneider (2006), »Workfare: Eine wirksame Alternative zum Kombilohn«, IZA Discussion Paper No. 2399. O. V. (2006), »Das Workfare-Modell des IZA: Grundstein zur Überwindung der Beschäftigungskrise«, IZA Compact, Oktober, 1–4.

IfW Brown, A.J.G., C. Merkl und D.J. Snower (2006), »Comparing the Effectiveness of Employment Subsidies«, Kiel Working Paper No. 1302. Presseerklärung des IfW, „Beschäftigungssubventionen im Vergleich: Einstellungsgutscheine effektiver als Kombilöhne“, November 2006.

Magdeburger Alternative

Schöb, R. und J. Weiman (2003), »Kombilohn: Die Magdeburger Alternative«, Perspektiven der

Wirtschaftspolitik 1, 1–16. Schöb, R. und J. Weiman (2006), Arbeit ist machbar: Die Magdeburger Alternative: eine sanfte Therapie für

Deutschland, 5. Aufl., Stekovics, Dössel.

Solidarisches Bürgergeld

Althaus, D., Das solidarische Bürgergeld, Erfurt o.J.

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Niedriglohnsektor

so kann die dabei einzusetzende Arbeitszeit variieren. ImRahmen einer Beschäftigung in öffentlicher Regie kann au-ßerdem auch vorgesehen werden, dass die Arbeitslosenan private Unternehmen verliehen werden. Workfare ist fürdie Gesellschaft nützlich, weil sinnvolle Arbeit geleistet wird.Außerdem macht es die Verweigerung regulärer Arbeit we-niger attraktiv, ohne dass damit eine Senkung des Haus-haltseinkommens gegenüber der heutigen Situation verbun-den ist.

Bei den finanziellen Anreizen kann zwischen einer Subjekt-förderung und einer Objektförderung unterschieden werden,also zwischen Zuschüssen an die betroffenen Individuen undZuschüssen an ihre Arbeitgeber. In beiden Fällen soll durchdie Kombination von Löhnen und staatlichen Transfers(»Kombilöhnen«) ein ausreichendes Einkommen trotz verrin-gerter Lohnkosten gesichert werden. Bei der Subjektförde-rung kann es sich entweder um erhöhte Hinzuverdienstmög-lichkeiten von Empfängern von Arbeitslosengeld II oder umeine Reduktion oder Bezuschussung der Arbeitnehmerbei-träge zur Sozialversicherung handeln, die die Anspruchslöh-ne der Arbeitnehmer senken und auf diese Weise zusätzli-che Stellen schaffen. Bei der Objektförderung können dieLohnkostenzuschüsse gewährt oder die Arbeitgeberbei-träge zur Sozialversicherung gesenkt bzw. bezuschusst wer-den, was die Lohnkosten direkt verringert.

Die Anspruchslöhne können schließlich noch dadurch ge-senkt werden, dass das Niveau des Arbeitslosengeldes II fürBezieher, die arbeitslos bleiben oder die zumindest nichtintensiv genug nach einer Beschäftigung suchen, abgesenktwird. Die Niveauabsenkung hat den doppelten Vorteil, dasssie zur Schaffung neuer Stellen beiträgt und den Staat finan-ziell entlastet. Ohne weitere Schutzvorkehrungen wie die Be-reitstellung staatlicher Stellen würde sie aber das Risiko neu-er Armut implizieren.

Einen anderen Ansatz bildet die Gewährung eines bedin-gungslosen Grundeinkommens auf einem Niveau oberhalbdes Arbeitslosengeldes II, das bei wachsendem Einkommenabgeschmolzen und mit der Einkommensteuer verrechnetwird. Wenn hohe Transferentzugsraten vermieden werdensollen, verursacht dieser Ansatz extrem hohe Budgetkos-ten für den Staat, was andere Steuerquellen verlangt.

Abgesehen vom Instrumentarium unterscheiden sich die Re-formkonzepte auch dadurch, ob der begünstigte Personen-kreis befristet oder unbefristet gefördert wird. Dabei wer-den befristete Leistungen eher für neu aufgenommene Be-schäftigungsverhältnisse gewährt. Die Abgrenzung der Ziel-gruppen solcher befristeter Leistungen ist dabei häufig so-gar noch enger. Unbefristete Leistungen sind überwiegendnicht nur auf neu aufgenommene Beschäftigungsverhältnis-se begrenzt, sondern richten sich an einen breiteren Emp-fängerkreis.

Die Vorschläge im Einzelnen

Tabellen 1 und 2 vergleichen die Reformvorschläge der ge-nannten Autoren im Detail.

Das Konzept des ifo Instituts besteht im Wesentlichen ausden folgenden fünf Elementen: (1) einer auf 500 € erhöhtenHinzuverdienstgrenze beim Arbeitslosengeld II, (2) einer in-dividuellen Lohnsteuergutschrift für die ersten 200 € in Hö-he der Arbeitgebersozialbeiträge nebst einem Erlass der So-zialversicherungsbeiträge der Arbeitnehmer in diesem Be-reich, (3) einer Absenkung des Transferentzugs oberhalb von500 €, (4) einer Streichung des Regelsatzes des Arbeitslo-sengeldes II bei Nichtannahme einer Beschäftigung (dochWeitergewährung des Wohnungszuschusses und des Kin-dergeldes) und (5) des Angebots von Workfare, bei dessenAusübung das volle Arbeitslosengeld II in heutiger Höhegewährt wird. Durch diese fünf Kernelemente soll die Min-destlohnsicherung des jetzigen Systems durch eine Min-desteinkommenssicherung ersetzt werden. Die Aufstockunggeringer Löhne zu akzeptablen Haushaltseinkommen solldie Lohnansprüche senken, damit die Arbeitgeber darauf-hin neue Stellen schaffen. Wer trotz der neuen Stellen ver-geblich nach Arbeit sucht, kann zu einem Lohn in Höhedes heutigen Arbeitslosengeldes II bei seiner Kommune Be-schäftigung verlangen. Insofern kann niemand, der arbeits-willig ist, unter das heutige Grundsicherungsniveau fallen.Die Kommune erhält im Gegenzug das Recht, die Arbeits-leistung bei sich selbst einzusetzen oder sie zu einem freiaushandelbaren Honorarsatz auf dem Wege über Zeitar-beitsfirmen in der Privatwirtschaft anzubieten.

Der BMWi-Beirat hat zwei Vorschläge zur Reform der Grund-sicherung unterbreitet. Option I ähnelt dem Konzept des ifoInstituts. Sie beinhaltet eine starke Verbesserung der Hin-zuverdienstmöglichkeiten zum Arbeitslosengeld II. Bei einemAlleinstehenden wird bis zu einem Bruttoeinkommen von440 € pro Monat kein Transfer entzogen, zwischen 440 €und 900 € liegt die Transferentzugsrate bei 40%, über 900 €bei 30%. Außerdem werden Workfare-Stellen angeboten,bei deren Annahme das volle Arbeitslosengeld II gewährtwird. Anderenfalls wird der Regelsatz des Arbeitslosengel-des II vollständig abgesenkt, und es werden Lebensmittel-gutscheine ausgegeben. Bei der moderateren Option II isteine Beschäftigung von Arbeitslosen in staatlicher Regienicht vorgesehen. Gleichwohl wird der Regelsatz für Arbeits-losengeld-II-Bezieher ohne reguläre Beschäftigung – wennauch nur mäßig – abgesenkt. Die Hinzuverdienstmöglich-keiten zum Arbeitslosengeld II werden aber auch hier deut-lich verbessert.

Der Sachverständigenrat schlägt ebenfalls ein ähnlichesKonzept vor wie das ifo Institut. Er empfiehlt jedoch im Ver-gleich zu ifo und zur ersten Variante des Wissenschaftli-chen Beirats eine weniger starke Absenkung des Regelsat-

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Niedriglohnsektor

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Niedriglohnsektor

zes des Arbeitslosengeldes II und eine andere Ausgestal-tung der Hinzuverdienstmöglichkeiten. Einen Hinzuverdienstermöglicht das SVR-Konzept erst bei Löhnen oberhalb von200 €, mit einer 50%igen Anrechnung eigenen Einkommensim Bereich bis 800 €. Auch der SVR schlägt ein Workfare-Angebot vor, dessen Wahrnehmung zum Bezug des vollenArbeitslosengeldes II berechtigt. Daneben sind komplemen-täre Maßnahmen vorgesehen wie eine Senkung des Sozi-alversicherungsbeitrags der Arbeitgeber bei Bruttolöhnenzwischen 200 € und 800 €. Der Sachverständigenrat un-terstellt im Wesentlichen dieselben Wirkungszusammenhän-ge auf dem Arbeitsmarkt wie das ifo Institut, mit einer Ver-ringerung der Anspruchslöhne, einer Senkung der Arbeits-kosten und einer Erhöhung der Arbeitsnachfrage im Nied-riglohnbereich.

Bofinger et al. halten eine Absenkung des Niveaus des Ar-beitslosengeldes II für nicht akzeptabel. Außerdem habensie Vorbehalte gegenüber der Errichtung eines größerenWorkfare-Sektors. Sie plädieren vielmehr für großzügigestaatliche Zuschüsse zu den Arbeitnehmerbeiträgen zur So-zialversicherung als wichtigstes Element ihres Vorschlags.Bofinger et al. wollen Einkommen bis zu 750 € (für Allein-stehende) und 1 300 € (für Paare) pro Monat vollständigvon Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung befreien.Die Arbeitgeberbeiträge müssen jedoch ungeschmälert ge-tragen werden. Außerdem sollen die Hinzuverdienstmög-lichkeiten im Minijob-Bereich reduziert und Subventionen fürandere atypische Erwerbsformen abgeschafft werden. DieAutoren erwarten, dass es zu Lohnkonzessionen bei denArbeitnehmern kommt, wodurch sich die Nachfrage nacheinfacher Arbeit ausweitet.

Das IZA steht der Einführung von Kombilöhnen sowie ei-ner Änderung des Tarifverlaufs beim Arbeitslosengeld IIskeptisch gegenüber. Effektiv seien solche Maßnahmennur, wenn gleichzeitig das Arbeitslosengeld II abgesenktwürde. Das sei aber zurzeit politisch nicht durchsetzbar.Deshalb plädiert das IZA dafür, das Niveau des Arbeitslo-sengeldes II nicht in Frage zu stellen, seine Gewährungaber von einer Gegenleistung in Form von Workfare (d.h.öffentlich organisierter Vollzeitbeschäftigung) abhängig zumachen. Wer das Workfare-Angebot nicht annimmt, mussfreilich auf sein Arbeitslosengeld II verzichten. Da das un-gekürzte Arbeitslosengeld II nur noch mit einem Zeitein-satz erhältlich ist, der dem Zeiteinsatz in einer Tätigkeitauf dem regulären Arbeitsmarkt entspricht, wird der An-reiz, eine gering bezahlte Beschäftigung auf dem erstenArbeitsmarkt aufzunehmen, beträchtlich gesteigert. Die imNiedriglohnbereich geforderten Löhne fallen, und die Nach-frage nach Arbeitskräften für einfache Tätigkeiten in der Pri-vatwirtschaft nimmt entsprechend zu.

Das IfW steht allen bisher vorgestellten Konzepten skep-tisch gegenüber. Es favorisiert stattdessen befristete Lohn-

kostenzuschüsse für neu eingestellte Langzeitarbeitslosebzw. für gering qualifizierte Arbeitslose. Diese sollen Arbeit-gebern in Form von Einstellungsgutscheinen gewährt wer-den. Von der gezielten Reduzierung der Arbeitskosten ver-sprechen sich die Autoren eine Zunahme der Neueinstellun-gen zuvor Arbeitsloser. »Drehtüreffekte«, welche bei befris-teten Fördermaßnahmen und der Förderung von Teilgrup-pen der jeweiligen Arbeitsmärkte vermutet werden, stellenaus Sicht des IfW makroökonomisch gesehen kein größe-res Problem dar.

Die Magdeburger Alternative will nicht – wie die erstenvier Konzepte – abwarten, bis durch die Senkung derLohnansprüche die Löhne tatsächlich fallen und die Ar-beitsnachfrage steigt. Ihre Urheber plädieren vielmehrfür eine Objektförderung durch eine Befreiung der Ar-beitgeber von den (gesamten) Sozialversicherungsbeiträ-gen, welche die Arbeitskosten unmittelbar senkt. Um »Mit-nahmeeffekte« auf Seiten der Arbeitgeber zu vermeiden,werden von Arbeitslosengeld-II-Empfängern neu aufge-nommene Beschäftigungsverhältnisse in der unterstenLohngruppe nur dann gefördert, wenn sich gemessenan einem Stichtag der Beschäftigungsstand eines Un-ternehmens in dieser Lohngruppe erhöht (auch neu ge-gründete Unternehmen werden in die Förderung einbe-zogen). Außerdem bekommen bestehende Unternehmenfür jeden zusätzlich geschaffenen Arbeitsplatz die Sozi-alversicherungsbeiträge für einen bereits vorher in der un-tersten Lohngruppe Beschäftigten erstattet, um Auslage-rungen von Arbeitsplätzen zu vermeiden. Das Problem,dass auf diese Weise neu gegründete Firmen viel stärkerals schon vorhandene Firmen gefördert werden, sehendie Autoren als gering an. Die Magdeburger Alternativeverspricht sich von der Subventionierung der Sozialver-sicherungsbeiträge eine rasche Ausweitung der Arbeits-nachfrage.

Das Solidarische Bürgergeld, vorgeschlagen vom thü-ringischen Ministerpräsidenten Althaus und hier stell-vertretend für einige weitere »Bürgergeld-Konzepte« be-trachtet, sieht die Gewährung eines bedingungslosenGrundeinkommens für Erwachsene in Höhe von monat-lich 800 € pro Kopf und eines Kinderbürgergeldes in Hö-he von 500 € pro Kind vor, von denen jeweils 200 € denCharakter einer Gesundheits- und Pflegeprämie haben.Sämtliche Sozialversicherungsbeiträge entfallen. Statt-dessen zahlen die Arbeitgeber eine Lohnsummensteuerfür ihre Arbeitnehmer. Das Bürgergeld wird mit eigenemEinkommen ab dem ersten Euro zu einer Transferent-zugsrate von 50% abgeschmolzen. Bis zu einem Brut-toeinkommen von 1 600 € sinkt es daher um 50 Cent jeEuro zusätzlichen eigenen Einkommens. Ab einem Brut-toeinkommen von 1 600 € halbiert sich das Bürgergeldvon 800 € auf 400 €. Im Gegenzug sinkt der Einkommen-steuersatz auf 25% ab.

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Niedriglohnsektor

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Niedriglohnsektor

Einkommenswirkungen und Arbeitsanreizeder Reformmodelle

Welche Einkommens- und Anreizwirkungen von denalternativen Modellen für den Niedriglohnsektor aus-gehen, lässt sich durch den Blick auf die qualitativeAusgestaltung dieser Modelle kaum erfassen, undes kommt schon gar nicht auf die Semantik an. Be-griffe wie »negative Einkommensteuer«, »Bürger-geld« oder »Aktivierende Sozialhilfe« verdeutlichendie Unterschiede jedenfalls nicht. Vielmehr kommtes auf die Details des Tarifverlaufs an, den diese Mo-delle implizieren. Erst, wenn man weiß, wie viel Brut-toeinkommen man jeweils erwirtschaften muss, umauf alternative Nettoeinkommenshöhen zu kommen,wird die Anreizstruktur klar. Abbildung 1 zeigt die-sen Zusammenhang für verschiedene Reformmo-delle für zwei alternative Familienstände an: eine al-leinstehende Person und eine Familien mit zwei Kin-dern unter 14 Jahren mit einem erwerbstätigen Fa-milienmitglied.

In den Vergleich sind die Vorschläge des ifo Instituts,des BMWi-Beirats, des Sachverständigenrates, vonBofinger et al., des Instituts zur Zukunft der Arbeitund das Solidarische Bürgergeld einbezogen. Da-neben wird, dargestellt durch die rote Kurve, dasgeltende Recht (Status quo) abgebildet. Nicht auf-genommen in die graphische Gegenüberstellungsind das Modell des IfW und die Magdeburger Al-ternative, deren Einkommenswirkungen und Anreiz-mechanismen sich in dieser Form nicht sinnvoll ab-bilden lassen.

Man sieht sehr deutlich, wie unbefriedigend die der-zeitige Situation ist. Obwohl die Hartz-IV-Reform denTransferentzug, der zuvor in weiten Einkommensbe-reichen bei 100% lag, etwas reduziert hat, erzeugtdas deutsche Sozialsystem noch immer eine kaumbezwingbare Eiger-Nordwand für arbeitswillige Bür-ger mit geringer Qualifikation und dementsprechendniedrigen Bruttoeinkommen. Länger zu arbeiten, sichzu qualifizieren oder sich mehr anzustrengen, umdadurch mehr Bruttoeinkommen zu erzielen, lohntsich kaum. In einem weiten Einkommensbereich, dersich bei Einzelpersonen bis zu etwa 1 200 € undbei der Familie bis zu 1 700 € monatlich erstreckt,ist mit einem Mehr an Bruttoeinkommen kaum einnennenswertes Mehr an Nettoeinkommen verbun-den. Bei einem Bruttolohnanstieg von 1 200 auf1 335 € (Single) bzw. von 1 500 auf 1 700 € (Fami-lie) bleibt das Nettoeinkommen sogar konstant.Schon das Einkommen, das man ohne jegliche Ar-beit erhält, ist beachtlich. So verfügt der Single mo-natlich über ein Nettoeinkommen in Höhe von 681 €

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und die Familie über 1 603 €. Dabei sind die beitragsfreieRenten-, Kranken- und Pflegeversicherung noch gar nichtgerechnet. Wenn man allein den freien Kranken- und Pfle-geversicherungsschutz zu einer Prämie berücksichtigt, dievon einer privaten Versicherung für das von der gesetzlichenKrankenversicherung bzw. der sozialen Pflegeversicherungabgedeckte Leistungspaket verlangt wird (abhängig vonAlter, Geschlecht etc. in der Größenordnung von 300 € bzw.850 €), ergibt sich ein vom Staat ohne Arbeit zur Verfügunggestelltes monatliches Einkommen des Single in Deutsch-land von etwa 1 000 € und ein Einkommen der Familie vonetwa 2 450 €.

Die Reformvorschläge modifizieren den Tarifverlauf des ALG IIauf verschiedene Weise. Dabei liegen die Vorschläge desifo Instituts, des Sachverständigenrates, des BMWi-Beiratssowie von Bofinger et al., wie man sieht, näher beieinander,

als es die öffentliche Diskussion dieser Vor-schläge bisweilen vermuten lässt. Nur dasIZA- Modell und das Solidarische Bürgergeldvon Dieter Althaus weichen, in entgegenge-setzter Richtung, stärker von diesen Vor-schlägen ab, wobei IZA aber im Hinblick aufdie Bedeutung der kommunalen Arbeit dochwieder eng mit dem Vorschlag des Sach-verständigenrates und des ifo Instituts ver-wandt ist.

Die Berechnungen, die den Abbildungen zu-grunde liegen, sind im Detail außerordentlichkompliziert und wurden in enger Abstimmungmit den in diesem Heft vertretenen Autorendurchgeführt. Sie beziehen sich auf die imzweiten Halbjahr 2006 geltenden Transferre-gelungen und Abgabensätze für West-deutschland. Die Grundsicherung bestehtnach geltendem Recht aus dem Regelsatzund den Kosten für Unterkunft und Heizung.Unterstellt wird für die Haushalte jeweils, dassihre Aufwendungen für Unterkunft und Hei-zung den durchschnittlichen Aufwendungenbedürftiger Haushalte gleicher Größe ent-sprechen.3 Weichen die tatsächlichen Wohn-kosten im Einzelfall von diesen Durchschnitts-werten ab, so hat dies im unteren Einkom-mensbereich ein anderes Nettoeinkommenzur Folge.

Erwerbsfähige erhalten in Deutschland dasArbeitslosengeld II, nicht erwerbsfähige An-gehörige das so genannte Sozialgeld. FürEinkommen aus unselbständiger Tätigkeitgibt es einen Freibetrag von 100 € monat-lich. Darüber hinaus gehende Arbeitseinkom-men werden bis 800 € Bruttoeinkommen zu

80%, zwischen 800 und 1 200 € (bzw. zwischen 800 und1 500 € bei Hilfeempfängern mit mindestens einem Kind)zu 90% auf den Transfer angerechnet. Für Einkommen ober-halb dieser Grenzen gilt Vollanrechnung. Als weitere Trans-ferleistungen sind das Wohngeld, das Kindergeld und derKinderzuschlag zu betrachten. Für letzteren besteht ein An-spruch allerdings nur innerhalb recht enger Einkommens-grenzen. Bezug von Wohngeld ist ALG-II-Empfängern nichtmöglich (Kinderzuschlag-Berechtigten hingegen schon). Fürdie Sozialversicherungspflicht gilt die Geringfügigkeitsgren-ze von 400 €, niedrigere Einkommen sind auf Arbeitnehmer-seite nicht beitragspflichtig, auf Arbeitgeberseite wird einPauschalsatz von 30% des Bruttolohnes fällig. Im Einkom-mensbereich von 400 bis 800 € (brutto) bezahlt der Arbeit-

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Abb. 1a

Abb. 1b

3 Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (2005, 100ff.). Die dortfür den Zeitpunkt 1. Januar 2004 genannten Beträge wurden anhand derPreisentwicklung auf Mitte 2006 fortgeschrieben.

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geber den vollen Beitrag zur Sozialversicherung (20,55%),der Beitrag des Arbeitnehmers steigt gleitend von ca. 9,5 auf21,7% (Kinderlose) bzw. 21,45% (Arbeitnehmer mit mindes-tens einem Kind).4

Erläuterung der Tarifverläufe

Im ifo-Modell wird die Aufnahme regulärer Arbeit dadurchgefördert, dass dem Arbeitnehmer von seinem erzielten Net-toeinkommen ein viel größerer Anteil verbleibt als nach gel-tendem Recht. So steigt das Nettoeinkommen bei Brutto-löhnen bis 200 € durch einen Zuschuss sogar zusätzlichum 20%. Für Einkommen zwischen 200 € und 500 € bleibtder Transfer konstant, lediglich die Arbeitnehmersozialbei-träge schmälern hier den Einkommenszuwachs. Bei Ein-kommen über 500 € wird die Transferleistung so abge-schmolzen, dass vom Nettoanstieg 71,7% (bei Alleinstehen-den) bzw. 71,45% (bei Hilfeempfängern mit Kind) angerech-net werden.5 Dies gilt, bis der gesamte Transferanspruchabgebaut ist. Sonderregelungen für geringfügige Arbeitsver-hältnisse gibt es nicht mehr, sowohl Arbeitgeber als auchArbeitnehmer zahlen vom ersten Euro an den vollen Bei-tragsatz zur Sozialversicherung. An Transferleistungen istnur noch das Kindergeld zu beachten, während Wohngeldund Kinderzuschlag entfallen. Ein zentrales Element des ifo-Vorschlags ist die Verfügbarkeit einer Arbeitsgelegenheit inkommunaler Trägerschaft, die auch auf dem Wege einerLeiharbeit im privaten Sektor organisiert werden kann. Dasheutige Arbeitslosengeld II wird ungeschmälert zum Lohnfür diese kommunale Tätigkeit. Dieser Aspekt garantiert,dass niemand eine Senkung seines Lebensstandards imVergleich zur heutigen Rechtslage befürchten muss, wenner keine Stelle im privaten Sektor findet. Andererseits wirddie Tätigkeit im privaten Sektor sehr attraktiv gemacht. Der

Tarifverlauf ist so definiert, dass man bereits bei einer Halb-tagsstelle im privaten Sektor, auf der man etwa 450 € Brut-toeinkommen verdient, wieder auf das gleiche Nettoeinkom-men kommt wie bei einer Vollzeitbeschäftigung bei der Kom-mune bzw. wie heute als arbeitsloser ALG-II-Empfänger. Wermehr als halbtags arbeitet, erzielt ein höheres Realeinkom-men als der heutige ALG-II-Empfänger.

Der ifo-Vorschlag wird durch die blauen Kurven der beidenTeile von Abbildung 1 verkörpert. Man sieht, dass er im Ge-gensatz zur herrschenden Rechtslage durchweg durch ei-nen wesentlich flacheren Anstieg der Brutto-Netto-Kurvegekennzeichnet ist und keinerlei Sprünge, senkrechte Ab-sätze oder dergleichen Unregelmäßigkeiten aufweist. Er ge-währt bei geringer Arbeitsleistung weniger als das ALG II,bei höherer Arbeitsleistung in Teilen aber auch mehr Netto-einkommen. Der Bereich bis zu einem Nettoeinkommen inHöhe des jetzigen ALG II ist gestrichelt gezeichnet, um an-zudeuten, dass sich in diesem Bereich arbeitswillige Per-sonen nicht aufhalten werden, weil ja die kommunale Be-schäftigung stets als Alternative vorhanden ist.

Der BMWi-Beirat stellt zwei Varianten zur Diskussion. Ge-mäß Option I wird die Transferleistung bei Ablehnung einerArbeitsgelegenheit in kommunaler Trägerschaft so stark ge-kürzt, dass nur noch die Wohn- und Heizkosten gewährtwerden. Gleichzeitig wird die Einkommensgrenze für anrech-nungsfreien Hinzuverdienst deutlich angehoben. Der Trans-ferentzug beginnt erst, wenn das Nettoeinkommen den Re-gelsatz von 345 € übertrifft, was bei einem Bruttolohn vonrund 440 € pro Monat eintritt. Bei Einkommen über 440 €kommt eine Transferentzugsrate von 40%, bei Einkommenüber 900 € von 30% zum Tragen, um der dann einsetzen-den zusätzlichen Belastungen durch die Besteuerung Rech-nung zu tragen.

In Option II werden keine Arbeitsgelegenheiten angebotenund keine Workfare-Pflichten eingefordert. Dafür wird dieTransferleistung für Sozialleistungsbezieher, die keinerlei re-gulärer Beschäftigung nachgehen, nur um 25% vermindert

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Kasten 2

Hinweise zur graphischen Darstellung der Reformmodelle

Die graphische Darstellung der Reformmodelle entstand mit freundlicher Unterstützung der jeweiligen Urheber. Die Verantwortung liegt bei den Autoren dieses Beitrags.

Bei dem Vergleich der Reformmodelle ist zu beachten, dass sie Kombilohnelemente und Workfare in unterschiedlicher Weise einbeziehen. ifo, SVR und die Option I des BMWi-Beirats kombinieren den Kombilohn mit Workfare, Bofinger et al. befürworten

einen Kombilohn ohne Workfare, und IZA vertraut einem reinen Workfare-Ansatz. Die individuellen Anreizwirkungen, eine reguläre Arbeit aufzunehmen, können wegen etwaiger Komplementaritäten in den folgenden Abbildungen nicht vollständig dargestellt werden.

Die Modelle des IfW und der Magdeburger Alternative werden nicht in den graphischen Vergleich einbezogen. Das Modell des IfW setzt auf befristete Lohnkostenzuschüsse für zuvor Langzeitarbeitslose, die nicht alle Haushalte der hier betrachteten Art treffen und nicht dauerhaft gelten. Die Effekte sind mit denen der anderen hier erfassten Modelle daher nicht vergleichbar. Bei der

Magdeburger Alternative fließt die Förderung über die Arbeitgeber und bezieht sich auf die Sozialversicherungsbeiträge für jeweils einen zusätzlich eingestellten und einen bereits beschäftigten Arbeitnehmer. Wiederum betreffen sie nicht alle Haushalte und beeinflussen überdies nicht direkt den Zusammenhang zwischen ausgewiesenem Bruttolohn und Nettoeinkommen der

Arbeitnehmer. Der Zusammenhang zwischen Bruttowertschöpfung der menschlichen Arbeit und Nettolohneinkommen wird darüber hinaus nicht in eindeutiger Weise beeinflusst.

4 Die unterschiedlichen Beitragssätze erklären sich durch den zusätzlichenBeitragssatz in Höhe von 0,25 Prozentpunkten, den Kinderlose zur sozia-len Pflegeversicherung entrichten müssen.

5 Diese Reduktionsrate ist jeweils um 50 Prozentpunkte höher als der ge-samte Beitragssatz der Arbeitnehmer zur Sozialversicherung.

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(Regelsatz plus Kosten der Unterkunft). Da das Ausgangs-niveau der Leistungen somit höher ausfällt als in Option I,bleiben nur Einkommen bis ca. 220 € anrechnungsfrei. Fürhöhere Einkommen gelten wieder die oben genannten Trans-ferentzugsraten von 40 bzw. 30%. In beiden Varianten wer-den die derzeitigen Sonderregelungen für die Beitragspflichtzur Sozialversicherung im unteren Einkommensbereich (Ge-ringfügigkeitsgrenze, Gleitzone) aufgehoben. Sowohl Arbeit-geber als auch Arbeitnehmer zahlen vom ersten Euro an dennormalen Beitragssatz. Allerdings hat der BMWi-Beirat sei-ne Modelle nur für alleinstehende Personen ausformuliert,so dass die Darstellung für den Familienhaushalt hier un-terbleibt.

Auch der Sachverständigenrat (SVR) plädiert für eine Ab-senkung des Regelsatzes für erwerbsfähige Arbeitslose, diedas Angebot einer öffentlich organisierten Arbeitsgelegen-heit ablehnen. Die Minderung beträgt hier 30%. Vorgesehenist eine volle Anrechnung eigenen Einkommens, solange die-ses Einkommen geringer als 200 € pro Monat (neue Ge-ringfügigkeitsschwelle) ist. Damit verfolgt der Rat die Ab-sicht, die Förderung auf Arbeitsplätze mit einer gewissenMindestarbeitszeit zu konzentrieren, was einen größeren In-tegrationserfolg erwarten lässt (vgl. SVR 2006, 83). Bei Ein-kommen über 200 € wird ein Bonus in Höhe von 40 € ge-währt, außerdem bleiben festgelegte Anteile des Einkom-mens von der Anrechnung auf den Transferbezug freige-stellt. Das sind 50% für Einkommen zwischen 200 und 800 €bzw. 10% im Einkommensbereich zwischen 800 und 1 200 €(Alleinstehende) bzw. bis 1 500 € (Familien). Das Kinder-geld wird in der jetzigen Form fortgeführt, zusätzlich be-steht im Einzelfall Anspruch auf Wohngeld. An Sozialversi-cherungsbeiträgen haben Arbeitgeber für Einkommen bis200 € pauschal 25% zu entrichten, während für den Ar-beitnehmer zunächst keine Abgabenpflicht besteht. Für Ein-kommen zwischen 200 und 800 € gibt es eine neue Gleit-zone, wobei anders als im geltenden System nicht die zuentrichtenden Beiträge, sondern die effektiven Beitragssät-ze linear an das »normale« Niveau herangeführt werden. Da-bei beläuft sich das Startniveau (bei einem Bruttolohn von200,01 €) für den Arbeitgeberbeitrag auf 15%, für den Ar-beitnehmerbeitrag auf 0%.

Das Modell von Bofinger et al. sieht vor, das gegenwärtigeGrundsicherungsniveau beizubehalten. Bei der Förderungwird eine Optionsmöglichkeit gewährt: Zum einen wird dieEinkommensanrechnung so modifiziert, dass grundsätz-lich 15% des erzielten Nettolohnes anrechnungsfrei bleiben.Zum anderen setzt die Förderung am Kriterium der geleis-teten Wochenarbeitszeit an und wird in Form eines Zuschus-ses zu den Sozialversicherungsbeiträgen der Arbeitnehmergewährt. Sobald das Nettoeinkommen unter Berücksichti-gung des Zuschusses dasjenige bei Anwendung der geän-derten Einkommensanrechnung übersteigt, sollte diese Op-tion gewählt werden. Für die Sozialversicherungsbeiträge

gibt es (wie im ifo-Modell) keine Sonderregelungen mehr.Allerdings sind die Arbeitgeber und Arbeitnehmer vom ers-ten Euro an mit den jeweiligen Abgabensätzen beitragspflich-tig. Beträgt die wöchentliche Arbeitszeit mindestens 15 Stun-den, wird ein Zuschuss in Höhe der Hälfte des Sozialversi-cherungsbeitrags des Arbeitnehmers gewährt. Ab einer Wo-chenarbeitszeit von 30 Stunden wird sogar der volle Bei-trag zur Sozialversicherung übernommen. Im Falle einesAlleinstehenden wird der Zuschuss bei Einkommen ab 751 €brutto wieder reduziert, wobei die Verminderung linear sogestaltet wird, dass er bis zu einem Bruttolohn von 1 300 €auf null fällt. Bei Familien ist der Zuschuss etwas andersgestaltet. Zum einen wird der Einkommensbereich für dieReduktion des Sozialversicherungszuschusses auf 1 301 €bis 2 000 € brutto angehoben. Zum anderen wird eine zu-sätzliche Förderung gewährt, die an dem Tatbestand an-setzt, dass der Regelsatz für Kinder bei der Grundsicherung(mit 207 € als so genanntes Sozialgeld für Angehörige vonArbeitslosengeld-II-Empfängern) höher ist als das gesetzli-che Kindergeld (154 €). Die Differenz von 53 € pro Kind undMonat wird den Bedürftigen zunächst voll bezahlt und erstbei Bruttoeinkommen über 2 000 € bis 2 400 € (Paare miteinem Kind) bzw. bis 2 800 € (Paare mit zwei Kindern) line-ar vermindert.

Da Bofinger et al. eine Förderung in Abhängigkeit von dergeleisteten Wochenarbeitszeit vorsehen, lässt sich der Mo-dellvorschlag nicht eindeutig im Brutto-Netto-Diagramm dar-stellen. Er ist insofern keine negative Einkommensteuer miteinem festen Tarifverlauf. Vielmehr ergeben sich je nach Stun-denlohnsatz unterschiedliche Tarifverläufe. Hier wird aufWunsch der Autoren für den Alleinstehenden ein Stunden-lohn von 5,38 € gewählt, weil dann die für die Förderung nö-tigen Arbeitszeitschwellen bei einem Bruttolohn von 350 €(halbe Förderung) sowie 700 € (volle Förderung, also brut-to gleich netto) erreicht werden.6 In diesem Beispiel ist diemodifizierte Hinzuverdienstvariante bis zu einem Einkom-men von 700 € attraktiver, so dass die Person erst bei ei-ner Wochenarbeitszeit von mehr als 30 Stunden und demvollen Zuschuss aus der Bedürftigkeit geführt wird. Im Falldes Ehepaares mit zwei Kindern wurde, ebenfalls auf Wunschder Autoren, wegen der höheren Einkommensgrenze für dasAbschmelzen des Zuschusses mit einem Bruttostundenlohnvon 9 € gerechnet. Mit dieser etwas unsystematischen Wahlder Stundenlohnsätze wird sichergestellt, dass sowohl beimAlleinstehenden als auch bei der Familie die volle Förde-rung bei einem Monatslohn gewährt wird, der unterhalbdes Abschmelzbereiches liegt.7 Besonders zu erwähnen

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6 Die Mindestarbeitszeit für den halben Sozialversicherungszuschuss beträgt15 Wochenstunden (oder 65 Stunden im Monat), für die volle Förderung:30 Wochenstunden (130 Stunden im Monat). Wenn – wie bei dem hier dar-gestellten Fallbeispiel – bei 350 € die halbe Förderung erreicht wird, ergibtsich hieraus ein Stundenlohnsatz von 350 €/65 = 5,38 €.

7 Die Linien bei Bofinger et al. sind in den Abbildungen ab einem Bruttolohnvon 1 050 € (Single) bzw. 1 750 € (Familie) gestrichelt gezeichnet, weil siebei den hier unterstellten Stundenlöhnen Wochenarbeitszeiten von über 45Stunden repräsentieren würden.

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ist auch, dass Bofinger et al. bei der Konzeption und Kons-truktion ihres Modells – insbesondere im Fall des Allein-stehenden – von niedrigeren Aufwendungen für Unterkunftund Heizung ausgegangen sind, als in den folgenden Bei-spielrechnungen angesetzt wurden. Unterschiedlich hoheAnsätze für diese Kosten können spürbare Auswirkungenauf die Position der einzelnen Verlaufskurven zueinander ha-ben. Um 100 € pro Monat geringere Wohnungskosten fürden Single-Haushalt bewirken z.B., dass die Nettoeinkom-menskurve nach Bofinger et al. die – entsprechend abge-senkte – Status-quo-Linie bei einem Bruttoeinkommen vonca. 950 € schneidet, und nicht wie in der Abbildung 1a ge-nerell darunter bleibt.

Im Modell des IZA wird ein ganz anderer Ansatz verfolgt.Da das Modell vor allem auf einem Workfare-Ansatz basiert,eine Sozialleistung also nur unter der Bedingung von öf-fentlich organisierter Arbeit als Gegenleistung gewährt, istmit regulärer Arbeit hier folgerichtig zunächst kein zusätzli-ches Nettoeinkommen verbunden. Ein Freibetrag vom er-zielten Einkommen wird nicht gewährt. In der graphischenDarstellung unterscheidet sich dieser Ansatz damit auf denersten Blick nicht von einem Modell, das einen Transferent-zug von 100% vorsieht. De facto ist die Wirkung jedoch ganzanders, denn ein höheres Einkommen entsteht nicht durcheine Erhöhung der Arbeitsleistung und eine entsprechendeSteigerung des Bruttoeinkommens, sondern durch den blo-ßen Wechsel von der kommunalen Arbeit zur Arbeit im ers-ten Arbeitsmarkt. Ein Haushalt kann in diesem Modell ei-nen Einkommenszuwachs erst realisieren, wenn das Brut-toeinkommen so hoch ist, dass das resultierende Nettoar-beitseinkommen (evtl. einschließlich Kindergeld bzw. Wohn-geld) vom Betrag her größer ist als die Grundsicherung. Die-ser Schwellenwert liegt unter den angenommenen Rahmen-bedingungen für den Alleinstehenden bei etwa 735 € Brut-tomonatslohn, für die Familie mit zwei Kindern bei etwa1 385 €. Einige nicht unwichtige Details bleiben beim IZA-Modell allerdings offen: So ist unklar, wie mit Personen ver-fahren wird, die nur eine reguläre Beschäftigung mit gerin-gem Umfang ausüben und zur Sicherung ihres Lebensun-terhalts ergänzende Sozialleistungen beanspruchen. Nichtausgeführt wird ferner, ob zusätzlich zur Streichung des Eck-regelsatzes beim ALG II noch weitere Sozialleistungen ge-kürzt werden, wenn die kommunale Arbeit gänzlich abge-lehnt wird.

Einen nochmals anderen Weg beschreitet das SolidarischeBürgergeld, bei dem die Leistungen zur Grundsicherung er-werbsfähiger Personen (und letztlich aller Bürger) tenden-ziell erhöht werden. Eine Gegenleistung in Form von Arbeitwird hier nicht verlangt. Stattdessen soll Beschäftigung durcheinen deutlich niedrigeren Transferentzug in Höhe von nur50% und einen radikalen Umbau des gesamten Steuer-, So-zialversicherungs- und Transfersystems gefördert werden.Das Bürgergeld in Höhe von 800 € monatlich für Erwach-

sene (und 500 € für Kinder) enthält dabei eine Kranken-und Pflegeversicherungspauschale von 200 € je Person.Aus Vergleichsgründen wird diese Pauschale hier nicht alsfrei verfügbares Nettoeinkommen ausgewiesen. Das Net-toeinkommen eines Haushalts bei einem Bruttolohn von nullergibt sich daher aus effektiven Bürgergeldbeträgen von600 € je Erwachsenem und 300 € je Kind. Bis zu einem Brut-tomonatslohn von 1 600 € steigt das Nettoeinkommen imFalle eines Ein-Verdiener-Haushalts linear um die Hälfte desBruttolohns an, jenseits dieser Schwelle um 75% des dar-über hinaus gehenden Bruttolohns. Bei Haushalten mit meh-reren Erwerbstätigen erhöht sich diese Einkommensgren-ze. Die Arbeitnehmersozialbeiträge entfallen, Arbeitgeberzahlen eine Lohnsummensteuer in Höhe von 10 bis 12%(in den Beispielrechnungen wurde ein Satz von 11% ange-nommen).

Die Grenzbelastungen der Wertschöpfung der Arbeit

Noch präziser und ökonomisch korrekter als durch die Brut-to-Netto-Einkommenskurven lassen sich die Anreizwirkun-gen der unterschiedlichen Modellansätze beschreiben, wennman die Grenzbelastung der privaten Wertschöpfung be-rechnet. Diese Grenzbelastung misst, wie viel der Staat voneiner zusätzlichen Einheit privater Wertschöpfung durch Ab-gaben und Transferentzug insgesamt bekommt. Sie ist dieaus ökonomischer Sicht relevante Größe, weil es letztlichnach entsprechender Anpassung der Lohnsätze für dasMarktgeschehen gleichgültig ist, ob die Traglast einer Ab-gabe oder eines Transferentzugs beim Arbeitgeber oder beimArbeitnehmer liegt. Wichtig ist nur die Bemessungsgrund-lage selbst.

Die private Wertschöpfung des Arbeitnehmers wird mit denLohnkosten dieses Arbeitnehmers zuzüglich der Mehrwert-steuer gleichgesetzt, denn genau diese Größe misst, wasdie Kunden dem Arbeitgeber für eine weitere Einheit Arbeits-leistung mindestens zahlen müssen, damit bei ihm keine Ver-luste entstehen. Die private Wertschöpfung besteht also ausdem Bruttoarbeitseinkommen, den Sozialversicherungsbei-trägen des Arbeitgebers und der auf diese Summe anfallen-den Mehrwertsteuer (zum 2006 geltenden Normalsatz von16%).8 Zu unterscheiden von der privaten Wertschöpfungist die Wertschöpfung bei der kommunalen Arbeit. Sie wirdhier nicht explizit betrachtet.

Die Berechnungen stellen auf die prozentuale Grenzbelas-tung der privaten Wertschöpfung ab. Die Grenzbelastungmisst, welchen Anteil der zusätzlichen privaten Wertschöp-fung aus einer erhöhten Arbeitsleistung der Staat für seineZwecke absorbiert. Die Differenz bis zum Wert von 100%

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8 Zu dieser Abgrenzung vgl. Sinn et al. (1999, 4) und Sinn (2004, Kapitel 6).

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misst dementsprechend den Anteil dieserWertschöpfung, der dem Arbeitnehmer aus-gezahlt wird. Manchmal findet man Rech-nungen, in denen die Grenzbelastung alsProzentsatz des zusätzlichen Bruttolohnsstatt der zusätzlichen Wertschöpfung aus-gewiesen wird. Solche Berechnungen ma-chen keinen Sinn, weil die Höhe der Grenz-belastung dann von der relativen Aufteilungder Sozialleistungen auf den Arbeitgeber undden Arbeitnehmer abhängt, und zwar auchdann, wenn der ökonomische Gesamtbelas-tungsverlauf exakt der gleiche ist. Die Wert-schöpfung wurde für die Zwecke der Rech-nung in Stufen von 50 € variiert.9 Zu jedemWertschöpfungsbetrag auf der Abszisse istauf der Ordinate der Prozentanteil abgetra-gen, um den das Nettoeinkommen dernächsten 50 € Wertschöpfung durch die ge-nannten Abgaben bzw. durch Transferkür-zung vermindert wird.10

Zu beachten ist, dass die Reformansätze ge-genüber dem Status quo mehrheitlich Ände-rungen bei der Sozialversicherungspflicht desArbeitgebers vorsehen (Modifizierung bzw.Abschaffung der Geringfügigkeitsgrenze undder Gleitzone für Midijobs, Lohnsummen-steuer beim Solidarischen Bürgergeld). Dasführt dazu, dass ein und dieselbe privateWertschöpfung im unteren Einkommensbe-reich für verschiedene Modelle durchaus ei-nen unterschiedlichen Bruttolohn repräsen-tieren kann.

Als staatliche Abgaben werden in die Berech-nung die Sozialversicherungsbeiträge von Ar-beitnehmern und Arbeitgebern, Lohnsteuerund Solidaritätszuschlag sowie Kirchensteu-er (mit einem Satz von 8%11), und, wie er-wähnt, die Mehrwertsteuer einbezogen. Au-ßerdem ist der bei steigendem Einkommen wirkende Trans-

ferentzug bei den einzelnen Sozialleistungen zu berücksich-tigen, der in ähnlicher Form zur Grenzbelastung der priva-ten Wertschöpfung beiträgt wie eine steigende staatlicheAbgabe.

In den Grenzbelastungsverläufen der betrachteten Modellewerden jeweils die oben beschriebenen Spezifika der ein-zelnen Ansätze sichtbar. Die auffallenden Ausschläge derGrenzbelastung nach unten repräsentieren beim SVR dasEinsetzen der Bonuszahlung, bei Bofinger et al. den Be-ginn der Zone mit der Übernahme des vollen Sozialversiche-

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Abb. 2a

Abb. 2b

9 In der Regel entspricht ein Wertschöpfungszuwachs von 50 € bei einemgesamten Sozialversicherungsbeitragssatz des Arbeitgebers von 20,55%und einem Normalsatz der Mehrwertsteuer von 16% (Regelungen imzweiten Halbjahr 2006) ein um 35,75 € höherer Bruttolohn. Nur für gering-fügige Beschäftigungsverhältnisse bzw. in der Gleitzone im SVR-Mo-dell gelten für den Arbeitgeber andere Abgabensätze (ebenso für Ein-kommen oberhalb der Bemessungsgrenze für die Kranken- und die Pfle-geversicherung, die hier aber nicht betrachtet werden). Beim Solidari-schen Bürgergeld entsprechen 50 € Wertschöpfung über den ganzenEinkommensbereich jeweils 38,83 € Bruttolohn (50,00/1,16 = 43,10;43,10/1,11 = 38,83).

10 Eine kleinere Schrittweite würde (wegen der zahlreichen Schwellenwer-te, Rundungsregeln, Abschneidegrenzen etc.) teilweise zu sehr großenSprüngen in der Grenzbelastung und damit zu einem unübersichtlichenVerlauf führen. Eine größere Schrittweite würde hingegen eine starke Glät-tung der Kurven bewirken und damit evtl. Informationen über die Lagevon Sprungstellen bzw. Knicken in der Einkommensfunktion verschleiern.

11 Beim Solidarischen Bürgergeld wurde ohne Kirchensteuerabzug gerech-net, weil sonst beim Einsetzen der Einkommensteuerpflicht (ab 1 600 €brutto) das Haushaltsnettoeinkommen um 32 € (Einkommensteuer: 25%von 1 600 € = 400 €, davon 8% sind 32 €) absinken würde.

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Niedriglohnsektor

rungsbeitrags, beim IZA-Modell einen sprunghaft höherenWohngeldanspruch12, und beim Status quo im Fall der Fa-milie den plötzlichen Anspruch auf Kinderzuschlag undWohngeld. (Man beachte, dass sich die in den Abbildun-gen gestrichelt dargestellte Grenzbelastungsquote von 100%im unteren Einkommensbereich, die den IZA-Vorschlag kenn-zeichnet, nur auf die private Wertschöpfung bezieht, die andie Stelle der nicht explizit ausgewiesenen Wertschöpfungauf den kommunalen Jobs tritt.) Der über die hier abgebil-dete Skala nach oben hinausgehende Ausschlag der Grenz-belastung im geltenden Recht markiert den abrupten Weg-fall des Kinderzuschlags.13 Das oszillierende Auf und Ab imWertschöpfungsbereich zwischen 1 300 und 1 650 € (Sin-gle, kommt hier nur beim IZA-Modell zum Tragen) bzw. zwi-schen 2 400 und 3 500 € (Ehepaar mit zwei Kindern, bei al-len Modellen außer dem ifo-Modell) ist den Rundungsre-geln beim Wohngeld geschuldet.14

Die auf einem etwas höheren Niveau verlaufende Grenzbe-lastungskurve bei Bofinger et al. beinhaltet zusätzlich denEffekt der in diesem Einkommensbereich sukzessive ver-minderten Zulage zum Kindergeld. Die insgesamt recht ho-he Grenzbelastung von etwa 90% in den beiden Optionendes BMWi-Beirats im Einkommensbereich oberhalb von1 345 € brutto (das entspricht einer Wertschöpfung von1 880 €) resultiert aus zwei Eigenheiten der Besteuerung.So wird hier zum einen die Nullzone für den Solidaritätszu-schlag verlassen und der so genannte Überleitungsbereicherreicht, in dem dieser Zuschlag besonders schnell steigt.Zum anderen sinken in diesem Einkommensbereich die imBesteuerungsverfahren anerkannten Vorsorgeaufwendun-gen, wodurch das zu versteuernde Einkommen rascherwächst als der Bruttolohn. Dadurch wird die marginale Steu-erbelastung zusätzlich erhöht. Die hohe Grenzbelastungergibt sich also nicht aus der grundlegenden Ausgestal-tung der Vorschläge, sondern bildet eine zufällige Belas-tungsspitze des geltenden Systems ab.

Niedrige Grenzbelastungen von Wertschöpfung und Brut-tolohn – möglichst über einen breiteren Bereich, nicht imSinne einzelner Ausschläge – implizieren jeweils grundsätz-lich niedrigere Anspruchslöhne und damit mehr Stellen, dennda die Arbeitnehmer mehr vom ökonomischen Ertrag ihrerLeistung behalten dürfen als bei einer höheren Grenzbe-

lastung, entsteht bei dem von ihnen gewünschten Netto-lohn, was immer er sei, ein geringeres Niveau der Lohn-kosten inklusive aller Steuern und Abgaben. Nach diesemMaßstab versprechen die Modelle von ifo und SVR, bei et-was unterschiedlichen Verläufen von Transfer und Grenz-belastung, im Bereich von Bruttolöhnen bis 750 € (Allein-stehende) bzw. 1 500 € (Ehepaare mit zwei Kindern) diegrößte Zahl neu geschaffener Jobs. Bei höherer Wertschöp-fung ergeben sich bei mehreren Modellen erratische Aus-schläge der Grenzbelastungen, und diese erreichen oderüberschreiten in mehreren Fällen die Schwelle von 100%.Einzig das ifo-Modell sorgt in diesem Bereich für eine kons-tante Grenzbelastung, die allerdings wegen der generell ho-hen Abgabenbelastung in Deutschland immer noch beiknapp 80% liegt.

Eine Sonderstellung hinsichtlich der Grenzbelastungen vonBruttolohn und Wertschöpfung nimmt das Solidarische Bür-gergeld ein. Zwar deuten die niedrigen Grenzbelastungenauf vergleichsweise niedrige Anspruchslöhne hin. Dem stehtjedoch der enorme finanzielle Aufwand gegenüber, der durchandere staatliche Abgaben gedeckt werden muss. Die Ver-läufe der Kurven in den Abbildungen 1a und 1b legen ins-besondere im Vergleich mit dem ifo-Modell, das bei leich-ten Budgetüberschüssen fast finanzierungsneutral konstru-iert ist, nahe, dass das Modell in dieser Form, mit der vor-gesehenen niedrigen Transferentzugsrate und dem niedri-gen Steuersatz, nicht finanzierbar ist.

Während die Abbildungen auf die Grenzbelastungen derprivaten Wertschöpfung abstellen, argumentieren Befür-worter eines reinen Workfare-Ansatzes wie IZA, dass dieGrenzbelastung nicht mehr so bedeutsam sei, wenn dieAufnahme einer regulären Beschäftigung im Vergleich zurkommunalen Arbeit (Workfare) nicht mehr mit der zusätzli-chen Anstrengung verbunden ist, überhaupt zu arbeiten.Trotz niedriger effektiver Einkommenszuwächse und ehergeringer, empirisch beobachteter Lohnelastizitäten des Ar-beitsangebots erwarten sie daher zu Recht auch von ihrenModellen nennenswerte Beschäftigungsanreize. Die Ab-schätzung der Beschäftigungswirkungen von Workfareebenso wie die des Zusammenspiels von Workfare und fi-nanziellen Arbeitsanreizen, das in den Modellen von ifo undSVR erzeugt wird, ist aber mit Unsicherheiten behaftet. Injedem Fall dürften das Modell des Sachverständigenrates,Option I des wissenschaftlichen Beirats und das ifo-Modellschon deshalb mehr Arbeitplätze schaffen, weil sie zusätz-lich zum Workfare auch noch niedrigere Grenzbelastungs-werte einführen.

Für das ifo-Modell wurde auf der Basis detaillierter arbeits-markttheoretischer Modellüberlegungen längerfristig einNettogewinn von 3,2 Mill. regulären Arbeitsplätzen prog-nostiziert, der sich auf Langzeitarbeitslose und Geringqua-lifizierte konzentriert. Ganz langfristig kann sogar erwartet

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12 Bei diesem Arbeitseinkommen setzt die Steuerpflicht ein, dadurch wirddas Einkommen im Sinne des Wohngeldanspruchs sprunghaft geringer,was zu einem höheren Wohngeld führt.

13 Zum Zusammenwirken von Kinderzuschlag und anderen Transfers vgl.Meister (2006, 12 ff.).

14 In den Wohngeldtabellen ist das relevante Einkommen in Schritten von10 € abgestuft. Weil der Arbeitnehmer von seinem Einkommen sowohlSozialbeiträge als auch Steuern zu entrichten hat, werden ihm bei derErmittlung des Gesamteinkommens nach den Wohngeldtabellen vomBruttolohnzuwachs nur 70% angerechnet. Da 70% von 35,75 € 25,03 €sind, generiert ein Anstieg der Wertschöpfung in den genannten Stufenvon 50 € (was 35,75 € brutto entspricht) immer abwechselnd ein umzwei bzw. drei Zehn-Euro-Schritte höheres Wohngeld-Einkommen.

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Niedriglohnsektor

werden, dass sich die gesamte Lohnskala so weit nach un-ten hin ausspreizt, dass die deutsche Massenarbeitslo-sigkeit auch außerhalb des Niedriglohnsektors allmählichbis auf einen friktionellen Rest verschwindet. Bei den bei-den Modellen des Sachverständigenrates und des wissen-schaftliches Beirates, die ebenfalls mit dem Workfare-An-satz arbeiten, aber etwas höhere Grenzbelastungen auf-weisen, sind etwas schwächere Mobilisierungseffekte zuerwarten.

Das Institut für Weltwirtschaft schlägt vor, befristete Lohn-subventionen für Neueinstellungen von Langzeitarbeitslo-sen oder von niedrig qualifizierten Arbeitnehmern in Formvon Einstellungsgutscheinen zu gewähren. Dabei unterschei-den die Autoren selbstfinanzierende Programme und Pro-gramme, die mit einem zusätzlichen jährlichen Ausgaben-volumen verbunden sind. Sie ermitteln die Beschäftigungs-effekte mit Hilfe eines mikroökonomisch fundierten und dy-namischen theoretischen Modells. Dieses Modell wird mitDaten kalibriert, um die Reaktionen auf die Beschäftigungs-subventionen realistisch widerzuspiegeln. Selbstfinanzieren-de Einstellungsgutscheine für Langzeitarbeitslose schaffenlangfristig 120 000 neue Arbeitsplätze. Ein Programm in Hö-he von 2 Mrd. € für Einstellungsgutscheine für Langzeitar-beitslose schafft 400 000 Arbeitsplätze und reduziert dieLangzeitarbeitslosigkeit um 20%. Einstellungsgutscheine fürniedrig qualifizierte Arbeitslose würden 280 000 zusätzlicheArbeitsplätze generieren und die Langzeitarbeitslosigkeit um14% senken.

Die Magdeburger Alternative sieht vor, die für mehr Beschäf-tigung im Niedriglohnsektor erforderlichen Lohnzuschüssezum Zweck der Lohnkostensenkung direkt an die jeweiligenArbeitgeber zu zahlen. Die staatliche Übernahme der ge-samten Sozialversicherungsbeiträge führt dazu, dass die Ar-beitskosten für neu eingestellte Arbeitskräfte um 70% sin-ken (um 35% für den zusätzlich Beschäftigten selbst undum weitere 35% für eine schon vorhandene Arbeitskraft).Bei einer Arbeitsnachfrageelastizität von – 0,5 und einer Nied-riglohnschwelle von 1 500 € ermitteln die Autoren einen zu-sätzlichen Beschäftigungseffekt von 1,8 Mill. Personen. Dieberechneten Beschäftigungseffekte dürften aber überzeich-net sein, da sie Mitnahme- und Verdrängungseffekte nur un-zureichend berücksichtigen.

Schwierig zu bestimmen sind schließlich auch die Auswir-kungen der verschiedenen Modelle auf die öffentlichen Haus-halte. Grundsätzlich gilt: Niedrige »Ausgangsniveaus« derTransfers im Sinne abgesenkter Ansprüche für arbeitslosePersonen (d.h. solche mit einem Bruttolohn von null) sen-ken die Ausgaben, niedrige Grenzbelastungen durch einenweniger starken Transferentzug erhöhen sie. Eine Redukti-on der Transferentzugsrate zur Verbesserung der Arbeits-anreize dürfte ohne die in den Modellen von ifo und SVR vor-gesehen Senkung der Leistungen für weiterhin Arbeitslose

daher nicht finanzierbar sein. Darüber hinaus hängen die Ef-fekte der verschiedenen Modelle für die öffentlichen Aus-gaben und Einnahmen von ihren Beschäftigungswirkungenab sowie von etwaigen Kosten der Organisation von Work-fare. Wiederum gibt es für einige der Modelle Schätzungender mit ihnen verbundenen fiskalischen Effekte, die sich aberebenfalls nicht miteinander vergleichen lassen.

Schlussbemerkung

Die deutsche Sozialpolitik hat die institutionellen Rahmen-bedingungen des Arbeitsmarktes in den letzten Jahrzehn-ten Schritt für Schritt verändert und unterminiert. Ausge-hend von der Idee des unabänderlich schrumpfenden Job-kuchens hat sie mit enormen finanziellen Anstrengungendie Lohnersatzsysteme und Frühverrentungsmodelle ge-schaffen, die heute zunehmend als Problem für den Arbeits-markt erkannt werden. Man wollte diejenigen alimentieren,die aus dem Arbeitsmarkt heraus fielen, und zudem Plätzefür junge Arbeitnehmer frei machen. Die Ökonomen desLandes, insbesondere der Sachverständigenrat, haben die-se Politik immer wieder kritisiert und gewarnt, dass sie zueiner Jobvernichtung größeren Ausmaßes führen würde.Aber die Politiker haben die Warnungen in den Wind ge-schlagen, und sie haben sich lieber auf ihre Intuition verlas-sen und dem Drängen der Interessengruppen nachgege-ben, anstatt eine Politik zu betreiben, die den Nutzen desVolkes in seiner Gesamtheit vermehrte. Die Deutschen wur-den zu einem Volk von Versuchskaninchen für Experimen-te der Sozialpolitik, die aus der Sicht der Volkswirtschafts-lehre nur scheitern konnten.

Die hier vertretenen Ökonomen und Autoren eint das Ziel,eine Wiederholung dieser Fehler zu vermeiden. Es gibt kon-sistente ökonomische Modelle, deren Realisation eine er-hebliche Mobilisierung des Arbeitsmarktes für die Gering-qualifizierten erwarten lässt, ohne dass deshalb Menschenin die Armut gestürzt werden. Fast alle Modelle gehen da-von aus, dass es besser ist, das Mitmachen statt das Weg-bleiben zu bezahlen, und jedenfalls sind sie alle von demernsthaften Bemühen getragen, unser Land für die Kräfteder weiter voranschreitenden Globalisierung und des inter-nationalen Niedriglohnwettbewerbs fit zu machen. Dabeiwerden die sozialen Ziele nicht aus dem Auge gelassen.Auch diejenigen Modelle, die Kürzungen des Eckregelsat-zes der staatlichen Hilfen für den Fall der Nichtarbeit vorse-hen, bieten mit der Garantie einer kommunalen Arbeitsge-legenheit einen lückenlosen Schutz vor einem Abgleiten desLebensstandards unter das Niveau des heutigen Arbeitslo-sengeldes II.

Die Politik ist nun zum Handeln aufgefordert, wenn sie denNiedriglohnsektor reformieren möchte. Die Vorschläge lie-gen auf dem Tisch. Sie beschreiben einen Rahmen für sinn-

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Niedriglohnsektor

volle Maßnahmen, innerhalb dessen man sich bewegen soll-te. Selten ist die Vorbereitung für ein größeres Gesetzes-vorhaben dieser Art von Seiten der Fachwissenschaft sogründlich diskutiert und vorbereitet worden, und selten gabes unter den Ökonomen einen größeren Grundkonsens überdie nötigen Maßnahmen. Zu hoffen steht, dass die Politiknicht abermals eigene Theorien über die Wirkungsweise desArbeitsmarktes verfolgt, dass sie den Prozess des konzeptlo-sen Herumexperimentierens mit den Bürgern dieses Lan-des beendet und dass sie ihre Beratungsresistenz endlichüberwindet.

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