Regionale Testung der Halsmuskulatur1 3 3 2 Seitneigung einseitig Extension beidseitig angespannt...

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HSA M. splenius capitis/M. semispinalis capitis Regionale Testung der Halsmuskulatur Anatomie M. splenius capitis U: Kaudales Lig. nuchae und Dornfortsätze C4 Th3. A: Processus mastoideus und Linea nuchae superior. N: Rr. dorsales der Spinalnerven (C2) C3 C5. B: Er gehört zum lateralen Trakt der autochthonen Rückenmus- kulatur: spinotransversales System (M. splenius cervicis von den Dornfortsätzen Th3 Th6 zu den Querfortsätzen C1 C3). M. semispinalis capitis U: Querfortsätze ca. Th7 C3. A: Am Okziput zwischen Linea nuchae superior und inferior. N: Rr. dorsales der Spinalnerven C4 C8. B: Er gehört zum medialen Trakt der autochthonen Rücken- muskulatur: transversospinales System (M. semispinalis cer- vicis von den Querfortsätzen Th1 Th6 zu den Dornfortsätzen C2 C5). Funktion Neben der Hauptfunktion der Stabilisation der HWS bewirken diese Muskeln dynamisch eine Extension der HWS und der Kopfgelenke. Einseitig innerviert bewirken sie eine Lateralfle- xion (vor allem M. semispinalis) und eine Rotation (vor allem M. splenius: Rotation nach ipsilateral). Nur je der Capitis-Mus- kelanteil wirkt auf die Kopfgelenke (Extension, Seitneigung bzw. Rotation). In der Systematik der autochthonen Muskulatur gilt gene- rell: spinotransversales System mit Rotation nach ipsilateral und transversospinales System mit Rotation nach kontralateral. Klinische Hinweise Vgl. Anatomie Technik 400: Oberste Schicht sind die eingewan- derten ventralen Muskeln M. trapezius descendens und M. ster- nocleidomastoideus. Die zweite Schicht stellt der M. splenius capitis dar (mit weiteren Muskeln: Technik 400). Die dritte Schicht bilden der M. semispinalis (und der M. longissimus ca- pitis lateral des M. semispinalis), und die vierte Schicht bildet die subokzipitale Nackenmuskulatur bzw. die Mm. multifidi und rotatores unterhalb von C2. Triggerpunkte in diesen Muskeln können Schmerzprojektio- nen (Kopfschmerz) auslösen im Scheitelbereich und im Auge (M. splenius), im Schläfenbereich und okzipital (M. semispinalis capitis), wobei Irritationen des N. occipitalis major vorkommen können mit okzipitalen Schmerzen oder gar mit brennendem okzipitalem Schmerzcharakter, was durch provozierende Pal- pation der myofaszialen Befunde reproduziert werden kann. Das Tragen einer bifokalen oder Gleitsichtbrille bei Bildschirm- arbeit kann eine chronische Extensions-Reklinationshaltung auslösen und neben subokzipitalen Muskelbefunden auch Dys- funktionen dieser Muskeln und der oberen HWSSegmente begünstigen (vgl. Bemerkungen Technik 402!). Palpation und Triggerpunkttherapie Der M. splenius capitis ist im kraniolateralen Bereich der Palpa- tion direkt zugänglich. Weiter distal und medial ist er dann vom M. trapezius überdeckt (Technik 400, Abb. 1), der aber dort sehr dünn ist. Eine Abgrenzung nach medial gegenüber dem darunterliegenden M. semispinalis ist kaum möglich. Trig- gerpunkte sind oft mit einer schmerzhaften Ansatztendinose des Muskels an der lateralen Linea nuchae (Abb. 1 und 2) verge- sellschaftet. Behandlung der Triggerpunkte mit Technik I und II von dorsal durch darüberliegende Muskeln hindurch und von lateral. Der M. semispinalis capitis wird ebenfalls im Sitzen unter- sucht. Aufsuchen mit feinen Flexions-/Extensionsbewegungen, einerseits Palpation und andererseits Umgreifen des M. semi- spinalis mittels Pinzettengriff (Abb. 3 und 4). Triggerpunkt- therapie Technik I und II (keine Infiltration/Nadelung kranial von C2 oder ventral der Querfortsatzregion außer an der Linea nuchae: Duraperforation, Gefäße etc.). 282/283 401 Böhni/Lauper/Locher, Manuelle Medizin 2. Diagnostische und therapeutische Techniken praktisch anwenden (ISBN 9783131652713), © 2012 Georg Thieme Verlag KG

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HSA M. splenius capitis/M. semispinalis capitis

Regionale Testung der Halsmuskulatur

Anatomie

M. splenius capitisU: Kaudales Lig. nuchae und Dornfortsätze C4–Th3.A: Processus mastoideus und Linea nuchae superior.N: Rr. dorsales der Spinalnerven (C2) C3–C5.B: Er gehört zum lateralen Trakt der autochthonen Rückenmus-kulatur: spinotransversales System (M. splenius cervicis vonden Dornfortsätzen Th3–Th6 zu den Querfortsätzen C1–C3).

M. semispinalis capitisU: Querfortsätze ca. Th7–C3.A: Am Okziput zwischen Linea nuchae superior und inferior.N: Rr. dorsales der Spinalnerven C4–C8.B: Er gehört zum medialen Trakt der autochthonen Rücken-muskulatur: transversospinales System (M. semispinalis cer-vicis von den Querfortsätzen Th1–Th6 zu den DornfortsätzenC2–C5).

Funktion

Neben der Hauptfunktion der Stabilisation der HWS bewirkendiese Muskeln dynamisch eine Extension der HWS und derKopfgelenke. Einseitig innerviert bewirken sie eine Lateralfle-xion (vor allem M. semispinalis) und eine Rotation (vor allemM. splenius: Rotation nach ipsilateral). Nur je der Capitis-Mus-kelanteil wirkt auf die Kopfgelenke (Extension, Seitneigungbzw. Rotation).

In der Systematik der autochthonen Muskulatur gilt gene-rell: spinotransversales System mit Rotation nach ipsilateralund transversospinales Systemmit Rotation nach kontralateral.

Klinische Hinweise

Vgl. Anatomie Technik 400: Oberste Schicht sind die eingewan-derten ventralenMuskelnM. trapezius descendens undM. ster-nocleidomastoideus. Die zweite Schicht stellt der M. spleniuscapitis dar (mit weiteren Muskeln: Technik 400). Die dritteSchicht bilden der M. semispinalis (und der M. longissimus ca-pitis lateral des M. semispinalis), und die vierte Schicht bildetdie subokzipitale Nackenmuskulatur bzw. die Mm. multifidiund rotatores unterhalb von C2.

Triggerpunkte in diesen Muskeln können Schmerzprojektio-nen (Kopfschmerz) auslösen im Scheitelbereich und im Auge(M. splenius), im Schläfenbereich und okzipital (M. semispinaliscapitis), wobei Irritationen des N. occipitalis major vorkommenkönnen mit okzipitalen Schmerzen oder gar mit brennendemokzipitalem Schmerzcharakter, was durch provozierende Pal-pation der myofaszialen Befunde reproduziert werden kann.Das Tragen einer bifokalen oder Gleitsichtbrille bei Bildschirm-arbeit kann eine chronische Extensions-Reklinationshaltungauslösen und neben subokzipitalen Muskelbefunden auch Dys-funktionen dieser Muskeln und der oberen HWS‑Segmentebegünstigen (vgl. Bemerkungen Technik 402!).

Palpation und Triggerpunkttherapie

DerM. splenius capitis ist im kraniolateralen Bereich der Palpa-tion direkt zugänglich. Weiter distal und medial ist er dannvom M. trapezius überdeckt (Technik 400, Abb. 1), der aberdort sehr dünn ist. Eine Abgrenzung nach medial gegenüberdem darunterliegendenM. semispinalis ist kaummöglich. Trig-gerpunkte sind oft mit einer schmerzhaften AnsatztendinosedesMuskels an der lateralen Linea nuchae (Abb. 1 und 2) verge-sellschaftet. Behandlung der Triggerpunkte mit Technik I und IIvon dorsal durch darüberliegende Muskeln hindurch und vonlateral.

Der M. semispinalis capitis wird ebenfalls im Sitzen unter-sucht. Aufsuchen mit feinen Flexions-/Extensionsbewegungen,einerseits Palpation und andererseits Umgreifen des M. semi-spinalis mittels Pinzettengriff (Abb. 3 und 4). Triggerpunkt-therapie Technik I und II (keine Infiltration/Nadelung kranialvon C2 oder ventral der Querfortsatzregion außer an der Lineanuchae: Duraperforation, Gefäße etc.).

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Böhni/Lauper/Locher, Manuelle Medizin 2. Diagnostische und therapeutische Techniken praktisch anwenden (ISBN 9783131652713), © 2012 Georg Thieme Verlag KG

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1 = M. trapezius Pars descendens2 = M. splenius capitis3 = M. splenius cervicis4 = M. semispinalis capitis5 = M. iliocostalis cervicic6 = N. occipitalis major (durchbohrt den M. trapezius und semispinalis

capitis)7 = M. longissimus capitis8 = M. spinalis

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Zur Anatomie und Palpation vgl. auch Technik 400, Abb. 1–4.

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HSA M. splenius capitis/M. semispinalis capitis

Regionale Testung der Halsmuskulatur (Fortsetzung)

Druckinhibitionstherapie

Zur Therapie schmerzhafter Muskelbefunde in dieser Regionund von Ansatztendinosen an der Linea nuchae eignen sichauch Druckinhibitionstechniken gemäß Technik 209: Aus der(aktuellen) Ruhestellung Schmerzprovokation durch sanftenDruck, dann unter Halten des Druckes passives Aufsuchen einerdruckschmerzfreien Position durch Flexion/Extension/Lateral-flexion/Rotation der HWS („stacking“), dann Halten des Druckswährend ca. 90 s, anschließend Rückführung in die Ausgangs-position und Wiedertestung des Palpationsbefundes.

Zusatz

Regionale Testung der Halsmuskulatur

Extensionsfunktion der HWS (Abb. 5 und 6)Eine isolierte Funktionsprüfung einzelner Muskeln der autoch-thonen Muskulatur an der HWS ist nicht möglich. Eine globaleTestung der Streckfunktion ist möglich in Bauchlage mit demSchultergürtel auf der Liege durch Halten des über den Bett-rand hinausragenden Kopfes, allenfalls gegen den durch denUntersucher am Okziput gegebenen Widerstand (Janda 2000,Valerius 2009; Abb. 5 und 6).

Es werden schwerpunktmäßig erfasst: M. semispinalis capi-tis und cervicis, M. splenius capitis (und cervicis), M. longissi-mus cervicis/capitis, Multifidus und M. spinalis capitis sowiedie subokzipitalen Nackenmuskeln.

Flektorische Haltefunktion der HWS (Abb. 7 und 8)Der Patient liegt auf dem Rücken. Der Patient muss den Kopfleicht anheben, indem er gleichzeitig das Kinn gegen das Brust-bein bewegt; der Unterkiefer soll gleichzeitig locker bewegtwerden können. Diese Bewegung wird beobachtet; anschlie-ßend soll die Stellung gehalten werden. Ergänzend Wider-standsgabe am Kinn. Patienten mit chronischen Halswirbel-säulenbeschwerden, z.B. nach Trauma, zeigen oft neben derInsuffizienz der dorsalen Schultergürtelmuskulatur und derBWS- und Nackenstrecker eine ausgeprägte Dekonditionierungder tiefen ventralen Halsmuskulatur und können den Kopf nurmit Mühe oder gar nicht anheben; eventuell Provokation vonNackenschmerzen (Abb. 7 und 8). Es handelt sich um einemehr qualitativ-vergleichende Untersuchung; verbindlicheNormwerte existieren nicht. Comerford (2001,2003) be-schreibt dazu: Der Kopf sollte 2 × 15 s ohne Tremor oderSchmerzen von der Unterlage abgehoben werden können. AlsÜbung für den Anfänger empfiehlt Comerford (2004): 10 Wie-derholungen mit Halten während 10 s aus beinahe sitzenderPosition in 10 bis 15° Neigung den Kopf abgestützt, dann lang-same Steigerung der Belastung aus mehr Neigung.

Flektorische Haltefunktion der HWS unter Ausschaltung derventralen Kiefermuskelkette mit der supra- und infrahyoidalenMuskulatur (Abb. 9)Bei Patienten mit stark eingeschränkter flektorischer Halte-funktion kann noch differenziert werden: Durchführung mitoffenem und geschlossenem Mund. Bei geschlossenem Mundkann die oberflächliche ventrale Kette als Hilfsmuskulatur ein-gesetzt werden (Kiefermuskulatur besonders M. temporalisund M. masseter in Kombination mit der supra- und infrahyoi-dalen Muskulatur), was bei geöffnetem Mund nicht möglich ist(Kette unterbrochen). Patienten mit erheblich dekonditionier-ter Halsmuskulatur zeigen dann deutlich mehr Mühe, dieseStellung zu halten (Abb. 9). Die Funktionen des M. longus capi-tis, des M. longus colli und des M. rectus capitis anterior sinddiagnostisch nicht zu trennen. Bei chronischen HWS‑Patientensoll unbedingt auch die ventrale flektorische Haltefunktion ge-prüft und gegebenenfalls in die Therapieplanung einbezogenwerden.

Kopf-Vorschiebefunktion (Abb. 10und 11)Der M. sternocleidomastoideus als oberflächlicher Beugerschiebt den Kopf nach vorne (Protraktion), was durch entspre-chende Anweisung differenziert beurteilt werden kann: Ab-heben des Kopfes ohne Flexion Richtung Sternum (Abb. 10und 11, vgl. Technik 407).

Assessment Rumpfstabilisation

Es wird explizit auf die Ausführungen und die Techniken beiTechnik 550 verwiesen: Darstellung von Techniken zur Evalua-tion der Extensions- und Flexionskontrolle durch die HWS-Muskulatur und Stellungs-/Bewegungskontrolle der Scapulaebzw. des zervikothorakalen Übergangs (Technik 550, Abb. 6,folgende).

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Halten mit offenem Mund

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Abb. 9 Halten mit offenem Mund: Die ventrale oberflächliche Kettemit Kiefermuskulatur und infra-/suprahyoidaler Muskulaturist unterbrochen.

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HSA Subokzipitale Muskulatur

Anatomie

U/A: C0: Linea nuchae inferior; C1: Tuberculum posterior atlan-tis/Querfortsatz C1; C2: Dornfortsatz (vgl. Abb. 1).N: N. suboccipitalis C1.B: DieWurzel C1 hat zwar kein sensorisches Hautareal, aber sieführt sensorische Fasern aus Hirnhautarealen der hinterenSchädelgrube (Kopfschmerz!) sowie ausgeprägt dichte, pro-priozeptive Afferenzen aus den Subokzipitalmuskeln. Proprio-zeptive Fasern von C1 stammen auch aus dem N. accessorius(M. trapezius und M. sternocleidomastoideus), was bedeutsamist im Zusammenhang mit der afferenten zervikotrigeminalenKonvergenz, dem konsekutiven Projektionsschmerz und densich gegenseitig beeinflussenden myofaszialen, reflektorischenZusammenhängen der oberen Nacken- und der Kopfregion.Vgl. auch Abschnitt „Klinische Hinweise“ unten und Technik404 Kieferregion.

Funktion

Die subokzipitale Muskulatur hat in erster Linie eine stabilisie-rende und kontrollierende Funktion auf die Kopfstellung. ZurGleichgewichtskontrolle mit visueller Orientierung muss dieAugenlinie in jeder Körperposition horizontal gehaltenwerden.Überdies haben die Subokzipitalmuskeln eine hohe Proprio-zeptorendichte zur Gleichgewichtskontrolle (vgl. zervikogenerSchwindel).Extension bzw. Reklination (C0/C1): Mm. recti/M. obliquus ca-pitis superior bei beidseitiger Innervation.Rotation: M. obliquus capitis inferior (C1/C2)/M. rectus capitisposterior major (C0–C2) bei einseitiger Innervation. Rotationzur gleichen Seite.Lateralflexion (C0–C1):M. obliquus capitis superior bei einsei-tiger Innervation (vgl. Abb. 1 und 2).

Klinische Hinweise

Schlecht lokalisierbare, tiefsitzende Kopfschmerzen: Fortge-leiteter Schmerz okzipital vor allem nach lateral bis Schläfen-region. Die Schmerzprovokation ist das wichtigste klinischeKriterium für die Diagnose „zervikogener Kopfschmerz“ (DD:Dysfunktionen C0/1–C2/3).

Eine Hyperkyphosierungshaltung der BWS führt zu einerHyperlordose der HWS und konsekutiver Kopfvorhaltestellungmit subokzipitaler Reklinationshaltung, was zur häufigen sub-okzipitalen Muskelverkürzung führt. Verspannte, verkürzteund druckdolente, mit Triggerpunkten versehene Muskelnsind häufige Gründe für okzipitale, gegen die Schläfenregionausstrahlende Kopfschmerzen (zervikotrigeminale Konver-genz, vgl. klinische Hinweise Technik 404).

Palpation und Funktionstestung

Die Palpation erfolgt mit Vorteil liegend (entspannte lange Na-ckenmuskeln, insbesondere M. semispinalis capitis; Abb. 3 und4). Die Ellbogen werden auf der Liege abgelegt, während derKopf auf beiden Thenaren des Therapeuten liegt. Die Mm. recticapitis posteriores minor et major befinden sich nahe der Mit-tellinie; die Mm. obliqui eher lateral, wobei der M. obliquus in-ferior laterokranial des Dornfortsatzes C2 liegt. Es finden sichDruckdolenzen mit Provokationsschmerzen; eigentliche Trig-gerpunkte können kaum abgegrenzt werden. Die Schmerzpro-vokation kann durch Dehnstellung verstärkt werden, wobeidann eine Hand als Führungshand den Kopf führt: Dehnstel-lungen werden entsprechend der Funktion definiert (vgl.oben). Die gegensinnige Rotation und Flexion stellt die maxi-male, einseitige Provokation bzw. Dehnung dar.

Dehnung/NMI‑Technik

NMI II und III (vgl. Technik 208, Abb. 3 und 4): Aus der Dehn-stellung in Richtung Flexion erfolgt die Anspannung iso-metrisch in Richtung Extension (NMI II postisometrische Rela-xation; Abb. 5) oder in Richtung Flexion (NMI III reziprokeHemmung; Abb. 5) mit anschließendem mobilisierendemWeggewinn (Abb. 6).

Triggerpunkttherapie

Es wird in leichter Vordehnung gearbeitet mittels Technik I(Kompression evtl. mit kleinen, aktiven Bewegungen) undTechnik II (Relativbewegungen zum Triggerpunkt passiv oderaktiv-assistiv).

Propriozeptive Druckinhibitionstherapie

Vgl. Technik 209.

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HSA Diagnostik & Therapie Muskulatur402

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1

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3 2Seitneigungeinseitig Extension

beidseitigangespannt

Rotationeinseitig

2

4

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C2

1

1 = M. rectus capitis posterior minor2 = M. rectus capitis posterior major3 = M. obliquus capitis superior4 = M. obliquus capitis inferior5 = M. semispinalis capitis6 = M. splenius capitis7 = M. longissimus capitis8 = M. trapezius

2

3

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HSA Kiefer und Kiefergelenk

Untersuchung der Kieferregion

1. Inspektion: Kiefer und Gesicht; Asymmetrien.2. Untersuchung der Kiefergelenke (Handschuhe):

l Öffnen, Schließen, Exkursionsbewegungen: Ca. 38 bis45mm Mundöffnung (ca. 3 Querfinger), Seitenabwei-chung bei Kieferöffnung (auf obere und untere Zahnreiheachten), Kieferöffnungs- und ‑exkursionsbewegungen (La-terotrusion [Rotation], Pro- und Retrusion) sind symme-trisch, ohne Einschränkung und schmerzfrei. PassiveMundöffnungsprovokation (mit den Fingern spreizen).

l Palpation der Kiefergelenke lateral über den Kondylen undim äußeren Gehörgang ohne/mit Öffnungs- und Exkursi-onsbewegungen des Unterkiefers: Kein Knacken, symme-trische Bewegung, keine Druckdolenz (Abb. 1). Im Gehör-gang (Abb. 1b) palpiert man das Kiefergelenk von dorsal/retrokondylär bzw. im Bereich der bei symptomatischenPatienten oft schmerzhaften bilaminären Zone (dorsaleDiskusregion; Anatomie Abb. 10): Schmerzprovokation?Beweglichkeit symmetrisch?GutePalpierbarkeit retrokon-dylär bei Exkursionsbewegung zur Seite.

3. Gelenkspieluntersuchung und Provokation: Eine Hand stabi-lisiert die Mandibula mit dem Zeige- und Mittelfinger äußer-lich undmit demDaumen auf der unteren Zahnreihe. Die ande-re Hand palpiert über dem Kiefergelenk während derTraktionsbewegung nach kaudal. Symmetrisches, festelasti-sches „ligamentäres“, schmerzfreies Endgefühl, ca. 2mm betra-gend (Schupp 2001). Die passive Kompressionsprovokationnach kranial (Diskus) und nach dorsal (bilaminäre Zone) sollteschmerzfrei sein (Abb. 3).4. Isometrische Testung der Kieferbewegungen (Provokationder Muskulatur): Kieferschluss, Kieferöffnung, Protraktion, Re-traktion und Laterotrusion (Rotation) nach links und rechts:Schmerzprovokation (erinnerter Schmerz? Abb. 4 und 5).5. Untersuchung der Muskulatur

Kiefermuskulatur:Anatomie, Untersuchung und Therapie

M. temporalisU: Fossa/Fascia temporalis. A: Processus coronoideus mandibu-lae. N: N. mandibularis (V 3).Funktion: Kraftvolle Elevation (Beißen) des Unterkiefers. Re-traktion mit den horizontalen Fasern. Elevation erfolgt gemein-sammit der Mandibulaschlinge, gebildet aus M. masseter (late-ral) und M. pterygoideus medialis (medial).Palpation: Der Muskel ist der direkten Palpation gut zugäng-lich. Triggerpunkttherapie I; evtl. Nadelung.

M. masseterU: Pars superficialis: Vordere zwei Drittel des Arcus zygomati-cus; Pars profunda am hinteren Drittel des Arcus zygomaticus.A:Mandibula-Außenfläche. N: N. mandibularis (V 3).Funktion: Kraftvolle Elevation sowie Protraktion (Pars super-ficialis) und Retraktion (Pars profunda).Palpation: Der Muskel ist kräftig und bei isometrischer An-spannung bei Kieferschluss sehr gut abgrenzbar. Palpation lokalund mittels Pinzettengriff den Daumen von außen und denZeigefinger enoral am Muskel angelegt. TriggerpunkttherapieTechnik I und II; Nadelung (cave: Parotis und N. VII). Projek-tionsschmerz Ohrregion (unklare Ohrschmerzen!).

M. pterygoideus medialisU: Fossa pterygoidea des Os sphenoidale und am Processus sty-loideus. A: Innenfläche der Mandibula (Angulus). N: N. mandi-bularis (V 3).Funktion: Kraftvolle Elevation sowie Protraktion (Pars super-ficialis) und Retraktion (Pars profunda).Palpation: Palpation von lateral auf der Innenseite des Kiefer-winkels (isometrische Anspannung durch Kieferschluss) undallenfalls enoral hinter dem letzten Molaren auf der Unterkie-ferinnenseite.Therapie: Alle drei Elevatoren können mittels NMI II (postiso-metrischer Relaxation) behandelt werden: Mundöffnung biszur Bewegungsgrenze und dann isometrische Anspannung ge-gen Widerstandsgabe an den Unterkieferzähnen (Eckzähne bisFrontzähne;Abb. 3). Evtl. Triggerpunkttherapie Technik I und II.

M. pterygoideus lateralis:U: Pars superior: Ala major des Os sphenoidale; Pars inferior:Lamina lateralis des Processus pterygoideus.A: Ventral am Processus condylaris und an der Gelenkkapsel/Diskuskomplex. N: N. mandibularis (V 3).Funktion: Kieferprotraktion bzw. protrahierende Stabilisationdes Diskus.Palpation: Von außen sind die posterioren Anteile unterhalbdes Jochbogens unter dem durch Mundöffnung entspanntenM. temporalis als negative oder positive Druckdolenz palpabel.Die enorale Palpation des Ansatzes an der Lamina lateralis desProcessus pterygoideus gemäß Literatur ist aus unserer Erfah-rung schwierig und wenig objektivierbar. Wichtiger und effek-tiver scheint die provozierende isometrische Protrusion(= Protraktion) gegen Widerstand zu sein.Therapie: Isometrische Anspannung in Protrusionsrichtungmitanschließendem Zurückfallenlassen des Kiefers in der Exspira-tionsphase. Bei kraniomandibulären Dysfunktionen ist dieserMuskel oft mitbetroffen (hochsensible bilaminäre und Diskus-zone; Abb. 10).

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HSA Diagnostik & Therapie Muskulatur404

404

vor dem Tragus hinter dem Tragus

a b1

Gelenkspiel evtl. bimanuell

a b2

isometrisch Öffnung und Protraktion

4

Kompression nach kranial oder dorsal

3

isometrisch Laterotrusion

a b5

M. temporalis

Capsula articularis

M. masseter:– Pars superficialis (1)– Pars profunda (2)

21

7

Discusarticularis

M. pterygoideuslateralis:

– Pars superior– Pars inferior

M. masseter,Pars profunda

M. masseter,Pars superficialis

M. pterygoideusmedialis

8

Capsula articularisLig. laterale

M. masseter

M. temporalis

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HSA Kiefer und Kiefergelenk

(Fortsetzung)

Generelle Hinweise zur Therapie

Die Schmerzausstrahlungen der myofaszialen Triggerpunktebetreffen die Kiefer-/Gesichtsregion inklusive Temporalregionund Augenregion. Die Kiefergelenke können gemäß Abb. 2mo-bilisiert werden, die Mandibula beidseits mit beiden Händen fi-xierend (Traktions- und Translations-Mobilisation; evtl. lie-gend ausgeführt). Traktion nach kaudal mittels Fixation derMandibula mit dem Thenar beidseits über dem M. masseter,die Daumen nach kranial gerichtet (als Heimübung; Abb. 16).Es bewähren sich isometrische Anspannungen und die An-wendung von postisometrischen Relaxationstechniken, wiebeschrieben. Triggerpunkttherapie (siehe oben) und proprio-zeptive Druckinhibitionstherapie.

Als Heimübungen bewähren sich: isometrische Anspan-nungsübungen gegen Widerstand mit der Hand am Kinn inRichtung Kieferöffnung, Vorwärts- und Seitwärtsbewegung(Abb. 13–15). Palpationsdruck durch den Patienten auf demM. masseter und gleichzeitig kleinräumige Kieferbewegungenausführen. Heimübung analog zur oben beschriebenen Mobili-sation über Thenarkontakt am Masseter beidseits.

Klinische Hinweise:die kraniomandibuläre Dysfunktion

Die Schmerzausstrahlungen der Muskeln betreffen die Kiefer-/Gesichtsregion inklusive Temporalregion und Augenregion; beiChronifizierung werden zunehmend die ganze Kopf- und Na-ckenregion inkl. Schulterregion miteinbezogen. Zum kranio-mandibulären System (CMS) zählen das neuromuskuläre Kau-system, die Kiefergelenke und die Zähne; sensorisch sind dieseStrukturen durch verschiedene Äste des N. trigeminus undwei-terer Hirnnerven versorgt. Neuroanatomisch ist das kranio-mandibuläre System mit der oberen Halswirbelsäulenregioneng verknüpft durch die sogenannte zervikotrigeminale Kon-vergenz (Übersicht bei Neuhuber in Hülse & Neuhuber 2005und persönliche Mitteilungen Neuhuber): Die trigeminalenNoziafferenzen steigen im Tractus spinalis N. trigemini bis inzervikale Segmente (C1–C3, auch C4) ab, und vor allem errei-chen zervikale Noziafferenzen der Segmente C1–C4 direkt denNucleus spinalis N. trigemini. In diesem spinomedullärenÜbergangsgebiet kommt es zu einer ausgiebigen anatomischenÜberlappung von spinalen und trigeminalen Afferenzen, wasdie morphologische Grundlage für die erwähnte zervikotrige-minale Konvergenz darstellt. In dieses sensorische Trigeminus-kerngebiet münden auch Afferenzen aus dem N. IX und X (Pha-rynx- und Larynxäste) sowie aus dem N. VII (Nn. auriculares).In diesem spinalen Trigeminuskern sind die WDR‑Neurone(siehe Seite 006); die multifunktionale Konvergenz beziehtsich hier also auf C1–C4, N. V, VII, IX und X gemeinsam.

Dadurch sind die vielfältigen klinischen Syndrome mit Über-lappung von Symptomen des oberen Halswirbelsäulen-syndroms und der kraniomandibulären Dysfunktion bestenserklärt, insbesondere bei Chronifizierung mit peripherer undzentraler Sensibilisierung im Bereich beider Systeme (kranio-mandibuläres System und obere Halswirbelsäulenregion).

Aufgrund dieser neuroanatomischen Zusammenhänge sindtopisch alle Symptome des oberen zervikogenen (zerviko-zephalen) Beschwerdesyndroms bzw. ursachenunspezifischalle sensorischen Qualitäten als Symptomemöglich, die im Ein-zugsgebiet der Wurzeln C1–C4 und der Hirnnerven V, VII, IX, Xund XI (C1–C3) liegen. Dazu kommen die intensiven proprio-zeptiven Verbindungen der Afferenzen C1–C3 (C4) zu den Ves-tibulariskerngebieten (Schwindelsymptome).

Das Kiefergelenk wird sensibel vom N. mandibularis des Tri-geminus versorgt, erhält aber auch Fasern aus den GanglienC2–C5. Besonders dicht ist die sensible Versorgung im Bereichder bilaminären Zone (dorsale Diskusregion): intensive Affe-renzierung! Zur bilaminären Zone vergleiche Abb. 10 und dieProvokation gemäß Abb. 3.

Die kraniomandibuläre Dysfunktion ist nicht exakt defi-niert: muskuloskelettale Beschwerden und Dysfunktionen deskraniomandibulären Systems (s. oben) mit Gesichts- und Kopf-schmerzen, aber auch Nacken- und Schulterbeschwerden beizunehmender Chronifizierung. Bruxismus-Symptome (Pressenund/oder Knirschen) gehören ebenfalls dazu. Es sind drei Typenmit Überlappungen zu unterscheiden (z.B. bei Kopp, Hülse,Schupp und Schöttl):a) Dentookklusogen: Störung der statischen und dynamischenOkklusion (mit b und c kombiniert).b) Primär myogen: Überlastung mit myofaszialen Befundenprimär der Kaumuskulatur.c) Primär arthrogen/Kiefergelenk: Arthritiden/aktivierte Ar-throsen. Sehr wichtig sind Diskopathien etc.

Die Zusammenarbeit mit dem spezialisierten Zahnarzt undspezialisierten Physiotherapeuten ist wichtig.

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HSA Diagnostik & Therapie Muskulatur404

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M. masseter

2

3

1 11

1

M. pterygoideus medialis (1)

M. pterygoideus lateralis:– Pars superior (2)– Pars inferior (3)

Discus

2 3

3

9

2

3

Discus

bilaminäreZone

Kapselligament

10

Palpation M. pterygoideus medialis

12

Palpation/Therapie M. masseter

a b11

NMI-II-Elevatoren

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NMI II

a b15

Stabilisation am Masseter; Traktion

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NMI-II-Elevatoren

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HSA Mm. scaleni

M. scalenus anterior und M. scalenus medius (M. scalenus posterior)

Anatomie

U: Tubercula anteriora der Processus transversi C3–C6(M. scalenus anterior)/C2–C7 (M. scalenus medius).A: 1. Rippe (M. scalenus posterior 2. Rippe).N: Rr. ventrales der Spinalnerven C4–C8 (Plexus cervicalisC1–C4 bzw. Plexus brachialis C5–Th1).B: Die hintere Skalenuslücke liegt zwischen M. scalenus ante-rior und medius (A. subclavia und Plexus brachialis): erstefunktionelle Lücke des „thoracic outlet“. Die vordere Skalenus-lücke liegt zwischen M. sternocleidomastoideus und M. scale-nus anterior (V. subclavia).

Die klinisch bedeutsame sog. Skalenuslücke bezeichnet alsodie anatomische hintere Skalenuslücke.

Funktion

Einseitig: Ipsilaterale HWS‑Seitneigung sowie leichte Rotationzur Gegenseite.Bei rotierter Stellung der HWS zur Gegenseite (links): Mm. sca-leni (rechts) bewirken eine HWS‑Flexion.Beidseitige Anspannung als Atemhilfsmuskelnmit Anheben derersten Rippe bei fixierter HWS.

Klinische Hinweise

Die Mm. scaleni sind häufig verkürzt bzw. verlängerungsemp-findlich: Einschränkung der HWS‑Lateralflexion (segmentaleDysfunktionen in Divergenzrichtung an der HWS) und der In-klination/Entlordosierung. Triggerpunkte mit Ausstrahlungensind häufig (gemäß Abb. 2; auch [inter-]skapuläre und Thorax-schmerzen). Verkürzte Mm. scaleni bei Hyperkyphosierungs-haltung der BWS mit vorgeschobener Kopfhaltung und unge-nügender Stabilisierung des Schultergürtels sind assoziiert mitmyofaszialen Befunden des M. levator scapulae, des M. trape-zius descendens und des M. pectoralis minor sowie mit Dys-funktionen der 1. Rippe und des zervikothorakalen Übergangs.Hartspannstränge im Muskel können den Plexus brachialis inder Skalenuslücke irritieren und durch Anhebung der 1. Rippeauch den kostoklavikularen Engpass beeinflussen (2. funktio-nelle Lücke): Die Folge sind nachts betonte ulnarseitige Par-ästhesien bedingt durch die Nähe des Truncus inferior des Ple-xus brachialis zur 1. Rippe. Diese bessern sich meist nachAufrichten der BWS mit muskulärer Aktivierung der dorsalenSkapulafixatoren des Schultergürtels.

Die Mm. scaleni haben aus funktioneller und klinischer Sichteine Brückenfunktion zwischen der oberen HWS-Region unddem zervikothorakalen Übergang.

Palpation und Triggerpunkttherapie

Untersuchung und Therapie im Sitzen: Aufsuchen der hinterenSkalenuslückemittels PalpationderA. subclavia inderTiefe zwi-schenM. scalenus anterior undmedius, evtl. mit etwas ipsilate-raler Lateralflexion (Abb. 3). Die Identifikation der 1. Rippe, derArterie (und des dort verlaufenden Plexus) ist wichtig vorInjektionstherapie/Needling. Von dort ausgehend Aufsuchendes Hinterrands des M. scalenus anterior (Abb. 4a) und Palpa-tion des Muskels nach kaudal bis hinter die Klavikula und nachkranial bis zu der Stelle, anwelcher derM. scalenus anterior hin-ter denM. sternocleidomastoideus tritt. DerM. scalenusmediuswird von der Lücke ausgehend nach dorsal palpiert, verbundenmit etwas Lateralflexion zur Gegenseite, wodurch der M. scale-nus medius „anspringt“; der M. scalenus medius ist größer, erliegt vor dem freien Rand des Pars descendens des Trapezius.EinTriggerpunktbefindetsichoft unterdemVorderranddesTra-pezius. Aus dieser Stellung erfolgt die Triggerpunkttherapie Iund II in leichterVordehnung in Inklinations-/Entlordosierungs-stellung und leichter kontralateraler Lateralflexion derHWS.Die Provokationsuntersuchung nach Adson (Abb. 7) der Skale-nuslücke zwischenM. scalenus anterior und medius: Wichtigs-te Komponente ist die kontralaterale Kopfrotation in leichterExtension (Dehnstellung) mit Anhalten in maximaler Inspira-tion (Anspannung derMm. scaleni). Es handelt sich um eine un-spezifische Provokation des Plexus brachialis mit SchwerpunktSkalenuslücke (Wiedererkennen der Parästhesien im Seiten-vergleich). Der Eden-Sanders-Test (Abb. 8) provoziert relativunspezifisch den kostoklavikularen Engpass mittels BWS‑Ex-tension und Schulterretraktion mit evtl. Verstärkung durchZug am Arm. Provokation als Variante durch Fixation der Klavi-kula nach kaudal (Kompression auf die Klavikula zur Verstär-kung des Eden-Sanders-Tests). Dabei wird eine maximale In-spiration während 20 bis 30 s gehalten.

Längentestung (Provokation) und Dehnung

Sitzend: Dehnung und Provokation evtl. unter Palpation derAnsätze an der 1. Rippe aus einer Inklinations-/Entlordosie-rungsstellung („Chin in“) mit Lateralflexion zur Gegenseite. Sit-zend kann analog zur gezeigten Kopfkontrolle (Abb. 4a und4b) atemsynchron die Heimübung instruiert werden.

Die passive Dehnung erfolgt mit Vorteil liegend (Abb. 5), wo-bei der Kopf/die obere HWS zur Kontrolle der Stellung auf derHand gelagert wird. Liegend kann auch die Triggerpunktthera-pie erfolgen (Abb. 5). Die Dehnung mittels NMI‑II‑Technik er-folgt über einen Klavikulakontakt (Abb. 6); Dehnung RichtungLateralflexion zur Gegenseite bei leichter Flexion/Inklinationder HWS (BetonungM. scalenus anterior mit zusätzlich leichteripsilateraler Rotation).

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M. sternocleido-mastoideus: (1)

– Pars clavicularis (2)M. scalenus anterior (3)M. scalenus medius (4)

mit M. scalenus posterior (5)M. levator scapulae (6)

M. trapezius (7)Plexus brachialis (8)M. omohyoideus (9)

1 2

M. scalenus anterior M. scalenus medius

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HSA M. sternocleidomastoideus

Anatomie

U: Caput sternale amManubrium sterni; Caput clavicularis me-diales Drittel der Klavikula.A: Processus mastoideus.N: N. accessorius XI (aus retrograd in die Schädelbasis ver-laufenden Fasern C1–C3).

Funktion

Einseitige Anspannung: Kombinationsbewegung in RichtungKopf- und HWS‑Seitneigung zur gleichen Seite, Extension undRotation zur Gegenseite. Die Hauptwirkung wird auf die obereHWS entfaltet.Beidseitige Anspannung: Aufhebung der Rotationsfunktion; ausflektierter Stellung der HWS erfolgt im Endphasenbereich eineFlexion bzw. aus extendierter Stellung der HWS eine Extension(der Kopf wird nach vorne geschoben).

Die Wirkung auf die Klavikula ist funktionell vernachlässig-bar außer bei schwerer COPD, wo der inspiratorische Hilfsmus-kel aus extendierter HWS‑Stellung eine kräftige Anhebung desoberen vorderen Thorax bewirkt. Der Muskel hat als globalerStabilisator eine Kopfbewegungssteuerungsfunktion zusam-men mit den Subokzipitalmuskeln und verhindert auch Trans-lationsbewegungen des Kopfes nach dorsal, was zum Beispielbeim Hyperextensionstrauma auftreten kann.

Klinische Hinweise

Der Muskel hat oft myofasziale Triggerpunkte. Diese sind Ur-sachen von „Spannungs“-Kopfschmerzen (vgl. Abb. 2), meistvergesellschaftet mit Dysfunktionen C0/1 bis C2/3, dann auchmit myofaszialen Befunden der subokzipitalen Nackenmuskelnverbunden. Verkürzungen dieses Muskels sind klinisch nichtrelevant. Bei Chronifizierung mit Veränderung der spinalenSchmerzmodulation können die Symptome des Patienten auf-grund der nozizeptiven, zervikotrigeminalen Konvergenzdurch Provokation sowohl am Sternocleidomastoideus alsauch z.B. subokzipital oder durch Provokation C0/1, C1/2 oderC2/3 ausgelöst werden, dies je nach Befundkonstellation. ZumKopfschmerz gesellen sich visuelle, akustische Symptome so-wie Schwindel, Gleichgewichts- und Koordinationsstörungen(oberes zervikogenes Beschwerdesyndrom (= zervikozephalesSyndrom) durch zervikotrigeminale Konvergenz; ursachen-unspezifische Schmerzquellen im zervikotrigeminalen Ein-zugsgebiet C1–C3/Trigeminus; vgl. Kiefer 404).

Der fortgeleitete Schmerz kann auch an der Stirn/am Gesichtder Gegenseite auftreten. Es wurde nachgewiesen, dass derMuskel beim Hyperextensionstrauma ohne Vorbereitung be-sonders stark belastet wird (beschleunigender Impuls auf dennicht isometrisch vorgespannten Muskel mit verzögerter, kon-zentrischer Anspannung; Hell & Muser 2005): häufig Trigger-punkte posttraumatisch.

Palpation und Triggerpunkttherapie

Sitzende Untersuchung und Therapie: Zur lokalen Palpation derTriggerpunkte mit Schmerzprovokation wird der Muskel zwi-schen 2 Fingern mittels „Pinzettengriff“ untersucht, kranial inleichter Annäherung von Ansatz und Ursprung. Triggerpunktewerden kranial eher mittels Vordehnung durch Lateralflexion(Abb. 3 und 4) und im mittleren Drittel eher mittels Vordeh-nung durch Rotation (Abb. 5 und 6) behandelt. Dabei handeltes sich um kleinräumige Bewegungen ohne Gesamtdehnungdes Muskels; es findet vielmehr eine lokale Kompressions-und Dehnbehandlung statt im Rahmen dieser kleinräumigenBewegungen (Übergang Triggerpunkttherapie I und II).Liegende Untersuchung und Therapie: Es wird wiederum inleichter Annäherung mittels Pinzettengriff untersucht, wobeidie andere Hand als Führungshand den Kopf okzipital kontrol-liert (Abb. 7). Triggerpunkttherapie I (Kompression mit Vor-dehnung eher in Lateralflexion) und II mit leichten Rotations-bewegungen aktiv geführt. Alternativ bimanuelle Therapie(Abb. 8), wobei mit dieser Handanlage auch eine Fasziendehn-technik als Längsfriktion (Technik III) effizient durchgeführtwerden kann. Die häufigen Verklebungen des Muskels mit denSkaleni werden mittels Faszientrenntechnik behandelt: DieseVerschieblichkeit wird mit dem Piercing-Griff um den Muskelgeprüft und therapiert.

Evtl. Nadelung mittels Pinzettengriff.

Heimübung: Pinzettengriff mit kleinen Rotations- oder Lateral-flexionsbewegungen.

Kommentar: Eine vorsichtige Therapie und eine gute Aufklä-rung des Patienten sind wegen zum Teil heftiger vegetativerBegleitreaktionen und Schmerzen wichtig.

Längstestung: Der Muskel ist klinisch nicht in seiner Längekompromittiert. Davon abgegrenzt werden muss die seltenegeburtstraumatische Verkürzung des Muskels.

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Zungenbein(Os hyoideum)

M. omohyoideus

Beachte den breiten Ansatzdes Caput clavicularis an

der Klavikula!

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HSA M. levator scapulae

Anatomie

U: Processus transversi C1–C4.A: Angulus superior und angrenzende Margo medialis der Ska-pula.N: Rr. ventrales C3–C5 (Plexus cervicalis) sowie N. dorsalis sca-pulae (C3–C5).

Funktion

Der Muskel gehört zu den Skapulafixatoren: Verschiebung derSkapula nach kranial und Rotation/Zug der Skapula nach medi-al. Bei fixierter Skapula Lateralflexion und gleichsinnige Rota-tion der HWS. Der Muskel ist eingebunden in die medialenSkapulafixatoren (Kokontraktion mit M. trapezius descendens,Mm. rhomboidei; z.B. M. trapezius Pars ascendens: Trapezius-Levator-Muskelschlinge).

Klinische Hinweise

Triggerpunkte liegen meistens unter dem Vorderrand desM. trapezius, kombiniertmit VerkürzungenundAnsatztendino-se am Angulus superior der Skapula; gleichzeitige Dysfunktio-nen der HWS sind häufig (oft die Segmente C2/3 und C3/4).Myofasziale Beschwerden treten gehäuft auf bei Tätigkeiten imSitzen mit Kopfrotationsstellungen und Hyperkyphosierungs-haltungderBWSmitKopf-undSchultervorhaltestellung (Schul-tergürtelhaltungsschwäche!) sowie nach HWS‑Distorsions-trauma oder ungünstigen Schlafpositionen (im Zug/Flugzeug).Subjektiv nehmen die Patienten oft eine schmerzhafte Rota-tionseinschränkungwahr (z.B. beimRückwärtsfahren imAuto).

Bei zervikogenen Kopfschmerzen müssen myofasziale Be-funde in diesemMuskel unbedingt gesucht werden. Häufig fin-det man segmentale Dysfunktionen C2/3, myofasziale Befundesubokzipital, in der Pars descendens des M. trapezius sowie imM. levator scapulae (welche alle Schmerzausstrahlungsmusterim okzipitalen Bereich haben können; vgl. nozizeptive Reiz-summe im Rahmen der zervikotrigeminalen Konvergenz).Dies entsteht oft auf dem Boden einer ungenügenden Stabili-sierungsfähigkeit des Schultergürtels mit Hyperkyphosie-rungshaltung. HWS‑Traumata (auch bei Frontalkollisionen)können myofasziale Befunde im Muskel auslösen (z.B. bei De-jung 2009). Assoziierte Triggerpunkte werden gehäuft imM. splenius cervicis gefunden.

Palpation und Längstestung/Provokation

Palpation bimanuell am Muskelansatz am Angulus superior;anschließend Provokation durch Dehnstellung einseitig (Abb. 3und 4). Palpation mit den Fingern von lateral kaudal nach me-

dial kranial und über den Vorderrand des Trapezius descendenshinweg, wo der Muskelwulst des Levator in der Tiefe palpiertwerden kann: Dort liegt am Vorderrand des Trapezius der häu-figste Triggerpunkt. Die Palpation kann durch leichtes Abstüt-zen der Hände des Patienten dorsal auf der Liege (Detonisie-rung des M. trapezius), durch Hochziehenlassen der Skapula(Anspringen des Levatorstrangs vor dem Trapezius) oder durchleichte Annäherung (evtl. leichtes Hin-und-her-Bewegen;Abb. 5) erleichtert werden.Längentestung sitzend: Flexion HWS und Rotation/Seitneigungzur Gegenseite.Heimübung (Abb. 8): Die Dehnstellung wird induziert durchAußenrotation der Skapula mittels gleichseitigem maximalemNacken-Schulter-Griff (Fingerspitze III bis zur Skapula) mit an-schließender Stabilisation des Ellbogens an einem Türrahmen;durch die Skapularotation wird der Angulus nach kaudal ver-schoben. Durch geführte HWS‑Flexion und kontralaterale Late-ralflexion/Rotation der HWS mit der anderen Hand erfolgt dieisometrische Anspannung mit anschließender postisometri-scher Relaxation (NMI II). Ein Türrahmen eignet sich besondersgut, da ein der Bewegung entsprechender Ausfallschritt mitdem kontralateralen Bein vorgenommenwerden kann.

Triggerpunkttherapie und Faszien

Die Therapie des Triggerpunkts unter dem Vorderrand des Tra-pezius erfolgt in leichter Dehnstellung mittels Technik I und II(Abb. 6). Eine Technik III (Fasziendehntechnik) ist allenfalls imkranialen Bereiche möglich, indem der Muskel mit den Fingernumfasst und langsam nach kaudal „ausgemolken“ wird. Fas-zientrenntechniken im Ansatzbereich am Schulterblatt könnensowohl ventral als auch dorsal des Levators durchgeführt wer-den. Die Behandlungstechnik wird bei hyperabduziertem Armmit 2 Fingern (vor oder hinter dem Levator) von kranial in kau-daler Richtung durchgeführt, den abduzierten Arm leicht be-wegend (Abb. 7).Faszientrenntechnik in Bauchlage (keine Abb.): Eine Hand führtdie Skapula am Angulus inferior nach kranial, die Finger der an-deren Hand schieben sich in die Lücke zwischen Trapezius undLevator scapulae (der M. splenius cervicis liegt medial davonund wird evtl. mit den Fingerkuppen erreicht).

Ein zweiter Triggerpunkt am kaudalen Muskel ist klinischschwierig abgrenzbar von der Ansatztendinose des Muskelsam Angulus superior. Neben Triggerpunkttherapie I und II eig-nen sich dort auch propriozeptive Druckinhibitionstechniken:Unter Palpation des Schmerzpunkts Aufsuchen einer schmerz-freien Stellung durch Annäherung (gleichsinnige Lateralflexionund Rotation; zur Durchführung vgl. 209). Auch der kranialeTriggerpunkt kann so behandelt werden.

Bei Nadelung Vorsicht (Pneumothorax).

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HSA Diagnostik & Therapie Muskulatur408

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C7

Proccessus transversiCI – IV

M. levator scapulae

M. rhomboideus minoret major

Angulus superior

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HSA M. trapezius (Pars descendens)

Exemplarische Triggerpunkttherapie

Anatomie

U: Protuberantia occipitalis externa, mediales Drittel der Lineanuchae superior, Processus spinosi C2–Th12 (zur Anatomievgl. auch Technik 412, Abb. 2).A: Pars descendens: laterales Drittel der Klavikula, Akromion;Pars horizontalis: Akromion und Spina scapulae; Pars ascen-dens: mittels Aponeurose an der medialen Spina scapulae.N: N. accessorius XI (aus retrograd in die Schädelbasis ver-laufenden Vorderwurzel-Fasern C1–C3); auch Rr. ventralesC2–C4.

Funktion

Wichtiger Aufhänger der Skapula am Rumpf (Skapulafixato-ren). Die drei Anteile des M. trapezius sind synergistisch tätigund garantieren die Skapulafixation am Rumpf und das zen-trierte Rotieren der Skapula im skapulothorakalen Gleitlager.Weitere Synergisten kommen je nach Stellung der Skapula da-zu. Beispiel: Bei der maximalen Abduktion dreht die Pars de-scendens gemeinsam mit der Pars ascendens die Skapula indie Elevationsstellung (die Facies glenoidalis zeigt nach kranial,der untere Schulterblattwinkel nach lateral).

Die Skapulafixatoren bilden verschiedene funktionelle Mus-kelschlingen:l Pars ascendens – M. levator scapulae: obere Trapezius-

Schlingel Pars transversa – M. serratus anterior (mittlerer Anteil):

mittlere Trapezius- oder Serratusschlingel Pars descendens – M. pectoralis minor: untere Trapezius-

schlingel M. serratus anterior (untere Anteile) – M. rhomboideus:

untere Serratusschlinge

Zum Assessment der Stellungs- und Bewegungskontrolle derSkapula vgl. Technik 550, Abb. 8 und 9.

Extension und Lateralflexion der HWS bei fixierter Skapula(Pars descendens).

Klinische Hinweise

Häufig myofasziale Triggerpunkte vor allem in der Pars descen-dens (und horizontalis). Neben subokzipitalen und okzipitalenKopfschmerzen sind temporale Kopfschmerzen häufige Lokali-sationen für Schmerzübertragungen. Gemäß Kopfschmerz-klassifikation (Headache Classification Committee 2004/2005)gelten rein myofasziale Kopfschmerzen als „Spannungstyp-Kopfschmerzen“. Die Pathogenese unterscheidet sich nichtvom zervikogenen Kopfschmerz. Auch schwindelartige Symp-tome werden beschrieben (im Rahmen des oberen zervikoge-

nen Beschwerdesyndroms). Während die Pars descendens alsposturaler (haltungsdominanter) Muskel zu Verkürzung (ei-gentlich Verlängerungsempfindlichkeit) mit Bildung von Trig-gerpunkten neigt, handelt es sich bei der Pars horizontalis undascendens um phasische (bewegungsdominante) Muskeln mitAbschwächungstendenz.

Bei Hyperkyphosierungshaltung (vorgeschobene Kopf- undSchulterhaltung) mit ungenügender Stabilisierungsfähigkeitdes dorsalen Schultergürtels findet sich oft eine verkürzte Parsdescendens mit Triggerpunkten assoziiert mit weiteren Na-ckenmuskelbefunden. Die Skapulae werden durch die insuffi-ziente Pars horizontalis/ascendens (und Mm. rhomboidei)nicht genügend nach kaudal und medial fixiert mit konseku-tiver Verschiebung der Skapulae nach ventrolateral: Skapula-ebene > 30°. Konsekutiv Disposition zur Überlastung derdorsoapikalen Rotatorenmanschette mit subakromialer Im-pingement-Problematik (Zugbelastung von Infraspinatus undSupraspinatus und Verschmälerung des subakromialen Gleit-lagers). Janda (z.B. 1996, Sachse 2004) beschrieb in diesem Zu-sammenhang das zervikale (obere) gekreuzte Syndrom miteinem Nebeneinander von zur Hyperaktivität und Verkürzung(Verlängerungsempfindlichkeit) neigenden tonischen Muskelnin Gegenüberstellung zu den phasischen Muskeln mit Neigungzur Abschwächung:

M. pectoralis minor und majorMm. rhomboidei, M. trapezius Pars horizontalis

M. levator scapulae/M. trapezius Pars descendensUntere Skapulamuskeln (M. trapezius ascendens)

Zervikale Nackenstrecker/SubokzipitalmuskulaturTiefe ventr. Halsmuskulatur (M. longus colli et capitis)

Beim funktionellen akuten Zervikalsyndrom (Torticollis acu-tus) besteht oft eine reflektorische muskuläre Beteiligung desTrapezius descendens. Das am häufigsten beteiligte Segmentmit akuter Dysfunktion ist C2/3, oft kombiniert mit C5/6 (z.B.Lewit 1997, Valerius 2009). Bei der nicht so selten aktiviertenArthrose C2/3 sind myofasziale Befunde des M. trapezius unddes M. levator scapulae häufig.

Eine Trapeziusparese der oberen Portion kann vorkommennach Verletzung des N. accessorius am seitlichen Halsdreieck(z.B. Lymphknotenbiopsie); der M. sternocleidomastoideus istdann nicht betroffen.

Zum Assessment der Stabilisationsfähigkeit und insbeson-dere zur Beurteilung der Stellungskontrolle der Skapulae undder Trapeziusfunktionen s. Technik 550, Abb. 8 und 9.

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Vertebra prominens(C7) M. trapezius,

Parsascendens

M. trapezius,Pars transversa

M. trapezius,Pars descendens

Protuberantiaoccipitalis externa

Linea nuchalissuperior

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Pars descendensM. trapezius

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Pars transversaM. trapezius

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