REISEN Am Anfang und LESERREISE ENDE DER … · Foto: Philipp Rohner Am Anfang und ENDE DER WELT...

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Foto: Philipp Rohner Am Anfang und ENDE DER WELT Eine Schiffsreise durch den Archipel der GALAPAGOSINSELN führt auch zu den Ursprüngen des Lebens. So unberührt von der Zivilisation ist kaum ein anderer Flecken Erde. Text Caroline Fink Wie Steine, die vom Himmel fielen: Ausblick von der Isla Bartolomé mit dem Pináculo auf andere Inseln des Archipels. 61 Schweizer Familie 44/2014 60 Schweizer Familie 44/2014 REISEN LESERREISE GALAPAGOS Seite 70/71

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Foto: Philipp Rohner

Am Anfang und ENDE DER WELT

Eine Schiffsreise durch den Archipel der GALAPAGOSINSELN führt auch zu den Ursprüngen des Lebens. So unberührt von der

Zivilisation ist kaum ein anderer Flecken Erde.

Text Caroline Fink

Wie Steine, die vom Himmel fielen: Ausblick von der Isla Bartolomé mit dem Pináculo auf andere Inseln des Archipels.

61Schweizer Familie 44/201460 Schweizer Familie 44/2014

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Fotos: Minden Pictures, mauritius images

Berauschend: Die Galapagos- Seelöwen zu beobachten gehört zu den Höhepunkten der Reise.

Dank ihnen wurden die Inseln zum Touristenmagnet: Riesenschildkröten auf Isabela.

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Wenig später gehe ich durch den schwankenden Salon, der noch men-schenleer ist, trete hinaus auf das kleine Deck über dem Bug und lasse mir den feuchtwarmen, salzigen Wind ins Gesicht wehen. Wir sind jenseits von Amerika, in der Endlosigkeit des Pazifischen Ozeans. Genauer: am westlichsten Ende der Gala-pagosinseln. Jenes Archipels, der erst 1535 per Zufall entdeckt wurde. Von einem Bischof aus Panama, dessen Schiff nach tagelanger Flaute angetrieben kam.

Als ich vom Deck aus zum nahen Ufer der Insel Isabela blicke, verstehe ich, wes-halb der Bischof und seine Männer da-mals fast verzweifelten: Keine Blumen,

keine Bäume, kaum Trinkwasser gibt es hier. Nur Felsen sehe ich, karg und rot, von der Gischt gepeitscht. Dahinter, an Land, ein paar sonnenverbrannte Sträu-cher. «Als hätte es Steine vom Himmel ge-regnet», beschrieb der Bischof die Inseln später. Kein Wunder, denke ich mir, ankerten hier während Jahrhunderten nur Seefahrer, Walfänger und Piraten. Bis Ecuador den Archipel 1832 in Besitz nahm und die ersten Siedlungen gründete.

Heute besuchen vor allem Touristen die meist unbewohnten Inseln. Leute wie wir auf der La Pinta, die täglich nach dem Frühstück auf dem Hauptdeck vor der Ré-

ception stehen, eine rote Schwimmweste um den Hals, bereit für einen Ausflug an Land. Einer nach dem anderen verlassen wir dann den Bauch des Schiffs durch eine Seitentür, die wie eine magische Pforte den bequemen Alltag an Bord mit der Wildnis verbindet: Nach einem Gruss von Decksoffizier Blasco Palomeque, 31, der in weisser Uniform an der Reling steht, stei-

gen wir über ein Treppchen hinab ins Schlauchboot, das wild auf den Wellen tanzt.

«Panga» nennt Gabriel Salazar diese Schlauchboote, jedes mit einem braun ge-brannten «panguero» am Steuer, der uns jeden Tag zum Schnorcheln oder für kurze Wanderungen ans Ufer fährt. Und damit mitten in eine Welt, wie es sie kein zweites

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Nur Felsen sehe ich, karg und rot. Dahinter, an Land, ein paar

sonnenverbrannte Sträucher.

Führt und lehrt: Salvador Cazar.

In ganzer Pracht: Ein Fregattvogel und ein Seelöwe

(Bild rechte Seite).

Einzigartige Vegetation: Die im Ozean abgeschiedenen vulkanischen Inseln beherbergen Pflanzen, die es nirgends sonst auf der Welt gibt.

Fotos: mauritius images, Peter Norvig, Philipp Rohner, Caroline Fink

Der Tag schleicht hellgrau über den Pazifik, während das Passagier-schiff La Pinta wie eine Riesen-

wiege durch die Wellen schaukelt. Die 35  Gäste an Bord schlafen noch. Doch dann knackt es leise in den Lautsprechern der Kojen, Mozarts Klaviersonate in F-Dur erklingt, und Expeditionsleiter Ga-briel Salazar, 45, sagt mit sanfter Stimme: «Damas y caballeros, meine Damen und Herren, guten Morgen.» Es sei genau sie-ben Uhr in der Früh und wir hätten vor wenigen Minuten den Äquator Richtung Süden überquert, fügt er an. Ich drehe mich um und blicke aus dem Fenster, vor dem der Ozean dunkelblau vorbeizieht.

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Fotos: Peter Norvig, Minden Picures, Philipp Rohner

Mal gibt: Hier schlendern wir an Seelöwen vorbei, die am Strand schlafen, an Blau-fusstölpeln mit türkisfarbenen Füssen und Prachtfregattvögeln mit roten Bälgen. Dann wieder entdecken wir Landleguane, die an kleine Dinosaurier erinnern, oder Meerechsen, die ein britischer Seefahrer einst als «hässlichste Kreaturen der Erde» beschrieb. Oder im nächsten Abschnitt et-was netter als «Kobolde der Finsternis».

Mir gefallen sie alle. Die Tölpel, Echsen und Seelöwen. Und so setze ich mich während Ausflügen manchmal auf den Boden und betrachte sie: «Kobolde der Finsternis», die stoisch vor mir auf ihren Felsen sitzen. Seelöwenmütter, die ein

Sonnendeck, um aufs Meer zu blicken und mit Salvador Cazar einen Schwatz zu halten. Einem 51-jährigen Biologen mit sandfarbenem Hemd, Ledersandalen und ruhigem Blick, der diese Reise als einer von drei Führern begleitet.

Wie der Nationalpark Galapagos vor-schreibt, muss ein «naturalista», ein kun-diger Führer, auf jedem Ausflug dabei sein. Und so entdecke ich mit Salvador Cazar diese Inseln. Wate mal hinter ihm durch feuchte Mangroven, folge ihm durch Felder knirschender Lavakiesel und Wälder aus Palo-Santo-Bäumen, die im Herbst wie trockene Gerippe aufragen, aber schwer nach süssem Harz duften.

Immer wieder hält Salvador Cazar da-bei an und erzählt, wie das Leben nach Galapagos kam. Momente, in denen der hagere Biologe zum begeisterten Lehrer wird und wir zu Schülern, die staunen: darüber, wie Leguane vor Jahrmillionen auf Baumstämmen über das Meer trieben und per Zufall die Inseln erreichten. Wie die «Kobolde der Finsternis» schwimmen lernten oder die Darwinfinke auf jeder

Insel einen anderen Schnabel entwickel-ten. «Je nachdem, was es Essbares gab und wo es zu finden war.»

Die kleinen Finke sind es denn auch, die mit ihrem Namen bis heute an jenen Mann erinnern, der im Jahr 1835 Gala-pagos besuchte: Charles Darwin. Ein jun-ger Brite, der auf der HMS Beagle um die Welt segelte, um die Natur zu erforschen. Auf Galapagos interessierte er sich zwar

allem voran für vulkanisches Gestein. Dennoch sammelte er auf dem Archipel während fünf Wochen auch Insekten und Vögel, zupfte hier einen Landleguan am Schwanz und warf dort eine Meerechse ins Wasser, um deren Reaktion zu beobachten.

Erst nachdem er die Inseln verlassen hatte, begann er darüber nachzudenken, was ihm dort begegnet war. Und im Jahr

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schmatzendes Junges säugen. Oder Le-guane, die wie in Zeitlupe an einem tro-ckenen Strauch knabbern. Es ist, als hät-ten die Tiere von Galapagos noch nie Menschen gesehen und noch nie Gefahr erlebt. Sie vertrauen und akzeptieren uns, während wir sie für einen Moment in ihrem Alltag besuchen.

Ein «naturalista» muss dabei seinZwischen den Ausflügen bleibt Zeit, zu sein. Während die La Pinta ruhig durch die Wellen schaukelt, sitze ich in der Bi-bliothek und lese «The Galápagos – A na-tural history», ein naturkundliches Buch über die Inseln. Oder ich gehe hinaus aufs ➳

Salvador Cazar erzählt, wie die Kobolde der Finsternis schwimmen lernten und Darwinfinken auf jeder Insel einen anderen Schnabel entwickelten.

Ein brauner Pelikan auf der Insel Fernandina, wo Lava ins Meer fliesst.

Meerechsen auf ihrem

Felsen (l.), Seelöwe und

Pelikane auf dem

Fischmarkt in Puerto Ayora.

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Fotos: plainicture.com

1859 veröffentlichte er – inspiriert von Galapagos – ein Werk, mit dem er die Kir-che vor den Kopf stiess und die Biologie für immer veränderte: Im Buch «Über die Entstehung der Arten», etablierte er die Evolutionstheorie. Jene Theorie also, wo-nach die Arten nicht von Gott erschaffen worden waren, sondern sich langsam ent-wickelt hatten.

So gleiten wir auf der La Pinta jeden Tag durch eine Welt, die bis heute vom Anfang allen Lebens erzählt. Und davon, wie die Natur ihren Lauf nimmt, wenn kein Mensch sie verändert. Immer weiter Richtung Südosten fahren wir. Weg von den kargen Inseln Isabela und Fernandi-

na, hin zum Inselchen Rábida mit seinem ockerrotem Sandstrand und den Opuntia-Kakteen und weiter nach Santa Cruz, einer der vier bewohnten Inseln.

Im Hafen knattern WassertaxisWie angespültes Treibgut liegen die Häus-chen von Puerto Ayora am Ufer einer Bucht. Doch in der ewigen Ruhe der sonst unbewohnten Insel wirkt die kleine Sied-lung wie eine Stadt: Hier knattern Fischer-boote und Wassertaxis durch den Hafen, am Fischmarkt balgen sich Pelikane und Seelöwen um einen Happen, derweil Tou-risten durch die Avenida Charles Darwin schlendern, vorbei an Geschäften, die

Bootstouren oder T-Shirts, Pizza oder Sushi verkaufen.

Doch wenig oberhalb von Puerto Ayo-ra gehört die Natur schon wieder sich selbst: Hier wandern wir durch einen grü-nen Nebelwald, über uns die Kronen von Zedern, rund um uns eine Märchenwelt aus Flechten und Farnen. Und wie durch einen Zauber gelangen wir auf einmal zu einer Lichtung, auf der wir die Tiere ent-decken, welche zum Symbol von Galapa-gos wurden: Riesenschildkröten, die hier in aller Ruhe grasen.

Wie ein Zwerg in einer Welt von Rie-sen fühle ich mich, als ich mich vor einer der Schildkröten auf den Boden setze und

sie betrachte: Wie sie langsam den runze-ligen Kopf senkt, einen Mundvoll Gräser ausrupft, den Kopf wieder hebt und schluckt. Diesen Vorgang wiederholt. Und nochmals wiederholt. Bis sie auf einmal innehält, den Kopf zu mir dreht und mich anschaut – mit Augen, die traurig wirken, während ihr Mund zu lächeln scheint.

Noch lange könnte ich durch Galapa-gos reisen, Schildkröten und Leguane be-

trachten und mit Seelöwen schnorcheln. Doch zwei Tage später neigt sich meine Reise dem Ende zu. Ein letztes Mal weckt mich am achten Tag Mozarts Musik und Gabriel Salazars Morgengruss, während die La Pinta sich sanft durch die Wogen wiegt. Eine halbe Stunde später werde ich noch einmal an einem weiss gedeckten Tisch im Speisesaal frühstücken, danach eine rote Schwimmweste anziehen und

auf einem der «pangas» Richtung Ufer fahren. Den warmen Wind im Gesicht und den Geruch von Salz in der Nase.

Dann ist das Abenteuer Galapagos zu Ende und ich werde sie wieder verlassen, diese Inseln im Pazifik. Inseln, von denen Salvador Cazar sagt, sie seien aus dem Meer entstanden und würden wieder in diesem verschwinden. «Irgendwann – in ein paar Millionen Jahren.»

Pahoehoe- Lavafluss auf Santiago (r.), Vulkankrater (ganz rechts).

Ohne Argwohn: Eine Seelöwin rekelt sich mit ihrem Baby vor den Augen der Besucher.

So gleiten wir durch eine Welt, die davon erzählt, wie die Natur ihren Lauf nimmt, wenn kein Mensch sie verändert.

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