Religion und Identität im Transformationsprozeß: Zur Lage der bulgarophonen Muslime nach dem Ende...
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Doktorandenseminar
„Diktaturaufarbeitung in Ostmitteleuropa aus
unterschiedlicher nationaler Perspektive unter besonderer
Berücksichtigung der Kirchen und Religionsgemeinschaften“
an der Hussitischen Theologischen Fakultät in Prag,
7.-8. Dezember 2005
Veranstaltet von der Hussitischen Theologischen Fakultät der Karls-Universität
Prag
und dem
Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der Technischen
Universität Dresden
Michael Meißner:
„Religion und Identität im Transformationsprozeß:
Zur Lage der bulgarophonen Muslime nach dem Ende der Ära Živkov“
Michael Meißner: Zur Lage der bulgarophonen Muslime nach dem Ende der Ära Živkov
2
1. Einleitung
Als am 25. Dezember 1989 Tausende in Jakoruda und Mandan für die
Annullierung der Slawisierung ihrer Personennamen demonstrierten, waren
viele westliche Beobachter überrascht. Nur wenige Menschenrechtsorgani-
sationen und Bulgarien-Experten hatten von den Ereignissen Anfang der 1970er
Jahre Kenntnis.
Die Minderheit der bulgarischsprachigen Muslime, die so genannten Pomaken,
besiedelt weitgehend konzentriert das Pirin-Gebirge und die Rhodopen sowohl
auf griechischem als auch auf bulgarischem Territorium. Dazu existieren
kleinere Siedlungsräume um Loveč und Teteven in Nordbulgarien. Trotz einiger
Differenzen in der Literatur kann von etwa 250.000 in Bulgarien sesshaften
Personen ausgegangen werden. In der Türkei als auch in Mazedonien leben
weitere Vertreter dieser Minorität, deren Zahl sich jedoch nur schwer bestimmen
lässt. Sie bekennen sich überwiegend zum sunnitischen Islam und folgen der
hanafitischen Rechtsschule (madhhab)1. Allerdings wird der von ihnen
praktizierte Islam zumeist als unorthodox bzw. synkretistisch eingestuft.2
Seit der Gründung des modernen bulgarischen Staates im 19. Jahrhundert waren
die Pomaken immer wieder ein ,,trinationales Streitobjekt“.
3
1 ,,Die freieste von allen” (Richard Hartmann), die besonders durch die ‛Abbāssiden und die
Osmanen gefördert wurde. Vgl. Richard Hartmann, Die Religion des Islam. Berlin 1944, S. 53 f.
Sowohl Bulgarien
2 Maria Koinova, Minorities in South-East Europe: Muslims of Bulgaria. Hg. vom Center for Documentation and Information on Minorities in Europe – Southeast Europe (CEDIME-SE), S. 18.
3 Dieser Terminus basiert auf einer Teilüberschrift bei Sevasti Trubeta. Umso erstaunlicher erscheint es, dass hier das politische und wissenschaftliche Interesse Griechenlands an den Pomaken erst für die Zeit nach dem II. Weltkrieg angenommen wird. Sie bezieht sich dabei auf die Vorstellungen einer ,,Gefahr aus dem Norden“ bzw. ,,...aus dem Osten“ die zur verstärkten Beschäftigung mit der Thematik geführt hätten. Griechenland war jedoch bereits vor 1945 involviert. Vgl. Sevasti Trubeta, Die Konstitution von Minderheiten und die Ethnisierung sozialer und politischer Konflikte. Eine Untersuchung am Beispiel der im griechischen Thrakien ansässigen Moslemischen Minderheit. Frankfurt/Main u.a. 1999, S. 129 sowie Sevasti Trubeta, Die Minderheitenpolitik Athens am Beispiel der Pomaken und deren sozialer Integration. In: Südosteuropa 12/1998, S. 640.
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als auch Griechenland und die Türkei waren bestrebt, die Pomaken zu
instrumentalisieren bzw. zu assimilieren. Trotz einer Vielzahl von Erklärungs-
versuchen hinsichtlich ihrer ethnischen Abstammung, deren Argumentations-
grundlagen zum Teil bis weit in die Antike zurück reichen,4 bleibt es doch
unzweifelhaft, dass es sich bei den Pomaken überwiegend um zum Islam
konvertierte Slawen handelt. Nach rein wissenschaftstheoretischen Kriterien
sind die Pomaken somit als religiöse Minderheit einzuordnen. Gleichwohl
verwies der renommierte Politologe und Rechtswissenschaftler Georg Brunner
völlig zutreffend darauf, dass bei der Auseinandersetzung mit der Frage, was
eine Minderheit im rechtlichen Sinne ist, nicht nur die drei objektiven Merkmale
einer gemeinsamen ethnischen Abstammung sowie einer gemeinsamen Sprache
und Religion von Bedeutung sind, sondern auch das subjektive Kriterium eines
Zusammengehörigkeitsgefühls der Betroffenen entscheidend ist.5
Erschwerend kommt hinzu, dass die Pomaken vor allem als Abwehrhaltung
gegenüber der Vereinnahmung von außen wechselnde Identifikationsmuster
herausgebildet haben. Dabei reicht die Bandbreite von ,,muslimischen
Bulgaren“ über ,,Türken“ bis hin zu eigenständigen Interpretationen der
ethnischen bzw. religiösen Wurzeln. Dass die Pomaken Opfer eines forcierten
Islamisierungsprozesses während der osmanischen Herrschaft wurden, ist wohl
4 Vgl. zur türkischen Sichtweise (Kumanen, Petschenegen, Yürüken) Ali Eminov, Turkish
and other Muslim Minorities in Bulgaria. London 1997, S. 25 und Hüseyin Memisoglu, Pages of the History of Pomac Turks. Ankara 1991, S. 7-23. Ein Überblick über die griechischen Bestrebungen eine Pomakenidentität mit hellenischen Wurzeln zu konstruieren, findet sich bei Tatjana Seyppel, Das Interesse an der muslimischen Minderheit in Westthrakien (Griechenland) 1945-1990. In: Gerhard Seewann (Hg.), Minderheitenfragen in Südosteuropa. München 1992, S. 377-392 und bei Sevasti Trubeta, Die Konstitution von Minderheiten und die Ethnisierung sozialer und politischer Konflikte, S. 124-136. Darüber hinaus werden auch immer wieder christliche Häretiker (Paulikaner, Bogumilen etc.) als mögliche ,,Vorfahren“ in Erwägung gezogen, ein Modell, welches sich an der bosnischen Entwicklung orientiert. Vgl. Evangelos Karagiannis: Zur Ethnizität der Pomaken in Bulgarien. Münster 1997, S. 18 f. und Antonia Zhelyazkova: Bulgaria in Transition: the Muslim minorities. In: Islam and Christian-Muslim Relations 3/2001, S. 283-290.
5 Georg Brunner, Die Rechtsstellung ethnischer Minderheiten in Südosteuropa. In: Südosteuropa 5/1986, S. 241.
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endgültig als nicht haltbar bewiesen worden.6
Die Bezeichnung Pomaken wird daher nachfolgend ohne eine spezielle Wertung
hinsichtlich ihrer ethnischen Wurzeln bzw. ohne die vermeintliche pejorative
Bedeutung des Terminus verwendet, die vor allem auf der umstrittenen
Herleitung vom bulgarischen Wort „pomagaci“ (Plural von „Helfer, Unter-
stützer“) beruht.
Vielmehr standen wirtschaftliche
und soziale Aspekte im Vordergrund dieser Entwicklung. Dennoch wird diese
Annahme sowohl von bulgarischen Politikern als auch von Wissenschaftlern
weiterhin leidenschaftlich vertreten und findet – analog des Topos vom
,,grausamen 500-jährigen Joch der osmanischen Herrschaft“ – breite
Zustimmung in der bulgarischen Öffentlichkeit.
7
Nach den Zwangschristianisierungen während der Balkankriege (1912/13) und
den Assimilierungsbestrebungen der nationalistischen Rodina - Organisation
(1937-1944) entspannte sich für wenige Jahre während der so genannten
,,volksdemokratischen Phase“ das Verhältnis zwischen bulgarischen
Machthabern und bulgarophonen Muslimen. Die zunehmende Angst vor einer
Türkisierung der Pomaken, die mangelnden Erfolge hinsichtlich der
antireligiösen Propaganda und der Widerstand gegen die Kollektivierung der
Landwirtschaft führten jedoch zu einer Verschärfung der Spannungen zwischen
den Pomaken und der Bulgarischen Kommunistischen Partei (BKP). Bereits
1951 beauftragte die Abteilung ,,Agitation und Propaganda“ im Zusammenhang
mit einem Beschluss des Politbüros die bulgarische Akademie der
6 Vgl. Antonia Zeljazkova, The problem of the authenticity of some domestic sources on the
islamization of the Rhodopes, deeply rooted in bulgarian historiography. In: Etudes Balkaniques, 4/1990, S. 105-111 und Antonia Zeljazkova, Social Aspects of the Process of Islamization in the Balkans Possesions of the Ottoman Empire. In: Etudes Balkanique, 3/1985, S. 107-122 sowie Dennis P. Hupchick, Seventeenth-Century Bulgarian ,,Pomaks“: Forced or Voluntary Converts to Islam? In: S.B. Vardy/A.H. Vardy (Hg.): Society in Change. Studies in Honor of Bela K. Kiraly. New York 1983, S. 305-314.
7 Zu den sprachwissenschaftlichen Deutungsversuchen vgl. u.a. Alexander Velinov, Religiöse Identität im Zeitalter des Nationalismus: Die Pomakenfrage in Bulgarien. Diss. Universität Köln 2001, S. 26-29.
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Wissenschaften, verstärkt nach Beweisen für die ethnische (in diesem
Zusammenhang die bulgarische) Herkunft der Pomaken zu suchen8 – Bulgariens
erster Schritt auf dem Weg zu einer ,,einheitlichen sozialistischen Nation“. Als
dann 1953 auf den neu ausgegebenen Personalausweisen die Pomaken als
„Bulgaren“ eingestuft wurden, erhob sich eine Welle der Entrüstung unter den
Betroffenen, die von bulgarischen Parteiaktivisten und der staatlichen
Verwaltung mit harschen Sanktionen beantwortet wurde. Durch die Eskalation
der Ereignisse musste die BKP ihre Forderungen vorerst zurückstellen. Einer
Türkisierung der betreffenden Bevölkerungsteile wollte man aber auch weiterhin
konsequent begegnen. Diese Gefahr meinte Todor Živkov, als er 1955 von
,,ungesunden Gemütszuständen“ 9 unter einem Teil der Pomaken sprach. Mit
dem Beschluss der BKP vom 5. April 1962 zur „Vermeidung der Türkisierung
von Tataren, Roma und Pomaken“ waren die Beziehungen in eine neue Phase
eingetreten. Die gewaltsame angestrebte Bulgarisierung der Personennamen
führte jedoch zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen, die Živkov zu einem
Abbruch der Aktion bewogen.10
Indirekter Druck sollte ab jetzt zum Ziel führen. Soziale Benachteiligungen, die
mit einem nicht-slawisierten Namen für die Betroffenen verbunden waren,
dienten einer schleichenden Durchsetzung der angestrebten BKP-Linie. Ohne
einen bulgarischen Namen waren beispielsweise der Erhalt einer
8 Ulrich Büchsenschütz, Minderheitenpolitik in Bulgarien. Die Politik der Bulgarischen
Kommunistischen Partei (BKP) gegenüber den Juden, Roma, Pomaken und Türken 1944-1989. Berlin 1997 (= Digitale Osteuropa – Bibliothek: Geschichte 8), S. 83.
9 Zitiert nach: Evangelos Karagiannis, Zur Ethnizität der Pomaken in Bulgarien, S. 79. 10 Unter den Muslimen besitzt der Geburtsname einen anderen Stellenwert als im christlichen
Kulturkreis. Nur mit diesem Namen kann ein Muslim nach seinem Tod Allāh gegenübertreten, welcher dann darüber richtet, ob der Betreffende ein gottgefälliges Leben geführt hat und somit das Paradies betreten darf. Vgl. Antonia Zeljazkova, Bulgaria in Transition: the Muslim minorities. In: Islam and Christian-Muslim Relations. 3/2001, S. 283-301.
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Baugenehmigung oder die Zulassung zum Studium an einer Universität fast
unmöglich.11
Doch 1970 hatte das Taktieren ein Ende. Auch wenn in dem neuen Beschluss
des Politbüros der BKP erneut von einer Freiwilligkeit der Maßnahme die Rede
war, führten die angewandten Mittel der „Überzeugungsarbeit“ diese
Behauptung ad absurdum.
12 „Haus-zu-Haus-Aktionen“ mit vorgehaltener
Waffe,13
Retrospektiv betrachtet, stellten diese Maßnahmen nur einen Vorgeschmack auf
den gewaltsamen ,,Wiedergeburtsprozess“ (Văzroditelen proces) unter den
ethnischen Türken in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre dar, der 1989 zur
Flucht von 300.000 Türken führte und entscheidend zum Sturz des
kommunistischen Regimes beigetragen hat.
Abriegelung der betroffenen Gebiete und der massive Einsatz
bewaffneter Kräfte sollten Solidaritätsaktionen oder Gegenwehr vor Ort keinen
Spielraum lassen. Die Angaben über Todesopfer, Verhaftete bzw. in das
berüchtigte Straflager Belene Deportierte divergieren bis zum heutigen
Zeitpunkt erheblich.
2. Die Partizipation im politischen System
Die Entscheidung, in die neue Verfassung (1991) ein Verbot von Parteien auf
rassischer, religiöser oder ethnischer Basis zu integrieren (Artikel 11) ist
vielfach, vor allem von externen Beobachtern, kritisiert worden. Umso mehr, als
man durchaus von der Bewegung für Rechte und Freiheiten (Dviženie za prava i
svobodi/DPS) als türkisch-muslimischer Partei sprechen kann. Die Anerkennung
der Verfassungsmäßigkeit und damit die offizielle Registrierung als Partei 11 Evangelos Karagiannis, Zur Ethnizität der Pomaken in Bulgarien, S. 80 f. 12 Beschluss des Sekretariates des ZK der BKP vom 17. Juli 1970 „Zur Reinigung des
Klassen- und Parteibe-wußtseins und zur patriotischen Erziehung der Bulgaro - Mohammedaner“.
13 Ulrich Büchsenschütz, Minderheitenpolitik in Bulgarien, S. 101.
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basierten jedoch vor allem auf den damaligen aktuell-politischen Machtver-
hältnissen. Besonders in der ersten Hälfte der 90iger Jahre unterstützen viele
Pomaken die DPS. Allerdings waren sie in den Parteiämtern kaum vertreten.
Erst im Jahr 2001 saß mit Arso Manov der erste Pomake im bulgarischen
Parlament.14
Der autoritäre Führungsstil des Parteivorsitzenden, Ahmed Dogan,
15 die
mangelnden Möglichkeiten der Einflussnahme und das Gefühl, hinter den
türkischen Interessen zurückzustehen, führten schließlich zu einer Abkehr vieler
Pomaken. Man wandte sich zunehmend der BSP (Bulgarische Sozialistische
Partei/Bălgarska socialističeska partija) und der SDS (Union der
demokratischen Kräfte/Săjuz na demokratičnite sili) zu. Viel Diskussionsstoff
boten auch die Behauptungen in der bulgarischen Presse, dass sich neben
Ahmed Dogan eine Vielzahl weiterer Parteifunktionäre der DPS als inoffizielle
Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes verpflichtet hatten.16
Der im Dezember 1992 von Kamen Burov gegründeten Demokratischen Partei
der Arbeit, die eine verstärkte Vertretung der Interessen der bulgarischen
Muslime zum Ziel hatte, kam nur eine marginale Rolle im politischen Prozess
zu. Die Aufmerksamkeit der Presse fand sie besonders nach dem Besuch Kamen
Burovs in den Vereinigten Staaten von Amerika. Seine anschließende
Die
Veröffentlichung der Namen beruhte jedoch nur vordergründig auf dem
Bedürfnis nach einer Aufarbeitung des kommunistischen Regimes. Vielmehr
versuchte die zu diesem Zeitpunkt regierende SDS wichtige Schlüsselstellungen
in der Gesellschaft durch eigene Anhänger zu besetzen.
14 Elena Marushiakova/Vesselin Popov, Muslim Minorities in Bulgaria. (www.emz-
berlin.de/projekte_e/pj41_pdf/Marushiakova.pdf; Zugriff: 19.10.2005), S. 39. 15 ,,Trud” Nr. 70/1997: ,,…the Movement (die DPS; der Autor) that has virtually made him
Allah for Bulgarian Muslims.” Zitiert nach Maya Grekova, The political battle for/against „Minority“ in Bulgarian Dailies, S. 6. (http://www.station17.com/mediacen/library/MayaGrekova.doc)
16 Elena Marushiakova/Vesselin Popov, Muslim Minorities in Bulgaria, S. 39.
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Forderung, dass die Pomaken als ethnische Minorität anerkannt werden
müssten, da sie nach seiner Auffassung von einem nichtbulgarischen slawischen
Stamm abstammten, wurde in den bulgarischen Zeitungen als separatistisch
deklariert.17 Auf Bestrebungen zur Anerkennung einer nichtbulgarischen
Identität der Pomaken reagierte die bulgarische Öffentlichkeit im Allgemeinen
äußerst gereizt. Während 1998 der damalige Premier Kostov auf derartige
Forderungen noch relativ gemäßigt ,,eisiges Schweigen“ als Antwort empfahl,18
wurden die Bestrebungen Griechenlands, den dort lebenden Pomaken eine rein
muslimische, das heißt nichtbulgarische Identität zu oktroyieren und in diesem
Zusammenhang eine thrako-hellenische Abstammung zu konstruieren, aggressiv
zurückgewiesen.19
Auch der 1990 von Branko Davidov gegründeten Bewegung Rodoljubie
(Vaterlandsliebe) gelang es nicht, sich als breite Interessenvertretung der
Pomaken zu etablieren. Ihr Ziel war die Förderung der Integration der Pomaken
in die bulgarische Gesellschaft, wobei die Grenze zur „Bulgarisierung“ fließend
ist. Vor allem durch eine Verbesserung der Wirtschaftskraft und der Lebens-
17 Vgl. Alexander Velinov, Religiöse Identität im Zeitalter des Nationalismus, S. 184 und
Bojan Gjuzelev, Die Minderheiten in Bulgarien unter Berücksichtigung der letzten Volkszählung vom Dezember 1992. In: Südosteuropa 6-7/1994, S. 364.
18 Als Reaktion auf eine entsprechende Forderung Gunar Tahirs, dem Vorsitzenden einer sich von der DPS abgespaltenen Fraktion. Vgl. Yulian Konstantinov, A Bulgarian Muslim Diary: The Pomaks in the lime-light, occasionally. In: In and Out 2/1999, S. 2 sowie Elena Marushiakova/Vesselin Popov, Muslim Minorities in Bulgaria, S. 36.
19 Alexander Velinov, Religiöse Identität im Zeitalter des Nationalismus, S. 184 f. Obwohl eine Vielzahl von griechischen Publikationen zum Nachweis dieser vermeintlichen Abstimmung veröffentlicht wurden (vgl. Tatjana Seyppel, Das Interesse an der muslimischen Minderheit in Westthrakien (Griechenland) 1945-1990, S. 377-392), bleibt es dennoch fragwürdig, ob hier von einer offiziellen griechischen Ideologie gesprochen werden kann; so ist zumindest die Auffassung von Baskin Oran, Religious and national identity among the Balkan Muslims: A comparative study on Greece, Bulgaria, Macedonia and Kosovo. Paper presented to the conference ,,Turkish Areas in the New Regional and International Configuration”, Ankara, 2-3 November 1992.
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bedingungen sollte dieses Ziel verwirklicht werden.20 Die Hoffnungen der
Pomaken und anderer Minderheiten ruhen vor allem auf dem von Bulgarien
angestrebten Beitritt zur Europäischen Union und der damit verbundenen
Möglichkeit, auch Parteien zu konstitutieren, deren Gründung bis dahin durch
Artikel 11 der Verfassung untersagt ist.21 Welche Relevanz diese Thematik in
Bulgarien besitzt, zeigte bereits die umfassende und sehr emotionale Diskussion
über die Ratifizierung der „Framework convention on the national minorities“
des Council of Europe im Februar 1999.22
3. Aufarbeitung der Vergangenheit und politische bzw. wirtschaftliche
Entwicklung
Obwohl das bulgarische Parlament 1990 die Möglichkeit zur Wiederherstellung
der alten arabischen bzw. türkischen Personennamen via Gesetz legitimierte,
blieb das Verhältnis zwischen Pomaken und den politischen Eliten nicht frei von
neuen Konflikten. Besonders die Ergebnisse der Volkszählung von 1992
brachten die latenten nationalistischen Tendenzen innerhalb der bulgarischen
Gesellschaft wieder an das Licht der Öffentlichkeit. In den Gebieten um
Jakoruda und Goce Delčev in den westlichen Rhodopen hatten sich über 35.000
Pomaken als ,,Türken“ bzw. ihre Muttersprache als ,,türkisch“ klassifiziert, ohne
dass sie über nennenswerte Kenntnisse dieser Sprache verfügten. Nach der
Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses und dessen
Abschlussbericht erklärte das Parlament am 17. September 1993 die Ergebnisse
über die ethnische Zugehörigkeit, die Religion und die Muttersprache in den
20 Valery Stojanov, Bulgarien. In: Valeria Heuberger/Arnold Suppan/Elisabeth Vyslonzil
(Hg.), Brennpunkt Osteuropa. Minderheiten im Kreuzfeuer des Nationalismus. München u.a. 1996, S. 102.
21 Carolina Ramos, Bulgaria: Raw Deals for the Pomaks. Sofia News Agency, 19. Mai 2005 (http:novinite.com), S. 2.
22 Vgl. Maya Grekova, The political battle for/against „Minority“ in Bulgarian Dailies, S. 1-23.
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Regionen für ungültig, da die Angaben nicht der ,,wirklichen ethno-
demographischen Strukturen“ entsprächen.23 Das bulgarische Helsinki-Komitee
kritisierte die Entscheidung des Parlaments, denn ,,sie ignoriert das Prinzip der
Selbstbestimmung ethnischer Zugehörigkeit und legt die politische Grundlage
für die Untergrabung der ethnokulturellen Identität tausender bulgarischer
Bürger.“24 In der bulgarischen Öffentlichkeit wies man die Schuld der Türkei
und der vorwiegend türkisch geprägten DPS zu und glaubte eine gezielte
„islamische Propaganda und Türkisierung“ zu erkennen.25 Boulevardzeitungen
wie 168 časa vermittelten ihren Lesern, dass „die DPS in Jakoruda ein
bulgarisches Sarajevo vorbereitet“.26
Auch wenn die rechtlichen Grundlagen für eine Wiederherstellung der alten
Namen gegeben wurden, haben sich nicht alle Pomaken für diese Möglichkeit
entschieden. Seit den späten neunziger Jahren lässt sich zudem eine Tendenz zur
Erneuerung der alten bulgarischen Namen erkennen.
27 Vor allem unter der
jüngeren Generation, die auf Grund der antireligiösen Bulgarisierungspolitik der
BKP und der atheistischen Schulbildung keinen Bezug zu ihren eigentlichen
islamischen Wurzeln besitzt, ist das Interesse an einer Wiederherstellung der
arabisch/türkischen Namen sehr gering. Zudem sei die Prozedur äußerst
mühselig und schwierig.28
23 Bojan Gjuzelev, Die Minderheiten in Bulgarien unter Berücksichtigung der letzten
Volkszählung vom Dezember 1992, S. 362 f.
Berichte über Diskriminierungen durch offizielle
Behörden und abwertende Kommentare bei der Antragstellung gelangen immer
24 Menschenrechte in Bulgarien 1993 - Auszüge aus dem Bericht des Bulgarischen Helsinki-Komitees vom 5. November 1993. In: Südosteuropa (Dokumentation) 6-7/1994, S. 407.
25 Alexander Velinov, Religiöse Identität im Zeitalter des Nationalismus, S. 182. 26 Nach Sabine Riedel, Das Konzept des bulgarischen Nationalstaates in Vergangenheit und
Gegenwart. In: Südosteuropa 1/1996, S. 60. 27 Alexander Velinov, Religiöse Identität im Zeitalter des Nationalismus, S. 190. 28 State Department-Human Rights Report 2003. Nach: Carolina Ramos, Raw Deals for the
Pomaks. Sofia News Agency, 19. Mai 2005 (http:novinite.com), S. 2.
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wieder an die Öffentlichkeit.29 Einer der Hauptgründe für die Zurückhaltung bei
der Restaurierung der ursprünglichen Personennamen ist jedoch die Angst vor
mangelnden Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt. Nach dem Zusammenbruch
der Tabak- und Montanindustrie sowie der Auflösung der landwirtschaftlichen
Produktionsgenossenschaften ist die Arbeitslosigkeit unter den Pomaken sehr
hoch. 1997 betrug sie allgemein in Bulgarien 16 Prozent, in Gebieten, die vor
allem von Türken oder Pomaken bewohnt werden, zirka 40 Prozent,30 in einigen
Rhodopendörfern sogar 80-90 Prozent.31 Auch außerhalb der Siedlungsgebiete
finden sie zumeist nur eine Anstellung als billige Saisonkraft. 40 Prozent von
ihnen leben unterhalb der Armutsgrenze, unter den ethnischen Bulgaren sind es
30 Prozent. Darüber hinaus haben nur 20 Prozent eine höhere Schulbildung
genossen (53 Prozent unter den Bulgaren), womit ihre Perspektiven auf dem
Arbeitsmarkt zusätzlich eingeschränkt sind.32
Eine Elitentransformation kam nur schleppend voran und basierte oft auf
aktuell-politischen Konstellationen und Rivalitäten. Bezeichnenderweise
befanden sich unter den Parlamentsabgeordneten in den ersten Jahren der
Nachwendezeit noch eine Vielzahl von Initiatoren bzw. Mitwirkenden des
„Wiedergeburtsprozesses“ auf einflussreichen Posten.
33
29 Ebenda.
Und erst nach langen
Diskussionen und Parlamentsdebatten erfolgte im Jahr 2001 eine offizielle
30 Wolfgang Höpken, From Religious Identity to Ethnic Mobilization: The Turks of Bulgaria before, under and since Communism. In: Hugh Poulton/Suha Taji-Farouki (Hg.): Muslim Identity and the Balkan State. London 1997, S. 80. Hier zitiert nach: Maria Koinova, Minorities in Southeast Europe, S. 15.
31 Alexander Velinov, Religiöse Identität im Zeitalter des Nationalismus, S. 190. 32 Angaben basieren auf einer Untersuchung des ,,Bulgarischen Zentrums für
Demokratiestudien“. Nach: Carolina Ramos, Bulgaria: Raw Deals for the Pomaks, S. 1. 33 So wurde der Historiker Nikolai Todorov, der mit seiner nationalistisch geprägten
Geschichtsschreibung/-fälschung den ideologischen Unterbau für die Zwangsassimilierungen geliefert hatte, zum Vorsitzenden der Nationalversammlung gewählt. Andere nationalistische Historiker haben bis heute ihre Auffassungen nicht revidiert und sind auch weiterhin in früheren Positionen tätig. Vgl. Ulf Brunnbauer, Histories and Identities: Nation-state and Minority Discourses: The Case of the Bulgarian Pomaks. In: In and Out 1/1998, S. 4 und S. 9/Anmerkung 4.
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Verurteilung des kommunistischen Regimes.34 Eine Vielzahl von Akten und
Unterlagen, die für eine systematische Vergangenheitsbewältigung notwendig
wären, gilt als „verschollen“. Bei der Suche nach den Hintergründen der
Zwangsassimilierungen während der Ära Živkov stößt der Interessierte schnell
auf fadenscheinige Begründungen wie: ,,Diese Politik ist nie ein Ergebnis der
Volksmacht oder der Regierungspartei gewesen. Sie wurde hinter den Kulissen,
im Geheimkabinett ausgeklügelt und nicht nur vor dem bulgarischen Volk und
den einfachen Mitgliedern der Partei, sondern sogar vor dem ZK der BKP und
der Volksversammlung geheimgehalten.“35
Die neutrale und objektive Geschichtsaufarbeitung, verbunden mit einer
Unterstützung von Minoritäten im Verlauf des Transformationsprozesses, ist vor
allem jungen Wissenschaftlern und Nichtregierungsorganisationen vorbehalten.
Beispielhaft sei hier das IMIR-Institut (International centre for minority studies
and intercultural relations foundation) in Sofia genannt.
Diese Einschätzung hat leider nichts
mit der Realität zu tun.
34 In dem ,,Gesetz über die Erklärung des kommunistischen Regimes in Bulgarien als
verbrecherisch“ vom 27. April 2000 heißt es unter Artikel 2, Absatz 2: „Das kommunistische Regime ist dafür verantwortlich, daß … (2.) die grundlegenden menschlichen Rechte systematisch verletzt wurden, wobei man ganze Bevölkerungsgruppen nach politischen, sozialen, religiösen oder ethnischen Kriterien unterdrückte, obwohl die Volksrepublik Bulgarien schon 1970 den völkerrechtlichen Akten über die Menschenrechte beigetreten war.“ Zitiert nach Klaus Schrameyer, Das bulgarische Parlament erklärt das kommunistische Regime für verbrecherisch. In: Südosteuropa 2000, S. 624-628.
35 Kiril Kertikow, Die ethnonationale Frage in Bulgarien (1944-1991). In: Bulgarian Quarterly 1/1991, S. 92.
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4. Religiöse Institutionen und Missionsbewegungen
Nach der neuen bulgarischen Verfassung (Artikel 13/Absatz 3) ist die
„traditionelle Religion Bulgariens die Orthodoxie“, dennoch werden den
Religionsgemeinschaften weitreichende Rechte eingeräumt. Allerdings kennt
der Verfassungstext keine religiösen oder ethnischen Minderheiten, sondern nur
,,Bulgaren, deren Muttersprache nicht das Bulgarische ist“. Nach dieser
Definition gelten die Pomaken somit also nicht als Minorität im eigentlichen
Sinne. Auch wenn einige Entwicklungen sich nur langsam vollzogen, ist die
Religionsfreiheit garantiert. Die Muslime, zu denen neben den ethnischen
Türken und Pomaken auch die muslimischen Roma zählen, werden durch den
„Nationalrat der Muslime in Bulgarien“ vertreten. Die Union der
demokratischen Kräfte/SDS-Regierung attackierte 1995 sowohl die Amtsspitzen
der Orthodoxen Kirche als auch der islamischen Hierarchie. Sie strebte einen
Austausch der religiösen Führungsebenen an. Nach ihrer Auffassung sollten die
„vorbelasteten“ Mitglieder durch „prodemokratische Kräfte“ ersetzt werden,
was zeitweilig zur Existenz von zwei muslimischen Parallelorganisationen
führte, die sich gegenseitig Illegitimität vorwarfen. Die Spaltung konnte erst im
Oktober 1997 durch eine Vereinigungskonferenz und die sich anschließende
Wahl von Mustafa Hadzhi zum Führer der muslimischen Gemeinde überwunden
werden. Das Schisma in der bulgarisch-orthodoxen Kirche und der daraus
resultierenden Synodendualität hält dagegen bis zum heutigen Tage an.36
Problematisch gestaltete sich vor allem die Rückübertragung des Eigentums der
muslimischen Gemeinden. Neben der eben erwähnten Spaltung resultierten die
36 Im Gegensatz zur islamischen Gemeinde besiegelt das Ritual die Einsetzung eines
Patriarchen unabhängig von der Rechtmäßigkeit des Wahlvorganges. Daher gilt der Patriarch Maxim im kirchenrechtlichen Sinne auch weiterhin als legitimer Amtsinhaber. Vgl. Patar Kanev, Religion in Bulgaria after 1989: historical and sociocultural aspects. In: South-East Europe 1/2002, S. 85; Hans-Dieter Döpmann, Identität von Religion und Nation in den Ländern Südosteuropas. In: Südosteuropa-Mitteilungen 2/2005, S. 49; Peter Stoyanowitsch, Die Bulgarische Orthodoxe Kirche im politischen Wandel (1989-1995). In: Südosteuropa 1/1996, S. 489-502 sowie Bogdan Mirtschev für die Hanns-Seidel-Stiftung e.V. (IBZ): Bulgarien-Monatsbericht März 2005.
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Verzögerungen besonders aus der lückenhaften Dokumentation in den Archiven.
Die Restitution der betreffenden Güter ist jedoch einer der Kernpunkte für die
zukünftige finanzielle Unabhängigkeit der Religionsgemeinschaft.37 Bei der
Durchsetzung des so genannten ,,traditionellen Islams“ in Bulgarien – gemeint
ist hier die hanafitische Rechtsschule – arbeitete die islamische Geistlichkeit eng
mit den staatlichen Sicherheitsbehörden zusammen. So wurde im August 1997
in Südbulgarien eine sich an die Pomaken richtende Informationsveranstaltung
über den Islam kurzerhand durch die örtliche Polizei und weitere Sicherheits-
organe aufgelöst. Zwei Personen der Dozentengruppe, deren Mitglieder aus dem
Jemen, Israel und Saudi-Arabien stammten und sich zum schiitischen Islam
bekannten, wurden des Landes verwiesen.38
Das allgemeine Verhältnis zwischen Bulgaren und Pomaken kann als
zwiespältig bezeichnet werden. Obwohl den bulgarophonen Muslimen, speziell
durch die Printmedien, im Vergleich zu allen anderen muslimischen
Bevölkerungsgruppen das positivste Image vermittelt wird, existiert in der
bulgarischen Bevölkerung weiterhin permanente Angst vor einer schleichenden
Unterwanderung durch islamische Fundamentalisten.
39
Auf der privaten Ebene gestaltet sich das Zusammenleben zwischen
muslimischen und christlich-orthodoxen Bulgaren wesentlich unkomplizierter.
Hier ist der Nachbar zum Teil auch in die Festlichkeiten der jeweils anderen
Glaubensgemeinschaft involviert.
Reißerische Berichte in
der Regenbogenpresse fördern diese Vorstellungen.
40
37 Maria Koinova, Minorities in Southeast Europe, S. 33.
38 Ebenda, S. 34. 39 Ebd., S. 29. 40 Umfassend zur Thematik: Cvetana Georgieva, Coexistence as a System in the Everyday
Life of Christians and Muslims in Bulgaria. In: Ethnologia Balkanica 3/1999, S. 59-84 hier besonders S. 69 f.
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Seit der politischen Wende 1989 verstärkte sich – wie in fast allen Ländern
Osteuropas – die Missionstätigkeit verschiedener Sekten und Freikirchen.
Externe Beobachter schätzen ihre Zahl auf ca. 20 und verweisen besonders auf
Missionserfolge unter der bulgarischen Jugend und den Minderheiten.41 Genaue
Zahlen sind jedoch nicht verfügbar. Aus Beschwerden des Mufti Hadzhi ist
bekannt, dass die Zeugen Jehovas ihre Schriften eigens in das Türkische
übersetzt haben.42 Bei den Pomaken existiert diese Sprachbarriere nicht,
weshalb durchaus vermutet werden kann, dass entsprechende Versuche in dieser
Richtung bereits erfolgten. Ähnliche Bestrebungen scheint es auch durch die
Adventistengemeinde gegeben zu haben. Diese beschwerte sich beim
Bulgarischen Helsinki-Komitee über Behinderungen durch die lokalen
Behörden in Smoljan,43 einer Stadt in den Rhodopen, in deren Einzugsgebiet ein
hoher Bevölkerungsanteil an bulgarischsprachigen Muslimen wohnt – ein
Umstand, der ihr den Ruf als heimliche Pomakenhauptstadt eingebracht hat.
Eine breitere Informationsbasis steht dagegen über die Bewegung für
Christentum und Fortschritt (Sveti Joan Predteča) zur Verfügung. Sie wurde
1990 gegründet und agiert mit bemerkenswertem Erfolg vor allem in den
mittleren und östlichen Rhodopen. Neben mehreren hundert Christianisierungen
gelang es ihr auch, in einer Vielzahl von bisher rein muslimischen Dörfern neue
Kirchen zu errichten.44 Im Mittelpunkt der Bewegung steht Bojan Saraev, ein
orthodoxer Priester, der selbst pomakischer Herkunft ist. Sein erklärtes Ziel ist
der ,,neuen Islamisierung und Vertürkung“ friedlich entgegenzutreten.45
41 Bojan Gjuzelev, Die Minderheiten in Bulgarien unter Berücksichtigung der letzten
Volkszählung vom Dezember 1992, S. 372.
Die
meisten Erfolge erzielte er unter der atheistisch erzogenen Jugend, welche mit
42 Maria Koinova, Minorities in Southeast Europe, S. 39. 43 Menschenrechte in Bulgarien 1993 - Auszüge aus dem Bericht des Bulgarischen Helsinki-
Komitees vom 5. November 1993, S. 411. 44 Bojan Gjuzelev, Die Minderheiten in Bulgarien unter Berücksichtigung der letzten
Volkszählung vom Dezember 1992, S. 364. 45 Alexander Velinov, Religiöse Identität im Zeitalter des Nationalismus, S. 190 f.
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der Wiederbelebung der islamischen Traditionen nach 1989 nichts anzufangen
wusste. Er selbst bezieht seine Legitimation aus der Bitte einiger Pomaken, sie
in der christlichen Religion zu unterweisen. Als ehemaliger Polizeioffizier
während des kommunistischen Regimes präsentiert er sich gern als Rein-
karnation der Saulus-Paulus-Transformation. Dass diese nur unvollständig
vollzogen wurde, zeigt sein selbstherrliches, autoritäres Auftreten gegenüber
Kritikern und neutralen wissenschaftlichen Einrichtungen. So empfahl er dem
Institut für East-European Human Studies, „die Rhodopen lieber zu verlassen“.46
Grund für diese „Empfehlung“ war die Veröffentlichung von Forschungs-
ergebnissen des Instituts. Ähnlich erging es Ulf Brunnbauer von der Universität
Graz, der vor allem von nationalistischen Kreisen der Rhodopenbevölkerung
wegen eines Artikels verbal attackiert wurde.47
5. Exkurs: Die aktuelle politische Situation
Mit Blick auf die Auseinandersetzungen in Post-Jugoslawien erscheint
Bulgarien als relativ stabiles politisches System, besonders hinsichtlich der
interreligiösen und interethnischen Beziehungen. Daher neigte eine Vielzahl vor
allem westlicher Wissenschaftler zu der Annahme, dass ähnliche konfrontative
Konfliktregulierungsmodi in Bulgarien nicht vorstellbar wären. Einen
bulgarischen Žirinovskij konnte man sich, mit Verweis auf die bulgarische
Mentalität, nicht vorstellen. So verwies der deutsche Botschafter a.D., Klaus
Schrameyer, in einem Artikel der renommierten Zeitschrift ,,Südosteuropa“ auf
die fehlende mental-emotionale Basis und lieferte auch gleich im Anschluss die
Begründung seiner Annahme: ,,Die Bulgaren sind viel zu erdverbunden,
vernünftig und geduldig, als dass diese Extremisten viele Anhänger fänden, sie
46 Yulian Konstantinov, A Bulgarian Muslim Diary, S. 5. 47 Ebenda, S. 4 f.
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werden kaum mehr als Randgruppen bleiben.“ 48 Eine Einschätzung, der die
Redaktion der Zeitschrift in einer Anmerkung zu dem betreffenden Artikel
entgegentrat.49 Auch bulgarische Wissenschaftler warnten zunehmend vor der
Vorstellung, in Bulgarien ein „ethnisches Idyll“ 50 zu sehen. Leider sollten die
Skeptiker Recht behalten, obwohl die Veröffentlichung des betreffenden
Beitrages bereits einige Jahre zurück liegt. Bei den letzten Parlamentswahlen in
Bulgarien im Sommer dieses Jahres gelang es dem erst wenige Monate
bestehendem Parteienbündnis ATAKA (Nationalno Obedinenie „Ataka“ =
Nationale Union „Ataka“), auf Anhieb rund acht Prozent der Wählerstimmen
und damit 21 Sitze im Parlament zu erhalten.51 ATAKA ist somit die
viertstärkste Kraft im aktuellen politischen Parlament. Die involvierten
Bewegungen tragen u.a. so viel sagende Namen wie Nationale Bewegung zur
Rettung des Vaterlandes, Bulgarische National-patriotische Partei oder
Verteidigung – Patriotische Union der militärischen Reserve.52
48 Klaus Schrameyer, Die bulgarischen Parteien. In: Südosteuropa 6-7/1994, S. 358 f.
Ihr „Führer“,
Volen Siderov, ist Journalist, hat einige Bücher veröffentlicht und ist zudem mit
einer eigenen Talkshow im Kabelkanal SKAT TV vertreten. Diese Plattform
nutzt er, um gegen die vermeintlichen Feinde des bulgarischen Volkes zu
agitieren, wobei die Bandbreite seiner Parolen von faschistischen über
antisemitische bis zu rassistischen Forderungen reicht. Er hetzt gegen die
vermeintliche jüdische Weltverschwörung, gegen Europäische Union, NATO,
49 Ebenda, S. 359, Anmerkung 31. 50 Antonia Zeljazkova, Bulgaria in Transition: the Muslim minorities. In: Islam and
Christian-Muslim Relations. 3/2001, S. 299. 51 Genauere Angaben zu den Wahlergebnissen finden sich u.a. bei Asparuch
Panov/Wolfgang Sachsenröder, Liberale Allianz verliert die Mehrheit. (Friedrich-Naumann-Stiftung – http://www.fnst.org).
52 Yana Buhrer Tavanier, Bulgaria: Massive Attack. In: MMCP Newsletter 14. Juli 2005 (http: //lgi.osi.hu), S. 2. Vgl. dazu auch Klaus Schrameyer, Bulgarien nach den Parlamentswahlen vom 25. Juni 2005. In: Südosteuropa-Mitteilungen 6/2005, S. 23 f. und Ulrich Büchsenschütz/Ivo Georgiev: Nationalismus, nationalistische Parteien und Demokratie in Bulgarien seit 1989. In: Südosteuropa 4-6/2001, S. 233-262.
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Weltbank und Internationalen Währungsfond, leugnet den Holocaust und
fordert, dass „Bulgarien den Bulgaren zurückgegeben werden sollte“.53 Nach
seiner Auffassung vollziehen die in Bulgarien lebenden Minderheiten, gestützt
auf ominöse internationale Finanzstrukturen, einen „systematischen Genozid“ an
den ethnischen Bulgaren.54 Besonders die Türken und die Roma sind
Zielscheibe seines Hasses. Forderungen wie die Wiedereinführung bulgarischer
Namensendungen bei den türkischen und arabischen Familiennamen – eine
Reminiszenz an das Živkov-Regime – werden im Ausland wachsam registriert
und stoßen speziell in der Türkei, auf erbitterten Widerstand.55 Der US-
amerikanische Botschafter in Bulgarien fühlte sich sogar an die Situation 1990
in Bosnien erinnert.56 Besonders die Kritik an den in Bulgarien lebenden Roma
trifft auf breite Zustimmung in der Bevölkerung – allerdings stellt Bulgarien mit
derartigen Ressentiments in Osteuropa keinen Einzelfall dar. Auch wenn
Siderov oft verallgemeinernd von der Gefahr des islamischen Fundamentalismus
spricht und die Pomaken nicht explizit erwähnt werden, bedeutet dies
keinesfalls, dass sie davon nicht betroffen wären. Für Siderov müssen die
Bulgaren – die er als ethnische Bulgaren, welche sich zum orthodoxen-
christlichen Glauben bekennen, definiert 57
Auch wenn im Vorfeld der Regierungsbildung alle etablierten Parteien eine
Zusammenarbeit mit ATAKA abgelehnt haben, bleibt die weitere Entwicklung
abzuwarten. Zwei Möglichkeiten wären denkbar. Entweder beruhte der Erfolg
von ATAKA nur auf einer Vielzahl von Protestwählern, welche von den
– das ,,Herrenvolk“ bleiben. Eine
Definition, welche die bulgarischsprachigen Muslime ausschließt.
53 Yana Buhrer Tavanier, Bulgaria: Massive Attack, S. 2 54 Ebenda. 55 Vgl. z.B. The Journal of Turkish Weekly, 27. Juni 2005: ,,Bulgarian Nationalist Party
ATTACK: We’ll Assimilate the Minorities.”; 28. Juni 2005: ,,Bulgarian Coalition Leader Seeks to Change Turk’s Names.”
56 Yana Buhrer Tavanier, Bulgaria: Massive Attack, S. 3. 57 Els de Groen (Mitglied des EU-Parlamentes), 36 Bulgarian Hours.
(http://www.elsdegroen.nl; Zugriff: 20.10.2005), S. 2.
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anderen Parteien enttäuscht waren und sich nach diesem ,,Denkzettel“ wieder an
ihrem bisherigen Wahlverhalten orientieren, womit Siderov und seiner Partei ein
ähnlicher Fall in die politische Bedeutungslosigkeit wie seinem russischen
Vorgänger Žirinovskij bevor stehen würde. Oder es gelingt ATAKA, sich in
moderaterer Form – à la FPÖ und Jörg Haider – in das bestehende politische
System zu integrieren und damit auch als koalitionsfähig zu gelten. Obwohl sich
bereits erste Zentrifugaltendenzen innerhalb der ATAKA-Fraktion angedeutet
haben, ist zumindest der Nährboden für ähnliche Parteien/Bewegungen
vorbereitet. Die weitverbreitete und alle gesellschaftlichen Schichten erfassende
Abneigung gegenüber den Roma fördert diese Entwicklung. Besonders unter
den Verlierern des Transformationsprozesses scheint eine breite Unterstützung
von derartigen ,,Protestbewegungen“ nicht ausgeschlossen. In diesem Sinne
kann man eigentlich nur hoffen, dass mental-orientiert argumentierende
Publizisten mit ihrer „Erdverbundenheit des bulgarischen Volkes“ Recht
behalten. Ob jedoch die „Dornröschennation“ 58
der Pomaken jemals erwachen
wird, scheint zweifelhaft. Separationsbestrebungen hat es seit den
„unbotmäßigen Dörfern“ 1878-1885 (nepokornite sela) nicht mehr gegeben und
sind für die Zukunft auch nicht sehr wahrscheinlich.
58 Ernest Gellner, zitiert nach Magarditsch Hatschikjan/Stefan Troebst (Hg.), Südosteuropa:
Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur – ein Handbuch. München 1999, S. 96.