Resumee des Symposiums -. Die Bühne und die Medien · Prinzip verzichtbare Fremdkörper auf einer...

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Resumee des Symposiums «Schnittstelle Theater» -. Die Bühne und die Medien vom 9. 11. 1. 2004 in der Volksbühne Beriin Caroline Peters, Sophie Rois und lnga Busch in uSexl> von Rene Pollesch im Berliner Prater (Volksbühne) Foto DRAMA

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Resumee des Symposiums «Schnittstelle Theater» -. Die Bühne und die Medien vom 9. ~ 11. 1. 2004 in der Volksbühne Beriin

Caroline Peters, Sophie Rois und lnga Busch in uSexl> von Rene Pollesch im Berliner Prater (Volksbühne) Foto DRAMA

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Anstatteines Editorials eine Pressestimme: Zeigt her eure Füße!

Von Matthias Heine

Drei Tage lang berieten 150 Dramaturgen in

der Volksbühne über Einflüsse neuer Medien

auf das Theater. Das Symposium hieß: «Schnitt­

stelle Theater». Man war sich einig: Die Bühnen­

kunst kann der Medienweit gar nicht entkommen,

es kommt nur darauf an, wie sie damit umgeht.

Am Anfang tut es immer gut, erst mal Ver­

wirrung zu stiften. Vor allem, wenn im Zentrum

des Nachdenkens der Begriff «Medien» steht, von

dem jeder glaubt, zu wissen, was er bedeutet. Die

Aufgabe übernahm die Allzweckwaffe Diedrich

Diederichsen. Dem Vortrag des Medien-, Pop- und

Kunsttheoretikers war eine gewisse Amüsiertheit

darüber anzumerken, dass im öffentlichen Ge­

spräch übers Theater immer noch Grenzen vertei­

digt werden, die in der Bildenden Kunst und der

Popkultur längst geschleift sind.

Wenn Deutschlands gerontokratische Thea­

terkritik ständig die «Selbstaufgabe« eines Thea­

ters beklagt, welches neue Medien verwendet,

dann hat das für Diederichsen viel damit zu tun,

dass Video «ein gesellschaftlich verworfenes

Medium» sei, das man von Seiten eines kultur-.

pessimistischen Traditionsbürgertums für vieles

Schlechte verantwortlich mache. Im Theater

werde eben, anders als in der Bildenden Kunst,

immer noch zwischen ((angemessenenn und «fremden» Praktiken unterschieden.

DRAMATURG 1/2004

Konservative Vorbehalte gegen die Nutzung

von Medien als theatrale Darstellungsmittel ent­

deckt Volksbühnen-Dramaturg Carl Hegemann

allerdings auch bei den Künstlern - und er ver­

teidigte sie. So müsste doch eigentlich die com­

putergestützte Herstellung virtueller Realitäten

für die Theaterleute hochinteressant sein, weil sie

es prinzipiell ermögliche, unendliche Cyberbüh­

nenbilder zu bauen. Doch stelle er nach -hoff­

nungsvoll begonnenen Experimenten fest, dass

das Interesse daran rasch erlahmt sei. Man brau­

che offenbar die Beschränkungen durch das

Material. Oder, mit Bezug auf Kant gesagt: «Wenn

der Mensch durch Knopfdruck seine Fantasie

abarbeiten könnte, dann wäre er Gott, und das

will er gar nicht sein.»

So werden, laut Hegemann, die alten Grund­

verabredungen.des Theaters durch die Avantgar­

den meist nicht in Frage gestellt, sondern eher

bestätigt. Dazu gehöre etwa, dass man Schau­

spieler, die live spielen, auch sehen können muss.

Die intensive Arbeit Frank Castorts mit Video habe

begonnen, als sein Bühnenbildner Bert Neumann

einmal jene Grundverabredung in Frage stellte: Er

wollte das Badezimmer in «Endstation Amerika»

als völlig geschlossenen Raum und beharrte da­

rauf, es genüge, wenn das Publikum die Schau­

spieler häre. Daraufhin habe ihn Castort erstens

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gezwungen, ein Fenster in das Badezimmer eine zubauen, und zweitens beschloss er, eine Video­kamera in das Zimmer zu stellen, mit deren Hilfe das Spiel nach draußen übertragen wird. So sei es möglich, die Vereinbarung gleichzeitig zu verlet­zen und zu erfüllen.

Mittlerweile gehe es Castorf, so Hegemann, um zweierlei: Erstens wolle er das, was ihn prägt (die Medien) gewissermaßen in einem Akt der Gegenwehr bearbeiten. Zweitens ermögliche die Kamera es ihm, Schauspieler so zu zeigen, wie sie sich selbst nicht sehen wollen. Als Beispiel nann­te Hegemann eine Szene aus uForever Youngn, in der Kathrin Angerer von. ihren «hässlichen Füßenn . spricht und im nächsten Augenblick diese Füße überlebensgroß auf der Videowand zu sehen sind.

Im Gegensatz zu Hegemann war bei den drei Videokünstlern Chris Kondek, Philip Bußmann und Jan Speckenbach (der die Kamera bei Castorf führt) eine gewisse Faszination fürs bloße Erpro­ben technischer Möglichkeiten zu spüren. Kon­dek und Bußmann haben beide für die Wooster Group gearbeitet und ließen keinen Zweifel, dass der erste preiswerte Videomixer, den Panasonie Mitte der neunziger Jahre auf den Markt brach­te, die Ästhetik der New Yorker Truppe beeinflus­st habe. Mittlerweile arbeite man vor allem am Apple Computer und, so Bußmann, ein Video, dessen. Herstellung früher Wochen dauerte, «ließe sich heute ganz einfach in Harnburg machen und dann im ICE nach Berlin fertig schneidenn.

Ähnlich unbefangen wurde an den gesamten . drei Tagen des von der Dramaturgischen Gesell­schaft veranstalteten Symposiums vor allem über das uWie?n der th.eatralen Mediennutzung disku­tiert -.das «Warum?n stand bei Vertretern so unterschiedlicher Ästhetiken, wie es Thomas Ober­ender (Schauspielhaus Bochum), Anne Quinones (Rene Polleschs Prater), Beate Heine (Schaubühne)

·und Ulrich Khuon [Thalia-Theater) sind, außer Frage. Grundkonsens war: Wenn Medien unsere Wirklichkeit und deren Wahrnehmung bestil1)­men, kann und soll das Theater kein medienfreies Reservat sein.

Der Autor und Theaterwissenschaftler Jens Roselt berichtete denn auch höchst süffisantvom · Besuch des lars-von-Trier-Films uDogvillen, der eine uäußerst altbackene Theaterästhef1kn für .das Kino kultiviere. Komischerweise habe kein einziger deutscher Kinokritikerangesichts dessen über den uAusverkaufn und die «Selbstpreisgaben des Kinos geklagt. Etwas von diesem selbstverständlichen Selbstvertrauen täte auch dem Theater gut. 1!11

Zuerst veröffentlicht in der Berliner Morgenpost vom 12.01.2004 www.morgenpost.berlin 1.de

DRAMATURG 1/2004

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Theater ist kein Medium- aber was bewirkt es, wenn der Mann mit der Videokamera auf der Bühne arbeitet?

Von Diedrich Diederichsen

Unter den zahllosen Jahresendlisten und

-abrechnungen, die im Dezember des Jahres

2003 veröffentlicht wurden, konnte man auch

diesen Notruf einer Berliner Kollegin abfangen:

Unter der Rubrik «Wünsche für 2004» hatte sie

nämlich notiert. nur einmal im kommenden Jahr

möge die Volksbühne auf eine Videoprojektion

verzichten. Warum diese Gereiztheit? Kaum vor­

stellbar wäre etwa der Ausruf, die Volksbühne

möge doch wenigstens einmal im Jahr 2004 auf

sprechende Schauspieler verzichten oder auf

Musik. Die Videoprojektion scheint nach wie vor

ein Fremdkörper im Theater zu sein, und das

scheint sich auch von selbst zu verstehen.

Diskutierenswert ist aus der Perspektive des Thea­

ters und seiner Kritikerinnen offensichtlich nur

die Frage, ob und in welcher Menge dieser im

Prinzip verzichtbare Fremdkörper auf einer Bühne

erscheinen darf, nicht ob er prinzipiell als Fremd­

körper zu gelten hat. Die Gereiztheit über eine

oder besser wiederholte Videoproduktionen ver­

weist darauf, dass sie nicht zu den Theaterkon­

stanten, den selbstverständlichen Mitteln der Dar­

stellung gerechnet werden, sondern als so etwas

wie ein Regieeinfall und daher zu den Variablen

gezählt werden müsse. Und Variable nerven dann,

wenn sie konstant wiederkehren. Das dürfen sie

erst dann, wenn sie als Konstanten akzeptiert sind.

Nun hat die Selbstreflexion der Darstellungs­

mittel in allen Künsten dazu geführt, dass kaum

noch ein solches Mittel als Selbstverständlichkeit

gelten kann und sich daher jedes und auch auf

jeder Ebene der Diskussion stellen muss und legi­

timationsbedürftig ist. Die Perspektive und Me­

thode der Selbstreflexion hat infolgedessen einer­

seits die Menge und die Einsatzmöglichkeiten von

Mitteln erhöht, weil sie eine diskursive Perspektive

ist und ohne die Apodiktik des Künstlerturns aus­

kommt- und diskutierbar, also per Diskurs legiti-

DRAMATURG 1/2004

mierbar ist eben zunächst mal alles: auch Jour­

nalismus als Strategie der Bildenden Kunst oder

Fernsehen als Theater. Andererseits lässt aber die

universelle Selbstreflexion alle Mittel als markiert

erscheinen und damit als potenziell vordergrunds­

fähig, als potenzielle Hauptsache- und jede ehe­

malige Hauptsache darf Nebensache werden. Die

Mittel lassen sich nicht mehr in genrespezifische

Kernbestände und einfallbedingte Singularitäten

scheiden. Der auffällige und ausgestellte Einsatz

von medialen Apparaturen wird da leicht zum

bevorzugten Kandidaten einer solch kritischen

legitimationsprüfenden Aufmerksamkeit- und im

Ergebnis dann Ursache von konsensfähiger Ge­

nervtheit.

Der Grund liegt nahe: Alle, insbesondere alle

Kritiker, sind an Diskussionen über neue Medien

gewöhnt und können oft auf eine besonders rei­

che Erfahrung an Diskussionen über den Zusam­

menhang von neuen Medien und Theater zurück­

greifen, der mindestens bis an die Anfänge der

Avantgarden des 20. Jahrhunderts zurückreicht

Ebenso alt sind alle möglichen Versuche, den

Gebrauch der unterschiedlichsten neuen Medien

in die Theaterpraxis zu integrieren, wirklich ver­

schiedenartig sind dabei indes die Register, in

denen diese Versuche bemerkt, benannt und dis­

kutiert werden.

Dabei meint das Wort Medium in diesen Dis-.

kussionen ausgesprochen verschiedene Dinge: oft

technische Einflüsse auf das Bühnengeschehen,

die nicht immer die Kategorie Medium verdienen,

sondern eher die der Apparatur, von der elektri­

schen Verstärkung bis zur Projektion; sodann kon­

kurrente Formen von Öffentlichkeit wie Fernse­

hen, Kino, Computer-Kultur, wo ebenfalls selten

das Mediale gemeint ist. sondern meistens

bestimmte Erzähl- und lnszenierungsformen, .

nicht die dazu nötigen Medien; und schließlich

Das Symposi'um «Schnittstelle Theatern wurde am 9. Januar am Tatort, in der Volksbüh­ne Berlin, eröffnet mit einer Reflexion des Medienwissenschaftlers und Kritikers Diedrich Diederichsen. ·

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ästhetische Formate, die mithilfe von medialen

Architekturen als trojanische Pferde ins Theater

geschleust werden und dort aber als neue, ledig­

lich medial unterstützte, aber in erster Linie

ästhetisch auffällige oder neue Elemente des

Theaters für Unruhe sorgen- wie etwa dem Fern­

sehen abgeschaute höhere Geschwindigkeiten

oder auch deren Gegenteile, die von der installa­

ti.venBUdenden .Kunst beeinflussten Langsamkei­

ten. Getanzte Zeitlupen, gelaberte Loops und

gescratchte Dialoge. Schließlich gibt es den Ein­

. salz von Medien in einem tatsächlich medialen

Sinne, als Extensionen oder Modifikationen der

Grundelemente des kulturellen Formats Theater:

Projektion ersetzt die vierte Wand oder Kameras

vervielfachen die Bühnenräume etc.

Für und gegen alle diese Entwicklungen in

ihren unterschiedlichen konkreten Ausprägungen

mag es gute immanente Argumente geben, die

sich aus spezifischer Ge- oder Misslungenheil

ableiten, generell scheinen mir aber die allfälli­

gen Streitereien darunter zu leiden, dass es jen­

seits der Verwechslung von jeweils Technik,

Öffentlichkeit undÄsthetik mit einem verallge­

meinerten Medienbegriff zwei unausgetragene

Unklarheiten gibt: zum einen, ob sich das Thea­

ter selbst als ein Medium verstehen will, das sich

gegen andere verteidigen oder von ihnen ergän­

zen lassen will, und zum anderen welchen Status

Medien - alte wie neue - eben genau dann im ·

Theater haben, wenn es sich, wofür ich argumen­

tieren möchte, gerade nicht als ein Medium ver-

. steht oder verstehen sollte.

Es ist offensichtlich und bedarf wohl keiner

ausführlicheren Begründung, dass Theater aus den

verschiedensten künstlerischen Gattungen und

Formaten zusammengesetzt ist, und doch ist

schon diese Formulierung irreführend, weil sie ein

Ganzes aus Teilen suggeriert. Ein solches Ganzes

- wie am berühmt-berüchtigsten in der Idee des

Gesamtkunstwerkes - setzt nämlich auch ein

Integrationsprinzip voraus, das über aller Zusamc

mengesetztheil stehen müsste und so auch die

Unterschiedlichkeil der verschiedenen Medien

aufheben würde. Ein solches Prinzip mag in tra­

ditionellen Theaterformen auf der Ebene des Tex­

tes, des Dramas oder in noch traditionelleren ritu­

ellen Funktionen bestanden haben, aber die Idee,

dass es eine solche Einheit auch auf der Ebene der

Ausdrucksmittel geben könne, ist relativ spät, ist

Ausdruck spezifischer Ideologien im Umkreis des

Gesamtkunstwerk-Gedankens und tatsächlich auch

des Aufkommens neuer Medien im Umkreis des

Theaters. Gäbe es nicht diese Einheitsvisionen auf

formaler und z. T. auch eben medialer Ebene, die

ja oft auch gerade dann auftauchten und lanciert

wurden, wenn der klassische Locus der Einheit -

Text und Drama eben·~ gerade auseinander zu fal­

len begann, dann hätte das Theater neue Medi.en

aller Art ganz entspannt in seinen extrem großen

und weiten Rahmen integrieren können, in dem

doch auch sonst so vieles Platz hat. Die Idee, dass

es angemessene. und fremde mediale Praktiken auf.

der Bühne gibt, istalso eng verbunden mit dem

Aufkommen von Medien oder vor allem be­

stimmter Ideen von Medialität und Medienwir­

kungen, die zu formalen Einheitsideen ermutigten.

Anders als in der Bildenden Kunst hat es im

Theater nie eine besondere Nähe zwischen seinen

Medien und seinen b~rstellungsmitteln gegeben.

Das Sprechtheater hat in der Regel die Medien

genutzt, die auch die Alltagskommunikation nutzt

. und sich nur bei seinen Hintergründen und Sup­

plements bei den Künsten bedient, die auf einer

größeren Nähe zwischen Medium und Ausdrucks­

mittel verfügen - wie etwa die Malerei und in

einem gewissen Sinne auch die Musik. ln der

Nachfolge Wagners, des Symbolismus und später

Futurismus, von Huysmans und . gewissen

Synästhetisisten oder Synästhetikern wurden

Modelle und .Utopien entwickelt, mithilfe von

architektonischen oder medialen Apparaten und

Maschinen auch die Ausdrucksmittel der Künste

zu vereinheitlichen, von einem Zentrum aus steu­

erbar und programmierbar, ja vergleichbar und

ineinander übersetzbar zu machen. Und natürlich

war das Theater mit seinem Sammelsurium an

Künsten und Kunstfertigkeiten ein geeigneter Ort

oder zumindest ein geeignetes Modell solcher

mediatisierter totaler Kunst.

Es kam.jedoch anders, und im Aufstieg des

Films ist genau eine solche medial vereinheitlich­

te Kunst aus den vielen Künsten realisiert worden:

Regisseure, Bühnenarbeiter, Darsteller, Beleuchter,

Fotografen, Bühnenmaler und -bildner, sie ·alle

arbeiteten beim Film nur noch an einem belich­

teten Streifen Celluloid, der also wegen und durch

seine medialen Eigenschaften die vielen Künste

in ein Objekt .einschmolz - und überließen das

Theater seiner natürlichen, disparaten Heteroge­

nität.

Meanwhile im Lager der Bildenden Kunst:

Auch dort hatte naturgemäß der Aufstieg neuer

Bildmedien stark eingeschlagen. Wenn wir das

20. Jahrhundert grob resümieren, kann man sa­

gen, dass dieser Aufstieg dazu geführt hat, das

Verhältnis von Ausdrucksmittel und Medien in der

Bildenden Kunst nach und nach völlig neu zu

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definieren. ln der Nachfolge von Duchamp und

vor allem seiner neo-avantgardistischen Rezepti­

on in der Nachkriegszeit und in der Konzept­

Kunst der Sechziger ist die Bildende Kunst dazu

übergegangen, Kunststatus und Kunst/Nichtkunst­

Unterscheidungen eher in externen Spielregeln,

symbolischen Rahmungen wie dem White Cube

der modernistischen Galerie und in den sozialen

und wirtschaftlichen Bindekräften eines Kunst­

Milieus zu situieren als in der traditionellen und

auch traditionell modernistischen Orientierung an

den eng miteinander verbundenen Darstellungs­

mitteln und Medien in Malerei und Skulptur- von

alldiesen Definitionen und Lokalisierungen gibt es

normativ-optimistische und rein deskriptive, die

zum Pessimistischen tendieren. Ihnen gemeinsam

ist, dass sie alle sehr den ähneln, die das moderne

Theater auch in seinen Selbstbeschreibungen

äußert: den Status oder auch die Grenzen des Fore

mates machen Spielregeln und symbolische Übe­

reinkünfte aus, an die systematische Stelle des

White Cube und seiner symbolischen Funktion

könnte etwa beim Theater die vierte Wand tre­

ten. Obwohl natürlich diese beiden Übereinkünf­

te viele Jahrzehnte der Übertretungen und wei­

tere der Dekonstruktion hinter sich haben, ist

nicht nur ihre symbolische Virulenz wenig ge­

schwächt, entscheidender ist," dass mit ihnen der

weder medienbezogene noch auf künstlerische

Mittel verweisende Versuch, Theater und Bilden-

. de Kunst über symbolische und soziale Verein­

barungen als kulturelle Formate - und nicht als

Medien - zu beschreiben, sich _als .relativ erfolg­

reich erwiesen hat. Natürlich gibt es wichtige

Unterschiede: Der Druck, den die Anwesenheit

eines Publikums erzeugt, ersetzt oder mildert das

symbolische Diszipiinierungsbedürfnis und die

Notwendigkeit, Grenzen symbolisch in die Rezep­

tion einzufräsen, die in der Bildenden Kunst der

White Cube leisten muss. Weswegen auch dessen

Dekoristruktion attraktiver ist.

Wiederum bei.den gemeinsam ist aber, dass

man den symbolischen Vereinbarungen ein sozia­

les Korrelat, ja ein Milieu zuordnet, einen kultu­

rellen Resonanzraum, der die beiden Formate oder

Disziplin dann wieder- gerade durch ihre struk­

turelle Ähnlichkeit -.stark unterscheidet und da­

für sorgt, dass womöglich identische mediale.

Praktiken - z. B. in der Performance Art, in der

Bewegt-Bild-Installation -sich auf ganz unter­

schiedliche milieu-interne symbolische Vereinba­

rungen beziehen und folglich etwas völlig ande­

res bedeuten und auch in völlig unterschiedlichem

Maße originell bzw. gut sein können. Dieser Bezug

DRAMATURG" 1/2004

der symbolischen Spielregeln auf die Milieus und

die ökonomischen Hintergründe ist auch insofern

keineswegs beliebig, als diese auf sehr spezifische

Weise die Hardware der symbolischen Regel. bilden

und ihre Genese beeinflusst haben: Weiß gestri­

chener Galerieraum und die symbolische Archi­

tektur des Theaters haben gewiss eine prä- wie

prolo-symbolische Vorgeschichte, eine sozusagen

historisch-materialistisch zu erschließende Dimen­

sion jenseits ihrer bloßen Funktion bei der Orga­

nisation und Distinktion symbolisch kultureller

Weiten. An ihnen lassen sich .auch die gesell­

schaftlichen Gründe ihrer Genese noch erkennen,

der idealistisch weiße,.die Kontextualität zuguns­

ten von Autonomie eindämmende, Sicherheit und

Asyl vor allzu großer Nähe zu den Bedeutungen

da draußen versprechende Raum ebenso wie

Bühne, Zuschauerräume und die ganze symboli­

sche Architektur des Theaters als exemplarische

Öffentlichkeit un.d symbolische Wiederholung der

Ordnung der Weit. Der White Cube arbeitet mit

der Dialektik von Hereinlassen und Aussperren

von Weit, das Theater mit Wiederholung, Entzie­

hung und Überbietung derselben.

Der nun schier unüberwindliche Graben zwi­

schen den Milieus, eher ihrer sozialen Genese und

Reafität geschuldet als wesentlichen inhaltlichen

Differenzen, allenfalls der Differenz von überwie­

gend staatlich zu überwiegend privatwirtschaft­

lieh finanziert, dieser Graben der Kenntnisse,

Erfahrungen und Biographien täuscht also über

einen gewissen Bestand an Gemeinsamkeiten hin­

weg. Man muss aber unterscheiden, dass die Bil­

dende Kunst sich, indem sie sich der Medien-Dar­

stellungsmittei-Engführung entledigte, einer tra­

ditionell starken und wesentlichen Selbstbeschrei­

bung entledigte, die nicht nur bis heute im Volks­

mund überlebt, sondern auch viel mit ihrer öko­

nomischen und kulturellen Herkunft aus dem

Handwerk zu tun hat. Dar.um wird die Geschichte

dieser Entledigung auch- übrigenskontrafaktisch

-immer wieder gern als eine von brachialen Para­

digmenwechseln erzählt, in der Schlüsselwerke

(Urinoir, Flaschentrockner, Brillo Box, Art as ldea

as Art etc.) und5chlüsse}künstler (Duchamp, War­

hol, Weiner etc.) heroische Rollen spielen. Hinge­

gen scheint die Selbstverständigung des Theaters

als ein Bündel loser und erweiterbarer wie redu­

zierbarer Praktiken unter dem Regime einiger

symbolischer Regeln eher nach und nach gewach­

sen zu sein und ist- soweit ich sehen kann- nicht

an Kriegserklärungen und goldene Worte gebun­

den. Entsprechend wenig gehört sie zur Verfü­

gungsmasse der im Alltagsbewusstsein der Thea-

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termacher abrufbaren theoretischen Statements,

entsprechend. unklar und ungeklärt bleibt das Ver­

hältnis zu neuen Medien. Es hat nie zur großen

Krise geführt, also führt es immer wieder zu klei­

nen Krisen. Dafür gibt es eine andere sehr bewusste und

präsente Problematik im Selbstverständnis des

Theaters, und das ist die Nähe der neuen· Medien

zur Privatwirtschaft, zu kapitalistischer Konkur­

renz, zu ökonomischen Prinzipien, die das ökono­

mische Format- nämlich staatsabhängig und mit­

telständisch - wenigstens des deutschen Stadt­

und Staatstheaters gefährden könnten: Neue

Medien ·sind nämlich immer entweder sehr, sehr

billig oder sehr, sehr teuer - und das Stadtthea­

ter liegt diesbezüglich sehr, sehr dazwischen -

genau in der Mitte zwischen Hollywood-Budgets

und alternativem Stadtteilaktivismus mit Net.Art.

Doch glaube ich auch nicht, dass diese Verspan­

nung durch ein Konkurrenzgefühl zu jeder media­

len Produktion, von einer von ihrer bloßen - ten­

denziell mittelständisch produzierenden- Größe­

nordnung des Theaters her, das zwischen medien­

gestützter Ich-AG und Spektakelindustrie sich als

die falsche und überlebte Unternehmenssorte

erweisen könnte, nicht wirklich entscheidend zur

Verantwortung gezogen werden kann, für das

immer wieder aufflammende Krisengespräch über

zu viel (oder auch zu wenig) neue Medien im

Theater.

Denn wenn es darum geht, was an deren Ein­

satz falsch wäre, wird man sofort eine ganze Reihe

von medialen Einflusstypen als konsensfähig und

für unbedenklich erklärt streichen. Als Thema und

Gegenstand sind sie kein Problem, als zitierte Aus­

drucksmittel, die von einer medialen Realität in

die des Theaters überführt werden, auch nicht. Als

apparative Aufrüstung stören sie nur die, die auch

gegen tradit!one!!e Apparate für armes Theater· plädiert hatten. Ich glaube nicht einmal, dass

großformatige, das Bühnengeschehen nicht er­

weiternde, sondern oft unterbrechende Videopro­

jektionen wie sie in diesem Hause (der Volksbüh­

ne) häufiger vorkommen, normalerweise ein Prob­

lem wären, wenn sie stär".er mit der visuellen Kuli­

narik des elektronischen Bildes arbeiten würden

- sie würden dann allenfalls aus Geschmacks­

gründen abgelehnt oder als Exte~sion des Thea­

terraums begrüßt werden, als neue Form des Büh- ·

nenbildes, nicht als Attacke auf den Bestand.

Dafür ist meiner Ansicht nach eine andere Ent­

wicklung verantwortlich, und sie gilt es präziser

beim Namen zu nennen. Ich halte sie auch für

eine tatsächlich interessante.

Es geht nämlich nicht um Medien. Es geht

um ein Medium, es geht um Video. Es geht auch

nicht um jeden Einsatz von Video: Bühnenbild­

nerische sind meistens unproblematisch, es geht

um Video in zwei Verwendungen. Zum einen

wären dies Videoprojektionen, die nicht als Ver­

schönerungen oder Extensionen oder Metarefle­

xionen des Bühnenraumes gelesen werden kön­

nen; sondern sich als das Eindringen der schmut­

zig-hässlichen Weit des Fernseh-Narrativ lesen

lassen müssen, und zwar auf einer produktions­

ästhetischen Ebene, nicht als wohlfeiles Zitat. Zum

anderen ist es die Videokamera in unmittelbarer

Verschaltung miteinem beweglichen Akteur, nicht

im Sinne einer Thematisierung seiner Körperlich­

keit- wie es sie im experimentellen Theater wie in

der Performance-Kunst seit Ewigkeiten und längst

kritisch durchgewunken gibt - sondern im Sinne

seiner Thematisierung als dramatischer Rollenträ­

ger mit Kamera, als Mann mit der Videokamera:

im Sinne einer Karikatur des Mannes mit der Film­

kamera und der an ihn in den zwanziger Jahren

von unter anderem seinem Erfinder, Dziga Vertov,

gesetzten Hoffnungen.

Beide Anwendungen sind tatsächlich Spezia­

litäten dieses Hauses und nicht nur von Inszenie­

rungen ihres Intendanten. Was aber macht ihre

Spezifik aus, in welcher Weise durchbrechen sie

den längst etablierten Konsens, dem Theater eine

prinzipielle lntermedialität im Rahmen seiner

symbolischen Spielregeln zuzugestehen? Wenn

man etwa in Hans Thies Lehmanns einflussreicher

Schrift über das postdramatische Theater liest,

was da über das Verhältnis jüngeren Theaters zu

technischen und elektronischen Medien gesagt

wird, fällt auf, dass Lehmann für ein Theater, das

mit elektronischen Medien arbeitet, synonym

·immer wieder den Begriff High-Tech-Theater ein­

setzt. Das zeigt, dass elektronische Medien, auch dann, wenn das weder ökonomisc.h noch tech­

nisch zutreffend war, immer als teuer und avan­

ciert verstanden wurden, womit im Subtext die

implizite Kritik auch verbunden sein konnte, dass·

durch die Verwendung von High-Tech· die ästhe­

tische Avanciertheil zu kurz kommt, denn sie wird

ja an die Technologie delegiert, nur die ist dann

avanciert. Weniger bekannt ist aber, dass technische

Medien heutzutage auch Low Tech sein können,

ja, da der nichtmediale Rest des Theaters tech­

nisch nicht markiert ist, sogar die einzige Mög­

lichkeit darstellen zu einem alltäglichen und ver­

breiteten Mediengebrauch, jenseits der bloßen

Zitation, sich zu verhalten, der nicht mehr als

DRAMATURG 1/2004

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ästhetische Bereicherung oder Konkurrenz sich

lesen lässt, sondern vielmehr als Kommentar zu

medialen und ästhetischen Verhaltensweisen der

Zeitgenossen fungiert. Dieser billige, aber mobile,

trashige, aber treffende Alltagsumgang mit der

Kamera ist die andere Seite der Spektakel­

industrie, aber auch ohne sie nicht zu verstehen.

Dieser Umgang hat wenig noch zu tun mit den

aufklärerischen, an dokumentarische Formate

gebundenen Hoffnungen, die einst mit ihm ver­

bunden waren, sondern steht eher für den unum­

wunden hochbeschleunigten verwertenden

Zugriff auf Bilder von Lebendigkeit in alltäglichen,

kleinen Ausbeutungsverhältnissen. Gleichzeitig

sind mobile Videobilder auch eng verbunden mit

schnellen und kurzfristigen Ermächtigungseffek­

ten, Kompensationen der eigenen Bedeutungs­

losigkeit.

Es ist alsö auf den ersten Blick kein formaler

Aspekt dieses Mediums, der ausgestellten, beweg­

lichen Videohandkamera, der zählt, sondern seine

enge Verbundenheit mit einer neuen Alltags­

ästhetik und Alltagsperformativität der Low Cul­

ture. ln den großen Videoprojektionen ist dies

auch entscheidend, wenn auch leicht verschoben.

Was an der großen Projektion während «Der Meis­

ter und Margarita» etwa skandalisierte, war nicht

nur die Länge und Ununterbrochen heil, die ihr

zugebilligt wurde, auch nicht, dass in ihr gesche­

hen durfte, was sonst so selten geschehen darf,

dass eine Erzählung unumwunden voranschreiten

konnte und der Bühne das Drama wegzunehmen

drohte: Als hoch auflösende Videoinstallation

oder als 35mm-Film wäre das kein Problem gewe­

sen. Der Skandal bestand darin, dass es sich um

eine Fernsehübertragung aus Golgatha handelte,

keine Bill-Viola-Feierlichkeiten, sondern eine in

jeder Kamerabewegung erkennbare RTL-11-Ästhe­

tik.

Diese mit der Videokamera und -Projektion

entstandenen Indices gesellschaftlicher Wirklich­

keit entwickeln dennoch auch einen formalen,

theaterästhetischen Vorschlag zum Status von

elektronischen Medien: Diese muss man sich näm­

lich im Theater als Ausdrucksmittel vorstellen so

wie andere auch. Da sie nicht mit dem Theater

zusammenfallen, sondern nur, wie so viele ande­

re Ausdrucksmittel auch, sich zu einer Aufführung

hinzuaddieren dürfen, müssen sie so behandelt

werden wie die anderen. Denn das Theater ist kein

Medium, es nimmt nur Medien als Ausdrucksmit­

tel auf, nicht als Medium. Eine Aufführung wird ja

nicht zum Videofilm, sie bleibt eine Aufführung.

Aus diesem Grunde ist nicht die ästhetisch-onto-

DRAMATURG 1/2004

logische Seite im elektronischen Medien im Thea­

ter interessant wie bei der Bildenden Kunst, die

sich komplett reddinieren musste, nachdem ihr

mediale Konkurrenz erstanden war. Es ist nicht

interessant, wie und ob elektronische Medien die

formalen Rahmenbedingungen des Theaters

grundsätzlich erschüttern. Es geht eher darum,

inwieweit ihnen als Mitteln dieselbe kenntnisrei­

che Sorgfalt entgegengebracht wird, wie anderen,

konventionellen Ausdrucksmitteln: D. h. sie sind

nicht sauber, geschichtslos, mechanisch, formal.·

An ihnen kleben Verwendungsgeschichten,

metonymische Inhalte, mediengeschichtliche

Katastrophen und Epiphanien, aber vor allem All­

tagsrealität Dies sind die Maschinen, mit denen

die Subjekte ihre Freizeitarbeit verrichten. Sie

sprechen ihren Dialekt. Man muss mit ihnen·

umgehen wie mit Sprechweisen~ deren Geschich­

te, Manieriertheiten, Abgedroschenheilen etc.,

unter Umgehung der üblichen Fallen wie reiner

Naturalismus, reine Distanzierung etc. Doch schon

der bloße Anblick einer Kamera, nicht erst des Bil­

des, das sie erzeugt, kann brüllend komisch sein.

Dann erst, wenn man sich klar macht, dass

z. B. Video nicht nur dann Low tech ist, wenn man

billige und in Arbeitslosenfamilien und Privat­

fernsehproduzentenklitschen verbreitete Formate

verwendet, sondern dass es ein gesellschaftlich

verworfenes Medium ist, das im Zweifelsfall

immer dann verantwortlich gemacht wird, wenn

Jugendliche verrohen, ihre Eitern verblöden und.

alle bis an den Rand oversexed sind - obwohl all

die vermeintlich von Horror-Videos verführten

Schlitzkiller und Amokläufer meistens Fernseh­

und Kinokopien gesehen haben -dann erst, wenn

die Verwendung des Mediums durch seine gesell­

schaftlichen Images, seine Rezeptions- und seine

Technikgeschichte hindurchgegangen ist, dann,

ja dann kann man auch den Bühnenraum ganz

konisch öffnen, 360-Grad-Zuschauerräume ent­

wickeln und die formalen, architektonischen, phy­

sischen, ja dramaturgischen Möglichkeiten dieser

Augen-Prothesen nutzen - und schließlich sogar

die symbolischen Sicherheiten ein bisschen er­

schüttern, die beim Theater immer jede mediale

Bestimmung überlagern und dominieren. Der

Mann mit" der Videokamera erhält dann in der

doppelten Verneinung seines alten utopischen

Vorfahren ein bisschen von seinem Realismus­

Versprechen zurück. 111

7

Page 10: Resumee des Symposiums -. Die Bühne und die Medien · Prinzip verzichtbare Fremdkörper auf einer Bühne erscheinen darf, nicht ob er prinzipiell als Fremd ... Theater haben, wenn

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ln der auf Diederichsens Vortrag folgenden Diskussion

meldete sich der Chefdramaturg der

Volksbühne Carl Hegemann

folgendermaßen zu Wort:

Was bewirkt die Kamera auf der Bühne bei den Schauspielern?

Von Carl Hegemann

Mit diesem Videomedium beschäftigen wir

uns an der Volksbühne offensichtlich, um

etwas zu haben, woran wir uns abarbeiten können

und was nicht nurirgendeine Art von Perfektion

ins Theater bringt, die Menschen nicht entspricht

oder noch nicht entspricht. Wir haben lediglich

damit mal in Gedanken experimentiert, als wir

dieses «Lasst uns Menschen machen» anfingen,

diese Elementarteilchengeschichten, wo Gentech­

nologie und digitale Technologie plötzlich eine

Einheit bilden. Da haben wir festgestellt: Wir wol­

len damit nichts zu tun haben. Jedenfalls Castorf

können die ganze Gentechnologie, alle medialen

und digitalen Perfektionsapparaturen gestohlen

bleiben. Dem geht es darum, das Medium, das er

zu Hause stehen hat. den Fernsehapparat, mit sei­

ner eigenen künstlerischen und ästhetischen Pra­

xis zu konfrontieren, so dass er es auf irgendeine

Weise bearbeiten kann und in der Hand hat. Das

ist erst mal. der Ausgangspunkt.

Jetzt passiert auf der Bühne allerdings etwas

Bemerkenswertes, was.sich wirklich völlig davon

unterscheidet, dass man ein Transistorradio auf

die Bühne stellt oder irgendwelche anderen

Gegenstände, die man aus der Weit auf die Bühne

stellt. Das Interessante ist ja zunächst mal, dass

sowohl der Fernsehapparat als auch die Kinolein­

wand per Definition für sich stehen. Wenn ich

Fernsehen gucke, dann gilt das Wohnzimmer

nicht, dann gilt nur dieses Display. Alles andere

wird ausgeblendet. Auch bei der Leinwand, in dem

Moment, wo das Licht ausgeht. ist das Kino weg,

und ich versetze mich in das Kinobild. Wenn ich

die Leinwand oder den Fernseher aber auf die

Bühne stelle, gibt es einen Statuswandel der Lein­

wand oder des Fernsehapparates, weil sie zum

Requisit werden. Sie sind plötzlich in einem Kon­

text. Die Leinwand steht in einem Kontext. da­

durch wird das Bühnenbild zur Installation. Das

scheint mir ein wichtiger Vorgang zu sein, der von

den Kritikern kaum wahrgenommen wird, dass der

Status dieser Leinwand im Theater ein völlig ande­

rer wird, sie wird nämlich miteiner Umwelt kon-

frontiert. Und dieses Phänomen wird natürlich

noch potenziert, wenn auf dieser Leinwand und

auf diesen Fernsehern zu sehen ist, was um sie

herum stattfindet. Dann kann man sich über die

Effekte unterhalten, die das auslöst.

Der wichtigste Effekt für Castorf ist zur Zeit

- bei seiner letzten Produktion «Forever Young»­

kurioserweise das Dokumentarische. Nicht Fernse­

hen als Manipulationsmedium, das interessiert ihn

gar nicht. Ihn interessiert die Möglichkeit, dass der

Mann mit der Videokamera die Füße von Kathrin

Angerer filmt und dass die dann sagt: «Ich will

nicht, dass du meine Füße filmst, weil die häss­

lich sind.» Und Wuttke sagt dann: «Ach, hast du

bei deinen tollen Filmen immer ein Fußdouble

gehabt?!» Und man sieht dann die Füße wirklich

und kann sich selbst über die Kamera ein Bild

machen, wie hässlich diese Füße sind.

Castorf geht in seinem Zynismus, den ich

aber wirklich für einen sehr reflektierten Zynismus

halte, so weit zu sagen: Mit Hilfe der Kamera kann

ich die Schauspieler so zeigen, wie sie sich selbst .

nicht sehen wollen. Das ist unser möglicherweise

infames Bedürfnis, die Möglichkeiten von Thea­

ter mit Hilfe des Mannes mit der Kamera auf eine

Weise zu erweitern, dass die Schauspieler nicht

nur so gezeigt werden können, wie sie sich sehen

wollen, sondern auch, wie sie sich selbst nicht

sehen wollen. Dadurch kommt natürlich eine Ehr­

lichkeit oder ein dokumentarischer Charakter von

Menschenschicksalen in die Produktion rein, die

das herkömmliche Theater überwindet. Deshalb ist

die Benutzung dieses Mediums Video im Theater

etwas völlig anderes als eine Illustration oder

Dokumentation durch Bilder, vielmehr kann man

gleichzeitig das Illusionäre sehen, das das Theater

herstellt und wie es durch den Blick des Mannes

mit der Kamera unmittelbar gebrochen wird.

Wenn man diese beiden Positionen vergleicht und

sich die Möglichkeiten anguckt. die da rauskom­

men, kommt man zu dem Schluss, das das neu ist

in der Geschichte. Man kann nämlich mit Hilfe

dieser Kombination der Au.sdrucksmittel Theater

DRAMATURG 1/2004

Page 11: Resumee des Symposiums -. Die Bühne und die Medien · Prinzip verzichtbare Fremdkörper auf einer Bühne erscheinen darf, nicht ob er prinzipiell als Fremd ... Theater haben, wenn

und Videomedium etwas schaffen, was es weder

in dem einen noch in dem anderen gibt. Es geht

um das erstaunliche Phänomen in der Verwen- ·

dung eines in den letzten fünfzig Jahren erfun~

denen Requisits im Theater. Damit verändern sich

Grundverabredungen des Theaters, von denen

man dachte, sie bleiben 2500 Jahre die gleichen.

Und alles Avantgardistische und alles Experimen­

telle im Theater dient nur dazu, diese Grundver­

abredungen letztlich zu bestätigen.

Eine Grundverabredung des Theater ist. dass

es Schauspiel ist, dass die Schauspieler auf eine

Bühne erhoben sind, so dass die Leute sie sehen

können. Und dass sie möglichst alles, was sie

spielen, so machen, dass das Publikum sie am

besten sehen kann. Die Aufgabe des Regisseurs

besteht im Grunde genommen in nichts ande­

rem als dafür zu sorgen, dass die Schauspieler

sich nicht gegenseitig die Sicht nehmen. Und

jetzt kommt Bühnenbildner Neumann - das fing

an mit «Endstation Sehnsucht» - und baut ein

vollkommen geschlossenes Badezimmer und

sagt: Dann hört man die Schauspieler eben nur,

die drin sind. Dazu sagt Castorf, dass er das nicht

machen kann. Neumann meint, die Tür ist auf,

man kann doch durch die Tür gucken. Castorf

sagt nein, das widerspricht allen Grundverabre­

dungen des Theaters. Bert Neumann wollte als

Experiment mal probieren, die vierte Wand nicht

zu beseitigen, sondern sie komplett zu schließen

und zu gucken, was passiert Er hat immerhin

noch extrem große Fenster eingebaut und dann

auch Mikr.ophone. Castorf wollte fast alles im

Badezimmer spielen lassen und dann kam der

geniale Gedanke (vor Big Brother): Wir stellen die

Kamera da rein. Und damit war es möglich, eine

grundlegende Theaterverabredung darin wirklich

zu verletzen und gleichzeitig mit Hilfe dieses

anderen Mediums auf eine Weise wieder zu

erfüllen, die einen besonderen Effekt hat. Und

das scheint mir eine Schlüsselstelle zu sein, die

völlig anders ist, als wenn irgendwelche japani­

schen oder wild gewordenen oder schlingensief-

DRAMATURG 1/2004

mäßigen Theatergruppen zum Beispiel die Zu­

schauer einsperren.

Man kann das einmal machen, um die Regel

zu zeigen: Zuschauer müssen die Möglichkeit ha- .

ben, ein Theaterstück jederzeit zu verlassen. Und

so kann man auch. einmal die Bühne zumauern,

um die unausgesprochene Hintergrundannahme

deutlich zu machen: Eine Bühne hat einfach in

Richtung der Zuschauer offen zu sein, und sie hat

sichtbar zu sein. Man kann auch mal wie bei

Marthaler eine Szene im Dunkeln spielen lassen,

aber es hat immer nur die Bedeutung: Eigentlich

muss genug Licht da sein, damit die Zuschauer

auch sehen. Und jetzt plötzlich mit Infrarot­

Kameras· kann man das alles machen, und der

Zuschauer muss nicht düpiert nach Hause gehen,

sondern kann etwas besonders Interessantes

genießen. Das ist, was eigentlich das Sensationel­

le ist, wenn wir hier über Schnittstelle Theater

reden. Es ist da etwas reingekommen, was Dinge

möglich macht, die früher nur als Witz oder als

Experiment oder als Beweis, dass das nicht geht,

im Theater möglich waren, und die jetzt als

Erfolgsproduktionen möglich sind, jenseits eines

experimentellen Status.

Das kann man bei der Inszenierung von

uForever Youngn sehen, wo wir die Kamera einfach

auf eine Weise benutzen, dass man sich darum

keine großen Gedanken macht. Die Hälfte des

Stücks spielt live hinter der Bühne. Das ist natür­

lich ·auch als eine Art von Verschwendung zu

sehen, das merken die Schauspieler und sagen:

Warum können wir nicht, wenn wir hinter der.

Bühne sind, Karten spielen gehen oder in die Kan­

tine? Man kann dann doch einfach das Video von

der letzten Vorstellung zeigen. Das sagen sie aber

eigentlich nur als Witz, weil sie genau wissen, dass

das nicht geht. Die Sache mit dem Video auf der

Bühne ist keine Arbeitserleichterung, sondern mit

Sicherheit eine extreme Arbeitserschwerung und

eine größere Selbstpreisgabe der Schauspieler, als

wenn diese Kameras nicht da wären. 1111

9

Page 12: Resumee des Symposiums -. Die Bühne und die Medien · Prinzip verzichtbare Fremdkörper auf einer Bühne erscheinen darf, nicht ob er prinzipiell als Fremd ... Theater haben, wenn

Jan Linders präsen-. tierte am Freitagnach­

mittag be"i «Schnitt­stelle Theater)) die

Videokünstler Chris Kondek, Ph Hip

BuBmann und Jan Speckenbach. Sein

nebenstehender Beitrag führt die

Präsentation weiter durch einen Beispiel­

katalog.

Was alles video-technisch möglich ist

Von Jan Unders

Die Frage nach der Berechtigung von Video auf

dem Theater hat die Praxis beantwortet; sein

Einsatz ist längst nicht mehr bloßes Zeichen für

· Avanciertheit, sondern bewusst eingesetztes Mit­

tel. Seitdem dieTechnikjedem Theatermacher zur

Verfügung steht, hat sich ihre Verwendung aus­

differenziert und ein ästhetisches Repertoire ent­

wickelt, das dem Theater neue Möglichkeiten der

Repräsentation und Narration eröffnet. Zu stu­

dieren ist mithin die Form desjeweiligen Einsat­

zes; eine unvollständige Anleitung dazu will die­

ser Text geben.

ClOSED CIRCUIT ln Großbritannien ist die Video-Überwa­

chung des öffentlichen Raumes bekanntlich

flächendeckend. Die walisischen Theatermacher

Mike Brookes und Mike Pearson spielten darauf

an, als sie am Mittag und am Abend desselben

Tages die behinderte Performerin Lyn durch·die

Straßen von Cardiff zum Chapter Arts Center tru­

gen und die Route jeweils mit Video und Polara­

ids dokumentierten. Am Abend präsentierte Mike

Pearson die Dokumente der Aktion dem Publikum

von «Carrying Lyn" (2001) im Arts Center in einer

Mischung aus «historischen" Tagesbildern und

aktuellen Bildern vom Abend, die ein Kurier mit

15-minütiger Verzögerung aus der Stadt in den

Saal brachte. Mit der Ankunft der Performer fie­

len Dokumentation und Realität, Erzählzeit und

erzählte Zeit in eins. Die vortechnische, unmittel­

bare Ursituation des Theaters war wiederherge­

stellt, die beobachtenden Zuschauer waren wieder

von den Akteuren Beobachtete.

DELAY ln seiner Börsenhandels-Performance «Dead

Cat Bounce" (Hebbel am Ufer 2004) hat Chris

Kondek mit dem Delay-Effekt experimentiert. Ein

Time" und lnternet-«Echtzeit" für die Normalver­

braucher kostbare Zehntelsekunden liegen. Vo­

raussetzung für den Zuschauer ist es, die Bildpro­

duktion (live) und die nicht mehr ganz simultane

Bildwiedergabe parallel verfolgen zu können.

Dann kann sich ein Darsteller mit seiner jüngsten

Vergangenheit rückkoppeln oder die eigene Zu­

kunft voraussagen. Philipp Bußmann arbeitet in

«Decreation" (Regie: William Forsythe, Ballett.

Frankfurt 2003) mit der gleichen Technik, indem

er eine live aufgenommene Tanzbewegung im

Computer zwischenspeichert und mehr und mehr

verlangsamt abspielt.

INVISIBLE MODE Chris Kondek und Philipp Bußmann wissen

zu berichten, dass Elizabeth LeCompte, die Regis­

seurinder Wooster Group, seit «Brace Up!" (1991)

Monitore auf der Bühne einsetzt, die nur für die

Darsteller sichtbar sind. Die auf ihnen laufenden

Filmausschnitte (meist B-Movies oder Fernseh­

serien) dienen als «Bewegungsmatrizen" (Buß­

mann) oder choreographische Souffleusen: Nah­

·aufnahmen bringen die Darsteller an dfe Rampe,.

Schwenks nach links oder rechts, Totalen schicken

sie zurück.

LUMINANCE KEY Die Videotechnik kann Berge versetzen: Live

aufgenommene Darsteller können in vorprodu­

zierte Hintergründe gestanzt werden. Chris Kon­

dek ermöglichte es den Schauspielern von «Bei

Banküberfällen wird mit wahrer Liebe gehandelt»

(Regie: Stefan Pucher, Schauspielhaus Zürich

2003), sich auf künstliche Sofas zu setzen. Phi­

lipp Bußmann kombiniert in ~>Hause I Lights"

(WoosterGroup 1999) Körperteile- durchWisch­

blenden verbindet er die Übergänge.

Live-Bild wird ini Computer zwischengespeichert MEMORY STICK und wenige, aber entscheidende Sekunden spä- Die italienische Societas Raffaello Sanzio

ter wiedergegeben - so wie im elektronischen arbeitet seit 2002 an ihrer «Tragedia Endogonidia"

Börsenhandel zwischen professioneller «Real und entwickelt sie an jedem ihrer zehnSpielorte

10 DRAMATURG 1/2004

Page 13: Resumee des Symposiums -. Die Bühne und die Medien · Prinzip verzichtbare Fremdkörper auf einer Bühne erscheinen darf, nicht ob er prinzipiell als Fremd ... Theater haben, wenn

zwischen Avignon und Berlin (Hebbei-Theater)

weiter. Im Anschluss an die etwa einstündige Auf­

führung sieht das Publikum im gleichen Saal als

Videoprojektion einen Zusammenschnitt der bis­

herigen Versionen, die eine ver'!landte Handlung

mit anderen Mitteln erzählt haben. Erst durch die­

sen (fakultativen) zweiten Teil des Abends wird

das Gesamtprojekt als Reihe von Metamorphosen

erfahrbar. Die aktuelle Aufführung hat sich in

Geschichte verwandelt; auf das noch frische Erin­

nerungsbild wird ihre Vorgeschichte projiziert. Die

Tiefendimension der Bühne hat sich in die Dimen­

sion der Zeit transformiert.

NIGHT SHOT Eine Videokamera kann für den Zuschauer

·unsichtbares sichtbar machen: nicht nur hinter

vierten Wänden («Erniedrigte und Beleidigte» und

Folgende, Regie: Frank Castorf, Video: Jan Spe­

ckenbach; «Kammer Kammer», Video: Philipp BuB­

mann). sondern auch an lichtlosen Orten. Video­

kameras können im Gegensatz zum menschlichen

Auge auch den Infrarotbereich wahrnehmen. ln

«Frau unter Einfluss» (Prater der Volksbühne,

Reige: Rene Pollesch) lässt Chris Kondek die Kame­

ra unter das Kleid einer Darstellerin schlüpfen. Die

deutsch-britische Performance-Gruppe Gab Squad

hat auf die «night shot»-Funktion der Kameras

ihre jüngste Produktion (Prater der Volksbühne

2003) aufgebaut. Eine Stunde, eine Kassettenlän­

ge vor Vorstellu"ngsbeginn verlassen vier Darstel­

ler mit vier Kameras den Aufführungsort und fil­

men sich selbst bei ihrem Weg durch die nächt­

liche Stadt zurück zum Theater. Dort werden sie

von den vorher instruierten Zuschauern begrüßt,

die sich dann einen vierfach parallel projizierten,

ungeschnittenen «Film» anschauen. Für dieses

«performance polaroid» regelt ein Toningenieur

die Geräuschpegel - und damit die Aufmerksam­

keit, bis die Zuschauer sich selbst bei der nun eine

Stunde zurückliegenden Begrüßung der Darsteller

sehen. Theaterzeit und Realzeit waren um eine

Stunde verschoben; mit dem Auftritt der Darstel-

DRAMATURG 1/2004

ler zum Schlussapplaus fallen sie wieder zusam­

men.

OLD MOVIE Naturgemäß erscheint jedes bewegte Bild

dem Zuschauer im Kontext seiner Sehgewohnhei­

ten als Fernsehen (wenn erkennbar live produ­

ziert) oder als Film (wenn vorproduziert). Mit

Video ist nicht nur die Live-Produktion vo"n Bil­

dern möglich geworden, sondern die Filmge­

schichte steht als Bildersteinbruch zur Verfügung.

Analog zu Eisensteins «Montage der Attraktionen»

kann der Videokünstler zum realen Bühnenge­

schehen dialektische Bilder montieren; das Thea­

terbild durch filmische Verweise vertiefen. Jan

Speckenbach spielt in einer Gartenszene von

« Forever Young» (Volksbühne Berlin 2003) einen

Ausschnitt aus «Apocalypse Now» zu. Chris Kon­

dek nutzt sein Filmarchiv noch abstrakter, wenn er

in seinem Börsentheater «Dead Cat Bounce» ein

immer weiter galoppierendes Pferd als Endlos­

schleife zuspielt, während die Darsteller darauf

warten, dass die Börsenkurse zu laufen beginnen,

PLAYBACK Vorproduzierte Film- oder Videozuspielungen

haben auf dem Theater häufig eine illusionistische

Wirkung; ein Live-Video wird vom Publikum dage­

gen als dokumentarisches Mittel akzeptiert - als

hinter die Kulissen erweiterte Perspektive. Mit die­

ser Perspektive kann die Videotechnik wiederum

spielen.

· ln «Frau unter Einfluss» (Regie: Rene Pollesch,

Prater der Volksbühne Berlin 2001) kombinierte

Chris Kondek Live-Bilder von Sophie Rois, die in

ein für die Zuschauer nicht einsehbares Blockhaus

abgegangen war, mit vorproduzierten Bildern

eines um den Tisch gejagten Kindes bzw. von Spa­

ghetti essenden Bühnenarbeitern. Für den

Zuschauer rannte Sophie Rois in Schnitt und

Gegenschnitt ihrem Kind hinterher bzw. tischte

ihren Männern ein Essen auf- alle schienen glei­

chermaßen das Blockhaus zu bevölkern.

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Page 14: Resumee des Symposiums -. Die Bühne und die Medien · Prinzip verzichtbare Fremdkörper auf einer Bühne erscheinen darf, nicht ob er prinzipiell als Fremd ... Theater haben, wenn

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ln «M.T.M.» (1994) errichtete die katalani­

schen Performance-Truppe La Fura dels Baus eine

Mauer aus Pappkisten quer durch das stehende

Publikum. Die derart getrennten Zuschauergrup­

pen bekamen zum Schein eine Live-Übertragu·ng

der jeweils anderen Hälfte zu sehen, auf der die

Darsteller einander durch die Menge jagten und

verprügelten. Jede Hälfte fühlte sich durch die

akustischen Reaktionen jenseits der Mauer

bestätigt; derart rückgekoppelt steigerte sich die

Illusion zur Evidenz - bis die Mauer fiel.

SLOW MOTION <de näher man ein Wort anschaut, desto fer­

ner schaut es zurück»- der auratisierende Blick

eines·Karl Kraus lässt sich im Zeitalter der Video­

reproduktion von der Literatur auf die Dinge len­

ken. ln «Visitors Only» (Regie: Meg Stuart, Schau­

spielhaus Zürich 2003) lässt Chris Kondek eine

Tasse in Zeit, Größe und Ton verzerrt au·f einer

Unterlage kreisen. Hier ist für die Wahrnehmung

unerheblich, ob diese Surreale Bildmetapher zuge­

spielt oder tatsächlich vom Bildmischer vor dem

Orchestergraben live produziert wird.

STEADYSHOT ln Frank Castorfs Inszenierungen sind Jan

Speckenbach und die weiteren Kameraleute mehr

als kostümierte Techniker, doch führen sie den

Dialog mit den Schauspielern nicht auf derselben

Ebene, der Sprache, sondern mit der Kamera. Phi~

lipp BuBmann überlässt in «Kammer Kammer»

(Regie: William Forsythe, Ballett Frankfurt 2001)

und «Decreation» den ForsytheCTänzern selbst die

Kamera. Die Darsteller scheinen ihr Bild in der

Hand zu haben; die Bildproduktion wird in die

szenische Aktion eingebunden. Damit kehren sich

die Kräfteverhältnisse der Attraktion um: Weil

seine Produktion sichtbar wird, nimmt-das ein­

äugige Kamera-Bild keineobjektivierende und

den Blick fesselnde Zentralperspektive mehr ein.

«Die Kunst besteht darin, das Video nicht zum

alleinigen Fokus zu machen», sagt Chris Kondek.

STROBE Noch befindet sich die Videotechnik in einer

stürmischen Entwicklung, mittlerweile weniger im

Bereich der Kameras als der Nachbearbeitung der

Bilder. Können sich zu Beginn eines Entwick­

lungsschrittes jeweils nur große Fernsehanstalten

einen Trick leisten, so wird die Technik bald auch

für weniger finanzkräftige Anwender wie die

Theater verfügbar, Der Bildmischer «WJMX50» von

Panasonie ma~kierte Mitte der neunziger Jahre

einen solchen Sprung in der Entwicklung - und

damit der Ästhetik, denn die Videokünstler greifen

neue Mittel gern sofort auf. Zur Ausstattung des

MX50 gehörte der Stroboskop-Effekt, der den Ein­

druck erweckt, eine Szene sei nicht mit 25 Bil­

dern pro Sekunde, sondern wie mit einer alten

Kamera mit 12 oder 6 Bildern aufgenommen. Nur

jedes vierte Bild wird projiziert, allerdings viermal

hintereinander. Dadurch werden Bewegungen

ruckartig verfremdet- das Video bekommt einen

Kunstcharakter jenseits der grellen und flachen

Fernsehästhetik. Für die Wooster Group ist dieser

Effekt ein Markenzeichen, bislang taucht er in

. jeder ihrer Produktionen seit «The Hairy Ape»

(Wooster Group, 1995) auf, ob betreut von Chris

Kondek oder Philip Bußmann. Dieser entwickelte

· den Effekt in seiner Arbeit für «Decreation» wei­

ter, indem er ihn mit live gesteuerten und damit

variablen· Slow~Motion Effekten und Samplings

kombinierte.

SUPERIMPOSING Mit ((Luminance Key)) oder ((Biue Screen)) wird

ein.Bild in ein anderes hineingestanzt Bilder las­

sen sich aber auch, analog einer fotografischen

Doppelbelichtung, übereinanderlegen. Chris Kon­

dek nutzt diese Technik in. seiner ersten Regie­

arbeit «Dead Cat Bounce» raffiniert aus, indem er

zwei aus der gleichen Position aufgenommene·

Einstellungen von Schlitten fahre'nden Kindern

übereinanderblendet Der weiße Schneehinter­

grund lässt eine passgenaue Überblendung zu, die

dem Zuschauer auch in der Zeitlupe nicht also sol­

che auffällt. Seine Magie gewinnt der Trick, weil

eine Bildschicht dabei rückwärts läuft, so dass

auf- und absteigende Schlitten aneinander vor­

beigleiten.

VIDEO PUPPET ln «Dead Cat Bounce» lässt Chris Kondek die

junge Lauren Bacall mitspielen, genauer: eine im

Computer in Einzelbilder zerlegte kurze Nahauf­

nahme. Eine Darstellerin kann ihren Text optisch

synchronisieren, indem sie mittels einer Maus

Bacalls Mund Bild für Bild öffnet und schließt,

also zum Sprechen bringt. ln «Visitors Only» lässt

Kondek eine vorher aufgenommene Tänzerin mit

sich selbst tanzen - auch hier genügen wenige,

von Hand ansteuerbare Einzelbilder, um eine ein­

mal gefilmte Sequenz zum immer leicht verschie­

den ablaufenden leben zu erwecken. 1111

DRAMATURG 112004

Page 15: Resumee des Symposiums -. Die Bühne und die Medien · Prinzip verzichtbare Fremdkörper auf einer Bühne erscheinen darf, nicht ob er prinzipiell als Fremd ... Theater haben, wenn

Warum und wie man Kinofilme aufs Theater bringt

Aus der Diskussion

Was macht die Lust an Kinostoffen aus? Die

. Wahl von Kinostoffen, und seien sie noch so

speziell, hat vielleicht was damit zu tun, dass sie

von der Narration befreien. Was da an Fabel pas­

siert, das ist fast schon voraussetzbar. Es reicht ein

Bild, ein Moment, eine Figur, und es gibt Anknüp­

fungen, das heißt, es gibt mehr Freiheit für die

Gestaltung, weil man befreit ist von der Narration.

Es ist wohl nicht der simple Zulauf, den man

sich davon erhofft, dass die Leute den Film gese­

h.en haben und jetzt ins Theater kommen. Viel­

mehr gibt es Diskurse, diegeführt werden, nicht

umsonst haben sich ein paar Leute in Dänemark,

sonst nicht unbedingt das Filmland, zusammen­

gesetzt und 1995 ein Dogma verabschiedet. Sie

haben sich mit Abbildungstechniken und Wahr­

nehmungsweisen beschäftigt, und sie haben sich

mit Fragen beschäftigt, wie ·man sozusagen näher

rankommt an die Leute mit dem, was man

erzählen möchte. Und das ist ein zentrales Thema,

·mit dem man sich im Theater immer wieder

beschäftigen muss, um den Preis des Überlebens.

Wie erzählt man, wie kommt man näher ran,

außerhalb der gängigen Techniken? Da geht es

nicht um eine vordergründige Eventkultur, son­

dern um die Frage: Wie kann man die Not ver­

stärken und die Wahrheit vergrößern? Da werden

Diskurse geführt, und so sehr die Dogma-Leute in

den einschlägigen Feuilletons in Frage gestellt

wurden, hat man sich ja doch mit ihnen ausein­

andergesetzt, zumindest die Leute, die sich mit

ästhetischen Perspektiven und Abbildungstechni­

ken vertraut machen. Wie verlässt man die gän­

gigen Übertragungsmechanismen, also wie kann

man die alten Keilriemen, die offenbar nicht mehr

imstande sind zu transportieren, kappen, und wel­

che kann man installieren? Da ist man wie immer

. gezwungen, irgendwie aus dem System rauszu-

DRAMATURG 1/2004

gehen und die reine narrative Ebene aufzuheben.

Der Film «Das Fest» von Vinterberg geht sehr nah

an die Leute ran, im Nachhinein lässt sich sagen,

dass der Reiz für die Bühnenadaption darin liegt .

zu probieren, schafft das Theater das, weil es

näher dran ist, noch näher ran zu kommen? Man

kann behaupten, dass es das geschafft hat auf

Grund dieser notverstärkenden und wahrheitsver­

größernden Wirkung, die das Theater in bestimm­

ten Momenten haben kann, in denen nämlich

andere Entscheidungssituationen simuliert wer­

den. Im Film bleibt die Geschichte der erzählte

Störfall - der Sohn überwältigt den Vater -, und

im Theater wird es zur empfundenen Entschei­

dungssituation eines jeden Einzelnen.

Dieser beschriebene Mehrwert der Bühnen­

adaption ist theatergemäß, dieses Zuspitzen und

Dramatisieren einer Filmvorgabe. Es stellt sich die

·Frage, ob diese Reibung mit den Wahrnehmungs­

weisen des Films beim Übertragungsvorgang auf

das Theater erhalten bleibt, ob sie überhaupt noch

eine Rolle spielt oder ob sie durch den Adaptions­

vorgang nivelliert wird. Im Bezug auf den Almo­

dovar-Film kann man die Haltung einnehmen, dass

die Bühnenversion quasi ein Kammerspiel gewor­

den ist, also eine sehr theateradäquate Form. Man

könnte sagen, es ist von der blanken Dramaturgie

her wie ein Stück von lbsen. Das Stück rekurriert

auf Theaterdramaturgien. Dann stellt sich natür­

lich die Frage: Bleibt bei diesem Übertragungsvor­

gang etwas von dieser produktiven. Reibung mit

der anderen Gattung, mit einer anderen Wahr­

nehmung erhalten? Wie kann das gehen, dass es

nicht nur «eintheatert» wird und man eigentlich

nur den blanken Plot genommen hat?

Die junge Generation der Theatermacher ist

nicht mehr durch das Theater sozialisiert, sondern

Am 10. Januar nach­mittags hieß das Thema: «Warum und wie man Kinofilme aufs Theater bringt». An der von Dagmar Borrmann und Anne­Sylvie 'König geleiteten

Diskussion waren unter

anderem beteiligt: Heike Müller-MEirten,­Dramaturgin der Dresdner Produktion von «Das Fest» nach dem ·Dogma-Film von

Vinterberg, Hermann Wündrich, Dramaturg der Wiesbadener Inszenierung nach dem Film «Fessle mich» von Almodovar, Christian

Holtzhauer, Dramaturg von <<Außer Atem», der Präsentation von gleich sechs Inszenierungen

nach Kinostoffen in den Berliner sophien~ saelen. Im Folgenden geben wir charakteris­tische Bruchstücke cjieser Debatte.

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Page 16: Resumee des Symposiums -. Die Bühne und die Medien · Prinzip verzichtbare Fremdkörper auf einer Bühne erscheinen darf, nicht ob er prinzipiell als Fremd ... Theater haben, wenn

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durch Kino und Fernsehen. Das, was sie an emo- Das Theater bietet allein aus Subventions-

tionalen und intellektuellen Prägungen aus dem gründen für Sound- und Videodesigner MÖglich-

Kino mitgenommen haben, versuchen sie ins keiten, Ideen aus Kino und Fernsehen umzuset-

Theater zu übersetzen. Das gibt dann ganz unter- zen -für das Geld kann man aber noch keinen

schiedliche Formen: Es entsieht ein verstaubtes Film machen.

Kammerspiel, oder es werden Auseinandersetzun-

. gen mit einer sich mit Wahrnehmungsfragen

beschäftigenden Filmästhetik geführt. Es scheint,

dass der Film die klassische dramatische Situation,

die Repräsentation des Publikums, also das Thea­

ter, beerbt hat. Was der Film geschafft hat, von

der dramatischen Konstellation her, was ja ein

klassisches Bild von der Katharsis ist, dem versucht

das Theater wieder auf die Spur zu kommen.

Die Entwicklung der Dramatik zur Episierung,

zur Fragmentarisierung, wie sie auf dem Theater

stattgefunden hat, hat sich im Film nicht vollzo­

gen. Dem stand Hollywood immer entgegen, die

haben immer geguckt, dass die klassischen Para-

. digmen der Dramatik bewahrt werden. Insofern

kann man sagen, das Theater holt sich im Moment

die Dramatik aus dem Film zurück.

Es scheint zwei unterschiedliche Herange­

hensweisen im Umgang mit Film zu geben. Einer­

seits werden Stoffe, Themen, Geschichten genom­

men und dann versucht, eine Theater-Adaption zu

finden, indem man Themen reduziert oder sich auf

ein Grundmotiv konzentriert, oder versucht. einen

Diskurs mit zu thematisieren, aber sich doch auf

die Geschichte konzentriert und sie zuspitzt. Auf

der anderen Seite, wie in den sophiensaelen, wird

deutlich gesagt, die Filme funktionieren als eine

Art Folie, die setzen wir auch voraus, und rekur­

rieren auf diese Folie ohne den Anspruch einer

. Komplettheit.

Die Konfrontation mit Film führt das Thea­

ter auch zu einer ständigen Auseinandersetzung

mit ästhetischen Mitteln, zum Beispiel in der

Frage, wie bringt man Action-Szenen auf die

Bühne? Interessant ist auch zu beobachten, dass

diese Befruchtung wechselseitig passiert, nämlich

dass Film und Fernsehen im Moment versuchen,

Theatermittel einzubauen, zum Beispiel bei dem

Film «Dogville» von Lars von Trier. Beim ZDF wird

jetzt versucht, Live-Fiction zu machen, also Filme,

die in Live-Zeit spielen.

Auf die Frage danach, warum Theater auf

Film rekurriert, kann man auch sagen: warum

nicht? man muss sich davon befreien, dass Thea­

ter mit einem Stück zu tun haben muss.

Es gibt auch eine Sehnsucht nach der Popu­

larität der Wirkungsmechanismen, beziehungs­

weise einen Neid auf die Verzauberung, mit der

Menschen aus dem Kino kommen.

Die wenigen Filme, die aufs Theater kommen,

haben alle eine gute Grundgeschichte. Natürlich

findet man das zum Teil auch bei Gegenwarts­

autoren, aber vielleicht doch nicht oft genug.

Auch Theaterautoren beziehen sich heute

häufig- direkt oder indirekt- aufs Fernsehen, auf

den authentischen Trash. Theater ist eine unreine

Kunst und holt das Material daher, wo es will. Es ist nicht verständlich, warum das Zugreifen auf

Filmstoffe unter Bezug auf Prinzipien grundsätz- ·

lieh kritisiert wird. Da besteht eine Berührungs­

angst, der Bezug auf Film wird als Stagnation und

Selbstaufgabe. bewertet. Film ist Material wie

anderes, jedes muss· gesondert behandelt werden,

fordert seine eigene Erzählweise, eine eigene

Ästhetik, aber um viel mehr handelt es .sich dabei

nicht.

Eine gute Umsetzung von Filmstoffen im

Theater ist immer auch eine Auseinandersetzung

mit Mythen. Das zeigt sich auch an der Bühnen­

adaption von «Das Fest», da findet eine Umwand­

lung statt, die Zuschauer werden Rollenträger.

Ansonsten wäre es ein normales Familiendrama,

nach der Enthüllungsdramaturgie gestrickt, dann

hätte man auch lbsen nehmen können. Etwas

anderes entsteht, weil der Zuschauer Entschei­

dungsträger wird, da liegt der Fortschritt bezie­

hungsweise die Chance. Im Theater kann es den

Störfall geben, den wir auch hatten, es gab Ein­

griffe in die Aufführung. Die geplante Interakti­

on ist nicht angestrebt worden, aber wenn jemand

einsteigen wollte, waren die Schauspieler auch

vorbereitet, damit umzugehen. Der Handlungs­

notstand war so groß, dass es zu Zuschauerreak­

tionen geführt hat.

Die Auseinandersetzung mit der Ästhetik von

Film führt auch zur Rückbesinnung auf die urei­

genen Möglichkeiten von Theater und wird so zur

Bereicherung. l!!i

DRAMATURG 1/2004

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Das Drama des Sehens

live-Video auf der Bühne oder die Politik des Blicks Von Thomas Oberender

Am Theater fasziniert u. a. der Versuch seiner

verschiedenen Akteure, ein Ereignis zu produ­

zieren, das es durch sein Produzieren selbst

zugleich zu vernichten droht. Oft scheinen Dra­

men oder Aufführungen darauf hinauszulaufen,

nur einen einzigen, sehr speziellen Moment zu

ermöglichen, in dem sich tatsächlich etwas «ereig­

netn. Dieser Moment erscheint als jenes einma­

lige Gelingen, in dem all das Geprobte und Ver­

abredete am Spiel plötzlich umschlägt in ein

Moment von offenbarender Evidenz. Die eigent­

liche Ambition jeder Kunst zielt wahrscheinlich

auf eben diese Herstellung von etwas auf kalku-.

lierbare Weise nicht Herstellbarem. Ich würde

diese spezielle Ambition als die Suche nach dem

provozierten «Ereignis» bezeichnen. Die Möglich­

keit, von ihm zu sprechen, umgibt, wie Jacques

Derrida sagt, allerdings immer auch eine gewisse

Unmöglichkeit, denn die Einzigartigkeit des Ereig­

nisses widersetzt sich der Wiederholbarkeit, die

doch die Voraussetzung ist, um darüber zu spre­

chen.

Ich sehe mich sehen

diesem Punkt drängen sich Erinnerungen an Thea­

terinszenierungen auf, d. h. an die simultane Prä­

senz des Schauspielers als Person und ihr Bild auf

der Bühne. Es drängt sich aber auch die Erinne­

rung an intelligente Bomben auf, an Paul Virilios

Interesse an der Echt-Zeit-Technologie des mo"

dernen . Krieges, die grau-grün schimmernden

Videobilder .vom Anflug der sich selbst steuernden

Waffen auf ihre Ziele,:denn auchhier kommt die­

ser Aspekt der Videotechnologie zu sich - Aktion

und Reaktion fallen zusammen, und dem Phäno­

men des ((Ereignissesn kommt man hier somit sehr nahe.

Das Video erlaubt es also als Technologie,

dass wir uns ein Bild von unserer eigenen Aktua­

lität machen, wobei das Bild selbst zum Teil die­

ser Aktualität wird. Das Videobild wird so zu einer

in die Realität eingebetteten Rückkopplung ihrer

selbst. Dies verdeutlicht z. B. die Erinnerung an

jenen Moment, da man sich selbst zum ersten Mal

in der Geschäftsauslage eines Hifi-Ladens auf

einem Fernsehschirm entdeckte, aufgenommen

von einer verborgenen Kamera. Der Passant auf

der Straße, das war man selbst; und diese Ent­

deckung bewirkt in der Regel eine Reaktion, selbst

wenn sie nur der kurze, kritische Blick auf den

Der «Große Brockhaus» vermerkt unter dem Bildschirm ist, der einem zeigt, wie man wirkt,

Stichwort «Video»: abgeleitet lateinisch «ich sehe». unabhängig davon, wie man sich selbst fühlt. Die-

Interessanterweise verweist der Begriff Video als ses triviale Beispiel führt dicht an die lateinische

Sammelbezeichnung für die Aufzeichnung und Herleitung des Begriffes Video heran, denn jenes

Wiedergabe von Bildern ausgerechnet auf ein Ver- «ich sehe» heißt zugespitzt: «Ich sehe mich» oder

fahren, auf dessen Trägermaterial man- vielleicht noch genauer formuliert: <<Ich sehe mich·sehen»c

erstmals in der Geschichte des Bildermachens -

nichts sieht. Das Video, um mit einem Vergleich zu

sprechen, ist eine Art optisches Tonband, und sein

großer Vorzug ist, dass ich sofort sehe, was «ich

sehe». Die prompte Verfügbarkeil des Bildes

erlaubt, dass es sich an den Augenblick seiner Ent­

stehung erstmals dicht und direkt ankoppelt und

sich ihm sogar einschmiegen kann.

Mit dem Video kann das Bild erstmals Teil des

Augenblicks werden, in dem es entsteht, denn es

ist sein Live-Zeuge und, mehr noch, in Echtzeit

sogar sein Reagenz, sein Bestandteil. Schon an

DRAMATURG 1/2004

Der transitorische Charakter

des Videos

Es lassen sich,-wenn man über das Video und

sein Erscheinen auf dem Theater nachdenkt, zwei

grundsätzliche Einsatzformen auf der Bühne un­

terscheiden: die Einspielung und die Live-Produk­

tion. Die Einspielung zeigt das Video von seiner

dem Film verwandten Seite, nämlich als Einspie­

lung von vorproduzierten Filmen. Das Video in

ln der SchlussdiskusSion , zum Thema «Schnitt* stelle Theaten> am 11. Januar vormittags gab es gleich zwei Referate. Hier das erste von Themas Oberender, Autor und Chefdramaturg des Bochumer Schauspiel~ hauses.

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diesem Sinne ist der arme Verwandte des klassi­schen Films, den es als Videokopie oder Mitschnitt anderer Aufnahmen reproduziert. Im Grunde erle­

. benwir das Video hier in einer Verwendungsform, die z. B. schon Erwin Piscalor mit dem traditio­.nellen Medium des Films realisiert hat. Das Video aufdem Theater erscheint in der Regel vor allem als Video-Kopie. Einen Unterschied zur Verwen­dung von Filmen, abgesehen vom Kostenaspekt und der Verfügbarkeit, gibt es bei diesen Ein­spielungen nicht.

_ Interessanterweise wird im Original profes­sionell auf Video ugefilmt», was billig und schnell produziert werden muss- z. B. Musikvideos, Soaps und Pornos. Diese Produktionen haben einen extrem transitorischen Charakter, ihre Vergäng­lichkeit ist ihnen eingeschrieben, sie werden gemacht, um ersetzt zu werden. Videoproduktio­nen in diesem eigentlichen Sinne schufen einen ästhetischen Bereich, in dem sich Kunst und Nichtkunst, Können und Dilettantismus, Fake und Authentizität, Spontaneität und Marktkalkül, Experiment und Ambitionslosigkeit frei begegnen. Was wäre Pop ohne Popvideos. Ohne Video kein

. Trash, keine uLindenstraße» und kein - im wert­schätzendsten Sinne: Rene Pollesch. ln dieser Hin­s_icht hat die transitorische und demokratische Kultur des Videos auf der Bühne enorme Spuren hinterlassen.

Will man das Video dergestalt zum kulturel­len Leitmedium erheben, so drängt sich der zwei­te Aspekt auf: die Live-Produktion von Videobil­dern auf der Bühne. Sie soll im Folgenden näher betrachtet werden, und ich werde versuchen, zwei Typologien des Live-Einsatzes von Videobildern zu beschreiben.

Mehrfachpräsenz

Die Live-Produktion von Bildern fasziniert auf der Bühne unter anderem deshalb, weil die Echtzeit des gefilmten Geschehens via Leinwand eine zweite, rivalisi.erende Szene auf der Szene eröffnet. Die erste Inszenierung, in der ich den Einsatz von Video in diesem Sinne erlebt habe, war Fred Kelemens Aufführung uDesire» nach Eugen O'Neills uG'ier unter Ulmen» im Prater der Berliner Volksbühne 2001. Bert Neumann hatte als Einheitsbühnenbild für die gesamte Spielzeit ein Westernfilmset geschaffen -ein Farmerhaus stand inmitten einer Kakteenwüste, im Hinter­grund prangte eine große Leinwand, auf der klassische Kinobilder der Landschaft und Umge­bung eingespielt wurden. uAuf der Bühne», so

beschrieb es Bernhard Groß in seiner bemer­kenswerten Rezension der Aufführung, usitzen, in gelblich warmes Licht getaucht, der junge Eben und sein Stiefbruder Peter an der Seite des Holzhausesc Peter schwärmt vom goldenen Him­mel im Westen, während auf der Leinwand wei­ter Acker und Wolkenhimmel zu sehen sind. Er will weg nach Kalifornien, anstatt sich weiter von seinem alten Vater ausbeuten zu lassen. ln der Gleichzeitigkeit von Leinwandhimmel, war­mem Bühnenlicht und Peters <goldenem Himmel> konkurrieren Bühne und Film um das richtige Bild.»

Über dem Giebel des Holzhauses war zudem eine zweite Leinwand wie eine moderne Werbe-. fläche befestigt. Auf ihr zeigte Fred Kelemen als Live-Übertragung oder Einspielung vorprodu-. zierter Sequenzen die Vorgänge, die sich im fnneren des Hauses abspielten. Diese Übertra­gung war von zweifacher Natur: Der rohe, pro­visorische, an Privatvideos erinnernde Charak­ter, der die Inszenierung dieses ukleinen Fernseh­spiels» im Inneren des Hauses kennzeichnete, verstärkte den Einbruch in die intime Weit der

·Figuren .durch die Veröffentlichung ihrer Rück­zugsräume. Aber der Regisseur geht einen Schritt weiter: Nachdem Abbi, gespielt von Kali Angerer, ihre Intrige begonnen hat, die darauf beruht, dass Vater und Sohn sie begehren, ver­schwindet sie als ureale» Bühnenperson und erscheint fortan nur mehr als die begehrenswer­te Frau auf der Leinwand. So verlagerte sich die Spannung zwischen den Figuren nun auf das Spannungsverhältnis zwischen Leinwandgesche­hen und dem Geschehen auf der Bühne.

Das Drama des Sehens

Das Video als ein Observations- und Doku­mentationsmedium, das uns vom Bankautomaten bis zum Flughafen immer auf der Spur ist,. zeigt sich hier von seiner anderen Seite: als verführeri­sches, unser Begehren bann·endes und erwecken­des Medium. Die Projektionen, die O'Neills Figuren von sich auf andere schließen lässt, überträgt Fred Kelemen in ihre Selbstbespiegelung durch Filmbil­der. Dieses Drama des Narzismus' hat im Video sein ideales Medium gefunden: uDas eigene Eben­bild als Filmbild vor Augen», um noch einmal Bernhard Groß zu zitieren, ukann Eben Abbie ein Kind machen, das offiziell Ephraims ist, und sie töten, nachdem sie das Kind getötet hat. Als Abbie schließlich live, in einer ihre Züge verzerrenden Großaufnahme von der Leinwand herunter zu

DRAMATURG 1/2004

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Ephraim auf der Bühne spricht, der klein und arm­

selig das übermenschlich große Bild seines Begeh­

rens ansieht, entsteht für den Zuschauer schlag- .

artig die unheimliche Beklemmung, die die eige­

nen, befremdlichen Wunschbilder auslösen kön­

nen.» Kelemens Dramaturgie schuf durch die

Mehrfachpräsenz des Bühnengeschehens, in dem

sich das Spiel auf der Bühne mit Einspielungen

und Live-Übertragu.ngen mischte, eine Schwellen­

situation zwischen nah und fern, Anwesenheit

und Abwesenheit, Direktheit und lndirektheit,

narzistischer Selbstbetrachtung und observieren­

der Fremdbeobachtung. So entwickelte das Ge­

schehen auf der Bühne einen Freiheits- und Ver­

dichtungsgrad, der in solcher Form neu und den­

noch genuin theatralisch wirkte.

Das Video, so zeigte auch Frank Castorfs Ins­

zenierung von Dostojewskis «Erniedrigte und

Beleidigte», erze'ugt Bilder in Echtzeit und spaltet

die Echtzeit in zwei simultane, in sich jedoch kom­

plette Zustände, die miteinander rivalisieren und

sich im Falle dieser Aufführung nicht «ergänzen»,

sondern kontrastieren. Die Reaktion der Leinwand

auf das Bühnengeschehen macht bewusst, dass

das Sehen des Zuschauers einer Entscheidung

gleichkommt, die seine spezielle «Wahrheit» oder

«Wirklichkeit» erst produziert. Wie die Bühnenbil-·

der von Bert Neumann, der das Geschehen in

geschlossene Räume verlegt, von wo es nur durch

die Video-Übertragung sichtbar gemacht werden

kann und der das Puqlikum in eine Situation ver­

setzt, in der es grundsätzlich nur ausschnittshaft

erblickt, was da passiert, genauso verweisen auch

die Live-Bilder des Videos darauf, dass das Sehen

ein aktiver und in gewissem Sinne «welterzeugen­

den> Vorgang ist. Die Bühnenbilder von Bert Neu­

mann und ihre simultane Konkurrenzbühne des

Live-Bildes erinnern den Sehenden an sein eigenes

Sehen und dramatisieren somit das Sehen selbst.

Dieses Drama des Sehens, das die Aufführung

prägt, korrespondiert dabei inhaltlich mit der als

existenzielles Drama erlebten Weltanschauung

von Dostojewskis Figuren. Das «ich sehe» des Vi­

deos bedeutet potenziell also ein «ich sehe mich

sehen», und diese explizite Dramatisierung der

Wahrnehmungsvorgänge antwortet auf das

implizite Drama des Stoffes- die Akteure stehen

der Weltnicht mehr souverän gegenüber, sondern

erleben ihr Schuldigwerden durch ihr pures ln­

der-Welt-Sein. Das Live-Video veranschaulicht

diese Doppelnatur des Seins. Diese Problematisie­

rung der Wahrnehmung und szenischen Präsenz

verleiht dem Video per se eine theatralische

Dimension.

DRAMATURG 1/2004

Da das Video kulturell einerseits für objekti­

vierende, flächendeckende Observanz. steht und·

andererseits unser Begehren ins Bild setzt, siehe

MTV, siehe Pornografie, siehe aber auch Sam Tay­

lor Wood, eignet sich das Video in besonderem

Maße für die Suche nach dem «Wirklichen», denn

seine ccEchtzeit)J und ((Profanität)) erlauben es ihm, zum Bestandteil des Ereignisses zu werden, das es

abbildet. Es dringt in Räume ein, in denen es sich

selbst wiederum vergessen macht. Durch sein Vor­

handensein wird das Geschehen aber auf eine

. simultane Weise objektiv und subjektiv zugleich.

ln diesem Zwischenraum offenbart sich in Frank

Castorfs Inszenierung von «Erniedrigte und Belei­

digte» der «Mensch». Aber nicht nur in dieser Ins­

zenierung: Die Modellfaii-Wirklichkeit der klei­

nen TV-Gesellschaften, die sich in den «Big Bro­

ther»- oder «Superstan>-Labors der öffentlichen

Beobachtung aussetzen, zeichnet sich durch ein

sehr ähnliches Schwanken ihres inneren Zustands

aus, denn sie zeigen Menschen, die uns ihr sozia­

les Überleben selbst- und beobachterbewusst

zugleich vorspielen. Sie leben unter den Bedin­

gungen der Show, als wären die Zuschauer nicht

vorhanden, und die Zuschauer sehen sie leben, als

sei ihr Leben nur eine Show. Vor der Videokame- ·

ra ist das Verhalten der Probanden im gleichen

Augenblick sowohl öffentlich wie auch intim,

bestimmt von Kalkül und Authentizität, vom Geld

regiert und von der Seele getrieben, immerbeides,

immer unauflösbar das Jetzt des Erlebnisses und·

Antizipation von Wirkung zugleich. Zugleich

·erzeugen die TV-Labors «Offenheit» für spontane

Momente durch ihr Verfahren des räumlichen

«Einschlusses» - ein Verfahren, das an Bert Neu­

manns Bühnenbilder erinnert. Wenn in diesen TV-

. Labors aus der Dauerspannung zwischen Konkur­

renz und Gemeinschaftsbedürfnis, Ichgefühl und

Wirkungsinteresse immer wieder übersprungsartig

Einblicke in die Weiten und Abgründe der Kandi­

daten aufblitzen, sind das letztlich exakt jene

Momente, um die es bei dieser medialen Dauerü­

berwachung geht. Denn getestet werden nicht

einzelne, ablösbare Eigenschaften wie Kenntnisse

oder Sportlichkeit, sondern der Mensch selbst, als

totale Ressource. Dem entspricht der durch das

Video «durchsichtig» gemachte Schauspieler i.n

den jüngsten Inszenierungen von Frank Castorf,

wobei die Realität dieser Aufführungen der Effekt

unterschiedlichster Ambivalenzfelder ist: Gespielt

wird mit der authentischen Unschuld einer Lai­

endarstellerin in einer professionellen Inszenie­

rung ihrer Wirkung genauso wie mit der Interfe­

renz von sinnlichen (Pornofilm auf der Werbe-

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fläche) und intellektuellen Reizen (Monolog an

der Rampe). Das Liv~-Video ist hier nur ein

Moment der insgesamt auf die Erzeugung von

simultanen Antagonismen angelegten Inszenie­

rung.

Raumerfindungen

Bert Neumann hat Bühnenbilder entwickelt,

die ohne den Einsatz von Live-Video-Übertragun­

gen nicht denkbar wären. Etwas hochtrabend for-·

muliert, ließe sich in diesem Zusammenhang auch

von einer «Raumrevolutionn der Bühne durch den

Einsatz des Live-Videos sprechen. Die forcierte

Intimität des Bühnenlebens jener Bungalow- oder

Neustadtbewohner entsteht durch unsere Beob­

achtung ihrer Beobachtung ·via Kamera. Dabei

bedingen die Raumerfindungen für Inszenierun­

gen wie «Erniedrigte und Beleidigten oder «Der

ldiotn zwar den Einsatz des Live-Videos, doch die

Bilder erzeugen diese Räume nicht, sie verschaf­

fen uns lediglich einen Einblick in sie. Die Vide­

obilder werden nicht bearbeitet und verfügen

über keine zusätzlichen Bildeffekte. Das Video

zeigt hier, was ich nicht sehen kann, und etabliert

eine unversöhnte Wirklichkeit neben der Wirk­

lichkeit, deren simultane Wirkung aus ihrem alter­

nativen und in sich autonomen Charakter besteht.

Es dissoziiert das Geschehen.

Ganz anders bei Matthias Hartmann - hier

erscheint das Video als integratives Mittel, das alle

Elemente auf ein Wirkungsmoment hin bündelt.

Matthias Hartmann schafft in diesem Sinne hoch­

komplexe lntegrationskunstwerke, deren Wirkung

durch einen «geläuterten lllusionismusn besticht.

Romantisch sind dio;se Aufführungen im Sinne

von Friedrich Schlegel, da sie die Herstellung ihrer

Suggestionen vollkommen offen legen und selbst­

bewusst auf die Künstlichkeil ihrer Realität ver­

weisen. in Matthias Hartmanns Uraufführungen

von Albert Ostermeiers «Es ist Zeit. Abrissn und

«Deutschland, deine Liedern, in seiner lnzenierung

von Christian Krachts Roman «1979n und Falk

Richters Stück «Eiectronic Cityn (alle am Bochumer

Schauspielhaus) erschei.nt das Live-Video in Kom­

bination mit filmischen Einspielungen und Pro­

jektionen daher .im Wesentlichen als ein raum­

schaffendes Medium, das eine Bühnensituation

erzeugt, die im herkömmlichen Sinne nicht her­

stellbar wäre und auch keine eigene Existenz

besitzen würde. Die Leinwand wird zur dominie­

renden Szene, die das gesamte, ihr vom Schau­

spieler und Kameramann zugespielte· Material

absorbiert und auf einer höheren Ebene synthe­

tisiert. So durchwandert in der Inszenierung von

Christian Krachts «1979n ein Darsteller die Villa

eines Millionärs, indem sein' eigenes Bild mit einer

anderen Aufnahme überblendet wird, die dadurch

entsteht, dass einer seiner Mitspieler vor den

Augen des Publikums eine Architekturzeitung

durchblättert, deren Fotografien von einem Ka­

meramann aufgenommen und als Projektion zum

· architektonischen Raum der Wanderung auf der

Leinwand werden.

Matthias Hartmanns Uraufführung von

«Eiectronic Cityn führt dieses Prinzip weiter, indem

sie das Geschehen in eine Blue Box verlegt und

auf mehreren Leinwänden die live erzeugten Auf­

nahmen der Schauspieler mit live produzierten

Illusionen realistischer Räume mischt, bzw. mit

Einspieltingen und Computersimulationen unter­

legt. in der Blue-Box der Szenerie erlebt das

Publikum z. B., wie aus einer Frau, die auf einem

Stuhl sitzt und bis in Hüfthöhe von einem blauen

Schild verdeckt ist, auf der Leinwand plötzlich

eine Kassiererin hinter einem Serviceschalter wird,

über die ein Pulk wartender Kunden herfallt.

deren Gesichter von einem wandernden Kamera­

mann auf der Hinterbühne gefilmt werden, .

während sie als Schauspieler, brav in einer Reihe

sitzend, zu sehen sind: So wird die Leinwand zur

integrierenden Szene, die das Geschehen auf der

Bühne und die Simulation von Bildern vereinigt,

wobei die Realität dieser Synthese mit dem Live­

Geschehen ihrer Herstellung vor der Kamera in der

Wahrnehmung des Zuschauers rivalisiert. Einen

zusätzlichen Bruch erzeugt die Verwendung von

zwei Leinwänden, die diese Synthese wiederum

aus unterschiedlichen Perspektiven zeigt- z. B.

indem sie das Bild des Sehenden und das von ihm

Gesehene in simultanen Bildern separiert. Das von

dem Videoteam um Stephan Komitsch und Peer

Engelbracht erzeugte Live-Video-Bild erscheint in

diesem Zusammenhang als eine virtuelle Form der

Ausstattung und als Hyperszene. Der neutrale

Raum aus blauen Leinwänden definiert sich selbst

als Nullraum ohne eigene erzählerische Dimensi­

on, der tatsächlich in einem ganz neuen Sinne

«bespieltn wird.

Dissoziation oder offene Synthese

Die hier betrachtete Form des Einsatzes von

Videobildern schafft also eine «Verspielten Realität,

die zeigt, wie künstlich sie erzeugt wurde, zeit­

gleich aber anbietet, als «Offenen Illusion erlebt zu

DRAMATURG 1/2004

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werden. Auch hier episiert der Einsatz von Live­

Videos das dramatische Geschehen, aber in einer

ganz anderen Weise als in den Inszenierungen von

Fred Kelemen oder Frank Castorf. Um es paradox

zu formulieren: Matthias Hartmanns Inszenierun­

gen wie «1979» und uEiectronic City» entwickeln

gerade durch den Einsatz einer so episierenden

Technologie wie der des Live-Videos eine eiserne

Hermetik, da die erzählerische Dimension des

Videos konkurrenzlos wird: Weder der Raum noch

das Spiel der Schauspieler haben eine «Realität»

neben jener, die erst durch das Video entsteht. Das

simultane Geschehen problematisiert sich nicht

gegenseitig, sondern ereignet sich grundsätzlich

im Hinblick auf die avisierte Synthese als Gesamt­

wirkung. Dabei wird die Hermetik der Aufführung

nahezu unsichtbar durch die vollkommene Offen­

legung ihres Zustandekommens: Der Techniker am

Videoschnittplatz sitzt hinter seinen Pulten mitten

im Publikum, der Kameramann und seine Assis­

tenten arbeiten mit der Handkamera auf offener

Szene, und die Darsteller spielen offensichtlich

gleichzeitig mit sich und der Kamera.

Die gesteigerte Kontrollatmosphäre, die

durch den Einsatz von Video-Technik entsteht:

scheint die Freiheitsgrade im Spiel der Darsteller

dabei deutlich zu reduzieren; wobei sich die Frei­

heitsgrade der Wahrnehmung insgesamt erhöhen.

Das Video schafft in den Inszenierungen von Mat­

thias Hartmann jene Zentralperspektive, an der

das Schauspiel insgesamt ausgerichtet wird: Das

Bild und der zeitgleiche Prozess seiner Herstellung

ist von vornherein Fluchtpunkt der Inszenierung.

Innerhalb dieses Gefüges agiert der Schauspieler

funktional, weil er sich in die angestrebte Gesamt­

wirkung einpasst und die kalkulierten Abläufe

befördert, ohne dass die Videoperspektive sein

Erscheinen im kontrastierenden Sinne problema­

tisiert. Im Gegenteil: Aus der Perspektive des Vi­

deos ist seine Darstellung·nur eine andere Form

von Einspielung. Das Gesamtgefüge der komple­

xen und vielschichtigen Konstruktion funktio­

niert, da die Spannungen und Risse innerhalb die­

ser Abläufe, die sein eigenes Tun und die Wieder­

begegnung mit seinem Bild auslöst, von den

Schauspielern nicht thematisiert werden, sondern

in die offene Synthese aller Komponenten mün­

det.

Wie in. den Inszenierungen von Frank Castorf

thematisiert Matthias Hartmann in seinen Auf­

führungen das Sehen: Der Endeffekt des Bildes

zeigt immer eine andere Wirklichkeit als die sze­

nischen Details seiner Komponenten. Bei Matthias

Hartmann irritiert sich das Geschehen nicht selbst

DRAMATURG 1/2004

- vielmehr riegelt der Einsatz des Live-Videos die

Welt der Aufführung von den spontanen Erfah­

rungen der Aufführenden vollkommen ab, um den

Blick des Zuschauers für das Nebeneinander ihrer

Elemente zu öffnen. Dabei demonstriert das Pro­

zessieren der Inszenierung nahezu vollkommene

Transparenz - alles ist sichtbar und einsehbar

gemacht. Der Bühnenbildner Volker Hintermeier

hat für Aufführungen wie «Es ist Zeit. Abriss»,

«Deutschland deine Lieder» oder «1979» Installa­

tionslandschaften gebaut, die alle Komponenten

des Bühnenbildes als Objekte offen ausstellen und

eben dadurch auf die Leinwand als Membran und

integrative Szene auf der Szene hinweisen. So zei­

gen die Bühnenbilder in diesen Produktionen

keine sozialen, sondern mediale Räume ohne vier­

te Wand: ln einem gewissen Sinne bleiben sie

uleer)) und entstehen, indem sie mit Images ((be­spielt» werden.

Gelebter Kubismus und Vivisektion

Das umgekehrte Prinzip charakterisiert die

Räume von Bert Neumann - hier schließen die

Bühnenbilder die vierte Wand und erzeugen einen

Raum, der sich dem Blick nicht offen und trans­

parent darbietet, sondern sich ihm zunächst ver­

schließt. Was das Bühnenbild herzeigt, muss der

Zuschauer sich erarbeiten - im Verfolgen des

Geschehens auf der Bühne macht er eine Erfah­

rung mit Distanzen, mit der grundsätzlichen Aus­

schnitthaftigkeit des Gezeigten und seiner prin­

zipiellen Unzugänglichkeit. Die Bühnenbilder von

Bert Neumann erzeugen eine eigene Form von ·

Realität, da sie auf einer <<Störung» des souverä­

nen Blicks beruhen, z. B. durch eine Aufsplittung

der Perspektive in unterschiedliche Betrachtungs­

winkel, die keine Verabsolutierung des Gesehenen

mehr erlaubt: Der Videokünstler Jan Speckenbach,

der in vielen der jüngeren Aufführungen von

Frank Castorf mitarbeitete, nannte dieses vom

Live-Einsatz des Videos mitgeprägte Verfahren

«gelebter Kubismus» - ich übersetze dies mit der

Entfaltung eines mehrdimensionalen Geschehens

in der Fläche und Simultanität des Bildes. Die

Bühne zeigt in diesem Falle unterschiedliche

Ansichten durch unterschiedliche Arten zu sehen

- der Endeffekt ist immer nur ein Patchwork von

Ausschnitten, nicht mehr generalisierbar, ohne

Totalität. Aus den perspektivischen Verwerfungen,

aus den Teilansichten und ihren Bruchstellen ent­

steht vielmehr eine offene Gesamtsituation, die

keine Versöhnung zwischen ihren einzelnen Eie.-

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menten erlaubt. «Gelebter Kubismus» heißt in die­sem .Falle die Simultancollage unterschiedlicher Betrachtungsweisen und das hart gefUgte Neben-. einander der so entstandenen Ansichten. Jan Speckenbachs Videoübertragung stellt daher die

. diskongruenten Aspekte unvermittelt nebenei­nander und spaltet den Augenblick in seine dyna­mischen Komponenten auf.

Eine so hermetisch arbeitende Inszenierung wie Matthias Hartmanns Uraufführung von «Eiec­tronic City» bleibt gerade wegen ihres großen Aufwandes an episierenden Mitteln auf eine größtmögliche Reibungslosigkeit angewiesen, denn alle Störungen bedrohen die Illusion dieser romantischen, da auf ihr eigenes Zustandekom-

. men souverän hinweisenden lnszenierungsform. Störungen innerhalb der videogenerierten Situa­tionserzeugung sind sehr unromantische Patzer. So wirken die Figuren in den offenen Räumen von Matthias Hartmanns Inszenierungen viel «einge­schlossener» als in den geschlossenen Räumen von Frank Castorf. ln einer Inszenierung wie «Ernied­rigte und Beleidigte» wirken Störungen nicht zer­störerisch, sondern offenbarend, denn das hand­lungssimultane Video zeigt in dieser Aufführung die «andere Seite» ~es holt ins Bild, was, so Frank Castorf, die Schauspieler von oder an sich selbst

. nicht sehen wollen. Der Schauspieler wird hier durch die Livecam einer zweiten Prüfung durchs Videoauge unterworfen: Lügt er oder lügt er nicht? Die Videokamera verlängert so den Zugriff des «Systems» bis in die letzten Winkel und Nischen des Bühnenlebens und kreiert eine expe­rimentelle Situation, in der.die Schwankungsbrei­te des Realen die Darsteller zu Probanden einer · zugespitzten, gesellschaftlichen Situation macht: Privatheil und Professionalität, Freiheit und Zwang, Lüge und Aufrichtigkeit, all diese Aspekte amalgamieren sich unauflösbar in einer Realität, die kein «Objektives» Außerhalb mehr kennt, das ihm ein Maß stiften könnte. Der durchsichtig

' gemachte Schauspieler Frank Castorfs, dem bei Matthia~ Hartmann die durchsichtig gemachte Bühne gegenübersteht, wirkt dabei, wie dort die Bühne, ungeschützter denn je - vorm Zoom der Objektive auf der doppelten Live-Bühne erscheint der Schauspieler bei Frank Castorf in einer We1se preisgegeben, die .dem traditionellen. Sprechthea­ter unerreichbar blieb. Jede noch von daher bekannte Schauspielerschinderei, jedes manisch eindressierte Chorstück und jede Nacktprügelei auf den Brettern der Bühne wirkt im Vergleich zur Vivisektion durch das Live~Video geradezu philan­tropisch, zahm und literarisch. Aber Frank Castorf

scheint genau diese forcierte Politik des Blicks auf uns selbst zum Ziel zu haben - hier wird sprich­wörtlich mit anderem Einsatz gespielt, die Form schützt den Schauspieler zwar, aber unter den Bungalow- und Neustadtbedingungen wird alles zur Form, und somit wirkt das Spiel der Darsteller .in «Erniedrigte und Beleidigte» existenziell wie sel­ten im Theater.

Selbstirritation und andere Wahrnehmungsverhältnisse

Der Begriff der «Störung» oder der Selbst­irritation markiert also einen wichtigen Aspekt, wenn man von der episierenden Wirkung des Live­Videos, z. B. seiner Offenlegung des Gemachten, der Schaffung einer zweiten Szene auf der Szene und dem Oszillieren der Wahrnehmung, zu einer weiterführenden Differenzierung gelangen will. Während der geläuterte Illusionismus einer Auf­führung wie «1979» in der Blue Box dank des Videos eine gesteigerte Suggestivität des Gesche­hens entwickelt, die sich der integrativen Wirkung des Live-Videos verdankt, dissoziiert das Live­Video das Bühnengeschehen im Falle von Frank Castprfs Aufführungen und verstärkt speziell.die heterogenen Motive der Handlung, indem es deren selbstirritierenden Momente vergrößert.

Die Spaltung des Blicks

Abschließend sei auf einige Aspekte ver­wiesen, die beiden Typologien gemeinsam sind. Erstens: Der Einsatz des Live-Videos markiert die wahrscheinlich konsequenteste Ausformung des Phänomens «Regietheater», denn hier wird der Regisseur vollkommen zum Autor eines in seiner Komplexität nicht mehr anders notier- und denk­baren. Geschehens. Zweitens: Zugleich, und dies wirkt womöglich paradox, verdanken.sich diese Entwicklungen auch einer neuen Raum- oder besser Realitätskonzeption des Bühnenbilds. Mir scheint. dass für Aufführungen dieser Art- die Wooster Group hat dies seit den frühen achtziger Jahren demonstriert -, keine traditionellen Büh­nenbilder entstehen, sonderngenerative Raumin­stallationen. Der Bühnenraum bildet nicht ab und baut nichts nach, sondern schafft eine eigene Realität, die hochgradig und aktiv beobachterbec wusst ist. Drittens: Das Live-Video scheint eine Dramatisierung epischer Stoffe zu ermöglichen, die sie sich nicht mehr personalisieren lassen. Die

DRAMATURG 1/2004

Page 23: Resumee des Symposiums -. Die Bühne und die Medien · Prinzip verzichtbare Fremdkörper auf einer Bühne erscheinen darf, nicht ob er prinzipiell als Fremd ... Theater haben, wenn

Romanadaptionen Frank Castorfs und Matthias

Hartmanns erschienen, würde man sie um die

Komponente des Videos berauben, merkwürdig

unterkomplex, denn der dramatische Reiz dieser

Aufführungen beruht zu weiten Teilen nicht auf

der Spannung zwischen Figuren, sondern zwi­

schen Figur und Leinwand. ln diesem vom Live­

Video neu erschlossenen Kräftefeld ist der Schau­

spieler ganz offensichtlich nicht nur Subjekt, s.on­

dern auch Objekt, und somit werden auf der

Bühne plötzlich andere, abstrakter wirkende Kräf­

te des Sozialen darstellbar, für die der Roman mit

seiner epischen Darstellungsweise und seiner Frei­

heit, zwischen den Zeiten, Orten und Perspekti­

ven frei wa.lten zu können, prädestiniert ist. Das

Live-Video erzeugt ein Klima des vagabundieren­

den Blicks und der szenischen Mehrfachpräsenz,

in der ein Schauspieler sich in anderen Wahrneh- .

mungsverhältnissen bewegt - das romanhafte

Erzählen einer solchen Inszenierungsform ist also

folgerichtig mit der Adaption großer Romanstof­

fe verbunden. Und viertens: Nach den Strategien

der lronisierung des Verhältnisses vom Schauspie­

ler zur Figur, z. B. dem bekannten «aus der Rolle

Fallen» und der intertextuellen Perforierung des

Textes, scheint der Einsatz des Live-Videos diese

Distanzierung auf eine andere Ebene zu verlagern.

Der doppelte Blick, der durch die Leinwandüber­

tragung i.mmer entsteht, scheint auf eine hÖchst

raffinierte Weise zu ermöglichen, dass der Dar­

steller in seinem unmittelbaren Spiel relativ unge­

brochen wirkt und wirken muss, da seine Identität

als Figur durch ihre Erscheinung im Live-Bild un­

ausweichlich einen Bruch in ihrer Gesamtwirkung

erfährt. Das Spid mit der gebrochenen Identität

der Figur verlagert sich also tendenziell vom

Schauspieler auf den Zuschauer und seine Wahr­

nehmung des verdoppelten Geschehens. So wird­

auf einer höheren Ebene- vielleicht wieder ein

«identisches» Verhältnis vom Schauspieler zur

Rolle möglich, wobei diesem Vorgang natürlich

jede Naivität fehlt.

Die Splittung des Blicks, die Rückkopplun­

gen zwischen der simultanen Erscheinung der

Phänomene, die Verlagerung oder Potenzierung

eines Konflikts in das Spannungsfeld zwischen

Figur und ihrem Bild auf der Leinwand - all dies

lässt das Video als relativ neue und erweiternde

Raumform der Szene erscheinen. Der Live-Einsatz

des Videos bietet potenziell die Möglichkeit, die

Inszenierung in ein forciertes (detztn zu über­führen, in dessen hochintegrierter Gleichzeitigkeit

sich Freiheitsgrade eröffnen, von denen sich sonst

kein Bild machen ließe. !illl

Medien müssen auch Spaß machen und das Theater bleibt der Souverän

·Von Jens Roselt

Lars von Triers neuer Film «Dogville» hat nicht

wenige Interpreten dazu verleitet, Vergleiche

zwischen dem Film und den ästhetischen Prakti­

ken des Theaters zu ziehen. Man sprach plötzlich

wieder von Brechts epischem Theater oder

erkannte in der besonderen Raumanordnung des

Sets eine Bühnensituation. Trotzdem konnte man

im Feuilleton keine entnervten Filmkritiker ver­

nehmen, die von einer Anbiederung des Films an

das Theater sprachen und damit die Selbstaufga­

be und das Ende des Kinos prophezeiten.

DRAMATURG 1/2004

Ähnlich selbstbewusstist die Theaterkritik im

umgekehrten Fall nicht immer gewesen. Als An­

fang der neunziger Jahre Videoprojektion und

Fernsehmonitore den enge·n Zirkel der Perfor­

mance-Kunst verließ·en und auf den Bühnen

deutscher Stadttheater auftauchten, konnte dies

Zuschauer wie Kritiker noch entsetzen. Merkwür­

dig: Menschen, die wahrscheinlich jeden Tag zu

Hause sitzen und mehrere Stunden Fernsehen

gucken, reagieren, wenn sie die Mattscheibe

durch das Proszenium des Theaters gerahmt

Den zweiten vorfor· mulierten Beitrag zur Schlussdiskussion über «Schnittstelle Theater» lieferte am Sonntag. vormittag der Theater­wissenschaftler und Autor Jens Roselt.

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Page 24: Resumee des Symposiums -. Die Bühne und die Medien · Prinzip verzichtbare Fremdkörper auf einer Bühne erscheinen darf, nicht ob er prinzipiell als Fremd ... Theater haben, wenn

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sehen, als würden sie das Haupt der Medusa

erblicken. Aber diese Zeit von Schreck und Irrita­

tion ist vorbei. So manche Videoprojektion wird

inzwischen gelangweilt zur Kenntnis genommen,

gilt als bloßer Effekt oder sinnlose Zutat. Auf die

Faustregel ein Fernseher auf der Bühne = experi­

mentelles Theater, zehn Fernseher = besonders

experimentelles Theater fällt selbst das Abonne­

ment nicht mehr herein.

Die Verwendung anderer, neuer Medien im

Theater ist also ein probates Mittel geworden.

Dennoch ist dieser Einsatz nicht selbstverständ­

lich, d. h. er fordert Begründungen und Erklärun­

gen heraus. Bezeichnenderweise wird gerade

dann, wenn unterschiedliche Medien miteinan­

der verbunden oder konfrontiert werden, die

Frage nach den spezifischen Eigenarten des ein­

zelnen Mediums besonders virulent. Über dem

Fernseher auf der Bühne schwebt gewissermaßen

auch die Frage: Was ist Theater? Was macht es

einzigartig, und worin besteht der Unterschied zu

anderen Medien technischer ReRroduktion?

Ad hoc haben Theaterenthusiasten eine

Reihe von Begriffen parat, die für das Theater in

die Waagschale geworfen werden können: Echt­

heit, Körperlichkeit, Unmittelbarkeit. Authenti­

zität, Wahrhaftigkeit oder Präsenz. Diese Merk­

male und die Exklusivrechte, die Theaterleute lapi­

dar dafür beanspruchen, werden durch den Ein­

satz anderer, neuer Medien im Theater jedoch auf

die Probe gestellt. Was affiziert denn den Blick der

Zuschauer mehr: ein Körper auf der Bühne oder

ein Körper im Monitor auf der Bühne oder beides?

Was ist Original und wasist Kopie, wenn die Blicke

der Zuschauer hin- und herzappen müssen? Was

bedeutet Unmittelbarkeit, wenn man angesichts

einer Schauspielerin auf der Bühne und der Nah­

aufnahme ihres Gesichts als Live-Projektion viel

häufiger auf die mediale Repräsentation statt auf

die präsente Person blickt?

Es tut dem Theater gut, sich durch die Be­

gegnung der medialen Art verunsichern zu las­

sen. Und dabei kann es durchaus fraglich sein, ob

Theater überhaupt etwas zeitlos Eigenes hat. was

gegen das zeitgeistig Fremde neuer Medien ge­

schützt werden müsste. Dass man heute beispiels­

weise häufig von Präsenz spricht, wenn man die

Arbeit vonSchauspielern beschreibt, ist nicht dem

zeitlosen Wesen des Theaters geschuldet, sondern

selbst schon Ausdruck einer medialen Verschie­

bung. in den Schauspieltempeln des 19. Jahrhun­

derts, die sich das Wahre, Schöne und Gute über

die Tür. gemeißelt haben, hätte man mit Präsenz

nicht viel anfangen können. Dem Repräsentati-

onsanspruch des bürgerlichen Theater war die

konkrete Körperlichkeit des Schauspielers gerade

zuwider . . Die Behauptung, Theater wurden sich heute

neuen Medien an den Hals werfen, gar mit ihnen

wetteifern, um deren Erfolg zu kopieren und die

eigene blutarme Einfallslosigkeit zu kaschieren,

trifft nicht zu, denn die Tendenz zur medialen

Mischung oder Hybridisierung ist gar kein. Phä­

nomen, das ausschließlich das Theater trifft. Es

handelt sich vielmehr um einen Trend, der in allen

zeitgenössischen Künsten zu beobachten ist. So

kann man derzeit in der Bildenden Kunst eine

massive Art der Theatralisierung beobachten,

etwa bei" der Gestaltung von Ausstellungen.

Betrachter werden zu Zuschauern in inszenierten

Räumen. in Installationen und Performanceswird

mit Darstellern und Live-Situationen gearbeitet.

Bildende Kunst wird nicht mehr hur aufgehängt

und ausgestellt, sondern inszeniert und aufge­

führt. Also zapfen auch andere Künste schamlos

das Theater an, um den eigenen Blutdruck hoch

zu halten.

Ein Aspekt wird in der Diskussion häufig

unterschlagen: Medien sind nicht nur visuelle

Phänomene, sondern auch akustische. Dies .gilt

zunächst für die Verwendung von Musik, ohne die

es im Theater inzwischen gar nicht mehr geht. Die

. mitunter unangenehme Gemeinsamkeit von Su­

permärkten, Staatstheatern und billigen Restau­

rants besteht darin, dass man nahezu unablässig

mit Musik umspült wird, als seien emotionale Vor­

gänge vor allem Sache des Gehörs. Auch die Ver­

wendung von Mikrophonen und Verstärkern ist

in das Repertoire aufgenommen. Interessant sind

jene Momente, in denen Bildspur und Tonspur

getrennte Wege gehen. Wenn die Stimme des

Schauspielers unabhängig von seinem Körper

gehört werden kann, wird damit eine Wahrneh­

mung des Zuschauers möglich gemacht, die des­

sen alltäglichen Erfahrungen widerspricht An­

gesichts dieser Entwicklung muss man nicht

zwangsläufig von einer Verabschiedung des

Schauspielers und der Schauspielkunst aus dem

Theater sprechen. Denn der Einsatz von Videopro­

jektionen, Live-Aufnahmen und der medialen

Bearbeitung und Vervielfältigung von Stimmen

und Sprache stellt die Frage nach dem Schauspie­

ler und insbesondere der Materialität seines Kör­

pers neu. Die Schnittstellen zwischen theatraler Prä­

senz und den Repräsentationspraktiken neuer

Medien markieren damit das heikle Terrain des

zeitgenössischen Theaters. Dies gilt um so mehr,

DRAMATURG 112004

Page 25: Resumee des Symposiums -. Die Bühne und die Medien · Prinzip verzichtbare Fremdkörper auf einer Bühne erscheinen darf, nicht ob er prinzipiell als Fremd ... Theater haben, wenn

als sich der mediale Umbruch in den vergange­

nen zehn Jahren radikalisiert hat. Die Potenzie­

rung des Programmangebots des Fernsehens, die

Verbreitung von Computern und die allgegenwär­

tige Verwendung von Videotechnik strukturieren

Wahrnehmungsformen in einer Art und Weise

neu, von der das Theater nicht unberührt bleibt.

Dieser Einfluss macht sich nicht nur dann geltend,

wenn tatsächlich ein Medium wie das Fernsehen

auf der Bühne verwendet wird, sondern er sickert

auch tiefer in die Dramaturgie ein. Erinnert sei an

die Freude am Geschichtenerzählen, die noch in

den frühen neunziger Jahren für avanciertes

Theater tabuisiert wurde, das erneute Erproben

von Schnitt und Montage als theatrale Verfahren

und vor allem die Beschäftigung mit Zeitstruktu­

ren: die Übertragung serieller Formate auf das

Theater (Theater-Soaps) und die ostentative

Thematisierung von Zeiterfahrung, die beispiels­

weise mit Marthalers"Warteorgien eine Gegenpo­

sition zur Reizflut neuer Medien setzt.

Will man diese Entwicklung auf den kleins­

ten gemeinsamen Nenner bringen, könnte man

sagen, dass durch diese Verfahren Wahrnehmung

im Theater selbst zum Thema wird. Die Wahrneh- ·

mung der Zuschauer dient hier nicht nur der

möglichst unkomplizierten lnformationsaufnah­

me, sondern spielt sich selbst in den Vordergrund.

Die Mediennutzung im Alltag muss besonders rei­

bungslos geschehen. Medien sind gerade dann

effizient wenn sie selbst nicht in Erscheinung tre­

ten, sondern in dem Verschwinden, was sie ver­mitteln. Je problemloser, selbstverständlicher und

unauffälliger sie ihre eigene Rolle dabei spielen,

desto produktiver sind sie. Es darf gewissermaßen

keine Reibungsverluste geben. Im Theater ist das

. häufig anders, hierwerden die Medien nach vorne

geschubst, ihre Verfahren werden ausgestellt und

vorgeführt. So wird die Selbstverständlichkeit

medialer Vermittlung im Alltag auf der Bühne auf

den Kopf gestellt. Inszenierungen mit neuen

Medien suchen häufig die Reibungsverluste, die

Verzerrungen und Verzögerungen, die Lücken im

Film, die Risse der Darstellung, den Abbruch der

Übertragung. Die Einblendung: <<Störung. Wir bit­

ten um etwas Geduldn ist der Supergau des Fern­

sehens, sie treibt die Quote binnen Sekunden in

den Keller. Im Theater kann diese Störung oder

Unterbrechung ein ästhetisches Prinzip sein. Die

Hybris von Zuschauern, die den Anspruch erhe­

ben, alles zu durchschauen, und die sich mit der

Fernbedienung in der Hand zur allseits umwor­

benen Zielgruppe zählen dürfen, wird so emp­

findlich getroffen. Der Einsatz neuer Medien ist

DRAMATURG 1/2004

damit auch ein Beitrag für eine Kultur des

Zuschauens, die sich nicht als bloßer Bildkonsum

verstehen lassen will.

Im Theater von Medialität zu sprechen, be­

deutet zu fragen, wie das Verhältnis von Zuschau­

ern und Akteuren gestaltet ist. welche Konven­

tionen dabei bedient, in Frage gestellt oder er­

weitert werden. Medialität ereignet sich gewis­

sermaßen im Grenzgebiet von Bühne und Publi­

kum. Medialität wäre also die Art und Weise, wie

durch die räumliche Disposition Wahrnehmungs­

ordnungen geschaffen werden. Man sollte des­

halb davon ausgehen, dass Theater nicht dadurch

zu einem medialen Raum wird, dass man die

Bühne mit Bildschirmen spickt oder mit Video­

projektionen zu kleistert, sondern indem im Thea­

ter explizit dieses Grenzland der Wahrnehmung

verhandelt und die Nahtstelle von Bühne und

Publikum immer neuen Zerreißproben ausgesetzt

wird. Insofern ist die Theatergeschichte auch eine

Mediengeschichte, noch bevor die Kamera erfun-

' den wurde. Der Chor der antiken Tragödie kann

ebenso als mediales Phänomen gelten wie die

Narrenfigur im Mittelalter, Diderots Vierte Wand

oder die allgegenwärtigen Rampensäue auf den

Opernbühnen. Und in diesem Zusammenhang

spielen auch neue Medien technischer Reproduk­

tion ihre Rolle. Demnach wäre es falsch, «bösen

mediale Simulation und «guten theatrale Echtheit

gegeneinander auszuspielen. Auch im Theater hat

das Zuschauen und Zuhören seine Unschuld

längst verloren, denn auch hier gibt es keine

unvermittelte pure Wahrnehmung, auch hier wer­

den Wahrnehmungsordnungen und Konventionen

mitunter subtil aufgezwungen.

Schließlich ist es nicht immer angebracht,

angesichts neuer Medien auf der Bühne in die

Habacht-Stellungtrivialer Medienkritik zu gehen

und von Simulation und Fälschung zu sprechen.

Medien dürfen nämlich auch Spaß machen. Die

Arbeit mit neuen Medien im Theater ist nicht sel­

ten eine Spielerei. Und Spielen ist im Theater keine

Untugend. Zu sehen, was passiert, wenn man

Medien auseinander nimmt und schief wieder

zusammensetzt, oder sich an coolen Effekten zu

berauschen, ist ein ausgesprochen kreatives Verg­

nügen. Und es ist ein souveräner Hinweis darauf,

dass man neue Medien nicht immer so ernst neh­

men muss, wie diese selbst gern genommen wer­

den möchten: ln diesem Sinne ist das Theater der

Souverän. 1!!1

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Page 26: Resumee des Symposiums -. Die Bühne und die Medien · Prinzip verzichtbare Fremdkörper auf einer Bühne erscheinen darf, nicht ob er prinzipiell als Fremd ... Theater haben, wenn

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Als Weiterführung der Schlussdiskussion

des Symposiums «Schnittstelle Theatern

publizieren wir hier einen Essay der Thea­

terwissenschaftlerin Birgit Lengers (Leiterin eben jener Schlussdis­

kussion) über die Arbeit des Regisseurs

Rene Pollesch. Geschrieben wurde der

Artikel für den Band «Gegenwartstheater»

(Arbeitstitel) der Reihe <<Text & Kritik» (Hg.

Heinz Ludwig Arnold), der voraussichtlich im Septem_ber ersche-int.

2 Laudenbach, Peter (2002): «Sexualität und

Wahrheit, Teil 3n. ln: Tip 4/02

3 Alle kursiv gedruckten Passagen sind Zitate

v:on Rene Pollesch aus Interviews und·

Gesprächen zwischen 2001 und 2004. Bei den

Zitaten aus seinen Texten ist der Stücktitel

in der Fußnote an­gegeben, wenn er sich nicht aus dem Kontext

erschließt 4 Wirth, Andrzej (2003):

«Rene Po~lesch. Gene­rationsagitproptheater für Stadtindianer)). ln:

«Werkstück. Regisseure im Porträt.}} Arbeits- .

buch 2003. Hrsg. von Anja Dürrschmidt und

Barbara Engelhardt, Berlin: Theater der

. Zeit, S. 126-131. s Ulrkh Seidler in der Berliner Zeitung vom

16.1.2004

Ein PS im. Medienzeitalter

Mediale Mittel, Masken und Metaphern im Theater des Rene Pollesen Von Birgit lengers

«Kino, das ist das Zeitalter der Maschine. Theater, das ist das Zeitalter des Pferdes. Sie

· werden sich niemals verstehen, was übrigens wünschenswert ist, denn die Mischung ist

bedauerlich." (Fernand Leger, 7931)

Für den Theaterpuristen des Medienzeitalters

mag es bedauerlich sein,· reinrassig ist der

Theatergaul kaum noch zu haben. Aber er ist

robust und überlebt im Blick durch die Handka­

mera, zwischen Filmprojektionen und Live-Video,

in adaptierten Filmstoffen und -zitaten, zer­

stückelt in szenischen Bildmontagen, beschleunigt

in Clip-Rhythmus und Zapping-Ästhetik, präsen­

tiert im medial geprägten Spielgestus.

Hysterische Unterg-angsvisionen sind unan­

gebracht. Meist werden sie von denen in Anschlag

gebracht, die sich als Retter in Position bringen.

wollen. Der Konter der Berliner Sophiensaele auf

den «Theater muss sein!n-Siogan des Deutschen

Bühnenvereins - «Theater muss nicht sein. Sex

auch nicht!»- beschreibt treffend die Vorausset­

zungen, unter denen heute Theater gemacht wird.

Wer sich mit dermedialen Grenzüberschreitung

des Theaters beschäftigt, muss nicht Untergangs­

gespenster vertreiben, sondern nach seiner Funk­

tion und Wirkung fragen, muss nicht Existenzret­

tung, sondern Phänomenologie betreiben. Das

Theater von Rene Pollesch ist ein geeigneter

Gegenstand für ein solches Unternehmen.

VORSPANN - Theaterverweigerung

Kraft zur Erneuerung entsteht aus radikaler

Negation der Konvention. Pollesch will kein Thea­

ter machen oder genauer: Er will «Theater ohne

Theater>•' machen. Das heißt, Theater ohne die

aristotelischen Grundkonstituenten wie dialogisch

gebildete Figuren, Narration einer Fabel, Mimesis

im Sinne der tradierten Darstellungsziele nach­

geahmter Weiten und Wahrscheinlichkeiten. Als

Autor will er keine Theatertexte schreiben: Ich

denke, ich schreibe keine Stücke.' Und die poste

dramatischen Sprechpartituren, die er schreibt,.

stehen unter Nachspiel-Verbot. Als Regisseur ver­

langt er von seinen Darstellern bloß kein Theater

zu spielen. Und eigentlich ist er auch gar kein

Regisseur: Ich inszeniere nicht, die Schauspieler organisieren ihren Text selber. Zielgruppe dieses

AnticTh.eaters sind natürlich diejenigen, die

eigentlich ins Kino gehen, weil sie vom Theater gelangweilt sind. Heraus .kommt ein recht eigen­

williges theatrales Format: «Generationsagitprop-

theaterfür Stadtindianen(

Polleschs Theater will sich den Spielregeln

der Theaterweit verweigern. Wie reagiert die

Theaterweit auf Verweigerung? Pollesch wird

Hausautor erst in Luzern, dann in Hamburg; wird

beim Rowohlt Theater Verlag verlegt, wird mit

dem Mülheimer Dramatikerpreis ausgezeichnet,

wird künstlerischer Leiter der Volksbühnenspiel- .

stätte Prater, wird mit seiner Trilogie «Wohnfront

2001-2002» zum Berliner Theatertreffen eingela­

den. Und seine jüngste Inszenierung «Telefavelasn

(2004) wird unter der Überschrift «Wiedergutealte

Theaterwertarbeit Es handelt wieder auf der Dis­

kursbühnen in der Kritik gefeiert. .Der verlorene

Sohn, der «Theaterkategorieabschaffen> und

«Medienkurzschließern' wird willkommen ge­

heißen im guten alten Theaterschoß.

Interessant ist .nicht der Verweigerungs­

gestus, sondern die Frage, mit welchen Mitteln

sich die Verweigerung äußert und was in der

Rezeption mit diesen Mitteln geschieht.

Wie die künstlerische Eingemeindung der

grenzüberschreitenden Gegenbewegung Theater­

geschichte schrieb, zeigt der Blick zurück ins

«Zeitalter der Maschine». Auch die historische

Avantgarde hat, trotzgegenteiliger Proklamati­

on, nie wirklich den Weg zum Abdecker einge­

schlagen. Schon in den anti-naturalistischen und

anti-illusionistischen Bewegungen der 10er und

20er Jahre liefen alle Bemühungen auf Weiter­

züchtung hinaus, auf Extension der Bühne mit

DRAMATURG 112004

Page 27: Resumee des Symposiums -. Die Bühne und die Medien · Prinzip verzichtbare Fremdkörper auf einer Bühne erscheinen darf, nicht ob er prinzipiell als Fremd ... Theater haben, wenn

medialen Mitteln. Es ging letztlich um Retheatra­

lisierung. Vor dem Hintergrund des Dagewesenen

kann im Anschluss das Neue der gegenwärtigen

medialen Kreuzungen exemplarisch bei Rene Pol­

lesch dargestellt werden.

Seit Beginn der Moderne geht es in der Kunst

um die Frage, inwieweit Kunst nicht mehr Kunst

sein will. Die Kunst stellte sich etwa in den Dienst

der Revolution und sprach: Ich will Klassenkampf

sein, ich will Maschine sein. Oder sie stellte sich

in den Dienst des neuen Alltags: Ich will super sein

wie die Reklame, ich will befreit sein wie das

Leben. Heute will sie den Anschluss an den tech­

nologischen Fortschritt nicht verlieren, rüstet sich

medial auf und. gibt sich Multi-Media-High-Tech ..

Zu Beginn des letzten Jahrhunderts galt es

die <<längst erschöpfte Psychologie des Menschen»

durch die <<lyrische Besessenheit der Ma~erie»' zu

ersetzen. So zielten die Slogans der futuristischen

und konstruktivistischen Manifeste auf die Ver­

bannung des menschlichen Akteurs von der Thea­

terbühne: «Durch die Maschine und in der Mac

schine vollzieht sich heute das menschliche

Drama!»' «Echte Gast-Darsteller eines unbekann­

ten Theaters» sollen die lebenden Schauspieler

ersetzen8! «Das Kino ist die heutige Etappe des Thea­

ters!»', proklamierte 1926- ganz im Elan des Fort­

schrittsenthusiasmusder Zeit- Sergej Eisenstein.

Die Forderung, die ästhetische Produktion auf den

Stand der technischen zu bringen, forderte in

letzter Konsequenz die Liquidierung des Theaters

als Darstellungskunst zugunsten des Films. Schon

bei der «Montage der Attraktionen»" (Eisenstein)

erwies sich der Theatergaul als störrisch; es fanden

zwar Verfahrensweisen wie Parallelmontage, Nah­

aufnahme und dynamischer Szenenwechsel Ein­

gang in die Theaterinszenierung, doch als prä­

destiniertes Medium erwies sich der Film mit sei­

nen Mitteln der Bildgestaltung (Cadrage), den

Einstellungen und Schnitten. Hier entwickelte

Eisenstein seine Montagetheorie weiter, wurde

heimisch und blickte nicht zurück. Auch Wsewo­

lod E. Meyerhold, der in seiner vorrevolutionären

Phase den Film noch strikt als <<illustrierte Zei­

tung» und unkünstlerisches Reproduktionsmedi­

um ablehnte- «Nichts hat der Kinematograph auf

dem Gebiet der Kunst zu suchen» - spricht sich

in den 20er Jahren für eine «Kinofizierung»" des

Theaters aus: Gemeint war neben der technischen ·

Aufrüstung des Theaters die Einführung einer fil­

mischen Episodendramaturgie mit kurzen Szenen

in rascher Abfolge. Erstmalig wurden auch Zwi­

schentitel und Parolen auf eine Leinwand proji-

DRAMATURG 112004

ziert und so eine epische Kommentar- zur Spie­

lebene eingeführt. Diese wurde in Erwin Piscalors

politisch-agitatorisches Theater übernommen und

wirkungsästhetisch perfektioniert. Piscalor schrieb

die «durchschlagende Wirkung» der Filmsequen­

zen weniger der Authentizität und ihrem doku­

mentarischen Gehalt zu, vielmehr dem interdiszi­

plinären Synergieeffekt: «Das Überraschungsmo­

ment, das sich aus dem Wechsel von Film .und

Spielszene ergab; war sehr wirkungsvoll. Aber

noch stärker war die dramatische Spannung, die

Film und Spielszene voneinander bezogen. Wech­

selwirkend steigerten sie sich, und so wurde in

gewissen Abständen ein Furioso der Aktion

erreicht, wie ich es im Theater nur selten erlebt hatt~.>>.12

Von der Montage zur Transfusion

Der beschriebene Effekt entspricht der Wir­

kungsästhetik der Montagetechnik, die nicht auf

die Summe der Einzelelemente zielt, sondern auf

deren katalysierende Wechselwirkung. Ein Kentaur

war geboren, zusammengesetzt aus zwei Teilen,

die jedoch als solche erkennbar blieben. Was aber

heute geschieht, lässt sich nicht länger als kon­

ventionelle Kreuzung ·beschreiben, der Hybrid ist

erschaffen. Brecht schrieb 1931: «Der Filmsehen­

de liest Erzählungen anders. Ab.er auch der Erzäh­

lungen schreibt ist seinerseits ein Filmsehender»".

Die Prognose ließe sich ins Heute übersetzen: Der

Medienrezipient sieht Theater anders. Aber auch

der Theatermacher/-autor ist seinerseits Medien­

rezipient. Die Mediatisierung der Theaterproduk­

tion ist nicht mehr rückgängig zu machen. Im

21. Jahrhundert sind wir uns bewusst, dass Me­

dien nicht Weit vermitteln. Sie sind subkutaner

Bestandteil unserer Weit: «Die Bilder der Massen­

medien kann man nicht mehr betrachten [ ... ] sie

rücken uns auf den Leib, schließen sich mit der

Netzhaut kurz.>>" Was ·bedeutet dieser mediale

«Take Oven> der Sinne für den Theatermacher?Tim

Etchells, Autor der Live-Art-Gruppe Forced Ent­

ertainment, drückt es so aus: <<I guess TV was real­

ly in our blood- and.like any blood you have to

live with it, spill it, transfuse it, clean it, test it. You

don't have much choice about your blood, but it

always needs dealing with it. A theatre that won"t

do this isn"t worth having»". Die Theatermacher·

leben mit Medien, gehen mit ihnen um, und sie

halteh Einzug ins· Theater. Die Befragung der

Gegenwart läuft im postdramatischen Theater

über die Befragung der theatralen Form. Aber wie

inszeniert, überformt das Theater mediale Kon-

6 Filippo Tommaso Marinetti, zitiert nach: Apollonio, Umberto (1 972): «Der Futurismus. Manifeste und Doku­mente einer künstle­rischen Revolution 1909-1918. Köln, 5. 81. 1 · Prampolini, Enrico; Pannaggi, lvo; Paladini, Vinicio: «Die mechani­sche Kunst», S. 110-112. ln: Schr:nidt-BerQ­mann, Hansgeorg (1993}: «Futurismus.

· Geschichte, Ästhetik, Dokumente». Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, s. 111. 8 Leger, Fernand (o. J.): <<Mensch. Maschine. Malerei. Aufsätze und

. Schriften zur Kunst.» Bern, 5.151 ff. 9"Eisenstein, Sergej M. (1926): «Zwei Schädel Alexanders des Großem) 0. 0. 10 Eisenstein, Sergej. M. (1974): Schriften · 1. Streik. Hrsg. von Hans-Joachim Schlegel, München: Carl Hanser Verlag, S. 216-221. " Vgl. Brauneck, Man­fred (1982): «Theater im 20. Jahrhundert. Programmschriften, Stilperioden, Reform­modelle.>) Reinbek: Rowohlt, S. 314-322. 11 Piscator, Erwin (1963): «Das politische Theaten>. Reinbek: Rowohlt, S. 74 f. 13 zitiert nach Balme, Christopher B. (2003): «Theater zwischen den Medien. Perspektiven für Theaterwissen­schaft und Kritik ange­sichtseiner zunehmen­den lntermedialität in der Theaterpraxis.>) ln: <<Die Deutsche Bühne» 10/2003, s. 48-51. 1• Boltz, Norbert (1993): «Politik der Posthisto­rie>), S. 250-257. ln: Maresch, Rudplf (Hrsg.): «Zukunft ohne Ende». München, s. 255. 15 Etchells, Tim (1999): «On Performance and Technologyn. ln: Ders.: «Certain Fragments>); London/New York, S. 96. ·

25

Page 28: Resumee des Symposiums -. Die Bühne und die Medien · Prinzip verzichtbare Fremdkörper auf einer Bühne erscheinen darf, nicht ob er prinzipiell als Fremd ... Theater haben, wenn

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16 Lehmann, Hans-Thies (1999): «Postdrama­

tisches Theater». FrankfurtJM .. : Verlag

der Autoren, S. 401A47. 17 <<Frolic for Afghanis­

tan». ln: Berliner Zeitung; Nr. 252,

29.10.2001. 1a vgl. Richard Sennett

(1998): «Der flexible Mensch. Die Kultur des

neuen Kapitalismus>). Berlin: Berlin Verlag.

19 «Verkaufe dein Sub-jektb) Rene Pollesch im

Gespräch mit An ja Dürr­schmidt und Themas lrmer. ln: Theater der

Zeit 12/01, S. 5-7.

ventionen, Ästhetiken? Wie gewinnt es im Um­

gang mit medial geprägten Formaten, Stoffen,

Erzählweisen Spielraum?

Es gibt unterschiedliche intermediale Stra­

tegien. Unter der Überschrift «Tpeater +·- Medi­

en« differenziert Hans-Thies Lehmann zwischen

«Medien-Nutzung«, «Medien-Inspiration«, «Medi­

en konstitutiv« und «Medien theatralisiert«". Pol­

leschs Arbeiten w'eisen Aspekte des Medienum­

gangs auf, die sich allen vier Kategorien zuord­

nen lassen. Die phänomenologische Annäherung

bewegt sich im Folgenden von außeri nach innen:

Auf die oberflächliche Mediennutzung, das Medi­

enzitat folgt die Medieninspiration, das szenisch

bearbeitete Filmmotiv wie die theatral ausge­

schrittene Distanz zur Filmvorlage; ein konstitu­

tiver Medienbezug findet sich in der kontrastiven

Gegenüberstellung von live gefilmten und live

präsentierten Körpern, dem schließt sich die Thea­

tralisierung und Internalisierung medialer Forma­

te und Mittel an. Die These ist, dass das Theater

gerade in der medialen Grenzüberschreitung zu

sich zurückfindet.

Medienzitat- Kurzschlüsse bei «lnsourcing des Zuhause. Menschen in Scheiß-Hotels»

Pollesch nutzt. wie viele and~re Regisseure,

filmische Medien, spielt mit ihnen, um bestimm­

te Affekte und Effekte zu erzielen. Das Filmzitat

rekurriert auf das kollektive Bildgedächtnis einer

Film- und N-sozialisierten Generation. Ein Thema,

eine Stimmung, ein Kontext wird mit dem Me­

dium ins Theater eingeschmuggelt, Dem Rezipien­

ten steht es frei, assoziativ intertextuelle Verbin­

dungen herzustellen. Pollesch beschreibt dieses

Verfahren selbst als zufällig und willkürlich: Er

hört beim Schreiben eines Theatertextes eine

Musik, die ihn an einen Film erinnert, den er dann

in der Inszenierung ein- oder anspielt, weil er ent­

fernt mit dem Thema zu tun hat, z. B. Norman

Bates' «Psycho«-Hotel mit dem Thema «lnsourcing

des Zuhause- Menschen in Scheiß-Hotels«. Das

Filmzitat wird in der Inszenierung von den Figu­

ren ironisch aufgegriffen: Sei du selbst, Norman

Batest, lautet die Aufforderung an die Service­

kräfte der Wohlfühlhotels, oder es heißt: Dieses

Hotel produziert Sicherheitsgefühle. Diese Con­

cierge oder Norman Bates produziert Sicherheit

und Ordnung! Die Slogans der neuen Dienstleis­

tungsgesellschaft, in der es um die Produktion des

emotionalen und kulturellen Mehrwerts von

Gütern geht - Dieses Hotel produziert Zuhause.

Dieses Hotel produziert persönliche Anteilnahme.

Dieses Hotel produziert Siche(heit. - werden

durch den assoziativen Kurzschluss mit dem

transponierten Filmthema ad absurd um geführt.

ln derselben Inszenierung wird auf einem der

N-Geräte, die zur Einrichtung der Wohnbühne

(Bert Neumann) gehören, scheinbar beiläufig und

beliebig ein kurzes Video wiederholt, in dem a"f­

ghanische Windhunde von. Hundepflegern ge­

bürstet und im Kreis geführt werden. Der Text­

strom, der sich von den produzierten Sicherheits­

und Ordnungsgefühlen über das produzierte

Bedrohungsszenario zum grenzenlosen Gerech­

tigkeitsfeldzug. Die Gerechtigkeit der USA kennt

. keine Grenzen bewegt hat, wird durch die Ein­

spielung eines vorproduzierten Videos auf der

zentralen Leinwand unterbrochen: Auf einem

Schreibtisch kreiseln Bierflaschen mit kleinen

Rotoren und Wagners «Walkürenrittu ertönt. Die

Musik stellt die Verbindung zu einem in «Apoka­

lypse nowu (1979) spektakulär fotografierten

Hubschrauberangriff der Amerikaner her, wo sie

als Instrument der psychologischen Kriegsführung

benutzt wird: «Da werden sich die Schlitzaugen

in die Hosen scheißen.« Der von Francis Ford Cop­

pola virtuos inszenierte Kriegsfilm versucht in sei­

ner ambivalenten Darstellung der ästhetischen

Faszination des Krieges weniger die militärischen

und politischen als vielmehr die psychischen

Aspekte des Vietnam-Debakels zu erhellen. Die

Filmmusik wird erneut zitiert, wenn die Darstel­

lerinnen mit einem durch zwei aufeinander gesta­

pelte Schreibtischstühle symbolisierten Helikopter

zum Bühnenfernseher «rollen« und zunächst eini­

ge kleine gelbe Fallschirme mit Frolic über ihm

abwerfen, um dann eine ganze Schachtel Hunde­

futter über dem Bildschirm auszuschütten - «[ ... ]

ein fieses, [..,] präzises Bild für den Abwurf von

Lebensmitteln über Afghanistan.«" Die betont

trashigen theatralen Mittel konterkarieren den

bildmächtigen US-Filmklassiker der BOer, in dem

der perfekt inszenierte Schrecken des Krieges

immer gut aussieht. Beiläufig wirft Pollesch

zudem die Frage nach der Tauglichkeit des Films

als Medium der Kritik in Zeiten medial inszenier­

ter Kriege auf.

Das Filmzitat, die Videoeinspielungen und die

travestierte Filmszene bleiben in dem Verfahren

der medialen Kurzschließung jedoch lediglich

weitere Zutaten im theatralen Hypermedium. Bei

Pollesch geht der Medienbezug weit über die

«Medien-Nutzung« hinaus; er ist für seinen Stil

signifikant.

DRAMATURG 112004

Page 29: Resumee des Symposiums -. Die Bühne und die Medien · Prinzip verzichtbare Fremdkörper auf einer Bühne erscheinen darf, nicht ob er prinzipiell als Fremd ... Theater haben, wenn

Trojanische Pferde -Gegenwartsbeschreibung im alten Kleid der Vorlage

Die «Medien-Inspiration» lässt sich meist

schon am Stücktitel ablesen:'Filme der 60er bis

80er dienen Pollesch als Initiationspunkt und

Materiallager seiner Inszenierungen, z. B. «Soylent

Green» von Richard Fleischer, «Der Tiger von

Eschnapur» von Fritz Lang, «Escape from New

York» und «Sie leben!» von John Carpenter. Bei der

«Hochzeit von Bühne und B-Movie» (Jens Roselt)

handelt es sich in keiner Weise um die Transpo­

sition des Filmstoffes auf die Bühne.

Po IIeschs Theater reflektiert in der Distanz

zur Vorlage u. a. die veränderten gesellschaftli­

chen Bedingungen, unter denen Kunst gemacht

wird. Wenn er ein Stück unter dem Titel «Der Kan­

didat. Sie leben» inszeniert, wird gerade in Bezug­

nahme auf den Anti-Strauß-Dokumentarfilm «Der

Kandidat» (1980) von Stefan Aust, Alexander von

Eschwege, Alexander Kluge und Volker Schlön­

dorff deutlich, was Kunst heute nicht mehr leistet.

Mit gesellschaftskritischem Agitprop-Theater kann

gegen die «Neue Mitte» nicht polemisiert werden;

der politische Gegner kann nicht dokumentiert

werden, weil er nicht auszumachen ist. Die ent­

sprechenden Brillen, mit denen der Held in John

Carpenters «Sie leben» (198S) die Außerirdischen

unter den echte~ Menschen identifiziert und die

Konsum-Einflüsterungen hinter den Medien sind

obsolet geworden. Auch Heidi Hoh, die hochfle­

xible" Telearbeiterin seines Dreiteilers (1998-

2001), ist nicht vergleichbar mit ihrem filmischen

Vorbild, der Fabrikarbeiterin Norma Rae («Norma

Rae» 1979; Regie: Martin Ritt), die im Filmverlauf

- wie Pollesch es formuliert - politisiert und

emanzipiert auf den Webstuhl steigt'", um gegen

ihre Arbeitsbedingungen zu -protestieren. Heidi

Hoh ist keiri kapitalistisch ausgebeutetes Subjekt,

sondern aufgefordert ihre Subjektivität auszu­

beuten, und diese Selbstausbeutung tarnt sich mit

dem Deck-mantel der Selbstverwirklichung". Für

Heidi Hoh, ihren Erfinder Pollesch und all die

anderen «Pioniere der New Economy» gilt: «24

Stunden sind kein Tag»" und nicht acht, wie noch

1972 in Fassbinders sozialpolitischem Fünfteiler

aus dem Arbeitermilieu. Hier wurden im Format

der Familienserie, leicht verständliche Problemlö­

sungsstrategien vorgespielt. Wo die «Machtlogik»

durch die «Marktlogik»" ersetzt wird, hat das

Lehrstück abgedankt. Das Transparent ist nach

innen verlagert. Diese Durchsagen in mir" bringt

Pollesch mit seinen Sprecherinnen auf die Bühne.

DRAMATURG 1/2004

Anstatt Fabel oder Filmplot nachzuerzählen,

greift Pollesch dabei eiri bestimmtes Motiv der

Vorlage auf, welches er weiterentwickelt und auf

die Themen bezieht, die in all seinen Theater­

diskursen verhandelt werden. Es ist im Grunde die

Geschichte des «Blade Runnen>, die seit «Ufos a Interviews>>. (Luzern 2001) weitererzählt wird. War

die Zukunftsvision in Ridley Scotts Science­

Fiction-Klassiker die äußerliche Identität von

Mensch und Android, geht es Po IIesch um selbst­

entfremdete Menschen, die an der Künstlichkeil

ihres Lebens verzweifeln. Ich lebe die künstliche

Scheiße hier und oll die künstlichen Erinnerungen

und den Scheiß. - Ich bin bloß eine Maschine, die

simuliert, dass ich Lebe! Oh Scheiße!- Egal was

wir leben, Wir sind immer künstlich!". Seine

Stücke erfassen die gegenwärtige «Replikanten­

existenz» als allgemeine Auflösung des Individu­

ums in informellen komplexen Strukturen"·

Gemeint sind die verschwimmenden Grenzen zwi­

schen öffentlichem und privatem Raum in einer

totalen Ökonomie des globalen Neo-Kapitalismus,

in dem man sich ein schickes Nervenkostüm in

Mitte kauft'", Gefühle echt und bezahlt" sind.

Ich wünsche, du wärst Geld, dann würde auf

dir drauf stehen, was du wert bist, heißt es folge­

richtig in <6oylent Green ist Menschenfleisch, sagt

es allen weiter!>>. Die Grundidee der Filmvorlage,

die im überbevölkerten New York des Jahres 2022

spielt, ist, dass Menschenfleisch vom staatlichen

Nahrungsmonopolisten zu grünen Crackern ver­

arbeitet und in Umlauf gebracht wird. Pollesch

verbindet mit dem Thema der kannibalistischen

totalen Verwertbarkeit des menschlichen Körpers

das seiner Vermarktung als Sexual-Objekt, wel­

ches er Paul Thomas Andersans «Boogie Nights»

(1997) entlehnt, einem Film über die amerikani­

sche Pornoszene der 70er. Ficken ist das, was mir

sagt, wer ich bin in diesem Porno. Wer sagt mir,

was ich bin nach dem Porno? Ein melancholischer

Grundton färbt den Theaterabend. Abschied wird

gefeiert. So sitzen die Darsteller im Schlussbild der

Inszenierung unter dem Abspann von «Soylent

Green>>, ein ökologischer Science-Fiction-Film von

gestern, so alt wie der Durchschnittszuschauer.

Gefilmte Körper, befreite Blicke -«Soylent Green ist Menschenfleisch, sagt es allen weiter!»

Der Blick auf den Körper als Darstellungs­

und Verhandlungsobjekt ist in der Inszenierung

nicht nur inhaltlich, sondern auch formal ein

medial vermittelter. Die Darsteller sind zu Beginn

20 Polfesch bezieht sich auf McRobbie, Angela (2002): <deder ist krea­

tiv. Künstler als Pioniere der New Economy?}>. ln: «Singularitäten ;­Allianzen, Interventio­nen», ITH/HGKZ. 21 Mit seiner ersten vierteiligen TV-Serie (3sat, 2003) schließt Pollesch an seinen Theaterzyklus «24 Stunden sind kein Tag» (2002) an. ln Bezug- · nahme auf den John­Carpenter-Film «Die Klapperschlange)) trug das Stück bei seiner Premiere in der Berliner Volksbühne (2002) als Zusatz noch den englischen Originaltitel <<Escape from New York>). n Grad, Simen (1997): «Der Markt am Neu­markt. Das Theater aus ökonomischer Sicht.>' ln: «Theater Neumarkt Zürich, <Top Dogs>, Ent­stehung- Hintergrün­de- Materi~lien)),

Zürich 1997, S. 88. ll «Heidi Hoh arbeitet hier nicht mehn>, 2000 2• «Ufos & Interviews», 2001 2s «Telefavela>,, 2004 26 «Stadt als Beute», 2001 21 «Sex,>, 2002

27

Page 30: Resumee des Symposiums -. Die Bühne und die Medien · Prinzip verzichtbare Fremdkörper auf einer Bühne erscheinen darf, nicht ob er prinzipiell als Fremd ... Theater haben, wenn

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Ja vgl. Finter, Helga (1985): «Das Kamera­

auge im postmodernen Theater», in: «Studien

zur Ästhetik des Ge:genwartstheatersn, hrsg. von Christian W. Thomsen, Heidelberg: carl Winter Universi-

tätsverlag, S. 46-66 29 D~tje, Robin: <<Kein

Kontin~um kann immer. Ende nach dem Trailer: Rene Polleschs <Telefavela> in Berlin>>.

ln: Süddeutsche Zeitung vom 17 ./18.1.2004.

der Vorstellung hinter Vorhängen und Papierwän­den verborgen und werden von einer Videokame­ra gefilmt. Die von der schweifenden Kamera auf­gefangenen intimen Nahaufnahmen, verschlun­gene Leiber, Fleischlandschaften, Körperdetails sind auf drei Leinwände gebannt. Das dem direk­ten Blick Entzogene wird monumental-monströs ausgestellt. Die vierte Wand der traditionellen Theaterpraxis wird nicht durchbrachen, sondern erst einmal geschlossen. Die Zuschauer sehen auf der Bühne das, was die Bühne ihnen verweigert. Somit wird der Wahrnehmungsvorgang als solcher ästhetisch markiert und thematisiert. Das Intime und Private wird als hergestellte, inszenierte und medial vermittelte Authentizität vorgeführt. Hier

·besteht der entscheidende Unterschied zur Reality Soap: Das Fernsehen kaschiert. dass Bilder immer Produkte von Inszenierungen sind, und steuert Wahrnehmungsvorgänge und Bedeutungszuwei" sung rigide. Die Kamera in «Soylenf Green ist Menschenfleisch» vermittelt einen ausschnitt­haften, fragmentarischen Einblick in verborgene Räume. Aber neben den Kamerabildern, in den live gespielten Szenen, flüstern und schreien leibhaf­tig präsente Darsteller an gegen die totale Beset­zung von Intimität durch Ökonomie. Du Hure,

dein Bezug zu dir selbst ist Geld. Gerade in der Verweigerung der Zentralperspektive, im Wechsel zwischen Abbild und Abgebildetem erfährt die Subjektivität des Blicks, das frei schweifende «~ameraauge»" des Zuschauers eine Aufwertung. Der Verlust der Überblicks, des «heilen Ganzen», den die oben beschriebene Distanz zur Vorlage thematisierte, wird so auch zur ästhetischen Erfahrung im Theaterraum.

An dieser Stelle verlassen wir das Terrain der konventionellen Mischformen, der trojanischen Pferde und Zentauren, in denen Medien benutzt, zitiert, implantiert und gegengeschnitten werden. Der Theaterhybrid hat mediale Formate (TV-Seri­en) und Verfahren (Kameraschnitte) bereits ver­daut.

Mediale Maskierung -Verfremdungsstrategien eines

Soap·Operateurs

Schon mit der Gattungsbezeichnung Thea­ter-Soap kennzeichnet Pollesch seine in Serie pro­duzierten Arbeiten als intermediale Zwitter («Javam in a Box» 1-13, «Ufos B: Interviews» 1-2 in Luzern, «Heidi Hoh» 1-3 im Podewil Berlin, «WWW-Siums» 1-10 im Hamburger Schauspiel­haus, «Smarthouse» 1 B: 2 im Staatstheater Stutt-

gart). Auch die Bezeichnungen «No-Soap», «Splat­terboulevard», «Snuff-Comedy» und «Telefavela» verweisen auf theatrale Kreuzungen mit media­len Formaten und Ästhetiken. Bei Pollesch handelt es sich mitnichten um die affirmative Kopie des Fernsehformats, sondern um eine subversive me­diale Maskierung. Das bedeutet, die Ähnlichkeit ist eine oberflächliche: Das «Sendformat» entspricht in den meisten der genannten Fälle dem der Weekly Soap, d. h. Folgen mit einer Länge zwi­schen 30 und 40 Minuten werden wöchentlich gezeigt. Die Grobstruktur der einzelnen Teile lässt sich als «Ciip»-Folge beschreiben. ln Anlehnung an Musik-Video-Clips, bezeichnet Pollesch mituCiip» das von Musikeinspielung begleitete zweckfreie Spiel, welches die statischen Sprechpassagen unterbricht. Es findet in den Inszenierungen eine Trennung von Bild (Aktion) und Text statt. Auch erinnert das Setting, die Prater-Wohnbühne oder die Couchlandschaft in Luzern an ein Fernseh­atelier, die Ausstattung der «Telefavela» an stereo­

. type Versatzstücke eines Low-Budget"Filmsets, die gleichförmige, pseudo-empathische Sprechweise. an Rohübersetzungen amerikanischer Sitcoms oder Dauerwerbesendungen und die Unterbre­chungen der «Clips» an Werbepausen. Die fehlen­de Linearität und Kohärenz der einzelnen Insze­nierungen, die Brüche und das hohe ~prechtem­po generieren eine Rezeptionsweise, die sich mit Metaphern. wie «Zapping», «Fastforward» oder «Verlinken» beschreiben lassen. Die Endlostexte, die auf verschiedene Sprecher verteilt sind, ohne individualpsychologisch interpretiert zu werden, erscheinen als endloser Datenstr.om, in den sich der Zuschauer von Inszenierung zu Inszenierung neu «einloggt». Die Prozessualität seiner Arbeits­weise, die gleich bleibenden «Spielregeln», das Fortschreiben der Themen und die permanente Wiederholung von Slogans, Motiven, Schlagwor­ten, kurz: das kultivierte Selbstzitat machen Pol­lesch zum eigentlichen «Serientäter», zum «Soap­Operateun> des Theaters,

Der Vorwurf, er zwinge seine Serienhelden dazu, «Diskurse zu durchleben, als wären es Melo­dramen, und soziologische Traktate in Seifenoper­Form zu bringen»", verfehlt jedoch seinen Arbeitsansatz. ln Umkehrung zu der von Mever­hold propagierten «Filmisierung» des Theaters fin­det eben keine «Fernsehfizierung» des Theaters statt, sondern eine verfremdende Theatralisierung des Medienformats. So ist «Telefavela» ein seman­tischer Hybrid aus der brasilianischen Seifenoper der Reichen und Schönen und der portugiesischen Bezeichnung für Elendsviertel. Pollesch überführt

DRAMATURG 1/2004

Page 31: Resumee des Symposiums -. Die Bühne und die Medien · Prinzip verzichtbare Fremdkörper auf einer Bühne erscheinen darf, nicht ob er prinzipiell als Fremd ... Theater haben, wenn

die Serienhelden des «Haus am Eaton Place» mit

ihren unvergänglichen Primärbedürfnissen nach

Liebe und Geld in die attraktive informelle Scheiße, sprich: die aufgelösten sozialen Hierar­

chien einer Dritte-Welt-Metropole, wo man ein­fach keine Einzelschicksale mehr erkennen kann. Dort stehen sie zwischen Armuts- und Fernseh­

bildern (auf den N-Monitoren im Prater-Zelt) mit

ihrem Wunsch endlich etwas Zusammenhängen­des zu fühlen. Polleschs Medientransfer dient

primär dem brechtsehen Verfremdungseffekt, der

den vertrauten Gegenstand zwar erkennen, aber

neu kontextualisiert fremd erscheinen lässt. So

erscheint Pollesch der «Neuen Zürcher Zeitung«

gar als «Turbo-Brecht des postökonomischen Zeit­

alters«'". Die Verwandtschaft im Geiste entdeckt

auch Ulrich Seidler in der «vertheaterten Wand­

zeitung», die «Telefavela» hoch hält, Handlung und

Identifikationsangebote seien nur Fallen". Eine

weitere Parallele zu Brecht findet sich in dem

primären Ziel, «die Kinder des wissenschaftlichen

Zeitalters zu unterhalten, und zwar in sinnlicher

Weise und heiter>>". Pollesch unterhält in seinem

«Generationsagitpoptheater»" die Kinder des Me­

dienzeitalters nicht zuletzt mii virtuosem schau­

spielerischen Einsatz und Camp. Das Vergnügen

am guten schlechten Geschmack springt von der

Bühne, wo es in medial geprägten Pathosgesten

lustvoll ausgekostet wird, auf den Zuschauer über.

Die einzige Waffe gegen die Identifikationsange­

bote der Massenmedien, gegen den Trivialmythos

ist, «ihn selbst zu mystifizieren, das heißt einen

künstlichen Mythos zu schaffen»". Dem scheinen

Pollesch und seine Darsteller nachzugehen, wenn

er Fragmente der Medienweit synthetisiert, um sie

theatral zu bearbeiten. An die Stelle des kohären­

ten Dialogs, der das autonome Individuum kon­

turierte, tritt die «soufflierte Rede»", montiert aus

vorgefertigtem Sprachmaterial, das medial ver­

mittelt und präformiert ist. ·

Mediale Demontage und internalisierte Schnitte­Verzweiflung sieht nur life wirklich gut aus!

Das Spiel mit Versatzstücken der Trivialmy­

then weist Pollesch als Vertreter der Medienthea­

tralisierer aus, die «hartnäckig nach zeitgemäßen

Konnexionen von Medientechnologie und Live­

Akteuren»" suchen. Die theatrale Forschungsar­

beit generiert eine unverwechselbare Spielweise.

Für Pollesch hat der konventionelle und kommer­ziell erfolgreiche Film das Theater zu einem Natu-

DRAMATURG 1/2004

ra/ismus verdammt, zu dieser Einheitsvorstellung, bei der ein Körper Emotionen hat, die etwas

erzählen sollen"· Diese Einheitsvorstellung, die

in "der N-Soap zelebriert und dort der Emotions­

produktion beim Zuschauer dient, unterläuft Pol­

lesch mit einer Darstellungsform, die er wieder­

um mit filmischen Metaphern beschreibt: Die Schnitte finden in den Spielern statt und sind . nirgendwo sonst aufzuspüren. Was als Schnitte erscheint, haben die Spieler bereits in ihr Voka­bular aufgenommen. Die Suche nach ihren «Ris­sem> ist deshalb unproduktiv. Das Personal hat die Schnitte in sein Sensorium übernommen, Ka­meraeinstellungen, Plots.'" Die internalisierten

Schnitte bezeichnen eine Spiel- und Darstellungs­

weise, die durch unvermittelte Brüche in der Text­

präsentation gekennzeichnet ist, durch eine

Distanzierung von Text .und Spieler sowie die

Trennung. von Sprechen (Tonspur) urid körperli­

cher Aktion (Bildspur). Was d.ie Distanz zum Text

betrifft, sind die Darsteller angehalten ihn nicht

zu «verkörpern», sondern im brechtsehen Sinne

zu zeigen. lrmerhalb des Textstruktur zeigt sich,

dass der konventionelle Dialog, der durch aufein­

ander folgende und bezogene Repliken einen

semantischen Richtungswechsel erfährt, durch

einen dialogisch gesprochenen Monolog ersetzt

ist. Die Darsteller sind aufgefordert auf Anschluss

zu sprechen, so dass der Eindruck von Sprechau-

. tomaten, angeschlossen an eine Textmaschine,

entsteht. Innerhalb der einzelnen Repliken hinge­

gen finden abrupte semantische und dynamische

Brüche statt. Am markantesten sind die geschrie­

enen Passagen, die im Text durch Großbuchstaben

·gekennzeichnet sind. Der plötzliche Wechsel der

Lautstärke ist nicht psychologisch motiviert oder

vorbereitet und hat keine Konsequenz für das wei­

tere Sprechen: Auch die Schreie sind geschnitten, die Schauspieler sagen einen Satz, und dann kommt ein Schrei, das ist geschnitten, es soll kein organischer Vorgang sein, man nimmt nicht eine Pose ein und schreit dann. [. . .] Diese Schnitte, die im Text sind und denen der Körper folgt, sind dann doch so etwas wie ein Programm." Für Pollesch

sind gerade die Schreie als internalisierte Techno­

logie, als elektronische Verstärkung" zu lesen. Aus

diesem Grund funktioniert die Spielweise auch

nicht in seinen Fernsehfilmen (z. B. <<Ich schneide

schnellen>, Z.DF 1998): Die Schreie packen einen nicht. Laut und leise existiert im Fernsehen nicht, wird weggepege/t.

Der Paradigmenwechsel vom dramatischen

Agon, in dem Protagonist und Antagonist einen

Konflikt austragen, zur Agonie, dem inneren Kon-

lo NZZ vom 26.5.2003 31 vgl. Fußnote 5 n vgl. Bertolt Brecht: 1<Kieines Organon für das Theater>}, § 75. 33 vgl. Fußnote 4 34 Barthes, Roland (1964): «Mythen des Alltags>). Frankfurt/M.,

S. 1 Z1. 35 vgl. Pflüger, Maja. Sibylle (1996): «Vom Dialog zur Dialogizität. ·

Die Theaterästhetik von Elfriede Jelinek)). Tübingen und Basel: Franke Verlag 3 ~ Lehmann, Hans~Thies,

a. a. 0., 5. 216. 37 «EI')tschlüsselt mich!)) Ein Interview mit Rene Pollesch von Romane Pocai, Martin Saar und Ruth Sonderegger. ln: «Texte zur Kunst». März2003, 5.112~127.

,Ja zitiert nach Bettina Brandi-Risi (2001): <<Verzweiflung sieht nur live wirklich gut aus)). ln: «Stück~Werk 3>>, hrsg. von c'hristel Weiler und Harald Müller, Berlin: Theater der Zeit. S. 118 . . l? vgl. FUßnote 37, s. 117. 40 «Zorn, Einsicht und Verzweiflung)). Vier Fragen von Harald Müller an Rene Pol~ lesch, in: Theater der Zeit 12/2000, S. 63. 41 Diederkhsen, Died~ rich: «Denn sie wissen, was sie nicht leben wollen.», S. 57, in: Theater heute 3/2002.

29

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30

· 42 Peter von Becker am

26.1.2004 auf dem theaterpolitischen

Fachkolloquium «Jen­seits von Musealität und Amüsement>> in

Potsdam. 4

) Boltz, Norbert, a. a. 0., s. 255.,

.. Diederichsen, Died­rich: «Der Idiot mit der

Videokamera». Vor­trag, gehalten beim

Symposion «Schnittstel­le Theater» der Drama­turgischen Gesellschaft

am 9.1.2004. ~5 Polleschs Theater­

arbeiten basieren auf Filmen oder theater­

fernen Texten wie: Lorenz, Kuster und

Soudry (1999): <<Repro­duktionskosten fäl­

schen! Heterosexua­lität, Arbeit und

Zuhause»- Berlin: b_books Verlag; space­

Lab (2000): «Fragmente städtischen Alltags.

Widersprüche>>, 20. Jg., Heft 78; Sitzungsproto­kolle einer poststuden­tischen Giorgio-Agam-

ben-Theorielektüre oder einschlägig_en

Managerliteratur.

flikt, ist nach Lehmann ein Wesensmerkmal des

postdramatischen Theaters. Die Verzweiflung und

Wut, die ohne Gegner und Gegenentwurf ins

Leere läuft, gerinnt ZU(ll .kollektiven .«Scheiße»c

Schrei. Diederich Diederichsen überschreibt Pol­

leschs kulturtheoretisches Diskurstheater mit

11Denn sie wissen, was sie nicht leben wollenu und findet in dem «existenziellen Ich [,das] seine Ver­

zweiflung benennen kann und darf» den Bezug

zum Theater, mit seiner «Gewohnheit, echte Men­

schen auf Bühnen»" zu stellen. Der existenzielle

Schrei Ich bin $0 künstlich! ist bei Po IIesch der

Schrei der uechten Menschen», der Darsteller

gegen das unechte Leben, gegen die Trivialmy­

then, aus denen die Kunstfiguren auf seine Bühne

kommen. Dieser Schrei hat nur Raum im Theater.

Folglich fehlt gerade diese Qualität, die Simulta­

nität und Ambivalenz von Live-Darstellung und

Medien-Versatzstück, Polleschs TV-Serie «24 Stun­

den sind kein Tag». Verzweiflung über künstliche

Existenz sieht auf dem Monitor eben nicht gut,

sondern künstlich aus.

ABSPANN-: Theaterbekenntnis

Der gute alte Theatergaul ist im Medienzeit­

alter angekommen, und wir betrachten sein altes

Wesen in neuer Gestalt. Nun ist er heimisch

geworden im Theateralltag, ein medialer Hybrid,

dessen Existenz nur manchen Theaterfundamen­

talisten dauert. ln Leger-Tradition prophezeit die­

ser die uSelbstaufgabe des Theaters», welches sich

mittels filmischer Mittel «unter sein mediales

Niveau» begebe". Den Hintergrund dieser Dege­

nerationsängste vermutet Diederichsen in der

Assoziation des Videomediums mit der trashigen

Alltagsästhetik der ulow culture», in der es

ursprünglich Verwendung findet. Es zeigt sich,

dass .der Einzug des Videos auf die Bühne nicht

unschuldig sein kann. Anders als noch in Pisca­

tors Dokumentartheater dringt heute nicht Wirk­

lichkeit per Einspielung in den Kunstraum ein. Die

Erfahrung der Postmoderne ist die einer media­

len Entmachtung der Wahrnehmung: Die udigi­

tale Revolution», so Norbert Boltz, uhat die Weit

der Bilder total kontrollierbar und manipulierbar

gemacht. Die neuen Medien lassen nur noch eine

Geschichte erzählen: die ihrer selbst. Deshalb

überfordert man sie, wenn man authentische

Berichterstattung über eine Wirklichkeit erwartet,

die längst gelebte Unwirklichkeit geworden ist.»".

Was mit dem Medium demnach in die Stätte der

Hochkultur eindringt, sind. neben. medialer Selbs­

treferenz, Trugbild und Täuschung «schmutzige»

mediale Formate. An den Medien, die im Theater

eingesetzt werden, «kleben Verwendungsge­

schichten [ .. .]. vor allem Alltagsrealität Dies sind

die Maschinen, mit denen die Subjekte ihre Frei­

zeitarbeit verrichten. Sie sprechen ihren Dialekt.»"

Die Legitimität von Medien auf dem Theater

wurde hier nicht in Frage gestellt. Es ging darum,

exemplarisch anhand der Theaterarbeit von Rene

Po IIesch darzustellen, wie reflektiert und raffiniert

dieser «Dialekt» theatral eingesetzt wird, um dem

Theater in der Gegenwartsbeschreibung Souver­

änität zu verschaffen. Rene Pollesch interessiert

seine, unsere «AIItagsrealität», die für ihn «geleb­

te Unwirklichkeit» ist. Ich muss erst mal die

Begriffe klären, wie Liebe und Leben, und ich

. bestehe darauf, dass ich anders lebe und liebe

als Harntet. [ .. ]Meine Identität wird vor ollem im

Theater produziert. Die Frage nach der Subjekt­

position, der Verortung stellt Pollesch in all sei­

nen Arbeiten. Wo leben wir? Wo.arbeiten wir? Wir

sind mittendrin, immanent und hyperreal: Im

uWWW-SJum», in der uTelefavela», denn uHeidi

Hoh arbeitet hier nicht mehn>. Heidi Hoh ist im

Theater. Für Po IIesch nicht Ort der Repräsentati­

on von Weit, sondern Teil der Wirklichkeit.

Bei der Grenzüberschreitung, der Reibung

am Fremden in medialen Niederun'gen geschieht·

etwas, was man·pathetisch als die «Wiedergeburt

des Theaters aus dem Medien(un)geist» bezeich­

nen könnte. Was das Theater heute braucht, ist

außerhalb des Theaters zu finden. Po IIesch findet

Motive in Filmen oder theoretischen Texten'', die

in seinen Theaterarbeiten zu Metaphern einer per­

sönlichen Lebens- und Arbeitserfahrung stilisiert

werden. ln den Inszenierungen findet eine weite­

re mediale Transformation statt: Film-Vorlage,

Soap-Format und artifizielle Darstellungsform

dienen sowohl der Theatralisierung des Diskurses .

als auch der Verfremdung und ironischen Bre­

chung. Das auf Seifenopernformat zugerichtete

Leben bekommt in Polleschs Theater-Soaps einen

neuen Spielraum, in medialer Maskierung zur

Kenntlichkeil entstellt. l!ll

DRAMATURG 1/2004

Page 33: Resumee des Symposiums -. Die Bühne und die Medien · Prinzip verzichtbare Fremdkörper auf einer Bühne erscheinen darf, nicht ob er prinzipiell als Fremd ... Theater haben, wenn

Drei Autoren - sechs Fragen

Resumee der drei Workshops mit Autoren

1. Das Symposium fragt nach der «Schnitt­

stelle Theater>>. Beeinflussen die so genannten

. neuen Medien und ihre dramaturgischen Techni­

ken dein Schreiben?

Rebekka Kricheldorf: Bewusst nicht, unbe­

wusst sicher schon. Die neuen Medien sind in mei­

nen Alltag integriert und mit meinem Leben ver­

knüpft, so dass sie zwangsläufig ihre Spuren hin­

terlassen. Ich würde mich aber nicht als eine

explizit von neuen Medien geprägte oder diese

thematisierende Autorin bezeichnen.

Margareth Obexer: Nicht uDie Liebenden .. ,

bei dem noch der Anrufbeantworter ein zentra­

les Kommunikationsmedium darstellt und

hauptsächlich intertextuelle bzw. mediale Bezü­

ge wie lngeborg Bachmanns uDer gute Gott von

Manhattan" oder der Film «Harold and Maude"

dem Stück eingeschrieben sind.

Die neuen Medien erschließen vor allem

auch neue Möglichkeiten des Erzählens und

sprechen damit einen zentralen Punkt des

Schreibens an. Ich kann mir sehr gut vorstellen,

dass mit den neuen Medien auch neue Bühnen­

texte entstehen.

Andri Beyeler: Bisher weder direkt noch

bewusst. Ich habe mir zumindest noch bei keinem

Stück überlegt, eine- was weiß ich- Chat-Room­

Dramaturgie zu versuchen. Es sind- im Moment­

mehr unmittelbar «erzählerische" Techniken, die

mich interessieren, und weniger der ganze medi­

al vermittelte Kram.

2. Findet beim Schreiben überhaupt eine

Auseinandersetzung mit den elektronischen Me-

DRAMATURG 1/2004

dien statt? Oder spielen sie - trotz ihres weit rei­

chenden Einflusses auf die Gesellschaft - über­

haupt keine Rolle für deinen Schreibprozess?

R. K.: Ich benutze elektronische Medien zum

Arbeiten, und sie kommen auch schon ·mal in

meinen Stücken vor- z. B. wenn es um Personen

geht, deren Verhalten stark von neuen Kommu­

nikationstechniken oder medialen Möglichkeiten

geleitet wird. Trotzdem mischen sich die neuen

Medien in ihrer Bedeutung für mich eher gleich­

wertig unter andere, «traditionelle" Einflüsse.

M. 0.: Ich schreibe - wie wohl die meisten -

direkt in den Computer hinein, damit beschränkt

sich zunächst der Einfluss elektronischer Medien

auf den Schreibprozess.

Da ein künstlerisches Arbeiten mit diesen

Medien sich hauptsächlich im Produktionsprozess

auf der Bühne abspielt, müsste es eine konkrete

Zusammenarbeit mit dem Theater oder Regisseur

geben, um diese Auseinandersetzung auch für das

Schreiben nutzbar machen zu können.

Vielleicht sind es die neuen Medien, die die

meist atomisierten Theaterfunktionen wieder zu­

sammenbringen- und auch darüber neue ästhe­

tische Möglichkeiten erschließen.

A. B.: Auch hier gilt eigentlich, dass ich mich

schreibenderweise bisher weder direkt noch be­

wusst mit elektronischen Medien auseinanderge­

setzt habe.

Allerdings glaube ich, auch als Schreibender

Teil der Gesellschaft iu sein, und wenn die Neuen

Medien einen weit reichenden Einfluss auf diese

haben, dann werden sie es wohl auch auf mich

haben und so vielleicht auch für meinen Schreib­

prozess eine Rolle spielen.

Wahrend des Sympo~ siums fanden drei parallele Workshops zu Stücken der Autoren Rebekka Kricheldorf, Margareth Obexer und Andri·Beyeler statt. Diese Workshops wurden abgeschlossen in einer Podiums­diskussion am Sonntag­mittag, die auf diesen Seiten rekonstruiert wird. Weitere Teilneh­mer: Step~anie Lubbe (Dramaturgin, Schau­spiel Staatstheater Stuttgart), Martina Grohmann (Dramatur­gin, Landestheater Württemberg-Hohen­zollern Tübingen Reut­lingen), Petra Thöring (freie Dramaturgin, Berlin), Florian Vogel (Dramaturg, Schauspiel Staatstheater Stutt~ gart) und lnge Zeppen­feld (Dramaturgin, Theater Osnabrück); Gesprächsleitung: Axel Preusz (Chefdra­maturg, Landestheater Württemberg~Hohen~

zollern Tübingen Reutlingen).

31

Page 34: Resumee des Symposiums -. Die Bühne und die Medien · Prinzip verzichtbare Fremdkörper auf einer Bühne erscheinen darf, nicht ob er prinzipiell als Fremd ... Theater haben, wenn

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Ich meine, ich gucke ja schon auch, was da 4. Wie kommst du generell zu einem Stoff?

draußen passiert. Ich versuche, mich schreiben- Suchst du ihn? Oder lässt du dich gewissermaßen

derweise zu dem, was da draußen passiert, zu ver- «von ihm finden»?

halten. Und wenn da draußen passiert, was pas­

siert, weil die da draußen alle von den Neuen .

Medien weitreichend beeinflusst sind, dann wird

sich das wohl auch in dem, was ich schreibe, nie­

derschlagen.

Oder, um es halbwegs pathetisch auszu­

drücken: Auch ich bin nur ein Kind meiner Zeit.

3. Wie kommt dein Stück in Form? Gibt es

vor oderwährend des Schreibens eine formale

Zielsetzung, die die Struktur und die Dramatur­

gie des Stückes bestimmen?'Oder bedingen die

Größe und die individuelle Qualität des Stoffes die

Form?

R. K.: Meist habe ich eine Stoffidee schon

lange vor Schreibbeginn gefunden - häufig eine

Mixtur aus literarischem Mythos und gerade im

eigenen Leben Relevantem, manchmal aber auch

nur ein Bild oder einen Satz. Diese Idee trage ich

eine Weile mi~ mir herum; und bevor ich mit dem

Schreiben beginne, hat sie schon eine Vielzahl von

Transformationen durchgemacht. Deshalb fällt es

mir immer schwer, Fragen nach dem eigentlichen

Ursprungsgedanken eines Textes zu beantworten.

M. 0.: Es ist ja alles irgendwie Stoff. Dann

sammelt sich zu einem bestimmten Thema oder

einer Geschichte immer mehr Material - wie der

R. K.: Ich habe immer eine formale Vorstel- Staub, der irgendwann elektrisch wird und immer

lung von dem gerade angefangenen Stück, die ich mehr Masse anzieht, bis er glüht.

aber im weiteren Arbeitsprozess nicht didaktisch

durchzusetzen versuche. Meist sucht sich der

jeweilige Stoff während seiner eigenen Mutation

die ihm angemessene Form - was für mich als

Autor in auch. interessanter ist, da ich am Anfang

keine sichere Prognose stellen kann, wie das Stück

letztendlich aussieht bzw. klingt.

M. 0.: Es sind immer auch die Geschichten

selbst, die die Form bestimmen. Doch auch un­

abhängig davon ist die Auseinanders,tzung mit

Schreibweisen und Erzählformen zentral.

Insofern beeinflusst umgekehrt die Beschäf­

tigung mit Theatersprachen auch die Geschich­

ten.

A. B.: Eine formale Idee, auch ein fo.rmales

Interesse war bis jetzt bei jedem Stück, das ich

geschrieben habe, von Anfang an da. Die und das

verfolge ich dann beim Schreiben und passe aber.

auch an.

A. B.: Ich hantiere nicht so offensiv mit dem

Begriff Stoff. Ich überlege mir, wenn ich einen Text

beginne, weniger, was ein guter Stoff ist, sondern

welche Fragen mich gerade umtreiben, welche

Situationen und Vorgänge, we!ches Verhalten und welche Mechanismen mich interessieren. Und wel­

ches die Form sein könnte, damit umzugehen.

Wo ich hingegen vom Stoff-Finden respek­

tive vom Stoff-Gefundenwerdeo sprechen könn­

te, sind Auftragsstücke. Also beispielsweise war

es bei «Die Kuh Rosmarie» so, dass die Bilder­

buchvorlage von Anfang an da war. Da hat also

der Stoff mich gefunden.

5. Welche Kriterien legst du an einen Stoff

an, um 'zu prüfen, ob ·er sich auch wirklich für die

Bühne eignet?

R. K.: Ich glaube, dass sich fast jeder Stoff

potenziell für die Bühne eignet. Es kommt darauf

DRAMATURG 112004

Page 35: Resumee des Symposiums -. Die Bühne und die Medien · Prinzip verzichtbare Fremdkörper auf einer Bühne erscheinen darf, nicht ob er prinzipiell als Fremd ... Theater haben, wenn

an, was für eine Form man ihm ~gibt. Mich inte­

ressieren vorrangig Themen, die über das Private

hinaus auf etwas Allgemeines verweisen, einen

bestimmten Rahmen von Intimität sprengen.

M. 0.: Er muss sich für mich eignen, für den

Fundus an fiktiven Möglichkeiten, an sprachlichen

und erzählerischen Momenten, die er selbst mit

entzündet- und die ich ihm anbieten kann.

A. B.: Grundsätzlich glaube ich, dass man

auf der Bühne alles erzählen kann und also alles

geeignet ist. um auf der Bühne erzählt zu wer­

den. Oder ich glaube zumindest, dass man ver­

suchen kann, alles auf der Bühne zu erzählen.

Dass man zumindest versuchen kann, alles zu

versuchen. Kommt halt, glaube ich, auf die Form

an. Also ob man die jeweils entsprechende fin­

det.

6. Frage aus dem Publikum: Inwiefern lässt

sich bei den hier vorgestellten Stücken von poli­

tischem Theater sprechen? Werden hier nicht vor­

nehmlich private, also unpolitische Themen ver­

handelt?

R. K.: Das knüpft direkt an die letzte Frage

an: ln Bezug auf meine Texte halte ich das Eti­

kett «privat» für falsch:- Die in meinen Stücken

auftretenden Figuren sind schon deshalb öffent­

lich, weil sie keine rein psychologisch funktio­

nierenden Privatpersonen, sondern immer auch

Archetypen sind. Ob der Versuch, Themen mit

gesamtgesellschaftlicher Relevanz zu behandeln,

an sich schon als politisch zu bezeichnen ist, ist

eine Frage nach der Definition von «politischem

Theater". Da mein Verständnis von politischem

Theater die Absicht beinhaltet, eine Botschaft los­

zuwerden und gesellschaftsverändernd zu wirken,

würde ich meine Stücke nicht als politisch be­

zeichnen.

DRAMATURG 1/2004

M. 0.: Ich weiß nicht, was ein privates Thema

ist.- aber ich glaube nicht, dass es die Grenze zum

Politischen darstellt.

Ob etwas «privat» ist, ist eine Frage der Form,

die es zusammen mit der Geschichte entweder

geschafft hat, eine solche zu sein - oder eben

nicht.

A. B.: Grundsätzlich verspüre ich wenig

Bedürfnis, meine Stücke zu etikettieren und also

zu sagen: Das ist ein Stück politisches Theater.

Auch glaube ich aus solchen Fragen jeweils

rauszuhören, dass der/die Fragende eigentlich gar

nicht (<politisch)) meint, sondern (ddeologisch». Ich verstehe nämlich unter «politisch» erst

einmal nöffentlichkeitsrelevant». Und natürlich

halte ich meine Stücke für öffentlichkeitsrelevant

(und also politisch). ich schreibe die ja, damit sie

gespielt werden, dass sie in der Öffentlichkeit

·stattfinden.

Und so gesehen ist ja dann auch eigentlich

jedes Stück, das gespielt wird oder s.onstwie an die

Öffentlichkeit gelangt, politisch. Und somit auch

die so genannten nunpolitischen Stücke». Die sind

so gesehen dann eben einfach affirmativ. Dass das

zuweilen vergessen wird, hängtwohl auch damit

zusammen, dass, wenn nach «politischen Stücken»

gefragt wird, in der Regel ja nirgendwie gesell­

schaftskritische Stücke» gemeint wird.

Des Weiteren frage ich mich, ob es über­

haupt so etwas gibt wie private, also unpoliti­

sche Themen. Ich glaube zum Beispiel einfach

nicht, dass ein Thema wie sexueller Missbrauch

in so genannten Liebesbeziehungen, was ich in

nsouviens" verhandle, ein privates Problem sein

soll.

Dass ich mich frage, ob es überhaupt so

etwas gibt wie private, also unpolitische Themen,

hängt auch damit zusammen, dass ich es schlecht

fertigbringe, ein Thema. losgelöst von der Form,

in der es verhandelt wird, zu denken. 111

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Page 36: Resumee des Symposiums -. Die Bühne und die Medien · Prinzip verzichtbare Fremdkörper auf einer Bühne erscheinen darf, nicht ob er prinzipiell als Fremd ... Theater haben, wenn

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Kleist-Förderpreis für junge Dramatiker

Laudatio von John von Düffel auf «fieberweltenn Von Daniel Mursa

Es war einmal ein arm Kind und

({ hatt kein Vater und keine Mutter,

war alles tot, und war niemand mehr auf

der Weit. Alles tot, und es is hingegan­

gen und hat gesucht Tag und Nacht. Und

weil auf d.er Erde niemand mehr war,

wollt's in den Himmel gehen, und der

Mond guckt es so freundlich an; und wie

es endlich zum Mond kam, war's ein

Stück faul Holz. Und da is es zur Sonn

gangen, und wie es zur Sonn kam, war's

ein verwelkt Sonneblum. Und wie's zu

den Sternen kam, waren's kleine goldene

Mücken, die waren angesteckt, wie der

Neuntöter sie auf die Schlehen steckt.

Und wie's wieder auf die Erde wollt, war

die Erde ein umgestürzter Hafen. Und es

war ganz allein.>) An dieses Märch·en des Weltver­

lusts, das die Großmutter in Georg Büch­

ners «Woyzeck» erzählt, musste ich den­

ken, als ich zum ersten Mal das Stück

«Dreitagefieber>> von Daniel Mursa las. Es

gibt zwischen den beiden Theater­

stücken keine nennenswerten Parallelen.

Doch in diesem unheimlichen Märchen

· wird eine Atmosphäre beschworen, die

das erste ist, was den Leser von «Dreita­

gefieber" einfängt und mit hineinzieht

in die Geschichte von vier Geschwistern

in einem dreitägigen Fieberzustand, in

dem Vergangenheif und Gegenwart ein­

ander durchdringen.

Die Ausgangssituation von Daniel

Mursas Stück scheint einfach: Strik,

Tanja und Friedrich wohnen zusammen.

in einem der oberen Stockwerke eines

Hochhauses. Sie sind zwischen dreißig

und fünfunddreißig Jahre alt, gehören

somit zu der Generation, die mitten im

Leben stehtoder zumindest stehen soll­

te. Und sie erwarten Besuch. Friedrich

hat eine Frau namens Huth kennen

gelernt, die vorbeikommen will. Und wie

in vielen Stücken handelt es sich dabei

um eine Besucherin aus der Vergangen­

heit: Ruth ist die leibliche Schwester von

Tanja und Strik. Ihre totgesagte Schwe­

ster. Und Friedrich, der Adaptivbruder

der beiden, ist derjenige, der nach Ruths

Verschwinden ihren Platz eingenommen

hat.

Nichts ist, was es ist, in diesem

Stück von Daniel Mursa. Der Besuch von

Ruth wirft Schatten der Verunsicherung

voraus. Und die Mittdreißiger, die

eigentlich verwoben sein sollten in das

Geflecht des Lebens, schweben in

schwindelnder Höhe über dem Abgrund

der Dinge wie Kinder in einem Fieber­

traum. Tanja schlägt sich wiederholt die

Kni'e auf, als wäre sie ein kleines

Mädchen auf dem Spielplatz. Die Geräu­

sche, die von der Weit unter ihnen her­

aufdringen, verwandeln sich. Das Uner­

löste ihrer Vergangenheit belegt sie mit

bleiernem Bann:

TANJA

Ich konnte nicht schlafen Gestern

Strik

Ich bin noch müde

Ich bin a~fgewacht Mitten in der Nacht

Jemand hat Steine in den Fluß gekippt

Das heißt

Mir war

Als schütte jemand Steine -in den Huß Und als das nicht aufhörte

Da bin ich ans Fenster gegangen

Und draußen war ein Sc.hwarm kleiner

schwarzer Fliegen

Die sich von einem toten Tier erhoben

Einem Vogel

Glaube ich

Und da wußte ich

Daß das· Geräusch keine Steine waren

Sondern das Summen von den Fliegen

im Flug

Über dem Vogel

Strik

Und später in der Nacht härte ich einen

Hund

Der unten am Fluß Knochen zerbeißt

Dachte ich

Wirklich

Und dann saß ich wieder senkrecht im Bett

Und stand auf

Und sah aus dem Fenster

Eine ganze Weile

Aber ich s,ah nichts

Und am M.orgen stellte ich dann fest

Daß das Freßgeräusch von den Wellen kam

Die gegen das Boot da unten schlugen

Das im Wasser liegt

Das blaue

Aber das wußte ich erst am Morgen

Und also sah ich weiter aus dem Fenster

Und härte den Hund

Der am Ufer Knochen zerbeißt

Als ich über dem Gestrüpp am Ufer

So etwas wie eine Rauchsäule sah

Und diese Säule stieg und fiel

Eine dünne graue Säule

Doch es war nirgends ein Feuer zu sehen

Und ich konnte mir das· nicht erklären

Bis ich endlich sah

Daß die Säule g~r kein Rauch war

Sondern nur ein Schwarm Mücken

· Ein Schwarm Mücken

Seltsam

Nein

Das ist doch seltsam

Ein Schwarm Mücken

Nachts))

Figuren, die so reden und empfin­

den, sind vom Zeitgeist einer Generation

xy weit entfernt. Ihr Blick ist geradezu

kindlich, märchenhaft im bösesten, Woy"

zeck'schen Sinne. Siespüren das Unheim­

liche im Vertrauten, die Kriechströme der

Bedrohlichkeil unter den Dingen. Mursas

Protagonisten leben in ihrer eigenen,

abgleitenden Weit, die auch bei Tag nicht

fester, nicht sicherer und beherrschbarer

wird. Das Fieber ihrer Nächte macht vor

DRAMATURG 1/2004

Page 37: Resumee des Symposiums -. Die Bühne und die Medien · Prinzip verzichtbare Fremdkörper auf einer Bühne erscheinen darf, nicht ob er prinzipiell als Fremd ... Theater haben, wenn

Der 25-jährige Daniel Mursa erhält. für sein Stück «Dreitagefieber» ·(erschienen im Rowohlt Theater Verlag) den Kleist-Fördeq)reis für junge Dramatiker, der in diesem Jahr zum neunten Mal vergeben

der Dramaturgischen Gesellschaft (Petra Thöring und Florian Vogel), des Kleist Forum Frankfurt, der uraufführenden Bühne und dem Autor und Dramaturgen John von .Düffel, der auch die Laudatio halten wird, wählte das Stück aus 84 E'insendungen aUs. Die Urauf­führungsinszenierung von «Dreitagefieber>) wird als Koproduktion des Landestheaters Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen und des Kleist Forum Frankfurt im Frühjahr 2005 in Tübingen Premie­re haberi und kurz darauf auch in Frankfurt (Oder) zu sehen sein.

wird. Neben einem Preisgeld von 7670 Euro beinhaltet der Preis auch eine Uraufführungsgarantie für das Stück. Überreicht wird die Urkun­de durc~ Frankfurts Oberbürgermeister Martin Patzelt im Namen der Stadt Frankfurt (Oder), die den Preis zusammen mit der Dramaturgi-

schen Gesellschaft jährlich auslobt. Die Jury, bestehend aus Vertretern

den wachen Sturiden nicht halt Angst

und Verunsicherung bekommen" lediglich

ein anderes Gesicht. Strik und Tanja,

Friedrich und die verlorene Schwester

Ruth verlassen die Wohnung ihres priva­

ten Vertigos kaur:n noch, das Außen

schwindet. Sie verbringen ihre Fieberzeit

in einem seltsamen Schwebezustand aus

Verlorenheil und Privilegiertsein, beina­

he wie die Aristokraten in Büchners

uDantonsTod», die es nicht wagen, einen

Fuß in eine gewöhnliche Pfütze zu set­

zen, aus Angst, es könnte ein Loch sein,

durch das sie aus der Weit fallen.

Doch nicht nur für die Atmosphäre

von «Dreitagefieber>• ist Tanjas Monolog

oder besser Gesprächsversuch bezeich­

nend. Darin enthalten ist auch das

Erzählmuster des gesamten Stücks: Sie

hört das Geräusch von Steinen, die in

einen Fluss geschüttet werden, und muss

dann feststellen, dass es Fliegen vor

ihrem Fenster sind. Sie hört einen Hund,

der Knochen zerbeißt, und sieht dann,

dass es sich um Wellen handelt, die

gegen ein Boot schlagen. Und die

Rauchsäule in der Luft erweist sich als

ein Mückenschwarm. Wahrnehmen und

Wissen gehen in diesem Stück aus~

einander. Ahnung und Erkenntnis,

Gefühl und Gewissheit separieren sich.

Nicht nur die Figuren, sondern auch

der Leser sucht in Daniel Mursas Fieber­

weit bisweilen vergebens nach Halt und

verlässlichem Grund. Was sich so still

und unspektakulär entrollt. ist gleichzei­

tig ein regelrechter Fieberkrimi. Der

uMord» allerdings ist schon gewesen,

und wir wohnen den Wirren seiner Ent­

rätselung bei. Die Katastrophe, das

Drama der äußeren Handlungen liegt

zurück in der Vergangenheit. Was bleibt.

ist das Drama der Erkenntnis über die

damals entstandene Schuld. Und Daniel

Mursa erzählt die Geschichte ihrer Ent­

hüllung in einer prekären Balance von

Irritation und Information.

DRAMATURG 1/2004

Zwischen Mitgefühl und dem Blick

des Diagnostikers schwankt denn auch

die Haltung des Lesers zu diesem Text

und seinen Figuren. Manchmal erschei­

nen Strik, Tanja, Friedrich und Ruth so

verloren, dass man nicht umhin kann,

mit ihnen zu empfinden. Manchmal

sieht man in ihrem Verhalten Anzeichen

eines Krankheitsbilds. Mursas Stück ist

eine kleine Phänomenologie des Fiebers:

Die Symptome sind gegeben, finden Sie

die Ursache heraus! Dochtrotz ihrer Fie­

berkurven werden seine Figuren keine

pathologischen Fälle, bleiben sie Men­

schen auf unsicherem Grund, die suchen

und insistieren, wo sie gefunden zu

haben glauben.

Diese Ambivalenz ist entscheidend.

Mursas Stück lebt von der Wandelbar­

keit sämtlicher Wahrheiten und Haltun­

gen, von ihrem fiebrigen Doppelsinn.

Doch das macht es dem Theater auch

kolossal schwer. Anders als ein reiner

Text hat das Zeichensystem Theater mit

seinen zusätzlichen Codes der Körper­

sprache, des Untertons und Spiels eine

Tendenz zur Eindeutigkeit, die das

Geheimnis, das der Text hütet, zerstören

kann. Die Lektüre lässt viele der einfach­

sten Fragen offen und bezieht ihre

Spannung mitunter aus eben dieser

Offenheit und der Unschärfe möglicher

Antworten: uWer sind diese Figuren,

warum reden und handeln sie so, was

hat sie derart aus dem Leben geworfen?»

Eine Inszenierung, die diese Fragen .zu

früh und zu deutlich beantwortet,

macht aus dem Erkenntnisdrama eine

Tautologie. Eine Inszenierung, die keine

Antwort darauf weiß, macht aus

Unschärfe Verschwommenheit und aus

den Rätseln des Textes eine Mogel­

packung inhaltsleerer Geheimnisse ..

Daniel Mursa hat ein Stück

geschrieben zwischen Fallstudie und

empathischer Geschwistergeschichte. Er

hat mit seinen Figuren eine Weit eröff-

netzwischen Fieberwahn und Wirklich­

keit. Und er hat ihnen eine Sprache

gegeben zwischen geschwisterlicher

Vertrautheit und dem Pathos des

Schweigens. Wo das Theater gern «ent­

weder oden> sagen würde, sagt Mursa

usowohl als auch», und diese Spannung ·

des Inkompatiblen nnuss das Theater

aushalten. Es steht in der Tradition des

Kleist-Förderpreises der Stadt Frankfurt

(Oder). Texte auszuzeichnen· und junge

Dramatiker zu unterstützen, die sich

nicht so ohne weiteres eintheatern las- ·

sen. Mit ihrer Entscheidung für Daniel

Mursa setzt die Jury des Kleist-Förder­

preises für junge Dramatiker diese Tra­

dition fort.

Und was weiß man über Mursa?

Wie bei den Figuren seiner Stücke·

zunächst einmal wenig. Er wurde l979

in Harnburg geboren, brach sein Germa­

nistikstudium in Berlin ab, um an das

renommierte Literaturinstitut in Leipzig

zu gehen, Fachrichtung Prosa und

Drama. Seine Diplomprüfungen absol­

vierte er über Peter Weiß· und Botho

Strauß. 2002 machte er mit seinem

Stück uNach Bayeux» erstmals als Dra­

matiker auf sich aufmerksam, wurde

eingeladen zu den Werkstatt-Tagen des

Hamburger Schauspielhauses, wo sein

Erstling später uraufgeführt wurde, und

zu den Autorentheatertagen des Thalia

Theaters. «Dreitagefieber>> ist seiri zweic

tes Stück, und es verrät auch etwas von

dem kriminologischen Interesse des

Autors, der seit 2004 dem Studium der

Kriminologie am Institut für Sozialfor­

schung der Universität Harnburg nach­

geht. Wer Daniel Mursa wirklich ist,

bleibt damit wie bei seinen Figuren

ungesagt. Doch er ist vor allem eins: ein

viel versprechender Dramatiker. 1!11

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Page 38: Resumee des Symposiums -. Die Bühne und die Medien · Prinzip verzichtbare Fremdkörper auf einer Bühne erscheinen darf, nicht ob er prinzipiell als Fremd ... Theater haben, wenn

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IMPRESSUM

Dramaturgische Gesellschaft (DG)

Geschäftsstelle: Tempelherrenstraße 4 10961 Berlin

Telefon: 030-693 24 82

Telefax: 030-693 26 54

e-mail: dramaturgische.ges@ snafu.de

www.dramaturgische­gesellschaft.de

Geschäftsführung: Henning Rischbieter

Vorstand: Manfred Beilharz (Vorsitzender), Ann-Marie Arioli, Dagmar Borrmann, Birgit Lengers, Anne-Sylvie König, Jan-linders.-Peter Spuhler, Florian Vogel

Redaktion: Henning Rischbieter, Heldrun Schlegel

ISSN Nr. 1432-3966

Inhalt

Anstatt eines Editorials Seite 1

Theater ist kein Medium - aber was bewirkt es, wenn der Mann mit der Videokamera auf der Bühne arbeitet? von Diedrich Diederichsen

Seite 3

Was bewirkt die Kamera auf der Bühne bei den Schauspielern?. vdn Carl Hegemann

Seite 8

Was alles video-technisch möglich ist von jan Lindcrs

Seite 10

Warum und wie man Kinofilme aufs Theater bringt

Seite 13

Das Drama des Sehens Live-Video auf der Bühne oder die Politik des Blicks von Themas Oberender

Seite 15

Medien dürfen auch Spaß machen -und das Theater bleibt der Souverän von Jens Roselt

Seite 21

Ein PS im Medienzeitalter - Mediale Mittel. Masken und Metaphern im Theater von Rene Pollesch von Birgit Lengcrs

Seite 24

Drei. Autoren - sechs Fragen Resumee der drei Workshops mit Autoren

Seite 31

KleisHörderpreis 2004 Laudatio von John von Düffel

Seite 34

Mitgliederversammlung der Dramaturgischen Gesellschaft

Am Rande des Symposiums in der Volksbüh­

ne fand die alljährliche Mitgliederversammlung

der Dramaturgischen Gesellschaft statt. Die lau­

fende Jahrestagung wurde dort diskutiert und

positiv bewertet. Außerdem wurde folgende Sat­

zungsänderung beschlossen:

§9, letzter Absatz («Das nach Beendigung der

Liquidation ... ausgeführt werden.")

wird geändert und lautet: «Bei Auflösung des

Vereins oder bei Wegfall steuerbegünstigter

Zwecke fällt sein Vermögen an eine juristische

Person des öffentlichen Rechts oder eine andere

steuerbegünstigte Körperschaft zwecks Verwen­

dung für Förderung von Kunst und Kultur in

Deutschland.»

Das Symposium <!Schnittstelle Theater11 wurde gefordert durch

den Hauptstadtkulturfonds.

DRAMATURG 1/2004

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Arbeitsweisen

Die Zielsetzung der Dramaturgi­schen Gesellschaft soll erreicht werden u. a. durch: - die Förderung des Erfahrungs­austausches und des Zusammen­wirkens dei- Mitglieder und anderer ln teressierter: - durch die Veranstaltung von Jahrestagungen, die abwechselnd in verschiedenen Theaterstädten Deutschlands, Österreichs und der Schweiz stattfinden, -durch die Veranstaltung von

Dramaturgischen Tagen, die jew.eils unter einem bestimmten Thema stehen, -.durch Diskussions- und Vortrags­veranstaltungen zu grundsätzlichen und aktuellen Problemen,

l i e I setzu n g en

Die Dramaturgische ßesellschaft (dg) ist ein Zusammenschluss der im Bereich der Darstellenden Kün­ste und ihrer Medien Theater, Film, Fernsehen, Hörfunk u. a. Tätigen und Interessierten. Ihre Aufgabe ist die Diskussion und Formulierung künstlerischer und gesellschaftspolitischer Vor­stellungen und die Wahrung und Durchsetzung beruflicher Inter­essen. Sie versucht, möglichst viele der in diesem Bereich arbeitenden und _interessierten Personen und Grup­pen zu sammeln, ihren Austau~ch untereinander zu fördern und ihre Arbeit zu dokumentieren.

.-durch die· Herausgabe der Zeit­schrift .. Dramaturg" und durch die Herausgabe der Schriftenreihe der Dramaturgischen Gesellschaft; -sowie durch: die Bildung von Arbeitsgruppe_n, in denen Mitglieder und andere Interessiertedramaturgische Teil­bereiche bearbeiten; ' - die Veröffentlichung von Stellung­nahmen zu kulturpolitischen und dramaturgischen Entwicklungen; - die Vermittlung von Auskünften zu dramaturgischen Fragen; - die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen und W:rbänden.

Die Dramaturgische Gesellschaft versteht Dramaturgie im weitesten Sinne des Wortes als Vermittlung zwischen Darstellender Kunst und ihren Produktionsformen. Sie befasst sich mit dramatischer Literatur, mit Theater- und Medientheorie, mit Publikum und Öffentlichkeit.

Die Darstellenden Kün?te und ihre Medien unterliegen einem Verän­derungsprozess. Ne~e technologisch bedingte Informations- und Korn­munikationssysteme etablieren Sich und treten in Konkurrenz zu den bisherigen. Die ökonomischen und kulturpoli_tischen Bedingungen für die Darstellenden Künste verschär-

Arbeitsgruppen Zu einzelnen Fragen und Pr_oblem­feldern können von den Mitglie­dern Arbeitsgruppen gebildet werden, die sowohl ad hocals auch langfristig Themen erarbeiten und öffentlich wirksam ~achen.

fen sich. Zugleich fordern neue, teilweise alternative Formen der Theater-, Film-, Videoproduktion die Künste und ihre bestehenden Institutionen heraus. ln der ästheti­schen und kulturpolitischen Diskus­sion stehen jedoch.dramaturgische, ästhetisch-konzeptionelle und künstlerisch-gesellschaftspolitische Fragen bislang noch allzu öft im Hintergrund und werden.von tech­nischen und parteipolitischen Inter­essen überdeckt. Die Dramatur-. gisehe Gesellschaft will sie stärker ins öffentliche Bewusstsein rücken.

Foru~ Junge Dramaturgie Seit Januar 1997 gibt es innerhalb der Dramaturgischen Gesellschaft das Forum junge Dramaturgie. Die Idee war, einen Gesprächsraum zu schaffen, der jungen Dramaturgen· und anderen Interessierten die Gelegenheit bietet, jenseits von pragmatischen Entscheidungen des Theaterbetriebs ileue Stücke zu lesen und diese gemeinsam mit den Autoren zu diskutieren. Inzwischen kommen Verlags- und Schauspiel­dramaturgen, Regisseure und Stu­dierende aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz zu den Gesprächen, die etwa alle acht Wochen stattfinden {Termine unter .www.forum-dramaturgie.de).

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Antrag auf Mitgliedschaft Mitgliedsbeitrag Einzugsermächtigung Ich möchte der Dramaturgischen Gesellschaft beitreten. Der Jahresbeitrag beträgt seit

dem 16.11.1993:

Ich ermächtige die Dramaturgische Gesellschaft widerruflich, den von mir zu entrichtenden

Name, Vorname

Straße/Nr.

Pll/Ort

Telefon/Telefax

E-mail

G eburtsdatum/Beruf

Bitte in Druckschrift ausfüllen.

Alte Bundesländer

persönliche Mitglieder € 62,­

(ermäßigt € 22,-)

korporative Mitglieder € 210,-

Neue Bundesländer ...

persönliche Mitglieder € 37,­

(ermiirligt€i8,5o)

korporative Mitglieder €' 128,-

Schweiz

persönliche Mitglieder SFr. 143 ... -

(ermäßigt SFr 50,-)

korporative MitgliederSFr 494,-

Jahresbeitrag in Höhe von bei Fälligkeit zu Lasten meines Kontos-einzuziehen. Weist mein Konto die erforderliche Deckung nicht auf, besteht seitens des kontoführenden Instituts keine Verpflichtung zur Einlösung.

Geldinstitut/Ort

·Bankleitzahl

Kontonummer

Ort/Datum

Unterschrift

Dramaturgische Gesellschaft Vorstand (seit 2002):

Dr. Manfred Beilharz, Wiesbaden {Vorsitzender) Ann-Marie Arioli, Wiesbaden

M itg I ieder

Dagmar Borrmann, Leipzig

Birgit Lengers, Berlin Anne-Sylvie König, Kassel Jan lindfrs, Berlin Peter Spuhler, Tübingen

Florian Vogel, Stuttgart Geschäftsführung: Henning Rischbiete~ Geschäftsstelle: Dramaturgische Gesellschaft .Tempel herrenstraBe 4, D- 10961 ·serlin

Telefon 030/693 24 82

Telefax 030/693 26 54

e-mail: [email protected] www.d ra m atu rg ische-g esellsca hftd e

Postbank Berlin Bll 100 100 10

Kto Nr. 7769 100

Die Dramaturgische Gesellschaft ging 1956 aus dem 1953 entstandenen Dramaturgischen

Arbeitskreis hervor. Von der Gründung an versteht sie sich als eine Gesellschaft, die keine

parteipolitischen und gewerblichen Ziele verfolgt.

Waren in ihr zunächst nur die auf dem Gebiet der Dramaturgie tätigen Personen vereinigt, so versteht sich die Gesellschaft seit ihrer Satzungsänderung im Jahr 1972 als eine Ver­

einigung von Praktikern und Theoretikern und versucht verstärkt, nicht nur diejenigen anzusprechen, die aus beruflicher Tätigkeit, sondern auch d_ie, die aus persönlichen Gründen an Fragen der Dramaturgie interessiert sind.

Die Gesellschaft hat gegenwärtig ca. 350 persönliche und 11 korporative Mitglieder. Mitglied kann jede natürliche oder juristische Person werden, die im Sinne der Gesellschaft tätig ist. Die Mitgliedschaft .sollte schriftlich beantragt werden.

' ............................................................................................................................................... . Lieferbare Publikationen

Schriften ä € 5,-

Tournee-Theater, 1975 Friedrich Schultze, 1975 SteuerrefOrm und Theater­

finanzierung, 1976 25 Jahre DramC!turgische Gesellschaft, 1978

Theater·von heute·-···RäÜme

von gestern, 1979 Sprache und Sprechen, 1979

Ist das Theater noch zu retten?- Politische Wende=

Theaterwende?, 1984 Unlust an Erstarrung- Lust auf Veränderung ·(Schauspiel­

Musiktheater), 1985

Brauchen Fernsehspiel und Hörspic:l eine neue Drama­turgie?, 1986 Deutsche Dramaturgie -als Beispiel?, 1986

Heiner Müller I Unterhaltung im Theater, 1987 Tanztheater I Mordsweiber I ~Kolt<:s, 1990

Sturz vom Sockel? Künstlerische Arbeit._ in den

Medien der DDR, 1991

Theaterarbeit Ost/West, 1994

Dramaturgie heute, 1996/97

Herausforderungen zu Grenzüberschreitungen, 1998

Jahrestagung Dresden 1999

Jahrestagung Berlin 2000

Einzelveröffentlichungen ä € 4,-

Theatt:r in Berlin nach .1.945, 1984

Frauen im Theater (FiT):

Dokumentation 1984 Frauen im The~ter (FiT): Dokumentation 1985

Frauen im Theater (FiD: Dokumentation 1986/87

Mitgliederzeitschrift DRAMATURG

lieferbar ab 1985

Einzelheft ä € 2,­

Doppelheft ä € 4,-

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