Ro ckende Grosis - Kaito · 38 | Migros-Magazin 15, 11.April2011 Z rcher Gr ossm tter-Band:...

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Grossmutter-Kopf abgebildet.» Ist das nicht bloss ein Logo, das nie- mand ernst nimmt? «Nein, noch ein Beispiel: Bis vor zwei Jahren hatte ich meine Haare rot gefärbt, jetzt sind sie grau. Plötzlich spricht man mich in Läden nicht mehr in der Höflichkeitsform an, also «Händ Sie no e Wunsch?», son- dern «Händ er no e Wunsch?». Als Individuum werde ich nicht mehr wahrgenommen.» Als Ursula Steiger letztes Jahr per Zufall auf die «Grossmütter- Revolution» stiess, war die frisch Pensionierte Feuer und Flamme. Sie nahm an der ersten sogenann- ten Zukunftskonferenz des Pro- jekts teil und spontan hatte sie die Idee, eine Band zu gründen. Nicht irgendeine eine Gross- mütter-Rockband sollte es sein. Ursula Steiger stammt aus einer Künstlerfamilie, Musik spielte in ihrem Leben schon eine wichtige Rolle, als sie noch ein kleines Mädchen war. Und bis zu ihrer Pensionierung war sie Verwal- tungsdirektorin an der Zürcher Jugendmusikschule. Auf eine Ausschreibung hin stiess schon bald die Musiklehre- rin Marianne Feder (53) dazu. Mit Tänzerin Dominique Prêtre (61) war das Trio komplett. Die fünf- fache Grosmutter, die eine Ausbil- dung in klassischem Balett hat, beherrscht vom Tango bis zum Flamenco die verschiedensten Tanzrichtungen. Geübt wird an jedem Wochenende «Wir lassen uns in kein musika- lisches Korsett zwängen» sagt Marianne Feder, Songschreiberin und Texterin der Band. «Wir be- wegen uns im Mundartrock, ha- ben aber auch Cabarett-Elemente im Programm.» In ihren Texten persiflieren die Mammutz das Alter, Grosi-Klischees sowie den Gesundheits- und Jugendwahn. Polo Hofers Klassiker «Alperose» kann dabei schon mal zum Mam- mutz-Song «Oschteoporose» mu- tieren. «Musik und gerade Hits ermöglichen einen emotionalen Zugang zu diesen Themen», er- S ie begnügen sich nicht mit Backen, Stricken und Mär- chen erzählen: Die Gross- mütter von heute sind gebildet, berufstätig und politisch wie kul- turell interessiert. Und während früher Frauen durch die vielen Geburten und harte körperliche Arbeit bereits gegen die 50 phy- sisch verschlissen waren, sind sie heute gesund: Nach der Pensio- nierung haben Frauen noch 20 bis 30 Jahre vor sich; die durchschnitt- liche Lebenserwartung liegt bei ihnen hierzulande bei rund 83 Jahren. Genau für diese aktiven Gross- mütter hat das Migros-Kulturpro- zent 2010 die «Grossmütter-Revo- lution» lanciert. Ziel ist es, das neue Rollenbild der Öffentlichkeit bewusst zu machen, interessierte Frauen untereinander zu vernet- zen und verschiedene Projekte anzustossen (siehe Box rechts). Eines davon ist die Grossmutter- Rockband Mammutz. Initiatorin der Mammutz ist Ursula Steiger. Was stört die 64-Jährige an der traditionellen Grossmutter-Rolle? Was soll daran verstaubt sein, sich um die Enkel zu kümmern? «Um das gehts doch nicht», sagt Steiger, «mich nervt einfach dieses klischeebehaftete Oma-Bild, wie es in der Öffent- lichkeit immer noch präsent ist. In der Werbung zum Beispiel egal ob bei Gerstensuppe oder Hack- braten heisst es immer ‹nach Grossmutterart›, und nebenan sei so ein schrumpliger, grauhaariger Revolution der Grossmütter Das traditionelle Bild der Grossmutter hat ausgedient — wie aber sieht das neue aus? Dieser Frage widmet sich die «Grossmütter- Revolution» des Migros-Kulturprozents. Hier diskutieren Frauen ihre Rolle in Familie und Gesellschaft, entwickeln gemeinsame Ziele und Visionen. Der Aufruf zur Revolte der Grosis trifft offenbar den Nerv der Zeit: Die beiden Zukunftskonferenzen waren im Nu ausgebucht. www.grossmütterrevolution.ch Rockende Grosis Die Rockband Mammutz spielt gegen das verstaubte Grosi-Bild an. Das Trio ist Teil der «Grossmütter-Revolution». Das Projekt des Migros-Kulturprozents will Bild und Rolle der Frauen in der Gesellschaft verändern. 38 | Migros-Magazin 15, 11. April 2011

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Grossmutter-Kopf abgebildet.» Istdas nicht bloss ein Logo, das nie-mand ernst nimmt? «Nein, nochein Beispiel: Bis vor zwei Jahrenhatte ichmeine Haare rot gefärbt,jetzt sind sie grau. Plötzlich sprichtman mich in Läden nicht mehr inder Höflichkeitsform an, also«Händ Sie no e Wunsch?», son-dern «Händ er no eWunsch?». AlsIndividuumwerde ich nichtmehrwahrgenommen.»

Als Ursula Steiger letztes Jahrper Zufall auf die «Grossmütter-Revolution» stiess, war die frischPensionierte Feuer und Flamme.Sie nahm an der ersten sogenann-

ten Zukunftskonferenz des Pro-jekts teil – und spontan hatte siedie Idee, eine Band zu gründen.Nicht irgendeine – eine Gross-mütter-Rockband sollte es sein.Ursula Steiger stammt aus einerKünstlerfamilie, Musik spielte inihrem Leben schon eine wichtigeRolle, als sie noch ein kleinesMädchen war. Und bis zu ihrerPensionierung war sie Verwal-tungsdirektorin an der ZürcherJugendmusikschule.

Auf eine Ausschreibung hinstiess schon bald die Musiklehre-rinMarianne Feder (53) dazu.MitTänzerin Dominique Prêtre (61)war das Trio komplett. Die fünf-facheGrosmutter, die eine Ausbil-dung in klassischem Balett hat,beherrscht vom Tango bis zumFlamenco die verschiedenstenTanzrichtungen.

Geübt wird anjedem Wochenende«Wir lassen uns in kein musika-lisches Korsett zwängen» sagtMarianne Feder, Songschreiberinund Texterin der Band. «Wir be-wegen uns im Mundartrock, ha-ben aber auch Cabarett-Elementeim Programm.» In ihren Textenpersiflieren die Mammutz dasAlter, Grosi-Klischees sowie denGesundheits- und Jugendwahn.Polo Hofers Klassiker «Alperose»kann dabei schon mal zum Mam-mutz-Song «Oschteoporose» mu-tieren. «Musik und gerade Hitsermöglichen einen emotionalenZugang zu diesen Themen», er-

S ie begnügen sich nicht mitBacken, Stricken und Mär-chen erzählen: Die Gross-

mütter von heute sind gebildet,berufstätig und politisch wie kul-turell interessiert. Und währendfrüher Frauen durch die vielenGeburten und harte körperlicheArbeit bereits gegen die 50 phy-sisch verschlissen waren, sind sieheute gesund: Nach der Pensio-nierung haben Frauen noch 20 bis30 Jahre vor sich; die durchschnitt-liche Lebenserwartung liegt beiihnen hierzulande bei rund83 Jahren.

Genau für diese aktivenGross-mütter hat das Migros-Kulturpro-zent 2010 die «Grossmütter-Revo-lution» lanciert. Ziel ist es, dasneue Rollenbild derÖffentlichkeitbewusst zu machen, interessierteFrauen untereinander zu vernet-zen und verschiedene Projekteanzustossen (siehe Box rechts).Eines davon ist die Grossmutter-Rockband Mammutz.

Initiatorin der Mammutz istUrsula Steiger. Was stört die64-Jährige an der traditionellenGrossmutter-Rolle?Was soll daranverstaubt sein, sich um die Enkelzu kümmern? «Umdas gehts dochnicht», sagt Steiger, «mich nervteinfach dieses klischeebehafteteOma-Bild, wie es in der Öffent-lichkeit immer noch präsent ist. Inder Werbung zum Beispiel – egalob bei Gerstensuppe oder Hack-braten – heisst es immer ‹nachGrossmutterart›, und nebenan seiso ein schrumpliger, grauhaariger

Revolution derGrossmütterDas traditionelle Bild derGrossmutter hat ausgedient— wie aber sieht das neueaus? Dieser Frage widmetsich die «Grossmütter-Revolution» desMigros-Kulturprozents.Hier diskutieren Frauenihre Rolle in Familie undGesellschaft, entwickelngemeinsame Ziele undVisionen. Der Aufruf zurRevolte der Grosis trifftoffenbar den Nerv der Zeit:Die beidenZukunftskonferenzen warenim Nu ausgebucht.www.grossmütterrevolution.ch

Rockende GrosisDie Rockband Mammutz spielt gegen das verstaubte Grosi-Bildan. Das Trio ist Teil der «Grossmütter-Revolution».Das Projekt des Migros-Kulturprozents will Bild und Rolleder Frauen in der Gesellschaft verändern.

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Zürcher Grossmütter-Band: Marianne Feder, Ursula Steiger und Dominique Prêtre (von links) stellen AbbeyRoad, das berühmte Plattencover der Beatles von 1969 nach (oben). Die Mammutz am Konzert (kleines Bild).

«Wir lassen uns in keinmusikalisches Korsett zwängen.»

klärt Ursula Steiger, «so erreichenwir dieMenschen direkt und fern-ab jeder trockenen Theorie.

Obwohl die Band erst seit eini-gen Monaten existiert, hat sie be-reits elf Songs im Repertoire undvier Auftritte hinter sich, «vorallem bei den Jungen kommenwirgut an», sagt Ursula Steiger. Federergänzt: «Wir üben jedesWochen-ende und gehen professionell andie Sache ran.» Was hat die erst53-jährige Feder dazu bewogen,

sich der «Grossmütter-Revolu-tion» anzuschliessen? Sie ist ver-heiratet und hat eine Tochter.

«Stimmt, ich bin keine Gross-mutter. Aber es ist klug, wennmansich bereits in meinem Alter Ge-danken macht, wie man sich alspensionierte oder einfach ältereFrau in die Gesellschaft einbrin-gen kann», erklärt MarianneFeder. Eins war ihr schnell klar:«Die nächsten 20 Jahre verbringeich nicht hinter demOfen.» Eben-

so klar war: Die gängigen «ü50-Programme» bringen es nicht.«Mit Besuchen irgendwelcherRebberge oder Ausflügen auf dieInsel Mainau kann ich nun wirk-lich nichts anfangen, tutmir leid»,sagt sie. Das Schreiben von Songs,die Auftritte der Band – hier ist siemit Leidenschaft dabei.

Die«Grossmütter-Revolution»wurde nicht zuletzt von feminis-tisch bewegten Frauen lan-ciert. Inwieweit spielt der

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Feminismus für die Mam-mutz eine Rolle? «Ich bin

eine starke Frau, klar» hält UrsulaSteiger fest. «Aber Feminismus?Das klingt für mich verstaubt, dakommen mir Mottenkugeln inden Sinn. Ich fühlemichwohl un-terMännern.» Ihr Anliegen sei es,Frauen aufzuzeigen, dass gerade

Anette Stade, brauchenwir wirklich eine Revolution derGrossmütter?Keine Angst, diese wird gewaltlosverlaufen. Im Ernst, der BegriffGrossmütter-Revolution schafftdie nötige Aufmerksamkeit – unddie steht den Grossmüttern vonheute zweifellos zu.

Inwiefern?Das Rollenbild hat sich enorm er-weitert.Nur StrickenundSchoggi-kuchenbacken sind schon langepassé – aber genau dieses Bild derGrosis ist immer noch in der Ge-

sellschaft verankert. Das wollenwir ändern.

Warum? Das fürsorgliche Grosiist doch nichts Negatives.Tatsächlich ist es eines der weni-gen Frauenbilder, das durchwegspositiv besetzt ist. Aber nur Grosizu sein wird der Lebensrealitätvieler Grossmütter heute einfachnicht mehr gerecht. Sie sind einepolitische Kraft.

Berufstätige Eltern können denAlltag ohne die Unterstützungder Grosseltern kaum mehr

bewältigen. Besteht die Gefahr,dass so Frauen wieder indie traditionelle Rolle gedrängtwerden?Klar, besteht die Gefahr Ω im All-tag sind es vor allemGrossmütter,die einspringen, wenn es um ihreEnkel geht. Diese Betreuungskos-ten entsprechen einem Wert vonzwei Milliarden Franken – jähr-lich. Warum überlegt man sichnicht, zum Beispiel für aktiveGrossmütter eine Steuererleichte-rung einzuführen? Es sind solcheGedanken, die wir in der «Gross-mütter-Revolution» entwickeln.

Wie geht es nun mit derBewegung weiter?Einige Frauen unserer Bewegungarbeiten an einem Grossmütter-Manifest. Anfang Juni wird es derÖffentlichkeit präsentiert.

Und wo bleiben eigentlichdie Grossväter?Zeigen Siemir eine GruppeGross-väter, die sich in dieser Form en-gagieren wollen. Die sind natür-lich herzlich willkommen (lacht).Wir richten uns nicht gegenMän-ner. Jetzt sind es aber Frauen, dieden ersten Schritt machen.

«Nur Schoggikuchenbacken ist schon längst passé»Anette Stade, Projektleiterin der «Grossmütter-Revolution», über Vorurteile, die politische Kraft derälteren Generation und das Grossmütter-Manifest.

Die nervösenMammutzvor dem Konzert:Ursula Steiger,DominiquePrêtre undMarianneFeder (von links)machensich warm.

das Alter eine «wahnsinnigeChance» sei, sich zu verändernund ein neues Leben aufzubauen.Eine sinnvolle Beschäftigung brin-ge schlicht Würde zurück. «Seitder Pensionierung bin ich nichtmehr fremdbestimmt – das istdoch das Schönste überhaupt»schwärmt Steiger.

Ganz nebenbei erfährt man noch,dass sich Ursula Steiger um ihrepflegebedürftigeMutter kümmertund dass sie ihre alleinerziehendeTochter in den unterschiedlichs-ten Belangen unterstützt. Undnicht zu vergessen: Erst vor Kur-zem war die Grossmutter mit ih-rem 14-jährigen Enkel Ski fahren.

«Nein, dem ist das nicht peinlich,der kennt mich nicht anders. Fürihn bin ich mehr der Kumpel.»Sitztman dieser energiegeladenenFrau gegenüber, wird einemplötz-lich klar: Die «neue» Grossmut-ter, die rockt wirklich.

Texte Christoph PetermannBilder Victoria Loesch

«Vor allem bei den Jungenkommenwir gut an.»

NEUES AUS DERMIGROS | 41Migros-Magazin 15, 11. April 2011