Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete...

42
Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz

Transcript of Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete...

Page 1: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

Rosemary Clement-MooreDahin ist aller Glanz

Glanz_CC.indd 1 03.07.2014 13:07:06

Page 2: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

DIE AUTORIN

Ro se ma ry Clem ent-Moo re ist auf ei ner Ranch in Te xas auf ge wach sen und lebt heu te in Ar ling ton. Sie schreibt schon ihr gan zes Le ben lang und ar bei te te im The a ter, be vor sie das Schrei ben zu ih rem Be ruf mach te.

© S

ilver

Scr

een

Fo to

gra p

hy

Glanz_CC.indd 2 03.07.2014 13:07:06

Page 3: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

Rosemary Clement-Moore

Dahin ist aller Glanz

Aus dem Amerikanischen von Silvia Schröer

Glanz_CC.indd 3 03.07.2014 13:07:06

Page 4: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

Kinder- und Jugendbuchverlagin der Ver lags grup pe Ran dom House

Verlagsgruppe Random House FSC® N001967Das für dieses Buch verwendeteFSC®-zertifizierte Papier Super Snowbrightliefert Hellefoss AS, Hokksund, Norwegen.

1. Auf a ge 2014Erst mals als cbj Ta schen buch Sep tem berGe setzt nach den Re geln der Recht schreib re form© 2014 der deutsch spra chi gen Aus ga be: cbj Kin der- undJu gend buchver lag in der Ver lags grup pe Ran dom House, Mün chenAlle deutsch spra chi gen Rech te vor be hal ten© 2009 Ro se ma ry Clem ent-Moo reDie Ori gi nal aus ga be er schien 2009 un ter dem Ti tel »The splen dor falls« bei Delac or te Press, ei nem Im print von Ran dom House Child ren’s Books in der Ver lags grup pe Ran dom House, Inc., New YorkÜber set zung: Sil via Schrö erLektorat. Frauke HeitheckerUm schlag ge stal tung: Isa bel le Hirtz, Ink craft,nach der Originalvorlage © 2011 by Nathá lia Su el lenKK · Her stel lung: ReDSatz: Buch-Werk statt GmbH, Bad Aib lingDruck: GGP Me dia GmbH, Pöß neckISBN 978-3-570-40240-5Prin ted in Germ any

www.cbj-ver lag.de

Glanz_CC.indd 4 03.07.2014 13:07:06

Page 5: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

Für Mom.Aus tau send und ei nem Grund.

Glanz_CC.indd 5 03.07.2014 13:07:06

Page 6: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

Glanz_CC.indd 6 03.07.2014 13:07:06

Page 7: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

Ge nie ist ein an de res Wort für Ma gie, und das We sent li che an Ma gie ist, dass man sie nicht er klä ren kann.– Dame Mar got Font eyn, Pri ma bal le ri na

Glanz_CC.indd 7 03.07.2014 13:07:06

Page 8: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

Glanz_CC.indd 8 03.07.2014 13:07:06

Page 9: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

9

Pro log

Mo na te lang durch leb te ich den Pas de deux im mer und im mer wie der in mei nen Träu men. Er war als mul ti sen so ri scher Farb-film in mein Ge dächt nis ge brannt, eine Er in ne rung, die ich lie ber ver ges sen hät te.

Es lief im mer gleich ab: der Ge ruch von Schweiß und Haar spray hin ter den Ku lis sen. Die Hit ze und das grel le Schein wer fer licht. Das herr li che Spiel mei ner Mus keln wäh rend ich mich durch die Cho re o gra fie be weg te, als wür de ich ei nem spon ta nen Freu den-aus bruch, der mich im mer beim Tan zen über kam, Aus druck ver-lei hen. Der glor rei che Tri umph über die Schwer kraft, als Pa sha mich über sei nen Kopf hob und ich los ge löst, nicht nur von der Büh ne, son dern von der Erde, in der Luft schweb te.

An die ser Stel le wäre ich ger ne auf ge wacht. Das wäre bes ser so. Wie glück lich ster ben. Aber der Tanz lief in gleich mä ßi gem Rhyth-mus wei ter, un ver än der lich wie eine Film rol le.

Pa sha setz te mich ab. Sanft wie Mond licht. Das Or ches ter über-tön te den dump fen Auf prall mei nes Spit zen schuhs auf der Büh ne. Ich ba lan cier te auf ei nem Bein, das an de re hin ter mir in die Höhe ge streckt, die Il lu si on des Flu ges ver län gernd.

Ich habe nie sa gen kön nen, was in den nächs ten acht Tak ten schief ging. Die Büh ne war sau ber, mein Spit zen schuh saß fest. Es

Glanz_CC.indd 9 03.07.2014 13:07:06

Page 10: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

war noch nicht mal eine be son ders schwie ri ge Kom bi na ti on. Ab-set zen in die vier te Po si ti on, Port de bras und Changem ent in der zwei ten Po si ti on und eine Fol ge schnel ler Dre hun gen.

Rech ter Fuß, lin ker Fuß, rech ter … dann ein merk wür di ges knirsch en des Ge räusch, das aus dem In ne ren mei nes Kop fes zu kom men schien. Ohne zu wis sen, wie mir ge schah, lag ich bäuch-lings auf der Büh ne. Im Zu schau er raum schwoll be sorg tes Ge mur-mel an. In mei nem Traum – in mei ner Er in ne rung – ver such te ich auf zu ste hen, aber Pa sha, der in pa ni sches Rus sisch ver fal len war, hielt mich zu rück. Auch ohne die Spra che zu ver ste hen, wuss te ich, dass et was ziem lich schief ge lau fen war.

Ko misch, wie viel an ei nem fal schen Schritt hän gen kann.Gar nicht ko misch, ha, ha. Ko misch, dass der Au gen blick, der

den Hö he punkt mei ner sieb zehn Jah re auf die sem Pla ne ten mar-kie ren soll te, mir aus den völ lig fal schen Grün den zu Be rühmt-heit ver half.

Ich mei ne also nicht wirk lich ko misch, son dern viel mehr »tra-gisch iro nisch«.

Tän zer ver let zen sich, wenn sie ab ge fah re ne Din ge tun, Jet és und Échappés. Ich mei ne, wer zum Teu fel bricht sich ein Bein bei ei ner Dre hung, die im An fän gerkurs un ter rich tet wird?

Ich, an schei nend. In ei nem Mo nat brach te das Bal let Ma ga zi ne ei nen ganz sei ti gen Be richt über mich. Im nächs ten war ich eine tra gi sche Rand be mer kung in den Mar gi na li en ei nes Ar ti kels über Beinver si che run gen à la Bet ty Grable, der vor Kar ri e re be en den-den Ver let zun gen warn te.

Syl vie Da vis, die jüngs te So lo tän ze rin des Ame ri can Bal let, er­litt vor Hun der ten von ent setz ten Zu schau ern wäh rend ih res he­raus ra gen den De büts im Lin coln Cen ter ei nen of e nen Schien ­ und Wa den bein bruch.

We nigs tens weiß ich, wie man ei nen Ab gang macht.

Glanz_CC.indd 10 03.07.2014 13:07:06

Page 11: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

11

Ka pi tel 1

Ich woll te Ala bama has sen und bei mei ner An kunft wur de ich nicht ent täuscht.

Fair er wei se muss man sa gen, dass es nicht vie le Orte gibt, in die man sich bei 33 Grad Hit ze und 85 % Luft feuch tig keit ver lie ben kann. Mein hol pe ri ger Ver bin dungs fug aus Atl anta in ei ner win-zi gen Ma schi ne mit Sit zen in Pup pen grö ße hat te auch nicht dazu bei ge tra gen, da ran et was zu än dern. Und das war, be vor ir gend-ein GAU am Gate uns zwang, aus dem Flug zeug auf das Roll feld zu stei gen und mit dem Bus zum Ter mi nal zu fah ren.

Seit zwei Wo chen trug ich kei nen Gips mehr. Als ich durch die War te hal le hum pel te, poch te mein Bein wie ein sa dis ti sches Me-tro nom, und die Ze hen mei nes rech ten Fu ßes wa ren zu fet ten rosa Cock tail würst chen an ge schwol len. Gi gis Trans port ta sche hing über mei ne Schul ter, mei ne Fin ger klam mer ten sich krampf haft um den Gurt.

Ich könn te mich eine Wei le aus ru hen, mich zwi schen dem Res-tau rant und dem An den ken la den nie der las sen, di rekt ne ben den Kaf ee tas sen, auf de nen die Kon fö de rier tenfag ge ab ge bil det war. Und wo wir schon da bei wa ren: Ich be fand mich hin ter der Si-cher heits kont rol le. Nie mand konn te mich hier raus ho len, ohne ein Flug ti cket zu kau fen. Ich könn te ein fach so lan ge hier le ben,

Glanz_CC.indd 11 03.07.2014 13:07:06

Page 12: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

12

bis mei ne Mut ter und ihr neu er Ehe mann aus ih ren Flit ter wo chen zu rück kom men und mich als ver misst mel den wür den.

Zu ge ge ben, das wür de sie nicht wirk lich da von über zeu gen, dass ich kei nen Psy chi a ter mehr brauch te.

Ich ent schied mich für eine kur ze statt ei ner un be grenz ten Ver-zö ge rung und ging in der Toi let te in De ckung. Sie war leer. Also stell te ich die Ta sche mit dem Hund auf die Ab la ge am Wasch be-cken, wäh rend ich mir Was ser ins Ge sicht spritz te und mein Lip-gloss auf risch te. Make-up zähl te nicht zu mei nen Pri o ri tä ten – zu min dest nicht, wenn ich nicht auf der Büh ne stand. Das hieß von jetzt an für im mer. Aber wenn mei ne Mut ter ei nen Streit ver-lor, nahm sie sich im mer ei nen Mo ment Zeit, um ih ren Lip pen-stift nach zu zie hen. Ir gend wann habe ich ka piert, dass sie sich so Zeit er kauf te, um sich ein un an fecht ba res Ar gu ment zu über le gen.

Ich wür de den Rest mei nes Le bens nur noch ver trö deln.Gigi war un zu frie den und jaul te lei se. Ich öf ne te den Reiß ver-

schluss der Trans port ta sche, da mit sie ih ren Kopf he raus stre cken konn te. Dann hol te ich eine halb lee re Ev ian-Fla sche aus mei-ner Hand ta sche und füll te ih ren Rei se napf. Gigi trank gleich gül tig ein paar Schlu cke, dann blin zel te sie mich an. Ihre Bot schaft war ziem lich deut lich: Was zur Höl le ist dein Pro blem?

War es falsch, ein Pro blem da mit zu ha ben, wie ein un ge woll-tes Pa ket ver schift zu wer den? Bei ei ner Ver wand ten ab ge stellt zu wer den, die ich nur ein mal ge trof en hat te? Ich er in ner te mich nur vage an Cou si ne Pau la. Bei Dads Be er di gung hat te sie in für sorg-li cher An teil nah me Mut ters Hand ge drückt, ob wohl mei ne El tern schon seit drei Jah ren ge schie den wa ren. Und wie sie am Te le fon mit ih rem Scar lett-O’Hara-Ak zent ge sagt hat te: »Wir ge hö ren doch zur sel ben Sip pe.« Und sie freue sich, dass ich sie be such te.

Viel leicht soll te ich nicht so viel Angst da vor ha ben. Das hier war die Fa mi lie mei nes Va ters. Es war mei ne Chan ce he raus zu fin den, wo her er stamm te. Dad hat nie viel über sei ne Ver gan gen heit er-

Glanz_CC.indd 12 03.07.2014 13:07:06

Page 13: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

13

zählt. Was die Mög lich keit of en ließ, dass er Ala bama viel leicht ver las sen hat te, um von die sen Leu ten weg zu kom men.

Eine dür re Blon di ne roll te ihr Hand ge päck in die Toi let te. Gigi spitz te ihre nied li chen Oh ren, aber die Frau warf der Hun de ta sche nur ei nen fins te ren Blick zu. Dann ver schwand sie naserümp fend in der Be hin der ten toi let te. Es war, als hät te ich den bö sen Zwil-ling mei ner Mut ter her bei ge ru fen, ein fach nur, weil ich an sie ge-dacht hat te.

Ich soll te das kor ri gie ren. Mei ne Mut ter ist nicht böse. Sie ist nur ego zent risch. Und das kann ich auch sein.

Sech zehn Jah re lang ha ben un se re In te res sen öf ter über ein ge-stimmt als sich wi der spro chen. Ich leb te, um zu tan zen, und sie lieb te es, ein Bal lett wun der zur Toch ter zu ha ben. Des we gen hat ihr feh len der Mut ter ins tinkt mir nie et was aus ge macht – bis der UN FALL (es war schwie rig, nicht in Groß buch sta ben da ran zu den ken) mei ne stei le Kar ri e re zu ei nem Zeit punkt be en de te, als sie ge ra de ra ke ten ar tig die Atmo sphä re ver ließ.

Der UN FALL hat mich in ge wis ser Wei se auch wie der zu ei nem Kind ge macht. Vor her war ich eine pro fes si o nel le Tän ze rin. Mit dem En semb le bin ich durch Eu ro pa und Asi en ge reist. Neun Mo-na te vol ler Ope ra ti o nen, Gips ver bän de und Ti tan stä be spä ter war ich ein sieb zehn Jah re al tes »all ein rei sen des Kind« – vie len Dank auch Del ta Air lines –, an ent fern te Ver wand te ab ge scho ben, da mit es ei nen Ba by sit ter hat te.

Das Är ger li che war, dass Mut ter ge nau wuss te, wie un ab hän gig ich war. Als sie mit ih rem neu en Mann ein Date nach dem an de ren hat te, war das ein Vor teil. Ich glau be, wenn es nach ihr ge gan gen wäre, dann hät te sie mich wäh rend ih rer zwei wö chi gen Hoch zeits-rei se al lei ne zu Hau se ge las sen.

Aber für »Dr. Steve« war das kei ne Op ti on. Ich war emo ti o nal zer brech lich, an ei nem Schei de weg, we sent li che kog ni ti ve Neu ord-nung, bla, bla, bla. Gott, wie ich See len klemp ner has se.

Glanz_CC.indd 13 03.07.2014 13:07:06

Page 14: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

14

Er war noch nicht mal mein See len klemp ner, son dern nur mein neu er Stief va ter.

Kurz und gut, ich durf te nicht zwei Wo chen al lei ne in un se rem Up per-West-Side-Ap par te ment blei ben, wo mir nie mand Ge sell-schaft leis ten konn te au ßer Gigi, dem Si cher heits dienst, dem Tür-ste her und dem ge sam ten Take-away-Es sen Man hat tans. Es wür-de mir guttun, hat te er ge sagt, aus der Stadt raus zu kom men, die Er in ne run gen an mein al tes Le ben hin ter mir zu las sen und ei nen Ta pe ten wech sel vor zu neh men.

Hin ter die sen Sät zen lag der un aus ge spro che ne Ge dan ke, dass die gott ver las se ne Wild nis des tie fen Sü dens der per fek te Ort war, um mich aus zu nüch tern. Eine dras ti sche Maß nah me, nur weil ich mich bei ih rer Hoch zeit bis zur Be wusst lo sig keit be trun ken hat-te. Was hät te er erst vor ge schla gen, wenn er von den Hal lu zi na-tio nen wüss te.

Hät te ich mir nicht das Bein ge bro chen, hät te Mut ter Dr. Steven Blak ely nicht ge hei ra tet. Sie kann te ihn füch tig durch ei nen ih rer Kunst ver ei ne. Da er ein erst klas si ger Kin der- und Ju gend psy cho-lo ge war, hat te sie ihn nach dem UN FALL an ge ru fen. Dr. Steve hat mich an sei nen Kol le gen ei nen Stock tie fer ver wie sen und mei ne Mut ter zum Es sen und ins The a ter ein ge la den.

Sie hei ra te ten, noch be vor mein Gips ab ge nom men wur de. Trotz dem hat te Mut ter da rauf be stan den, dass ich mit ih nen den Gang hin un ter schrei te. Das wäre kei ne gro ße Sa che ge we sen, wenn sie in ei ner in ti men klei nen Ka pel le ge hei ra tet hät te, wie eine nor ma le Ge schie de ne im Al ter von … sa gen wir ein fach, neun-und drei ßig Jah ren. Aber vor acht zehn Jah ren wa ren mein Dad und sie durch ge brannt; viel leicht glaub te sie, dass eine gro ße Hoch zeit die zwei te Ehe halt ba rer ma chen wür de.

Der Emp fang fand im Ko til lon-Zim mer des Ho tels Pi erre statt. Im Pi erre, im Mai, mit nur drei Mo na ten Vor an mel dung. Dr. Steve

Glanz_CC.indd 14 03.07.2014 13:07:06

Page 15: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

15

hat te Ein fuss. Es muss te eine Men ge ver korks ter Kin der in Man-hat tan ge ben. Kein Wun der, dass mei ne Mut ter so glück lich aus-sah.

We nigs tens eine von uns war glück lich. Nach mei nem drit-ten oder vier ten Cham pag ner glas ging es mir nicht schlech ter als sonst. Was üb ri gens eine Ver bes se rung zum frü he ren Teil des Nach mit tags war. Dann ru i nier te mein neu er Stief bru der al les.

Er schlen der te he rein, sah ver gnügt und freund lich aus und sag-te: »Net ter Gips.«

John Blak ely ging ins Col lege. Er war ein paar Jah re äl ter als ich. Ob wohl er Dr. Steves Sohn war, schien er fast nor mal zu sein – zu-min dest dach te ich das da noch.

Sein Eli teuni versi täts-Haar schnitt war zer zaust und die En den sei ner Flie ge hin gen lose am of e nen Hemd kra gen he run ter.

»Vie len Dank, Mr Takt voll«, sag te ich und warf ihm ei nen bö sen Blick zu.

Er zuck te mit den Schul tern. »Ich hat te an ge nom men, dass du die Auf merk sam keit der Leu te auf dich zie hen willst. Sonst hät test du si cher lich eine an de re Far be ge wählt.«

Ja und nein. Ich hass te den Gips und ich hass te Mut ter da für, dass sie mich ge zwun gen hat te, den Gang hi nun ter zu hum peln wie Fran ken steins buck li ger Ge hil fe Igor in ei nem Braut jung fern kleid von Vera Wang. Als ich bei mei ner letz ten Kon troll un ter su chung er fuhr, dass ich am »Gro ßen Tag« im mer noch ei nen Gips wür de tra gen müs sen, hat te ich die Jungs im Kran ken haus nach ei nem in leuch ten dem Oran ge ge fragt.

Mein Psy chi a ter wür de si cher viel dazu zu sa gen ha ben. Mei ne Mut ter je den falls hat te ei ni ges zu sa gen.

Wie der ein mal be wun der te ich, wie der Gips mit dem Blass lila mei nes Sei den klei des kol li dier te. »Ich kann ihn so wie so nicht ver-ste cken.«

Aus ir gend ei nem Grund ver stand John das als Ein la dung, grif

Glanz_CC.indd 15 03.07.2014 13:07:06

Page 16: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

16

sich ei nen der Stüh le, die um den Tisch stan den – glück li cher wei-se nicht den, auf dem mein po chen des Bein lag –, und setz te sich. »Also ver steckst du dich statt des sen in ei ner Ecke?«

Vor dem Gro ßen Tag wa ren John und ich uns zwei mal be geg net. Ein mal im sünd haft teu ren Four Sea sons, wo mei ne Mut ter und sein Va ter ihre Hei rats ab sich ten ver kün de ten – als hät te die Wahl des Res tau rants nicht schon al les ge sagt. Und dann noch mal beim Abend es sen nach dem er folg rei chen Pro be durch lauf der Hoch-zeits ze re mo nie. Bis her be stan den un se re Un ter hal tun gen aus den The men Hoch zeit, Hoch zeit, Wet ter, Hoch zeit.

»Man che Leu te wür den das als Hin weis ver ste hen«, sag te ich, denn ich war nicht in der Stim mung, un ser be ste hen des Re per-toire zu er wei tern.

John ig no rier te die aus ge spro che nen und un aus ge spro che nen Hin wei se auf mei ne selbst ge wähl te Iso la ti on ge fis sent lich. »Ich dach te nur, wir soll ten uns ken nen ler nen, jetzt, wo wir ver wandt sind.« Er stell te sein Glas ab – ein bern stein far be nes Ge tränk ge-mischt mit Li mo na de. Als ich mir den Cham pag ner hol te, hat te nie mand mei nen Aus weis se hen wol len, aber ich be zwei fel te, dass ich rich tig har ten Al ko hol be stel len konn te und da mit da von kom-men wür de. Lei der.

»Dad hat mir er zählt, du warst Tän ze rin.«Mein Ge sicht wur de feucht kalt und dann wie der heiß. Du warst

Tän ze rin. Er sag te es so bei läu fig, im Plau der ton. Am liebs ten hät-te ich ge schrien: Ich war be rühmt. Bal let Ma ga zi ne. Jüngs te So lo­tän ze rin al ler Zei ten.

Er re de te wei ter, ohne et was zu mer ken. »Dad sagt, dass du nächs tes Jahr aufs Col lege gehst.«

Ich schluck te mei ne ers te spon ta ne Ant wort hi nun ter. Dann die zwei te. Schließ lich bot sich eine höf i che Ant wort an. »Dein Dad hält das für eine gute Idee.«

An der Art, wie er die Au gen brau en zu sam men zog, konn te ich

Glanz_CC.indd 16 03.07.2014 13:07:06

Page 17: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

17

se hen, dass es mir nicht wirk lich ge lun gen war, mei ne Ge füh le zu die sem The ma zu ver ber gen – we der was die Schu le be traf noch sei nen Va ter.

»Wa rum nicht?«, frag te er. »Du hast dein ex ter nes Abi tur doch, oder? Wahr schein lich ist es zu spät, um sich noch für die sen Herbst zu be wer ben, aber du könn test für die Zu las sungs prü fung ler nen und es dann im nächs ten Se mes ter ver su chen.«

Mei ne Wan gen be gan nen zu glü hen. Blas se Haut ver barg kei nes mei ner Ge füh le. Dass ich hübsch sei, wenn ich wü tend war, hat mir noch nie mand ge sagt. »Hat er dir auf ge tra gen, mit mir zu re den?«

John sah ehr lich über rascht aus. »Nein. Wa rum soll te er?«»Wa rum machst du dann ei nen auf Be ra tungs leh rer?« Ich konn-

te das Gift in mei ner Stim me hö ren, konn te es aber nicht kont rol-lie ren.

Sei ne Bräu ne ver barg ei ni ges, aber ich ent deck te ei nen schuld-be wuss ten ro ten Fleck auf sei nem Hals. »Ich un ter hal te mich nur mit dir.«

»Oh mein Gott.« Die Er kennt nis traf mich wie ein Schlag und ich rutsch te tie fer in mei nen Stuhl. »Du stu dierst Psy cho lo gie im Haupt fach, stimmt’s? Ich hät te es wis sen müs sen.«

Er starr te mich an. »Wo her weißt du … Da rum geht es nicht.«»Du bist ge nau so wie er.« Vom Stief psy chi a ter hat te ich mir

nichts an de res als man geln des Ver ständ nis und Ein füh lungs ver-mö gen er war tet, aber nicht von je man dem in mei nem Al ter. »Sei ne Vor stel lung von Trost be steht da rin, mir zu sa gen, dass ich Glück ge habt hät te, dass es jetzt pas siert sei. So sei ich noch jung ge nug, um et was an de res aus mei nem Le ben zu ma chen.«

John leg te sei ne Stirn in Fal ten, als wür de er nach der rich ti-gen Ant wort in ei nem Quiz su chen. »Ich bin im mer da von aus ge-gan gen, dass es nie zu spät ist, eine neue Rich tung ein zu schla gen, wenn et was nicht so läuft wie ge plant. Egal, wie alt man ist.«

Sei ne Ruhe kurbelte mei ne Wut noch an. »Es muss leicht sein«,

Glanz_CC.indd 17 03.07.2014 13:07:06

Page 18: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

18

sag te ich und reg te mich so auf, dass ich die Wort en dun gen ver-schluck te, »wenn man sich für nichts wirklich begeistert und sei-ne Plä ne jederzeit prob lem los än dern kann.«

Kein Zu sam men zu cken, kein Blin zeln. »Na ja, du kannst nicht den Rest dei nes Le bens schmol len. Du musst eine Be schäf ti gung fin den.«

Ich glotz te ihn dümm lich an und mir fiel kei ne an de re Ant wort als »Leck mich« ein. Oder in Trä nen aus zu bre chen, was nicht pas-sie ren wür de. Ich schloss mei nen Mund mit ei nem hör ba ren Kli-cken mei ner Zäh ne, bug sier te mein stei fes Bein im Glas fi ber ver-band auf den Bo den und kämpf te mich aus mei nem Stuhl hoch. Ich hat te em pört auf sprin gen und da von stür men wol len, ver är gert da von zu hum peln war we ni ger ef ekt voll.

Ich hör te, wie John mir hin ter her rief. In sei ner Stim me schwang so et was wie Be dau ern mit. »Syl vie, war te.«

Die Jazzcom bo war laut ge nug, so dass ich vor ge ben konn te, ihn nicht zu hö ren. Mut ter tanz te mit Steve, und sie sah so glück lich aus, dass das schlech te Ge wis sen mei nem Elend noch eins drauf-setz te. Ich schnapp te mir ein Glas Cham pag ner vom Tab lett ei nes vor bei ei len den Kell ners. Dann stell te ich fest, dass ein Spieß ru-ten lauf an den The a ter- und Bal lett leu ten am Ein gang zum Ball-saal vor mir lag. Bei dem Ge dan ken an ihre ge dämpf ten Stim men, die wie bei ei ner Be er di gung klan gen, wenn sie mich frag ten, wie es mir gehe, mach te ich kehrt. Das wäre mehr, als ich jetzt er tra-gen könn te.

Ich schlich mich durch den Per so nal ein gang und mach te im Flur zwi schen den Ball sä len eine kur ze Pau se, um in mei ner win zi gen, per len be stick ten Hand ta sche nach dem star ken Schmerz mit tel zu wüh len, das ich in mei ne harm los aus se hen de As pi rin-Schach tel ge schmug gelt hat te – nur für den Fall. Mein Bein schmerz te, aber das tat es im mer. Im Mo ment woll te ich vor al lem den Schmerz in mei nem Her zen be täu ben.

Glanz_CC.indd 18 03.07.2014 13:07:06

Page 19: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

19

Es war eine ge rin ge Do sis. Die Hälf te von dem, was ich an schlim-men Ta gen nahm. Ich spül te sie mit fünf gro ßen Schlu cken mit tel-mä ßi gen Cham pag ners he run ter, stell te das Glas auf ein Ser vier-tab lett und ging in die Lob by.

Hin ter her ist man im mer schlau er.John tauch te aus der Tür hin ter mir auf. »Wo hin gehst du?«,

woll te er wis sen. Er nahm sei ne neue Rol le als gro ßer Bru der ein-deu tig zu ernst.

»Raus hier.« Ich ließ mei nen Wor ten Ta ten fol gen, be weg te mich aber zu schnell, so dass ich auf mei nem un ver letz ten Bein ins Schwan ken ge riet und mich an der Wand ab stüt zen muss te.

John stütz te mich auf der an de ren Sei te. »Wie viel hast du ge-trun ken?«

»Nur Cham pag ner.« Ich be schloss, das Schmerz mit tel nicht zu er wäh nen. Noch hat te es nicht wir ken kön nen. Und es war ja nicht so, dass ich mit mei nem Gips beim Tor keln Hil fe ge braucht hät te.

»Ich brau che fri sche Luft.« Hier drin nen war es zu be engt, die gute Lau ne er drück te mich. Ich ging nicht in die Lob by, son dern zum Aus gang auf die Fifth Ave nue.

John hol te mich ein, als ich am Bord stein auf eine Lü cke im Ver-kehr war te te. »Was hast du vor?«, woll te er wis sen. Ich be merk-te, wie der Tür ste her uns an starr te, als hät te er noch nie zu vor ein Mäd chen mit ei nem ge bro che nen Bein ge se hen, das ver such te, die Fifth Ave nue zu über que ren.

»Ich gehe in den Park.« Ich zit ter te. Es war Mit te Mai und die Aben de wa ren im mer noch kühl.

John grif nach mei nem Ober arm. »Du kannst nicht al lei ne nach Ein bruch der Dun kel heit durch den Cen tral Park lau fen.«

Dass mir mein Plan völ lig ver nünf tig er schien, hät te ei gent lich Zei chen ge nug da für sein sol len, dass ich be trun ke ner war, als ich dach te.

»Es ist noch nicht mal dun kel.«

Glanz_CC.indd 19 03.07.2014 13:07:06

Page 20: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

20

»Du hast ein Gips bein.«Ich sah nach un ten, nicht ge ra de über rascht. Das Po chen in mei-

nem Bein be glei te te mich stän dig und bil de te den Hin ter grund für mei nen elen den All ge mein zu stand. Dann wur de mir plötz lich wie der be wusst: Syl vie, dein Bein ist ge bro chen. Und der Schmerz fu te te zu rück.

Viel leicht war ich auch emo ti o nal an die sem Punkt an ge langt. Ich hat te mich durch die sen Tag ge schleppt, aber nun konn ten mich nicht ein mal mehr Selbst mit leid und pas si ve Ag gres si vi tät ab len ken. »Ich will zu Dads Brü cke.«

Et was in mei nem Ge sichts aus druck muss te ihn um ge stimmt ha ben. John press te die Kie fer ent schlos sen zu sam men und streck-te sei nen Arm aus, um ein Taxi her bei zu ru fen. Als ge bür ti ger New Yor ker hat te er zwar den Dreh raus, aber ich glau be, dass es ei gent-lich mein grell o rang er Gips war, der uns an ei nem Sams tag abend so schnell zum Er folg ver half.

Rein tech nisch war die Brü cke mei nes Va ters ein Bo gen und kei ne Brü cke und für nie man den au ßer für mich war sie die »sei ne«. Ich bat den Ta xi fah rer, uns zum Grey wacke Arch zu fah ren.

Wenn wir die Stre cke zu Fuß ge lau fen wä ren – zu Fü ßen bes ser ge sagt, wenn ich noch zwei funk ti o nie ren de ge habt hät te –, wä ren wir schnel ler ge we sen. Der Fah rer nahm den East Drive, und ich ließ ihn an hal ten, be vor er den Stein bo gen er reich te, un ter dem der Weg vom Ram ble zum Great Lawn ent lang lief.

Al lein mei nen Gips aus der Tür he raus zu bug sie ren, war ein Kampf. Ich über ließ es John, mit dem Ta xi fah rer zu ver han deln, und hum pel te an den Stra ßen rand. Ein stei ler Ab hang führ te auf den Weg nach un ten, über dem der spitze Bo gen thron te. Er er-in ner te an die Ar chi tek tur ei nes mau ri schen Tem pels. Selbst in der Däm me rung wa ren die ge mau er ten Strei fen noch zu se hen.

Mil li o nen ver trau ter Groß stadt ge räu sche über tön ten Johns

Glanz_CC.indd 20 03.07.2014 13:07:07

Page 21: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

21

Schrit te. Trotz dem fühl te ich, wie er nä her kam – Kör per wär me, eine Ver än de rung im Luft druck. Die Fä hig keit, je man den in mei-nem Rü cken zu spü ren, hat te ich durchs Tan zen ent wi ckelt; es war gut zu wis sen, wer ei nem die Schau stahl.

»Der Ta xi fah rer will nur fünf Mi nu ten war ten.«Ich schleu der te mei nen Schu h von mir, warf ihm mei ne per len-

be stick te Hand ta sche zu und mach te ei nen Schritt ins Gras.»Da sind vier zig Dol lar drin.«»Das ist nicht der Punkt. Wo hin gehst du?« Be sorgt stell te er

sich zwi schen mich und den Ab hang. »Lass uns nicht Le ben und ver blei ben de Glied ma ßen ris kie ren, okay? Mein Dad wür de mich um brin gen, wenn er wüss te …«

»Was wüss te?«, frag te ich he raus for dernd. »Dass du mir hilfst?«»Ja. Ge nau.« Aus den Au gen win keln sah ich, wie er sein Ja ckett

aus zog. Er leg te es um mei ne Schul tern. Der Stof war noch warm von sei nem Kör per und tau te mei ne Haut und un er war te ter wei-se auch et was tief in mir drin auf.

»Dan ke«, sag te ich lei se.»Nicht der Rede wert.« Er deu te te auf die Brü cke. »Wie hängt

das zu sam men? Dein Dad war Land schafts gärt ner, oder?«»Land schafts ar chi tekt«, kor ri gier te ich ihn au to ma tisch. Der

Un ter schied schien von Be deu tung zu sein. »Der Bo gen wur de vor ein hun dert fünf zig Jah ren er rich tet. Sei ne Res tau rie rung war Dads ers ter gro ßer Auf trag.«

Ich deu te te durch die Bäu me nach Wes ten. »Er hat auch an der Neu an la ge der Wie se und des Tu rtle Pond mit ge ar bei tet.«

»Ich er in ne re mich da ran. Gro ßes Pro jekt.«»Ja. Aber den Bo gen habe ich am liebs ten.« Die Bö schung zum

Tun nel war mit ei nem Ge wirr aus üp pi gem Grün und ver streu-ten Fels bro cken be deckt. Eine kunst vol le Il lu si on zu fäl li ger na tür-li cher Schön heit, ge nau wie der Rest vom Cen tral Park – und ge-nau wie das Bal lett.

Glanz_CC.indd 21 03.07.2014 13:07:07

Page 22: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

22

»Mein Va ter hät te es ver stan den.« Die Wor te wa ren mir mit ei-nem Seuf zer ent schlüpft und hat ten mich selbst über rascht. Ich hat te sie nicht laut sa gen wol len. In mei nem Kopf dreh te sich al-les; die Nacht schien le ben dig und auf merk wür di ge Art und Wei se in Be we gung zu sein.

»Hat er dich als So lis tin tan zen se hen, be vor er starb?«»Ja.« Eine ty pi sche Psy chi a terfra ge. Trotz dem be ant wor te te ich

sie. Blö des selbst ver ab reich tes Wahr heits se rum. »Er war schon krank, aber ich wuss te es nicht.«

Ich grub die Ze hen mei nes lin ken Fu ßes ins Gras und hat te das selt sa me Ge fühl, durch die Erde, die er so sehr lieb te, mit Dad in Ver bin dung zu tre ten. »Er hat bis ganz zum Schluss ge ar bei tet. Er sag te, sei ne Hän de in die Erde zu ste cken, wür de ihn ge nau so be-le ben wie eine Pfan ze.«

Ich war das Ge gen teil. Eine ab ge schnit te ne Blu me ohne Wur-zeln, nicht mehr län ger mit dem näh ren den Bo den ver bun den. Me lo dra ma tisch, ja. Aber so fühl te ich mich, seit ich nicht mehr in der Lage war zu tan zen.

John be ob ach te te mich, ohne die kri ti sche Neut ra li tät ei nes Psy-chi a ters an den Tag zu le gen. Viel leicht hat te ihn die Aus bil dung doch noch nicht völ lig ver dor ben. »Hast du sei nen Grü nen Dau-men ge erbt?«

»Ich weiß nicht. Dad hat mir im mer Topf pfan zen statt Blu men-sträu ße ge schickt, und ich habe es ge schaft, sie am Le ben zu hal-ten.« Ich lä chel te kaum merk lich. »Mut ter ist im mer wü tend ge-wor den, weil er nicht ein Dut zend Ro sen spen diert hat.«

John ging auf mei nen leich ten Ton fall ein. »Das kann ich mir vor stel len. Al lein der Emp fang muss ein paar Ge wächs häu ser ge-leert ha ben.«

Viel leicht hät te ich ge lacht, wäre ich noch die Per son, die ich frü-her ein mal war. Statt des sen zog ich die Na del aus dem Blu men-an ste cker am Re vers sei ner Smo king ja cke und ließ die Blu me in

Glanz_CC.indd 22 03.07.2014 13:07:07

Page 23: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

23

mei ne Hand fal len. »Als ich ein Kind war und zu ge se hen habe, wie Dad Ab le ger ein pfanz te, sah es für mich im mer wie Ma gie aus. Du steckst die sen klei nen grü nen Zweig in den Bo den und er schlägt Wur zeln – wächst, statt zu ster ben.«

Heu te wuss te ich, dass es kei ne Ma gie war. Ei ni ge Din ge konn-ten ein ge pfanzt oder so gar auf et was Neu es auf ge pfropft wer den. An de re nah men sich nicht an. Ich wuss te nur nicht, wel cher Typ ich war.

»Da mals«, fuhr ich fort, wäh rend ich das Blu men band vom Blu-men sträuß chen ab pul te, »habe ich ge glaubt, das gin ge mit al lem. Ich dach te, so kön ne man auch Spiel zeug, Por zel lan, Pup pen und an de res re pa rie ren.«

John klang be lus tigt. »Das hät te ins Auge ge hen kön nen, hät-test du an ei ner Haus kat ze oder et was Ähn li chem he rum ex pe ri-men tiert.«

»Was du nicht sagst.« Er sah in te res siert zu, wie ich mich auf ein Bein nie der ließ und mei nen Gips zur Sei te streck te. Ich war im mer noch be ein dru ckend ge len kig, und wahr schein lich be gan nen die Tab let ten zu wir ken, so dass ich mich kör per lich und geis tig ge löst fühl te. Nur so kann ich mir er klä ren, wa rum ich ihm das al les er-zähl te. Es dräng te förm lich aus mir he raus.

»Ich habe da für so gar mei nen ei ge nen Zau ber er fun den.« Mei-ne Fin ger ar bei te ten sich durch das Wur zel werk des Gra ses in den Bo den. Ich grub ein klei nes Loch. »Wenn es et was Wich ti ges gab, von dem ich woll te, dass es Wur zeln schlug – me ta pho risch ge-spro chen –, habe ich es ein ge pfanzt. So wie das hier.«

Ich ließ das Blu men sträuß chen – eine Mi ni a tur-Calla, die die gro ßen auf grif, die in Mut ters Braut strauß steck ten – in den Bo-den fal len.

»Das ist ir gend wie süß«, sag te John. »Ich dach te, du hasst mei-nen Dad.«

Ich leg te die Ra sen so de über die Blu me und seufz te. »Ich kann

Glanz_CC.indd 23 03.07.2014 13:07:07

Page 24: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

24

nie man den has sen, der mei ne Mut ter glück lich macht«, gab ich wi der stre bend zu.

John lach te. »Jetzt weiß ich, dass du be trun ken bist.«Ich ki cher te ein biss chen, vor al lem über mei ne ei ge ne Aus ge-

las sen heit. Er muss te recht ha ben, ich war nie aus ge las sen. Nicht seit dem UN FALL.

Ich kau er te im mer noch auf ei nem Bein, leg te bei de Hand fä-chen auf den Gras hö cker und drück te ihn nach un ten. Ein Krib-beln lief mei ne Arme hoch und wie der run ter. Ich mein te, eine Wel le zu se hen – oder bes ser zu füh len –, die sich aus brei te te, als hät te ich ei nen Stein in ei nen Teich ge wor fen.

Die Welt kipp te, für ei nen Mo ment aus dem Gleich ge wicht ge-ra ten, und ich ver lor die Ba lan ce. Mei ne Arme ru der ten wie Wind-müh len fü gel im Ver such, mein Gleich ge wicht wied erzu fin den. Ich fiel auf mei nen Hin tern und die Din ge ka men mit ei nem Bums wie-der ins Lot. »Hop pla.«

»Gut ge macht, Syl vie.« John fass te mich un ter den Ar men und half mir auf. »So stel le ich mir eine an mu ti ge Tän ze rin vor.«

Ich war zu ver blüft, um et was zu er wi dern. »Hast du das ge se-hen?«

»Was?«, frag te er. Be hut sam stell te er mich wie der auf die Bei ne. »Dei nen ma gi schen Zau ber?«

Mein Mund öf ne te sich und woll te »Ja!« sa gen, als ich sei nen Sar kas mus be merk te. Ma gie gab es nicht. Das war ver rückt. Und ich war nur aber gläu bisch. Und wahr schein lich be trun ken.

»Ich fühl mich nicht so gut.« Mein Ma gen fat ter te und krümm-te sich, ob wohl mir jetzt nicht mehr schwind lig war.

»Das über rascht mich nicht.«Der Ta xi fah rer hup te. John dreh te sich um und mar schier te mit

mir – bild lich ge spro chen, ge han di capt wie ich durch den Gips und al les an de re war – zu rück zum Taxi. Er hat te das Gro ße-Bru der-Ding wirk lich drauf. Ich war mir nicht si cher, ob ich das moch te,

Glanz_CC.indd 24 03.07.2014 13:07:07

Page 25: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

25

aber in die sem Au gen blick war ich mir auch nicht si cher, ob ich es nicht moch te.

»Mein Schuh«, sag te ich, als mein blo ßer lin ker Fuß auf den As-phalt traf.

Er knurr te, lief aber, nach dem er sich ver si chert hat te, dass ich si cher stand, mit ei nem schrof en »Rühr dich nicht von der Stel le« zu rück, um ihn zu ho len.

Na tür lich tat ich nicht, wie man mich ge hei ßen hat te. Ich hum-pel te am Taxi vor bei auf die an de re Sei te der Brü cke. Im Win ter hät te ich deut lich den Great Lawn se hen kön nen – den brei ten eben er di gen Strei fen, auf dem tags ü ber Hun de nach Fris bees jag-ten und Kin der Base ball spiel ten. Es war Mai, mei ne Sicht war durch das sprie ßen de Blatt werk be hin dert, aber nicht blo ckiert, wie es im Som mer der Fall ge we sen wäre. Stirn run zelnd be trach-te te ich die Sze ne, die vom Mond und dem Stra ßen licht der Stadt er hellt wur de.

Hin ter mir kam wie der John auf mich zu. »Hey. Ich dach te, du wür dest ins Taxi stei gen.«

»Woll te ich, aber …« Das Bild fa cker te, wäh rend ich hi nü ber-starrte. »Stel len die ir gend ei ne his to ri sche Sze ne nach?«

»Wo von sprichst du?«Ich deu te te durch die Bäu me hin durch. »Das Dorf aus Papp hüt-

ten auf dem Ra sen.« Ich ver such te, mich da ran zu er in nern, wann ich das letz te Mal in die ser Ecke des Parks ge we sen war. Ich war zwar schon seit ei ner Wei le in tie fem Selbst mit leid ver sun ken, aber das war et was, was so gar ich be merkt hät te.

John warf ei nen Blick auf den Ra sen. Ver wirrt run zel te er die Au-gen brau en. »Du meinst, wie die Elends vier tel? Wäh rend der Welt-wirt schafts kri se?«

Das mein te ich, aber ich ver stand sei ne Ver wir rung nicht. Dann be grif ich, dass er es nicht sah. Aber die Men schen, die sich zwi-schen den ver streu ten Hüt ten be weg ten, war fen Schat ten im

Glanz_CC.indd 25 03.07.2014 13:07:07

Page 26: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

26

Mond licht. Ich konn te das Fla ckern ei ner La ter ne se hen und das Knis tern ei nes La ger feu ers hö ren. Durch die fros ti ge Abend luft weh te der Ge ruch nach ge koch ten Rü ben he rü ber und die trau ri-ge Me lo die, die je mand vor sich hin pfif, der sich selbst nach ei nem wei te ren lan gen Tag frucht lo ser Ar beits su che auf mun tern woll te.

Ich starr te auf die trüb se li gen, sche men haf ten Ge stal ten im Zwie licht und die Bäu me um mich he rum schwank ten. Nein … das war ich. Ich schwank te. Fühl te es sich so an, wenn man sturz be-trun ken war? Mir war schwind lig und ich war ver wirrt und ir gend-wie war mein Ur teils ver mö gen be ein träch tigt, aber ich hat te das Ge fühl, noch im mer im Be sitz mei ner fünf Sin ne zu sein. Je den falls war es noch nicht so weit, dass ich im Cen tral Park hal lu zi nier te.

»Syl vie.« John um fass te mei ne Schul tern. Er beug te sich hi nab, um mir in die Au gen zu se hen, und nahm mir so die Sicht auf die Hüt ten und ihre trau ri gen Be woh ner. »Sei ehr lich. Wie viel hast du ge trun ken?«

»Nur et was Cham pag ner und …« Ge ra de noch recht zei tig konn-te ich mich brem sen, be vor ich die Tab let ten er wähn te. Oder viel-leicht noch wich ti ger: be vor ich ge stand, dass ich Din ge sah, die er nicht sah. Merk wür di ge Film sze nen aus der Ge schich te des Parks, die ich mit mei nen fünf Sin nen wahr nahm. Und wäh rend mir das in mei nem an ge trun ke nen Zu stand zwar sur re al, aber durch aus ein leuch tend er schien, konn te ich mir vor stel len, dass solch ein Ge ständ nis zu ei nem drei tä gi gen Auf ent halt zur Be ob ach tung in ei ner net ten Pri vat kli nik Up state und weg von Klatsch und Tratsch füh ren könn te.

Be trun ken war bes ser als ver rückt, und als Johns Ge sicht vor mir ver schwamm und ab tauch te, muss te ich nichts vor spie len, als ich ant wor te te: »Viel leicht mehr als et was. Ich habe den Über blick ver lo ren.«

Er blies sich eine kur ze Haar sträh ne aus der Stirn. »Na pri ma.«Dun kel heit kroch am Ran de mei nes Blick fel des he ran. »Ich glau-

Glanz_CC.indd 26 03.07.2014 13:07:07

Page 27: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

be, ich wer de ohn mäch tig.« In An be tracht der Tat sa che, dass in mei nem Kopf ein Wir bel sturm tob te, klang mei ne Stim me ei gen-ar tig nüch tern. Ich muss te ihn war nen, denn er wür de mich auf-fan gen müs sen. »Er zähl es nicht dei nem Dad, okay?«

Mei ne Knie ga ben in dem Mo ment nach, in dem er mei nen Arm über sei ne Schul tern leg te. »Wer de ich nicht.«

Er war so nett zu mir, dass ich ihm tat säch lich glaub te. Aber ich hat te ver ges sen: Psy chi a ter hiel ten im mer zu sam men.

Glanz_CC.indd 27 03.07.2014 13:07:07

Page 28: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

28

Ka pi tel 2

Ein Knur ren hol te mich zu rück in die Ge gen wart; Gigi hat te ihr Spie gel bild im Spie gel ent deckt. Ich hör te die Klo spü lung und be-schloss, ei nen Ab gang zu ma chen, be vor Cru el la de Vil aus ih rer Ka bi ne he raus kam.

Au ßer dem hat te ich lan ge ge nug he rum ge trö delt. Cou si ne Pau la war viel leicht der Typ, der das Flug ha fen-Si cher heits per so nal nach mir su chen ließ. Die of zi el le Ver si on lau te te, dass ich die Fa mi-lie mei nes Va ters be such te, um Mut ter und Steve die Ge le gen heit zu ge ben, in die Flit ter wo chen zu fah ren und ei nen Haus stand zu grün den. Aber ich war mir si cher, der Stief psy chi a ter hat te Dads Cou si ne da rü ber in for miert, dass ich dem Kli schee ei nes dro gen-miss brau chen den Tee nie-Star lets nahekam und »spe zi el le Be treu-ung« brauch te, wäh rend ich »ei ni ge Din ge auf ar bei te te«. Das war Up per-West-Side-Spra che für »aus nüch tern«.

Ich über prüf te mein Spie gel bild – das tat ich im mer, be vor ich die Büh ne be trat –, steck te ein paar maus brau ne Haar sträh nen zu-rück, die aus mei nem Dutt ent wi chen wa ren, kont rol lier te mei ne Zäh ne nach Spu ren von Lipg loss. Ich hat te blas se Haut und die Ne-on be leuch tung be ton te die vi o let ten Schat ten un ter mei nen Au-gen. Sehr vor teil haft.

Mei ne Au gen wan der ten wei ter nach un ten, über mein T-Shirt

Glanz_CC.indd 28 03.07.2014 13:07:07

Page 29: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

29

und mei ne Jeans. Sie saß et was lo cker. Ich ach te te da rauf, dass ich nicht zu nahm, ob wohl ich mir nie wie der um He be fi gu ren Ge dan-ken ma chen muss te. Um den Zeit punkt mei nes end gül ti gen Auf-tritts noch ein we nig hi naus zu zö gern, wi ckel te ich mei nen Pul li von mei ner Hüf te und dra pier te ihn über mei ne Schul tern. Mir war nicht kalt, aber die blass ro sa Far be ließ mein Ge sicht we ni ger wie das ei ner le ben den To ten aus se hen. Es kam nur auf die rich-ti ge Gar de ro be an.

»Ab in die Ta sche, Gigi.« Die Hün din zog ihre Vor der pfo ten folg-sam in die Trans port ta sche zu rück. Auf säs sig ließ ich sie ih ren Kopf he raus stre cken, so dass sie die vor bei zie hen de Welt be trach-ten konn te. We nigs tens eine von uns soll te Spaß ha ben.

Als ich zur Ge päck aus ga be kam, wa ren nur noch we ni ge Flug-gäs te dort. Auf der Su che nach Pau la ließ ich mei nen Blick über die An we sen den schwei fen. Lei der war ich mir nicht si cher, ob ich sie bei ei ner Ge gen ü ber stel lung hät te iden ti fi zie ren kön nen. Wie ich sie aus ei ner Men schen men ge he raus pi cken soll te, war mir schlei er haft.

Ich konn te nie man den ent de cken, der nach mir Aus schau hielt, also ging ich zum Ge päck band. Ganz im Ge gen satz zu Dads Cou si-ne war mein pink far be ner Kof er leicht zu fin den. Al ler dings wa ren weit und breit kei ne Kof er trä ger zu se hen. Ich ver such te, wie je-mand aus zu se hen, der groß zü gig Trink geld ver tei len wür de, muss-te aber fest stel len, dass ich auf mich al lei ne ge stellt war.

Ich schul ter te Gigi als Ge gen ge wicht auf mei ne rech te Sei te und fass te mit der Lin ken nach dem Grif mei nes Kof ers, als er vor bei-kam. Der Trick war, haupt säch lich mei nen lin ken Fuß zu be las ten. Der Or tho pä de hat te zwar mein rech tes Bein für ge heilt er klärt – end lich –, aber die Mus keln wa ren im mer noch schwach. Wäh rend mei nes Auf ent hal tes hier muss te ich wei ter mei ne kran ken gym-nas ti schen Übun gen ma chen, und für den Fall, dass ich Prob le me ha ben soll te, hat te ich eine Über wei sung zu ei nem Spe zi a lis ten in

Glanz_CC.indd 29 03.07.2014 13:07:07

Page 30: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

30

Mont go mery da bei. Ich hat te nicht vor, Prob le me zu ha ben, die ei nen Spe zi a lis ten er for der ten. We der für mein Bein noch für mei-nen Kopf.

Ich schaf te es, den Kof er auf den Rand des Ge päck ban des zu zer ren. Dann ver harr te ich in ei ner un be que men Ar abes que, wäh-rend ich ver such te, mir zu über le gen, wie ich ihn hin un ter zie hen konn te, ohne da bei mein gu tes Bein un ter mir weg zu hau en. Das wäre eine pein li che Schlag zei le: Ex­Bal le ri na von Kof er platt ge­macht. Eine Über do sis Iro nie wird ver mu tet.

»Vor sicht.« Die männ li che Stim me hat te mir ei nen Schreck ein-ge jagt, aber nicht so sehr wie die Hand, die an mir vor bei grif, um den schwe ren Kof er ab zu fan gen. Mein Ins tinkt – der mich sonst im mer vor warn te, wenn sich je mand hin ter mir nä her te, und der mich ver an lass te »Feu er« zu schrei en an stel le von »Ver ge wal ti-gung«, wenn mich je mand pack te – hat te mit ei nem ver nehm ba-ren Zi schen, das so stark war, dass es mich über rasch te, kei nen Rauch zu rie chen, ei nen Kurz schluss er lit ten.

Als ich er schro cken nach Luft schnapp te, at me te ich ei nen Hauch von Kräu ter sei fe ein. Mei nen Kopf al ler dings füll te ein Ge-ruch nach sau be rer Luft und feuch ter Erde. Er ver setz te mich an ei nen merk wür di gen Ort, so dass ich das Ge fühl hat te, gleich zei tig auf dem Flug ha fen in Ala bama zu ste hen und mich ir gend wo an ei nem wil den, nas sen und grü nen Fle cken Erde zu be fin den. Die ein zi gen Kons tan ten wa ren die stüt zen den Arme um mich he rum und das Ge fühl, dass mein Herz aus Vor freu de, Angst oder bei dem aus mei ner Brust he raus zu sprin gen droh te.

Es war schwin del er re gend, mach te mich ner vös und fühl te sich an, als wür de man eine Er in ne rung mit ei nem Traum ver wech-seln. Ei nen Mo ment lang – die Na no se kun de zwi schen der In for-ma ti ons auf nah me und -ver ar bei tung in mei nem Hirn – war ich mir si cher, dass ich mich um dre hen und fest stel len wür de, dass ich ihn kann te.

Glanz_CC.indd 30 03.07.2014 13:07:07

Page 31: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

31

Mein Herz zog sich aus ech ter Angst zu sam men bei dem Ge-dan ken, dass mir die Re a li tät ent glitt. Schon wie der. Aber be vor sich die Pa nik in mir fest kral len konn te, war der Mo ment vor bei. Das un heim li che Ge fühl, die Per son hin ter mir zu ken nen, ver-schwand, und üb rig blieb nur ein völ lig nor ma les Wow, je mand riecht hier rich tig gut.

Eine schwie li ge Hand leg te sich auf mei ne. »Ich hab den Kof er. Du kannst los las sen.«

Ich konn te den Ak zent nicht zu ord nen. Nicht die ge dehn te Sprech wei se der Süd staa ten, die ich er war tet hat te, son dern fie-ßend schlei fen de, run de Sil ben. Ent fernt Bri tisch, aber zu weich für Schot tisch oder Irisch. Et was hall te in mei ner Er in ne rung wi der und pri ckel te in mei nem Na cken. Aber viel leicht war es auch nur der mu si ka li sche Wech sel sei nes Ton falls so dicht an mei nem Ohr.

Et was ver spä tet zog ich schnell mei ne Hand zu rück und mach-te ihm Platz, da mit er das Ge päck un ter Kont rol le brin gen konn te. Ich über spiel te – hof ent lich – mei ne vo rü ber ge hen de Fas sungs-lo sig keit, in dem ich nach Gigi sah – die sich wäh rend des Kof er-de ba kels si cher heits hal ber in ihre Ta sche zu rück ge zo gen hat te.

Ich kann sehr prag ma tisch sein, wenn es um kör per li che Nähe geht. Wenn man mit ei nem Part ner Hebe- und Hal te fi gu ren macht, kann man sich den Lu xus von Scham nicht leis ten. Wahr schein-lich ha ben mehr Män ner mei ne Tabuzo nen be rührt als die von ir-gend ei ner an de ren Jung frau in Ame ri ka. Trotz dem stand ich da, ver un si chert und mit ro ten Wan gen. Jede Stel le, an der sich un se-re Kör per be rührt hat ten, pri ckel te. We nigs tens das war nor mal, wenn auch nicht für mich.

Du mei ne Güte, Syl vie! Hör auf, dich wie ein Mäd chen zu be neh­men. Viel leicht war er häss lich oder alt oder hat te drei Au gen. Und es war so wie so egal, weil er ein zu fäl li ger gu ter Sa ma ri ter war, den ich nie wie der se hen wür de.

»Syl vie Da vis?«

Glanz_CC.indd 31 03.07.2014 13:07:07

Page 32: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

32

Viel leicht war er auch ein Stal ker. Ein geis tes ge stör ter Bal lett fan. Es sind schon ver rück te re Din ge pas siert. Es pass te, dass sie mir wi der fuh ren. Es schien das Jahr da für zu sein.

»Hal lo? Miss?«Wie ein Prä rie hund steck te Gigi ih ren Kopf aus ih rer Ta sche, um

die Be grü ßung zu er wi dern. Ich nahm all mei nen Mut zu sam men und dreh te mich um. Für den Fall, dass ich weg ren nen muss te, press te ich die Trans port ta sche fest an mei ne Sei te.

Vor mir stand ein hoch ge wach se ner jun ger Mann und hielt mei-nen Kof er. Nicht häss lich. Nicht alt. Mit ei ner nor ma len An zahl von Au gen – zu min dest so weit ich se hen konn te. Sie wa ren al ler-dings au ßer ge wöhn lich; von er di gem Grün, das am Rand der Iris dunk ler wur de. Sein Haar war braun und well te sich über sei nen Oh ren und über dem Kra gen sei nes Rug by shirts. Sein kan ti ges Ge-sicht war at trak tiv, mit kla ren, sym met ri schen Li ni en wie in der klas si schen Kunst. Wäh rend der Ro man tik – vol le Au gen brau en, ge ra de Nase, kräf ti ges Kinn. Gains borough viel leicht. Die Art, wie sei ne Haa re fie len und die Son ne sei ne Wan gen und sei ne Nase warm nach zeich ne te, ver lieh ihm ein erd ver bun de nes Aus se hen.

Er konn te nicht viel äl ter sein als ich. Ich schätz te ihn auf zwan-zig oder so. Ge nau so alt wie John, der Ver rä ter. Aber viel mehr … eben viel mehr.

»Du bist Syl vie Da vis, hab ich recht?« Er we del te mit ei ner Hand vor mei nem Ge sicht. Gigi schnapp te spie le risch da nach, mei len-weit da ne ben, aber der Frem de zog sei ne Hand trotz dem zu rück.

Ich blin zel te und klapp te mei nen of en ste hen den Mund zu. Schwie ri ger war es, mei ne Ge dan ken wie der un ter Kont rol le zu be kom men.

»Ken ne ich dich?« Es war eine rhe to ri sche Fra ge. Trotz des vo-ran ge gan ge nen merk wür di gen Mo ments war ich mir si cher, dass ich mich an ihn er in nert hät te, wenn ich ihm schon mal be geg-net wäre.

Glanz_CC.indd 32 03.07.2014 13:07:07

Page 33: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

33

»Nein.« Sei ne Ant wort war ge ra de he raus, aber nicht un freund-lich. »Ich bin Rhys. Rhys Grif th.« Er sprach es aus wie »Re ese«, mit ei nem rol len den R. »Dei ne Cou si ne Pau la hat mich ge schickt, um dich ab zu ho len.«

Auch wenn ich Pau la kaum kann te, fand ich das merk wür dig. Schließ lich ge hör te ich zur Sip pe. »Stimmt was nicht?«

Er lä chel te. An deu tungs wei se. An schei nend war ich leich ter zu durch schau en, als ich dach te. »Sie war tet mit dem Auto in der Kurz zeit park zo ne. Kei ne Sor ge.«

Das hör te sich schon eher nach der Frau an, mit der ich am Te-le fon, wenn auch nur kurz, ge spro chen hat te. Sei ne An we sen heit er klär te es al ler dings trotz dem nicht.

»Hast du nur die sen ei nen Kof er?«, frag te er, wäh rend ich ver-such te, mei nen Ver stand wie der in funk ti ons fä hi gen Zu stand zu ver set zen.

»Nein. Ich habe noch ei nen klei ne ren für den Hund.« Ich deu te-te auf Gi gis Kof er, der noch im mer auf dem För der band im Kreis fuhr. Er ging los, um ihn zu ho len. Das gab mei nem Hirn die Mög-lich keit auf zu ho len.

»Wie hast du mich er kannt?«, frag te ich, als er den Kof er vor mir ab stell te.

Er mus ter te mich, wie mir schien, spöt tisch. »Dünn, Haa re zu ei nem Dutt hoch ge steckt, Kör per hal tung wie die Queen von Eng-land? Es be steht nicht wirk lich Ver wechs lungs ge fahr, Miss Pri ma-bal le ri na.«

Jetzt er wach te mein an ge bo re nes Miss trau en und mei ne Au-gen ver eng ten sich zu Schlit zen. »Wo her weiß ich, dass Pau la dich wirk lich ge schickt hat?«

»Sie sag te, du wür dest kratz bürs tig sein und wahr schein lich zu stur, um zu zu ge ben, dass du we gen dei nes Beins Hil fe mit dei nem Ge päck brauchst.«

Ich press te die Kie fer zu sam men und sah da mit wahr schein lich

Glanz_CC.indd 33 03.07.2014 13:07:07

Page 34: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

34

wirk lich ziem lich stur aus. »Die gan ze Welt weiß, dass ich mein Bein ge bro chen habe.«

»Kann schon sein.« Mit ei ner ra schen Dre hung fuhr er den Grif am Kof er aus und hob fra gend eine dunk le Au gen braue. »Aber wer wuss te, dass du und dein De sig ner-Ta schen-Hund heu te in Bir ming ham, Ala bama, lan den wür det, Prin zes sin?«

Mit die ser iro ni schen Be mer kung, lief er Rich tung Aus gang und zog mei nen pink far be nen Kof er hin ter sich her. Sein Gang war läs sig. Er fühl te sich ein deu tig wohl in sei ner Haut. Ei nen Mo ment lang starr te ich ihm ein fäl tig hin ter her, dann ging mir auf, dass er mit all mei nen Klei dern da von lief.

Ich zog den Grif an Gi gis Kof er – in dem sich ihre falt bare Hun-de box, ihr Spiel zeug und ihr ge sam tes Fut ter be fan den – he raus und eil te ihm hin ter her. Ich muss te die Zäh ne zu sam men bei ßen, um die Schmer zen in mei nem Bein zu er tra gen. Ich hum pel te nicht im mer, aber heu te war ein lan ger, er mü den der Tag ge we-sen. Die Kran ken gym nas tin hat te ge sagt, es sei un ver nünf tig, zu er war ten, dass Kno chen und Mus keln sich über Nacht er hol ten. Sie kann te mich of en sicht lich nicht be son ders gut. Ich war es ge-wohnt, un ver nünf ti ge Din ge von mei nem Kör per zu er war ten.

Glück li cher wei se lief Rhys nicht be son ders schnell. Ich konn te ohne gro ße Prob le me oder pein lich auf zu fal len zu ihm auf schlie-ßen. Gigi war froh, dass es wei ter ging und schau te sich eif rig um. Flug hä fen wa ren vol ler in te res san ter Leu te – und Ge rü che, neh me ich an, aus der Hun de pers pek ti ve.

»Sie ist kein De sig ner-Ta schen-Hund«, sag te ich und keuch te da bei nur leicht.

»Ach nein?« Er sah zu mir he run ter und ver lang sam te sei nen Schritt. Ich war groß ge nug, um den meis ten Ker len auf die Nase, wenn nicht so gar in die Au gen zu schau en, aber mein Kopf reich-te kaum an sein Kinn. »Wie heißt sie?«

Ich biss die Zäh ne zu sam men und ant wor te te. »Gigi.« Er lach-

Glanz_CC.indd 34 03.07.2014 13:07:07

Page 35: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

35

te und in mir sträub te sich Ge gen wehr. »Das ist die Kurz form für Gis el le.«

Tat säch lich hieß sie be reits Gigi, als ich sie be kom men habe, und ich hat te be schlos sen, dass es die Kurz form für ei nen we ni ger lä-cher li chen Na men war. Ich hat te sie von ei nem Soci ety-Girl, die sie nicht mehr woll te, als sie – der Hund, mei ne ich – un be quem groß wur de. Das heißt zu groß, um in die neu es te an ge sag te Hand ta-sche von Prada zu pas sen.

»Sie ist ein aus ran gier ter Se condhand-Hund und sie ist ziem lich wild. Sie beißt dich, wenn du ge mein zu mir bist.«

Der wil de Hund hat te sei ne Vor der pfo ten auf den Ta schen rand ge legt, die Ohr fran sen fat ter ten in der Bri se. Gigi sah aus, als wür-de sie von mei ner Schul ter aus eine Spritz tour in ih rem ei ge nen klei nen Sport wa gen ma chen.

Rhys mus ter te uns bei de von oben bis un ten. »›Und ist ent setz-lich wild, ob schon so klein.‹«

Wenn er ei nen Scherz mach te, trat sein Ak zent noch stär ker her-vor, be ton te über trie ben das rol len de R und zog die Vo ka le in die Län ge, bis er fast nicht mehr zu ver ste hen war.

»Du bist nicht von hier, stimmt’s?«»Wie bist du da rauf ge kom men?«, frag te er, und ich sah an sei-

nem Pro fil, dass er lä chel te.Ich wich ei ner Frau mit Handy und ei ner helm ar ti gen Fri sur aus.

»Der Ak zent. Und weil du mich mit ei nem Shakes peare-Zi tat be-lei digt hast.«

Er warf mir ei nen un schul di gen Blick zu. »Ist ›wild‹ auf die ser Sei te des At lan tiks eine Be lei di gung? Dann ent schul di ge ich mich.«

»Ich mein te den Teil mit dem ›klein‹, wenn du ei gent lich ›mick-rig‹ sa gen woll test.«

Sein Schwei gen wer te te ich als Zu stim mung. Ich wech sel te Gi gis Kof er von der ei nen in die an de re Hand und ver la ger te die Ta sche auf mei ne an de re Schul ter. »Wo her kennst du Pau la?«

Glanz_CC.indd 35 03.07.2014 13:07:07

Page 36: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

36

»Mein Va ter und ich woh nen bei dei ner Cou si ne, so lan ge mein Va ter hier in der Ge gend ar bei tet.«

Ich kämpf te mit der Lo gis tik die ser In for ma ti on, schließ lich wür de auch ich bei ihr woh nen. »Ist ihr Haus be son ders groß?«

»Groß ge nug.« Er warf mir ei nen Blick zu. »Wir wer den uns nicht auf die Füße tre ten, falls es das ist, was dir Sor gen macht.«

»Nein.« Was Ja hei ßen soll te, denn ab ge se hen von mei ner Klei-dung hat te ich Bü cher in mei nem Kof er. Ich hat te vor, mich auf der Ve ran da oder un ter ei nem Mag no li en baum oder was auch im-mer sie hier hat ten, nie der zu las sen und zu le sen, bis es an der Zeit war, wie der in die Zi vi li sa ti on zu rück zu keh ren. »Ich ma che mir nur Sor gen um die Ba de zim mer zei ten.«

Als wir uns dem Aus gang nä her ten, wur de ich lang sa mer – eine Dreh tür in der Mit te und links und rechts da von je weils eine nor-ma le Tür. Flug hä fen wa ren Ü ber gang sor te, eine Ver län ge rung des Flug zeu ges, das ei nen hier her ge bracht hat te, und eine Ver bin dung zu dem Ort, von dem man ge kom men war. Nach drau ßen zu tre-ten und mei ne Füße auf den Bo den zu set zen – rich ti gen Bo den, nicht die Roll bahn – schien ir gend wie eine grö ße re Trag wei te zu be sit zen, als in New York ins Flug zeug zu stei gen.

Rhys hielt mir mit ge streck tem Arm die Tür auf und mach te Platz, da mit ich an ihm vor bei konn te. Mit Gi gis Trans port ta sche über der Schul ter muss te ich mich seit wärts an ihm vor bei zwän-gen. Ich hielt die Luft an. Nicht weil der Spalt so schmal war, son-dern aus Angst vor ei nem wei te ren Trip in mei nem Kopf. Mir Din ge ein zu bil den, wenn ich be trun ken war, war eine Sa che. Eine an de re wa ren selt sa me Déjà-vus mit ei nem Frem den auf dem Flug ha fen …

Ich wag te es, Rhys ei nen ver stoh le nen Blick zu zu wer fen. Er stu-dier te mein Ge sicht mit fins te rer Kon zent ra ti on, so als müss te er nach her ei nen un an ge kün dig ten Test schrei ben. Er sah ernst aus. Als mei ne Au gen sei ne tra fen, sah er we der weg noch ent schul-dig te er sich da für, dass er mich so an starr te. Er hob nur fast un-

Glanz_CC.indd 36 03.07.2014 13:07:07

Page 37: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

merk lich sei ne Au gen brau en und lä chel te mich kurz und schuld-be wusst an, so dass ich in der Tür öf nung ste hen blieb.

Die Ge räu sche des ge schäf ti gen Flug ha fens ver stumm ten. Hin-ter ihm sah ich die un auf hör lich krei sen de Dreh tür. Leu te, die ka-men und gin gen, wäh rend ich mit Rhys auf der Tür schwel le stand, we der drin nen noch drau ßen. Mei ne eine Sei te wur de in Hit ze und Luft feuch tig keit ge tränkt; mei ne an de re von der Kli ma an la ge ge-kühlt. Und der Kerl in der Tür ström te eine ganz ei ge ne Wär me aus.

»Schau nicht so, Lie bes.«Der Ko se na me schreck te mich auf. Aber er be nutz te ihn so, wie

ein Ame ri ka ner »Süße« oder »Schätz chen« sa gen wür de – soll te er in der Lage sein, ei nen sol chen Aus druck zu ver wen den, ohne he-rab las send oder se xis tisch zu klin gen. Rhys schaf te es, es ein fach nur freund lich klin gen zu las sen, so wie »Kum pel« oder »Ka me rad«.

»Wie schau en?« Ich ver such te, nor mal zu klin gen, was schwie-rig war, da ich mich kaum noch da ran er in ner te, was nor mal war.

»So als wür dest du die Höh le des Lö wen be tre ten.« Er nick te nach drau ßen und ver lieh da mit zum ei nen sei ner Be mer kung Nach druck und for der te mich zum an de ren auf, wei ter zu ge hen. Die Ver traut heit des Au gen blicks war ver fo gen. »Kopf hoch. Ich bin mir si cher, du wirst dich ganz schnell wie zu Hau se füh len.«

Ich war nicht si cher, ob ich über haupt noch ein Zu hau se hat te. Nicht nur dass Mut ter und ich bei Steve ein zo gen. Ich hat te im Bal-lett stu dio ge lebt. Die von Schweiß durch tränk te Luft, das Quiet-schen von mit Ko lo pho ni um be stäub ten Schu hen auf dem Bo den. Un se re Woh nung war nur ein Ort zum Schla fen ge we sen und um Zeit tot zu schla gen, be vor ich wie der zu rück ins Stu dio konn te.

Jetzt wür de ich nie wie der tan zen, und mein gan zes Le ben hat-te kein an de res Ziel mehr, als Zeit tot zu schla gen und zu war ten. Aber wo rauf ? Ich wuss te es nicht.

Glanz_CC.indd 37 03.07.2014 13:07:07

Page 38: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

38

Ka pi tel 3

Da wir uns nur ein ein zi ges Mal ge trof en hat ten, hät te ich Cou si ne Pau la nicht be schrei ben kön nen. Aber ich hat te kei ne Schwie-rig kei ten, sie in der Kurz zeit park zo ne drau ßen vor dem Flug ha-fen aus fin dig zu ma chen. Zu min dest nicht, nach dem ich mei ne Son nen bril le auf ge setzt hat te und nicht mehr we gen der Hit ze schwank te.

Rhys roll te mei nen Kof er auf ei nen wei ßen Kom bi zu. Die Frau mitt le ren Al ters, die da ne benstand, lä chel te, als sie mich sah, und kam mir auf dem Bür ger steig ent ge gen. Sie war mit tel groß, fül lig um die Hüf ten, hat te grau blon des Haar – ich neh me an, asch blond, wäre takt vol ler –, das sie in ei ner all ge gen wär ti gen Süd staa ten-Fri-sur trug: ge stuf ter Pa gen kopf, fran si ger Pony, viel Vo lu men. Helm-fri sur. Wie der ein mal ent täusch te Ala bama mich nicht.

»Gott sei Dank«, rief Cou si ne Pau la mit ih rem ge dehn ten Süd-staa ten -Ak zent er leich tert. »Wir wa ren so spät dran, dass ich Angst hat te, dich zu ver pas sen.«

»Wo hin hät te ich ge hen sol len?«, frag te ich nie der ge schla gen und ohne höh nisch klin gen zu wol len. Es war eine Fra ge im wahrs-ten Sin ne des Wor tes. Ich konn te nir gend wo an ders hin ge hen.

»Nun ja, Lieb ling, ist ja egal. Rhys hat dich ge fun den und du bist hier.« Lä chelnd um fass te sie mei ne Schul tern. »Wir fah ren gleich

Glanz_CC.indd 38 03.07.2014 13:07:07

Page 39: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

39

zu rück nach Cah aba und wer den da für sor gen, dass du dich in Null kom ma nichts bei uns wohl fühlst.«

Ich glau be, sie mein te es gut. Aber ich brauch te nie man den, der da für sorg te, dass ich mich wohl fühl te. Ich brauch te nur – was ei-gent lich? Das war die Fra ge der Stun de. Mei ne Mut ter, der Stief-psy chi a ter, mein wirk li cher Psy chi a ter – alle schie nen zu wis sen, was ich brauch te, nur ich nicht.

Ich sah, wie Rhys mich be ob ach te te, als er den Kof er an der Heck klap pe des Wa gens ab stell te, um ihn zu ver la den. Sein for-schen der Blick rief mir mei ne Ma nie ren in Er in ne rung. »Dan ke, Cou si ne Pau la. Es war sehr nett von dir, mich ein zu la den.«

We nigs tens das konn te ich ehr lich sa gen, und es schien sie zu freu en, ob wohl sie gleich ei nen Ein wand hat te. »Um Him mels wil-len, Kind, es ist ge nau so gut dein Zu hau se, auch wenn dein Daddy in die Groß stadt ge füch tet ist.«

Sie woll te mei nen Arm neh men, um mich zum Auto zu füh ren, aber da war der Hund im Weg. Gigi jaul te freund lich und mei ne Cou si ne schnapp te nach Luft und sprang zu rück. »Grund gü ti ger.« Sie starr te auf die Ta sche, die Hand aufs Herz ge presst. »Was in al-ler Welt ist das?«

»Das? Die The ra pie-Idee mei ner Mut ter.«»Sie hat nicht er wähnt, dass du ei nen Hund mit brin gen wür-

dest«, sag te Pau la. Sie war nicht wirk lich ent setzt, aber auch nicht son der lich er freut.

Ich deu te te auf die Flug ha fen tü ren und sag te nur halb im Spaß: »Ist das ein Pro blem? Ich kann näm lich auch nach fra gen, ob die Flug ge sell schaft mich frü her zu rück fie gen lässt.«

»Nein, na tür lich nicht.« Sie klang je doch nicht sehr über zeugt und be trach te te den Hund arg wöh nisch. »Aber wo wird er schla-fen? Er kann nicht frei he rum lau fen und der Gar ten zaun wird kein Hin der nis für ihn sein.«

»Ich habe ihre Hun de box mit ge bracht.« Mei ne schwa che Dank-

Glanz_CC.indd 39 03.07.2014 13:07:07

Page 40: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

40

bar keit für Pau las Gast freund schaft be gann zu schwin den und mach te ei ner wach sen den Be klem mung Platz. »Aber ei gent lich geht sie über all hin, wo ich hin ge he.«

Die Mund win kel mei ner Cou si ne fie len he rab und gru ben lan-ge, miss mu ti ge Fal ten in ihr Ge sicht. Gigi leg te ih ren Kopf schief und dreh te den Nied lich keits schal ter so weit auf, bis er auf »un-wi der steh lich« stand.

Rhys räus per te sich. »Wenn du mir die sen Kof er ge ben wür-dest, Syl vie …«

»Oh Him mel«, sag te Pau la, als be merk te sie jetzt erst, dass wir in der Zone für Kurz zeit par ken stan den. »Wir kön nen ge nau so gut auf dem Weg nach Hau se re den. Willst du vor ne oder hin ten sit zen?«

»Ist mir egal«, sag te ich und über ließ ihr die Wahl. Sie hat te so kleb rig süß am Te le fon ge klun gen, dass ich nicht mit so ei ner Na-tur ge walt ge rech net hat te. Als sie auf den Bei fah rer sitz glitt, be-merk te ich, dass ihre ka ki far be ne Cap ri ho se zwar ein paar Knit-ter fal ten von der Hin fahrt da von ge tra gen hat te, die sorg fäl tig ge press ten Bü gel fal ten aber im mer noch zu se hen wa ren. Es wur-de im mer bes ser.

Ich roll te Gi gis Kof er zum of e nen Kof er raum. Arg wöh nisch be-trach te te ich den Hin ter kopf mei ner Cou si ne und frag te Rhys lei se: »Also, was hat es mit der Fa mi li en kut sche auf sich?«

Es war zwar nicht die ele gan tes te Art he raus zu fin den, ob Pau la Kin der hat te, aber ich fand nicht, dass ich Rhys’ kal ten, höh ni schen Blick ver dient hat te. »Tut mir leid, dass ich nicht in der Lage war, eine Li mou si ne her bei zu schaf en, Euer Ho heit.«

Ich wur de rot und setz te mei ne Son nen bril le auf. Da bei war mir schmerz haft be wusst, dass das pro mi nen te Dol ce & Gabb ana-Logo sein Ur teil nur zu be stä ti gen schien. »Red kei nen Un sinn«, ver such te ich, sei nen Ton fall nach zu ah men. »Ich wäre auch mit ei nem Cab rio zu frie den ge we sen.«

Glanz_CC.indd 40 03.07.2014 13:07:07

Page 41: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

41

Rhys ant wor te te mit ei nem Schnau ben, das ir gend wo zwi schen Spott und La chen an ge sie delt war, wäh rend er mü he los das schwe-re Ge päck stück ne ben das ers te in den Kof er raum hievte. Die brei ten Schul tern un ter sei nem Rug byshirt wa ren also nicht nur Schau. Er hat te sei ne Är mel hoch ge scho ben und ich konn te sei ne mus ku lö sen Hän de und Un ter ar me se hen, die mit ver blas sen den Spu ren von Krat zern und Schnitt wun den be deckt wa ren.

Es war schon so lan ge her, dass ich mich an ders als elend ge-fühlt hat te, dass ich ei nen Mo ment brauch te, um zu mer ken, dass ich neu gie rig war. »Was, hast du ge sagt, machst du in Ala-bama?«

»Ich habe nichts ge sagt«, ließ er mich ab blit zen. Da bei sah er al-ler dings amü siert aus. Aus ir gend ei nem Grund fand er mei ne völ-lig be rech tig te Fra ge lus tig.

Ich durch stö ber te un se re Un ter hal tung in mei ner Er in ne rung, durch sieb te sei ne An spie lun gen auf mei nen di ven haf ten Hund und stell te fest, dass er Recht hat te; er hat te nichts über sich selbst er zählt. Das war zu gleich frust rie rend und ir ri tie rend. Wie konn te es sein, dass ich nichts über ihn wuss te und mir das hu mor vol le Zu cken um sei ne Mund win kel doch so ver traut vor kam, als hät-te die ser Aus druck mich seit Jah ren durch ei nan der ge bracht und fas zi niert?

Wäh rend ich da rü ber nach grü bel te, schloss er den Kof er raum-de ckel. Wie ge bannt starr te ich auf das Schild, das die Rück sei te des Au tos zier te: BLUE STONE HILL HO TEL, CA HAWBA, ALA­BAMA. Un ter dem Schrift zug be fand sich eine ver klä ren de Ab bil-dung ei nes Hau ses aus der Zeit vor dem ame ri ka ni schen Bür ger-krieg, über schat tet von ei nem rie si gen blü hen den Baum.

»Blue stone Hill?«, frag te ich. Ich ver such te, mir ei nen Reim aus dem Bild, dem Na men, dem Wort »Ho tel« und den Ver satz stü cken zu ma chen, die Dad über sei ne Kind heit er zählt hat te.

Rhys leg te eine Hand auf den Kom bi und dreh te sich zu mir um,

Glanz_CC.indd 41 03.07.2014 13:07:07

Page 42: Rosemary Clement-Moore Dahin ist aller Glanz...Gigi war unzufrieden und jaulte leise. Ich öf nete den Reißver-scud shserl T anr s potr at scd ahe,hi e mi s t ienr K oph ef aurs er

UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Rosemary Clement-Moore

Dahin ist aller Glanz

DEUTSCHE ERSTAUSGABE

Paperback, Klappenbroschur, 512 Seiten, 13,5 x 20,6 cmISBN: 978-3-570-40240-5

cbj

Erscheinungstermin: August 2014

Ein falscher Schritt, ein stechender Schmerz und die New Yorker Ballerina Sylvie muss mitgerade siebzehn Jahren ihren Traum vom Tanzen aufgeben. Als ihre Mom bald darauf heiratet,steht Sylvie vor dem Zusammenbruch. Zur Erholung wird sie ausgerechnet zur Familie ihresverstorbenen Vaters nach Alabama geschickt. Im Süden angelangt, findet sich Sylvie auf demehemals prachtvollen Herrensitz Bluestone Hill wieder – und begegnet den verfeindeten JungenRhys und Shawn, zu denen sie sich merkwürdig, fast magisch hingezogen fühlt. Plötzlich wirdSylvie von Erscheinungen heimgesucht: der Duft von Flieder, ein Mädchen am Fluss, Schreie imWald. Sylvie beginnt zu forschen und entdeckt ein düsteres Geheimnis …