Rotes Haar zwischen den Felsen

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Rotes Haar zwischen den Felsen - eine Kurzgeschichte

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Eine Kurzgeschichte

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Rotes Haar zwischen den Felsen

- eine Kurzgeschichte

Die vom Schnee reflektierten Sonnenstrahlen brennen in seinen dick unterlegten Augen und er fragt sich: wofür? Dabei hatte alles so gut angefangen. Hier in der Bucht im Inneren des Reykjarfjörður roch selbst das Fischöl nach Geld und Abenteuer, als Olof sein Heimat-dorf Vattarnes ganz im Osten Islands hinter sich ließ. Wie viele andere junge Männer aus seiner Region, wollte er mehr vom Leben als die paar Schafe seiner Eltern – und die mäch-tigen Maschinen der Heringsfabrik in Djúpavík brummten da gerade laut genug, um selbst im hintersten Winkel der Insel noch wie Sirenen zu klingen. Doch als Olof sich aus der Umarmung seiner Mutter losriss, hatte er nicht bedacht, dass er gerade einen Packt mit einem Fisch eingeht, der nicht mehr und nicht weniger im Sinn hat, als seinem Schwarm zu folgen.

Wir sind hier auf Island um zu arbeiten, sage ich mir und öffne die verdreckte Klappe meines Macbooks. Aber für wen oder was eigentlich? Ich habe mir mal ein Zitat rausgeschrieben: „Was wir tun, hat für die paar Menschen Wert, die lieben können, was sie lieben; die anderen, die lieben, was sich zu lieben schickt, können nicht zählen.“ Kurt und ich wollen großfor-matige Landschaftsaufnahmen machen, auf denen sich irgendwo zwischen den Felsen eine unschuldig dreinschauende Mangina versteckt. Manginas gehen so: Den Pimmel nach hinten zwischen die Schenkel klemmen, so dass Mann aussieht wie Frau. Die anderen, die lieben, was sich zu lieben schickt, können nicht zählen.

Jeden Morgen, wenn der Direktor Óskar Ot-tesen auf die M/S Suðurland kommt, um alle zu wecken, bekommt es Olof mit der Wut zu tun. Der Direktor ist recht gut zu der Mannschaft, doch das Geräusch seiner immer schneller aufeinander klatschenden Handflächen wird von Tag zu Tag, von Woche zu Woche und von Jahr zu Jahr unerträglicher. Besonders schlimm ist es, wenn Olof schon vorher wach war und bereits einige Zeit damit verbracht hat, dem Plätschern des Wasserfalls zu lauschen, der sich unnachgiebig seinen Weg in die von Ge-birgsketten eingekeilte Bucht bahnt. „Raus aus

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den Betten!“ In der Koje gegenüber wohnt Ling Ling, zumindest nennt Olof ihn so, einer der Fischfresser aus Grönland. Olof reißt ihn von hinten an der Schulter und schiebt sich in dem dafür eigentlich viel zu schmalen Gang an ihm vorbei. Erst dürfen die Isländer auf den Pott, dann die Fischfresser.

Abends kommen wir alle in der alten Herings-fabrik zusammen, um zu essen. Heute war Axel mit dem Kochen dran: Es gibt Spaghetti mit Pesto. Niemand beschwert sich darüber, dass man die Nudeln genauso gut lutschen könnte, so weich sind sie gekocht. Nur Arne, einer der beiden Professoren, die mit uns auf Exkursion gefahren sind, murmelt etwas von wegen „Ekel-haft“ und kratzt sich dabei zufrieden den Bart. Zum Nachtisch gibt es eine ausgiebige Diskus-sion über Spiritualität im Allgemeinen und Elfen im Speziellen. Wir einigen uns darauf, dass es egal ist, ob hier jemand unter einem Stein sitzt, oder nicht. In Island fragt man sich das nicht, in Island ist das so. Nur Axel scheint nicht ganz überzeugt. Wie er so da sitzt und auf seinem Kaugummi kaut, aktiviert das einen klei-nen Muskelwurm an seiner Schläfe, von dem ich nicht genau weiß, wie ich ihn deuten soll. Jeder hat hier sein Projekt; Axel macht etwas mit Sound.

Alle in der Gemeinde nennen die beiden „die Wikingerbrüder“. Heute ist Olof mit Bulgur und Roman Jonsson auf einem Kutterzugeteilt. Der letzte fischreiche Sommer war 1944 – aber wenn jemand die Netze wieder voll machen kann, dann jawohl diese vier riesigen Pranken, redet Olof sich ein. Er denkt an den Harmonikaball und daran, wie Inga, die Köchin, wohl gucken würde, wenn er es bis dahin schafft drüben in Hólmavík einen echten Leinenanzug zu kaufen. Ein echter Leinenanzug würde ihm ausgesprochen gut stehen, da ist Olof sich sicher – aber dafür müssten heute wirklich Wunder geschehen. Wie er so da steht und sinniert, trifft ihn ein Klaps, der sich wie ein Faustschlag anfühlt. Das Netz, in das sich dieses Mal zwar ein kleiner Hai, allerdings kaum Heringe verirrt haben, muss wieder eingezogen

werden. Olof brennen die Oberarme.

Clemens fragt mich nach dem Frischkäse mit dem Bacon Geschmack. Bevor ich ihm die Packung reiche, starre ich ihm geheimnisvoll in die Augen; und dann, kurz bevor ich die Pa-ckung tatsächlich rüber reiche, platzt plötzlich Kurt in unsere Gemeinschaftshütte. „Leute: Ein Asiate mit roten Haaren!“. Hastig erzählt er vom bizarren Anblick eines schlitzäugigen, älteren Herren, der gerade ins ebenfalls leicht angerostete Hotel Djúpavík eingecheckt hat. Kurts eines Augenlied zuckt dabei unkontrolliert hin und her und ich kann das gut verstehen. Spontan fällt mir eine Weisheit meines alten Englischlehrers ein: Egal, wie gut man in etwas ist, es gibt immer einen kleinen Asiaten, der besser darin ist. Dann reiche ich Clemens den Frischkäse.

Hering. Vor vier Jahren noch gab es mehr davon, als die Frauen je verarbeiten konnten und dann, von jetzt auf gleich, blieben die Schwärme einfach aus. Olof denkt oft an das vor Fischen glänzende, endlose Förderband; wie es ratterte unter dem Gewicht der Massen. Er hat es den Direktor selbst sagen hören: das einst gelobte Förderband, bestehend aus 120 Meter rostfreien Stahl, läuft langsam leer wie eine Sanduhr. Während die Gemeinde vor dem Harmonikaball in den Vorjahren noch völlig euphorisch gewesen war, zieht sich die Stim-mung in diesem Jahr wie getrockneter Fisch. Die Situation schlägt auch Olof auf die Seele: so hat er heute Morgen - völlig überrascht von sich selber – Ling Ling statt wie üblich an der Schulter zu reißen, direkt mit der flachen Hand niedergestreckt. Die Folgen waren ein Besuch des Direktors und viel schlimmer: die aschfahle Ignoranz, die Inga ihm bei der Essensausgabe widmete. Wenn er doch irgendwie das Geld für den Anzug auftreiben könnte.

Die permanente Helligkeit macht mir zu schaffen. Wenn es draußen 24 Stunden lang nicht dunkel wird, fühlt sich Schlaf anders an. Ich liege im Bett, starre an die gut ausgeleuch-tete Decke und denke an die wohlige Dun-

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kelheit in Deutschland. Der Nachthimmel war immer schön dort, die Satelliten funkelten und ein paar Sterne waren auch dabei. Hier rauscht nur ein Wasserfall. Der von Kurt angepriesene Asiate hat mich heute etwas enttäuscht: ich habe ihn mir wegen den roten Haaren als einen flippigen Tokio-Asiaten vorgestellt; einer von denen, die immer diese Pfeil-Tanz-Geschichten in den Cinneplex-Kinos machen. Aber er war einfach nur ein stattlicher, älterer Herr mit roten Haaren. Spontan fällt mir eine Weisheit ein, von der ich nicht mehr weiß, von wem ich sie habe: Rothaarige sind entweder hinterlistig oder ge-walttätig, aber meistens beides. Draußen zieht ein Schneesturm auf; dieses raue Wetter hier in Island ist wirklich total inspirierend.

Das Meer ist heute unruhig, aber seitdem ihnen das Frühstück wegrationiert wurde, muss sich Olof keine Sorgen mehr um sein kleines Problem machen. Kein Fang, kein Frühstück, kein ungewolltes Futter für die Möwen. In der ersten Schicht des Tages ist Olof mit Ling Ling und einem seiner Fischfresser-Freunde zuge-teilt. Eins muss man ihnen lassen: Faul sind diese Schlitzaugen nicht. Olof lehnt sich an die Reling und versucht in den willenlos auf den Wellen herum baumelnden Bojen, die wohlge-formten Brüste der Kantinenköchin zu erkennen. Heute Abend wird unter der Hand Schnaps zu holen sein und Olof ist sich durchaus bewusst, dass er unter dem Einfluss von starkem Alkohol äußerst charmant sein kann. Hoffentlich gibt es vorher noch was Anständiges zu Essen.

Als ich mir mühsam die Hose von den Beinen ziehe, frage ich mich, wie ich nackt wohl so aus der Ferne aussehe. Das Schlimmste ist die Bewegung, wenn man sich von hinten unter die gespreizten Beine fasst, um das Gesamtpaket Richtung Arschbacken zu ziehen. Kein beson-ders würdevolles Gefühl. Aber für ein gutes Foto muss man Opfer bringen, damit hat Kurt schon recht. Heute Mittag, nach der Zwischen-besprechung unserer Projekte ist er im Auf-enthaltsraum des Hotels mit dem rothaarigen Asiaten ins Gespräch gekommen. So macht Kurt das immer – erst ein bisschen Bla Bla und

Shi Shi und am Ende hält er die Kamera drauf. So hat er gestern schon die ehemalige Miss Iceland rumbekommen. Das Ende vom Lied kann sich jedenfalls hören lassen: Der stattli-che, alte, rothaarige Chinese, oder was auch immer er ist, kommt später mit in die Gemein-schaftshütte, um mit uns zu bechern. Der Wind hier auf dem Hügel dröhnt in meinen Ohren. Ich stelle mir vor, wie sich mein behaartes Drei-eck zwischen der wuchtigen Landschaft macht. Sicherlich gar nicht mal so schlecht.

Ling Ling, sein Fischfresser Freund und Olof kamen heute als erstes Schiff seit Jahren wieder mit fast vollen Netzen in den Hafen eingelaufen. Obwohl Olof es bei den jämmer-lichen Fangquoten der letzten Wochen nicht mehr geschafft hat einen Anzug zu kaufen, ist er in seiner Euphorie kaum zu bremsen. „Heute! Heute Abend!“ frotzelt Olof mit einem seiner Kollegen, der gerade mit dem Einkochen be-schäftigt ist und meint damit Inga. Den bärs-tigen Gestank, der bei Fremden sogar in den Augen brennen soll, riechen die beiden schon lange nicht mehr. Olof stellt sich vor, wie Inga und die anderen Frauen schon seit Stunden mit dem Aufhübschen zu Gange sind. Aufge-hübschte Frauen sieht man hier in Djúpavík nur selten.

Kurt und ich erklären Arne und Stefan, dass normale Landschaftsaufnahmen hier im Bilder-buch-Island zwangsweise kitschig geraten; und dass wir durch die versteckten Manginas eben diesen Kitsch ironisch aufbrechen. Ein ausge-sprochen schlüssiges Konzept, finden wir bei-de. Bei Stefan bilden sich vier oder fünf dunkle Spalten auf der Stirn. In Gedanken sind wir alle schon längst beim abendlichen Umtrunk, bevor es Morgen zurück nach Reykjavik geht. Ich freue mich schon darauf meinen Freunden in Deutschland davon zu erzählen, wie ich in einer alten Heringsfabrik, 300 Kilometer Luftlinie von Grönland mit einem rothaarigen Asiaten Schnaps getrunken habe. Und dann, sobald ich fertig erzählt habe, zaubere ich eins der Mangina Fotos aus dem Hut.

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Sogar ein paar Trawler von den Färöer-Inseln sind gekommen, um dem Ball auf den Lan-dungsbrücken beizuwohnen. Die Laune ist gut, auch das Wetter spielt mit und vereinzelt haben sich bereits singende und tanzende Kreise ge-bildet, obwohl das Fest erst gerade begonnen hat. Olof fühlt sich entgegen der anfänglichen Euphorie nicht sonderlich wohl in seiner Haut und schaut immer wieder zu Gunnar rüber. Sichtlich irritiert verfolgt er dabei im Augenwin-kel, wie Inga drüben am Boot mit den Fischfres-sern schunkelt. Inga und die Schlitzaugen, das ist nun wirklich kein Anblick, der den Erwartun-gen an diesen Abend gerecht wird. Dass Olof immer noch nichts auf die Kehle bekommen hat, tut das Übrige.

Unser Gast hat sich seine roten Haare extra für uns zu einem Mittelscheitel gegelt, was uns alle irgendwie rührt. So richtig in Gang kommen will unser Beisammensein jedoch noch nicht. Axel gibt sich Mühe am Laptop, spielt Trip-Hop. Und Stephi und Jana sind sogar kurz aufge-standen, um ihre Hüften etwas nach vorn zu schieben. Ich fokussiere die glänzenden, roten Haare, die wie eine Perücke an der faltigen, aber gut erhaltenen Haut pappen. Unser Gast, der den sehr unasiatischen Namen Frederik trägt, wackelt schüchtern mit dem Kopf, wäh-rend Arne freundlich auf ihn einredet. Der dritte Wodka-Sprite lockert langsam meine Muskeln.

Inga ist eine eigenwillige Frau und seit der Sache mit Ling Ling erscheint ihr Pferde-schwanz Olof deutlich strenger, als je zuvor. Zumindest Gunnar rückt endlich mit dem Fusel raus. Durch ein Schnapsglas betrachtet, sehen selbst die wehenden Röcke der jungen Dienst-mädchen äußerst einladend aus. Aber er, Olof Sigurdson, hatte schon immer nur das Beste für sich im Sinn. Kleine Rückschlägen können ihm da gar nichts.

Frederik scheint nicht viel Alkohol zu ver-tragen. Ist ja auch klar, er ist schließlich ein Asiate. Sichtlich belustigt bietet Axel ihm ein Glas Milch an. „Zwei Drittel der Menschheit vertragen keine Milch“ flüstere ich Clemens zu

und gönne mir einen Schluck aus dem Glas, das Frederik nicht haben wollte. Da wir hier mit ziemlicher Regelmäßigkeit Bier und Schnaps trinken, habe ich etwas Probleme mit Sod-brennen. Und das späte Essen – die Milch tut mir gut.

Er hat Inga aus den Augen verloren. Wenn man so selten an Alkohol kommt, wie hier in Djúpavík, gestaltet sich seine Wirkung oft etwas problematisch. Olof taumelt über die Landungsbrücke und gerät mit einem der Färö-er aneinander. Wo Inga ist, soll er ihm gefälligst verraten. Es sind die Jonsson Brüder, die beide auseinander zerren. Er bemerkt nicht, dass ihm etwas Speichel die Mundwinkel herunter läuft.

Wir spielen Wahl, Wahrheit oder Pflicht – mit Küssen. Die Flasche zeigt auf Jana; zu gewin-nen oder verlieren gibt es einen Schmatzer von Axel. Alle freuen sich, als Kurt treffend analy-siert, dass ihre Lippen deckungsgleich aufein-ander passen. Klassenfahrt auf Island. Unser Gast ist zu betrunken, um sich zu wundern.

Vorbei an den schunkelnden Gesichtern wankt Olof Richtung Werkstatt, die sich direkt am Fuße des großen Wasserfalls befindet. Einer der Jonsson Brüder will Inga dort gesehen ha-ben. Er spannt den rechten Bizeps an, greift mit der linken Hand unter den Pullover und umfasst seinen Muskel. Als die Netze noch voll waren, war der deutlich größer, erinnert sich Olof.

„Was machst du eigentlich hier in Island?“ fragt Kurt. „Verwandte von mir wohnen hier“ lallt Frederik zurück und zerwuselt dabei seinen Scheitel.

Von Innen hört Olof leises Gekeuche. Er öffnet die Werkstatt-Tür und starrt Ling Ling geradewegs in die Augen: Schlitze, so dünn wie Papierschnitte. Inga streicht panisch durch ihr feuerrotes Haar, in das Olof so gern seine Nase gesteckt hätte.

„Achso“ sagt Kurt.

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Text und Gestaltung:Paul Schoemaker

Betreuende Professoren:Stefan AsmusArne Rawe

Die Arbeit ist auf einer Exkursion nach Islandentstanden.

FH Düsseldorf 2012

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