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RUDOLF STEINER GESAMTAUSGABE

SCHRIFTEN

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RUDOLF STEINER

DAS CHRISTENTUM

ALS MYSTISCHE TATSACHE

UND DIE MYSTERIEN

DES ALTERTUMS

1989

RUDOLF STEINER VERLAGDORN ACH/SCHWEIZ

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Herausgegeben von der Rudolf Steiner-Nachlaßverwaltung

1. Auflage: Das Christentum als mystische Tatsache, Berlin 1902

2. Auflage: neu durchgearbeitet und erweitert

Das Christentum als mystische Tatsache

und die Mysterien des Altertums, Leipzig 1910

3. und 4. Auflage, Leipzig 1910

5. Auflage (5.-19. Tausend) Dornach 1925

6. Auflage (20.-26. Tausend) Stuttgart 1949

7. Auflage (27.-31. Tausend) Gesamtausgabe Dornach 1959

8. Auflage (32.-34. Tausend) ergänzt um einen Anhang

Gesamtausgabe Dornach 1976

9. Auflage (35.-37. Tausend) Gesamtausgabe Dornach 1989

Bibliographie-Nr. 8

Alle Rechte bei der Rudolf Steiner-Nachlaßverwaltung,

Dorn ach / Seh wei z

© 1976 by Rudolf Steiner-Nachlaßverwaltung, Dornach/Schweiz

Satz: Kooperative Dürnau, Dürnau

Printed in Germany by Konkordia Druck, Bühl/Baden

ISBN 3-7274-0080-3

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INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort zur zweiten Auflage [1910] 7

Gesichtspunkte 11

Mysterien und Mysterienweisheit 18

Die griechischen Weisen vor Plato im Lichte

der Mysterienweisheit ,. 38

Plato als Mystiker 54

Die Mysterienweisheit und der Mythus 74

Die ägyptische Mysterienweisheit 97

Die Evangelien 111

Das Lazarus-Wunder 119

Die Apokalypse des Johannes . 131

Jesus und sein geschichtlicher Hintergrund 146

Vom Wesen des Christentums 150

Christentum und heidnische Weisheit 158

Augustinus und die Kirche. 166

Einige Bemerkungen 174

Anhang

Vorwort zur ersten Auflage (1902) 177

Hinweise des Herausgebers 183

Zu dieser Ausgabe / Textkorrekturen / Hinweise zum Text

N a m e n r e g i s t e r 1 9 8

Ü b e r s i c h t ü b e r d i e R u d o l f S t e i n e r G e s a m t a u s g a b e . . . 2 0 1

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VORWORT ZUR ZWEITEN AUFLAGE

«Das Christentum als mystische Tatsache» nannte derVerfasser diese Schrift, als er in ihr vor acht Jahren denInhalt von Vorträgen zusammenfaßte, die er im Jahre 1902gehalten hatte. Mit diesem Titel sollte auf den besonderenCharakter des Buches gedeutet werden. Es ist in ihm nichtbloß der mystische Gehalt des Christentums geschichtlichdarzustellen versucht worden, sondern es sollte die Ent-stehung des Christentums aus der mystischen Anschauungheraus geschildert werden. Es lag dabei der Gedanke zu-grunde, daß in dieser Entstehung geistige Tatsachen wirk-ten, die nur durch eine solche Anschauung gesehen werdenkönnen. Der Inhalt des Buches allein kann rechtfertigen,daß sein Verfasser «mystisch» nicht eine Anschauung nennt,welche sich mehr an unbestimmte Gefühlserkenntnisse alsan «streng wissenschaftliche Darlegung» hält. In weitenKreisen wird ja gegenwärtig «Mystik» in einer solchen Artverstanden und dadurch wohl auch von vielen für ein Ge-biet des menschlichen Seelenlebens erklärt, das mit «echterWissenschaft» nichts zu tun haben kann. Im Sinne diesesBuches wird das Wort «Mystik» gebraucht für die Dar-stellung einer geistigen Tatsache, die in ihrem Wesen nurerkannt werden kann, wenn die Erkenntnis aus den Quellendes geistigen Lebens selbst hergenommen ist. Wer eine Er-kenntnisart, die aus solchen Quellen schöpft, ablehnt, derwird zu dem Inhalt dieses Buches keine Stellung gewinnenkönnen. Nur wer «Mystik» in dem Sinne gelten läßt, daßin ihr eben solche Klarheit herrschen kann wie in wahrerDarstellung naturwissenschaftlicher Zusammenhänge, derwird darauf sich einlassen, wie hier der Inhalt des Christen-

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tums als Mystik auch mystisch geschildert wird. Denn nichtnur auf den Inhalt der Schrift kommt es an, sondern - undvor allem darauf - aus welchen Erkenntnismitteln herausin ihr dargestellt wird.

In unserer gegenwärtigen Zeit haben viele noch dieheftigsten Abneigungen gegen solche Erkenntnismittel. Siesehen sie als wahrer Wissenschaftlichkeit widersprechendan. Und dies ist der Fall nicht nur bei denjenigen, welchebloß eine in ihrem Sinne gehaltene Weltauffassung auf demBoden «echter naturwissenschaftlicher Erkenntnisse» geltenlassen wollen, sondern auch bei solchen, welche als Bekennerdes Christentums dessen Wesen betrachten wollen. Der Ver-fasser dieser Schrift steht auf dem Boden einer Auffassung,welche einsieht, daß die naturwissenschaftlichen Errungen-schaften unserer Gegenwart die Erhebung zu wahrer Mystikfordern. Diese Auffassung kann zeigen, daß eine andereStellung zur Erkenntnis gerade im Widerspruch steht zuallem, was diese naturwissenschaftlichen Errungenschaftendarbieten. Mit denjenigen Erkenntnismitteln, welche somanche allein anwenden möchten, die da meinen, auf demfesten Boden der Naturwissenschaft zu stehen, könnendie Tatsachen dieser Naturwissenschaft eben nicht umfaßtwerden.

Nur wer zugeben kann, daß volles Gerechtwerden gegen-über unserer gegenwärtigen, so bewundernswerten Natur-erkenntnis mit echter Mystik vereinbar ist, der wird diesesBuch nicht ablehnen.

Durch dasjenige, was hier «mystische Erkenntnis» ge-nannt wird, soll in diesem Buche gezeigt werden, wie derQuell des Christentums sich seine Voraussetzungen ge-schaffen hat in den Mysterien der vorchristlichen Zeit. In

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dieser «vorchristlichen Mystik» wird der Boden aufgezeigt,in dem als ein Keim von selbständiger Art das Christentumgedeiht. Dieser Gesichtspunkt macht möglich, das Christen-tum in seiner selbständigen Wesenheit zu verstehen, trotz-dem man seine Entwicklung aus der vorchristlichen Mystikverfolgt. Bei Außerachtlassung dieses Gesichtspunktes istes nur zu leicht möglich, daß diese Selbständigkeit ver-kannt wird, indem man glaubt, in dem Christentum habesich nur weiterentwickelt, was in der vorchristlichen My-stik schon da war. In diesen Fehler verfallen viele Mei-nungen der Gegenwart, welche den Inhalt des Christen-tums vergleichen mit vorchristlichen Anschauungen unddann glauben, die christlichen seien nur eine Fortbildungdieser vorchristlichen. Das vorliegende Buch soll zeigen,daß Christentum die vorherige Mystik voraussetzt wieder Pflanzenkeim seinen Boden. Es will die Wesenheit desChristentums gerade in ihrer Eigenart betonen durch dieErkenntnis seiner Entstehung, sie aber nicht auslöschen.

Mit tiefer Befriedigung darf der Verfasser erwähnen,daß er mit solcher Darstellung des «Wesens des Christen-tums» die Zustimmung einer Persönlichkeit gefunden hat,welche durch ihre bedeutungsvollen Schriften über das Gei-stesleben der Menschheit die Bildung unserer Zeit im tiefstenSinne bereichert hat. Edouard Schure, der Verfasser der«Grands Inities»*, stimmte den Gesichtspunkten diesesBuches bis zu dem Grade zu, daß er selbst dessen Über-setzung ins Französische besorgte (unter dem Titel: Lemystere chretien et les mysteres antiques). Nur neben-

* Dieses Buch liegt in deutscher Übersetzung von Marie Steiner vor:«Die großen Eingeweihten» von Edouard Schure (Leipzig bei M. Altmann).

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her und als Symptom dafür, daß in der Gegenwart eineSehnsucht besteht, das Wesen des Christentums im Sinnedieses Buches zu verstehen, soll erwähnt werden, daß dieerste Auflage außer ins Französische auch in andere euro-päische Sprachen übersetzt ist.

Irgend etwas Wesentliches an der ersten Auflage zu än-dern, hat sich der Verfasser bei Veranstaltung dieser zwei-ten Auflage nicht veranlaßt gesehen. Dagegen finden sichin derselben Erweiterungen des vor acht Jahren Darge-stellten. Auch ist versucht worden, manches genauer undausführlicher zu fassen, als es damals hat geschehen kön-nen. Leider ist der Verfasser durch viele Arbeit gezwungengewesen, lange Zeit verstreichen zu lassen zwischen demAugenblicke, da die erste Auflage vergriffen war, und demErscheinen dieser zweiten.

Geschrieben im Mai 1910.

Rudolf Steiner

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GESICHTSPUNKTE

Das naturwissenschaftliche Denken hat das neuzeitliche Vor-stellungsleben tiefgehend beeinflußt. Immer unmöglicherwird es, von den geistigen Bedürfnissen, von dem «Lebender Seele» zu sprechen, ohne sich mit den Vorstellungsartenund Erkenntnissen der Naturwissenschaft auseinanderzu-setzen. Gewiß: es gibt noch viele Menschen, welche dieseBedürfnisse befriedigen, ohne sich die Kreise von der natur-wissenschaftlichen Strömung im Geistesleben stören zu las-sen. Diejenigen, welche den Pulsschlag der Zeit hören, kön-nen nicht zu diesen gehören. Mit wachsender Schnelligkeiterobern sich die aus der Naturerkenntnis geschöpften Vor-stellungen die Köpfe; und die Herzen folgen, wenn auchviel weniger willig, wenn auch oft mutlos und zagend. Nichtallein auf die Zahl derer kommt es an, die erobert sind;sondern darauf, daß dem naturwissenschaftlichen Denkeneine Kraft innewohnt, die dem Aufmerkenden die Über-zeugung gibt: Dieses Denken enthält etwas, an dem eineWeltanschauung der Gegenwart nicht vorbeigehen kann,ohne bedeutungsvolle Eindrücke zu empfangen. MancheAuswüchse dieses Denkens nötigen zu einem berechtigtenZurückweisen seiner Vorstellungen. Doch kann man dabeinicht stehenbleiben in einem Zeitalter, in dem sich weiteKreise dieser Denkungsart zuwenden und von ihr wie voneiner Zaubermacht angezogen werden. Daran ändert auchdie Tatsache nichts, daß einzelne Persönlichkeiten einsehen,wie wirkliche Wissenschaft durch sich selbst über die «flacheKraft- und Stoffweisheit» des Materialismus «längst» hin-ausgeführt hat. Viel mehr, so scheint es, ist auf diejenigenzu achten, die mit Kühnheit erklären: die naturwissen-

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schaftlichen Vorstellungen sind es, auf die auch eine neueReligion aufgebaut werden müsse. Wenn solche dem, derdie tieferen geistigen Interessen der Menschheit kennt, auchflach und oberflächlich erscheinen, so muß er doch auf siehören; denn ihnen wendet sich die Aufmerksamkeit derGegenwart zu; und es sind Gründe zu der Ansicht vor-handen, daß sie die Aufmerksamkeit in der nächsten Zu-kunft immer mehr gewinnen werden. Und auch die anderenkommen in Betracht, die mit den Interessen ihres Herzenshinter denen ihres Kopfes zurückgeblieben sind. Es sinddie, welche sich in ihrem Verstande den naturwissenschaft-lichen Vorstellungen nicht entziehen können. Die Beweislastdrückt auf sie. Aber die religiösen Bedürfnisse ihres Ge-mütes können von diesen Vorstellungen nicht befriedigtwerden. Für eine solche Befriedigung liefern diese eine zutrostlose Perspektive. Soll denn die Menschenseele sich fürdie Höhen der Schönheit, Wahrheit und Güte begeistern,um in jedem einzelnen Falle wie eine vom materiellen Ge-hirn aufgetriebene Schaumblase am Ende in Wesenlosigkeithinweggefegt zu werden? Das ist eine Empfindung, die aufvielen wie ein Alp lastet. Und die naturwissenschaftlichenVorstellungen lasten auch deshalb auf ihnen, weil sie miteiner gewaltigen autoritativen Kraft sich aufdrängen. SolcheMenschen verhalten sich, solange sie nur können, blindgegen diesen Zwiespalt in ihrer Seele. Ja, sie trösten sichdamit, zu sagen, daß volle Klarheit in diesen Dingen dermenschlichen Seele versagt sei. Sie denken naturwissen-schaftlich, soweit die Erfahrung der Sinne und die Logikdes Verstandes dies fordern; aber sie erhalten sich ihreanerzogenen religiösen Empfindungen und bleiben am lieb-sten über diese Dinge in einer den Verstand umnebelnden

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Dunkelheit. Sie haben nicht den Mut, sich zu einer Klarheitdurchzuringen.

So kann kein Zweifel darüber sein: Die naturwissenschaft-liche Denkungsart ist die mächtigste Gewalt im Geisteslebender Neuzeit. Und wer von den geistigen Interessen derMenschheit spricht, darf an ihr nicht achtlos vorübergehen.Aber zweifellos ist es auch, daß die Art, wie sie zunächstdie geistigen Bedürfnisse befriedigt, eine oberflächliche undflache ist. Es wäre trostlos, wenn diese Art die rechte wäre.Oder wäre es nicht niederdrückend, wenn man zustimmenmüßte, sobald einer sagt: «Der Gedanke ist eine Form derKraft. Wir gehen mit derselben Kraft, mit der wir denken.Der Mensch ist ein Organismus, der verschiedene Formender Kraft in Gedankenkraft umwandelt, ein Organismus,den wir mit dem, was wir «Nahrung» nennen, in Tätigkeiterhalten, und mit dem wir das, was wir Gedanken nennen,produzieren. Welch ein wundervoller chemischer Prozeß,der ein bloßes Quantum Nahrung in die göttliche Tragödieeines «Hamlet» verwandeln konnte!»? Das ist geschriebenin einer Broschüre Robert G. Ingersolls, die den Titel «Mo-derne Götterdämmerung» tragt. - Mögen solche Gedankenäußerlich wenig Zustimmung finden, wenn sie der eineoder andere ausspricht: das ist gleichgültig. Die Hauptsacheist, daß Unzählige durch die naturwissenschaftliche Den-kungsart sich gezwungen sehen, sich im Sinne der obigenSätze zu den Vorgängen der Welt zu stellen, auch wennsie die Meinung haben, daß sie es nicht tun.

Gewiß wären diese Dinge trostlos, wenn die Naturwissen-

schaft selbst zu dem Bekenntnisse zwänge, das viele ihrer

neueren Propheten verkünden. Am trostlosesten für den,

welcher aus dem Inhalte dieser Naturwissenschaft die Über-

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zeugung gewonnen hat, daß auf ihrem Naturgebiete ihreDenkungsart gültig, ihre Methoden unerschütterlich sind.Denn ein solcher muß sich sagen: Mögen sich die Leute nochso sehr über einzelne Fragen herumstreiten; mögen Bändenach Bänden geschrieben, Beobachtungen nach Beobachtun-gen gesammelt werden über den «Kampf ums Dasein» undseine Bedeutungslosigkeit, über «Allmacht» oder «Ohn-macht» der «Naturzüchtung»: die Naturwissenschaft selbstbewegt sich in einer Richtung, die, innerhalb gewisser Gren-zen, Zustimmung in immer höherem Grade finden muß.

Aber sind die Forderungen der Naturwissenschaft wirk-lich diejenigen, von denen einige ihrer Vertreter sprechen?Daß sie es nicht sind, beweist gerade das Verhalten dieserVertreter selbst. Dieses ihr Verhalten ist auf ihrem eigenenGebiete nicht ein solches, wie viele es beschreiben und fürandere Gebiete fordern. Oder hätten Darwin und ErnstHaeckel jemals die großen Entdeckungen auf dem Gebieteder Lebensentwicklung gemacht, wenn sie, statt das Lebenund den Bau der Lebewesen zu beobachten, sich in das La-boratorium begeben hätten, um chemische Versuche über einaus einem Organismus herausgeschnittenes Stück Gewebeanzustellen? Hätte Lyell die Entwicklung der Erdrindedarstellen können, wenn er nicht die Schichten der Erdeund deren Inhalt untersucht, sondern dafür unzählige Steineauf ihre chemischen Eigenschaften hin geprüft hätte? Manwandle doch wirklich in den Spuren dieser Forscher, diesich wie monumentale Gestalten innerhalb der neuerenWissenschaftsentwicklung darstellen! Man wird es dannin den höheren Gebieten des Geisteslebens treiben, wie siees auf dem Felde der Naturbeobachtung getrieben haben.Man wird dann nicht glauben, daß man das Wesen der

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«göttlichen» Hamlettragödie begriffen habe, wenn mansagt: ein wundervoller chemischer Prozeß habe ein Quan-tum Nahrung in diese Tragödie umgewandelt. Man wirddas ebensowenig glauben, wie irgendein Naturforscher imErnste glauben kann: er habe die Aufgabe der Wärme beider Erdentwicklung begriffen, wenn er die Wirkung derWärme auf den Schwefel in der chemischen Retorte stu-diert hat. Er sucht ja den Bau des menschlichen Gehirnsauch nicht dadurch zu begreifen, daß er ein Stückchen ausdem Kopfe nimmt und untersucht, wie eine Lauge daraufwirkt, sondern indem er sich fragt, wie es sich im Laufeder Entwicklung aus den Organen niederer Organismengestaltet hat.

Es ist also doch wahr: Derjenige, welcher die Wesenheitdes Geistes untersucht, kann von der Naturwissenschaftnur lernen. Er braucht es nur wirklich so zu machen, wie siees macht. Er darf sich nur nicht täuschen lassen durch das,was ihm einzelne Vertreter der Naturwissenschaft vor-schreiben wollen. Er soll forschen im geistigen Gebiete wiesie im physischen; aber er braucht die Meinungen nicht zuübernehmen, welche sie, getrübt durch ihr Denken überrein Physisches, von der geistigen Welt vorstellen.

Man handelt nur im Sinne der Naturwissenschaft, wennman den geistigen Werdegang des Menschen ebenso unbe-fangen betrachtet, wie der Naturforscher die sinnliche Weltbeobachtet. Man wird dann allerdings auf dem Gebiete desGeisteslebens zu einer Betrachtungsart geführt, die sich vonder bloß naturwissenschaftlichen ebenso unterscheidet wiedie geologische von der bloß physikalischen, die Unter-suchung der Lebensentwicklung von der Erforschung derbloßen chemischen Gesetze. Man wird zu höheren Metho-

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den geführt, die zwar nicht die naturwissenschaftlichen seinkönnen, aber doch ganz in ihrem Sinne gehalten sind. Da-durch wird sich manche einseitige Ansicht der Naturfor-schung von einem andern Gesichtspunkte aus modifizieren

* oder korrigieren lassen; aber man setzt damit die Natur-wissenschaft nur fort; man sündigt nicht gegen sie. - SolcheMethoden allein können dazu führen, in geistige Entwick-lungen wie in diejenige des Christentums oder anderer reli-giöser Vorstellungswelten wirklich einzudringen. Wer sieanwendet, mag den Widerspruch mancher Persönlichkeiterregen, die naturwissenschaftlich zu denken glaubt: er weißsich aber doch in vollem Einklänge mit einer wahrhaftnaturwissenschaftlichen Vorstellungsart.

Auch über die bloß geschichtliche Erforschung der Doku-mente des Geisteslebens muß ein also Forschender hinaus-schreiten. Er muß es gerade wegen seiner aus der Betrach-tung des natürlichen Geschehens geschöpften Gesinnung. Eshat für die Darlegung eines chemischen Gesetzes wenigWert, wenn man die Retorten, Schalen und Pinzetten be-schreibt, die zu der Entdeckung des Gesetzes geführt haben.Aber genausoviel und genausowenig Wert hat es, wennman, um die Entstehung des Christentums darzulegen, diegeschichtlichen Quellen feststellt, aus denen der EvangelistLukas geschöpft hat; oder aus denen die «Geheime Offenba-rung» des Johannes zusammengestellt ist. Die «Geschichte»kann da nur der Vorhof der eigentlichen Forschung sein.Nicht dadurch erfährt man etwas über die Vorstellungen,welche in den Schriften des Moses oder in den Überliefe-rungen der griechischen Mysten herrschen, daß man diegeschichtliche Entstehung der Dokumente verfolgt. In die-sen haben doch die Vorstellungen, um die es sich handelt,

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nur einen äußeren Ausdruck gefunden. Und auch der Na-turforscher, der das Wesen des «Menschen» erforschenwill, verfolgt nicht, wie das Wort «Mensch» entstanden istund wie es in der Sprache sich fortgebildet hat. Er hältsich an die Sache, nicht an das Wort, in dem die Sache ihrenAusdruck findet. Und im Geistesleben wird man sich an denGeist und nicht an seine äußeren Dokumente zu haltenhaben.

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MYSTERIEN UND MYSTERIENWEISHEIT

Etwas wie ein geheimnisvoller Schleier liegt über der Art,wie innerhalb der alten Kulturen diejenigen ihre geistigenBedürfnisse befriedigten, welche nach einem tieferen reli-giösen und Erkenntnisleben suchten, als die Volksreligionenbieten konnten. In das Dunkel rätselvoller Kulte werdenwir geführt, wenn wir der Befriedigung solcher Bedürfnissenachforschen. Jede Persönlichkeit, die solche Befriedigungfindet, entzieht sich für einige Zeit unserer Beobachtung.Wir sehen, wie ihr zunächst die Volksreligionen nicht gebenkönnen, was ihr Herz sucht. Sie anerkennt die Götter; abersie weiß, daß in den gewöhnlichen Anschauungen über dieGötter die großen Rätselfragen des Daseins sich nicht ent-hüllen. Sie sucht eine Weisheit, die sorglich eine Gemein-schaft von Priesterweisen hütet. Sie sucht Zuflucht bei dieserGemeinschaft für die strebende Seele. Wird sie von den Wei-sen reif befunden, so wird sie von ihnen auf eine Art, die sichdem Auge des Außenstehenden entzieht, von Stufe zu Stufehinaufgeführt zu höherer Einsicht. Was mit ihr nun vorgeht,verhüllt sich den Uneingeweihten. Sie scheint der irdischenWelt für einige Zeit völlig entrückt. Wie in eine geheime Weltversetzt erscheint sie. — Und wenn sie wieder dem Tageslichtgegeben ist, steht eine andere, eine völlig verwandelte Per-sönlichkeit vor uns. Eine Persönlichkeit, die nicht Worte fin-det, die erhaben genug sind, um auszudrücken, wie bedeu-tungsvoll das Erlebte für sie gewesen ist. Sie erscheint sich,nicht bildlich bloß, sondern im Sinne höchster Wirklichkeit,wie durch den Tod hindurchgegangen und zu neuem höherenLeben erwacht. Und sie ist klar darüber, daß niemand ihreWorte recht verstehen kann, der nicht ein Gleiches erlebt hat.

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So war es mit den Personen, welche durch die Mysterieneingeweiht wurden. In jenen geheimnisvollen Weisheits-inhalt, der dem Volke entzogen wurde und der über diehöchsten Fragen Licht brachte. Neben der Volksreligionbestand diese «geheime» Religion der Auserwählten. IhrUrsprung verschwimmt für den geschichtlichen Blick in dasDunkel des Völkerursprungs. Man findet sie bei den altenVölkern überall, soweit man darüber eine Einsicht gewin-nen kann. Die Weisen dieser Völker reden mit der größtenEhrerbietung von den Mysterien. — Was wurde in ihnenverhüllt? Und was enthüllten sie dem, der in sie eingeweihtwurde?

Das Rätselhafte ihrer Erscheinung wird erhöht, wenn mangewahr wird, daß die Mysterien von den Alten zugleichals etwas Gefährliches angesehen wurden. Durch eine Weltvon Furchtbarkeiten führte der Weg zu den Geheimnissendes Daseins. Und wehe dem, der unwürdig zu ihnen ge-langen wollte. - Kein größeres Verbrechen gab es als den«Verrat» der Geheimnisse an Uneingeweihte. Mit dem Todeund der Güterkonfiskation wurde der «Verräter» gestraft.Man weiß, daß der Dichter Aschylus angeklagt war, einigesvon den Mysterien auf die Bühne gebracht zu haben. Erkonnte dem Tode nur entgehen durch die Flucht zu demAltar des Dionysos und durch den gerichtlichen Nachweis,daß er gar kein Eingeweihter war.

Vielsagend aber auch vieldeutig ist, was die Alten überdiese Geheimnisse sagen. Der Eingeweihte ist überzeugt,daß es sündhaft ist, zu sagen, was er weiß; und auch daß esfür den Uneingeweihten sündhaft ist, es zu hören. Plutarchspricht von dem Schrecken der Einzuweihenden und ver-gleicht den Zustand derselben mit der Vorbereitung zum

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Tode. Eine besondere Lebensweise mußte den Einweihun-gen vorangehen. Sie war dazu angetan, die Sinnlichkeit indie Gewalt des Geistes zu bringen. Fasten, einsames Leben,Kasteiungen und gewisse seelische Übungen sollten dazudienen. Woran der Mensch im gewöhnlichen Leben hängt,sollte allen Wert für ihn verlieren. Die ganze Richtungseines Empfindungs- und Gefühlslebens mußte eine anderewerden. - Man kann nicht im Zweifel sein über den Sinnsolcher Übungen und Prüfungen. Die Weisheit, die demEinzuweihenden dargeboten werden sollte, konnte nur danndie rechte Wirkung auf seine Seele tun, wenn er vorherseine niedere Empfindungswelt umgestaltet hatte. In dasLeben des Geistes wurde er eingeführt. Er sollte eine höhereWelt schauen. Zu ihr konnte er ohne vorherige Übungen undPrüfungen kein Verhältnis gewinnen. Es kam eben auf die-ses Verhältnis an. Wer über diese Dinge recht denken will,muß Erfahrungen über die intimen Tatsachen des Erkennt-nislebens haben. Er muß empfinden, daß es zwei weit aus-einanderliegende Verhältnisse gibt zu dem, was die höchsteErkenntnis darbietet. - Die Welt, die den Menschen umgibt,ist zunächst seine wirkliche. Er tastet, hört und sieht ihreVorgänge. Er nennt diese deshalb, weil er sie mit seinenSinnen wahrnimmt, wirklich. Und er denkt über sie nach,um sich über ihre Zusammenhänge aufzuklären. - Was da-gegen in seiner Seele aufsteigt, ist ihm zuerst nicht in dem-selben Sinne Wirklichkeit. Es sind das eben «bloße» Gedan-ken und Ideen. Bilder der sinnlichen Wirklichkeit sieht erhöchstens in ihnen. Sie haben selbst keine Wirklichkeit. Mankann sie ja nicht betasten; man hört und sieht sie nicht.

Es gibt ein anderes Verhältnis zu der Welt. Wer unbedingtan der eben geschilderten Art von Wirklichkeit hängt, wird

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es kaum begreifen. Es stellt sich für gewisse Menschen ineinem Zeitpunkte ihres Lebens ein. Für sie kehrt sich dasganze Verhältnis zur Welt um. Sie nennen Gebilde, die indem geistigen Leben ihrer Seele auftauchen, wahrhaft wirk-lich. Und was Sinne hören, tasten und sehen, dem schreibensie nur eine Wirklichkeit niederer Art zu. Sie wissen, daßsie, was sie da sagen, nicht beweisen können. Sie wissen,daß sie von ihren neuen Erfahrungen nur erzählen können.Und daß sie mit ihren Erzählungen dem andern so gegen-überstehen wie der Sehende mit der Mitteilung der Wahr-nehmungen seines Auges dem Blindgeborenen. Sie unter-nehmen die Mitteilung ihrer inneren Erlebnisse in dem Ver-trauen, daß um sie andere stehen, deren geistiges Auge zwarnoch geschlossen ist, deren gedankliches Verstehen aber durchdie Kraft des Mitgeteilten ermöglicht werden kann. Dennsie haben den Glauben an die Menschheit und wollen gei-stige Augenaufschließer sein. Sie können nur hinlegen dieFrüchte, die ihr Geist selbst gepflückt hat; ob der anderesie sieht, hängt davon ab, ob er Verständnis hat für das,was ein Geistesauge schaut. — Es ist im Menschen etwas, wasihn zunächst hindert, mit Geistesaugen zu sehen. Er istzuerst gar nicht dazu da. Er ist, was er seinen Sinnen nachist; und sein Verstand ist nur der Erklärer und Richterseiner Sinne. Diese Sinne würden ihre Aufgabe schlechterfüllen, wenn sie nicht auf der Treue und Untrüglichkeitihrer Aussagen beständen. Ein Auge wäre ein schlechtesAuge, das nicht, von seinem Standpunkte aus, die unbedingteWirklichkeit seiner Gesichtswahrnehmungen behauptete.Das Auge hat für sich Recht. Es verliert auch sein Rechtnicht durch das Geistesauge. Dies Geistesauge läßt nur zu,daß man die Dinge des sinnlichen Auges in einem höheren

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Lichte sieht. Man leugnet dann auch nichts von dem, wasdas sinnliche Auge geschaut hat. Aber von dem Gesehenenstrahlt ein neuer Glanz aus, den man früher nicht gesehenhat. Und dann weiß man, daß man zuerst nur eine niedereWirklichkeit gesehen hat. Man sieht nunmehr dasselbe; aberman sieht es eingetaucht in ein Höheres, in den Geist. Eshandelt sich nun darum, ob man auch empfindet und fühlt,was man sieht. Wer allein dem Sinnlichen gegenüber mitlebendigen Empfindungen und Gefühlen dasteht, der siehtin dem Höheren eine Fata Morgana, ein «bloßes» Phanta-siegebilde. Seine Gefühle sind eben nur auf das Sinnlichehingeordnet. Er greift ins Leere, wenn er die Geistesgebildefassen will. Sie ziehen sich vor ihm zurück, wenn er nachihnen tasten will. Sie sind eben «bloße» Gedanken. Erdenkt sie; er lebt nicht in ihnen. Bilder sind sie ihm, un-wirklicher als hinhuschende Träume. Als Schaumgebildesteigen sie auf, wenn er sich seiner Wirklichkeit gegenüber-stellt; sie verschwinden gegenüber der massiven, in sich festgebauten Wirklichkeit, von der ihm seine Sinne mitteilen. -Anders der, welcher seine Empfindungen und Gefühle ge-genüber der Wirklichkeit verändert hat. Für den hat dieseWirklichkeit ihre absolute Standfestigkeit, ihren unbeding-ten Wert verloren. Nicht stumpf brauchen seine Sinne undseine Gefühle zu werden. Aber sie fangen an, an ihrer un-bedingten Herrschaft zu zweifeln; sie lassen Raum füretwas anderes. Die Welt des Geistes fängt an diesen Raumzu beleben.

Eine Möglichkeit liegt hier, die furchtbar sein kann. Esist die, daß der Mensch seine Empfindungen und Gefühlefür die unmittelbare Wirklichkeit verliert und sich keineneue vor ihm auftut. Er schwebt dann wie im Leeren. Er

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kommt sich wie abgestorben vor. Die alten Werte sinddahin, und keine neuen sind ihm erstanden. Die Welt undder Mensch sind dann für ihn nicht mehr vorhanden. -Das ist aber gar nicht eine bloße Möglichkeit. Es wird fürjeden, der zu höherer Erkenntnis kommen will, einmalWirklichkeit. Er langt da an, wo der Geist für ihn allesLeben für Tod erklärt. Er ist dann nicht mehr in der Welt.Er ist unter der Welt - in der Unterwelt. Er vollzieht die -Hadesfahrt. Wohl ihm, wenn er nun nicht versinkt. Wennsich vor ihm eine neue Welt auftut. Er schwindet entwederdahin; oder er steht als Verwandelter neu vor sich. Inletzterem Falle steht eine neue Sonne, eine neue Erde vorihm. Aus dem geistigen Feuer ist ihm die ganze Welt wie-dergeboren.

Und so schildern die Eingeweihten, was durch die My-sterien aus ihnen geworden ist. Menippus erzählt, daß ernach Babylon gereist sei, um von den Nachfolgern desZoroaster in den Hades und wieder zurück geführt zuwerden. Er sagt, daß er auf seinen Wanderungen durchdas große Wasser geschwommen sei; daß er durch Feuerund Eis gekommen sei. Man hört von den Mysten, daßsie durch ein gezücktes Schwert erschreckt worden seienund daß dabei «Blut floß». Man versteht solche Worte,wenn man die Durchgangs statte von der niederen zu derhöheren Erkenntnis kennt. Man hat ja selbst gefühlt, wiealle feste Materie, wie alles Sinnliche zu Wasser zerflossenist; man hatte ja allen Boden verloren. Alles, was manvorher als lebend empfunden hatte, war getötet worden.Wie ein Schwert durch den warmen Körper geht, ist derGeist durch alles sinnliche Leben gegangen; man hat dasBlut der Sinnlichkeit fließen sehen.

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Aber ein neues Leben ist erschienen. Man ist aus derUnterwelt emporgestiegen. Der Redner Aristides sprichtdavon. «Ich glaubte den Gott zu berühren, sein Nahen zufühlen, und ich war dabei zwischen Wachen und Schlaf;mein Geist war ganz leicht, so daß es kein Mensch sagenund begreifen kann, der nicht <eingeweiht> ist.» Diesesneue Dasein ist nicht den Gesetzen des niederen Lebensunterworfen. Werden und Vergehen berühren es nicht.Man kann viel über das Ewige sprechen; wer nicht dasdamit meint, was die aussagen, die nach der Hadesfahrtdavon sprechen, dessen Worte sind «Schall und Rauch».Die Eingeweihten haben eine neue Anschauung von Lebenund Tod. Sie halten sich nun erst befugt, von Unsterb-lichkeit zu sprechen. Sie wissen, daß wer ohne Kenntnisderer, die aus den Weihen heraus von Unsterblichkeitspreche^ etwas von ihr sagt, das er nicht versteht. Einsolcher schreibt nur einem Dinge die Unsterblichkeit zu,das den Gesetzen des Werdens und Vergehens unterwor-fen ist. - Nicht die bloße Überzeugung von der Ewigkeitdes Lebenskernes wollen die Mysten gewinnen. Nach derAuffassung der Mysterien wäre eine solche Überzeugungohne allen Wert. Denn nach solcher Auffassung ist in demNicht-Mysten das Ewige gar nicht lebendig vorhanden.Spräche er von einem Ewigen, so spräche er von einemNichts. Es ist vielmehr dieses Ewige selbst, was die Mystensuchen. Sie müssen in sich das Ewige erst erwecken; dannkönnen sie davon sprechen. Daher hat für sie das harteWort des Plato volle Wirklichkeit, daß in Schlamm ver-sinkt, wer nicht eingeweiht; und daß nur der in die Ewig-keit eingeht, der mystisches Leben durchgemacht hat. Sonur auch können die Worte in dem Sophokles-Fragment

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verstanden werden: «Wie hochbeglückt gelangen jene insSchattenreich - die eingeweiht sind. Sie leben dort allein -den andern ist nur Not und Ungemach bestimmt.»

Schildert man also nicht Gefahren, wenn man von denMysterien redet? Ist es nicht ein Glück, ja ein Lebenswerthöchster Art, den man demjenigen raubt, den man an dasTor der Unterwelt führt? Furchtbar ist doch die Verant-wortlichkeit, die man dadurch auf sich lädt. Und dennoch:dürfen wir uns dieser Verantwortlichkeit entziehen? Sowaren die Fragen, die sich der Eingeweihte vorzulegenhatte. Er war der Meinung, daß zu seinem Wissen sich dasVolksgemüt verhält wie zum Licht das Dunkel. Aber indiesem Dunkel wohnt ein unschuldiges Glück. Es war dieMeinung der Mysten, daß in dieses Glück nicht frevelhafteingegriffen werden dürfe. Denn was wäre es zunächstdenn gewesen: wenn der Myste sein Geheimnis «verraten»hätte? Er hätte Worte, nichts als Worte gesprochen. Nir-gends wären die Empfindungen und Gefühle gewesen, dieaus diesen Worten den Geist geschlagen hätten. Dazuhätte ja die Vorbereitung, hätten die Übungen und Prü-fungen, hätte der ganze Wandel im Sinnesleben gehört.Ohne diese hätte man den Hörer in die Leerheit, in dieNichtigkeit geschleudert. Man hätte ihm genommen, wassein Glück ausmachte; und man hätte ihm nichts dafürgeben können. Ja man hätte ihm nicht einmal etwas neh-men können. Denn mit bloßen Worten hätte man seinEmpfindungsleben ja doch nicht ändern können. Er hättenur bei den Dingen seiner Sinne Wirklichkeit fühlen, er-leben können. Nicht mehr als eine furchtbare, lebenzer-störende Ahnung hätte man ihm geben können. Als einVerbrechen hätte man das auffassen müssen. Es kann dies

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nicht mehr volle Gültigkeit haben für die Erringung derGeist-Erkenntnis in der Gegenwart. Diese kann begrifflichverstanden werden, weil die neuere Menschheit eine Be-griffsfähigkeit hat, welche der alten fehlte. Heute kann essolche Menschen geben, die Erkenntnis der geistigen Weltdurch eigenes Erleben haben; und ihnen können solchegegenüberstehen, die dieses Erlebte begrifflich verstehen.Eine solche Begriffsfähigkeit fehlte der älteren Menschheit.

Es gleicht die alte Mysterienweisheit einer Treibhaus-pflanze, die in Abgeschlossenheit gehegt und gepflegt wer-den muß. Wer sie in die Atmosphäre der Alltagsanschau-ungen trägt, der gibt ihr eine Lebensluft, in der sie nichtgedeihen kann. Vor dem kaustischen Urteil moderner Wis-senschaftlichkeit und Logik zerschmilzt sie in nichts. Ent-äußern wir uns deshalb eine Zeitlang aller Erziehung, dieuns Mikroskop, Fernrohr und naturwissenschaftliche Denk-weise gebracht haben; reinigen wir unsere täppisch gewor-denen Hände, die zuviel mit Sezieren und Experimen-tieren beschäftigt waren, damit wir in den reinen Tempelder Mysterien treten können. Dazu ist wahre Unbefan-genheit notwendig.

Es kommt für den Mysten zuerst auf die Stimmung an,in der er sich dem naht, was er als das Höchste, als dieAntworten auf die Rätselfragen des Daseins empfindet.Gerade in unserer Zeit, in der man als Erkenntnis nur dasGrob-Wissenschaftliche anerkennen will, wird es schwer,zu glauben, daß es in den höchsten Dingen auf eine Stim-mung ankomme. Die Erkenntnis wird ja dadurch zu einerintimen Angelegenheit der Persönlichkeit gemacht. Für denMysten ist sie aber eine solche. Man sage jemand die Lö-sung des Welträtsels! Man gebe sie ihm fertig in die Hand!

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Der Myste wird finden, daß alles leerer Schall ist, wennnicht die Persönlichkeit in der rechten Art dieser Losunggegenübertritt. Diese Lösung ist nichts; sie zerflattert, wennnicht das Gefühl das besondere Feuer fängt, das notwen-dig ist. Eine Gottheit trete dir entgegen! Sie ist entwedernichts oder alles. Nichts ist sie, wenn du ihr entgegentrittstin der Stimmung, in der du den Dingen des Alltags begeg-nest. Sie ist alles, wenn du für sie vorbereitet, gestimmtbist. Was sie für sich ist, das ist eine Sache, die dich nichtberührt: ob sie dich läßt, wie du bist, oder ob sie aus direinen anderen Menschen macht: darauf kommt es an. Aberdas hängt lediglich von dir ab. Eine Erziehung, eine Ent-wicklung intimster Kräfte der Persönlichkeit muß dichvorbereitet haben, damit in dir entzündet, ausgelöst werde,was eine Gottheit vermag. Es kommt auf den Empfangan, den du dem bereitest, was dir entgegengebracht wird.Plutarch hat von dieser Erziehung Mitteilung gemacht; erhat von dem Gruß erzählt, den der Myste der Gottheitbietet, die ihm entgegentritt: «Denn der Gott begrüßtgleichsam einen jeden von uns, der sich ihm hier nahet,mit dem: Kenne dich selbst, was doch gewiß um nichtsschlechter ist als der gewöhnliche Gruß: Sei gegrüßt. Wiraber erwidern darauf der Gottheit mit den Worten: Dubist, und bringen ihr damit den Gruß des Seins als denwahren, ursprünglichen und allein ihr zukommenden. -Denn wir haben eigentlich hier keinen Anteil an diesemSein, sondern eine jede sterbliche Natur, indem sie zwi-schen Entstehung und Untergang in der Mitte liegt, zeigtbloß eine Erscheinung und ein schwaches und unsicheresWähnen von sich selbst; bemüht man sich nun mit demVerstande sie zu erfassen, so geht es wie bei stark zusam-

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mengepreßtem Wasser, welches bloß durch den Druck unddas Zusammenpressen gerinnt und das, was von ihm um-faßt wird, verdirbt; der Verstand nämlich, indem er derallzu deutlichen Vorstellung eines jeden der Zufälle undder Veränderung unterworfenen Wesens nachjagt, verirrtsich bald zum Ursprung desselben, bald zu seinem Unter-gang, und kann nichts Bleibendes oder wirklich Seiendesauffassen. Denn man kann, wie Heraklit sich ausdrückt,nicht zweimal in derselben Welle schwimmen und ebenso-wenig ein sterbliches Wesen zweimal in demselben Zu-stand ergreifen, sondern durch die Heftigkeit und Schnel-ligkeit der Bewegung zerstört es sich und vereinigt sichwieder; es entsteht und vergeht; es geht herzu und gehtweg. Daher das, was wird, nie zum wahren Sein gelangenkann, weil die Entstehung nie aufhört oder einen Still-stand hat, sondern schon beim Samen die Veränderunganfängt, indem sie einen Embryo bildet, dann ein Kind,dann einen Jüngling, einen Mann, einen Alten und einenGreis, indem sie die ersten Entstehungen und Alter stetsvernichtet durch die darauffolgenden. Daher ist es lächer-lich, wenn wir uns vor dem einen Tode fürchten, da wirschon auf so vielfache Art gestorben sind und sterben.Denn nicht bloß, wie Heraklit sagt, ist der Tod des Feuersdas Entstehen der Luft und der Tod der Luft das Ent-stehen des Wassers, sondern man kann dieses noch deut-licher an dem Menschen selbst wahrnehmen; der kräftigeMann stirbt, wenn er ein Greis wird, der Jüngling, indemer ein Mann wird, der Knabe, indem er ein Jüngling wird,das Kind, indem es ein Knabe wird. Das Gestrige ist Ster-ben in dem Heutigen, das Heutige stirbt in dem Morgen-den; keines bleibt oder ist ein Einziges, sondern wir wer-

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den vieles, indem die Materie sich um ein Bild, um einegemeinschaftliche Form herumtreibt. Denn wie könntenwir, wenn wir stets dieselben wären, jetzt an andern Din-gen Gefallen finden als früherhin, die entgegengesetztenDinge lieben und hassen, bewundern und tadeln, anderesreden, anderen Leidenschaften uns ergeben, wenn wir nichtauch eine andere Gestalt, andere Formen und andere Sinneannähmen? Denn ohne Veränderung läßt sich nicht wohlin einen andern Zustand kommen, und der, welcher sichverändert, ist auch nicht mehr derselbe; wenn er aber nichtderselbe ist, so ist er auch nicht mehr und verändert sichaus eben diesem, indem er ein anderer wird. Die sinnlicheWahrnehmung verführte uns nur, weil wir das wahreSein nicht kennen, was bloß scheint, dafür zu halten»(Plutarch, Über das «EI» zu Delphi, 17 u. 18).

Plutarch charakterisiert sich des öfteren als einen Ein-geweihten. Was er uns hier schildert, ist Bedingung desMystenlebens. Der Mensch gelangt zu einer Weisheit, durchdie der Geist zunächst die Scheinhaftigkeit des sinnlichenLebens durchschaut. In den Fluß des Werdens wird alleseingetaucht, was die Sinnlichkeit als Sein, als Wirklichkeitanschaut. Und wie das mit allen anderen Dingen der Weltgeschieht, so auch mit dem Menschen selbst. Vor seinemGeistesauge zerflattert er selbst; seine Ganzheit löst sichin Teile, in vergängliche Erscheinungen auf. Geburt undTod verlieren ihre auszeichnende Bedeutung; sie werdenzu Augenblicken der Entstehung und des Vergehens wiealles dasjenige, was sonst geschieht. In dem Zusammen-hang von Werden und Vergehen kann das Höchste nichtgefunden werden. Es kann nur gesucht werden in dem,was wahrhaft bleibend ist, was zurückschaut auf das Ver-

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gangene und vorschaut auf das Zukünftige. Es ist einehöhere Erkenntnisstufe: dieses Rück- und Vorschauendezu finden. Es ist der Geist, der sich in und an dem Sinn-lichen offenbart. Er hat nichts zu tun mit dem sinnlichenWerden. Er entsteht nicht und vergeht nicht in derselbenArt wie die Sinneserscheinungen. Wer allein in der Sinnen-welt lebt, hat diesen Geist als verborgenen in sich; wer dieScheinhaftigkeit der Sinnenwelt durchschaut, hat ihn alsoffenbare Wirklichkeit in sich. Wer zu solchem Durch-schauen gelangt, hat ein neues Glied an sich entwickelt. Esist mit ihm etwas vorgegangen wie mit der Pflanze, dieerst nur grüne Blätter hatte und dann eine farbige Blüteaus sich treibt. Gewiß: die Kräfte, durch welche die Blumegeworden, lagen verborgen schon vor Entstehung der Blütein der Pflanze, aber sie sind erst mit dieser Entstehung zurWirklichkeit geworden. Auch in dem nur sinnlichen Men-schen liegen verborgen die göttlich-geistigen Kräfte; abererst in dem Mysten sind sie offenbare Wirklichkeit. Darinliegt die Verwandlung, die mit dem Mysten vorgegangenist. Er hat zur vorher vorhandenen Welt, durch seine Ent-wicklung, etwas Neues hinzugefügt. Die sinnliche Welt hataus ihm einen sinnlichen Menschen gemacht und ihn dannsich selbst überlassen. Die Natur hat damit ihre Sendungerfüllt. Was sie selbst mit den im Menschen wirksamenKräften vermag, ist erschöpft. Aber noch nicht sind dieseKräfte selbst erschöpft. Sie liegen wie verzaubert in demrein natürlichen Menschen und harren ihrer Erlösung. Siekönnen sich nicht selbst erlösen; sie verschwinden in Nichts,wenn der Mensch sie nun nicht ergreift und weiter ent-wickelt; wenn er nicht das, was in ihm verborgen ruht,zum wirklichen Dasein erweckt. - Die Natur entwickelt

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sich vom Unvollkommensten zum Vollkommenen. VomLeblosen führt sie durch eine weite Stufenreihe die Wesendurch alle Formen des Lebendigen bis zum sinnlichen Men-schen. Dieser schließt in seiner Sinnlichkeit die Augen aufund wird sich als sinnlich-wirkliches, als veränderlichesWesen gewahr. Aber er verspürt auch noch die Kräfte insich, aus denen diese Sinnlichkeit geboren ist. Diese Kräftesind nicht das Veränderliche, denn aus ihnen ist ja dasVeränderliche entsprungen. Der Mensch trägt sie in sichals Zeichen, daß mehr in ihm lebt, als was er sinnlichwahrnimmt. Was durch sie werden kann, ist noch nicht.Der Mensch fühlt, daß in ihm etwas aufleuchtet, was allesgeschaffen, mit Einschluß seiner selbst; und er fühlt, daßdieses Etwas das sein wird, was ihn zu höherem Schaffenbeflügeln wird. Es ist in ihm, es war vor seiner sinnlichenErscheinung und wird nach dieser sein. Er ist durch es ge-worden, aber er darf es ergreifen und selbst an seinemSchaffen teilnehmen. Solche Gefühle leben in dem altenMysten nach der Einweihung. Er fühlte das Ewige, dasGöttliche. Sein Tun soll ein Glied werden in dem Schaffendieses Göttlichen. Er darf sich sagen: Ich habe in mir einhöheres «Ich» entdeckt, aber dieses «Ich» reicht hinausüber die Grenzen meines sinnlichen Werdens; es war vormeiner Geburt, es wird nach meinem Tode sein. Geschaf-fen hat dieses «Ich» von Ewigkeit; schaffen wird es inEwigkeit. Meine sinnliche Persönlichkeit ist ein Geschöpfdieses «Ich». Aber es hat mich eingegliedert in sich; esschafft in mir; ich bin sein Teil. Was ich nunmehr schaffe,ist ein Höheres als das Sinnliche. Meine Persönlichkeit istnur ein Mittel für diese schaffende Kraft, für dieses Gött-liche in mir. So hat der Myste seine Vergottung erfahren.

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Ihren wahren Geist nannten die Mysten die Kraft, diealso in ihnen aufleuchtete. Sie waren die Ergebnisse diesesGeistes. Wie wenn ein neues Wesen in sie eingezogen undvon ihren Organen Besitz ergriffen hätte, so kam ihnenihr Zustand vor. Es war ein Wesen, das zwischen ihnen,als sinnlichen Persönlichkeiten, und zwischen der allwal-tenden Weltenkraft, der Gottheit, stand. Diesen seinenwahren Geist suchte der Myste. Ich bin Mensch gewordenin der großen Natur: so sprach er zu sich. Aber die Naturhat ihr Geschäft nicht vollendet. Diese Vollendung mußich selbst übernehmen. Aber ich kann es nicht in dem gro-ben Reiche der Natur, zu der auch meine sinnliche Persön-lichkeit gehört. Was in diesem Reiche sich entwickelnkann, ist entwickelt. Deshalb muß ich heraus aus diesemReiche. Ich muß im Reiche der Geister weiter bauen, da,wo die Natur stehengeblieben ist. Ich muß mir eine Le-bensluft schaffen, die in der äußeren Natur nicht zu fin-den ist. Diese Lebensluft wurde für die Mysten in denMysterientempeln bereitet. Dort wurden die in ihnenschlummernden Kräfte erweckt; dort wurden sie in höhere,schaffende, in Geistnaturen umgewandelt. Ein zarter Pro-zeß war diese Verwandlung. Er konnte die rauhe Tages-luft nicht vertragen. Hatte er aber seine Aufgabe erfüllt,dann war der Mensch durch ihn ein Fels geworden, derim Ewigen gegründet war und der allen Stürmen trotzenkonnte. Nur durfte er nicht glauben, daß er anderen inunmittelbarer Form mitteilen könne, was er erlebt.

Plutarch teilt mit, daß in den Mysterien «die größtenAufschlüsse und Deutungen über die wahre Natur derDämonen zu finden seien». Und von Cicero erfahren wir,daß in den Mysterien, «wenn sie erklärt und auf ihren

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Sinn zurückgeführt werden, mehr die Natur der Dinge alsdie der Götter erkannt werde» (Plut.: Über den Ver-fall der Orakel; und Cicero: Über die Natur der Götter).Aus solchen Mitteilungen ersieht man klar, daß es fürMysten höhere Aufschlüsse gab über die Natur der Dinge,als jene waren, welche die Volksreligion zu geben ver-mochte. Ja, man sieht daraus, daß die Dämonen, also diegeistigen Wesenheiten, und die Götter selbst einer Erklä-rung bedurften. Man ging also zu Wesenheiten zurück, diehöherer Art als Dämonen und Götter sind. Und solcheslag im Wesen der Mysterienweisheit. Das Volk stellteGötter und Dämonen in Bildern vor, deren Inhalt ganzder sinnlich-wirklichen Welt entnommen war. Mußte nichtderjenige, der die Wesenheit des Ewigen durchschaute, ander Ewigkeit solcher Götter irre werden! Wie sollte derZeus der Volksvorstellung ein ewiger sein, da er die Eigen-schaften eines vergänglichen Wesens an sich trug? - Eineswar den Mysten klar: Zu seiner Vorstellung von den Göt-tern kommt der Mensch auf andere Art als zu der Vor-Stellung anderer Dinge. Ein Ding der Außenwelt zwingtmich, mir eine ganz bestimmte Vorstellung von ihm zumachen. Dieser Art gegenüber hat die Bildung der Götter-vorstellungen etwas Freies, ja Willkürliches. Der Zwangder Außenwelt fehlt. Das Nachdenken lehrt uns, daß wirmit den Göttern etwas vorstellen, für das es keine äußereKontrolle gibt. Das versetzt den Menschen in eine logischeUnsicherheit. Er fängt an, sich selbst als den Schöpfer sei-ner Götter zu fühlen. Ja, er fragt sich: Wie komme ichdazu, in meiner Vorstellungswelt über die physische Wirk-lichkeit hinauszugehen? Solchen Gedanken mußte der Mystesich hingeben. Da lagen für ihn berechtigte Zweifel. Man

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sehe sich, so mochte er denken, nur alle Göttervorstellun-gen an. Gleichen sie nicht den Geschöpfen, die man in derSinneswelt antrifft? Hat sich sie der Mensch nicht geschaf-fen, indem er diese oder jene Eigenschaften von dem We-sen der Sinnes weit weggedacht oder hinzugedacht hat?Der Unkultivierte, der die Jagd liebt, schafft sich einenHimmel, in dem die herrlichsten Götterjagden abgehaltenwerden. Und der Grieche versetzt in seinen Olymp Götter-persönlichkeiten, zu denen die Vorbilder in der wohlbe-kannten griechischen Wirklichkeit waren.

Mit rauher Logik hat der Philosoph Xenophanes (575bis 480) auf diese Tatsache hingewiesen. Wir wissen, daßdie älteren griechischen Philosophen durchaus von derMysterienweisheit abhängig waren. Von Heraklit aus-gehend, soll das noch im besonderen bewiesen werden.Deshalb darf, was Xenophanes sagt, ohne weiteres alsMystenüberzeugung genommen werden. Es heißt:

Menschen, die denken die Götter nach ihrem Bilde geschaffen,Ihre Sinne sollen sie haben und Stimme und Körper.Aber wenn Hände besaßen die Rinder oder die Löwen,Um mit den Händen zu malen und Arbeit zu tun wie die MenschenWürden der Götter Gestalten sie malen und bilden die LeiberSo, wie sie selber an Körper beschaffen wären ein jeder,Pferde den Pferden und Rinder den Rindern gleichende Götter.

Zum Zweifler an allem Göttlichen kann der Menschwerden durch solche Einsicht. Er kann die Götterdichtun-gen von sich weisen und nur als Wirklichkeit anerkennen,wozu ihn seine sinnlichen Wahrnehmungen zwingen. Aberzu einem solchen Zweifler wurde der Myste nicht. Er sahein, daß dieser Zweifler einer Pflanze gleicht, die sichsagte: Meine farbige Blume ist null und eitel; denn abge-

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schlössen bin ich mit meinen grünen Blättern; was ich zuihnen hinzufüge, vermehrt sie nur um einen trügerischenSchein. - Aber ebensowenig konnte der Myste bei also ge-schaffenen Göttern, bei den Volksgöttern, stehenbleiben.Könnte die Pflanze denken, so würde sie einsehen, daßdie Kräfte, welche die grünen Blätter geschaffen haben,auch bestimmt sind, die farbige Blume zu schaffen. Abersie würde nicht ruhen, diese Kräfte selbst zu erforschen,um sie zu schauen. Und so hielt es der Myste mit denVolksgöttern. Er leugnete sie nicht, er erklärte sie nichtfür eitel; aber er wußte, daß vom Menschen sie geschaffensind. Dieselben Naturkräfte, dasselbe göttliche Element,die in der Natur schaffen, schaffen auch im Mysten. Undin ihm erzeugen sie Göttervorstellungen. Er will diesegötterschaffende Kraft schauen. Sie gleicht nicht den Volks-göttern; sie ist ein Höheres. Auch darauf deutet Xeno-phanes:

Ein Gott ist unter Göttern der größte und unter den Menschen,Weder in Körper den Sterblichen ähnlich noch gar an Gedanken.

Dieser Gott war auch der Gott der Mysterien. Einen«verborgenen Gott» konnte man ihn nennen. Denn nir-gends - so stellte man sich vor - ist er für den bloß sinn-lichen Menschen zu finden. Wende deine Blicke hinaus aufdie Dinge; du findest kein Göttliches. Strenge deinen Ver-stand an; du magst einsehen, nach welchen Gesetzen dieDinge entstehen und vergehen; aber auch dein Verstandweist dir kein Göttliches. Durchtränke deine Phantasiemit religiösem Gefühl; du kannst die Bilder von Wesenschaffen, die du für Götter halten magst, doch dein Ver-stand zerpflückt sie dir, denn er weist dir nach, daß du sie

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selbst geschaffen und dazu den Stoff aus der Sinnenweltentlehnt hast. Sofern du als verständiger Mensch die Dingeum dich herum betrachtest, mußt du Gottesleugner sein.Denn Gott ist nicht für deine Sinne und für deinen Ver-stand, der dir die sinnlichen Wahrnehmungen erklärt. Gottist eben in der Welt verzaubert. Und du brauchst seineeigene Kraft, um ihn zu finden. Diese Kraft mußt du in direrwecken. Das sind die Lehren, die ein alter Einzuwei-hender empfing. Und nun begann für ihn das große Wel-tendrama, in das er lebendig verschlungen wurde. Innichts Geringerem bestand dieses Drama als in der Er-lösung des verzauberten Gottes. Wo ist Gott? Das wardie Frage, die dem Mysten sich vor die Seele stellte. Gottist nicht, aber die Natur ist. In der Natur muß er gefun-den werden. In ihr hat er sein Zaubergrab gefunden. Ineinem höheren Sinne faßt der Myste die Worte: Gott istdie Liebe. Denn Gott hat diese Liebe bis zum äußerstengebracht. Er hat sich selbst in unendlicher Liebe hingege-ben; er hat sich ausgegossen; er hat sich in die Mannigfal-tigkeit der Naturdinge zerstückelt; sie leben, und er lebtnicht in ihnen. Er ruht in ihnen. Er lebt im Menschen.Und der Mensch kann das Leben des Gottes in sich erfah-ren. Soll er ihn in die Erkenntnis kommen lassen, muß erdiese Erkenntnis schaffend erlösen. - Der Mensch blicktnun in sich. Als verborgene Schöpferkraft, noch Dasein-los, wirkt das Göttliche in seiner Seele. In dieser Seele isteine Stätte, in der das verzauberte Göttliche wieder auf-leben kann. Die Seele ist die Mutter, die das Göttliche ausder Natur empfangen kann. Lasse die Seele von der Na-tur sich befruchten, so wird sie ein Göttliches gebären. Ausder Ehe der Seele mit der Natur wird es geboren. Das ist

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nun kein «verborgenes» Göttliches mehr, das ist ein offen-bares. Es hat Leben, wahrnehmbares Leben, das unter denMenschen wandelt. Er ist der entzauberte Geist im Men-schen, der Sproß des verzauberten Göttlichen. Der großeGott, der war, ist und sein wird, der ist er wohl nicht;aber er kann doch in gewissem Sinne als dessen Offen-barung genommen werden. Der Vater bleibt ruhig im Ver-borgenen; dem Menschen ist der Sohn aus der eigenenSeele geboren. Die mystische Erkenntnis ist damit einwirklicher Vorgang im Weltprozesse, Sie ist eine Geburteines Gottessprossen. Sie ist ein Vorgang, so wirklich wieein anderer Naturvorgang, nur auf einer höheren Stufe.Das ist das große Geheimnis des Mysten, daß er selbstseinen Gottessprossen schaffend erlöst, daß er sich zuvoraber vorbereitet, um diesen von ihm geschaffenen Gottes-sprossen auch anzuerkennen. Dem Nicht-Mysten fehlt dieEmpfindung von dem Vater dieses Sprossen. Denn dieserVater ruht in Verzauberung. Jungfräulich geboren scheintder Sproß. Die Seele scheint unbefruchtet ihn geboren zuhaben. Alle ihre anderen Geburten sind von der Sinnen-welt empfangen. Man sieht und tastet hier den Vater. Erhat sinnliches Leben. Der Gottes-Sproß allein ist von demewigen, verborgenen Vater-Gott selbst empfangen.

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DIE GRIECHISCHEN WEISEN VOR PLATO

IM LICHTE DER MYSTERIENWEISHEIT

Durch zahlreiche Tatsachen erkennen wir, daß die philo-sophische Weisheit der Griechen auf demselben Gesin-nungsboden stand wie die mystische Erkenntnis. Die gro-ßen Philosophen versteht man nur, wenn man an sie mitden Empfindungen herantritt, die man aus der Beobach-tung der Mysterien gewonnen hat. Mit welcher Ehrerbie-tung spricht doch Plato im «Phädon» von den «Geheim-lehren»: «Und fast scheint es, daß diejenigen, welche unsdie Weihen angeordnet haben, gar nicht schlechte Leutesind, sondern schon seit langer Zeit uns andeuten, daß,wer ungeweiht und ungeheiligt in der Unterwelt anlangt,in den Schlamm zu liegen kommt; der Gereinigte aber,und der Geweihte, wenn er dort angelangt ist, bei denGöttern wohnt. Denn, sagen die, welche mit den Weihenzu tun haben, Thyrsusträger sind viele, doch echte Begei-sterte nur wenig. Diese aber sind, nach meiner Meinung,keine anderen, als die sich auf rechte Weise der Weisheitbeflissen haben, deren einer zu werden auch ich nach Kräf-ten im Leben nicht versäumt, sondern mich auf alle Weisebemüht habe.» - So kann über die Weihen nur der spre-chen, der sein Weisheitsstreben selbst ganz in den Dienstder Gesinnung stellte, die durch die Weihen erzeugt wurde.Und es ist ohne Zweifel, daß auf die Worte der großengriechischen Philosophen ein helles Licht fällt, wenn wirsie von den Mysterien aus beleuchten.

Von Heraklit (535-475) aus Ephesus ist die Bezie-hung zu dem Mysterienwesen ohne weiteres durch einenAusspruch über ihn gegeben, der überliefert ist und der

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besagt, daß seine Gedanken «ein ungangbarer Pfad seien»,daß wer zu ihnen ohne Weihe tritt, nur «Dunkel undFinsternis» finde, daß sie dagegen «heller als die Sonne»seien für den, welchen ein Myste einführt. Und wenn vonseinem Buche gesagt wird, er habe es im Tempel der Ar-temis niedergelegt, so bedeutet auch das nichts anderes,als daß er von Eingeweihten allein verstanden werdenkonnte. (Edm. Pf leiderer hat bereits das Historischebeigebracht, welches für das Verhältnis des Heraklit zuden Mysterien zu sagen ist. Vgl. sein Buch: «DiePhilosophie des Heraklit von Ephesus im Lichte der My-sterienidee», Berlin 1886.) Heraklit wurde der «Dunkle»genannt; aus dem Grunde, weil nur der Schlüssel der My-sterien Licht in seine Anschauungen brachte.

Als eine Persönlichkeit mit dem größten Lebensernsttritt uns Heraklit entgegen. Man sieht es förmlich seinenZügen, wenn man sich sie zu vergegenwärtigen weiß, an,daß er Intimitäten der Erkenntnis in sich trug, von denener wußte, daß alle Worte sie nur andeuten, nicht auspre-chen können. Auf dem Grunde einer solchen Gesinnungerwuchs sein berühmter Ausspruch «Alles ist im Fluß»,den uns Plutarch mit den Worten erklärt: «In denselbenFluß steigt man nicht zweimal, noch kann man ein sterb-liches Sein zweimal berühren. Sondern durch Schärfe undSchnelligkeit zerstreut er und führt wieder zusammen,vielmehr nicht wieder und später, sondern zugleich tritt eszusammen und läßt nach, kommt und geht.» Der Mann,der solches denkt, hat die Natur der vergänglichen Dingedurchschaut. Denn er hat sich gedrängt gefühlt, das Wesender Vergänglichkeit selbst mit den schärfsten Worten zucharakterisieren. Man kann eine solche Charakteristik

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nicht geben, wenn man die Vergänglichkeit nicht an derEwigkeit mißt. Und man kann diese Charakteristik ins-besondere nicht auf den Menschen ausdehnen, wenn mannicht in sein Inneres geschaut hat. Heraklit hat diese Cha-rakteristik auch auf den Menschen ausgedehnt: «Dasselbeist Leben und Tod, Wachen und Schlafen, Jung und Alt,dieses sich ändernd ist jenes, jenes wieder dies.» In die-sem Satze spricht sich eine volle Erkenntnis von der Schein-haftigkeit der niederen Persönlichkeit aus. Er sagt darübernoch kräftiger: «Leben und Tod ist in unserem Lebenebenso wie in unserem Sterben.» Was will das anderes be-sagen, als daß allein vom Standpunkte der Vergänglich-keit aus das Leben höher gewertet werden kann als dasSterben. Das Sterben ist Vergehen, um neuem Leben Platzzu machen; aber in dem neuen Leben lebt das Ewige wiein dem alten. Das gleiche Ewige erscheint im vergäng-lichen Leben wie im Sterben. Hat der Mensch dieses Ewigeergriffen, dann blickt er mit demselben Gefühle auf dasSterben wie auf das Leben. Nur wenn er dieses Ewigenicht in sich zu wecken vermag, hat das Leben für ihneinen besonderen Wert. Man kann den Satz «Alles ist imFluß» tausendmal hersagen; wenn man ihn nicht mit die-sem Gefühlsinhalt sagt, ist er ein Nichtiges. Wertlos istdie Erkenntnis von dem ewigen Werden, wenn sie nichtunser Hängen an diesem Werden aufhebt. Es ist die Ab-kehrung von der nach dem Vergänglichen drängenden Le-benslust, die Heraklit mit seinem Ausspruche meint. «Wiesollen wir von unserem Tagesleben sagen: <Wir smd>, dawir doch, vom Standpunkt des Ewigen aus, wissen: <Wirsind und sind nicht >» (vgl. Heraklit-Fragment Nr. 81).«Hades und Dionysos sind derselbe» heißt eines der

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Heraklitischen Fragmente. Dionysos, der Gott der Lebens-lust, des Keimens und Wachsens, dem die dionysischenFeste gefeiert wurden: er ist, für Heraklit, derselbe wieHades, der Gott der Vernichtung, der Gott der Zerstö-rung. Nur wer den Tod im Leben und das Leben im Todesieht und in beiden das Ewige, das erhaben ist über Lebenund Tod, dessen Blick kann die Mängel und Vorzüge desDaseins im rechten Lichte schauen. Auch die Mängel findendann ihre Rechtfertigung, denn auch in ihnen lebt dasEwige. Was sie vom Standpunkte des beschränkten, nie-deren Lebens sind, das sind sie nur scheinbar: «Den Men-schen ist nicht besser zu werden, was sie wollen: Krank-heit macht Gesundheit süß und gut, Hunger Sättigung,Arbeit Ruhe.» «Das Meer ist das reinste und unreinsteWasser, den Fischen trinkbar und heilsam, den Menschenuntrinkbar und verderblich.» Nicht auf die Vergänglichkeitder irdischen Dinge will Heraklit in erster Linie hinwei-sen, sondern auf den Glanz und die Hoheit des Ewigen. -Heftige Worte sprach Heraklit gegen Homer und Hesiodund gegen die Gelehrten des Tages. Er wollte auf die Artihres Denkens, das nur am Vergänglichen haftet, weisen.Er wollte nicht Götter, mit Eigenschaften ausgestattet, dieaus der vergänglichen Welt genommen sind. Und er konntenicht eine Wissenschaft als die höchste achten, welche dieGesetze des Werdens und Vergehens der Dinge untersucht. -Für ihn spricht aus der Vergänglichkeit heraus ein Ewiges.Für dieses Ewige hat er ein tiefsinniges Symbol. «In sichzurückkehrend ist die Harmonie der Welt wie der Lyraund des Bogens.» Was alles liegt in diesem Bilde. DurchAuseinanderstreben der Kräfte und Harmonisieren derauseinandergehenden Mächte wird die Einheit erreicht.

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Wie widerspricht ein Ton dem andern; und doch, wie be-wirkt er mit ihm zusammen die Harmonie. Man wendedas auf die Geisteswelt an; und man hat Heraklits Ge-danken: «Unsterbliche sind sterblich, Sterbliche unsterb-lich, lebend den Tod von jenen, sterbend das Leben vonjenen.»

Es ist die Urschuld des Menschen, wenn er am Vergäng-lichen mit seiner Erkenntnis haftet. Er wendet sich damitvom Ewigen ab. Das Leben wird dadurch seine Gefahr.Was ihm geschieht, geschieht ihm vom Leben. Aber diesesGeschehen verliert seinen Stachel, wenn er das Leben nichtmehr unbedingt wertet. Dann wird ihm seine Unschuldwieder zurückgegeben. Es geht ihm, wie wenn er in dieKindheit zurückkehren könnte, aus dem sogenannten Ernstdes Lebens heraus. Was nimmt der Erwachsene alles ernst,womit das Kind spielt. Der Wissende aber wird wie dasKind. «Ernste» Werte verlieren ihren Wert, vom Ewig-keitsstandpunkte aus gesehen. Wie ein Spiel erscheint dasLeben dann. «Die Ewigkeit», sagt deshalb Heraklit, «istein spielendes Kind, die Herrschaft eines Kindes.» Worinliegt die Urschuld? Sie liegt darin, daß mit höchstem Ernstegenommen wird, woran sich dieser Ernst nicht heften sollte.Gott hat sich in die Welt der Dinge ergossen. Wer dieDinge ohne Gott hinnimmt, nimmt sie als «Gräber Got-tes» ernst. Er müßte mit ihnen spielen wie ein Kind, aberseinen Ernst dazu verwenden, um aus ihnen das Göttlichezu holen, das in ihnen verzaubert schläft.

Brennend, ja versengend wirkt das Anschauen des Ewi-gen auf das gewöhnliche Wähnen über die Dinge. DerGeist löst die Gedanken der Sinnlichkeit auf; er bringt siezum Schmelzen. Er ist ein verzehrendes Feuer. Dies ist der

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höhere Sinn des Heraklitischen Gedankens, daß Feuer derUrstoff aller Dinge sei. Gewiß ist dieser Gedanke zunächstim Sinne einer gewöhnlichen physikalischen Erklärung derWelterscheinungen zu nehmen. Aber niemand versteht He-raklit, der nicht denkt über ihn, wie Philo, der zur Zeitder Entstehung des Christentums lebte, über die Gesetzeder Bibel gedacht hat. «Es gibt Leute», sagte er, «welchedie geschriebenen Gesetze nur für Sinnbilder geistiger Leh-ren halten, letztere mit Sorgfalt aufsuchen, erstere aberverachten; solche kann ich nur tadeln, denn sie sollten aufbeides bedacht sein: auf Erkenntnis des verborgenen Sin-nes und auf Beobachtung des offenen.» - Wenn man sichdarüber streitet, ob Heraklit mit seinem Begriffe des Feuersdas sinnliche Feuer gemeint habe oder aber ob ihm dasFeuer nur ein Symbol des die Dinge auflösenden und wie-der bildenden ewigen Geistes gewesen sei, so verkehrt manseinen Gedanken. Er hat beides gemeint; und auch keinesvon beiden. Denn für ihn lebte auch im gewöhnlichenFeuer der Geist. Und die Kraft, die im Feuer auf phy-sische Art tätig ist, lebt auf höherer Stufe in der Men-schenseele, die in ihren Schmelztiegeln die sinnenfälligeErkenntnis zerschmilzt und aus ihr das Anschauen desEwigen hervorgehen läßt.

Gerade Heraklit kann leicht mißverstanden werden. Erläßt den Krieg den Vater der Dinge sein. Aber dieser istihm eben nur der Vater der «Dinge», nicht des Ewigen.Wären nicht Gegensätze in der Welt, lebten nicht diemannigfaltigsten einander widerstreitenden Interessen, sowäre die Welt des Werdens, der Vergänglichkeit nicht.Aber was sich in diesem Widerstreit offenbart, was in ihnausgegossen ist: das ist nicht der Krieg, das ist die Har-

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monie. Eben weil Krieg in allen Dingen ist, soll der Geistdes Weisen wie das Feuer über die Dinge hinziehen undsie in Harmonie wandeln. Aus diesem Punkte herausleuchtet ein großer Gedanke der Heraklitischen Weisheit.Was ist der Mensch als persönliches Wesen? Diese Frageerhält für Heraklit von diesem Punkte aus die Antwort.Aus den widerstreitenden Elementen, in welche die Gott-heit sich ergossen hat, ist der Mensch gemischt. So findeter sich. Darüber wird er in sich den Geist gewahr. DenGeist, der aus dem Ewigen stammt. Dieser Geist aber wirdfür ihn selbst aus dem Widerstreit der Elemente herausgeboren. Aber dieser Geist soll auch die Elemente beru-higen. Im Menschen schafft die Natur über sich selbst hin-aus. Es ist ja dieselbe All-Eine Kraft, die den Widerstreit,die Mischung erzeugt hat; und die weisheitsvoll diesenWiderstreit wieder beseitigen soll. Da haben wir die ewigeZweiheit, die im Menschen lebt; seinen ewigen Gegensatzzwischen Zeitlichem und Ewigem. Er ist durch das Ewigeetwas ganz Bestimmtes geworden; und er soll aus diesemBestimmten heraus ein Höheres schaffen. Er ist abhängigund unabhängig. An dem ewigen Geiste, den er schaut,kann er doch nur teilnehmen nach Maßgabe der Mischung,die der ewige Geist in ihm gewirkt hat. Und gerade des-halb ist er berufen, aus dem Zeitlichen das Ewige zu ge-stalten. Der Geist wirkt in ihm. Aber er wirkt in ihmauf besondere Weise. Er wirkt aus dem Zeitlichen heraus.Daß ein Zeitliches wie ein Ewiges wirkt, daß es treibt undkraftet wie ein Ewiges: das ist das Eigentümliche der Men-schenseele. Das macht, daß diese einem Gotte und einemWurme zugleich ähnlich ist. Zwischen Gott und Tier stehtder Mensch dadurch mitten inne. Dies Treibende und

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Kraftende in ihm ist sein Dämonisches. Es ist das, was inihm aus ihm hinausstrebt. Schlagend hat Heraklit aufdiese Tatsache hingewiesen: «Des Menschen Dämon istsein Schicksal.» (Dämon ist hier im griechischen Sinn ge-meint. Im modernen Sinne müßte man sagen: Geist.) Soerweitert sich für Heraklit das, was im Menschen lebt,weit über das Persönliche hinaus. Dieses Persönliche istder Träger eines Dämonischen. Eines Dämonischen, dasnicht in die Grenzen der Persönlichkeit eingeschlossen ist,für welches Sterben und Geborenwerden des Persönlichenkeine Bedeutung haben. Was hat dieses Dämonische mitdem zu tun, was als Persönlichkeit entsteht und vergeht?Eine Erscheinungsform nur ist das Persönliche für dasDämonische. Nach vorwärts und rückwärts blickt der Trä-ger solcher Erkenntnis über sich selbst hinaus. Daß er Dä-monisches in sich erlebt, ist ihm Zeugnis für die Ewigkeitseiner selbst. Und er darf jetzt nicht mehr diesem Dä-monischen den einzigen Beruf zuschreiben, seine Persön-lichkeit auszufüllen. Denn nur eine von diesen Erschei-nungsformen des Dämonischen kann das Persönliche sein.Der Dämon kann sich nicht innerhalb einer Persönlichkeitabschließen. Er hat Kraft, viele Persönlichkeiten zu be-leben. Von Persönlichkeit zu Persönlichkeit vermag er sichzu wandeln. Der große Gedanke der Wiederverkörperungspringt wie etwas Selbstverständliches aus den Herakli-tischen Voraussetzungen. Aber nicht allein der Gedanke,sondern die Erfahrung von dieser Wiederverkörperung.Der Gedanke bereitet nur für diese Erfahrung vor. Werdas Dämonische in sich gewahr wird, findet es nicht alsein unschuldvolles, erstes vor. Er findet es mit Eigenschaf-ten. Wodurch hat es diese? Warum habe ich Anlagen?

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Weil an meinem Dämon schon andere Persönlichkeitengearbeitet haben. Und was wird aus dem, was ich an demDämon wirke, wenn ich nicht annehmen darf, daß dessenAufgaben in meiner Persönlichkeit erschöpft sind? Icharbeite für eine spätere Persönlichkeit vor. Zwischen michund die Welteinheit schiebt sich etwas, was über michhinausreicht, aber noch nicht dasselbe ist wie die Gottheit.Mein Dämon schiebt sich dazwischen. Wie mein Heutenur das Ergebnis von Gestern ist, mein Morgen nur dasErgebnis meines Heute sein wird: so ist mein Leben Folgeeines andern; und es wird Grund sein für ein anderes. Wieauf zahlreiche Gestern rückwärts und auf zahlreiche Mor-gen vorwärts der irdische Mensch, so blickt die Seele desWeisen auf zahlreiche Leben in der Vergangenheit undzahlreiche Leben in der Zukunft. Was ich gestern erwor-ben habe, an Gedanken, an Fertigkeiten, das benütze ichheute. Ist es nicht so mit dem Leben? Betreten die Men-schen nicht mit den verschiedensten Fähigkeiten den Ho-rizont des Daseins? Woher rührt die Verschiedenheit?Kommt sie aus dem Nichts? - Unsere Naturwissenschafttut sich viel darauf zugute, daß sie das Wunder aus demGebiete unserer Anschauungen vom organischen Leben ver-bannt hat. David Friedrich Strauß (vgl. «Alter und neuerGlaube») bezeichnet es als große Errungenschaft der Neu-zeit, daß wir ein vollkommenes organisches Geschöpf nichtmehr durch ein Wunder aus dem Nichts heraus geschaffendenken. Wir begreifen die Vollkommenheit, wenn wir siedurch Entwicklung aus dem Unvollkommenen erklärenkönnen. Der Bau des Affen ist kein Wunder mehr, wennwir Urfische als Vorläufer des Affen annehmen dürfen,die sich allmählich gewandelt haben. Bequemen wir uns

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doch, für den Geist als billig hinzunehmen, was uns derNatur gegenüber als recht erscheint. Soll der vollkom-mene Geist ebensolche Voraussetzungen haben wie der un-vollkommene? Soll Goethe die gleichen Bedingungen ha-ben wie ein beliebiger Hottentotte? So wenig wie einFisch die gleichen Voraussetzungen hat wie ein Affe, sowenig hat der Goethesche Geist dieselben geistigen Vor-bedingungen wie der des Wilden. Die geistige Ahnenschaftdes Goetheschen Geistes ist eine andere als die des wildenGeistes. Geworden ist der Geist wie der Leib. Der Geistin Goethe hat mehr Vorfahren als der in dem Wilden.Man nehme die Lehre von der •Wiederverkörperung indiesem Sinne. Man wird sie dann nicht mehr «unwissen-schaftlich» finden. Aber man wird in der rechten Weisedeuten, was man in der Seele findet. Man wird das Ge-gebene nicht als Wunder hinnehmen. Daß ich schreibenkann, verdanke ich der Tatsache, daß ich es gelernt habe.Niemand kann sich hinsetzen und schreiben, der nie vorherdie Feder in der Hand gehabt hat. Aber einen «genialenBlick» soll der eine oder der andere haben auf bloß wunder-bare Weise. Nein, auch dieser «geniale Blick» muß erwor-ben sein: er muß gelernt sein. Und tritt er in einer Persön-lichkeit auf, so nennen wir ihn ein Geistiges. Aber diesesGeistige hat eben auch erst gelernt; es hat sich in einemfrüheren Leben erworben, was es in einem späteren «kann».

So, und nur so, schwebte dem Heraklit und anderengriechischen Weisen der Ewigkeitsgedanke vor. Von einerFortdauer der unmittelbaren Persönlichkeit war bei ihnennie die Rede. Man vergleiche eine Rede des Empedokles(490-430 v. Chr.). Er sagt von denen, die das Gegebenenur als Wunder hinnehmen:

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«Törichte sincTs, denn sie reichen nicht weit mit ihren Gedanken,Die da wähnen, es könne Zuvor-nicht-Seiendes werden,Oder auch etwas ganz hinsterben und völlig verschwinden.Aus Nicht-Seiendem ist durchaus ein Entstehen nicht möglich;Ganz unmöglich auch ist, daß Seiendes völlig vergehe;Denn stets bleibt es ja, wohin man es eben verdränget.Nimmer wohl wird, wer darin belehrt ist, solches vermeinen,Daß nur so lange sie leben, was man nun Leben benennet,Nur solange sie sind, und Leiden empfangen und Freuden,Doch, ehJ Menschen sie wurden und wann sie gestorben, sie

nichts sind.»

Der griechische Weise warf die Frage gar nicht auf: obes ein Ewiges im Menschen gebe; sondern allein die, wor-innen dieses Ewige besteht und wie es der Mensch in sichhegen und pflegen kann. Denn von vornherein war es fürihn klar, daß der Mensch als Mittelgeschöpf zwischen Ir-dischem und Göttlichem lebt. Von einem Göttlichen, dasaußer und jenseits des Weltlichen ist, war da nicht dieRede. Das Göttliche lebt in dem Menschen; es lebt ebenda nur auf menschliche Weise. Es ist die Kraft, die denMenschen treibt, sich selbst immer göttlicher und göttlicherzu machen. Nur wer so denkt, kann reden wie Empedokles:

Wenn du den Leib verlassend, dich zum freien Äther schwingst,Wirst ein unsterblicher Gott du sein, dem Tode entronnen. -

Was kann unter solchem Gesichtspunkt für ein Men-schenleben geschehen? Es kann in die magische Kreisord-nung des Ewigen eingeweiht werden. Denn in ihm müssenKräfte liegen, die das bloß natürliche Leben nicht zurEntwicklung bringt. Und dieses Leben könnte ungenütztvorübergehen, wenn diese Kräfte brach liegen blieben. Siezu erschließen, den Menschen dadurch dem Göttlichen an-zuähnlichen: das war die Aufgabe der Mysterien. Und das

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stellten sich auch die griechischen Weisen zur Aufgabe. Soverstehen wir Platos Ausspruch, daß «wer ungeweiht undungeheiligt in der Unterwelt angelangt, in den Schlammzu liegen kommt, der Gereinigte und Geweihte aber, wenner dort angelangt ist, bei den Göttern wohnt». Man hates da mit einem Unsterblichkeitsgedanken zu tun, dessenBedeutung innerhalb des Weltganzen beschlossen liegt.Alles, was der Mensch unternimmt, um in sich das Ewigezu erwecken, tut er, um den Daseinswert der Welt zu er-höhen. Er ist als ein Erkennender nicht ein müßiger Zu-schauer des Weltganzen, der sich Bilder von dem macht,was auch ohne ihn da wäre. Seine Erkenntniskraft ist einehöhere, eine schaffende Naturkraft. Was in ihm geistigaufblitzt, ist ein Göttliches, das vorher verzaubert warund das ohne seine Erkenntnis brach liegen bliebe und aufeinen anderen Entzauberer warten müßte. So lebt diemenschliche Persönlichkeit nicht in sich und für sich; sielebt für die Welt. Das Leben erweitert sich über das Ein-zeldasein weit hinaus, wenn es so angeschaut wird. Inner-halb solcher Anschauung begreift man Sätze wie den Pin-darschen, der den Ausblick ins Ewige gibt: «Selig, werjene geschaut hat und dann unter die hohle Erde hinab-steigt; er kennt des Lebens Ende, er kennt den von Zeusverheißenen Anfang.»

Man versteht die stolzen Züge und die einsame Artsolcher Weisen, wie Heraklit einer war. Stolz konnten sievon sich sagen, daß ihnen vieles offenbar; denn sie schrie-ben ihr Wissen gar nicht ihrer vergänglichen Persönlich-keit zu, sondern dem ewigen Dämon in ihnen. Ihr Stolzhatte als notwendige Beigabe eben den Stempel der De-mut und Bescheidenheit, welche die Worte ausdrücken:

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Alles Wissen über vergängliche Dinge ist in ewigem Flussewie diese vergänglichen Dinge selbst. Ein Spiel nennt He-raklit die ewige Welt; er könnte sie auch den höchstenErnst nennen. Aber das Wort Ernst ist verbraucht durchseine Anwendung auf irdische Erlebnisse. Das Spiel desEwigen beläßt in dem Menschen die Lebenssicherheit, dieihm der Ernst benimmt, der aus dem Vergänglichen ent-sprossen ist.

Eine andere Form der Weltanschauung als die des Hera-klit ist auf der Grundlage des Mysterienwesens innerhalbder von Pythagoras im sechsten Jahrhundert v. Chr. inUnteritalien gestifteten Gemeinschaft erwachsen. Die Py-thagoreer sahen in den Zahlen und Figuren, deren Ge-setze sie durch die Mathematik erforschten, den Grund derDinge. Aristoteles erzählt von ihnen: «Sie führten zuerstdie Mathematik fort, und indem sie ganz darin aufgingen,hielten sie die Anfänge in ihr auch für die Anfänge allerDinge. Da nun in dem Mathematischen die Zahlen vonNatur das erste sind, und sie in den Zahlen viel Ahnlichesmit den Dingen und dem Werdenden zu sehen glaubten,und zwar in den Zahlen mehr als in dem Feuer, der Erdeund dem Wasser, so galt ihnen eine Eigenschaft der Zahlenals die Gerechtigkeit, eine andere als die Seele und derGeist, wieder eine andere als die Zeit, und so fort für allesübrige. Sie fanden ferner in den Zahlen die Eigenschaftenund die Verhältnisse der Harmonie, und so schien allesandere, seiner ganzen Natur nach, Abbild der Zahlen unddie Zahlen das erste in der Natur zu sein.» - Auf einengewissen Pythagoreismus muß die mathematisch-wissen-schaftliche Betrachtung der Naturerscheinungen immerführen. Wenn eine Saite von bestimmter Länge

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angeschlagen wird, so entsteht ein gewisser Ton. Wird dieSaite in bestimmten Z^Wewverhältnissen verkürzt, so ent-stehen immer andere Töne. Man kann die Tonhöhen durchZahlenverhältnisse ausdrücken. Die Physik drückt auch dieFarbenverhältnisse durch Zahlen aus. Wenn sich zwei Kör-per zu einem Stoffe verbinden, so geschieht es immer so,daß sich eine ganz bestimmte durch Zahlen ein für allemalausdrückbare Menge des einen Stoffes mit einer ebensolchendes anderen Stoffes verbindet. Auf solche Ordnungen nachMaß und Zahl in der Natur war der Beobachtungssinnder Pythagoreer gelenkt. Auch die geometrischen Figurenspielen eine ähnliche Rolle in der Natur. Die Astronomiez. B. ist eine auf die Himmelskörper angewandteMathematik. Was für das Vorstellungsleben der Pytha-goreer wichtig wurde, das ist die Tatsache, daß der Menschganz für sich allein, bloß durch seine geistigen Operationendie Gesetze der Zahlen und Figuren erforscht; und daßdoch, wenn er dann in die Natur hinausblickt, die Dingeden Gesetzen folgen, die er für sich, in seiner Seele fest-gestellt hat. Der Mensch bildet für sich den Begriff einerEllipse aus; er stellt die Gesetze der Ellipse fest. Und dieHimmelskörper bewegen sich im Sinne der Gesetze, die erfestgesetzt hat. (Es kommt hier natürlich nicht auf dieastronomischen Anschauungen der Pythagoreer an. Wasvon den ihrigen gesagt werden kann, kann auch von denKopernikanischen in der hier in Betracht kommenden Be-ziehung gesagt werden.) Daraus folgt ja unmittelbar, daßdie Verrichtungen der Menschenseele nicht ein Treiben sindabseits von der übrigen Welt, sondern daß in diesen Ver-richtungen sich das ausspricht, was als gesetzmäßige Ord-nung die Welt durchzieht. Der Pythagoreer sagte sich: Die

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Sinne zeigen dem Menschen die sinnlichen Erscheinungen.Aber sie zeigen nicht die harmonischen Ordnungen, denendie Dinge folgen: Diese harmonischen Ordnungen mußvielmehr der Menschengeist erst in sich finden, wenn ersie außen in der Welt schauen will. Der tiefere Sinn derWelt, das was in ihr als ewige, gesetzmäßige Notwendig-keit waltet: das kommt in der Menschenseele zum Vor-schein, das wird in ihr gegenwärtige Wirklichkeit. In derSeele geht der Sinn der Welt auf. Nicht in dem, was mansieht, hört und tastet, liegt dieser Sinn, sondern in dem,was die Seele aus ihren tiefen Schachten zutage fördert.Die ewigen Ordnungen sind also in den Tiefen der Seelegeborgen. Man steige hinunter in die Seele: und man wirddas Ewige finden. Gott, die ewige Weltharmonie, ist inder Menschenseele. Nicht auf die Körperlichkeit, die in desMenschen Haut eingeschlossen ist, ist das Seelische be-schränkt. Denn was in der Seele geboren wird, das sinddie Ordnungen, nach denen die Welten im Himmelsraumkreisen. Die Seele ist nicht in der Persönlichkeit. Die Per-sönlichkeit gibt bloß das Organ ab, durch welches das,was als Ordnung den Weltenraum durchzieht, sich aus-sprechen kann. Es steckt etwas von dem Geist des Pytha-goras in dem, was der Kirchenvater Gregorius von Nissagesagt hat: «Allein etwas Kleines, sagt man, Begrenztesist die menschliche Natur, unendlich aber die Gottheit, undwie wohl ist durch das Winzige das Unendliche umfaßtworden? Und wer sagt das, daß in der Umgrenzung desFleisches wie in einem Gefäße die Unendlichkeit der Gott-heit eingefaßt war? Denn nicht einmal in unserem Lebenwird innerhalb der Grenzen des Fleisches die geistige Na-tur eingeschlossen; sondern die Masse des Körpers wird

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zwar durch die Nachbarteile begrenzt, die Seele aber breitetsich durch die Bewegungen des Denkens frei in der ganzenSchöpfung aus.» Die Seele ist nicht die Persönlichkeit. DieSeele gehört der Unendlichkeit an. So mußte es auch vonsolchem Gesichtspunkte aus für die Pythagoreer gelten,daß bloß «Törichte» wähnen können: mit der Persönlich-keit sei das Seelische erschöpft. - Auch für sie mußte esdarauf ankommen, in dem Persönlichen das Ewige zu er-wecken. Erkenntnis war ihnen Umgang mit dem Ewigen.Um so höher mußte ihnen der Mensch gelten, je mehr erdieses Ewige in sich zum Dasein bringt. In der Pflege desUmgangs mit dem Ewigen bestand das Leben in ihrer Ge-meinschaft. Die Mitglieder dieser Gemeinschaft zu solchemUmgang zu führen, bildete die pythagoreische Erziehung.Eine philosophische Einweihung war also diese Erziehung.Und die Pythagoreer konnten wohl sagen, daß sie durchdiese Lebenshaltung ein Gleiches anstrebten wie die My-sterienkulte. -

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PLATO ALS MYSTIKER

Was innerhalb des griechischen Geisteslebens die Mysterienbedeutet haben, das kann man an der WeltanschauungPlatos sehen. Es gibt nur ein Mittel, ihn vollständig zuverstehen: Man muß ihn in die Beleuchtung rücken, dievon den Mysterien ausstrahlt. Die späten Schüler des Plato,die Neuplatoniker, schreiben ihm ja auch eine Geheim-lehre zu, an der er nur die Würdigen teilnehmen ließ, undzwar unter dem «Siegel der Verschwiegenheit». Als ge-heimnisvoll in dem Sinne, wie die Mysterienweisheit eswar, wurde seine Lehre angesehen. Wenn der siebente derplatonischen Briefe auch nicht von ihm selbst herrührt,was behauptet wird, so besagt das doch für den Zweck,der hier verfolgt wird, nichts: denn ob er oder ein andererüber die Gesinnung, die in dem Briefe zum Ausdruckekommt, sich in dieser Weise ausspricht, das kann uns gleich-gültig sein. Diese Gesinnung lag eben im Wesen seiner Welt-anschauung. Es heißt in dem Briefe: «So viel kann ich überalle sagen, welche geschrieben haben und schreiben wer-den, als wüßten sie, worauf meine Bestrebung geht, mögensie es nun von mir oder von andern gehört haben oder esselbst ersonnen haben, daß ihnen in nichts Glauben bei-zumessen ist. Von mir selbst gibt es keine Schrift über dieseGegenstände, noch dürfte eine solche erscheinen; derartigesläßt sich in keiner Weise wie andere Lehren in Worte fas-sen, sondern bedarf langer Beschäftigung mit dem Gegen-stande und des Hineinlebens in denselben; dann aber istes, als ob ein Funke hervorspränge und ein Licht in derSeele entzündete, das sich nun selbst erhält.» - Diese Wortekönnten nur auf eine Ohnmacht im Gebrauch der Worte

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hindeuten, die nur eine persönliche Schwäche wäre, wennman in ihnen nicht den Mysteriensinn finden könnte. Das,worüber Plato nicht geschrieben hat und nie schreibenwollte, muß etwas sein, dem gegenüber das Schreiben ver-geblich ist. Es muß ein Gefühl, eine Empfindung, ein Er-lebnis sein, das nicht durch augenblickliche Mitteilung,sondern durch «Hineinleben» erworben wird. Auf dieintime Erziehung ist gedeutet, die Plato den Auserwähltenzu geben vermochte. Für sie sprang dann Feuer aus seinenReden; für die andern sprangen nur Gedanken heraus. -Es ist eben nicht gleichgültig, wie man an Platos Gesprächeherantritt. Je nach der geistigen Verfassung, in der manist, sind sie einem weniger oder mehr. Von Plato ging aufseine Schüler noch mehr über als der Wortsinn seiner Dar-legungen. Da, wo er lehrte, lebten die Teilnehmer in My-sterienatmosphäre. Die Worte hatten Obertöne, die mit-schwangen. Aber diese Obertöne brauchten eben die My-sterienatmosphäre. Sonst verklangen sie ungehört.

Im Mittelpunkt der platonischen Gesprächswelt stehtdie Persönlichkeit des Sokrates. Das Geschichtliche brauchthier nicht berührt zu werden. Auf den Charakter des So-krates, wie er sich bei Plato findet, kommt es an. Sokratesist eine durch den Tod für die Wahrheit geheiligte Person.Er ist gestorben, wie nur ein Eingeweihter sterben kann,dem der Tod nur ein Moment des Lebens ist wie andere.Er geht in den Tod wie zu einer anderen Begebenheit desDaseins. Er hatte sich so verhalten, daß selbst in seinenFreunden die Gefühle nicht erwachten, die sonst sich beieiner solchen Gelegenheit einzustellen pflegen. Phadon sagtdas in dem «Gespräch über die Unsterblichkeit der Seele»:«Fürwahr, mir meinesteils war ganz sonderbar zu Mute

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dabei. Mich wandelte gar kein Mitleid an wie einen, derbei dem Tode eines vertrauten Freundes zugegen ist; soglückselig erschien mir der Mann in seinem Benehmen undin seinen Reden; so standhaft und edel endete er, daß ichvertraute, er ginge auch in die Unterwelt nicht ohne gött-liche Sendung, sondern würde auch dort sich wohl befin-den, wenn je einer sonst. Darum nun kam mich gar keineweichherzige Regung an, wie man doch denken sollte beisolchem Trauerfall, noch andrerseits fröhliche Stimmungwie sonst wohl bei philosophischen Beschäftigungen, ob-wohl unsere Unterredungen von dieser Art waren; son-dern in einem wunderbaren Zustand befand ich mich undin einer ungewohnten Mischung von Lust und Betrübnis,wenn ich bedachte, daß dieser Mann nun gleich sterbenwürde.» Und der sterbende Sokrates belehrt seine Schülerüber die Unsterblichkeit. Die Persönlichkeit, welche Er-fahrung hat über den Unwert des Lebens, wirkt hier alsganz anderer Beweis denn alle Logik, alle Vernunft gründe.Es ist, als ob nicht ein Mensch spräche; denn dieser Menschist eben ein hinübergehender, sondern als ob die ewigeWahrheit selbst spräche, die in einer vergänglichen Persön-lichkeit ihre Stätte aufgeschlagen hat. Wo ein Zeitlichessich in nichts auflöst, da scheint die Luft zu sein, in derdas Ewige klingen mag.

Keine Beweise im logischen Sinne hören wir über dieUnsterblichkeit. Das ganze Gespräch ist darauf gerichtet,die Freunde dahin zu führen, wo sie das Ewige erblicken.Dann bedarf es ja für sie keiner Beweise. Wie soll mandem noch beweisen müssen, daß die Rose rot ist, der siesieht? Wie soll man dem noch beweisen müssen, daß derGeist ewig ist, dem man die Augen öffnet, auf daß er

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diesen Geist sehe. - Erfahrungen, Erlebnisse sind es, aufdie Sokrates hinweist. Erst ist es das Erlebnis mit derWeisheit selbst. Was will der, welcher nach Weisheit trach-tet? Er will sich frei machen von dem, was ihm die Sinnein der alltäglichen Beobachtung bieten. Er will den Geistin der Sinnenwelt suchen. Ist das nicht eine Tatsache, diesich mit dem Sterben vergleichen läßt? «Nämlich die-jenigen - das ist des Sokrates Meinung -, die sich aufrechte Art mit Philosophie befassen, mögen wohl, ohnedaß es freilich die anderen merken, nach gar nichts an-derem streben, als zu sterben und tot zu sein. Ist nun dieswahr: so wäre es doch wohl sonderbar, wenn sie ihr gan-zes Leben hindurch zwar sich um nichts anderes bemühtenals darum; wenn es nun aber selbst käme, unwillig zusein über das, wonach sie so lange gestrebt und sich be-müht haben.» - Sokrates fragt einen seiner Freunde, umdas zu bekräftigen: «Scheint dir es, daß es sich für denPhilosophen gezieme, sich Mühe zu geben um die soge-nannten sinnlichen Lüste, wie um ein leckeres Essen undTrinken? Oder um die Vergnügungen des Geschlechtstrie-bes? Und die übrige Besorgung des Leibes; glaubst du, daßein solcher Mann sie sehr beachte? Wie, schöne Kleider zuhaben, Schuhe und andre Arten von Schmuck des Leibes,glaubst du, daß er das beachte oder verachte in höheremGrade als die äußerste Not hiervon zu haben erfordert?Dünkt dich also nicht überhaupt eines solchen Mannesganze Beschäftigung nicht auf den Leib gerichtet zu sein,sondern so viel nur möglich von ihm abgekehrt und derSeele zugewendet? Also hierin zuerst zeigt sich der Philo-soph: Ablösend seine Seele von der Gemeinschaft mit demLeibe im Vorzug mit allen übrigen Menschen.» Darnach

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darf Sokrates schon eines sagen: Das Weisheitsstreben hatdas mit dem Sterben gleich, daß der Mensch sich von demLeiblichen abkehrt. Aber wohin wendet er sich denn? Erwendet sich dem Geistigen zu. Kann er aber von demGeiste dasselbe wollen wie von den Sinnen? Sokratesspricht sich darüber aus: «Wie aber steht es nun mit dervernünftigen Einsicht selbst? Ist dabei der Leib im Wegeoder nicht, wenn man ihn bei dem Streben darnach zumGefährten annimmt? Ich meine so: Gewähren wohl Gesichtund Gehör dem Menschen einige Wahrheit? Oder singennur die Dichter das immer so vor: daß wir nichts genauhören noch sehen? ... Wann also trifft die Seele die Wahr-heit? Denn wenn sie mit des Leibes Hilfe versucht, etwaszu betrachten, dann wird sie offenbar von diesem betro-gen.» Alles, was wir mit den Sinnen des Leibes wahrneh-men, entsteht und vergeht. Und dieses Entstehen und Ver-gehen bewirkt eben, daß wir betrogen werden. Aber wennwir durch die vernünftige Einsicht tiefer in die Dinge hin-einschauen, dann wird uns in ihnen das Ewige zuteil. Alsobieten uns die Sinne nicht das Ewige in seiner wahrenGestalt. Sie sind in dem Augenblicke Betrüger, wenn wirihnen unbedingt vertrauen. Sie hören auf, uns zu betrügen,wenn wir ihnen die denkende Einsicht gegenüberstellenund ihre Aussagen der Prüfung dieser Einsicht unterwer-fen. Wie könnte aber die denkende Einsicht über die Aus-sagen der Sinne zu Gericht sitzen, wenn in ihr nicht etwaslebte, was über die Wahrnehmungen der Sinne hinaus-geht? Also, was wahr und falsch an den Dingen ist, dar-über entscheidet in uns etwas, was sich dem sinnlichenLeibe entgegenstellt, was also nicht seinen Gesetzen unter-worfen ist. Es darf dieses Etwas vor allem nicht den Ge-

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setzen seines Werdens und Vergehens unterworfen sein.Denn dieses Etwas hat das Wahre in sich. Nun kann aberdas Wahre nicht ein Gestern und Heute haben; es kannnicht einmal dies, das andere Mal jenes sein, wie die sinn-lichen Dinge. Also muß das Wahre selbst ein Ewiges sein.Und indem sich der Philosoph von dem Sinnlich-Vergäng-lichen ab- und dem Wahren zuwendet, tritt er zugleich anein Ewiges heran, das in ihm wohnt. Und versenken wiruns ganz in den Geist, dann leben wir ganz in dem Wah-ren. Das Sinnliche um uns ist nicht mehr bloß in seinersinnlichen Gestalt vorhanden. «Und der kann dies wohl amreinsten ausrichten, sagte Sokrates, der mit dem Geisteso viel als möglich allein an jedes geht, ohne weder dasGesicht mit umzuwenden beim Denken, noch irgendeinenanderen Sinn mit zuzuziehen bei seinem Nachdenken, son-dern sich des reinen Gedankens allein bedienend, auchjegliches rein für sich zu fassen trachtet, so viel als möglichgeschieden von Augen und Ohren, und, um es kurz zusagen, von dem ganzen Leibe, der nur die Seele stört undsie nicht die Wahrheit und Einsicht erlangen läßt, wenner mit dabei ist ... Heißt nun nicht der Tod die Erlösungund Absonderung der Seele vom Leibe? Und sie zu lösen,streben immer am meisten nur allein die wahrhaften Phi-losophen; also ist das das Geschäft des Philosophen: Be-freiung und Absonderung der Seele vom Leibe ... Törichtist deshalb, wenn ein Mann, der sich in seinem ganzenLeben darauf eingerichtet hat, so nahe als möglich demTode zu sein, nachher, wenn dieser kommt, sich ungebär-dig stellen wollte ... In der Tat trachten die richtigenWeisheitsucher darnach zu sterben, und der Tod ist ihnenunter allen Menschen am wenigsten furchtbar.» Auch alle

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höhere Sittlichkeit gründet Sokrates auf die Befreiung vomLeibe. Wer nur dem folgt, was ihm sein Leib gebietet, derist nicht sittsam. Wer ist tapfer? fragt Sokrates. Derjenigeist tapfer, der nicht seinem Leibe folgt, sondern auch dannden Forderungen seines Geistes folgt, wenn diese For-derungen den Leib gefährden. Und wer ist besonnen?Heißt nicht besonnen sein, sich «von Begierden nicht fort-reißen zu lassen, sondern sich gleichgültig gegen sie zu ver-halten und sittsam; kommt nicht also auch die Besonnen-heit allein denen zu, welche den Leib am meisten geringschätzen und in der Liebe zur Weisheit leben?» Und soist es, nach Sokrates' Meinung, mit allen Tugenden.

Sokrates schreitet zur Charakteristik der vernünftigenEinsicht selbst vor. Was heißt denn überhaupt Erkennen?Zweifellos gelangen wir dadurch zur Erkenntnis, daß wiruns Urteile bilden. Nun wohl: ich bilde mir über einenGegenstand ein Urteil; z. B. ich sage mir: Dies, wasda vor mir steht, ist ein Baum. Wie komme ich dazu,mir das zu sagen? Ich werde es nur können, wenn ich schonweiß, was ein Baum ist. Ich muß mich erinnern an meineVorstellung von dem Baume. Ein Baum ist ein sinnlichesDing. Wenn ich mich an einen Baum erinnere, dann alsoerinnere ich mich an einen sinnlichen Gegenstand. Ich sagevon einem Dinge: es sei ein Baum, wenn es andern Dingengleicht, die ich früher wahrgenommen habe und von denenich weiß, daß sie Bäume sind. Die Erinnerung vermitteltmir die Erkenntnis. Die Erinnerung ermöglicht mir denVergleich der mannigfaltigen sinnlichen Dinge unterein-ander. Aber darin erschöpft sich meine Erkenntnis nicht.Wenn ich zwei Dinge sehe, die gleich sind, so bilde ich mirdas Urteil: diese Dinge sind gleich. Nun sind in der Wirk-

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lichkeit niemals zwei Dinge ganz gleich. Ich kann überallnur in einer gewissen Beziehung eine Gleichheit finden.Der Gedanke der Gleichheit tritt also in mir auf, ohnedaß er in der sinnlichen Wirklichkeit ist. Er verhilft mirzu einem Urteil, wie mir die Erinnerung zu einem Urteil,zu einer Erkenntnis verhilft. Wie ich mich bei dem Bauman Bäume erinnere, so erinnere ich mich bei zwei Dingen,wenn ich sie in einer gewissen Beziehung betrachte, an denGedanken der Gleichheit. Es treten also in mir Gedankenwie Erinnerungen auf, die nicht aus der sinnlichen Wirk-lichkeit erworben sind. Alle Erkenntnisse, die nicht ausdieser Wirklichkeit entlehnt sind, fußen auf solchen Ge-danken. Die ganze Mathematik besteht nur aus solchenGedanken. Der würde ein schlechter Geometer sein, dernur das in mathematische Beziehungen bringen könnte,was er mit Augen sehen, mit Händen greifen kann. Alsohaben wir Gedanken, die nicht aus der vergänglichen Na-tur stammen, sondern die aus dem Geiste aufsteigen. Undgerade diese tragen das Merkmal ewiger Wahrheit an sich.Ewig wahr wird sein, was die Mathematik lehrt; auchwenn morgen das ganze Weltgebäude einstürzte und sichein ganz neues aufbaute. Es könnten für ein anderes Welt-gebäude solche Bedingungen gelten, daß die gegenwär-tigen mathematischen Wahrheiten nicht anwendbar wä-ren; in sich wahr blieben sie aber doch. Wenn die Seelemit sich allein ist, dann nur kann sie solche ewige Wahr-heiten aus sich hervorbringen. Also ist die Seele dem Wah-ren, dem Ewigen verwandt und nicht dem Zeitlichen,Scheinbaren. Daher sagt Sokrates: «Wenn die Seele durchsich selbst Betrachtungen anstellt, dann geht sie zu demReinen und immer Seienden und Unsterblichen und sich

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selbst Gleichen, und als diesem verwandt, hält sie sich zuihm, wenn sie für sich selbst ist und es ihr vergönnt wird,und dann hat sie Ruhe von ihrem Irren und ist auch inBeziehung auf jenes immer sich selbst gleich, weil sie ebensolches berührt, und diesen ihren Zustand nennt man ebendie Vernünftigkeit ... Sieh nun zu, ob aus allem Gesagtennicht hervorgeht, daß dem Göttlichen, Unsterblichen, Ver-nünftigen, Einartigen, Unauflöslichen und immer gleichund sich selbst gleichartig Verhaltenden die Seele am ähn-lichsten ist; dem Menschlichen und Sterblichen und Unver-nünftigen und Vielgestaltigen und Auflöslichen und niegleich und sich selbst gleichartig Bleibenden wiederum derLeib am ähnlichsten ist ... Also, wenn sich das so verhält,so geht die Seele zu dem ihr ähnlichen Gestaltlosen undzu dem Göttlichen, Unsterblichen, Vernünftigen, wo siedann dazu gelangt, glückselig zu sein, von Irrtum und Un-wissenheit, Furcht und wilder Liebe und allen andernmenschlichen Übeln befreit, und lebt dann, wie es bei denEingeweihten heißt, wahrhaft die übrige Zeit mit Gott.»Es kann hier nicht die Aufgabe sein, alle Wege zu zeigen,die Sokrates seine Freunde zum Ewigen hingeleitet. Alleatmen ja denselben Geist. Alle sollen zeigen, daß derMensch ein anderes findet, wenn er die Wege der vergäng-lichen Sinneswahrnehmung wandelt, und ein anderes, wennsein Geist mit sich allein ist. Und auf diese ureigene Naturdes Geistigen weist Sokrates die hin, die ihm zuhören.Finden sie es, dann sehen sie ja mit Geistesaugen selbst,daß es ewig ist. Der sterbende Sokrates beweist nicht dieUnsterblichkeit; er zeigt einfach das Wesen der Seele. Unddann stellt sich heraus, daß Werden und Vergehen, Ge-burt und Tod mit dieser Seele nichts zu tun haben. Das

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Wesen der Seele ist in dem Wahren gelegen; das Wahreaber kann nicht werden und vergehen. So viel wie das Ge-rade mit dem Ungeraden hat die Seele mit dem Werdenzu tun. Der Tod aber gehört dem Werden an. Also hat dieSeele mit dem Tode nichts zu tun. Muß man nicht vondem Unsterblichen sagen, daß es das Sterbliche so wenigannehme wie das Gerade das Ungerade. Muß man nichtsagen, meint, davon ausgehend, Sokrates: «daß, wenn dasUnsterbliche auch unvergänglich ist, die Seele unmöglich,wenn der Tod an sie kommt, untergehen kann. Denn denTod kann sie ja nach dem vorhin Erwiesenen nicht an-nehmen, noch kann sie gestorben sein, wie die Drei niemalsgerade sein kann.»

Man überblicke die ganze Entwicklung in diesem Ge-spräche, in dem Sokrates seine Zuhörer dahin führt, daßsie das Ewige in der menschlichen Persönlichkeit schauen.Die Zuhörer nehmen seine Gedanken auf; sie forschen insich selbst, ob sich in ihren eigenen inneren Erlebnissenetwas findet, wodurch sie zu seinen Ideen «ja» sagen kön-nen. Sie machen die Einwände, die sich ihnen aufdrängen.Was ist mit den Zuhörern geschehen, wenn das Gesprächsein Ende erreicht hat? Sie haben in sich etwas gefundeny

was sie vorher nicht gehabt haben. Sie haben nicht bloßeine abstrakte Wahrheit in sich aufgenommen; sie habeneine Entwicklung durchgemacht. Es ist etwas in ihnenlebendig geworden, was vorher nicht in ihnen lebte. Istdas nicht etwas, was sich mit einer Einweihung vergleichenläßt? Wirft das nicht ein Licht darauf, warum Plato seinePhilosophie in Gesprächsform dargelegt hat? Es sollendiese Gespräche eben nichts anderes sein als die literarischeForm für die Vorgänge in den Mysterienstätten. Was

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Plato selbst an vielen Stellen sagt, überzeugt uns davon.Als philosophischer Lehrer hat Plato sein wollen, was derEinweihende in den Mysterien war; so gut man das mitder philosophischen Art der Mitteilung sein kann. Wieweiß sich doch Plato in Übereinstimmung mit der Art derMysterien! Wie hält er seine Art nur dann für die rechte,wenn sie dorthin führt, wohin der Myste geführt werdensoll! Darüber spricht er sich im Timäos aus: «Alle, dieeinigermaßen die rechte Gesinnung haben, rufen bei kleinenund großen Unternehmungen die Götter an; wir aber, dieüber das All zu lehren vorhaben, inwiefern es entstandenund unentstanden ist, müssen doch besonders, wenn wirnicht völlig abgeirrt sind, die Götter und Göttinnen an-rufen und beten, alles zunächst in ihrem Geiste und dannin Übereinstimmung mit uns selbst zu lehren.» Und den-jenigen, die auf einem solchen Wege suchen, versprichtPlato: «daß die Gottheit als Retter die verirrliche und soweit abseits liegende Untersuchung in einer einleuchtendenLehre ihren Abschluß finden lasse».

Der «Timäos» ist es besonders, der uns den Myste-riencharakter der platonischen Weltanschauung enthüllt.Gleich im Anfange dieses Gespräches ist von einer «Ein-weihung» die Rede. Solon wird von einem ägyptischenPriester in das Werden der Welten «eingeweiht» und indie Art, wie in überlieferten Mythen bildlich ewige Wahr-heiten ausgesprochen werden. «Es haben schon viele undvielerlei Vertilgungen der Menschen stattgefunden (so lehrtder ägyptische Priester den Solon) und werden auch fer-nerhin noch stattfinden, die umfänglichsten durch Feuerund Wasser, andere, geringere aber durch unzählige andereUrsachen. Denn was auch bei euch erzählt wird, daß einst

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Phaeton, der Sohn des Helios, den Wagen seines Vatersbestieg und, weil er es nicht verstand, auf dem Wege seinesVaters zu fahren, alles auf der Erde verbrannte und erselber vom Blitze erschlagen wurde, das klingt zwar wieeine Fabel, doch ist das Wahre daran die veränderte Be-wegung der die Erde umkreisenden Himmelskörper unddie Vernichtung von allem, was auf der Erde befindlichist, durch vieles Feuer, welche nach dem Verlauf gewissergroßer Zeiträume eintritt.» - In dieser Timäosstelle istein deutlicher Hinweis darauf enthalten, wie sich der Ein-geweihte zu den Mythen des Volkes verhält. Er erkenntdie Wahrheiten, die in ihren Bildern verhüllt sind.

Das Drama des Weltwerdens wird im Timäos vorge-führt. Wer den Spuren nachgehen will, die zu diesem Welt-werden führen, der kommt zu der Ahnung der Urkraft,aus der alles geworden ist. «Den Schöpfer und Vater diesesAlls nun ist es schwierig zu finden; und wenn man ihn ge-funden hat, unmöglich, sich für alle verständlich über ihnauszusprechen.» Der Myste wußte, was mit dieser «Un-möglichkeit» gemeint ist. Sie deutet auf das Drama desGottes. Dieser ist ja für ihn nicht im Sinnlich-Verständigenvorhanden. Da ist er nur als Natur vorhanden. Er ist inder Natur verzaubert. Nur der kann sich ihm, nach deralten Mysten-Meinung, nähern, der das Göttliche in sichselbst erweckt. Also kann er nicht, ohne weiteres, für alleverständlich gemacht werden. Aber selbst für den, der sichihm nähert, erscheint er nicht selbst. Das besagt der Timäos.Aus Weltleib und Weltseele hat der Vater die Welt ge-macht. Harmonisch, in vollkommenen Proportionen hat erdie Elemente gemischt, die entstanden, als er sich selbstvergießend ein eigenes besonderes Sein hingab. Dadurch

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wurde der Weltleib. Und gespannt auf diesen Weltleib istin Kreuzesform die Weltseele. Sie ist das Göttliche in derWelt. Sie hat den Kreuzestod gefunden, auf daß die Weltsein könne. Das Grab des Göttlichen darf also Plato dieNatur nennen. Doch nicht ein Grab, in dem ein Totes liegt,sondern ein Ewiges, für das der Tod nur die Gelegenheitgibt, die Allmacht des Lebens zum Ausdruck zu bringen.Und derjenige Mensch erblickt diese Natur in dem rechtenLichte, der vor sie hintritt, die gekreuzigte Weltseele zuerlösen. Auferstehen soll sie von ihrem Tode, aus ihrerVerzauberung. Wo kann sie wieder aufleben? Allein inder Seele des eingeweihten Menschen. Die Weisheit findetihr rechtes Verhältnis damit zum Kosmos. Die Auferste-hung, die Erlösung Gottes: das ist die Erkenntnis. Vondem Unvollkommenen zum Vollkommenen wird im Ti-mäos die Weltentwicklung verfolgt. Ein aufsteigenderProzeß stellt sich in der Vorstellung dar. Die Wesen ent-wickeln sich. Gott enthüllt sich in dieser Entwicklung. DasWerden ist eine Auferstehung Gottes aus dem Grabe. In-nerhalb der Entwicklung tritt der Mensch auf. Plato zeigt,daß mit dem Menschen etwas Besonderes da ist. Zwar istdie ganze Welt ein Göttliches. Und der Mensch ist nichtgöttlicher als die anderen Wesen. Aber in den anderenWesen ist Gott auf verborgene Art, in dem Menschen aufoffenbare Art gegenwärtig. Am Ende des Timäos steht:«Und nunmehr möchten wir denn auch behaupten, daßunsere Erörterungen über das All ihr Ziel erreicht haben,denn nachdem diese Welt in der geschilderten Weise mitsterblichen und unsterblichen lebenden Wesen ausgerüstetund erfüllt worden, ist sie (so selbst) zu einem sichtbarenWesen dieser Art geworden, welches alles Sichtbare um-

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faßt, zu einem Abbilde des Schöpfers und sinnlich wahr-nehmbaren Gott und zur größten und besten, zur schön-sten und vollendetsten (die es geben konnte) geworden,diese eine und Eingeborene Welt.»

Aber diese eine und Eingeborene Welt wäre nicht voll-kommen, wenn sie nicht unter ihren Abbildern auch dasAbbild des Schöpfers selbst hätte. Nur aus der Menschen-seele heraus kann dieses Abbild geboren werden. Nichtden Vater selbst, aber den Sohn, den in der Seele lebendenSprossen Gottes, der gleich ist dem Vater: ihn kann derMensch gebären.

Als den «Sohn Gottes» bezeichnete Philo, von dem mansagte, daß er der wiedererstandene Plato sei, die aus demMenschen geborene Weisheit, welche in der Seele lebt unddie in der Welt vorhandene Vernunft zum Inhalte hat.Diese Weltvernunft, der Logos, erscheint als das Buch, indem «aller Weltbestand eingetragen und gezeichnet ist».Sie erscheint weiter als der Sohn Gottes: «die Wege desVaters nachahmend formt er, auf die Urbilder schauend,die Gestalten». Diesen Logos spricht der platonisierendePhilo wie den Christus an: «Da Gott der erste und einzigeKönig des Alls ist, so ist der Weg zu ihm mit Recht derKönigliche genannt worden; als diesen aber betrachte diePhilosophie ... den Weg, welchen der Chor der alten As-keten wandelte, abgewandt von dem bestrickenden Zau-ber der Lust, der würdigen und ernsten Pflege des Schönenhingegeben; diesen Königlichen Weg, den wir die wahrePhilosophie nennen, heißt das Gesetz: Gottes Wort undGeist.»

Wie eine Einweihung empfindet es Philo, wenn er diesenWeg betritt, um dem Logos zu begegnen, der ihm Gottes

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Sohn ist: «Ich scheue mich nicht, mitzuteilen, was mir selbstunzählige Male geschehen ist. Manchmal, wenn ich in ge-wohnter Weise meine philosophischen Gedanken nieder-schreiben wollte und ganz scharf sah, was festzustellenwäre, fand ich doch meinen Geist unfruchtbar und steif, sodaß ich, ohne etwas fertig zu bringen, ablassen mußte undmir in nichtigem Wähnen befangen vorkam; zugleich aberstaunte über die Gewalt des Gedanklich-Realen, bei der essteht, den Schoß der Menschenseele zu öffnen und zu schlie-ßen. Andermal aber fing ich leer an, und kam, ohne weiteres,zur Fülle, indem die Gedanken wie Schneeflocken oder Sa-menkörner von obenher unsichtbar herabgeflogen kamen,und es mich wie göttliche Kraft ergriff und begeisterte, sodaß ich nicht wußte, wo ich bin, wer bei mir ist, wer ichselber bin, was ich sage, was ich schreibe: denn jetzt warmir der Fluß der Darstellung gegeben, eine wonnige Helle,scharfer Blick, klare Beherrschung des Stoffes, wie wenndas innere Auge nun alles mit der größten Deutlichkeiterkennen könnte.» - Das ist die Schilderung eines Erkennt-nisweges, die so gehalten ist, daß man sieht, der diesenWeg geht, ist sich bewußt, daß, wenn der Logos in ihmlebendig wird, er mit dem Göttlichen zusammenfließt.Klar kommt das auch noch in den Worten zum Ausdruck:«Wenn der Geist, von der Liebe ergriffen, in das Heiligsteseinen Flug nimmt, freudigen Schwunges, gottbeflügelt, sovergißt er alles andere und sich selbst, er ist nur von demerfüllt und an den geschmiegt, dessen Trabant und Dienerer ist und dem er die heiligste und keuscheste Tugend alsRauchopfer darbringt.» - Es gibt für Philo nur zwei Wege.Entweder man folgt dem Sinnlichen, dem, was Wahrneh-mung und Verstand bieten, dann beschränkt man sich auf

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die eigene Persönlichkeit, man entzieht sich dem Kosmos;oder aber man wird sich der kosmischen Allkraft bewußt;dann erlebt man innerhalb der Persönlichkeit das Ewige.«Wer Gott umgehen will, fällt sich selbst in die Hände;denn es kommt zweierlei in Frage: der Allgeist, welcherGott ist, und der eigene Geist; der letztere entflieht undflüchtet zum Allgeist; denn wer über seinen eigenen Geisthinausgeht, sagt sich, daß dieser ein Nichts sei, und knüpftalles an Gott; wer aber Gott ausweicht, hebt diesen Ur-grund auf und macht sich zum Grunde von allem, wasgeschieht.»

Eine Erkenntnis, die durch ihre ganze Art Religion ist,will die platonische Weltanschauung sein. Sie bringt dieErkenntnis in Beziehung zu dem Höchsten, das der Menschmit seinen Gefühlen erreichen kann. Nur wenn in der Er-kenntnis das Gefühl sich am vollständigsten befriedigenkann, vermag Plato diese Erkenntnis gelten zu lassen. Sieist dann nicht bildhaftes Wissen; sie ist Lebensinhalt. Sieist ein höherer Mensch im Menschen. Derjenige Mensch,von dem die Persönlichkeit nur Abbild ist. In dem Men-schen selbst wird der überragende, der Urmensch, geboren.Und damit wäre wieder ein Mysteriengeheimnis in derplatonischen Philosophie zum Ausdruck gebracht. Der Kir-chenvater Hippolytos weist auf dieses Geheimnis hin: «Dasist das große Geheimnis der Samothraker (der Hüter einesbestimmten Mysterienkultus), das man nicht aussprechenkann und das nur die Eingeweihten kennen. Diese aberwissen ausführlich von Adam als ihrem Urmenschen zuberichten.» —

Eine «Einweihung» stellt auch das Platonische «Ge-spräch über die Liebe», das «Symposion» dar. Hier er-

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scheint die Liebe als die Vorverkünderin der Weisheit. Istdie Weisheit, das ewige Wort (Logos) der Sohn des ewigenWeltschöpfers, so hat die Liebe eine mütterliche Beziehungzu diesem Logos. Bevor auch nur ein lichter Funke desWeisheitslichtes in der menschlichen Seele aufleuchten kann,muß ein dunkler Drang, ein Zug zu diesem Göttlichenvorhanden sein. Unbewußt muß es den Menschen zu demziehen, was nachher, ins Bewußtsein erhoben, sein höch-stes Glück ausmacht. Was bei Heraklit als der Dämonim Menschen auftritt (vgl. S. 38 ff.), damit verbindet sichdie Vorstellung der Liebe. - Im «Symposion» sprechensich Menschen verschiedensten Standes und verschiedensterLebensauffassung über die Liebe aus: der Alltagsmensch,der Politiker, der Wissenschaftler, der KomödiendichterAristophanes und der ernste Dichter Agathon. Sie haben,den Erfahrungen ihrer Lebenslage gemäß, jeder ihre An-schauungen über die Liebe. Wie sie sich äußern, dadurchkommt zum Vorschein, auf welcher Stufe ihr «Dämon»steht (vgl. S. 45). Durch die Liebe wird ein Wesen zumandern hingezogen. Das Mannigfaltige, die Vielheit derDinge, in welche die göttliche Einheit zerflossen ist,strebt durch die Liebe zur Einheit, zur Harmonie. EtwasGöttliches hat also die Liebe. Jeder kann sie daher nur soverstehen, wie er selbst des Göttlichen teilhaftig ist. Nach-dem die Menschen verschiedener Reifestufen ihre Gedan-ken von Liebe dargelegt haben, ergreift Sokrates das Wort.Er betrachtet als Erkenntnismensch die Liebe. Für ihn istsie kein Gott. Aber sie ist etwas, das den Menschen zuGott hinführt. Eros, die Liebe, ist ihm kein Gott. Dennder Gott ist vollkommen, also hat er das Schöne und Gute.Aber Eros ist nur das Verlangen nach dem Schönen und

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Guten. Er steht also zwischen dem Menschen und Gott. Erist ein «Dämon», ein Mittler zwischen Irdischem undGöttlichem. - Es ist bedeutsam, daß Sokrates nicht seineGedanken zu geben behauptet, da wo er über die Liebespricht. Er sagt, er erzähle nur, was ihm eine Frau alsOffenbarung darüber gegeben habe. Eine mantische Kunstist es, durch die er zu einer Vorstellung von der Liebe ge-kommen ist. Diotime, die Priesterin, hat in Sokrates er-weckt, was als dämonische Kraft in ihm zum Göttlichenführen soll. Sie hat ihn «eingeweiht». - Vielsagend istdieser Zug des «Symposion». Man muß fragen: Wer ist die«weise Frau», die in Sokrates den Dämon erweckt? Mankann hier nicht an bloße dichterische Einkleidung denken.Denn keine sinnlich-wirkliche weise Frau könnte den Dä-mon in der Seele wecken, wenn die Kraft zu dieser Er-weckung nicht in der Seele selbst wäre. In der eigenenSeele des Sokrates müssen wir doch auch diese «weiseFrau» suchen. Aber es muß ein Grund vorhanden sein, derals äußerlich-wirkliches Wesen das erscheinen läßt, was inder Seele selbst den Dämon zum Dasein bringt. DieseKraft kann nicht so wirken wie die Kräfte, die man in derSeele als zu ihr gehörig, als in ihr heimisch, beobachtenkann. Man sieht, es ist die Seelenkraft vor Empfang derWeisheit, die Sokrates als «weise Frau» hinstellt. Es ist dasmütterliche Prinzip, das den Sohn Gottes, die Weisheit,den Logos gebiert. Als weibliches Element wird die unbe-wußt wirkende Kraft der Seele hingestellt, die das Gött-liche ins Bewußtsein eintreten läßt. Die noch weisheitloseSeele ist die Mutter dessen, was zum Göttlichen führt. Manwird da auf eine wichtige Vorstellung der Mystik geführt.Die Seele wird als die Mutter des Göttlichen anerkannt.

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Unbewußt führt sie, mit der Notwendigkeit einer Natur-kraft, den Menschen zum Göttlichen hin. - Ein Licht strahltvon da aus auf die Mysterienanschauung von der grie-chischen Mythologie. Die Götterwelt ist in der Seele ge-boren. Der Mensch sieht, was er selbst in Bildern schafft,als seine Götter an (vgl. S. 35 f.). Aber er muß noch zu eineranderen Vorstellung vordringen. Er muß auch die gött-liche Kraft in sich, die vor Erschaffung der Götterbil-der tätig ist, in Götterbilder wandeln. Hinter dem Gött-lichen tritt die Mutter des Göttlichen auf, die nichts anderesals die ursprüngliche menschliche Seelenkraft ist. Nebendie Götter stellt der Mensch die Göttinnen hin. Man be-trachte den Dionysos-Mythus in dem Lichte, das da ge-wonnen ist. Dionysos ist der Sohn des Zeus und einersterblichen Mutter, der Semele. Der vom Blitze erschla-genen Mutter entreißt Zeus das noch unreife Kind undbirgt es bis zur Reife in der eigenen Hüfte. Hera, die Göt-termutter, reizt die Titanen gegen Dionysos auf. Sie zer-stückeln den Knaben. Aber Pallas Athene rettet das nochschlagende Herz und bringt es dem Zeus. Er erzeugt daraufden Sohn zum zweiten Male. Man sieht genau in diesemMythus einen Vorgang, der sich im Innersten der mensch-lichen Seele abspielt. Und wer im Sinne des ägyptischenPriesters spräche, der den Solon über die Natur eines My-thus belehrt, der könnte so sprechen: Was bei euch erzähltwird, daß Dionysos, der Sohn des Gottes und einer sterb-lichen Mutter geboren, zerstückelt und noch einmal geborenist, das klingt zwar wie eine Fabel, doch das Wahre daranist die Geburt des Göttlichen und sind dessen Schicksale inder eigenen menschlichen Seele. Das Göttliche verbindetsich mit der zeitlich-irdischen Menschenseele. Sobald nur

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dieses Göttliche, Dionysische, sich regt, empfindet die Seeleein heftiges Verlangen nach seiner wahren geistigen Gestalt.Das Bewußtsein, das wieder im Bilde einer weiblichenGottheit, Hera, erscheint, wird eifersüchtig auf die Geburtaus dem besseren Bewußtsein. Es stachelt die niedere Naturdes Menschen auf - (die Titanen). Das noch unreife Gottes-kind wird zerstückelt. So ist es im Menschen vorhandenals zerstückelte sinnlich-verständige Wissenschaft. Ist imMenschen aber so viel von der höheren Weisheit (Zeus)vorhanden, daß diese wirksam ist, dann hegt und pflegtdiese das unreife Kind, das dann als zweiter Gottessohn(Dionysos) wiedergeboren wird. So wird aus der Wissen-schaft, der zerstückelten göttlichen Kraft im Menschen, dieeinheitsvolle Weisheit geboren, die der Logos ist, der SohnGottes und einer sterblichen Mutter, der vergänglichen,unbewußt nach dem Göttlichen hinstrebenden Menschen-seele. Solange man in alledem nur einen bloßen Seelenvor-gang sieht und es etwa als Bild eines solchen auffaßt, istman weit entfernt von der geistigen Wirklichkeit, die sichda abspielt. In dieser geistigen Wirklichkeit erlebt die Seelenicht bloß etwas in sich; sondern sie ist ganz von sich los-gekommen und erlebt einen Weltvorgang mit, der in Wahr-heit gar nicht in ihr, sondern außer ihr sich abspielt.

Platonische Weisheit und griechischer Mythus schließensich zusammen; ebenso Mysterienweisheit und Mythus. Dieerzeugten Götter waren Gegenstand der Volksreligion; dieGeschichte ihrer Entstehung war das Geheimnis der My-sterien. Kein Wunder, daß es für gefährlich galt, die Myste-rien zu «verraten». Man «verriet» ja damit die Herkunftder Volksgötter. Und das richtige Verständnis über dieseHerkunft ist heilsam; das Mißverständnis verderblich.

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DIE MYSTERIENWEISHEIT UND DER MYTHUS

Der Myste suchte in sich Kräfte, er suchte Wesenheiten insich auf, die dem Menschen so lange unbekannt bleiben, alser in der gewöhnlichen Lebensanschauung steckt. Der Mystestellt die große Frage nach seinen eigenen geistigen, überdie niedere Natur hinausgehenden Kräften und Gesetzen.Der Mensch mit der gewöhnlichen, sinnlich-logischen Le-bensanschauung schafft sich Götter, oder, wenn er zu derEinsicht des Schaffens kommt, dann leugnet er sie. DerMyste erkennt, daß er Götter schafft; er erkennt, warumer sie schafft; er ist sozusagen hinter die Naturgesetz-mäßigkeit des Götterschaffens gekommen. Es ist mit ihmso, wie wenn die Pflanze plötzlich wissend würde und dieGesetze ihres eigenen Wachstums, ihrer eignen Entwick-lung kennenlernte. Sie entwickelt sich in holder Unbe-wußtheit. Wüßte sie um ihre Gesetze, müßte sie ein ganzanderes Verhältnis zu sich selbst gewinnen. Was der Ly-riker empfindet, wenn er die Pflanze besingt, was der Bo-taniker denkt, wenn er ihren Gesetzen nachforscht: Daswürde einer wissenden Pflanze als Ideal von sich selbstvorschweben. - So ist es mit dem Mysten in bezug aufseine Gesetze, auf die in ihm wirkenden Kräfte. Als Wis-sender muß er über sich hinaus ein Göttliches schaffen. Undso stellten sich auch die Eingeweihten zu dem, was dasVolk über die Natur hinaus geschaffen hatte. So stelltensie sich zu der Götter- und Mythenwelt des Volkes. Siewollten die Gesetze dieser Götter- und Mythenwelt er-kennen. Da wo das Volk eine Göttergestalt, wo es einenMythus hatte: da suchten sie eine höhere Wahrheit. - Manbetrachte ein Beispiel: Die Athener waren von dem kre-

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tischen König Minos gezwungen worden, ihm alle achtJahre sieben Knaben und sieben Mädchen zu liefern. Diesewurden dem Minotaurus, einem fürchterlichen Ungeheuer,als Speise vorgeworfen. Als das dritte Mal die traurigeSendung nach Kreta abgehen sollte, zog der Königs-söhn Theseus mit. Als dieser in Kreta eintraf, nahm sichAriadne, des König Minos eigene Tochter, seiner an. DerMinotaurus hauste in dem Labyrinth, einem Irrgarten, ausdem sich niemand herausfinden konnte, der hineingeratenwar. Theseus wollte seine Vaterstadt von dem schimpf-lichen Tribut befreien. Er mußte in das Labyrinth, in dassonst des Ungeheuers Beute geworfen wurde. Er wollteden Minotaurus töten. Er unterzog sich dieser Aufgabe;er überwand den furchtbaren Feind und gelangte wiederins Freie mit Hilfe eines Fadenknäuels, das ihm Ariadnegereicht hatte. - Dem Mysten sollte klar werden, wie derschaffende Menschengeist dazu kommt, eine derartigeErzählung auszubilden. Wie der Botaniker das Pflanzen-wachstum belauscht, um seine Gesetze zu finden, so wollteer den schaffenden Geist belauschen. Er suchte eine Wahr-heit, einen Weisheitsgehalt da, wohin das Volk einenMythus gesetzt hatte. Sallustius verrät uns die Stellungeines mystischen Weisen gegenüber einem solchen Mythus:«Man konnte die ganze Welt einen Mythus nennen, der dieKörper und Dinge sichtbarlich, die Seelen und Geister ver-borgener Weise in sich schließt. Würde allen die Wahrheitüber die Götter gelehrt, so würden sie die Unverständigen,weil sie sie nicht begreifen, gering schätzen, die Tüchtigerenaber leicht nehmen; wird aber die Wahrheit in mythischerUmhüllung gegeben, so ist sie vor Geringschätzung gesichertund gewährt den Antrieb zum Philosophieren.»

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Wenn man den Wahrheitsgehalt eines Mythus als Mystesuchte, so war man sich bewußt, daß man etwas hinzu-fügte zu dem, was im Volksbewußtsein vorhanden war.Man war sich klar, daß man sich über dieses Volksbewußt-sein stellte, wie sich der Botaniker über die wachsendePflanze stellt. Man sagte etwas ganz anderes, als im my-thischen Bewußtsein vorhanden war; aber man sah das,was man sagte, als eine tiefere Wahrheit an, die sich sym-bolisch im Mythus zum Ausdrucke brachte. Der Menschsteht der Sinnlichkeit als einem feindlichen Ungeheuer ge-genüber. Er opfert ihr die Früchte seiner Persönlichkeit.Sie verschlingt sie. Sie tut es so lange, bis im Menschen derÜberwinder (Theseus) erwacht. Seine Erkenntnis spinntihm den Faden, durch den er sich wieder zurechtfindet,wenn er sich in den Irrgarten der Sinnlichkeit begibt, umseinen Feind zu töten. Das Mysterium der menschlichenErkenntnis selbst ist in dieser Überwindung der Sinnlich-keit ausgesprochen. Der Myste kennt dieses Mysterium. Esist durch dasselbe auf eine Kraft in der menschlichen Per-sönlichkeit gedeutet. Das gewöhnliche Bewußtsein ist sichdieser Kraft nicht bewußt. Aber sie wirkt doch in ihm. Sieerzeugt den Mythus, der dieselbe Struktur hat wie diemystische Wahrheit. Diese Wahrheit symbolisiert sich indem Mythus. - Was liegt also in den Mythen? Es liegt inihnen eine Schöpfung des Geistes, der unbewußt schaffen-den Seele. Die Seele hat eine ganz bestimmte Gesetzmäßig-keit. Sie muß in einer bestimmten Richtung wirken, umüber sich hinaus zu schaffen. Auf der mythologischen Stufetut sie das in Bildern; aber diese Bilder sind nach Maßgabeder Seelengesetzmäßigkeit gebaut. Man könnte auch sagen:Wenn die Seele über die Stufe des mythologischen Bewußt-

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seins hinaus zu den tieferen Wahrheiten vorschreitet, danntragen diese dasselbe Gepräge wie vorher die Mythen, denneine und dieselbe Kraft ist bei ihrer Entstehung tätig. -Plotin, der Philosoph der neuplatonischen Schule (204-269n. Chr.), spricht sich über dieses Verhältnis von bildlich-mythischer Vorstellungsweise zu höherem Erkennen mitBezug auf die ägyptischen Priesterweisen aus:

«Die ägyptischen Weisen bedienen sich, sei es auf Grundstrenger Forschung, sei es instinktiv bei der Mitteilungihrer Weisheit nicht der Schriftzeichen zum Ausdruck ihrerLehren und Sätze, als der Nachahmungen von Stimme undRede, sondern sie zeichnen Bilder und legen in ihren Tem-peln in den Umrissen der Bilder den Gedankengehalt jederSache nieder, so daß jedes Bild ein Wissens- und Weisheits-inhalt, ein Objekt und eine Totalität, obschon keine Aus-einandersetzung und Diskussion ist. Man löst dann denGehalt aus dem Bilde heraus und gibt ihm Worte undfindet den Grund, warum es so und nicht anders ist.»

Will man das Verhältnis der Mystik zu mythischenErzählungen kennenlernen, so muß man sehen, wie dieWeltanschauung derjenigen sich zum Mythischen ver-hält, die sich mit ihrer Weisheit im Einklang wissen mitder Vorstellungsart des Mysterienwesens. Ein solcher Ein-klang ist im vollsten Maße bei Plato vorhanden. Wie erMythen auslegt und wie er sie innerhalb seiner Darstel-lung verwendet, kann als maßgebend gelten (vgl. S. 64 f.). Im«Phädrus», einem Gespräche über die Seele, wird derMythus von Boreas angeführt. Dieses göttliche Wesen, dasin dem einherbrausenden Winde gesehen wurde, erblickteeinst die schöne Orithya, die Tochter des attischen KönigsErechtheus, die mit ihren Gespielinnen Blumen pflückte.

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Er wurde von Liebe zu ihr ergriffen, raubte sie und brachtesie in seine Grotte. Plato läßt in dem Gespräch den Sokra-tes eine rein verstandesmäßige Auslegung dieses Mythuszurückweisen. Darnach soll eine ganz äußerliche, natürlicheTatsache symbolisch in der Erzählung dichterisch ausge-sprochen sein. Der Sturmwind soll die Königstochter er-faßt und von dem Felsen hinabgeschleudert haben. «Der-artige Deutungen», sagt Sokrates, «sind gelehrte Klüge-leien, so beliebt und gewöhnlich sie heutzutage auch seinmögen. ... Denn wer eine dieser mythologischen Gestaltenzersetzt hat, der muß der Konsequenz wegen auch alleübrigen in derselben Weise zweifelnd beleuchten und na-türlich zu erklären wissen. ... Aber selbst wenn eine solcheArbeit zu Ende gebracht werden könnte: unter allen Fällenwürde sie auf Seiten dessen, der sie vollführt, keine glück-liche Begabung, sondern nur einen gefälligen Witz be-weisen, eine bäuerische Weisheit und eine lächerliche Vor-eiligkeit. ... Deswegen lasse ich solche Untersuchungenfahren und glaube, was allgemein davon gehalten wird.Nicht sie untersuche ich, wie ich eben schon sagte, sondernmich selber, ob ich nicht etwa auch ein Ungeheuer bin,mannigfacher gestaltet und infolgedessen verworrener alseine Chimäre, wilder als Typhon, oder ob ich ein zahmeresund einfacheres Wesen darstelle, dem ein Teil sittsamer undgöttlicher Natur verliehen worden ist.» Was Plato nichtbilligt, ersieht man daraus: eine verstandesmäßige, ratio-nalistische Deutung der Mythen. Das muß man zusam-menhalten mit der Art, wie er selbst Mythen verwendet,um durch sie sich auszusprechen. Da, wo er von dem Lebender Seele spricht, wo er die Pfade des Vergänglichen ver-läßt und das Ewige in der Seele aufsucht, wo also die Vor-

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Stellungen nicht mehr vorhanden sind, die sich an das sinn-liche Wahrnehmen und an das verstandesmäßige Denkenanlehnen, da bedient sich Plato des Mythus. Von dem Ewi-gen in der Seele redet der «Phädrus». Da wird denn dieSeele dargestellt als ein Gespann, das zwei nach allen Sei-ten mit Flügeln versehene Pferde hat und einen Führer.Das eine der Pferde ist geduldig und weise, das anderestörrig und wild. Kommt dem Gespann ein Hindernis inden Weg, so benützt dies das störrige Pferd, um das gutein seinem Willen zu behindern und dem Führer Trotz zubieten. Wenn das Gespann da anlangt, wo es den Götternauf dem Rücken des Himmels nachfolgen soll, da bringtdas schlechte Pferd das Gespann in Unordnung. Von derGewalt, welche es hat, hängt es ab, ob es von dem gutenPferde überwunden werden und das Gespann sich überdas Hindernis in das Reich des Übersinnlichen begebenkann. So geschieht es also der Seele, daß sie nie ganz un-gestört sich in das Reich des Göttlichen erheben kann.Einige Seelen erheben sich zu dieser Ewigkeitsschau mehr,die anderen weniger. Die Seele, welche das Jenseits ge-schaut hat, die bleibt unversehrt bis zum nächsten Um-züge; diejenige, welche - wegen des wilden Pferdes - nichtsgeschaut hat, die muß es mit einem neuen Umzüge ver-suchen. Mit diesen Umzügen sind die verschiedenen Seelen-verkörperungen gemeint. Ein Umzug bedeutet das Lebender Seele in einer Persönlichkeit. Das wilde Pferd stellt dieniedere, das weise Pferd die höhere Natur, der Führer diesich nach Vergöttlichung sehnende Seele dar. Plato greiftzum Mythus, um den Weg der ewigen Seele durch die ver-schiedenen Wandlungen hindurch darzustellen. In gleicherWeise wird, um das Innere des Menschen, das Nicht-Sinn-

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lieh-Wahrnehmbare, darzustellen, in andern platonischenSchriften zum Mythus, zur symbolischen Erzählung ge-griffen.

Plato befindet sich da völlig im Einklänge mit der my-thischen und gleichnisartigen Ausdrucksweise anderer. Inder altindischen Literatur findet sich ein Gleichnis, das demBuddha zugeschrieben wird. Ein am Leben hängenderMann, der um keinen Preis sterben will, der die Sinnen-lust sucht, wird von vier Schlangen verfolgt. Er hört eineStimme, die ihm befiehlt, die vier Schlangen von Zeit zuZeit zu füttern, zu baden. Der Mann lief aus Furcht vorden bösen Schlangen davon. Er hört wieder eine Stimme.Die macht ihn auf fünf Mörder aufmerksam, die hinterihm her sind. Abermals läuft der Mann davon. EineStimme macht ihn auf einen sechsten Mörder aufmerksam,der ihm den Kopf abschlagen will mit einem gezücktenSchwert. Wieder flüchtet der Mann. Er kommt in ein men-schenleeres Dorf. Er hört eine Stimme, die ihm sagt, daßbaldigst Diebe das Dorf plündern werden. Als der Mannweiter flieht, kommt er an eine große Wasserflut. Er fühltsich am diesseitigen Ufer nicht sicher; aus Strohhalmen,Hölzern und Blättern macht er sich einen Korb; in ihmkommt er ans andere Ufer. Jetzt ist er in Sicherheit; er istBrahmane. Der Sinn dieser Gleichniserzählung ist: DerMensch muß durch die verschiedensten Zustände hindurch-gehen, bis er zum Göttlichen kommt. In den vier Schlan-gen sind die vier Elemente: Feuer, Wasser, Erde, Luft zusehen. In den fünf Mördern die fünf Sinne. Das menschen-leere Dorf ist die Seele, die den Eindrücken der Sinne ent-flohen ist, aber auch noch nicht sicher ist, wenn sie mit sichallein ist. Ergreift sie in ihrem Innern nur ihre niedere

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Natur, so muß sie zugrunde gehen. Der Mensch muß sichden Kahn zusammenfügen, der ihn über die Flut der Ver-gänglichkeit von dem einen Ufer, der sinnlichen Natur, zudem andern, der ewig-göttlichen, trägt.

Man betrachte in diesem Lichte das ägyptische Osiris-mysterium. Osiris war allmählich zu einer der wichtigstenägyptischen Gottheiten geworden. Die Vorstellung vonihm verdrängte andere, bei gewissen Volksteilen vorhan-dene Göttervorstellungen. Um Osiris und seine GemahlinIsis hat sich nun ein bedeutungsvoller Mythenkreis gebil-det. Osiris war der Sohn des Sonnengottes, sein Bruder warTyphon-Set, seine Schwester Isis. Osiris heiratete seineSchwester. Er regierte mit ihr über Ägypten. Der böseBruder Typhon sann darauf, Osiris zu vernichten. Er ließeinen Kasten verfertigen, der genau die Leibeslänge desOsiris hatte. Bei einem Gastmahle wurde der Kasten dem-jenigen zum Geschenk angeboten, der genau hineinpaßte.Keinem außer Osiris gelang das. Er legte sich hinein. Dastürzten sich Typhon und seine Genossen auf Osiris, schlös-sen den Kasten zu und warfen ihn in den Strom. Als Isisdas Furchtbare vernahm, schweifte sie verzweifelnd überallumher, um den Leichnam des Gatten zu suchen. Als sie ihngefunden hatte, brachte ihn Typhon neuerdings in seineGewalt. Er zerriß ihn in vierzehn Stücke, die in die ver-schiedensten Gegenden verstreut wurden. VerschiedeneOsirisgräber wurden in Ägypten gezeigt. Da und dort, anvielen Orten, sollten Teile des Gottes bestattet sein. Osirisselbst aber entstieg der Unterwelt, besiegte den Typhon;und es beschien ein Strahl von ihm die Isis, welche da-durch den Sohn, Harpokrates oder Horus, gebar.

Und nun vergleiche man mit diesem Mythus die Welt-

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auffassung des griechischen Philosophen Empedokles (490bis 430 v. Chr.). Er nimmt an, daß das eine Urwesen einstin die vier Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft oder indie Vielheit des Seienden zerrissen worden ist. Er stellt zweiMachte einander gegenüber, welche das Werden und Ver-gehen innerhalb dieser Welt des Seienden bewirken, dieLiebe und den Streit. Von den Elementen sagt Empedokles:

Sie selbst bleiben dieselben, doch durcheinander verlaufendWerden sie Menschen und all' die unzähligen anderen Wesen,Jetzt in der Liebe Gewalt sich zu einem Gebilde versammelnd;Jetzo durch Haß und Streit sich als einzelne wieder verstreuend.

Was sind also die Dinge der Welt vom Standpunkte desEmpedokles? Es sind die verschieden gemischten Elemente.Sie konnten nur entstehen dadurch, daß das Ur-Eine zer-rissen worden ist in die vier Wesenheiten. Dieses Ur-Eineist also in die Elemente der Welt ausgegossen. Tritt uns einDing entgegen, so ist es eines Teiles der ausgegossenen Gott-heit teilhaftig. Aber diese Gottheit ist in ihm verborgen.Sie hat erst sterben müssen, damit die Dinge entstehenkonnten. Und diese Dinge, was sind sie? Mischungen derGottesbestandteile, bewirkt in ihrer Struktur durch Liebeund Haß. Deutlich sagt das Empedokles:

Hier zum klaren Beweise den Bau aus menschlichen Gliedern,Wie durch Liebe sich jetzt in Eins die Stoffe verbindenAlle, so viele der Körper besitzt in der Blüte des Daseins;Dann, in verderblichem Hader und Streit auseinandergerissen,Irren sie wiederum einzeln umher am Rande des Lebens.Ebenso ist's bei den Sträuchern und wasserbewohnenden FischenUnd bei dem Wild des Gebirgs und den flügelgetragenen Schiff lein.

Es kann nur des Empedokles Ansicht sein, daß der Weisedie in der Welt verzauberte, in Liebe und Haß verschlun-

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gene göttliche Ur-Einheit wieder findet. Wenn aber derMensch das Göttliche findet, muß er selbst ein Göttlichessein. Denn Empedokles steht auf dem Standpunkte, daßGleiches nur durch Gleiches erkannt werde. Seine Erkennt-nisüberzeugung drückt Goethes Spruch aus:

War' nicht das Auge sonnenhaft,Wie könnten wir das Licht erblicken?Lebt* nicht in uns des Gottes eigene KraftWie könnt' uns Göttliches entzücken?

Diese Gedanken über die Welt und den Menschen, dieüber die Sinneserfahrung hinausgehen, konnte der Mystein dem Osiris-Mythus finden. Die göttliche Schöpferkraftist in die Welt ergossen. Sie erscheint als die vier Elemente.Gott (Osiris) ist getötet. Der Mensch mit seiner Erkenntnis,die göttlicher Art ist, soll ihn wieder erwecken; er soll ihnals Horus (Gottessohn, Logos, Weisheit) wiederfinden indem Gegensatz zwischen Streit (Typhon) und Liebe (Isis).In griechischer Form spricht Empedokles selbst seineGrundüberzeugung mit den Vorstellungen aus, die anden Mythus anklingen. Liebe ist Aphrodite; Neikos derStreit. Sie binden und lösen die Elemente. -

Die Darstellung eines Mytheninhaltes in einem Stile, wieer hier beobachtet wird, darf nicht mit einer bloß sym-bolischen oder gar allegorischen Ausdeutung der Mythenverwechselt werden. Eine solche ist hier nicht gemeint. DieBilder, welche den Inhalt des Mythus ausmachen, sind nichterfundene Symbole für abstrakte Wahrheiten, sondernwirkliche seelische Erlebnisse des Eingeweihten. Dieser er-lebt die Bilder mit den geistigen Wahrnehmungsorganen,wie der normale Mensch die Vorstellungen erlebt von densinnlichen Dingen mit den Augen und Ohren. So wenig

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aber eine Vorstellung für sich etwas ist, wenn sie nicht inder Wahrnehmung durch den äußeren Gegenstand erregtwird, so wenig ist das mythische Bild etwas ohne die Er-regung durch die wirklichen Tatsachen der geistigen Welt.Nur steht in bezug auf die Sinneswelt der Mensch zunächstaußerhalb der erregenden Dinge; während er die Mythen-bilder nur erleben kann, wenn er innerhalb der entspre-chenden geistigen Vorgänge steht. Um aber innerhalb zustehen, muß er, nach alter Mysten-Meinung, durch die Ein-weihung gegangen sein. Die geistigen Vorgänge, in welchener schaut, sind durch die Mythenbilder dann gleichsamillustriert. Wer nicht als solche Illustration der wahrengeistigen Vorgänge das Mythische zu nehmen vermag, istnoch nicht zum Verständnisse vorgedrungen. Denn die gei-stigen Vorgänge selbst sind übersinnlich; und Bilder, diein ihrem Inhalt an die Sinneswelt erinnern, sind nicht selbstgeistig, sondern eben nur eine Illustration des Geistigen. Werbloß in den Bildern lebt, der träumt; wer es dahin gebrachthat, so das Geistige im Bild zu empfinden, wie man in derSinneswelt die Rose empfindet durch die Vorstellung derRose, der erst lebt in geistigen Wahrnehmungen. Es liegthier auch der Grund, warum die Bilder der Mythen nichteindeutig sein können. Wegen ihres Charakters als Illu-strationen können dieselben Mythen verschiedene geistigeTatsachen ausdrücken. Es ist deshalb auch kein Widerspruch,wenn Mythenerklärer einen Mythus einmal auf diese, einandermal auf eine andere geistige Tatsache beziehen.

Man kann von diesem Gesichtspunkte aus einen Fadendurch die mannigfaltigen griechischen Mythen finden. Manbetrachte die Herakles-Sage. Die zwölf Arbeiten, die He-rakles auferlegt werden, erscheinen in einem höheren Lichte,

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wenn man bedenkt, daß er sich vor der letzten, der schwer-sten, in die eleusinischen Mysterien einweihen läßt. Er soll,im Auftrage des Königs Eurystheus von Mykene, den Höl-lenhund Cerberos aus der Unterwelt holen und ihn wiederhinabbringen. Um einen Gang in die Unterwelt unterneh-men zu können, muß Herakles eingeweiht sein. Die My-sterien führten den Menschen durch den Tod des Vergäng-lichen, also in die Unterwelt; und sie wollten durch dieEinweihung sein Ewiges vor dem Untergang retten. Erkonnte als Myste den Tod überwinden. Herakles über-windet die Gefahren der Unterwelt als Myste. Das berech-tigt, auch seine anderen Taten als innere Entwicklungs-stufen der Seele zu deuten. Er überwindet den nemei'schenLöwen und bringt ihn nach Mykene. Das heißt, er machtsich zum Herrscher der rein physischen Kraft im Menschen;er bändigt diese. Er tötet weiter die neunköpfige Hydra.Er überwindet sie mit Feuerbränden und taucht in ihreGalle seine Pfeile, so daß sie unfehlbar werden. Das heißt,er überwindet niedere Wissenschaft, das Sinneswissen durchdas Feuer des Geistes und nimmt aus dem, was er an die-sem niederen Wissen gewonnen hat, die Kraft, um das Nie-dere in dem Lichte zu sehen, das dem geistigen Auge eignet.Herakles fängt die Hirschkuh der Artemis. Diese ist dieGöttin der Jagd. Was die freie Natur der Menschenseelebieten kann, das erjagt sich Herakles. Ebenso können dieanderen Arbeiten gedeutet werden. Es kann hier nichtjedem Zuge nachgegangen werden; und nur wie der Sinnim allgemeinen auf die innere Entwicklung hindeutet, dassollte dargestellt werden.

Eine ähnliche Deutung ist für den Argonautenzug mög-lich. Phrixus und seine Schwester Helle, die Kinder eines

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bootischen Königs, litten viel von ihrer Stiefmutter. DieGötter sandten ihnen einen Widder mit einem goldenenFell (Vlies), der sie durch die Lüfte davontrug. Als sie überdie Meerenge zwischen Europa und Asien kamen, ertrankHelle. Die Meerenge heißt daher Hellespont. Phrixus ge-langte zum Könige von Kolchis, am östlichen Ufer desSchwarzen Meeres. Er opferte den Widder den Götternund schenkte das Vlies dem Könige Aetes. Dieser ließ esin einem Haine aufhängen und von einem furchtbarenDrachen bewachen. Der griechische Held Jason unternahmes, im Verein mit andern Helden, Herakles, Theseus, Or-pheus, das Vlies aus Kolchis zu holen. Es wurden ihmbehufs Erlangung des Schatzes von Aetes schwere Arbeitenaufgetragen. Aber Medea, die zauberkundige Tochter desKönigs, unterstützte ihn. Er bändigte zwei feuerschnau-bende Stiere, er pflügte einen Acker und säte Drachen-zähne, so daß geharnischte Männer aus der Erde hervor-wuchsen. Auf Medeas Rat warf er einen Stein unter dieMänner, worauf sie sich gegenseitig mordeten. Durch einZaubermittel der Medea schläfert Jason den Drachen einund kann dann das Vlies gewinnen. Er tritt mit demselbendie Rückfahrt nach Griechenland an. Medea begleitet ihnals seine Gattin. Der König eilt den Flüchtenden nach.Medea tötet, um ihn aufzuhalten, ihr Brüderchen Absyr-tus und streut die Glieder ins Meer. Aetes wird durch dasEinsammeln aufgehalten. So konnten die beiden mit demVlies Jasons Heimat erreichen. - Jede einzelne Tatsachefordert da eine tiefere Sinnerklärung heraus. Das Vlies istetwas, das zum Menschen gehört, das ihm unendlich wert-voll ist; das in der Vorzeit von ihm getrennt worden istund dessen Wiedererlangung an die Überwindung furcht-

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barer Mächte geknüpft ist. So ist es mit dem Ewigen in derMenschenseele. Es gehört zum Menschen. Aber dieser findetsich getrennt von ihm. Seine niedere Natur trennt ihndavon. Nur wenn er diese überwindet, einschläfert, dannkann er es wieder erlangen. Es ist ihm möglich, wenn ihmdas eigene Bewußtsein (Medea) mit seiner Zauberkraft zuHilfe kommt. Für Jason wird Medea, was für Sokratesdie Diotime, als Lehrmeisterin der Liebe, wurde (vgl.S. 71). Die eigene Weisheit des Menschen hat die Zauber-kraft, um das Göttliche nach Überwindung des Vergäng-lichen zu erlangen. Aus der niederen Natur kann nurein Menschlich-Niederes hervorgehen, die geharnischtenMänner, die durch die Kraft des Geistigen, den Rat derMedea, überwunden werden. Auch wenn der Mensch schonsein Ewiges, das Vlies, gefunden hat, ist er noch nicht inSicherheit. Er muß einen Teil seines Bewußtseins (Absyr-tus) opfern. Dies fordert die Sinnenwelt, die wir nur alseine mannigfaltige (zerstückelte) begreifen können. Mankonnte für alles dieses noch tiefer in die Schilderung derhinter den Bildern liegenden geistigen Vorgänge eingehen;doch sollte hier nur das Prinzip der Mythenbildung an-gedeutet werden.

Von besonderm Interesse, im Sinne einer solchen Deu-tung, ist die Prometheus-Sage. Prometheus und Epimetheussind Söhne des Titanen Japetos. Die Titanen sind Kinderder ältesten Göttergeneration, des Uranos (Himmel) undder Gaa (Erde). Kronos, der jüngste der Titanen, hat seinenVater vom Throne gestoßen und die Weltherrschaft an sichgerissen. Dafür wurde er nebst den übrigen Titanen vonseinem Sohne Zeus überwältigt. Und Zeus wurde deroberste der Götter. Prometheus stand im Titanenkampfe

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auf der Seite des Zeus. Auf seinen Rat hat Zeus die Titanenin die Unterwelt verbannt. Aber in Prometheus lebte dochdie Gesinnung der Titanen fort. Er war dem Zeus nurhalber Freund. Als dieser die Menschen verderben wolltewegen ihres Übermutes, da nahm sich Prometheus ihrer an,lehrte sie die Kunst der Zahlen und der Schrift und an-deres, was zur Kultur führt, namentlich den Gebrauch desFeuers. Darob zürnte Zeus dem Prometheus. Hephaistos,der Sohn des Zeus, mußte ein Frauenbild von großer Schön-heit bilden, das die Götter mit allen nur möglichen Gabenschmückten. Pandora hieß die Frau: die Allbegabte. Her-mes, der Götterbote, brachte sie zu Epimetheus, dem Bru-der des Prometheus. Sie brachte diesem ein Kästchen, alsGeschenk der Götter. Epimetheus nahm das Geschenk an,trotzdem ihm Prometheus geraten hatte, auf keinen Fallein Geschenk von den Göttern anzunehmen. Als das Käst-chen geöffnet wurde, flogen alle möglichen menschlichenPlagen heraus. Darinnen blieb nur die Hoffnung, undzwar darum, weil Pandora den Deckel schnell verschloß.Die Hoffnung ist also als zweifelhaftes Göttergeschenk ge-blieben. - Prometheus wurde auf des Zeus Befehl wegenseines Verhältnisses zu den Menschen an einen Felsen imKaukasus geschmiedet. Ein Adler frißt beständig an seinerLeber, die sich immer wieder ersetzt. In quälendster Ein-samkeit muß Prometheus seine Tage verbringen, bis einerder Götter freiwillig sich opfert, d. h. sich dem Todeweiht. Der Gequälte ertragt sein Leid als standhafter Dul-der. Ihm ward kund, daß Zeus durch den Sohn einer Sterb-lichen werde entthront werden, wenn er sich nicht mitdieser Sterblichen vermählen werde. Dem Zeus war eswichtig, dieses Geheimnis zu kennen; er sandte den Göt-

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terboten Hermes zu Prometheus, um darüber etwas zu er-fahren. Dieser verweigerte jede Auskunft. - Die Herakles-Sage ist mit der Prometheus-Sage verknüpft. Herakleskommt auf seinen Wanderungen auch an den Kaukasus.Er erlegte den Adler, der des Prometheus Leber verzehrte.Der Zentaur Chiron, der, obwohl an einer unheilbarenWunde leidend, doch nicht sterben kann, opfert sich fürPrometheus. Dieser wird dann mit den Göttern versöhnt.

Die Titanen sind die Kraft des Willens, die als Natur(Kronos) aus dem ursprünglichen Weltgeist (Uranos) her-vorgeht. Dabei hat man nicht etwa bloß an Willenskräftein abstrakter Form zu denken, sondern an wirkliche Wil-lenswesen. Zu ihnen gehört Prometheus. Damit ist seinWesen charakterisiert. Aber er ist nicht ganz Titane. Erhält es in gewissem Sinne mit Zeus, dem Geiste, der dieWeltherrschaft antritt, nachdem die ungebändigte Natur-kraft (Kronos) gebändigt ist. Prometheus ist also Reprä-sentant jener Welten, welche dem Menschen das Vorwärts-drängende, das halb Natur-, halb Geisteskraft ist, denWillen, gegeben haben. Der Wille weist auf der einen Seitezum Guten, auf der andern zum Bösen. Je nachdem erzum Geistigen neigt oder zum Vergänglichen, gestaltet sichsein Schicksal. Dieses Schicksal ist das Schicksal des Men-schen selbst. Der Mensch ist an das Vergängliche geschmie-det. An ihm nagt der Adler. Er muß dulden. Er kannHöchstes nur erreichen, wenn er in der Einsamkeit seinSchicksal sucht. Er hat ein Geheimnis. Es besteht darinnen,daß das Göttliche (Zeus) sich mit einer Sterblichen, deman den physischen Leib gebundenen menschlichen Bewußt-sein selbst, vermählen muß, um einen Sohn, die Gott er-lösende menschliche Weisheit (den Logos), zu gebären.

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Dadurch wird das Bewußtsein unsterblich. Er darf diesesGeheimnis nicht verraten, bis ein Myste (Herakles) an ihnherantritt und die Gewalt beseitigt, die ihn fortwährendmit dem Tode bedroht. Ein Wesen, halb Tier, halb Mensch,ein Zentaur, muß sich opfern, um den Menschen zu er-lösen. Der Zentaur ist der Mensch selbst, der halb tierische,halb geistige Mensch. Er muß sterben, damit der rein gei-stige Mensch erlöst werde. Was Prometheus, der mensch-liche Wille, verschmäht, das nimmt Epimetheus, der Ver-stand, die Klugheit. Aber die Gaben, die dem Epimetheusdargereicht werden, sind nur Leiden und Plagen. Denn derVerstand haftet ja an dem Nichtigen, dem Vergänglichen.Und nur eines bleibt - die Hoffnung, daß auch aus demVergänglichen einmal werde das Ewige geboren werden. —

Der Faden, der durch die Argonauten-, die Herakles-und die Prometheus-Sage führt, bewährt sich auch bei derOdysseus-Dichtung Homers. Man kann die Anwendungder Auslegungsweise hier gezwungen finden. Doch beinäherer Erwägung alles in Betracht Kommenden müssenselbst dem stärksten Zweifler an solchen Auslegungen alleBedenken schwinden. Vor allen Dingen muß die Tatsacheüberraschen, daß auch von Odysseus erzählt wird, daß erin die Unterwelt hinabgestiegen ist. Man mag über denDichter der Odyssee im übrigen denken, wie man will: un-möglich kann man ihm zuschreiben, daß er einen Sterb-lichen in die Unterwelt steigen läßt, ohne damit ihn in einVerhältnis zu dem zu bringen, was innerhalb der griechi-schen Weltanschauung der Gang in die Unterwelt bedeu-tete. Er bedeutete aber die Überwindung des Vergäng-lichen und die Auferweckung des Ewigen in der Seele. DaßOdysseus solches vollbracht hat, muß also zugegeben wer-

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den. Und damit gewinnen seine Erlebnisse ebenso wie die-jenigen des Herakles eine tiefere Bedeutung. Sie werdenzu einer Schilderung eines Nicht-Sinnlichen, des Entwick-lungsganges der Seele. Dazu kommt, daß in der Odysseenicht so erzählt wird, wie das ein äußerer Tatsachenver-lauf verlangt. Auf Wunderschiffen legt der Held Fahrtenzurück. Mit den tatsächlichen geographischen Entfernungenwird in der willkürlichsten Weise umgesprungen. Es kanneben gar nicht auf das Sinnlich-Wirkliche ankommen. Daswird verständlich, wenn die sinnlich-wirklichen Vorgängenur erzählt werden, um eine Geistesentwicklung zu illu-strieren. Außerdem sagt ja der Dichter selbst im Eingangedes Werkes, daß es sich um das Suchen nach der Seelehandelt:

Sage mir, Muse, vom Manne, dem vielgewandten, der vielfachUmgeirrt, nachdem er die heilige Troja zerstöret:Vieler Menschen Städte gesehn, und Sitte gelernt hat,Auch so viel im Meere der kränkenden Leiden erduldet,Strebend zugleich für die eigene SeeV und der Freunde Zurückkunft.

Einen Mann, der die Seele, das Göttliche, sucht, hat manvor sich; und die Irrfahrten nach diesem Göttlichen wer-den erzählt. - Er kommt nach dem Lande der Zyklopen.Das sind ungeschlachte Riesen mit einem Auge auf derStirn. Der fürchterlichste, Polyphem, verschlingt mehrereGefährten. Odysseus rettet sich, indem er den Zyklopenblendet. Man hat es mit der ersten Station der Lebens-pilgerschaft zu tun. Die physische Gewalt, die niedere Na-tur muß überwunden werden. Wer ihr die Kraft nichtnimmt, sie nicht blendet, wird von ihr verschlungen. -Odysseus gelangt dann auf die Insel der Zauberin Circe.Sie verwandelt einige seiner Gefährten in grunzende

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Schweine. Sie wird auch von ihm bezwungen. Circe ist dieniedere Geisteskraft, die am Vergänglichen hängt. Sie kannden Menschen durch Mißbrauch nur noch tiefer in die Tier-heit hinabstoßen. - Odysseus muß sie überwinden. Dannkann er in die Unterwelt hinabsteigen. Er wird Myste.Nun ist er den Gefahren ausgesetzt, denen der Myste beimAufstieg von den niederen zu den hoeheren Graden der Ein-weihung ausgesetzt ist. Er gelangt zu den Sirenen, die denVorüberfahrenden durch süße Zauberklänge in den Todlocken. Das sind die Gebilde der niederen Phantasie, denender zunächst nachjagt, der sich von dem Sinnlichen frei-gemacht hat. Er hat es bis zum frei schaffenden, aber nichtbis zum eingeweihten Geiste gebracht. Er jagt Wahnge-bilden nach, von deren Gewalt er sich befreien muß. -Odysseus muß die grauenvolle Durchfahrt zwischen Szyllaund Charybdis vollziehen. Der angehende Myste schwankthin und her zwischen Geist und Sinnlichkeit. Er kann nochnicht den vollen Wert des Geistes erfassen; aber die Sinn-lichkeit hat doch auch schon den früheren Wert verloren.Ein Schiffbruch bringt alle Gefährten Odysseus' ums Leben;er allein rettet sich zu der Nymphe Kalypso, die ihn freund-lich aufnimmt und sieben Jahre pflegt. Endlich entläßt sieihn auf des Zeus Befehl in die Heimat. Der Myste ist aufeiner Stufe angekommen, auf der, außer dem Würdigen,Odysseus allein, alle Mitstrebenden scheitern. Dieser Wür-dige aber genießt eine Zeitlang, die durch die mystisch-sym-bolische Zahl sieben bestimmt wird, die Ruhe allmählicherEinweihung. - Noch bevor Odysseus in der Heimat an-langt, kommt er auf die Insel der Phäaken. Hier findet ergastliche Aufnahme. Die Tochter des Königs schenkt ihmihre Teilnahme; und der König Alkinous selbst bewirtet

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ihn und ehrt ihn. Noch einmal tritt an Odysseus die Weltheran mit ihren Freuden; und der Geist, der an der Welthängt (Nausifcaa), erwacht in ihm. Aber er findet den Wegnach der Heimat, nach dem Göttlichen. In seinem Hauseerwartet ihn zunächst nichts Gutes. Seine Gemahlin Pene-lope ist von einer zahlreichen Freierschar umgeben. Sieverspricht einem jeden die Heirat, wenn sie ein bestimmtesGewebe fertig habe. Sie entgeht der Einhaltung ihres Ver-sprechens dadurch, daß sie stets in der Nacht wieder auf-löst, was sie bei Tag gewebt hat. Die Freier müssen vonOdysseus überwunden werden, damit er wieder in Ruhemit seiner Gattin vereint sein könne. Die Göttin Atheneverwandelt ihn in einen Bettler, damit er bei seinem Ein-tritte zunächst nicht erkannt werde. So überwindet er dieFreier. - Das eigene tiefere Bewußtsein, die göttlichenKräfte der Seele sucht Odysseus. Mit ihnen will er vereintsein. Ehe sie der Myste findet, muß er alles überwinden,was als Freier sich um die Gunst dieses Bewußtseins be-wirbt. Es ist die Welt der niederen Wirklichkeit, die ver-gängliche Natur, aus welcher die Schar dieser Freier stammt.Die Logik, die man an sie wendet, ist ein Gespinst, das sichimmer wieder auflöst, wenn man es gesponnen hat. DieWeisheit (die Göttin Athene) ist die sichere Führerin zuden tiefsten Seelenkräften. Sie verwandelt den Menschenin einen Bettler, d. i. sie entkleidet ihn alles dessen, wasaus der Vergänglichkeit stammt. -

Ganz in die Mysterienweisheit getaucht erscheinen dieeleusinischen Feste, welche zu Ehren der Demeter und desDionysos in Griechenland gefeiert wurden. Eine heiligeStraße führte von Athen nach Eleusis. Sie war mit geheim-nisvollen Zeichen besetzt, welche die Seele in eine erhabene

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Stimmung bringen konnten. In Eleusis waren geheimnis-volle Tempelgebäude, deren Dienst von Priesterfamilienbesorgt wurde. Die Würde und die Weisheit, an die dieWürde gebunden war, erbten sich in den Priesterfamilienvon Generation zu Generation fort. (Über die Einrichtungdieser Stätten findet man belehrende Aufschlüsse in den«Ergänzungen zu den letzten Untersuchungen auf derAkropolis in Athen» von Karl Bottichen Philologus. Suppl.Bd. 3, Heft 3.) Die Weisheit, welche befähigte, hier denDienst zu tun, war die griechische Mysterienweisheit.Die Feste, die zweimal im Jahre gefeiert wurden, botendas große Weltdrama von dem Schicksal des Göttlichen inder Welt und dem der Menschenseele. Die kleinen Myste-rien wurden im Februar, die großen im September be-gangen. Mit den Festen waren Einweihungen verbunden.Die symbolische Darstellung des Welt- und Menschen-dramas bildete den Schlußakt der Mystenweihen, die hiervorgenommen wurden. Der Göttin Demeter zu Ehren sindja die eleusinischen Tempel errichtet worden. Sie ist eineTochter des Kronos. Dem Zeus hatte sie, vor dessen Ver-mählung mit Hera, eine Tochter, Persephone, geboren. Diesewar einst beim Spiel von Pluto, dem Gott der Unterwelt,geraubt worden. Demeter durcheilte wehklagend die weiteErde, sie zu suchen. In Eleusis wurde sie auf einem Steinsitzend von den Töchtern des Keleus, eines Gebieters vonEleusis, gefunden. Sie trat in Gestalt einer alten Frau inden Dienst der Familie des Keleus, zur Pflege des Sohnesder Gebieterin. Sie wollte diesem Sohne die Unsterblich-keit geben. Deshalb verbarg sie ihn jede Nacht im Feuer.Als die Mutter das einmal gewahrte, da weinte und weh-klagte sie. Die Erteilung der Unsterblichkeit war fortan

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unmöglich. Demeter verließ das Haus. Keleus erbauteeinen Tempel. Die Trauer der Demeter um Persephonewar unendlich groß. Sie ließ Unfruchtbarkeit über die Erdekommen. Die Götter mußten sie versöhnen, wenn nichtFurchtbares geschehen sollte. Da wurde Pluto von Zeusbewogen, die Persephone wieder in die Oberwelt zu ent-lassen. Vorher aber gab ihr der Gott der Unterwelt nocheinen Granatapfel zu essen. Dadurch war sie gezwungen,doch immer und immer wieder periodenweise in die Unter-welt hinabzusteigen. Ein Dritteil des Jahres verbrachte siefortan in der Unter-, zwei Dritteile in der Oberwelt. De-meter war versöhnt; sie kehrte zum Olymp zurück. InEleusis aber, der Statte ihrer Angst, stiftete sie den Fest-dienst, der fortan immer an ihr Schicksal erinnern sollte.

Unschwer erkennt man den Sinn des Demeter-Perse-phone-Mythus. Was abwechselnd in der Unter- und derOberwelt ist, das ist die Seele. Die Ewigkeit der Seele undderen ewige Verwandlung durch Geburt und Tod hindurchwird im Bilde dargestellt. Vom Unsterblichen, der Deme-ter, stammt die Seele. Sie ist aber von dem Vergänglichenentführt, und selbst zur Anteilnahme an dem Schicksal derVergänglichkeit bestimmt worden. Sie hat von der Fruchtin der Unterwelt genossen: die menschliche Seele ist mitdem Vergänglichen gesättigt; sie kann daher nicht dauerndin den Höhen des Göttlichen wohnen. Sie muß immer wie-der zurück ins Reich der Vergänglichkeit. Demeter ist dieRepräsentantin jenes Wesens, aus dem das menschlicheBewußtsein entsprungen ist; aber es muß dieses Bewußt-sein dabei so gedacht werden, wie es durch die geistigenKräfte der Erde hat entstehen können. Demeter ist also dieUrwesenheit der Erde; und die Begabung der Erde mit

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den Samenkräften der Feldfrüchte durch sie deutet nur aufeine noch tiefere Seite ihres Wesens hin. Dieses Wesen willdem Menschen die Unsterblichkeit geben. Demeter verbirgtdes Nachts ihren Pflegling im Feuer. Aber der Menschkann die reine Gewalt des Feuers (des Geistes) nicht er-tragen. Demeter muß davon ablassen. Sie kann nur einenTempeldienst stiften, durch den der Mensch, soweit er esvermag, des Göttlichen teilhaftig werden kann.

Die eleusinischen Feste waren ein laut sprechendes Be-kenntnis des Glaubens an die Ewigkeit der Menschenseele,Dieses Bekenntnis fand in dem Persephone-Mythus seinenbildhaften Ausdruck. Zusammen mit Demeter und Perse-phone wurde in Eleusis Dionysos gefeiert. Wie in Demeterdie göttliche Schöpferin des Ewigen im Menschen, so wurdein Dionysos das ewig in der ganzen Welt sich wandelndeGöttliche verehrt. Der Gott, der in die Welt ausgegossen,zerstückelt worden ist, um geistig wieder geboren zu wer-den (vgl. S. 72 f.), mußte mit der Demeter zusammengefeiert werden. (Eine glänzende Darstellung des Geistesder eleusinischen Mysterien findet man in dem Buche:Sanctuaires d'Orient von Edouard Schure. Paris 1898.) -

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DIE ÄGYPTISCHE MYSTERIENWEISHEIT

«Wenn du, vom Leibe befreit, zum freien Äther empor-steigst, wirst ein unsterblicher Gott du sein, dem Todeentronnen.» In diesem Ausspruch des Empedokles erscheint,wie kurz zusammengefaßt, was die alten Ägypter überdas Ewige im Menschen und seinen Zusammenhang mitdem Göttlichen gedacht haben. Dafür ist ein Beweis dassogenannte «Totenbuch», das der Fleiß der Forscher imneunzehnten Jahrhundert entziffert hat. (Vgl. Lepsius:Das Totenbuch der alten Ägypter. Berlin 1842.) Es ist«das größte zusammenhängende Literaturwerk, das unsvon den Ägyptern erhalten ist». Man findet darin allerleiLehren und Gebete, die jedem Verstorbenen mit ins Grabgegeben wurden, damit er in ihnen einen Wegweiser habe,wenn er der vergänglichen Hülle entledigt ist. Die intim-sten Anschauungen der Ägypter über das Ewige und dieWeltentstehung sind in diesem Literaturwerke enthalten.Diese Anschauungen deuten durchaus auf Göttervorstel-lungen, die denen der griechischen Mystik ähnlich sind. -Osiris ist unter den verschiedenen Göttern, die in denLandesteilen Ägyptens anerkannt wurden, allmählich dervorzüglichste und allgemeinste geworden. In ihm wurdendie Vorstellungen über die anderen Gottheiten zusammen-gefaßt. Mag nun das ägyptische Volk in seiner großenMasse was immer für Gedanken über den Osiris gehabthaben, das «Totenbuch» deutet auf eine Vorstellung derPriesterweisheit, die in Osiris eine Wesenheit sah, wie siein der Menschenseele selbst gefunden werden konnte. -Alles, was man über den Tod und die Toten dachte, sagtdas deutlich genug. Wird der Leib dem Irdischen gegeben,

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innerhalb des Irdischen aufbewahrt, so tritt das Ewige denWeg zum Ur-Ewigen an. Es erscheint zum Gericht vorOsiris, den zweiundvierzig Totenrichter umgeben. DasSchicksal des Ewigen im Menschen hängt davon ab, wiediese Totenrichter befinden. Hat die Seele ihr Sündenbe-kenntnis abgelegt, ist sie versöhnt befunden mit der ewigenGerechtigkeit, so treten unsichtbare Mächte ihr entgegen,die zu ihr sprechen: «Der Osiris N. ward geläutert in demTeiche, der da ist südlich vom Felde Hotep und nördlichvon dem Felde der Heuschrecken, wo die Götter des Grü-nens sich waschen in der vierten Stunde der Nacht und inder achten des Tages mit dem Bilde des Herzens der Göt-ter, übergehend von der Nacht zum Tage.» Also der ewigeTeil des Menschen wird innerhalb der ewigen Weltord-nung selbst als ein Osiris angesprochen. Nach der Bezeich-nung Osiris wird der persönliche Name des Betreffendengenannt. Und auch der sich mit der ewigen WeltordnungVereinigende bezeichnet sich selbst als «Osiris». «Ich binder Osiris N. Wachsend unter den Blüten des Feigenbaumsist der Name des Osiris N.» Der Mensch wird also einOsiris. Das Osiris-Sein ist nur eine vollkommene Entwick-lungsstufe des Mensch-Seins. Es erscheint da selbstver-ständlich, daß auch der innerhalb der ewigen Weltordnungrichtende Osiris nichts ist als ein vollkommener Mensch.Zwischen Mensch-Sein und Gott-Sein ist ein Gradunter-schied und ein Unterschied in der Zahl. Es liegt hier dieMysterienanschauung vom Geheimnis der «Zahl» zugrun-de. Der Osiris als Weltwesen ist Einer; in jeder Menschen-seele ist er deshalb doch ungeteilt vorhanden. Jeder Menschist ein Osiris; und doch muß auch der Eine Osiris als einebesondere Wesenheit vorgestellt werden. Der Mensch ist

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in Entwicklung begriffen; und am Ende seiner Entwick-lungslaufbahn liegt sein Gott-Sein. Man muß vielmehr voneiner Göttlichkeit, nicht von einem fertigen, abgeschlos-senen Gotteswesen innerhalb dieser Anschauung sprechen.

Es ist nicht zu bezweifeln, daß für eine solche Anschau-ung nur der wirklich in das Osiris-Dasein eintreten kann,der schon als Osiris am Tor der ewigen Weltordnung an-langt. Das höchste Leben, das der Mensch führen kann,wird also darin bestehen müssen, daß er sich zum Osiriswandelt. Im echten Menschen muß schon innerhalb desvergänglichen Lebens ein möglichst vollkommener Osirisleben. Der Mensch wird vollkommen, wenn er wie einOsiris lebt. Wenn er durchmacht, was Osiris durchgemachthat. Der Osiris-Mythus erhält damit seine tiefere Bedeu-tung. Er wird zum Vorbilde dessen, der das Ewige in sicherwecken will. Osiris ist von Typhon zerstückelt, getötetworden. Die Teile des Leichnams sind von seiner GemahlinIsis gehegt und gepflegt worden. Er hat nach dem Todeseinen Lichtstrahl auf sie fallen lassen. Sie hat ihm denHorus geboren. Dieser Horus übernimmt die irdischenAufgaben des Osiris. Er ist der zweite, noch unvollkom-mene, aber zum wahren Osiris fortschreitende Osiris. -Der wahre Osiris ist in der Menschenseele. Diese ist zu-nächst die vergängliche. Aber ihr Vergängliches ist be-stimmt, das Ewige zu gebären. Der Mensch mag sich daherals das Grab des Osiris betrachten. Die niedere Natur (Ty-phon) hat die höhere in ihm getötet. Die Liebe in seinerSeele (Isis) muß die Leichenteile hegen und pflegen, dannwird die höhere Natur, die ewige Seele (Horus), geborenwerden, die zum Osiris-Dasein fortschreiten kann. Denmakrokosmischen Osiris-Weltprozeß muß der zum höch-

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sten Dasein strebende Mensch in sich mikrokosmisch wie-derholen. Was ist der Sinn der ägyptischen «Einweihung»,der Initiation. Was Plato (vgl. S. 64 ff.) beschreibt alskosmischen Prozeß, daß der Schöpfer die Weltseele inKreuzesform auf den Weltleib gespannt hat und daß derWeltprozeß eine Erlösung dieser ans Kreuz geschlagenenWeltenseele ist, das mußte mit dem Menschen im kleinenvorgehen, wenn er sich zum Osiris-Dasein befähigen sollte.Der Einzuweihende mußte sich so entwickeln, daß seinSeelenerlebnis, sein Osiris-Werden, mit dem kosmischenOsiris-Prozeß in Eins zusammenschmolz. Wenn wir in dieInitiationstempel blicken könnten, in denen die Menschender Osiris-Verwandlung unterzogen wurden, so würdenwir sehen, daß die Vorgänge ein Welt-Werden mikrokos-misch darstellen. Der vom «Vater» stammende Menschsollte in sich den Sohn gebären. Was er in Wirklichkeit insich trägt, den verzauberten Gott, das sollte in ihm offen-bar werden. Durch die Gewalt der irdischen Natur wirddieser Gott in ihm niedergehalten. Diese niedere Naturmuß erst zu Grabe getragen werden, damit die höhere Na-tur auferstehen könne. Was von den InitiationsVorgängenerzählt wird, kann daraus verstanden werden. Der Menschwurde geheimnisvollen Prozeduren unterworfen. Sein Ir-disches wurde dadurch getötet, sein Höheres erweckt. Esist nicht nötig, diese Prozeduren im einzelnen zu studieren.Man muß nur ihren Sinn verstehen. Und dieser Sinn liegtin dem Bekenntnis, das jeder ablegen konnte, der durchdie Initiation gegangen ist. Er konnte sagen: «Mir schwebtevor die unendliche Perspektive, an deren Ende die Voll-kommenheit des Göttlichen liegt. Ich habe gefühlt, daß dieKraft dieses Göttlichen in mir liegt. Ich habe zu Grabe

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getragen, was in mir diese Kraft niederhält. Ich bin ab-gestorben dem Irdischen. Ich war tot. Als niederer Menschwar ich gestorben; ich war in der Unterwelt. Ich habemit den Toten verkehrt, d. h. mit denen, die schon ein-gefügt sind in den Ring der ewigen Weltordnung. Ich binnach meinem Verweilen in der Unterwelt auferstandenvon den Toten. Ich habe den Tod überwunden, aber nunbin ich ein anderer geworden. Ich habe nichts mehr zu tunmit der vergänglichen Natur. Diese ist bei mir durchtränktvon dem Logos. Ich gehöre nun zu denen, die ewig lebenund die sitzen werden zur Rechten des Osiris. Ich werdeselbst ein wahrer Osiris sein, vereinigt mit der ewigenWeltordnung, und das Urteil über Tod und Leben wird inmeine Hand gegeben sein.» Dem Erlebnis mußte sich derEinzuweihende unterziehen, das ihn zu solchem Bekennt-nis führen konnte. Es ist ein Erlebnis höchster Art, was soan den Menschen herantrat.

Man denke sich nun, ein Uneingeweihter hört davon,daß jemand solchen Erlebnissen unterzogen wird. Er kannnicht wissen, was in der Seele des Eingeweihten wirklichvorgegangen ist. Dieser ist für ihn physisch gestorben, erhat im Grabe gelegen und ist auferstanden. Was auf höhererDaseinsstufe geistige Wirklichkeit hat, das erscheint in denFormen der sinnlichen Wirklichkeit ausgedrückt als einVorgang, der die Naturordnung durchbricht. Das ist ein«Wunder». Ein solches «Wunder» war die Initiation. Wersie wirklich verstehen wollte, der mußte in sich die Kräfteerweckt haben, um auf höheren Daseinsstufen zu stehen.Er mußte mit einem dazu schon vorbereiteten Lebenslaufean diese höheren Erlebnisse herantreten. Mögen sich nundiese vorbereitenden Erlebnisse im Einzelleben so oder so

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abspielen: sie werden sich immer in eine ganz bestimmtetypische Form bringen lassen. Der Lebenslauf eines Initi-ierten ist also ein typischer. Man kann ihn unabhängig vonder Einzelpersönlichkeit beschreiben. Vielmehr wird maneine Einzelpersönlichkeit nur dann als eine solche bezeich-nen können, die auf dem Wege zum Göttlichen ist, wennsie die bestimmten typischen Erlebnisse durchgemacht hat.Als eine solche Persönlichkeit lebte Buddha bei seinen An-hängern; als eine solche erschien zunächst Jesus seiner Ge-meinde. Man weiß heute, welcher Parallelismus zwischender Buddha- und Jesus-Biographie besteht. Rudolf Seydelhat in seinem Buche «Buddha und Christus» diesen Par-allelismus schlagend nachgewiesen. Man braucht die Ein-zelheiten nur zu verfolgen, um zu sehen, daß alle Einwändegegen diesen Parallelismus nichtig sind.

Buddhas Geburt wird durch einen weißen Elefanten an-gekündigt, der auf die Königin Maja niederschwebt. Erzeigt an, daß Maja einen göttlichen Menschen hervorbrin-gen werde, der «alle Wesen zur Liebe und Freundschaftstimmt, sie miteinander vereint zu innigem Bunde». ImLukas-Evangelium heißt es: «... zu einer Jungfrau, dievertrauet war einem Manne mit Namen Joseph vom Hau-se David, und die Jungfrau hieß Maria. Und der Engelkam zu ihr hinein und sprach: Gegrüßet seist du, Hold-selige. ... Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohngebären, des Name soll Jesus heißen. Der wird groß undein Sohn des Höchsten genannt werden.» Die Brahmanen,die indischen Priester, die wissen, was es heißt, ein Buddhawird geboren, legen den Traum der Maja aus. Sie haben einebestimmte typische Vorstellung von einem Buddha. DasLeben der Einzelpersönlichkeit wird dieser Vorstellung

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entsprechen müssen. Dementsprechend liest man bei Mat-thäus (2,1 ff.): Herodes «ließ versammeln alle Hohepriesterund Schriftgelehrten unter dem Volk und erforschete vonihnen, wo Christus sollte geboren werden». - Der Brah-mane Asita sagt über den Buddha: «Dieses ist das Kind,das Buddha werden wird, der Erlöser, der Führer zu Un-sterblichkeit, Freiheit und Licht.» Dazu vergleiche man(Luk. 2,25): «Und siehe, ein Mensch war zu Jerusalem mitNamen Simeon, und derselbe Mensch war fromm undgottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels, und derheilige Geist war in ihm. ... Und da die Eltern das KindJesus in den Tempel brachten, daß sie für ihn täten, wieman pfleget nach dem Gesetz; da nahm er ihn auf seineArme und lobte Gott und sprach: Herr, nun lassest dudeinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; dennseine Augen haben deinen Heiland gesehen, welchen dubereitet hast vor allen Völkern, ein Licht, zu erleuchtendie Heiden, und zum Preis deines Volkes Israel.» VonBuddha wird berichtet, daß er als zwölfjähriger Knabeverlorengegangen sei und daß er wieder gefunden wurdeunter einem Baume, umgeben von Sängern und Weisender Vorzeit, die er lehrte. Dem entspricht (Luk. 2,41 ff.):«Und seine Eltern gingen alle Jahre gen Jerusalem auf dasOsterfest. Und da er zwölf Jahre alt war, gingen sie hinaufgen Jerusalem nach Gewohnheit des Festes. Und da dieTage vollendet waren und sie wieder nach Hause gingen,blieb das Kind Jesus in Jerusalem und seine Eltern wußten'snicht. Sie meinten aber, er wäre unter den Gefährten, undkamen eine Tagereise weit und suchten ihn unter Freundenund Bekannten. Und da sie ihn nicht fanden, gingen siewiederum gen Jerusalem und suchten ihn. Und es begab

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sich, nach dreien Tagen fanden sie ihn im Tempel sitzenmitten unter den Lehrern, daß er ihnen zuhÖrete und siefragte; und alle waren verwundert, die ihm zuhörten, überseinen Verstand und seine Antworten.» - Nachdem Buddhain einer Einsamkeit gelebt hat und zurückkehrt, wird erempfangen von dem Segensruf einer Jungfrau: «Selig dieMutter, selig der Vater, selig die Gattin, denen du ange-hörst.» Er aber erwidert: «Selig sind nur die, die im Nir-wana sind», d. h. die in die ewige Weltordnung einge-gangen sind. Bei Lukas (11,27): «Und es begab sich, da ersolches redete, erhub ein Weib im Volke die Stimme undsprach zu ihm: <Selig ist der Leib, der dich getragen hat,und die Brüste, die du gesogen hast.> Er aber sprach: <Ja,selig sind die, die das Wort Gottes hören und bewahren. >»Im Laufe seines Lebens tritt der Versucher an Buddha her-an und verspricht ihm alle Königreiche der Erde. Buddhaweist alles von sich mit den Worten: «Wohl weiß ich, daßmir ein Reich beschieden ist, aber nicht ein weltlichesKönigreich begehre ich; ich werde Buddha werden und alleWelt jauchzen machen vor Freude.» Der Versucher mußbekennen: «Meine Herrschaft ist dahin.» Jesus antwortetauf die gleiche Versuchung: «Heb dich weg von mir, Satan!Denn es stehet geschrieben: Du sollst anbeten Gott, deinenHerrn, und ihm allein dienen.» «Da verließ ihn der Teu-fel» (Matth. 4,10 f.). - Man könnte diese Beschreibungdes Parallelismus noch über viele Punkte ausdehnen: eswürde sich das gleiche ergeben. - Buddha endete in erha-bener Weise. Auf einer Wanderung fühlte er sich krank.Er kam zum Flusse Hiranja, in der Nahe von Kuschin-agara. Hier legte er sich auf einen von seinem Lieblings-jünger Ananda ausgebreiteten Teppich. Sein Leib fing von

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innen an zu leuchten. Er endete verklärt, als Lichtkörper,mit dem Ausspruche: «Nichts ist langwährend.» DieserTod Buddhas entspricht der Verklärung Jesu: «Und esbegab sich nach diesen Reden bei acht Tagen, daß er zu sichnahm Petrus, Johannes und Jakobus, und ging auf einenBerg, zu beten. Und da er betete, ward die Gestalt seinesAngesichts anders, und sein Kleid ward weiß und glänz-te .»- In diesem Punkte endet Buddhas Lebenslauf; der wich-tigste Teil im Leben Jesu aber beginnt damit: Leiden,Sterben, Auferstehung. Und es liegt das Unterscheidendedes Buddha von dem Christus in dem, was nötigte, dasLeben des Christus Jesus über das Buddha-Leben hinaus-zuführen. Buddha und Christus werden nicht verstanden,wenn man sie bloß zusammenwirft. (Das wird sich in demFolgenden dieses Buches zeigen.) Andere Darstellungendes Todes Buddhas kommen hier nicht in Betracht,wenn sie auch manche tiefen Seiten der Sache enthüllen.

Die Übereinstimmung in den beiden Heilandslebenzwingt einen eindeutigen Schluß auf. Wie dieser Schlußausfallen muß, darüber geben die Erzählungen selbst Aus-kunft. Als die Priesterweisen von der Art der Geburt hören,wissen sie, um was es sich handelt. Sie wissen, daß sie es miteinem Gottmenschen zu tun haben. Sie wissen vorher, wases mit der Persönlichkeit für eine Bewandtnis haben wird,die da auftritt. Und deshalb kann deren Lebenslauf nurdem entsprechen, was sie als Lebenslauf eines Gottmenschenkennen. In ihrer Mysterienweisheit erscheint für die Ewig-keit ein solcher Lebenslauf vorgezeichnet. Er kann nur sein,wie er sein muß. Wie ein ewiges Naturgesetz erscheint solchein Lebenslauf. Wie ein chemischer Stoff sich nur in einerganz bestimmten Weise verhalten kann, so kann ein

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Buddha, ein Christus nur in einer ganz bestimmten Weiseleben. Man erzählt seinen Lebenslauf nicht, indem manseine zufällige Biographie schreibt; man erzählt ihn viel-mehr, indem man die typischen Züge erzählt, die in derMysterienweisheit darüber für alle Zeiten enthalten sind.Die Buddha-Legende ist ebensowenig eine Biographie imgewöhnlichen Sinne, wie die Evangelien eine solche desChristus Jesus sein wollen. Beide erzählen nicht ein Zu-fälliges; beide erzählen einen für einen Weltheiland vor-gezeichneten Lebenslauf. In den Mysterientraditionenhaben wir für beide die Vorlagen zu suchen, nicht in deräußerlichen, physischen Geschichte. Buddha und Jesus sindim vornehmsten Sinne Eingeweihte für die, die ihre gött-liche Natur erkannt haben. Qesus ist der durch die Inne-wohnung der Christenwesenheit Eingeweihte.) Damit istihr Leben allem Vergänglichen entrückt. Damit hat aufsie Anwendung, was man von Eingeweihten weiß. Manerzählt nicht mehr die zufälligen Ereignisse ihres Lebens.Man sagt von ihnen: «Im Urbeginn war das Wort, unddas Wort war bei Gott, und ein Gott war das Wort.... Und das Wort ward Fleisch und wohnete unter uns.»Qoh. 1,1 u. 14.)

Aber das Jesus-Leben enthält mehr als das Buddha-Leben.Buddha schließt mit der Verklärung. Das Bedeutungs-vollste im Jesus-Leben beginnt nach der Verklärung. Manübersetze das in die Sprache der Eingeweihten: Buddha istbis zu dem Punkte gelangt, wo in dem Menschen das gött-liche Licht anfängt zu glänzen. Er steht vor dem Tode desIrdischen. Er wird das Weltlicht. Jesus geht weiter. Erstirbt nicht physisch in dem Augenblicke, in dem ihn dasWeltlicht durchklärt. Er ist in diesem Augenblicke ein

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Buddha. Aber er betritt auch in diesem Augenblicke eineStufe, die in einem höheren Grade der Initiation ihrenAusdruck findet. Er leidet und stirbt. Das Irdische ver-schwindet. Aber das Geistige, das Weltlicht verschwindetnicht. Seine Auferstehung erfolgt. Er enthüllt sich als Chri-stus für seine Gemeinde. Buddha zerfließt im Augenblickeseiner Verklärung in das selige Leben des Allgeistes. Chri-stus Jesus erweckt diesen Allgeist noch einmal in mensch-licher Gestalt in das gegenwärtige Dasein. Solches wardmit dem Initiierten bei den höheren Weihen in einem Sinnevollzogen, der bildhaft ist. Die im Sinne des Osiris-MythusInitiierten waren zu solcher Auferstehung in ihrem Be-wußtsein als in einem Bild-Erlebnis gelangt. Diese «große»Initiation, aber nicht als Bild-Erlebnis, sondern als Wirk-lichkeit, wurde also im Jesus-Leben zu der Buddha-In-itiation hinzugefügt. Buddha hat mit seinem Leben daserwiesen, daß der Mensch der Logos ist und daß er indiesen Logos, in das Licht zurückkehrt, wenn sein Irdischesstirbt. In Jesus ist der Logos selbst persönlich geworden.In ihm ist das Wort Fleisch geworden.

Was sich also für die alten Mysterienkulte im Innern derMysterientempel abgespielt hat, das ist durch das Christen-tum als eine weltgeschichtliche Tatsache aufgefaßt worden.Zu dem Christus Jesus, dem Initiierten, dem in einzig-großer Weise Initiierten, hat sich die Gemeinde bekannt.Ihr hat er bewiesen, daß die Welt eine göttliche ist. DieMysterienweisheit wurde für die christliche Gemeinde un-lösbar verknüpft mit der Persönlichkeit des Christus Jesus.Daß er gelebt hat und daß seine Bekenner zu ihm gehör-ten: dieser Glaube trat an die Stelle dessen, was man vor-her mit den Mysterien hatte erreichen wollen. - Fortan

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konnte ein Teil dessen, was vorher nur durch die my-stischen Methoden zu erreichen war, für diejenigen, diezur Christengemeinde gehörten, durch die Überzeugungersetzt werden, daß in dem gegenwärtig gewesenen Wortedas Göttliche gegeben sei. Nicht das, wozu der Geist einesjeden Einzelnen lange vorbereitet werden muß, war nun-mehr allein maßgebend; sondern, was die gehört undgesehen haben, die um Jesus waren; und was durch sieüberliefert ist. «Was von Anfang her geschehen ist, waswir gehört, was wir mit Händen berührt haben von demWorte des Lebens . . . was wir sahen und hörten, mel-den wir euch, damit ihr Gemeinschaft mit uns habt.»So heißt es in der ersten Epistel des Johannes. Und die-ses unmittelbar Wirkliche soll als ein lebendiges Bandalle Generationen umfassen; es soll als Kirche mystischvon Geschlecht zu Geschlecht sich weiterschlingen. Sosind die Worte Augustinus' zu verstehen: «Ich würdedem Evangelium nicht glauben, wenn mich die Autoritätder katholischen Kirche nicht dazu bewegte.» Nichtin sich also haben die Evangelien ein Erkennungszei-chen für ihre Wahrheit; sondern man soll sie glauben,weil sie sich auf Jesu Persönlichkeit gründen; und weildie Kirche von dieser Persönlichkeit her auf geheimnis-volle Weise die Macht ableitet, sie als Wahrheit erschei-nen zu lassen. - Die Mysterien haben durch Tradition dieMittel überliefert, zur Wahrheit zu kommen; die Christen-gemeinschaft pflanzt diese Wahrheit selbst fort. Zu demVertrauen zu den im Innern des Menschen aufleuchtendenmystischen Kräften bei der Einweihung sollte hinzukom-men das Vertrauen zu dem Einen, dem Ur-Initiator. Ver-gottung haben die Mysten gesucht; sie wollten sie erleben.

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Jesus war vergottet; man muß sich zu ihm halten; dannist man innerhalb der von ihm gestifteten Gemeinschaftselbst Teilhaber an der Vergottung: das wurde christlicheÜberzeugung. Was in Jesus vergottet war, ist für seineganze Gemeinschaft vergottet. «Siehe, ich bin bei euch alleTage bis ans Ende der Welt» (Matth. 28,20). Der da inBethlehem geboren ist, hat einen ewigen Charakter. DasWeihnachtsantiphon darf von der Geburt Jesu sprechen,als wenn sie an jedem Weihnachtsfeste geschehe: «Heuteist Christus geboren worden; heute ist der Erlöser erschie-nen, heute singen die Engel auf Erden.» - In dem Christus-Erlebnis hat man zu sehen eine ganz bestimmte Stufe derInitiation. Wenn der Myste der vorchristlichen Zeit diesesChristus-Erlebnis durchmachte, dann war er durch seineEinweihung in einem Zustande, der ihn befähigte, etwasgeistig - in höheren Welten - wahrzunehmen, wofür eskeine entsprechende Tatsache in der sinnlichen Welt gab.Er erlebte das, was das Mysterium von Golgatha um-schließt, in der höheren Welt. Wenn nun der christlicheMyste dieses Erlebnis durch Initiation durchmacht, dannschaut er zugleich das geschichtliche Ereignis auf Golgathaund weiß, daß in diesem Ereignis, das sich innerhalb derSinnenwelt abgespielt hat, der gleiche Inhalt ist wie vor-her nur in den übersinnlichen Tatsachen der Mysterien. Eshat sich also mit dem «Mysterium von Golgatha» auf diechristliche Gemeinde das ausgegossen, was sich früher in-nerhalb des Mysterientempels über die Mysten ausgegossenhat. Und die Initiation gibt den christlichen Mysten dieMöglichkeit, sich dieses Inhaltes des «Mysteriums von Gol-gatha» bewußt zu werden, während der Glaube den Men-schen unbewußt teilhaftig werden läßt der mystischen Strö-

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mung, die von den im Neuen Testamente geschilderten Er-eignissen ausgegangen ist und seitdem das Geistesleben derMenschheit durchzieht.

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DIE EVANGELIEN

Was über das «Leben Jesu» einer geschichtlichen Betrach-tung unterzogen werden soll, ist in den Evangelien ent-halten. Alles, was darüber nicht aus dieser Quelle stammt,laßt sich nach dem Urteile eines derjenigen, die als diegrößten geschichtlichen Kenner der Sache gelten (Harnack),«bequem auf eine Quartseite schreiben». Aber was für Ur-kunden sind diese Evangelien? Das vierte, das «Johannes-Evangelium», weicht von den anderen so sehr ab, daß die-jenigen, welche auf diesem Gebiete den Weg geschichtlicherUntersuchung glauben wandeln zu müssen, zu dem Urteilekommen: «Wenn Johannes die echte Überlieferung überdas Leben Jesu hat, dann ist die der drei ersten Evangelien(der Synoptiker) unhaltbar; haben die Synoptiker recht,dann ist der vierte Evangelist als Quelle abzulehnen.» (OttoSchmiedel, Die Hauptprobleme der Leben Jesu-ForschungS. 15.) Das* ist eine vom Standpunkte des Geschichts-forschers ausgesprochene Behauptung. Hier, wo es sich umden mystischen Gehalt der Evangelien handelt, ist dieserGesichtspunkt weder anzuerkennen noch abzulehnen. Wohlaber muß hingedeutet werden auf solches Urteil: «Gemes-sen mit dem Maßstabe der Übereinstimmung, Inspirationund Vollständigkeit, lassen diese Schriften sehr viel zuwünschen übrig, und auch nach menschlichem Maßstabgemessen, leiden sie an nicht wenigen Unvollkommen-heiten.» So urteilt ein christlicher Theologe (Harnack im«Wesen des Christentums»). Wer auf dem Standpunkteeines mystischen Ursprungs der Evangelien steht, für denerklären sich, ohne Zwang, die nicht übereinstimmendenDinge; für den gibt es auch eine Harmonie zwischen dem

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vierten Evangelium und den drei ersten. Denn alle dieseSchriften können gar nicht bloße geschichtliche Überlie-ferungen im gewöhnlichen Wortsinne sein wollen. Siewollten ja (vgl. S. 101 f.) keine geschichtliche Biographiegeben. Was sie geben wollten, lag immer schon als typischesLeben des Gottessohnes in den Mysterientraditionen vor-gebildet. Man schöpfte nicht aus der Geschichte, sondernaus den Mysterientraditionen. Nun waren natürlich in denverschiedenen Mysterienkultstätten diese Traditionen nichtbis zu wörtlicher Übereinstimmung gleichgestaltet. Immer-hin gab es eine so große Übereinstimmung, daß die Bud-dhisten das Leben ihres Gottmenschen schon fast genauebenso erzählten wie die Evangelisten des Christentumsdas des ihrigen. Aber Verschiedenheiten gab es natürlichdoch. Man braucht nun nur anzunehmen, daß die vierEvangelisten aus vier verschiedenen Mysterientraditionenschöpften. Es spricht für die hochragende PersönlichkeitJesu, daß er in vier, verschiedenen Traditionen angehörigenSchriftgelehrten den Glauben erweckt: er sei derjenige, derihrem Typus eines Eingeweihten in so vollkommenemGrade entspricht, daß sie sich zu ihm wie zu einer Persön-lichkeit verhalten können, die den typischen Lebenslauflebt, der in ihren Mysterien vorgezeichnet ist. Dann habensie im übrigen sein Leben nach Maßgabe ihrer Mysterien-traditionen beschrieben. Und wenn die drei ersten Evan-gelisten (die Synoptiker) ähnlich erzählen, so beweistdas nicht mehr, als daß sie aus ähnlichen Mysterientraditio-nen geschöpft haben. Der vierte Evangelist hat seineSchrift durchtränkt mit Ideen, die an den Religionsphilo-sophen Philo (vgl. S. 67 f.) erinnern. Das beweist wiedernichts anderes, als daß er aus derselben mystischen Tra-

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dition hervorgegangen ist, der auch Philo nahegestandenhat. - Man hat es in den Evangelien mit verschiedenen Be-standteilen zu tun. Erstens mit Tatsachenmitteilungen, dieso auftreten, daß sie zunächst den Anspruch zu erhebenscheinen, als ob sie historische Tatsachen sein sollten. Zwei-tens mit Gleichnisreden, die sich der Tatsachenerzählungnur bedienen, um eine tiefere Wahrheit zu versinnbild-lichen. Und drittens mit Lehren, die als Gehalt der christ-lichen Weltansicht gemeint sein sollen. Im Johannes-Evan-gelium steht kein eigentliches Gleichnis, Es schöpfte ebenaus einer mystischen Schule, in der man der Gleichnissenicht zu bedürfen glaubte. - Wie aber sich geschichtlichgebende Taten und Gleichnisse in den ersten Evangelienverhalten, darauf wirft ein helles Licht die Erzählung vonder Verfluchung des Feigenbaumes. Bei Markus (11,11 ff.)lesen wir: «Und der Herr ging ein zu Jerusalem in denTempel, und er besah alles; und am Abend ging er hinausgen Bethanien mit den Zwölfen. Und des andern Tages, dasie von Bethanien gingen, hungerte ihn. Und sah einenFeigenbaum von ferne, der Blätter hatte; da trat er hinzu,ob er etwas drauf fände. Und da er hinzu kam, fand ernichts denn nur Blatter; denn es war noch nicht Zeit, daßFeigen sein sollten. Und Jesus antwortete und sprach zu ihm:Nun esse von dir niemand keine Frucht ewiglich.» Lukaserzählt an derselben Stelle ein Gleichnis (13,6 f.): «Er sagteihnen aber dies Gleichnis: Es hatte einer einen Feigenbaum,der war gepflanzt in seinem Weinberge; und kam und suchteFrucht darauf und fand keine. Da sprach er zu dem Wein-gärtner: Siehe, ich bin drei Jahre lang alle Jahre gekom-men und habe Frucht gesucht auf diesem Feigenbaum undfinde keine. Haue ihn ab. Was hindert er das Land.» Es

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ist das ein Gleichnis, das die Wertlosigkeit der alten Lehresymbolisieren soll, die in dem unfruchtbaren Feigenbaumedargestellt wird. Was bildlich gemeint ist, erzählt Markuswie eine Tatsache, die sich geschichtlich zu geben scheint.Man darf annehmen, daß Tatsachen in den Evangeliendeshalb überhaupt nicht als geschichtlich genommen wer-den wollen, so als ob sie nur als Tatsachen der Sinnesweltzu gelten hätten, sondern als mystisch. Als Erlebnisse, zuderen Wahrnehmung die geistige Anschauung notwendigist und die aus verschiedenen mystischen Traditionen stam-men. Dann aber hört auf ein Unterschied zu sein zwischendem Johannes-Evangelium und den Synoptikern. Für diemystische Auslegung kommt eben die geschichtliche Unter-suchung gar nicht in Betracht. Mag das eine oder das an-dere Evangelium ein paar Jahrzehnte früher oder späterentstanden sein: für den Mystiker sind alle von gleichemhistorischen Wert. Das Johannes-Evangelium genauso wiedie anderen.

Und die «Wunder»: Sie bieten der mystischen Erklärungnicht die geringsten Schwierigkeiten. Sie sollen die phy-sische Gesetzmäßigkeit der Welt durchbrechen. Das tun sienur so lange, als man sie für Vorgänge hält, die sich imPhysischen, im Vergänglichen so zugetragen haben sollen,daß sie die gewöhnliche Sinneswahrnehmung hätte ohneweiteres durchschauen können. Sind sie aber Erlebnisse,die nur auf einer höheren, auf der geistigen Daseinsstufedurchschaut werden können, dann ist es von ihnen selbst-verständlich, daß sie nicht aus den Gesetzen der physischenNaturordnung begriffen werden können.

Man muß also die Evangelien erst richtig lesen, dannwird man wissen, inwiefern sie von dem Stifter des Chri-

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stentums erzählen wollen. Sie wollen im Stile von Myste-rienmitteilungen erzählen. Sie erzählen, wie ein Myste voneinem Eingeweihten erzählt. Nur überliefern sie die Ein-weihung als eine einzigartige Eigentümlichkeit eines Ein-zigen. Und sie machen das Heil der Menschheit davonabhängig, daß sich die Menschen an diesen eigenartig Ein-geweihten halten. Was zu den Eingeweihten gekommenwar, das war das «Reich Gottes». Der Einzigartige hatdieses Reich allen denen gebracht, die zu ihm halten wol-len. Aus einer persönlichen Angelegenheit des Einzelnenist eine Gemeindeangelegenheit derjenigen geworden, dieJesus als ihren Herren anerkennen wollen.

Man kann begreifen, daß das so geworden ist, wenn manannimmt, daß die Mysterienweisheit in die israelitischeVolksreligion eingebettet worden ist. Aus dem Judentumist das Christentum hervorgegangen. Daß wir mit demsel-ben dem Judentum Mysterienanschauungen, die als eingemeinsames Gut des griechischen, des ägyptischen Geistes-lebens sich gezeigt haben, gleichsam aufgepfropft finden:darüber brauchen wir nicht erstaunt zu sein. Wenn mandie Volksreligionen untersucht, findet man verschiedeneVorstellungen über das Geistige. Geht man überall auf dietiefere Priesterweisheit zurück, die als der geistige Kernder verschiedenen Volksreligionen sich ergibt, so findetman überall Übereinstimmung. Plato weiß sich in Über-einstimmung mit den ägyptischen Priesterweisen, indemer in seiner philosophischen Weltanschauung den Kern dergriechischen Weisheit darlegen will. Von Pythagoras wirderzählt, daß er Reisen nach Ägypten, nach Indien gemachthabe; und daß er bei den Weisen dieser Länder in dieSchule gegangen sei. Zwischen den philosophischen Lehren

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des Plato und dem tieferen Sinn der mosaischen Schriftenfanden Persönlichkeiten, die ungefähr um die Zeit derEntstehung des Christentums lebten, so viel Übereinstim-mung, daß sie Plato einen attisch redenden Moses nannten.

Mysterienweisheit war also überall vorhanden. Aus demJudentum heraus nahm sie eine Form an, die sie annehmenmußte, wenn sie Weltreligion werden wollte. - Das Juden-tum erwartete den Messias. Kein Wunder, daß die Persön-lichkeit eines einzigartigen Initiierten von den Juden nurso aufgefaßt werden konnte, daß dieser Einzige der Mes-sias sein müsse. Ja, von hier aus fällt sogar ein besonderesLicht auf die Tatsache, daß Volksangelegenheit wurde, wasvorher in den Mysterien nur Einzelangelegenheit war. Diejüdische Religion war von jeher Volksreligion. Das Volksah sich als Ganzes an. Sein Jao war der Gott des ganzenVolkes. Sollte der Sohn geboren werden, so konnte er nurwieder der Volksheiland werden. Nicht der einzelne Mystedurfte für sich erlöst werden; dem ganzen Volke mußtediese Erlösung zuteil werden. Innerhalb der Grundgedan-ken der jüdischen Religion ist es also begründet, daß einerfür alle stirbt. - Und daß es auch innerhalb des JudentumsMysterien gab, die aus dem Dunkel des geheimen Kultusin die Volksreligion getragen werden konnten, das ist ge-wiß. Eine ausgebildete Mystik bestand neben der an denäußeren Formeln des Pharisäertums hängenden Priester-weisheit. Wie anderswo wird diese geheimnisvolle Myste-rienweisheit auch hier beschrieben. Als einst ein Eingeweih-ter solche Weisheit vortrug und seine Hörer den geheimenSinn ahnten, da sprachen sie: «O Greis, was hast du getan?O daß du geschwiegen hättest! Du glaubst auf dem un-ermeßlichen Meere ohne Segel und Mast fahren zu können.

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Was unternimmst du? Willst du in die Höhe steigen? Dasvermagst du nicht. Willst du dich in die Tiefe versenken?Da gähnt dir ein unermeßlicher Abgrund entgegen.» Undvon vier Rabbinnen erzählen die Kabbalisten, denen auchdas obige entstammt. Vier Rabbinnen haben die geheimenPfade zum Göttlichen gesucht. Der erste starb; der zweiteverlor den Verstand; der dritte richtete ungeheure Ver-wüstungen an; und nur der vierte, der Rabbi Akiba, gingin Frieden hinein und wieder heraus.

Man sieht, daß es auch im Judentum den Boden gab, aufdem sich ein einzigartiger Initiierter entwickeln konnte.Ein solcher brauchte sich nur zu sagen: Ich will nicht, daßdas Heil die Sache weniger Auserwählter bleibe. Ich willalles Volk an diesem Heil teilnehmen lassen. Er mußtehinaustragen in alle Welt, was die Auserlesenen in denTempeln der Mysterien erlebt hatten. Er mußte es auf sichnehmen wollen, durch seine Persönlichkeit im Geiste dasseiner Gemeinde zu sein, was der Mysterienkult früherdenen war, die an ihm teilgenommen hatten. Gewiß: dieErlebnisse der Mysterien konnte er dieser seiner Gemeindenicht ohne weiteres geben. Das konnte er auch nicht wollen.Aber die Gewißheit wollte er allen geben von dem, was inden Mysterien als Wahrheit angeschaut wurde. Das Leben,das in den Mysterien strömte, wollte er durch die ferneregeschichtliche Entwicklung der Menschheit strömen lassen.So wollte er sie auf eine höhere Stufe des Daseins heben.«Selig sind, die da glauben und nicht schauen.» Die Gewiß-heit, daß es ein Göttliches gibt, wollte er in der Form desVertrauens unerschütterlich in die Herzen pflanzen. Weraußen steht und dieses Vertrauen hat, der kommt gewißweiter, als wer ohne dieses Vertrauen dasteht. Wie ein Alp

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mußte es auf Jesu Gemüt gelastet haben, daß unter denAußenstehenden doch viele sein können, die den Weg nichtfinden. Die Kluft zwischen Einzuweihenden und «Volk»sollte weniger groß sein. Das Christentum sollte ein Mittelsein, durch das jeder den Weg finden konnte. Ist er nichtreif dazu, so ist ihm wenigstens nicht die Möglichkeit ab-geschnitten, daß er in einer gewissen Unbewußtheit derMysterienströmung teilhaftig werde. «Der Menschensohnist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was ver-loren ist.» Etwas genießen können von den Früchten derMysterien sollten auch fortan diejenigen, welche nicht ander Einweihung noch teilnehmen können. Nicht von den«äußerlichen Gebärden» sollte fortan das Reich Gottesganz und gar abhängig sein, nein, «es ist nicht hier oderdort; es ist inwendig in euch». Ihm handelte es sich wenigerdarum, wie weit dieser oder jener im Reiche des Geisteskommt; ihm kam es darauf an, daß alle die Überzeugunghaben: es gebe ein solches geistiges Reich. «Freuet euchnicht, daß euch die Geister Untertan sind; freuet euch aber,daß eure Namen im Himmel angeschrieben sind.» D. h.habet Vertrauen zum Göttlichen: es wird die Zeitkommen, da ihr es findet. —

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DAS LAZARUSWUNDER

Unter den «Wundern», die Jesus zugeschrieben werden,muß zweifellos der Auferweckung des Lazarus in Betha-nien eine ganz besondere Bedeutung zugesprochen werden.Alles vereinigt sich, um dem, was hier der Evangelist er-zählt, eine hervorragende Stellung im «Neuen Testamente»anzuweisen. Man muß bedenken, daß die Erzählung nurim Evangelium des Johannes steht, also desjenigen Evan-gelisten, der durch die bedeutungsvollen Einleitungsworteseines Evangeliums eine ganz bestimmte Auffassung seinerMitteilungen herausfordert. Johannes beginnt mit den Sät-zen: «Im Urbeginne war das Wort, und das Wort war beiGott; und ein Gott war das Wort. ... Und das Wort wardFleisch, und wohnete unter uns, und wir sahen seine Herr-lichkeit, eine Herrlichkeit des eingeborenen Sohnes vomVater, voller Hingabe und Wahrheit.» Wer an den Anfangseiner Ausführungen solche Worte setzt, der will gleichsammit Fingern darauf deuten, daß er in einem besonderstiefen Sinne ausgelegt sein will. Wer hier mit bloßen Ver-standeserklärungen kommen will oder mit anderen Din-gen, die an der Oberfläche bleiben, der gleicht dem, wel-cher meint, Othello hätte auf der Bühne die Desdemona«wirklich» ermordet. Was kann denn Johannes mit seinenEinleitungsworten nur sagen wollen? Daß er von etwasEwigem spricht, von etwas, das im Urbeginne war, dassagt er doch deutlich. Er erzählt Tatsachen; aber sie sollennicht als solche Tatsachen genommen werden, die Auge undOhr betrachten und an denen der logische Verstand seineKünste übt. Das «Wort», das in dem Weltengeiste ist, ver-birgt er hinter den Tatsachen. Diese Tatsachen sind für ihn

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das Mittel, in dem sich ein höherer Sinn auslebt. Und mandarf daher voraussetzen, daß sich in der Tatsache einerTotenerweckung, die Augen, Ohren und dem logischenVerstande die größten Schwierigkeiten macht, der aller-tiefste Sinn verbirgt.

Dazu kommt noch ein weiteres. Renan hat in seinem«Leben Jesu» bereits darauf hingewiesen, daß unzweifel-haft die Auferweckung des Lazarus auf das Ende des Le-bens Jesu von entscheidendem Einfluß gewesen sein muß.Ein solcher Gedanke erscheint von dem Standpunkte aus,den Renan einnimmt, unmöglich. Denn warum sollte ge-rade die Tatsache, daß sich im Volke der Glaube verbrei-tete, Jesus habe einen Mann vom Tode erweckt, seinenGegnern so gefährlich scheinen, daß sie darob zu dem Ur-teile kamen: «Können Jesus und das Judentum zusammenleben?» Es geht nicht an, mit Renan zu behaupten: «Dieandern Wunder Jesu waren flüchtige Ereignisse, auf gutemGlauben weiter erzählt und im Munde des Volkes über-trieben, und man kam nicht mehr darauf zurück, nachdemsie geschehen waren. Doch dieses war ein wahrhaftiges Er-eignis, das öffentlich bekannt wurde und mit welchem mandie Pharisäer zum Schweigen bringen wollte. Alle FeindeJesu waren über das verursachte Aufsehen erbittert. Manerzählt, sie versuchten Lazarus zu töten.» Es ist unerfind-lich, warum das so sein sollte, wenn Renan recht hätte mitseiner Ansicht, daß es sich in Bethanien bloß um die Insze-nierung einer Scheinhandlung gehandelt hätte, die dazudienen sollte, den Glauben an Jesum zu stärken: «Vielleichtließ sich Lazarus, noch blaß von seiner Krankheit, einemToten gleich in Leichentücher hüllen und in sein Familien-grab legen. Diese Gräber waren große, in den Fels gehauene

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Kammern, in die man durch eine viereckige Öffnung hinein-kam, die mit einem riesigen Felsblock verschlossen wurde.Martha und Maria eilten Jesu entgegen und führten ihnzum Grabe, noch bevor er Bethanien betreten hatte. Dieschmerzliche Erregung, die Jesus am Grabe seines tot-geglaubten Freundes empfand, mochte von den Anwe-senden für das Zittern und Schauern gehaltenwerden Qoh. 11,33 u. 38), das die Wunder zu begleitenpflegte. Nach dem Volksglauben beruhte nämlich die gött-liche Kraft im Menschen gleichsam auf einem epileptischenund konvulsivischen Prinzip. Jesus - immer unsere An-nahme vorausgesetzt - wünschte den, welchen er geliebthatte, noch einmal zu sehen, und als der Leichensteinfortgerollt wurde, trat Lazarus hervor in seinen Leichentü-chern, das Haupt in ein Schweißtuch gehüllt. DieseErscheinung mußte natürlich allgemein als Auferstehunggelten. Der Glaube kennt kein anderes Gesetz als das,was ihm Wahrheit ist.» Erscheint eine solche Auslegungnicht geradezu naiv, wenn man, wie Renan, an sie dieAnsicht knüpft: «Alles scheint dafür zu sprechen, daß dasWunder von Bethanien wesentlich dazu beitrug, Jesu Todzu beschleunigen»? Dennoch liegt zweifellos dieser letz-teren Behauptung Renans eine richtige Empfindung zu-grunde. Nur kann Renan diese seine Empfindung mit sei-nen Mitteln nicht deuten und rechtfertigen.

Jesus mußte etwas ganz besonders Wichtiges in Betha-nien vollbracht haben, damit gerade im Hinblick daraufdie Worte gerechtfertigt erscheinen: «Da versammelten dieHohepriester und Altesten einen Rat und sprachen: Wastun wir? Dieser Mensch tut viele Zeichen.» (Joh. 11,47.)Renan vermutet auch etwas Besonderes. «Es muß

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anerkannt werden, daß diese Erzählung des Johannes we-sentlich verschiedener Art ist von den Wunderberichten,dem Ausfluß der Volksphantasie, von denen die Synop-tiker voll sind. Fügen wir noch dazu, daß Johannes dereinzige Evangelist ist, der genaue Kenntnisse der Bezie-hungen Jesu zur Familie in Bethanien hatte, und daß esunbegreiflich wäre, wie eine Volksschöpfung in dem Rah-men von so persönlichen Erinnerungen hätte Platz greifenkönnen. Wahrscheinlich war also das Wunder keines derganz legendären, für die niemand verantwortlich ist. Kurz,ich glaube, daß in Bethanien etwas geschehen sei, was alseine Auferstehung gelten konnte.» Heißt das im Grundenicht: Renan vermutet, daß in Bethanien etwas geschehenist, für das er keine Erklärung hat? Er verschanzt sichauch hinter die Worte: «Bei der Länge der Zeit und einemeinzigen Text, der deutliche Spuren nachträglicher Zu-sätze aufweist, ist es unmöglich, zu entscheiden, ob indiesem Falle alles Erdichtung sei oder ob denn wirklich einVorfall in Bethanien dem Gerücht als Grundlage dient.» -Wie, wenn man es hier mit etwas zu tun hätte, demgegen-über der Text nur richtig gelesen zu werden braucht, umzum wahren Verständnisse zu kommen? Vielleicht hörtman dann auf, von «Erdichtung» zu reden.

Zugegeben werden muß, daß die ganze Erzählung imJohannes-Evangelium in einen geheimnisvollen Schleiergehüllt ist. Man braucht, um das einzusehen, nur auf eineshinzudeuten. Was für einen Sinn sollten, wenn die Erzäh-lung im physischen Sinne wörtlich zu nehmen wäre, JesuWorte haben: «Die Krankheit ist nicht zum Tode, sondernzur Ehre Gottes, daß der Sohn Gottes dadurch geehrtwerde.» Dies ist die gebräuchliche Übersetzung der ent-

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sprechenden Evangelienworte; doch kommt man besser zumSachverhalt, wenn man - was auch dem Griechischen ent-sprechend richtig ist - übersetzt: «zur Erscheinung (zurOffenbarung) Gottes, daß der Sohn Gottes dadurch offen-bar werde». Und was sollten die anderen Worte bedeuten:Jesus spricht: «Ich bin die Auferstehung und das Leben.Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe.»(Joh. 11,4 u. 25.) Es wäre eine Trivialität zu glau-ben, Jesus habe sagen wollen: Lazarus sei nur krank ge-worden, damit er seine Kunst an ihm zeigen könne. Undes wäre eine weitere Trivialität, zu meinen, Jesus habebehaupten wollen, der Glaube an ihn mache einen Totenim gewöhnlichen Wbrtsinne wieder lebendig. Was wäredenn besonders an einem Menschen, der vom Tode auf-erstanden ist, wenn er nach der Auferstehung derselbewäre wie vor dem Sterben? Ja, was hätte es für einen Sinn,wenn das Leben eines solchen Menschen bezeichnet würdemit den Worten: «Ich bin die Auferstehung und das Le-ben»? Sofort kommt Leben und Sinn in Jesu Worte, wennwir sie als den Ausdruck eines geistigen Ereignisses unddann in gewisser Weise sogar wörtlich so verstehen, wie sieim Texte sind. Jesus sagt doch: Er sei die Auferstehung, diean Lazarus geschehen ist; und er sei das Leben, das Lazaruslebt. Man nehme doch wörtlich, was Jesus im Johannes-Evangelium ist. Er ist das «Wort, das Fleisch gewordenist». Er ist das Ewige, das im Urbeginne war. Ist er wirk-lich die Auferstehung: dann ist das «Ewige, Anfängliche»in Lazarus auferstanden. Man hat es also mit einer Auf-erweckung des ewigen «Wortes» zu tun. Und dieses «Wort»ist das Leben, zu dem Lazarus auferweckt worden ist. Manhat es mit einer «Krankheit» zu tun. Aber mit einer Krank-

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heit, die nicht zum Tode führt, sondern die zur «EhreGottes», d. i. zur Offenbarung Gottes dient. Ist in La-zarus das «ewige Wort» auferstanden, dann dient wirklichder ganze Vorgang dazu, den Gott in Lazarus erscheinenzu lassen. Denn Lazarus ist durch den ganzen Vorgang einanderer geworden. Vorher lebte nicht das «Wort», derGeist, in ihm; jetzt lebt dieser Geist in ihm. Dieser Geistist in ihm geboren worden. Gewiß ist doch mit jeder Ge-burt eine Krankheit, die Krankheit der Mutter, verknüpft.Aber diese Krankheit führt nicht zum Tode, sondern zuneuem Leben. Bei Lazarus wird dasjenige «krank», ausdem der «neue Mensch», der vom «Wort» durchdrungeneMensch, geboren wird.

Wo ist das Grab, aus dem das «Wort» geboren ist? Manbraucht, um auf diese Frage Antwort zu erhalten, nur anPlato zu denken, der den Leib des Menschen ein Grab derSeele nennt. Und man braucht sich nur zu erinnern, daßauch Plato von einer Art Auferstehung spricht, wenn erauf das Lebendigwerden der geistigen Welt in dem Leibedeutet. Was Plato die geistige Seele nennt, das bezeichnetJohannes als das «Wort». Und Christus ist ihm das«Wort». Plato hätte sagen können: Wer geistig wird, derhat ein Göttliches aus dem Grabe seines Leibes auferstehenlassen. Und für Johannes ist das, was durch das «LebenJesu» geschehen ist, diese Auferstehung. Kein Wunder,wenn er also Jesum sagen läßt: «Ich bin die Auferstehung.»

Kein Zweifel kann sein, daß der Vorgang in Bethanieneine Erweckung im geistigen Sinne ist. Lazarus ist ein an-derer geworden, als er vorher war. Er ist zu einem Lebenerstanden, von dem das «ewige Wort» sagen konnte: «Ichbin dieses Leben.» Was also ist mit Lazarus vorgegangen?

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Es ist der Geist in ihm lebendig geworden. Er ist des Lebensteilhaftig geworden, das ewig ist. - Man braucht sein Er-lebnis nur auszusprechen mit den Worten derer, die indie Mysterien eingeweiht wurden, und der Sinn enthülltsich sofort. Was sagt doch Plutarch (vgl. oben S. 27 ff.)über den Zweck der Mysterien? Sie hätten dazu gedient,die Seele vom körperlichen Leben abzuziehen und mit denGöttern zu vereinigen. Man lese, wie Schelling die Emp-findungen eines Eingeweihten beschreibt: «Der Eingeweihtewurde durch die empfangenen Weihen selbst ein Gliedjener magischen Kette, er selber ein Kabire, aufgenommenin den unzerreißbaren Zusammenhang und, wie die altenInschriften sich ausdrücken, dem Heer der oberen Göt-ter gesellt» (Schelling, Philosophie der Offenbarung).Und man kann den Umschwung, der im Leben dessen vor-ging, der die Mysterienweihen empfing, nicht bedeutungs-voller bezeichnen als mit den Worten, die Adesius seinemSchüler, dem Kaiser Konstantin, sagt: «Wenn du einst anden Mysterien teilnimmst, wirst du dich schämen, über-haupt nur als Mensch geboren zu sein.»

Man durchtränke seine ganze Seele mit solchen Empfin-dungen, und man wird das rechte Verhältnis zu dem Vor-gang in Bethanien gewinnen. Man erlebt dann etwas ganzBesonderes bei der Erzählung des Johannes. Eine Gewiß-heit dämmert auf, die keine logische Auslegung, kein ratio-nalistischer Erklärungsversuch geben kann. Ein Mysteriumim wahren Sinn des Wortes steht vor uns. In Lazarus ist das«ewige Wort» eingezogen. Er ist, um im Sinn der Mysterienzu sprechen, ein Initiierter (Eingeweihter) geworden (vgl.«Mysterien und Mysterienweisheit»). Und der Vorgang,der uns erzählt wird, muß ein Initiationsvorgang sein.

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Stellen wir den ganzen Vorgang einmal als Initiationvor uns hin. Lazarus wird von Jesus geliebt. (Joh. 11,36.)Kein Lieb-Haben im gewöhnlichen Sinne kann damitgemeint sein. Das widerspräche dem Sinn des Johannes-Evangeliums, in dem Jesus das «Wort» ist. Jesus hat La-zarus lieb gehabt, weil er ihn für reif hielt, um das «Wort»in ihm zu erwecken. Es waren Beziehungen Jesu zur Fa-milie in Bethanien vorhanden. Das heißt doch nur, Jesushat in dieser Familie alles vorbereitet, was zum großenSchlußakt des Dramas hinführen sollte: zur Auferweckungdes Lazarus. Dieser ist Schüler Jesu. Er ist ein solcherSchüler, daß Jesus mit Gewißheit annehmen kann: mit ihmwerde sich einst die Erweckung vollziehen. Der Schlußakteines Erweckungsdramas bestand in einer bildhaften, dasGeistige offenbarenden Handlung. Der Mensch mußte nichtnur das «Stirb und Werde» begreifen: er mußte es in einergeistig-wirklichen Handlung selbst vollziehen. Das Irdische,dessen sich der höhere Mensch, im Sinne der Mysterien, zuschämen hat, mußte abgetan werden. Der irdische Menschmußte des bildhaft-wirklichen Todes sterben. Daß dannsein Leib in einen somnambulen Schlaf durch drei Tageversetzt wurde, kann gegenüber der Größe der Lebens-wandlung, die vorging, eben doch nur als ein äußerlicherVorgang bezeichnet werden, dem ein ungleich bedeut-samerer geistiger entspricht. Aber diese Handlung war dochauch das Erlebnis, das das Leben des Mysten in zwei Teileteilte. Wer den höheren Inhalt solcher Handlungen nichtlebensvoll kennt, der vermag sie nicht zu verstehen. Mankann sie ihm nur durch einen Vergleich nahebringen. - Mankann den ganzen Inhalt von Shakespeares Hamlet mit einpaar Worten zusammenfassen. Wer sich dieser Worte be-

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mächtigt, kann in gewissem Sinne sagen: er kenne denInhalt des Hamlet. Und logisch kennt er ihn auch. Andersaber erkennt ihn der, welcher den ganzen Reichtum derShakespearischen Handlung auf sich wirken läßt. Durchseine Seele ist ein Lebensinhalt gezogen, der sich durchkeine bloße Beschreibung ersetzen läßt. Die Hamlet-Ideeist ihm künstlerische, persönliche Erfahrung geworden. -Durch den magisch-bedeutungsvollen Vorgang, der mit derInitiation verknüpft ist, vollzieht sich im Menschen aufeiner hoeheren Stufe ein ähnlicher Vorgang. Er erlebt bild-haft, was er geistig erringt. Das Wort «bildhaft» ist hier sogemeint, daß eine äußere Tatsache zwar sinnlich-wirklichsich vollzieht, daß sie aber als solche doch Bild ist. Man hates mit keinem unwirklichen Bild, sondern mit einem wirk-lichen zu tun. Der irdische Leib ist drei Tage lang wirklichtot gewesen. Aus dem Tode heraus entsteht das neue Leben.Dieses Leben hat den Tod überdauert. Der Mensch hat dasVertrauen zu dem neuen Leben gewonnen. - So ist es mitLazarus gewesen. Jesus hat ihn für die Erweckung vor-bereitet. Es handelt sich um eine bildhaft-wirkliche Krank-heit. Um eine Krankheit, die eine Initiation ist und dienach drei Tagen zum wirklich neuen Leben führt1.

Lazarus ist reif, diese Handlung an sich zu vollziehen.Er hüllt sich in das Gewand der Mysten. Er schließt sich ineinem Zustande von Leblosigkeit, die zugleich bildhafterTod ist, ein. Und da Jesus kam, da waren die drei Tage

^ Was hier beschrieben ist, bezieht sich auf die alten Einweihungen,die wirklich einen dreitägigen schlaf artigen Zustand nötig hatten. Keinewirkliche neuere Einweihung hat dies nötig. Diese führt, im Gegenteil,zu einem mehr bewußten Erleben; und das gewöhnliche Bewußtseinwird innerhalb der Einweihungsdramatik niemals herabgestimmt.

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erfüllt. «Da hoben sie den Stein ab, da der Verstorbenelag. Jesus aber hob seine Augen empor und sprach: Vater,ich danke dir, daß du mich erhöret hast.» (Joh. 11,41.)Der Vater hatte Jesum erhöret, denn Lazarus war zumSchlußakte des großen Erkenntnisdramas gekommen. Erhatte erkannt, wie man zur Auferstehung gelangt. EineEinweihung in die Mysterien war vollzogen. Was mansich im ganzen Altertum unter einer solchen Einweihunggedacht hatte, lag vor. Es war durch Jesus, als Initiator,geschehen. So hatte man sich immer die Vereinigung mitdem Göttlichen vorgestellt.

An Lazarus hat Jesus im Sinne uralter Traditionen dasgroße Wunder der Lebens Verwandlung vollbracht. Damitist das Christentum an die Mysterien angeknüpft. Lazaruswar durch den Christus Jesus selbst ein Eingeweihter ge-worden. Er war dadurch fähig geworden, sich in diehöheren Welten zu erheben. Er war aber zugleich der erstechristliche und von dem Christus Jesus selbst Eingeweihte.Er war durch seine Einweihung fähig geworden, zu er-kennen, daß das in ihm lebendig gewordene «Wort» indem Christus Jesus Person geworden war, daß also in sinn-licher Persönlichkeitserscheinung in seinem Erwecker das-selbe vor ihm stand, was geistig in ihm offenbar gewordenwar. - Von diesem Gesichtspunkte aus sind bedeutungs-voll die Worte Jesu (Joh. 11,42): «Aber ich weiß, daß dumich stets erhörest; doch um des umherstehenden Volkeswillen sage ich es: auf daß sie zu dem Glauben geführtwerden, daß du mich gesandt hast.» Das heißt: es handeltsich darum, daß offenbar werde: in Jesus lebt der «Sohndes Vaters» so, daß, wenn er das eigene Wesen in demMenschen erweckt, dieser zum Mysten werde. Jesus drückt

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damit aus, daß in den Mysterien der Sinn des Lebens ver-borgen war, daß sie zu diesem Sinn hinführten. Er ist daslebendige Wort; in ihm ist Person geworden, was uralteTradition war. Und der Evangelist darf das mit dem Satzeaussprechen: In ihm ist das Wort Fleisch geworden. Er darfin Jesus selbst ein verkörpertes Mysterium sehen. Und einMysterium ist deshalb das Evangelium des Johannes. Manlese es so, daß die Tatsachen nur Geist sind; und man wirdes richtig lesen. Hätte es ein alter Priester geschrieben: erhätte von einem traditionellen Ritus erzählt. Dieser Rituswird für Johannes Person. Er wird zum «Leben Jesu».Wenn ein großer neuerer Forscher von den Mysterien sagt(Burckhardt: Die Zeit Konstantins): die Mysterien seienDinge, über «welche man nie ins klare kommen werde»,so hat er eben den Weg zu dieser Klarheit nicht erkannt.Man nehme das Johannes-Evangelium vor sich und schauein bildhaft-körperhafter Wirklichkeit das Erkenntnis-drama, das die Alten vorführten, und man hat den Blickauf das Mysterium gerichtet.

Man kann in den Worten «Lazare, komm heraus» denRuf wiedererkennen, mit dem die ägyptischen Priester-Initiatoren diejenigen wieder ins Leben des Alltags zu-rückriefen, welche, um dem Irdischen abzusterben und dieÜberzeugung von dem Dasein des Ewigen zu gewinnen,sich den weltentrückenden Prozessen der «Einweihung»unterzogen. Aber Jesus hatte damit das Mysteriengeheim-nis geoffenbart. Es wird erklärlich, daß einen solchen Vor-gang die Juden an Jesu ebensowenig ungesühnt lassenkonnten, wie die Griechen es hätten an Äschylos ungesühntlassen können, wenn er die Mysteriengeheimnisse verratenhätte. Es kam Jesus darauf an, in der Lazarus-Initiation

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vor alles «Volk, das umherstehend» war, einen Vorganghinzustellen, der im Sinne alter Priesterweisheit nur in derVerborgenheit des Mysteriums sich vollziehen durfte. DieseInitiation sollte zum Verständnis des «Mysteriums vonGolgatha» vorbereiten. Vorher konnten über das, was miteinem solchen Initiationsvorgang sich vollzog, nur dieetwas wissen, die da «schauten», d. h. eingeweiht waren;jetzt aber sollten eine Überzeugung von den Geheim-nissen der höheren Welten gewinnen können auch die,welche «glaubten, auch wenn sie nicht schauten».

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DIE APOKALYPSE DES JOHANNES

Als ein merkwürdiges Dokument steht am Ende des NeuenTestamentes die Apokalypse, die geheime OffenbarungSt. Johannis. Man braucht nur die ersten Worte zu le-sen, um das Geheimnisvolle der Schrift zu ahnen: «DieOffenbarung Jesu Christi, die Gott ihm dargeboten hat,seinen Dienern zu veranschaulichen, wie in Kürze sich dasnotwendige Geschehen abspielt; dieses ist in Zeichen ge-sandt durch Gottes Engel seinem Diener Johannes.» Washier geoffenbart wird, ist «in Zeichen gesandt». Es darfalso der wörtliche Sinn nicht als solcher hingenommenwerden, sondern es muß ein tieferer gesucht werden, fürden der Wortsinn nur Zeichen ist. Aber vieles deutet nochauf einen solchen «geheimen Sinn». Johannes wendet sichan sieben Gemeinden in Asien. Es können damit nicht sinn-lich wirkliche Gemeinden gemeint sein. Denn die ZahlSieben ist die heilige symbolische Zahl, die eben um dieserihrer symbolischen Bedeutung willen gewählt sein muß.Die wirkliche Anzahl der asiatischen Gemeinden wäreeine andere gewesen. Und auf das Geheimnisvolle deutetferner, wie Johannes zu der Offenbarung kommt: «Ich warim Geiste an dem Tage des Herrn und hörete hinter mireine Stimme wie eine Posaune, die sprach: Was du siehest,das schreibe in ein Buch, und sende es den sieben Gemein-den.» Also mit einer Offenbarung hat man es zu tun,die Johannes im Geiste erhalten hat. Und es ist dieOffenbarung Jesu Christi. In einen geheimen Sinn gehüllterscheint, was durch den Christus Jesus der Welt offenbargeworden ist. Ein solcher geheimer Sinn muß also in derLehre Christi gesucht werden. Es verhält sich diese Offen-

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barung zu dem gewöhnlichen Christentum, wie sich in vor-christlichen Zeiten die Mysterienoffenbarung zur Volks -religion verhalten hat. Der Versuch erscheint dadurch ge-rechtfertigt, diese Apokalypse als Mysterium zu behandeln.

An sieben Gemeinschaften wendet sich die Apokalypse.Was ist damit gemeint? Man braucht nur eine der Bot-schaften herauszugreifen, um den Sinn zu erkennen. In derersten wird gesagt: «Schreibe dem Engel der Gemeinschaftin Ephesus: Dieses schreibt derjenige, welcher die siebenSterne in seiner Rechten hält, der, welcher inmitten dersieben goldenen Lichter wandelt. Ich kenne deine Tatenund was du ertragen hast, und auch deine Ausdauer, unddaß du die Bösen nicht stützen willst, und daß du zur Ver-antwortung gezogen hast diejenigen, welche sich Apostelnennen, und es nicht sind, und daß du sie als unecht er-kannt hast. Und du hast Ausdauer, und du hast deine Ar-beit auf meinen Namen gebaut, und du bist darinnen nichterlahmt. Aber ich verlange von dir, daß du zu deinervorzüglichsten Liebe gelangest. Bedenke, wovon du abge-fallen bist, ändere deinen Sinn, und verrichte die vorzüg-lichsten Taten. Wenn aber nicht, so komme ich und bewegedein Licht von seiner Stelle, es sei denn, daß du deinenSinn änderst. Aber das hast du, daß du die Taten derNicolaiten verachtest, welche auch ich verachte. Wer Ohrenhat, der höre, was der Geist den Gemeinschaften sagt: DemSieger gebe ich Speise von dem Baum des Lebens, welcherim Paradiese Gottes ist.» - Dies ist die Botschaft, welchean den Engel der ersten Gemeinschaft gerichtet ist. DerEngel, welchen man sich als den Gemeinschaftsgeist zudenken hat, ist auf dem Wege, der im Christentum vorge-zeichnet ist. Er vermag die falschen Bekenner des Christen-

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tums von den wahren zu unterscheiden. Er will christlichsein; und er hat seine Arbeit auf den Namen Christi ge-stützt. Aber es wird von ihm verlangt, daß er durch keiner-lei Irrtümer sich den Weg zu der vorzüglichsten Liebeversperre. Es wird ihm die Möglichkeit vorgehalten, wiedurch solche Irrtümer eine falsche Richtung verfolgt wer-den kann. Durch den Christus Jesus ist der Weg vorge-zeichnet, um zu dem Göttlichen zu gelangen. Man brauchtAusdauer, um in dem Sinne weiterzuschreiten, in dem dererste Impuls gegeben ist. Man kann auch zu früh ver-meinen, den rechten Sinn erfaßt zu haben. Das geschieht,wenn man sich durch Christus ein Stück des Weges führenläßt und dann doch diese Führerschaft verläßt, indem mansich falschen Vorstellungen über dieselbe hingibt. Manfällt dadurch wieder in das Niedrig-Menschliche zurück.Man kommt von der «vorzüglichsten Liebe» ab. Das amSinnlich-Verständlichen haftende Wissen wird in eine hö-here Sphäre gehoben dadurch, daß es zur Weisheit ver-geistigt, vergötdicht wird. Kommt es zu dieser Erhöhungnicht, so bleibt es im Vergänglichen. Der Christus Jesushat den Weg gewiesen zum Ewigen. Das Wissen muß inungeschwächter Ausdauer den Weg verfolgen, der es zueiner Vergöttlichung führt. Es muß in Liebe den Spurenfolgen, die es zur Weisheit umwandeln. Die Nicolaitenwaren eine Sekte, welche das Christentum zu leicht nahm.Sie sahen nur eines: Christus ist das göttliche Wort, dieewige Weisheit, die im Menschen geboren wird. Also, soschlössen sie, ist die menschliche Weisheit das göttlicheWort. Danach brauchte man nur menschlichem Wissennachzujagen, um das Göttliche in der Welt zu verwirk-lichen. Aber so kann der Sinn der christlichen Weisheit nicht

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ausgelegt werden. Das Wissen, das zunächst Menschen-weisheit ist, ist ebenso vergänglich wie alles andere, wennes nicht erst in göttliche Weisheit umgewandelt wird. Sobist du nicht, sagt der «Geist» zu dem Engel von Ephesus;du hast nicht bloß auf menschliche Weisheit gepocht. Duhast in Ausdauer den Weg des Christentums betreten.Aber du darfst nicht glauben, daß nicht die allervorzüg-lichste Liebe nötig sei, wenn das Ziel erreicht werden soll.Es ist eine Liebe dazu notwendig, welche alle Liebe zu an-derem weit überragt. Nur eine solche ist die «vorzüglichsteLiebe». Der Weg zum Göttlichen ist ein unendlicher; undman muß begreifen, daß, wenn man die erste Stufe erreicht,dies nur die Vorbereitung sein kann, um zu immer höherenStufen aufzusteigen. Damit ist an der ersten der Botschaftengezeigt, wie diese zu deuten sind. In ähnlicher Art kannder Sinn der anderen gefunden werden.

Johannes schaute, da er sich umwendet, «sieben goldeneLichter» und «inmitten der Lichter des MenschensohnesBild, mit langem Gewände und mit einem goldenen Gürtelum die Lenden; und sein Haupt und Haar waren weiß-glänzend wie weiße Wolle oder Schnee, und seine Augenfunkelnd im Feuer». Wir werden belehrt (Kap. 1, Vers 20):«Die sieben Lichter sind sieben Gemeinschaften.» Damitist ausgedrückt, daß die Lichter sieben verschiedene Wegesind, um zum Göttlichen zu gelangen. Sie sind alle mehroder weniger unvollkommen. Und der Menschensohn«hatte sieben Sterne in seiner rechten Hand». (V 16.) «Diesieben Sterne sind die Engel der sieben Gemeinschaften.»(V 20.) Die aus der Mysterienweisheit bekannten «füh-renden Geister» (Dämonen) sind hier zu den führendenEngeln der «Gemeinschaften» geworden. Diese Gemein-

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schaften werden dabei als Leiber für geistige Wesenheitenvorgestellt. Und die Engel sind die Seelen dieser «Lei-ber», wie die Menschenseelen die führenden Mächte derMenschenleiber sind. Die Gemeinschaften sind die Wegezum Göttlichen in der Unvollkommenheit; und die Ge-meinschaft-Seelen sollten die Führer werden auf diesenWegen. Dazu müssen sie selbst so werden, daß der Führerfür sie die Wesenheit dessen ist, der die «sieben Sterne» inseiner Rechten hat. «Und aus seinem Munde kam ein zwei-schneidiges scharfes Schwert, und sein Antlitz in seinemGlänze glich der leuchtenden Sonne.» Auch in der My-sterienweisheit ist dieses Schwert vorhanden. Der Einzu-weihende wurde durch ein «gezücktes Schwert» erschreckt.Das deutet auf die Lage, in welche derjenige kommt, derzur Erfahrung des Göttlichen gelangen will, auf daß ihmdas «Angesicht» der Weisheit «leuchte mit einem Glänzegleich der Sonne». Durch eine solche Lage geht auch Jo-hannes hindurch. Sie soll eine Prüfung seiner Starke sein.«Und da ich ihn sah, fiel ich zu seinen "Füßen wie tot; under legte seine Rechte auf mich und sprach: Erschrecke nicht»(V 17). Durch die Erlebnisse muß der Einzuweihendehindurchgehen, welche sonst der Mensch nur beim Durch-gang durch den Tod macht. Derjenige, welcher ihn führt,muß über die Gebiete hinausführen, in denen Geburt undTod eine Bedeutung haben. Der Eingeweihte beschreitetein neues Leben, «und ich war tot, und sieh, ich bin lebendiggeworden durch die Kreisläufe des Lebens hindurch; undich habe die Schlüssel des Todes und des Totenreiches». -Also vorbereitet wird Johannes zu den Geheimnissendes Daseins geführt. «Danach schaute ich; und sieh, esward die Türe zum Himmel aufgeschlossen; und die

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erste Stimme, die hörbar ward, erklang gleich einer Posaunezu mir und sagte: Steige hieher, und ich will dir zeigen,was nach diesem geschehen wird.» Die Botschaftenan die sieben Geister der Gemeinschaften künden demJohannes, was in der sinnlich-physischen Welt geschehensoll, um dem Christentum die Wege zu bereiten; das fol-gende, was er «im Geiste» erschaut, führt ihn zum gei-stigen Urquell der Dinge, welcher hinter der physischenEntwicklung verborgen ist, aber als ein nächstes vergei-stigtes Zeitalter durch die physische Entwicklung herbei-geführt werden soll. Der Eingeweihte erlebt das, wasin der Zukunft geschehen soll, als geistiges Erlebnis inder Gegenwart. «Und sogleich ward ich in das Geistigeentrückt. Und ich schaute einen Thron im Himmel, undauf dem Throne jemand sitzend. Und der Sitzende glichdem Stein Jaspis und Sardis; und ein Regenbogen umgabden Thron, der einem Smaragd glich.» Damit wird derUrquell der sinnlichen Welt in den Bildern beschrieben, inwelche er sich für den Seher kleidet. «Und im Umkreisdes Thrones waren vierundzwanzig Throne, und auf denvierundzwanzig Thronen saßen Alteste, bekleidet mit wei-ßen, wallenden Kleidern und mit güldenen Kronen aufden Häuptern.» (Kap. 4, V 4.) - Auf dem Weisheitspfade weitvorgeschrittene Wesenheiten umgeben also den Urquelldes Daseins, zu schauen seine unendliche Wesenheit undvon ihr Zeugnis zu geben. «Und inmitten des Thronesund um den Thron waren vier Lebewesen, besetzt mitAugen vorne und hinten. Und das erste Lebewesen glicheinem Löwen, und das zweite glich einem Stier, und dasdritte bot einen Anblick wie ein Mensch, und das vierteglich einem fliegenden Adler. Und von den Lebewesen

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hatte ein jedes sechs Flügel, im Umkreis und inwendighatten sie Augen, und sie ließen ohne Unterbrechung beiTag und bei Nacht den Ruf ertönen: Heilig, heilig, heiligist der Herrscher, der Gott, der Allmächtige, der warund ist und der sein wird.» Unschwer ist zu erkennen,daß die vier Lebewesen das übersinnliche Leben bedeuten,welches den sinnlichen Lebensformen zugrunde liegt. Sieerheben ihre Stimmen später, da die Posaunen erklingen,d. h. wenn das in sinnliche Formen eingeprägte Leben sichin das geistige umgewandelt hat.

In der rechten Hand dessen, der auf dem Throne saß,findet sich das Buch, in dem der Weg zur höchsten Weisheitvorgezeichnet ist (Kap. 5, V 1). Nur einer ist würdig, dasBuch zu öffnen. «Siehe, es hat überwunden der Löwe, derda ist vom Geschlecht Juda, die Wurzel David, aufzutundas Buch und dessen sieben Siegel.» Sieben Siegel hatdas Buch. Siebenfältig ist Menschenweisheit. Daß sie alssiebenfältig bezeichnet wird, hängt wieder mit der Heilig-keit der Siebenzahl zusammen. Als Siegel bezeichnet diemystische Weisheit des Philo die ewigen Weltgedanken,die sich in den Dingen zum Ausdruck bringen. Menschen-weisheit sucht diese Schöpfungsgedanken. Aber erst in demBuche, das mit ihnen gesiegelt ist, steht die göttliche Wahr-heit. Erst müssen die Grundgedanken der Schöpfung ent-hüllt, die Siegel geöffnet werden, dann wird offenbar, wasin dem Buche steht. Jesus, der Löwe, vermag die Siegel zuöffnen. Er hat den Schöpfungsgedanken eine Richtunggegeben, die, durch sie hindurch, zur Weisheit führt. - DasLamm, das erwürget ward und das Gott erkauft hat mitseinem Blute, der Jesus, der den Christus in sich gebrachthat, der also im höchsten Sinne durch das Lebens-Todes-

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Mysterium gegangen ist, öffnet das Buch (Kap. 5, V 9-10).Und die Lebewesen erklären, was sie wissen, bei jedem derSiegel (Kap. 6). Beim Offnen des ersten Siegels wird fürJohannes ein weißes Pferd sichtbar, auf dem ein Reitersitzt mit einem Bogen. Die erste Weltmacht, eine Ver-körperung des Schöpfungsgedankens, wird sichtbar. Siewird von dem neuen Reiter, von dem Christentum indie angemessene Richtung gebracht. Der Streit wird be-schwichtigt durch den neuen Glauben. Beim Offnen deszweiten Siegels wird ein rotes Pferd sichtbar, auf dem wie-der ein Reiter sitzt. Er nimmt den Frieden, die zweiteWeltmacht von der Erde, auf daß die Menschheit nichtdurch lässiges Verhalten die Pflege des Göttlichen ver-säume. Beim dritten Siegelöffnen zeigt sich die Weltmachtder Gerechtigkeit, geleitet von dem Christentum; beimvierten die religiöse Macht, der durch das Christentum einneues Ansehen gegeben wird. - Die Bedeutung der vierLebewesen erscheint dadurch klar. Sie sind die vier Haupt-weltmächte, die durch das Christentum eine neue Führungerhalten sollen: der Krieg (Löwe), die friedliche Arbeit(der Stier), die Gerechtigkeit (das Wesen mit dem Men-schenantlitz) und der religiöse Aufschwung (der Adler).Die Bedeutung des dritten Wesens erhellt daraus, daßbeim Offnen des dritten Siegels gesagt wird: «Ein MaßWeizen um einen Groschen und drei Maß Gersten umeinen Groschen», und daß der Reiter dabei eine Waagehält. Und beim Offnen des vierten Siegels wird einReiter sichtbar, des Name hieß «Tod, und die Hölle folgteihm nach». Die religiöse Gerechtigkeit ist der Reiter(Kap. 6, V 6-7).

Und als das fünfte Siegel eröffnet wird, da erscheinen

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die Seelen derer, die schon im Sinne des Christentums ge-wirkt haben. Der im Christentum verkörperte Schöpfungs-gedanke selbst kommt hier zum Vorschein. Aber mit die-sem Christentum ist zunächst nur die erste christliche Ge-meinschaft gemeint, die vergänglich ist wie andere Schöp-fungsformen. Das sechste Siegel wird eröffnet (Kap. 7);es zeigt sich, daß die Geisteswelt des Christentums eineewige ist. Das Volk erscheint erfüllt mit dieser Geisteswelt,aus dem das Christentum selbst hervorgegangen ist. Es istgeheiligt auch seine eigene Schöpfung. «Und ich höretedie Zahl der Versiegelten, hundert und vier und vierzigtausend, die versiegelt waren von allen Geschlechtern derKinder Israel» (Kap. 7> V 4). Es sind dies diejenigen, welcheauf das Ewige sich vorbereitet haben, bevor es ein Chri-stentum gab, und welche durch den Christusimpuls ver-wandelt worden sind. - Es erfolgt die Öffnung des sie-benten Siegels. Es wird ersichtlich, was das wahre Chri-stentum der Welt wirklich werden soll. Die sieben Engel,die «vor Gott stehen» (Kap. 8, V 2) erscheinen. Diese siebenEngel sind wieder ins Christliche übersetzte Geister deralten Mysterienanschauung. Sie sind also die Geister,die auf wahrhaft christliche Weise zur Gottesanschauungführen. Was sich nun vollzieht, ist also selbst ein Hin-führen zu Gott; es ist eine «Einweihung», die dem Johan-nes zuteil wird. Ihre Verkündigungen begleiten die beiEinweihungen notwendigen Zeichen. Der erste Engel po-saunet. «Und es ward ein Hagel aus Feuer mit Blut gemen-get, und der fiel auf die Erde. Und der dritte Teil der Erdeverbrannte, auch der dritte Teil der Bäume verbrannte,und alles grüne Gras verbrannte.» Und ähnlich geht esbei den Verkündungen, den Posaunentönen der anderen

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Engel. - Hier sieht man auch, daß es sich nicht bloß um eineEinweihung im alten Sinne handelte, sondern um eine neue,welche an die Stelle der alten treten sollte. Das Christen-tum sollte nicht wie die alten Mysterien für wenige Aus-erwählte sein. Es sollte für die ganze Menschheit sein. EineVolksreligion sollte das Christentum sein; für jeden solltedie Wahrheit bereitet sein, der «Ohren hat zu hören». Ausvielen ausgesucht wurden die alten Mysten; die Posaunendes Christentums erklingen für jeden, der sie hören mag.Es ist seine Sache, herbeizukommen. Deshalb erscheinen aberauch die Schrecken, welche diese Menschheitseinweihungbegleiten, ins Ungeheure gesteigert. Was aus der Erde undihren Bewohnern in einer fernen Zukunft werden soll, ent-hüllt sich dem Johannes in seiner Einweihung. Es liegt derGedanke zugrunde, daß für den Eingeweihten in den höhe-ren Welten das vorauszusehen ist, was für die niedere Welterst in der Zukunft sich verwirklicht. Die sieben Botschaftenstellen die Bedeutung des Christentums für die Gegenwartdar, die sieben Siegel das, was sich in der Gegenwart durchdas Christentum für die Zukunft vorbereitet. Die Zukunftist für den Uneingeweihten verhüllt, versiegelt; in der Ein-weihung entsiegelt sie sich. Wenn die Erdenzeit vorüber seinwird, für welche die sieben Botschaften gelten, wird einegeistigere Zeit beginnen. Dann wird das Leben nicht mehrso verfließen, wie es in den sinnlichen Formen erscheint,sondern es wird auch äußerlich ein Abbild seiner übersinn-lichen Gestalten sein. Diese übersinnlichen Gestalten wer-den durch die vier Tiere und die übrigen Siegelbilder reprä-sentiert. In einer noch späteren Zukunft tritt dann jeneGestalt der Erde ein, welche durch die Posaunen für denEingeweihten zu erleben ist. So erfährt der Eingeweihte

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prophetisch, was geschehen soll. Und der im christlichenSinne Eingeweihte erfährt, wie der Christusimpuls in dasErdenleben eingreift und fortwirkt. Und nachdem gezeigtworden ist, wie alles, was zu sehr am Vergänglichen hängt,um das wahre Christentum zu erlangen, den Tod gefundenhat, erscheint der starke Engel mit dem geöffneten Büch-lein und gibt es Johannes (Kap. 10, V 9): «Und er sprach zumir: Nimm hin und verschlinge es; und es wird bitter seinim Magen; doch in deinem Munde wird es süß sein gleichHonig.» Nicht allein lesen also soll Johannes in demBüchlein; er soll es ganz in sich aufnehmen; er soll sichmit seinem Inhalt durchdringen. Was hilft alle Erkennt-nis, wenn der Mensch nicht ganz lebensvoll von ihr durch-drungen wird. Leben soll die Weisheit werden; nicht Göttli-ches erkennen bloß soll der Mensch, vergottet soll derMensch werden. Solche Weisheit, wie in dem Buche steht,schmerzt wohl die vergängliche Natur: «es wird bitter seinim Magen»; aber sie beglückt um so mehr die ewige:«aber in deinem Munde wird es süß sein gleich Honig.» -Durch solche Einweihung nur kann das Christentum auf derErde gegenwärtig werden. Es tötet alles, was der niederenNatur angehört. «Und ihre Leichname werden liegen aufdem Platze der großen Stadt, die da heißt geistlich die So-doma und Ägypten, da auch ihr Christus gekreuzigt ist.» DieBekenner des Christus sind damit gemeint. Sie werdenmißhandelt werden von den Mächten des Vergänglichen.Was aber mißhandelt werden wird, sind nur die vergäng-lichen Glieder der Menschennatur, über welche sie inihren wahren Wesenheiten dann gesiegt haben werden.Ihr Schicksal wird damit ein Abbild des vorbildlichenSchicksals des Christus Jesus sein. «Geistlich Sodom und

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Ägypten» ist das Symbolum für das Leben, das im Äuße-ren beharrt und sich nicht durch den Christusimpuls wan-delt. Christus ist überall in der niederen Natur gekreu-zigt. Wo diese niedere Natur siegt, da bleibt alles tot. DieMenschen bedecken als Leichname die Plätze der Städte.Die solches überwinden werden, die den gekreuzigtenChristus zur Erweckung bringen, die hören die Posaunedes siebenten Engels: «Es sind die Reiche der Welt unseresHerrn und seines Christus entstanden; und er wird regie-ren von Weltzeit zu Weltzeit» (Kap. 11, V 15). «Und derTempel Gottes ward auf getan im Himmel, und die Ladeseines Bundes ward in seinem Tempel gesehen» (V 19). Inder Anschauung dieser Ereignisse erneuert sich für den Ein-geweihten der alte Kampf der niederen und der höherenNatur. Denn alles, was vorher der Einzuweihende durch-zumachen hatte, das muß sich in dem wiederholen, der diechristlichen Wege wandelt. Wie einst Osiris bedroht warvon dem bösen Typhon, so muß auch jetzt noch der «großeDrache, die alte Schlange» (Kap. 12, V 9) überwunden wer-den. Das Weib, die Menschenseele, gebiert das niedere Wis-sen, das eine widrige Macht ist, wenn es nicht zur Weis-heit sich steigert. Der Mensch muß durch dieses niedereWissen hindurch. Hier in der Apokalypse erscheint diesniedere Wissen als die «alte Schlange». Von jeher war inaller mystischen Weisheit die Schlange das Symbol der Er-kenntnis. Von dieser Schlange, von der Erkenntnis, kannder Mensch verführt werden, wenn er nicht den Gottes-sohn in sich hervorbringt, der der Schlange den Kopf zer-tritt. «Und es ward ausgeworfen der große Drache, diealte Schlange, die da heißet der Teufel und Satanas, der dieganze Welt verführet, und ward geworfen auf die Erde,

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und seine Engel wurden mit ihm geworfen» (Kap. 12, V 9).Man kann es aus diesen Worten lesen, was das Christentumsein wollte. Eine neue Art der Einweihung. Es sollte ineiner neuen Form erreicht werden, was in den Mysterienerreicht wurde. Denn auch in ihnen sollte die Schlangeüberwunden werden. Aber nicht so sollte das geschehenwie früher. An die Stelle der vielen Mysterien sollte dasEine, das Urmysterium, das christliche, treten. Jesus, indem der Logos Fleisch geworden, sollte der Initiator einerganzen Menschheit sein. Und diese Menschheit sollte seineeigene Mystengemeinde werden. Nicht Absonderung Er-wählter, sondern Zusammenschluß aller sollte stattfinden.Nach Maßgabe seiner Reife sollte jeder ein Myste werdenkönnen. Allen erklingt die Botschaft; wer ein Ohr hat, siezu hören, der eilt herbei, ihre Geheimnisse zu vernehmen.Die Stimme des Herzens soll bei jedem einzelnen entschei-den. Nicht hineingeführt in die Mysterientempel soll dieseroder jener werden, sondern zu allen sollte das Wort ge-sprochen werden; der eine vermag es dann weniger stark,der andere stärker zu hören. Dem Dämon, dem Engel inder eigenen Brust des Menschen wird anheimgegeben, wieweit er eingeweiht werden kann. Die ganze Welt ist einMysterientempel. Nicht nur jene sollen selig werden, diein den besonderen Mysterientempeln die wunderbaren Ver-richtungen schauen, die ihnen eine Gewähr geben sollen fürdas Ewige, sondern «Selig sind, die nicht schauen und dochglauben». Mögen sie auch zunächst im Finstern tappen,vielleicht kommt doch noch das Licht zu ihnen. Kei-nem soll etwas vorenthalten werden; jedem soll der Wegoffen stehen. - Anschaulich werden dann weiter in derApokalypse die Gefahren geschildert, die dem Christlichen

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von dem Antichristlichen drohen können, und wie danndas Christliche dennoch siegen muß. Alle andern Göttergehen auf in der Einen christlichen Göttlichkeit: «Und dieStadt bedarf keiner Sonne, noch des Mondes, daß sie ihrscheinen; denn die Offenbarung Gottes erleuchtet sie, undihre Leuchte ist das Lamm» (Kap. 21, V 23). Es ist das Myste-rium der «Offenbarung St. Johannis», daß die Mysteriennicht mehr verschlossen sein sollen. «Und er spricht zu mir:Versiegle nicht die Worte der Weissagung in diesem Buche;denn die Gottheit ist nahe.» - Was der Verfasser der Apo-kalypse für einen Glauben hatte über das Verhältnis seinerKirche zu den alten Kirchen: das hat er dargelegt. Er hatsich über die Mysterien selbst in einem geistigen Mysteriumaussprechen wollen. Auf der Insel Patmos hat der Verfassersein Mysterium geschrieben. In einer Grotte soll er die«Offenbarung» erhalten haben. In dieser Mitteilung istselbst der Mysteriencharakter der Offenbarung ausge-drückt. - Also aus den Mysterien ist das Christentum her-vorgegangen. Seine Weisheit wird in der Apokalypse selbstals ein Mysterium geboren; aber als ein Mysterium, das überden Rahmen der alten Mysterienwelt hinausgehen will. DasEinzelmysterium soll universelles Mysterium werden. - Eskönnte ein Widerspruch darin gefunden werden, daß hiergesagt wird, die Geheimnisse der Mysterien seien durch dasChristentum offenbar geworden, und daß dann doch wie-der in dem Erleben der geistigen Schauungen des Apoka-lyptikers ein christliches Mysterium gesehen wird. Der Wi-derspruch löst sich, sobald man bedenkt: die Geheimnisseder alten Mysterien sind durch die Vorgänge in Palästinaoffenbar geworden. Dadurch hat sich enthüllt, was vorherverhüllt in den Mysterien war. Ein neues Geheimnis ist

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nun, was in die Weltentwicklung durch die ErscheinungChristi eingefügt worden ist. Der alte Eingeweihte erlebtein der geistigen Welt, wie die Entwicklung auf den noch«verborgenen Christus» hinweist; der christliche Einge-weihte erfährt die verborgenen Wirkungen des «offenba-ren Christus».

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JESUS UND SEIN GESCHICHTLICHER

HINTERGRUND

In der Mysterienweisheit ist der Boden zu suchen, aus demder Geist des Christentums hervorgewachsen ist. Es bedurftenur des Überhandnehmens der Grundüberzeugung, daßdieser Geist in höherem Maße ins Leben eingeführt werdenmüsse, als dies durch das Mysterienwesen selbst geschehenwar. Aber auch eine solche Grundüberzeugung fand sich inweiten Kreisen vor. Man braucht bloß auf die Lebenshal-tung der Essäer und Therapeuten zu sehen, die vor derEntstehung des Christentums lange vorhanden waren. DieEssäer waren eine in sich abgeschlossene palästinensischeSekte, deren Zahl zur Zeit Christi auf viertausend geschätztwird. Sie bildeten eine Gemeinde, die es als Anforderungan ihre Mitglieder stellte, ein Leben zu führen, das inner-halb der Seele ein höheres Selbst entwickelt und damit eineWiedergeburt bewirkt. Der Aufzunehmende wurde einerstrengen Prüfung unterworfen, ob er auch reif sei, sich fürein höheres Leben vorzubereiten. Wer aufgenommen war,mußte eine Probezeit durchmachen. Ein feierliches Gelübdemußte abgelegt werden, an die Fremden die Geheimnisseder Lebensführung nicht zu verraten. Das Leben selbstwar geeignet, die niedere Natur im Menschen zu erdrücken,damit der in ihm schlummernde Geist immer mehr gewecktwerde. Wer den Geist bis zu einer bestimmten Stufe in sicherlebt hatte, der stieg zu einem höheren Ordensgrad auf;und er genoß eine dementsprechende, nicht äußerlich auf-erzwungene, sondern in den Grundüberzeugungen natur-gemäß bedingte Autorität. - Verwandt mit den Essäernwaren die in Ägypten wohnenden Therapeuten. Über ihre

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Lebensführung erlangt man allen wünschenswerten Auf-Schluß durch eine Schrift des Philosophen Philo: «Über dasbeschauliche Leben.» (Der Streit darüber, ob diese Schriftecht oder unecht sei, muß heute als geschlichtet betrachtetund die Annahme als berechtigt angesehen werden, daßPhilo wirklich das Leben einer lange vor dem Christentumbestehenden, ihm wohl bekannten Gemeinschaft beschrie-ben hat. Vgl. darüber G. R. Mead: «Fragmente eines ver-schollenen Glaubens», Leipzig 1902. Verlag von Max Alt-mann.) Man braucht sich nur einzelne Stellen aus dieserSchrift vorzuhalten, um zu sehen, auf was es ankam. «DieWohnungen der Gemeindemitglieder sind äußerst einfach,sie gewähren nur den notwendigen Schutz gegen äußersteSonnenhitze und äußerste Kälte. Die Wohnungen liegen nichtdicht beieinander wie in den Städten, denn Nachbarschaftist weniger anziehend für jemand, der die Einsamkeit sucht;noch sind sie weit voneinander entfernt, um die geselligenBeziehungen, die ihnen so lieb sind, nicht zu erschwerenund um sich bei einem Räuberanfall leicht Hilfe gewährenzu können. In jeder Behausung ist ein geheiligter Raum,Tempel oder Monasterium genannt, ein kleines Zimmer, oderKammer, oder Zelle, in welchen sie den Geheimnissen deshöheren Lebens nachgehen.... Sie besitzen auch Werke alterSchriftsteller, die einst ihre Schule leiteten und viele Erklä-rungen über die in den allegorischen Schriften übliche Me-thode hinterließen.... Die Auslegung der heiligen Schriftenist bei ihnen auf den tieferen Sinn der allegorischen Erzäh-lungen gerichtet.» - Man sieht: es handelte sich um eineVerallgemeinerung dessen, was im engeren Kreise der Myste-rien auch angestrebt worden ist. Nur wird natürlich durcheine solche Verallgemeinerung der strenge Charakter ab-

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geschwächt worden sein. - Die Essäer- und Therapeuten-gemeinden bilden einen natürlichen Übergang von denMysterien zu dem Christentum. Das Christentum wollteaber zu einer Menschheitsangelegenheit machen, was sie zueiner Sektenangelegenheit gemacht hatten. Dadurch warnatürlich die Grundlage für eine weitere Abschwächungdes strengen Charakters gegeben.

Aus dem Vorhandensein solcher Sekten wird verständlich,inwiefern die damalige Zeit reif war für eine Erfassung desChristus-Geheimnisses. In den Mysterien war der Menschkünstlich vorbereitet worden, damit auf entsprechenderStufe in seiner Seele die höhere geistige Welt aufging. Inner-halb der Essäer- oder Therapeutengemeinde suchte sich dieSeele durch einen entsprechenden Lebenswandel für dieErweckung des «höheren Menschen» reif zu machen. Einweiterer Schritt ist dann der, daß man sich zu einer Ahnungdavon durchringt: eine Menschen-Individualität könne inwiederholten Erdenleben sich zu immer höheren und hö-heren Stufen der Vollkommenheit entwickelt haben. Wersolches ahnen konnte, vermochte auch eine Empfindungdafür zu haben, daß in Jesus eine Individualität von hoherGeistigkeit erschienen sei. Je höher die Geistigkeit, destogrößer die Möglichkeit, Bedeutsames zu vollbringen.Und so konnte die Jesus-Individualität fähig werden,jene Tat zu vollbringen, welche die Evangelien in demVorgang der Johannes-Taufe so geheimnisvoll andeu-ten, und durch die Art, wie sie darauf hinweisen, doch soklar als etwas Wichtigstes bezeichnen. - Die Persönlichkeitdes Jesus wurde fähig, in die eigene Seele aufzunehmenChristus, den Logos, so daß dieser in ihr Fleisch wurde.Seit dieser Aufnahme ist das «Ich» des Jesus von Naza-

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reth der Christus, und die äußere Persönlichkeit ist derTräger des Logos. Dieses Ereignis, daß das «Ich» des Jesusder Christus wird, das ist durch die Johannes-Taufe dar-gestellt. Während der Mysterien-Epoche war die «Vereini-gung mit dem Geiste» für wenige Menschen die Angelegen-heit der Einzuweihenden. Bei den Essäern sollte sich eineganze Gemeinde eines Lebens befleißigen, durch das derenAngehörige zu der «Vereinigung» kommen konnten; durchdas Christus-Ereignis sollte vor die ganze Menschheit et-was - eben die Taten des Christus — hingestellt werden, sodaß die «Vereinigung» eine Erkenntnis-Angelegenheit derganzen Menschheit sein konnte.

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VOM WESEN DES CHRISTENTUMS

Die tiefste Wirkung mußte es auf die Bekenner des Chri-stentums ausüben, daß ihnen das Göttliche, das Wort, derewige Logos nicht mehr in dem geheimnisvollen Dunkeldes Mysteriums, als Geist allein, entgegentrat; sondern daßsie, wenn sie von diesem Logos sprachen, immer auf diegeschichtliche, menschliche Persönlichkeit Jesu gewiesenwurden. Vorher hatte man ja innerhalb der Wirklichkeitdiesen Logos nur auf verschiedenen Stufen menschlicherVollkommenheiten gesehen. Man konnte die feinen, in-timen Unterschiede im Geistesdasein der Persönlichkeitbeobachten und konnte sehen, in welchen Arten und Gra-den in den einzelnen Persönlichkeiten, welche die Ein-weihung suchten, der Logos lebendig wurde. Einen höherenReifegrad mußte man als eine höhere Entwicklungsstufedes geistigen Daseins deuten. Man mußte die Vorstufendazu in einem abgelebten Geistesleben suchen. Und dasgegenwärtige Leben konnte man als Vorstufe von künftigengeistigen Entwicklungsstufen ansehen. Die Erhaltung dergeistigen Kraft der Seele, die Ewigkeit dieser Kraft durfteman behaupten im Sinne der jüdischen Geheimlehre (BuchSohar): «Nichts geht in der Welt verloren, nichts fällt derLeere anheim, nicht einmal die Worte und die Stimme desMenschen; alles hat seine Stelle und seine Bestimmung.»Die Eine Persönlichkeit war nur eine Metamorphose derSeele, die sich von Persönlichkeit zu Persönlichkeit wandelt.Das einzelne Leben der Persönlichkeit kam nur als einEntwicklungsglied einer nach vorwärts und rückwärts wei-senden Kette in Betracht. - Dieser sich wandelnde Logosist durch das Christentum von der einzelnen Persönlichkeit

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hingeleitet worden auf die einzige Persönlichkeit Jesu. Wasfrüher auf die ganze Welt verteilt war: das wurde nunmehrauf eine einzige Persönlichkeit vereinigt. Jesus ist der ein-zige Gottmensch geworden. In Jesus ist damit etwas einmalgegenwärtig gewesen, das dem Menschen als das größteIdeal erscheinen muß, mit dem er sich durch seine wieder-holten Leben in der Zukunft immer mehr vereinigen soll.Jesus hat die Vergottung der ganzen Menschheit auf sichgenommen. In ihm wurde gesucht, was vorher nur in dereigenen Seele gesucht werden konnte. Man hatte der Per-sönlichkeit des Menschen das entrissen, was in ihr selbstimmer als Göttliches, als Ewiges gefunden worden war.Und man konnte alles dieses Ewige in Jesus schauen. Nichtdas Ewige in der Seele überwindet den Tod und wird durchseine Kraft dereinst als Göttliches auferweckt, sondern wasin Jesus war, der einige Gott, wird erscheinen und dieSeelen auferwecken. Es war damit gegeben, daß die Per-sönlichkeit eine ganz neue Bedeutung erhielt. Man hatteihr das Ewige, das Unsterbliche genommen. Sie war alssolche, für sich, übriggeblieben. Man mußte, wollte mannicht die Ewigkeit leugnen, dieser Persönlichkeit selbst dieUnsterblichkeit zuschreiben. Aus dem Glauben an die ewigeWandelung der Seele wurde der persönliche Unsterblich-keitsglaube. Eine unendliche Wichtigkeit erhielt ja diesePersönlichkeit, weil sie das einzige war, was man am Men-schen festhielt. - Es gibt fortan nichts mehr zwischen derPersönlichkeit und dem unendlichen Gott. Man muß sichzu ihm in ein unmittelbares Verhältnis setzen. Man warnicht mehr in höherem oder niederem Grade selbst der Ver-göttlichung fähig; man war einfach Mensch und stand zuGott in einem unmittelbaren, aber äußeren Verhältnisse.

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Wer die alte Mysterienanschauung kannte, mußte das alseinen ganz neuen Ton in der Weltanschauung empfinden.In diesem Falle waren wohl zahlreiche Persönlichkeiten derersten christlichen Jahrhunderte. Sie wußten von der Artder Mysterien; wollten sie Christen werden, so mußtensie sich mit dieser alten Art auseinandersetzen. Das magsie in die schwierigsten Seelenkämpfe gebracht haben. Inder mannigfaltigsten Art mögen sie einen Ausgleich gesuchthaben zwischen beiden Richtungen der Weltanschauung.Die Schriften der ersten christlichen Jahrhunderte spiegelndiesen Kampf; sowohl die der Heiden, die von der Hoheitdes Christentums angezogen werden; wie auch diejenigender Christen, denen es schwer wird, die Mysterienweise zuverlassen. Langsam wächst das Christentum aus dem My-sterienwesen heraus. Christliche Überzeugungen werden inder Form der Mysterienwahrheiten vorgetragen; Myste-rienweisheit wird in die Worte des Christentums gekleidet.Clemens von Alexandrien, der heidnisch gebildete christ-liche Schriftsteller (gestorben 217 n. Chr.) gibt davon einBeispiel: «Gott hat uns nicht versagt, vom Guten auszu-ruhen in der Feier des Sabbats; denen, die es fassen können,hat er verliehen, an den göttlichen Geheimnissen und andem heiligen Lichte teilzunehmen; er hat nicht der Mengegeoffenbart, was sich für sie nicht schickt, sondern nurwenigen, für die er es geziemend erachtete, die es fassenkönnen und sich darnach bilden, wie Gott das Unaussprech-liche dem Logos vertraut, nicht der Schrift. - Gott hat derKirche einige als Apostel gegeben, andre als Propheten,andre als Evangelisten, andre als Hirten und Lehrer zurVollendung der Heiligen, zum Werke des Dienstes, zurErbauung des Leibes Christi.» Auf die mannigfaltigste Art

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suchen die Persönlichkeiten den Weg von den antiken An-schauungen zu den christlichen zu finden. Und wer auf demrechten Wege zu sein glaubt, bezeichnet andere als Irrlehrer.Daneben befestigt sich immer mehr die Kirche als äußereInstitution. Je mehr sie an Macht gewann, desto mehr tratder Weg, den sie durch die Konzil-Beschlüsse, durch äußereFestsetzung als den richtigen anerkannte, an die Stelle despersönlichen Forschens. Sie entschied, wer zu weit abwichvon der von ihr bewahrten göttlichen Wahrheit. Der Be-griff des «Irrlehrers» bekam eine immer festere Gestalt. Inden ersten Jahrhunderten des Christentums war das Suchendes göttlichen Weges viel mehr persönliche Angelegenheitals in den späteren. Es war erst ein langer Weg zurück-zulegen, bis die Überzeugung des Augustinus möglich war:«Ich würde an die Wahrheit der Evangelien nicht glauben,wenn mich nicht die Autorität der katholischen Kirche dazuzwänge» (vgl. S. 108).

Der Kampf zwischen der Mysterienart und der christ-lichen bekam eine besondere Prägung durch die verschie-denen «gnostischen» Sekten und Schriftsteller. Als Gnosti-ker kann man alle Schriftsteller der ersten christlichen Jahr-hunderte auffassen, die nach einem tieferen, geistigen Sinnder christlichen Lehren suchten. (Eine glänzende Darstel-lung der Entwicklung der Gnosis bietet das obengenannteBuch von Mead: «Fragmente eines verschollenen Glau-bens».) Man versteht diese Gnostiker, wenn man sie an-sieht als durchtränkt mit alter Mysterienweisheit und be-strebt, das Christentum von dem Gesichtspunkt der Myste-rien aus zu begreifen. Christus ist ihnen der Logos. Er istzunächst als solcher geistiger Art. Er kann in seiner Ur-wesenheit nicht von außen an den Menschen herankommen.

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Er muß in der Seele erweckt werden. Aber der geschicht-liche Jesus muß ein Verhältnis haben zu diesem geistigenLogos. Das war die gnostische Grundfrage. Mochte sie dereine so, der andere so lösen. Die Hauptsache bleibt, daßnicht die bloße historische Überlieferung, sondern die My-sterienweisheit, oder die aus derselben Quelle schöpfendeneuplatonische Philosophie, die in den ersten christlichenJahrhunderten blühte, zu einem wirklichen Verständnissedes Christus-Gedankens führen sollte. Man hatte Vertrauenzur Menschenweisheit und glaubte, daß sie einen Christusgebären könne, an dem der geschichtliche gemessen werdenkann. Ja, durch den dieser erst verstanden und im rechtenLichte geschaut werden könne.

Von besonderem Interesse, von diesem Gesichtspunkteaus, ist die Lehre, die in den Büchern des AreopagitenDionysius auftritt. Allerdings wird dieser Schriften erstim sechsten Jahrhundert Erwähnung getan. Es kommt aberbei ihnen nicht darauf an, wann und wo sie geschriebensind, sondern darauf, daß sie eine Darstellung des Christen-tums, ganz eingekleidet in die Vorstellungsart der neuplato-nischen Philosophie und in ein geistiges Anschauen derhöheren Welt, enthalten. Es ist dies unter allen Umständeneine Darstellungsform, die den ersten christlichen Jahr-hunderten angehört. In alten Zeiten hat sich diese Darstel-lungsform als mündliche Tradition fortgepflanzt; man ver-traute eben in den älteren Zeiten das Wichtigste geradenicht der Schrift an. Man könnte das Christentum, das siedarstellen, ein solches nennen, das aus dem Spiegel der neu-platonischen Weltanschauung gezeigt werden sollte. Diesinnliche Wahrnehmung trübt dem Menschen das Anschauendes Geistes. Er muß über das Sinnliche hinausgehen. Nun

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sind aber alle menschlichen Begriffe zunächst aus der sinn-lichen Beobachtung geschöpft. Was der sinnliche Menschbeobachtet, das nennt er seiend; was er nicht beobachtet,das bezeichnet er als nicht-seiend. Will der Mensch sichdaher eine wirkliche Perspektive zu dem Göttlichen eröff-nen, so muß er auch über das Seiende und Nicht-Seiendehinausgehen, denn auch dieses entstammt in seiner Auf-fassung der Sinnensphäre. Gott ist in diesem Sinne wederseiend noch nicht-seiend. Er ist überseiend. Man kann ihndaher nicht erreichen mit den Mitteln des gewöhnlichenErkennens, das es mit dem Seienden zu tun hat. Man mußüber sich, über seine Sinnenbeobachtung, über seine ver-ständige Logik hinausgehoben werden und den Übergangfinden zu geistiger Anschauung; dann kann man ahnendin die Perspektive des Göttlichen blicken. - Aber diese über-seiende Gottheit hat die weisheitsvolle Grundlage der Welt,den Logos hervorgebracht. Ihn kann auch die niedere Kraftdes Menschen erreichen. Er wird als geistiger Sohn Gottesim Weltgebäude gegenwärtig; er ist der Mittler zwischenGott und dem Menschen. Er kann in verschiedenen Stufenim Menschen gegenwärtig sein. Ihn kann eine weltlicheInstitution verwirklichen, indem sie die in verschiedenerArt von ihm erfüllten Menschen unter einer Hierarchievereinigt. Eine solche «Kirche» ist der sinnlich-wirklicheLogos; und die Kraft, die in ihr lebt, lebte persönlich in demfleischgewordenen Christus, in Jesus. Durch Jesus istalso die Kirche mit Gott vereinigt, in ihm hat sie ihreSpitze und ihren Sinn.

Es war für alle Gnosis klar: mit der Idee von Jesu Per-

sönlichkeit mußte sie sich verständigen. Christus und Jesus

mußten in ein Verhältnis gebracht werden. Die Göttlich-

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keit war der menschlichen Persönlichkeit genommen; siemußte auf irgendeine Art wieder gefunden werden. Esmußte möglich sein, sie in Jesus wieder zu finden. DerMyste hatte mit einem Grade der Göttlichkeit in sich undmit seiner irdisch-sinnlichen Persönlichkeit zu tun. DerChrist hatte mit dieser und mit einem vollendeten, überalles menschlich Erreichbare erhabenen Gott zu tun. Wirddiese Anschauung streng festgehalten, so ist eine mystischeGrundstimmung der Seele nur möglich, wenn dieser Seele,indem sie das höhere Geistige in sich findet, das geistigeAuge so geöffnet wird, daß in dieses das Licht fällt, welchesvon dem Christus in dem Jesus ausgeht. Vereinigung derSeele mit ihren höchsten Kräften ist zugleich Vereinigungmit dem geschichtlichen Christus. Denn Mystik ist unmittel-bares Fühlen und Empfinden des Göttlichen in der eigenenSeele. Ein über alles Menschliche hinausragender Gott kannaber im wahren Sinne des Wortes nie in der Seele wohnen.Die Gnosis und auch alle spätere christliche Mystik stellendas Bestreben dar, dieses Gottes doch auf irgendeine Artin der Seele unmittelbar teilhaftig zu werden. Ein Kampfmußte da immer entstehen. Man konnte in Wirklichkeit nursein Göttliches finden, das ist aber ein Menschlich-Gött-liches, ein Göttliches auf einer bestimmten Entwicklungs-stufe. Aber der christliche Gott ist doch ein bestimmter, insich vollendeter. Man konnte in sich finden die Kraft, zuihm emporzustreben; aber man konnte nicht etwas, wasman in der Seele auf irgendeiner Stufe erlebte, als einsmit ihm bezeichnen. Zwischen dem, was man in der Seeleerkennen konnte, und dem, was das Christentum als gött-lich bezeichnete, entstand eine Kluft. Es ist die Kluft zwi-schen Wissen und Glauben, zwischen Erkennen und reli-

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giösem Empfinden. Für den Mysten im alten Sinne kannes diese Kluft nicht geben. Denn er weiß zwar, daß er dasGöttliche nur gradweise erfassen kann; aber er weiß auch,warum er nur dies kann. Er ist sich klar, daß er in demgradweisen Göttlichen doch das wahre, lebendige Göttlichehat; und es wird ihm schwer, von einem vollendeten, ab-geschlossenen Göttlichen zu sprechen. Ein solcher Mystewill gar nicht den vollendeten Gott erkennen, sondern erwill das göttliche Leben erfahren. Er will selbst vergottetsein; er will nicht ein äußerliches Verhältnis zur Gottheitgewinnen. Es ist in dem Wesen des Christentums gelegen,daß seine Mystik nicht in diesem Sinne voraussetzungslosist. Der christliche Mystiker will in sich selbst die Gottheitschauen, aber er muß zu dem geschichtlichen Christus hin-blicken wie das physische Auge zur Sonne; wie dieses sichsagt, durch diese Sonne werde ich erblicken, was ich durchmeine Kräfte sehen kann, so sagt der christliche Myste: Ichsteigere mein Inneres zu göttlichem Schauen: das Licht, dasmir solches Schauen ermöglicht, ist in dem erschienenenChristus gegeben. Er ist> wodurch ich in mir zum Höchstensteigen kann. Die christlichen Mystiker des Mittelalters zei-gen gerade darin ihren Unterschied von den Mysten deralten Mysterien. (Vgl. mein Buch: Die Mystik im Aufgange.)

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CHRISTENTUM UND HEIDNISCHE WEISHEIT

In der Zeit, in der auch das Christentum seine ersten An-fänge hat, treten innerhalb der antiken heidnischen KulturWeltanschauungen auf, die sich als eine Fortführung derplatonischen Vorstellungsart darstellen und die auch alseine verinnerlichte, vergeistigte Mysterienweisheit aufge-faßt werden dürfen. Ihren Ausgang nahmen sie von demAlexandriner Philo (25 v. Chr. bis 50 n. Chr.). Ganz insInnere der Menschenseele scheinen bei ihm die Vorgängeverlegt, die zum Göttlichen führen. Man möchte sagen: DerMysterientempel, in dem Philo seine Weihen sucht, isteinzig und allein sein eigenes Innere und dessen höhereErlebnisse selbst. Durch Prozesse rein geistiger Art ersetzter die Prozeduren, die sich in den Mysterienstätten abspie-len. Das Sinnesanschauen und die logische Verstandeser-kenntnis führen, nach seiner Überzeugung, nicht zum Gött-lichen. Sie haben es nur mit dem Vergänglichen zu tun.Aber es gibt für die Seele einen Weg, sich über diese Er-kenntnisarten zu erheben. Sie muß aus dem heraustreten,was sie ihr gewöhnliches «Ich» nennt. Sie muß diesem «Ich»entrückt werden. Dann tritt sie in einen Zustand spiri-tueller Erhöhung, Erleuchtung ein, in dem sie nicht mehrim gewöhnlichen Sinne weiß, denkt und erkennt. Denn sieist mit dem Göttlichen verwachsen, mit ihm ineinandergeflossen. Das Göttliche wird erlebt als ein solches, das sichnicht in Gedanken formen, nicht in Begriffen mitteilen läßt.Es wird erlebt. Und der es erlebt, weiß, daß er von ihmnur Mitteilung machen kann, wenn er dazu kommt, denWorten Leben zu geben. Von dieser mystischen Wesenheit,die man in den tiefsten Schachten der Seele erlebt, ist die

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Welt das Abbild. Sie ist aus dem unsichtbaren, undenk-baren Gott hervorgegangen. Ein unmittelbares Bild dieserGottheit ist die weisheitsvolle Harmonie der Welt, der diesinnlichen Erscheinungen folgen. Diese weisheitsvolle Har-monie ist das geistige Ebenbild der Gottheit. Es ist der indie Welt ergossene göttliche Geist: die Weltvernunft, derLogos, der Sproß oder Sohn Gottes. Der Logos ist der Ver-mittler zwischen der Sinnenwelt und dem unvorstellbarenGott. Indem der Mensch sich mit Erkenntnis durchdringt,vereinigt er sich mit dem Logos. Der Logos wird in ihmverkörperlicht. Die zur Geistigkeit entwickelte Persönlich-keit ist Träger des Logos. Über dem Logos liegt Gott; unter-halb desselben die vergängliche Welt. Der Mensch ist be-rufen, die Kette zwischen beiden zu schließen. Was er inseinem Innern als Geist erlebt, ist der Weltengeist. Unmit-telbar wird man bei solchen Vorstellungen an die pythago-reische Denkart erinnert. (Vgl. S. 50 ff.) - Im Innen-leben wird der Kern des Daseins gesucht. Aber das Innen-leben ist sich seiner kosmischen Geltung bewußt. Es istim wesentlichen aus einer Vorstellungsart hervorgegan-gen, die der des Philo ähnlich ist, was Augustinus sagt:«Wir sehen alle Dinge, die gemacht sind, weil sie sind; aberweil Gott sie sieht, sind sie.» - Und über das, was und wo-durch wir sehen, fügt er bezeichnend hinzu: «Und weil siesind, sehen wir sie äußerlich; und weil sie vollkommen sind,sehen wir sie innerlich.» Bei Plato ist die gleiche Grund-vorstellung vorhanden. (Vgl. S. 54 ff.) Philo hat genauwie Plato in den Schicksalen der menschlichen Seele denAbschluß des großen Weltendramas, die Erweckung desverzauberten Gottes, gesehen. Er hat ja die innerenTaten der Seele mit den Worten beschrieben: Die Weisheit

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in dem Innern des Menschen geht «die Wege des Vatersnachahmend und formt, auf die Urbilder schauend, dieGestalten». Es ist daher keine persönliche Angelegenheit,wenn der Mensch in sich Gestalten formt. Diese Gestaltensind die ewige Weisheit, sind das kosmische Leben. Das istim Einklang mit der Mysterienauffassung von den Volks-mythen. Der Myste sucht in den Mythen den tieferenWahrheitskern (vgl. S. 74 ff.). Und was der Myste mitden heidnischen Mythen tut, das vollbringt Philo mit denmosaischen Schöpfungsberichten. Die Berichte des altenTestamentes sind ihm Bilder für innere Seelenvorgänge.Die Bibel erzählt die Weltschöpfung. Wer sie als Darstel-lung äußerer Vorgänge nimmt, der kennt sie nur halb.Gewiß steht geschrieben: «Im Urbeginn schuf Gott Himmelund Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es warfinster in der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte überden Wassern.» Aber der wahre, innere Sinn solcher Wortemuß in den Tiefen der Seele erlebt werden. Es muß derGott im Innern gefunden werden, dann erscheint er als der«Urglanz, der unzählige Strahlen aussendet, nicht sinnlich-wahrnehmbar, sondern insgesamt gedanklich». So drücktsich Philo aus. Fast genau wie in der Bibel heißt es beiPlato (im Timäos): «Als nun aber der Vater, welcher dasAll erzeugt hatte, es ansah, wie es belebt und bewegt undein Bild der ewigen Götter geworden war, da empfand erWohlgefallen daran.» In der Bibel liest man: «Und Gottsah, daß alles gut war.» - Das Göttliche erkennen, heißtwie bei Plato, wie in der Mysterienweisheit denSchöpfungswerdegang als eigenes seelisches Schicksal-erleben. Geschichte der Schöpfung und Geschichte dersich vergöttlichenden Seele fließen dadurch in Eins zu-

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sammen. Man kann den Schöpfungsbericht des Moses, nachPhilos Überzeugung, dazu verwenden, die Geschichte derGott suchenden Seele zu schreiben. Alle Dinge in der Bibelerhalten dadurch einen tief symbolischen Sinn. Philo wirdzum Ausleger dieses symbolischen Sinnes. Er liest die Bibelals Seelengeschichte.

Man darf sagen, daß Philo mit dieser Art, die Bibel zulesen, einem Zuge seiner Zeit entsprach, der aus der Myste-rienweisheit geschöpft war. Konnte er ja dieselbe Art derAuslegung alter Schriften von den Therapeuten berichten.«Sie besitzen auch Werke alter Schriftsteller, die einst ihreSchule leiteten und viele Erklärungen über die in den alle-gorischen Schriften übliche Methode hinterließen. ... DieAuslegung dieser Schriften ist bei ihnen auf den tieferenSinn der allegorischen Erzählungen gerichtet.» (Vgl. S. 147)So war Philos Absicht auf den tieferen Sinn der «alle-gorischen» Erzählungen des alten Testamentes gerichtet.

Man vergegenwärtige sich, wozu eine solche Auslegungführen konnte. Man liest den Schöpfungsbericht und findetdarin nicht nur eine äußerliche Erzählung, sondern das Vor-bild für die Wege, welche die Seele nehmen muß, um zumGöttlichen zu gelangen. Die Seele muß also - darin nurkann ihr mystisches Weisheitsstreben bestehen — in sich dieWege Gottes mikrokosmisch wiederholen. Es muß sich injeder Seele das Weltendrama abspielen. Eine Erfüllung desim Schöpfungsbericht gegebenen Vorbildes ist das Seelen-leben des mystischen Weisen. Moses hat nicht nur geschrie-ben, um geschichtliche Tatsachen zu erzählen, sondern umin Bildern zu veranschaulichen, was die Seele für Wegenehmen muß, wenn sie Gott finden will.

Das alles bleibt in der Weltanschauung Philos innerhalb

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des Geistes beschlossen. Der Mensch erlebt in sich, was Gottin der Welt erlebt hat. Das Wort Gottes, der Logos, wirdSeelenereignis. Gott hat die Juden aus Ägypten nach demgelobten Lande geführt; er hat sie durch Qualen und Ent-behrungen gehen lassen, um ihnen dann das Land der Ver-heißung zu schenken. Das ist der äußere Vorgang. Manerlebe ihn im Innern. Man geht aus dem Lande Ägypten,der vergänglichen Welt, durch die Entbehrungen, welchezur Unterdrückung der sinnlichen Welt führen, in das ge-lobte Land der Seele ein, man erreicht das Ewige. Bei Philoist das alles innerlicher Vorgang. Der Gott, der in die Weltausgegossen wurde, feiert seine Auferstehung in der Seele,wenn sein Schöpfungswort verstanden und in der Seelenachgebildet wird. Dann hat der Mensch in sich den Gott,den Mensch gewordenen Gottesgeist, den Logos, Christus,auf geistige Art geboren. In diesem Sinne war die Erkennt-nis für Philo und für diejenigen, die in seinem Sinne dach-ten, eine Christusgeburt innerhalb der Welt des Geistigen.Eine Fortbildung dieser philonischen Denkungsart war auchdie neuplatonische Weltanschauung, die sich mit dem Chri-stentum zugleich fortbildete. Man sehe, wie Plotin (204 bis269 n. Chr.) seine geistigen Erlebnisse schildert:

«Oftmals, wenn ich aus dem Schlummer der Körperlich-keit erwache, zu mir komme, von der Außenwelt abgewen-det in mich einkehre, so schaue ich eine wundersame Schön-heit; dann bin ich gewiß, meines besseren Teiles inne ge-worden zu sein; ich betätige das wahre Leben, bin mit demGöttlichen geeint, und in ihm gegründet, gewinne ich dieKraft, mich noch über die Überwelt hinaus zu versetzen.Wenn ich dann nach diesem Ruhen in Gott aus dem Geistes-schauen wieder zur Gedankenbildung herabsteige, dann

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frage ich mich, wie es zuging, daß ich jetzt herabsteige unddaß überhaupt einmal meine Seele in den Körper einge-gangen ist, da sie doch in ihrem Wesen so ist, wie sie sichmir eben gezeigt hatte», und «was mag denn der Grundsein, daß die Seelen den Vater, Gott, vergessen, da sie dochaus dem Jenseits stammen und ihm gehören und so vonihm und sich selbst nichts wissen? Des Bösen Anfang ist fürsie der Wagemut und die Werdelust und die Selbstentfrem-dung und die Lust, nur sich zu gehören. Es gelüstete sie nachSelbstherrlichkeit; sie tummelten sich nach ihrem Sinne, undso gerieten sie auf den Abweg und schritten zum vollenAbfalle vor, und damit schwand ihnen die Erkenntnis ihresUrsprungs aus dem Jenseits, wie Kinder, früh von ihrenEltern getrennt und in der Ferne aufgezogen, nicht wissen,wer sie und ihre Eltern sind.» Die Lebensentwicklung, welchedie Seele suchen soll, wird von Plotin dargestellt: «Befrie-det sei ihr Körperleben und dessen Wogenschlag, befriedetsehe sie alles, was sie umgibt: die Erde und das Meer unddie Luft und den Himmel selbst, ohne Regung. Sie lernedarauf achten, wie die Seele von außen her in den ruhendenKosmos gleichsam sich ergießt und einströmt, von allenSeiten andringt und einstrahlt; wie die Sonnenstrahlen einedunkle Wolke erleuchten und goldig erglänzen machen, soverleiht die Seele, wenn sie in den Leib der himmelumspann-ten Welt eingeht, ihm Leben und Unsterblichkeit.»

Es ergibt sich, daß diese Weltanschauung mit demChristentum eine tiefgehende Ähnlichkeit hat. Bei den Be-kennern der Jesusgemeinde heißt es: «Was von Anfang angeschehen ist, was wir gehört und gesehen haben mit Augen,was wir selbst geschauet, was unsere Hände berührt habenvon dem Worte des Lebens ... das melden wir euch»; so

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könnte im Sinne des Neuplatonismus gesagt werden: Wasvom Anfange an geschehen ist, was man nicht hören undsehen kann: das muß man spirituell erleben als das Wortdes Lebens. - Die Entwicklung der alten Weltanschauungvollzieht sich somit in einer Spaltung. Sie führt zu einerChristus-Idee, die sich auf rein Geistiges bezieht, im Neu-platonismus und ähnlich gerichteten Weltanschauungen; undandrerseits zu einem Zusammenfließen dieser Christus-Ideemit einer geschichtlichen Erscheinung, der PersönlichkeitJesu. Den Schreiber des Johannes-Evangeliums kann manden Verbinder der beiden Weltanschauungen nennen. «ImUrbeginne war das Wort.» Diese Überzeugung teilt er mitden Neuplatonikern. Das Wort wird Geist im Innern derSeele: das folgern die Neuplatoniker. Das Wort ist in JesusFleisch geworden, das folgert der Schreiber des Johannes-Evangeliums, und mit ihm die Christengemeinde. Der nähereSinn, wie das Wort allein Fleisch werden konnte, war durchdie ganze Entwicklung der alten Weltanschauungen gegeben.Plato erzählt ja das makrokosmische: Gott hat auf denWeltleib in Kreuzesform die Weltseele gespannt. Diese Welt-seele ist der Logos. Soll der Logos Fleisch werden, so mußer im Fleisches-Dasein den kosmischen Weltprozeß wieder-holen. Er muß ans Kreuz geschlagen werden und auf-erstehen. Als geistige Vorstellung war dieser wichtigste Ge-danke des Christentums in den alten Weltanschauungenlängst vorgezeichnet. Als persönliches Erlebnis machte es derMyste bei der «Einweihung» durch. Als Tatsache, die für dieganze Menschheit Geltung hat, mußte es der «Mensch ge-wordene Logos» durchmachen. Etwas, was also Mysterien-vorgang in der alten Weisheitsentwicklung war: das wirddurch das Christentum zur historischen Tatsache. Dadurch

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wurde das Christentum die Erfüllung nicht nur dessen, wasdie jüdischen Propheten vorhergesagt hatten; sondern eswurde auch die Erfüllung dessen, was die Mysterien vor-hergebildet hatten. - Das Kreuz auf Golgatha ist der ineine Tatsache zusammengezogene Mysterienkult des Alter-tums. Dieses Kreuz begegnet uns zuerst in den alten Welt-anschauungen; es begegnet uns innerhalb eines einmaligenEreignisses, das für die ganze Menschheit gelten soll, amAusgangspunkte des Christentums. Von diesem Gesichts-punkte aus kann das Mystische im Christentum begriffenwerden. Das Christentum als mystische Tatsache ist eineEntwicklungsstufe im Werdegang der Menschheit; und dieEreignisse in den Mysterien und die durch dieselben be-dingten Wirkungen sind die Vorbereitung zu dieser mysti-schen Tatsache.

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AUGUSTINUS UND DIE KIRCHE

Die volle Gewalt des Kampfes, der sich in den Seelen christ-licher Bekenner beim Übergang aus dem Heidentum zu derneuen Religion abgespielt hat, kommt in der Persönlichkeitdes Augustinus (354-430) zur Anschauung. Man betrachtetdie Seelenkämpfe eines Origenes, Clemens von Alexan-drien, Gregors von Nazianz, Hieronymus und anderer ingeheimnisvoller Art mit, wenn man sieht, wie diese Kämpfein dem Geiste des Augustinus zur Ruhe gekommen sind.

Augustinus ist eine Persönlichkeit, in der sich aus einerleidenschaftlichen Natur heraus die tiefsten geistigen Be-dürfnisse entwickeln. Er geht durch heidnische und halb-christliche Vorstellungen hindurch. Er leidet tief unter denfurchtbarsten Zweifeln, wie sie einen Menschen befallenkönnen, der die Ohnmacht vieler Gedanken gegenüber dengeistigen Interessen erprobt hat und der die niederschla-gende Empfindung gekostet hat von dem: «Kann denn derMensch überhaupt etwas wissen?»

Im Anfange seines Strebens hafteten die Vorstellungendes Augustinus am Sinnlich-Vergänglichen. Er konnte sichdas Geistige nur in sinnlichen Bildern veranschaulichen.Er empfindet es wie eine Befreiung, als er sich über dieseStufe erhoben hat. Das schildert er in seinen «Bekenntnis-sen»: «Daß ich mir, wenn ich Gott denken wollte, Körper-massen vorstellen mußte, und glaubte, es könne nichts exi-stieren als derartiges, das war der gewichtigste und fast dereinzige Grund des Irrtums, den ich nicht vermeiden konnte.»Damit deutet er an, wohin der Mensch kommen muß, derdas wahre Leben im Geiste sucht. Es gibt Denker, welchebehaupten - und diese Denker sind nicht wenig zahlreich -:

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man könne zu einem reinen, von allem sinnlichen Stoffefreien Vorstellen überhaupt nicht gelangen. Diese Denkerverwechseln dasjenige, was sie glauben von ihrem eigenenSeelenleben sagen zu müssen, mit dem menschlich Mög-lichen. Die Wahrheit ist vielmehr, daß man zu einer höhe-ren Erkenntnis erst kommen kann, wenn man sich zu einemvon allem sinnlichen Stoffe freien Denken entwickelt hat.Zu einem solchen Seelenleben, dessen Vorstellungen nichtmehr dann aufhören, wenn die Veranschaulichung durchsinnliche Eindrücke aufhört. Augustinus erzählt, wie er zumgeistigen Schauen aufgestiegen ist. Er fragte überall an, wodas «Göttliche» ist. «Ich fragte die Erde und sie sprach:Ich bin es nicht, und was auf ihr ist, bekannte das Gleiche.Ich fragte das Meer und die Abgründe, und was von Leben-dem sie bergen, und sie antworteten: Wir sind nicht deinGott; suche über uns. Ich fragte die wehenden Lüfte, undes sprach der ganze Dunstkreis samt allen seinen Bewoh-nern: Die Philosophen, die in uns das Wesen der Dingesuchten, täuschten sich: wir sind nicht Gott. Ich fragte Sonne,Mond und Sterne, sie sprachen: Wir sind nicht Gott, dendu suchst.» Und Augustinus erkannte, daß es nur einesgibt, das Antwort erteilt auf seine Frage nach dem Gött-lichen: die eigene Seele. Sie sprach: Kein Auge, kein Ohrkann dir mitteilen, was in mir ist. Das kann ich dir nurselbst sagen. Und ich sage es dir auf unzweifelhafte Weise.«Ob die Lebenskraft in der Luft oder im Feuer liegt, dar-über konnten die Menschen zweifelhaft sein, aber werwollte zweifeln, daß er lebt, sich erinnert, versteht, will,denkt, weiß und urteilt? Wenn er zweifelt, so lebt er ja,erinnert er sich ja, weshalb er zweifelt, versteht er ja, daßer zweifelt, will er sich ja vergewissern, denkt er ja, weiß

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er ja, daß er nichts weiß, urteilt er ja, daß er nichts voreiligannehmen dürfe.» Die Außendinge wehren sich nicht, wennwir ihnen Wesenheit und Dasein absprechen. Aber die Seelewehrt sich. Sie könnte ja nicht an sich zweifeln, wenn sienicht wäre. Auch in ihrem Zweifel bestätigt sie ihr Dasein.«Wir sind und wir erkennen unser Sein und lieben unserSein und Erkennen: In diesen drei Stücken kann uns keindem Wahren ähnlicher Irrtum beunruhigen, denn wir er-greifen sie nicht wie die Außendinge mit einem körper-lichen Sinne.» Vom Göttlichen erfährt der Mensch, indemer seine Seele dazu bringt, sich selbst erst als Geistiges zuerkennen, um als Geist den Weg in die geistige Welt zufinden. Dazu hatte sich Augustinus durchgerungen, dieseszu erkennen. Aus solcher Stimmung heraus erwuchs imheidnischen Volkstum den Erkenntnis suchenden Persön-lichkeiten das Verlangen, an die Pforten der Mysterien an-zuklopfen. Im Zeitalter des Augustinus konnte man mitdiesen Überzeugungen Christ werden. Der menschgewor-dene Logos, Jesus, hatte den Weg gewiesen, den die Seelezu gehen hat, wenn sie zu dem kommen will, wovon siesprechen muß, wenn sie mit sich selbst ist. In Mailandwurde Augustin 385 die Belehrung des Ambrosius zuteil.Alle seine Bedenken gegen das Alte und Neue Testamentschwanden, als ihm der Lehrer die wichtigsten Stellen nichtbloß dem Wortsinn nach, sondern «mit Aufhebung desmystischen Schleiers aus dem Geiste» deutete. In der ge-schichtlichen Tradition der Evangelien und in der Gemein-schaft, von der diese Tradition bewahrt wird, verkörpertsich für Augustinus das, was in den Mysterien behütet wor-den ist. Er hält sich allmählich davon überzeugt, daß «ihrGesetz, das zu glauben, was sie nicht bewies, maßvoll und

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ohne Arg sei». Er kommt zu der Vorstellung: «Wer könnteso verblendet sein, zu sagen, die Kirche der Apostel verdie-net keinen Glauben, die so treu ist und von so vieler BrüderÜbereinstimmung getragen, daß diese deren Schriften sogewissenhaft den Nachkommen überlieferten, wie sie auchderen Lehrstühle bis zu den gegenwärtigen Bischöfen herabmit streng gesicherter Nachfolge erhalten hat.» Des Augu-stinus Vorstellungsart sagte ihm, daß mit dem Christus-ereignisse andere Verhältnisse für die nach dem Geistsuchende Seele eingetreten waren, als sie vorher bestandenhatten. Für ihn stand fest, daß in dem Christus Jesus das-jenige in der äußeren geschichtlichen Welt sich geoffenbarthat, was der Myste durch die Vorbereitung in den Myste-rien suchte. Einer seiner bedeutsamen Aussprüche ist: «Wasman gegenwärtig die christliche Religion nennt, bestandschon bei den Alten und fehlte nicht in den Anfängen desMenschengeschlechtes, bis Christus im Fleische erschien, vonwo an die wahre Religion, die schon vorher vorhandenwar, den Namen der christlichen erhielt.» Für eine solcheVorstellungsart waren zwei Wege möglich. Der eine ist der,welcher sich sagt, wenn die menschliche Seele diejenigenKräfte in sich ausbildet, durch welche sie zur Erkenntnisihres wahren Selbst gelangt, so wird sie, wenn sie nur weitgenug geht, auch zur Erkenntnis des Christus und allesdessen kommen, was mit ihm zusammenhängt. Dies wäreeine durch das Christusereignis bereicherte Mysterien-Erkenntnis gewesen. - Der andere Weg ist derjenige, wel-chen Augustinus wirklich eingeschlagen hat und durchwelchen er für seine Nachfolger das große Vorbild gewor-den ist. Er besteht darin, mit der Entwicklung der eigenenSeelenkräfte an einem bestimmten Punkte abzuschließen

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und die Vorstellungen, welche mit dem Christusereignis zu-sammenhängen, aus den schriftlichen Aufzeichnungen undmündlichen Überlieferungen über dasselbe zu entnehmen.Den ersten Weg wies Augustinus, als dem Stolze der Seeleentspringend, ab, der zweite entsprach für ihn der rechtenDemut. So sagt er zu denen, welche den ersten Weg gehenwollen: «Ihr könntet Frieden finden in der Wahrheit, aberdazu bedarf es der Demut, die eurem starken Nacken soschwer ankommet.» Dagegen empfand er in unbegrenzterinnerlicher Seligkeit die Tatsache, daß man seit der «Er-scheinung des Christus im Fleische» sich sagen konnte: JedeSeele kann zum Erleben des Geistigen kommen, welche insich selbst suchend so weit geht, als sie eben gehen kann,und dann, um zum Höchsten zu kommen, Vertrauen habenkann zu dem, was die schriftlichen und mündlichen Über-lieferungen der christlichen Gemeinschaft über den Christusund seine Offenbarung aussagen. Er spricht sich darüberaus: «Welche Wonne und welch dauernder Genuß des höch-sten und wahren Gutes sich nun darbietet, welche Heiter-keit, welcher Anhauch der Ewigkeit, wie soll ich das sagen?Es haben dies gesagt, soweit sich das eben sagen läßt, jenegroßen unvergleichlichen Seelen, denen wir zusprechen, daß

sie geschaut haben und noch schauen Wir erreichen einenPunkt, in dem wir erkennen, wie wahr das ist, was uns zuglauben geboten wurde, und wie gut und heilbringend wirbei unserer Mutter, der Kirche, auferzogen worden sindund welches der Nutzen jener Milch war, die der ApostelPaulus den Kleinen zum Tranke gab. ...» (Was aus der an-dern möglichen Vorstellungsart, der um das Christus-Er-eignis bereicherten Mysterien-Erkenntnis sich entwickelt:das zu betrachten liegt außerhalb des Rahmens dieser Schrift.

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Es findet sich die Darstellung davon in meinem «Umrißeiner Geheimwissenschaft».) - Während in vorchristlichenZeiten derjenige Mensch, welcher die geistigen Gründe desDaseins suchen wollte, auf den Mysterienweg gewiesenwerden mußte, konnte Augustinus auch denjenigen Seelen,welche in sich selber keinen solchen Weg gehen konnten,sagen: Kommt so weit, als sich mit euren menschlichenKräften in der Erkenntnis kommen läßt; von da ab führteuch dann das Vertrauen (der Glaube) in die höheren gei-stigen Regionen hinauf. - Es war nun nur ein Schritt weiterzu gehen und zu sagen: Es liegt in dem Wesen der mensch-lichen Seele, durch ihre eigenen Kräfte bis zu einer gewissenStufe der Erkenntnis nur kommen zu können; von da ankönne sie nur weiterkommen durch Vertrauen, durch denGlauben an die schriftliche und mündliche Überlieferung.Dieser Schritt war durch diejenige GeistesstrÖrnung getan,welche dem natürlichen Erkennen ein gewisses Gebiet zu-wies, über welches sich die Seele nicht durch sich selbsterheben kann; welche Strömung aber alles, was über diesemGebiet lag, zum Gegenstande des Glaubens machte, dersich zu stützen hat auf die schriftliche und mündliche Über-lieferung, auf das Vertrauen in ihre Träger. Der größteKirchenlehrer, Thomas von Aquino (1224-1274), hat dieseLehre in seinen Schriften auf die verschiedenste Art zumAusdrucke gebracht. Das menschliche Erkennen kann bis zudem kommen, was dem Augustinus die Selbsterkenntnisgebracht hat, bis zur Gewißheit des Göttlichen. Das Wesendieses Göttlichen und sein Verhältnis zur Welt liefert ihmdann die menschlichem Eigenerkennen nicht mehr zugäng-liche, geoffenbarte Theologie, die als Glaubensinhalt überalle Erkenntnis erhaben ist.

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Man kann diesen Gesichtspunkt förmlich in seiner Ent-stehung beobachten in der Weltanschauung des JobannesScotus Erigena, der im neunten Jahrhundert am Hofe Karlsdes Kahlen lebte und der auf die natürlichste Weise vonden ersten Zeiten des Christentums zu den Gesichtspunktendes Thomas von Aquino hinüberleitet. Seine Weltanschau-ung ist im Sinne des Neuplatonismus gehalten. Die Lehrendes Dionysius des Areopagyten hat Scotus in seinem Werkeüber die «Einteilung der Natur» weiter gebildet. Das wareine Lehre, die von dem über alles Sinnlich-Vergänglicheerhabenen Gott ausgeht und von diesem die Welt ableitet(vgl. S. 154 f.). Der Mensch ist eingeschlossen in die Ver-wandlung aller Wesen zu diesem Gotte hin, der am Endedas erreicht, was er, vom Anfange an, war. In die durchden Weltprozeß hindurchgegangene und zuletzt vollendeteGottheit fällt alles wieder zurück. Aber der Mensch muß,um dahin zu gelangen, den Weg zu dem Fleisch gewordenenLogos finden. Dieser Gedanke führt bei Erigena schon zudem andern: Was in den Schriften enthalten ist, die überdiesen Logos berichten, das führt als Glaubensinhalt zumHeil. Vernunft und Schriftautorität, Glaube und Erkennt-nis stehen nebeneinander. Eines widerspricht nicht dem an-dern; aber der Glaube muß bringen, wozu das Erkennensich nie bloß durch sich selbst erheben kann.

Was im Sinne der Mysterien der Menge vorenthaltenwerden sollte, die Erkenntnis des Ewigen, das war für dieseVorstellungsart durch die christliche Gesinnung zum Glau-bensinhalte geworden, der, seiner Natur nach, sich auf etwasdem bloßen Erkennen Unerreichbares bezog. Der vorchrist-

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liehe Myste war der Überzeugung: ihm sei die Erkenntnisdes Göttlichen und dem Volke der bildliche Glaube. DasChristentum wurde der Überzeugung: Gott hat durch seineOffenbarung die Weisheit dem Menschen geoffenbart; die-sem kommt durch seine Erkenntnis ein Abbild der gött-lichen Offenbarung zu. Die Mysterienweisheit ist eine Treib-hauspflanze, die Einzelnen, Reifen, geoffenbart wird; diechristliche Weisheit ist ein Mysterium, das als ErkenntnisKeinem, als Glaubensinhalt Allen geoffenbart wird. ImChristentum lebte der Mysterien-Gesichtspunkt fort. Aberer lebte fort in veränderter Form. Nicht der besondereEinzelne, sondern Alle sollten der Wahrheit teilhaftig wer-den. Aber es sollte so geschehen, daß man von einem ge-wissen Punkte der Erkenntnis deren Unfähigkeit erkannte,weiter zu gehen, und von da aus zum Glauben aufstieg.Das Christentum holte den Inhalt der Mysterien-Entwick-lung aus der Tempeldunkelheit in das helle Tageslicht her-vor. Die Eine gekennzeichnete Geistesrichtung innerhalbdes Christentums führte zu der Vorstellung, daß dieserInhalt in der Form des Glaubens verbleiben müsse.

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EINIGE BEMERKUNGEN

Zu S. 13: Die Worte Ingersolls werden an dieser Stelledes Buches nicht etwa bloß im Hinblicke auf solche Men-schen angeführt, welche sie in genau demselben Wortlaute alsihre Überzeugung aussprechen. Gar viele werden dies nichttun und dennoch sich über die Naturerscheinungen und denMenschen solche Vorstellungen machen, daß sie, wenn siewirklich konsequent wären, zu diesen Aussprüchen kommenmüßten. Es kommt nicht darauf an, was jemand theoretischals seine Überzeugung ausspricht, sondern darauf, ob dieseÜberzeugung wirklich aus seiner ganzen Denkungsart folgt.Es mag jemand für seine Person die obigen Worte sogarverabscheuen oder lächerlich finden: wenn er, ohne zu dengeistigen Untergründen der Naturerscheinungen aufzustei-gen, sich eine das bloß Äußerliche berücksichtigende Erklä-rung derselben bildet, so wird der andere als eine logischeFolge eine materialistische Philosophie daraus machen.

Zu S. 14: Aus den Tatsachen, welche gegenwärtig mitden Schlagworten «Kampf ums Dasein», «Allmacht derNaturzüchtung» usw. behandelt werden, spricht fürden, der richtig wahrnehmen kann, gewaltig der «Geistder Natur». Aus den Meinungen, welche sich die Wissen-schaft darüber heute bildet, nicht. In dem erstem Um-stände liegt der Grund, warum die Naturwissenschaft inimmer weiteren Kreisen gehört werden wird. Aus demzweiten Umstände aber folgt, daß die Meinungen der Wis-senschaft nicht so genommen werden dürfen, als ob sie not-wendig zu der Erkenntnis der Tatsachen hinzugehörten.Die Möglichkeit, zu dem letztern verführt zu werden, istaber in gegenwärtiger Zeit unbegrenzt groß.

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Zu S. 16: Es soll mit solchen Bemerkungen, wie die-jenige über die Quellen des Lukas usw. eine ist, nichtgeschlossen werden, daß die rein geschichtliche For-schung von dem Verfasser dieses Buches unterschätzt werde.Das ist nicht der Fall. Sie hat durchaus ihre Berechtigung,nur sollte sie nicht unduldsam sein gegen die Vorstellungs-art, welche von geistigen Gesichtspunkten ausgeht. Es wirdin diesem Buche nicht darauf Wert gelegt, bei jeder Ge-legenheit Zitate über alles Mögliche zu bringen; doch kannderjenige, welcher will, durchaus sehen, daß ein allseitiges,wirklich unbefangenes Urteilen das hier Gesagte nirgendsin Widerspruch finden wird mit dem wahrhaft historischFestgestellten. Wer allerdings nicht allseitig sein will, son-dern diese oder jene Theorie für das hält, was «man» alssicher festgestellt hat, der kann finden, daß die Behauptun-gen dieses Buches sich vom «wissenschaftlichen» Stand-punkte aus «nicht halten lassen», sondern «ohne alle objek-tive Grundlage» dastehen.

Zu S. 21: Es wird oben gesagt, daß diejenigen, derengeistige Augen geöffnet sind, in das Gebiet der geistigenWelt schauen können. Daraus möge aber nicht der Schlußgezogen werden, daß nur derjenige ein verständnisvollesUrteil über die Ergebnisse des Eingeweihten haben kann,welcher selbst die «geistigen Augen» hat. Diese gehörennur zum Forschen; wenn dann das Erforschte mitgeteiltwird, dann kann es jeder verstehen, welcher seine Vernunftund seinen unbefangenen Wahrheitssinn sprechen läßt. Undein solcher kann diese Ergebnisse auch im Leben anwendenund sich Befriedigung aus ihnen holen, ohne daß er selbstschon die «geistigen Augen» hat.

Zu S. 24: Das «Versinken im Schlamm», von dem Plato

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spricht, muß auch im Sinne dessen gedeutet werden, waseben z. S. 21 als Bemerkung hinzugefügt worden ist.

Zu S. 25 f.: Was gesagt ist über die Unmöglichkeit, dieLehren der Mysterien mitzuteilen, bezieht sich darauf, daßsie in der Form, in welcher sie der Eingeweihte erlebt, nichtdem Unvorbereiteten mitgeteilt werden können; in derForm aber, in welcher sie verstanden werden können vondem nicht Eingeweihten, wurden sie immer mitgeteilt. DieMythen gaben z. B. die alte Form, um den Inhalt derMysterien in allgemein verständlicher Art mitzuteilen.

Zu S. 71: Als «Mantik» ist für die alte Mystik allesdasjenige zu bezeichnen, was sich auf ein Wissen durch«Geistesaugen» bezieht; «Telestik» ist dagegen die Angabeder Wege, welche zur Einweihung führen.

Zu S. 125: «Kabiren» sind im Sinne der alten MystikWesen mit einem Bewußtsein, welches hoch über dem ge-genwärtigen menschlichen liegt. Durch die Einweihung -dies will Schelling sagen - steigt der Mensch selbst übersein gegenwärtiges Bewußtsein zu einem hoeheren hinauf.

Zu S. 137: Über die Bedeutung der Siebenzahl kannman sich aufklären aus meiner «Geheimwissenschaft».

Zu S. 138: Es können hier die Bedeutungen der apo-kalyptischen Zeichen nur ganz kurz angedeutet werden.Man könnte natürlich in alle diese Dinge viel tiefer hinein-weisen. Doch liegt dies nicht in dem Rahmen dieses Buches.

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A N H A N G

Vorwort Rudolf Steiners zur ersten Auflage 1902(in allen weiteren Auflagen nicht mehr enthalten)

Im Brüsseler Wiertz-Museum ist ein Bild: «Die Dinge der Gegen-wart vor den Menschen der Zukunft». Der interessante Künstler(Antoine Wiertz, geb. 1806, gest. 1865) stellt einen Riesen dar,der in seiner Hand winzige Dinge hält und sie seiner Frau undseinem Kinde zeigt: unsere Kanonen, unsere Szepter, unsereEhrenzeichen und Triumphbogen und die Fahnen unserer Par-teien. - Winzig erscheinen diese «Errungenschaften unserer Kul-tur», gesehen von dem Gesichtspunkte einer zukünftigen Gedan-kenwelt und einer Zivilisation, die der unsern gegenüber eingeistiger Riese ist. - Von der eigentlichen prophetischen Ideedieses Bildes sei hier abgesehen: dem Beobachter des geistigenFortschrittes kann aber, wenn er vor dem Bilde steht, eine andereIdee aufsteigen. Könnten nicht etwa auch unsere Gegenwarts-Vorstellungen über Welt und Leben ähnlich winzig vor der Gedan-kenwelt der Zukunft erscheinen? Und welche welthistorischeSühne würde sich dann vollziehen für den Hochmut, mit demmancher unserer Zeitgenossen auf die «kindlichen» Vorstellungenblickt, die sich unsere Vorfahren über das Wesen der Welt unddes Menschen gemacht haben und die wir doch durch unsere aufdie «gewaltigen Fortschritte der Naturerkenntnis» gestützten«neuen Glaubensartikel» so sehr «überflügelt haben».

Man kann wohl zu diesem Gedanken kommen, auch wennman nicht in einer der herrschenden Kirchenlehren befangen ist,sondern in jeder Beziehung auf dem Boden der gegenwärtigenNaturerkenntnis steht. Oder vielleicht gerade dann, wenn mansolchen Standort einnimmt. - Mit tiefer Befriedigung erfüllt essicherlich, die Reihe der Lebewesen vom kleinsten bis herauf zumMenschen zu verfolgen und die Verwandtschaft alles Lebens vondem Gesichtspunkte fortschreitender Entwickelung zu betrach-ten. Viele von uns mögen mit Recht um keinen Preis Haeckels

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«Natürliche Schöpfungsgeschichte» mit irgendeiner «übernatür-lichen» vertauschen. - Und dennoch fühlen tiefer angelegte Na-turen eine schmerzliche Unbefriedigung, wenn sie auf den Gegen-satz blicken, der «zwischen dem natürlichen Leben nach darwi-nistischer Interpretation und den Anforderungen einer höherenMenschlichkeit» besteht. (Man sehe diese Unbefriedigung in einerglänzenden Darstellung durch Rosa Mayreder in einem Aufsatze«Neue Religion». Ernst Haeckel und die Welträtsel, Nr. 45 von1901 der «Wiener Klinischen Rundschau».)

Wer einen Blick unter die Oberfläche der neuzeitlichen Ge-dankenentwickelung zu werfen vermag, dem gähnt eine tiefeKluft entgegen zwischen zwei Faktoren im Leben unserer Kultur-menschheit. Der Verstand dieser Kulturmenschheit fühlt sich nurbefriedigt durch die naturgemäße Welterklärung, und das Herzhängt an den Empfindungen, die eine tausendjährige religiöseErziehung und lebendige Überlieferung in es gelegt hat. Es be-steht kein Einklang zwischen Verstand und Gemüt. «Die Wissen-schaft appelliert stets an die vernünftige Einsicht, die Religionfordert das gläubige Hinnehmen des Unbegreiflichen» (RosaMayreder im oben genannten Aufsatz). -

Man muß sich fragen: Ist ein solcher Gegensatz notwendig,oder ist er vielleicht darin begründet, daß die Kulturmenschheitder Gegenwart noch nicht dazu gelangt ist, mit ihrem Herzenwirklich als erhebend und auch beglückend zu empfinden, wasihre Vernunft als wahr anzuerkennen genötigt ist? Die Antwortauf diese Frage scheint nur die zu sein: Wir verstehen die Natur-erkenntnisse, aber wir wissen noch nicht mit ihnen zu leben.

Nein, wir leben nicht mit unseren Naturerkenntnissen. Wieviele sind doch froh, wenn ihnen jemand wie Harnack in seinem«Wesen des Christentums» (S. 12) sagt: «Wie verzweifelt stündees um die Menschheit, wenn der höhere Friede, nach dem sie ver-langt, und die Klarheit, Sicherheit und Kraft, um die sie ringt,abhängig wären von dem Maße des Wissens und der Erkenntnis.»Solche bekennen sich dann zu der «Wissenschaft» mit ihrem Ver-stande; denn sie dürfen ja die Sehnsucht ihres Herzens aus an-deren Quellen befriedigen.

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Wer nur zu sehen vermag, für den wird die Tatsache überallsichtbar, daß auch diejenigen, die fest auf dem Boden der Na-turerkenntnis stehen, nicht mit dieser zu leben wissen. Ja nicht ein-mal die Meister dieser Naturerkenntnis wissen es. Es möge beieinem so begeisterten Verehrer Ernst Haeckels, wie es der Schrei-ber dieses Buches ist, nicht mißverstanden werden, wenn er sagt:Er hört aus den Kampfesworten, die Haeckel dem Christentumentgegenschleudert (vgl. die «Welträtsel»), oft die Empfindungensprechen, die christliche Mißverständnisse in das Herz gelegthaben. Denn dürfte sonst der Verteidiger der naturgemäßen Ent-wickelung das Christentum anders denn als eine Schöpfungnaturgesetzlicher Entwickelung begreifen? Müßte er nicht wis-sen, daß wir mit einer Wahrheit leben, die zu vorhergehendenGedankenwelten sich verhalt wie auf der Stufe natürlicher Ent-wickelung der Mensch zu seinen tierischen «Vorfahren». Der«Christ» mag glauben, die einzige, alleinige Wahrheit zu besitzen;dem «naturgemäß» Denkenden steht es schlecht, steht es zu«christlich» zu Gesichte, wenn er die «Vorfahren» seiner «Wahr-heiten» nicht in ihrer berechtigten Entwickelung verfolgt, son-dern sie nur als abgetane kindliche Glaubensartikel bekämpft. -Wer die «Wahrheit» nicht nur versteht, sondern in ihr, mit ihrlebt: der sieht sie in immerwährendem Flusse, in fortschreitender,naturgesetzlicher Entwickelung, wie alle Dinge der Natur. -

Man lerne die Wahrheit, zu der sich unser Verstand bekennt,in ihrer naturgemäßen Entwickelung von ihren Vorfahren, vonihren Vor-Wahrheiten kennen, und man wird mit dem Herzendem Verstande folgen können. Der Mensch aber, der mit seinemVerstande an der Naturerkenntnis und mit seinem Herzen - ohnedaß er ahnt, wie stark - an den kirchlichen Überlieferungenhängt, gleicht einem Lebewesen, das über die Stufe des Fisches inseinem Körperbau längst hinaus ist und das doch noch im Wasserschwimmen möchte.

Das ist die Gesinnung, mit der in diesem Buche eine Seite inder Entwickelung des Christentums verfolgt ist. Keine Zeilemöchte ich geschrieben haben, die ich nicht vor einer wirklichsich selbst verstehenden Naturerkenntnis rechtfertigen könnte,

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aber auch keine, die mit der grob-materialistischen Auffassungvieler naturwissenschaftlich Denkender unserer Tage zusammen-fällt.

Im «Vorworte» darf der Verfasser wohl auch noch einige per-sönliche Bemerkungen sich erlauben, die für die Leser zunächstnichts mit seiner Gedankenwelt zu tun haben - für ihn vielleichtaber in einem ganz besonderen Sinne. Vorerst sei mein herzlich-ster Dank dem Grafen und der Gräfin Brockdorff gesagt, aufderen Aufforderung hin ich die Ideen dieses Buches im verflosse-nen Winter gleich denen meiner vorherigen Schrift «Die Mystikim Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens» als Vorträge in derBerliner theosophischen Bibliothek entwickeln durfte. Ihnen,sowie - einem tiefen Freundschaftsbedürfnis entsprechend - mei-nen lieben Wiener Freunden, Rosa Mayreder und Moritz Zitter,sei diese Schrift zugeeignet. Den letzteren, die meinem Erkennt-nisstreben viele Jahre lang so nahe stehen, möchte ich geradebeim Abschlüsse dieses Buches einen herzlichen Gruß senden.

Rudolf Steiner

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HINWEISE DES HERAUSGEBERS

Zu dieser Ausgabe

Das Buch «Das Christentum als mystische Tatsache» ist die schrift-liche Ausarbeitung einer 24 Vorträge umfassenden Vortragsreihe, dieRudolf Steiner von Oktober 1901 bis April 1902 in der Berliner Theo-sophischen Bibliothek auf Einladung von Cay Lorenz Graf von Brock-dorff und Sophie Gräfin von Brockdorff gehalten hat. Die Zeit dieserVortragstätigkeit schildert Steiner in «Mein Lebensgang» (1923-1925),GA 28, Kap. XXX, S. 392-396.

Textgrundlage: Der ersten Auflage von 1902 unter dem Titel «DasChristentum als mystische Tatsache» folgte 1910 eine zweite, neudurchgearbeitete und erweiterte Auflage mit dem erweiterten Titel«Das Christentum als mystische Tatsache und die Mysterien des Al-tertums». Die dritte und vierte Auflage im Jahre 1910 waren unverän-derte Nachdrucke der zweiten. Für die fünfte Auflage (vorgesehen für1921 im Verlag «Der Kommende Tag A.G.» Stuttgart; erschienen1925 im Philosophisch-Anthroposophischen Verlag Dornach) bear-beitete und erweiterte Rudolf Steiner den Text noch einmal. Dieseletzte von Rudolf Steiner besorgte Ausgabe liegt allen späteren Auf-lagen zugrunde.

Die siebente Auflage (1959, erste Auflage innerhalb der Gesamtaus-gabe) wurde besorgt von Ruth Moering. Der Text wurde in Ortho-graphie, Interpunktion, Abkürzungen und Zitaten vereinheitlicht.

Die achte Auflage (1976) wurde besorgt von Hans W. Zbinden undvon Caroline Wispler und Karl-Martin Dietz mit biographisch-biblio-graphischen Hinweisen und einem Namenregister versehen. Die Zita-te und Buchtitel wurden überprüft und nötigenfalls korrigiert. ImAnhang wurde das Vorwort von Rudolf Steiner zur ersten Auflageabgedruckt.

Für die neunte Auflage (1989) wurde der Text mit der letzten von

Rudolf Steiner besorgten Ausgabe (1925) und den dazugehörigen Kor-

rekturfahnen genau verglichen. Alle seit dieser Ausgabe von Heraus-

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gebern vorgenommenen Korrekturen wurden geprüft und entwederrückgängig gemacht oder, wo nötig, so belassen und in nachfolgen-dem Verzeichnis der Textkorrekturen und Textvarianten nachgewie-sen. Nicht besonders erwähnt wurden Druckfehlerkorrekturen unddie behutsamen Modernisierungen in Orthographie und Interpunk-tion sowie die geringfügigen Abweichungen bei Zitaten. Bei Zweifels-fällen wurde auf die zweite und auf die erste Auflage zurückgegriffen.Die Hinweise und das Namenregister wurden ergänzt.

David Hoffmann

Verzeichnis der Textkorrekturen des Herausgebers und der Textvarianten in denKorrekturfahnen zur 5. Aufl. 1925

Seite Zeile

15 21 f. Denken über rein Physisches, von statt Denken, über rein Physi-sches von: Sinngemäße Umstellung des Kommas durch denHerausgeber

100 22 verstanden: In der Korrekturfahne zur 5. Aufl., 1925: ersehen

101 31 vorbereitenden statt vorbereiteten: Korrektur des Herausgebersnach der 1. Aufl., 1902

106 15 Christenwesenheit: In der Korrekturfahne zur 5. Aufl., 1925:Christuswesenheit.

109 19 umschließt, in statt umschließt in: Sinngemäße Einfügung desKommas durch den Herausgeber

160 28f. wie in der Mysterienweisheit: In der Korrekturfahne zur 5. Aufl.,1925, folgt nach dieser Stelle die Einfügung: auch im Sinne derBibel:

Hinweise zum Text

Eine große Zahl der Zitate konnte nachgewiesen werden mit Hilfe des vonRudolf Steiner benutzten Werkes: Otto Willmann, «Geschichte des Idealis-mus»; insbesondere Band I «Vorgeschichte und Geschichte des antiken Idealis-mus», Braunschweig 1894, und Band II «Der Idealismus der Kirchenväter und

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der Idealismus der Scholastiker», Braunschweig 1896. Das ArbeitsexemplarRudolf Steiners ist in dessen nachgelassener Bibliothek vorhanden.

Die Zitate aus den Schriften der Vorsokratiker werden hier, soweit mög-lich, nachgewiesen nach: Hermann Diels, «Fragmente der Vorsokratiker»,herausgegeben von Walter Kranz, 3 Bde., 16./17. Aufl. 1972/1974/1987. Sie-he auch «Die Vorsokratiker», ausgewählt, übersetzt und erläutert von JaapMansfeld, 2 Bde., Stuttgart (Reclam) 1983/1986.

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9 Edouard Schure (1841-1929), französischer Schriftsteller. «Les GrandsInities, Esquisses de l'Histoire secrete des Religions», Paris 1889. Auto-risierte deutsche Übersetzung von Marie von Sivers (später MarieSteiner-von Sivers) unter dem Titel «Die großen Eingeweihten, Skizzeeiner Geheimlehre der Religionen», Leipzig 1907. (Neuauflagen im O.W. Barth Verlag München). Die Vorworte zur ersten, zweiten (1911)und dritten (1918) deutschen Auflage verfaßte Rudolf Steiner. EdouardSchure besorgte 1908 die erste Übersetzung von «Das Christentum alsmystische Tatsache» ins Französische unter dem Titel «Le mysterechretien et les mysteres antiques», womit die von Rudolf Steiner für diezweite Auflage seines Werkes (1910) vorgenommene Titelerweiterungzu «Das Christentum als mystische Tatsache und die Mysterien des Alter-tums» schon vorausgenommen war. Für diese französische Ausgabeverfaßte Schure aufgrund schriftlicher und mündlicher MitteilungenRudolf Steiners eine ausführliche biographisch-historische Einleitung,die, in deutscher Übersetzung, abgedruckt ist in: «Beiträge zur RudolfSteiner Gesamtausgabe», Nr. 42, Dornach, Sommer 1973, S. 3-27. Sie-he auch: Camille Schneider, «Edouard Schure, Seine Lebensbegegnungmit Rudolf Steiner und Richard Wagner», Freiburg i. Br, 1971.

10 daß die erste Auflage... auch in andere europäische Sprachen übersetzt ist:Italienische Übersetzung von Vittoria Wollisch (mit der übersetztenEinleitung von Schure) unter dem Tiel «II christianesimo quäle fattomistico», Palermo 1910. Norwegische Übersetzung von Helga Geelmu-yden unter dem Titel «Kristendommen som mystisk kjendsgjerning»,Kristiania [Oslo], o.J. [1909].

13 Robert Green Ingersoll (1833-1899), amerikanischer politischer Rednerund Schriftsteller. Das Zitat über Hamlet stammt aus Ingersolls Werk«Moderne Götterdämmerung», dt. von Wolf gang Schaumburg, Leipzigo j . , S. 34.

14 Charles Darwin (1809-1882), englischer Naturforscher. «On the Ori-gin of Species by Means of Natural Selection or the Preservation ofFavoured Races in the Struggle for Life» (1859).

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14 Ernst Haeckel (1834-1919), deutscher Naturforscher. «Anthropogenieoder Entwicklungsgeschichte des Menschen» (Zwei Teile, 1874).

Sir Charles Lyell (1797-1875), englischer Geologe; «Principles of Geo-logy» (3 Bde., 1830-33).

Zu der Auseinandersetzung Rudolf Steiners mit Darwin, Haeckel undLyell siehe in: «Methodische Grundlagen der Anthroposophie 1884-1901», GA 30, die Aufsätze «Haeckel und seine Gegner» (1899), «Char-les Lyell. Zur hundertjährigen Wiederkehr seines Geburtstages» (1897)u. a. - sowie «Mein Lebensgang», GA 28 (Register).

19 Aischylos (um 525-456 v. Chr.), der älteste der drei großen Tragödien-dichter Griechenlands. Er stammte aus dem Mysterienort Eleusis. ZurAnklage des Mysterienverrats siehe Clemens von Alexandrien, «Stro-mateis» 2, 60, 3, und Aristoteles «Nikomachische Ethik», 3. Buch, 2.Kap., 1111 a 10.

23 Menippus von Gadara (um 280 v. Chr.), griechischer Philosoph, Kyni-ker; wo das Ereignis berichtet wird, konnte bisher nicht festgestelltwerden.

24 Aelius Aristides (129-189 n. Chr.), griechischer Rhetor.

«Ich glaubte den Gott zu berühren ...».* Aristides, Hieroi logoi, B 31.

daß in Schlamm versinkt...: Plato, «Phaidon» 69 c; siehe S. 38 dieserSchrift.

24f. Sophokles (496-406 v, Chr.), griechischer Tragödiendichter aus Athen.

«Wie hochbeglückt gelangen ...»: Sophokles, Fragment 837 (nach Pear-son), bzw. 719 (nach Dindorf).

27 Plutarch (Plutarchos von Chaironeia, um 45-125 n. Chr.), griechischerPhilosoph und Biograph.

28 nicht zweimal in derselben Welle schwimmen: Heraklit, Fragment B 91;siehe auch S. 39 dieser Schrift.

der Tod des Feuers das Entstehen der Luft: Heraklit, Fragment B 76.

32 «die größten Aufschlüsse.,.»: Plutarch, «De defectu oraculorum» (Überden Verfall der Orakel) 14; 417 b, c - Kleombrotos im Gespräch.

Marcus Tullius Cicero (106-43 v. Chr.), römischer Staatsmann, Rhetor,Philosoph und Schriftsteller.

In den Mysterien, «wenn sie erklärt...»: Cicero, «De natura deorum I»,119.

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34 Xenophanes aus Kolophon (um 580-490 v. Chr.), vorsokratischer Philo-soph und Dichter.

«Menschen, die denken ...»: Xenophanes, Fragment B 14 und 15; vgl.auch Fragment B 11 und 12.

35 «Ein Gott ist...»: Xenophanes, Fragment B 23; vgl. auch die FragmenteB 24 bis 26.

38 «Und fast scheint es ...»: Plato, «Phaidon» 69 c.

38f. Heraklit aus Ephesus (um 535-475 v. Chr.), vorsokratischer Philosoph.

ein Ausspruch über ihn: Überliefert wurde das antike Epigramm durchDiogenes Laertios (3. Jh. n. Chr.) in seinen «Leben und Meinungen be-rühmter Philosophen», IX, 16:

«Nicht schnell wende die Blätter des Herakleitischen Buches,Steil und schroff ist der Pfad, den zu erklimmes es gilt.

Finsternis herrscht und düsteres Dunkel; doch, führt ein GeweihterDich durch das Buch, so strahlt's heller als Sonnenschein dir.»

39 «Alles ist im Fluß»: Dieser Satz findet sich nicht unter den von Heraklitselbst erhaltenen Fragmenten, er galt aber schon in der Antike als einKernstück seiner Lehre. Siehe Aristoteles, «De coelo» 3,1.

«In den selben Fluß...»: Plutarch, «De E apud Delphos» (Über das E inDelphi) 18; 392 b; vgl. dazu Heraklit Fragment B 91 und B 12; sieheauch S. 28 dieser Schrift.

40 «Dasselbe ist Leben und Tod, ...»: Heraklit, Fragment B 88.

«Leben und Tod ist,..»: Heraklit, bei Diels nicht aufgenommen; in derFragmentenzählung nach Bywater Nr. 78 A.

«Wie sollen wir...»: Heraklit, nicht wörtlich, vgl. B 49 a.

«Hades und Dionysos sind dasselbe.»: Heraklit, Fragment B 15.

41 «Den Menschen ist nicht besser ...»: Heraklit, Fragment B 110 und 111.

«DasMeer ist das reinste ...»: Heraklit, Fragment B 61.

Heftige Worte gegen Homer und Hesiod: Heraklit, Fragmente B 40, 42,56, 57, 106.

«In sich zurückkehrend ...»: Heraklit, Fragment B 51; vgl. auch B 48.

42 «Unsterbliche sind sterblich, ...»: Heraklit, Fragment B 62.

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42 «Die Ewigkeit... ist ein spielendes Kind ...»: Heraklit, Fragment B 52;vgl. auch B 70 und 79.

43 Feuer der Urstqff aller Dinge: Heraklit, vgl. die Fragmente B 64 bis 66;30, 31, 67, 84 a, 90.

Philon von Alexandrien (Philo Judaeus, um 25 v. Chr. - 50 n. Chr.),jüdisch-griechischer Philosoph. Siehe auch S. 158 ff dieser Schrift.

«Esgibt Leute, ...»: Philo, «De migratione Abrahami», 89.

Er läßt den Krieg den Vater der Dinge sein: Heraklit, Fragment B 53.

44 in Harmonie wandeln: Vgl. Heraklit, Fragment B 8 und 10.

45 «Des Menschen Dämon ...»: Heraklit, Fragment B 119.

46 David Friedrich Strauß (1808-1874), evangelischer Theologe undSchriftsteller. «Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntnis.» Leipzig1872 - siehe besonders Abschnitt III, S. 176/177.

47 Empedokles aus Agrigent (um 490-430 v. Chr.), vorsokratischer Philo-soph, Staatsordner und Arzt in Sizilien und Unteritalien.

48 «Törichte sind's ...»: Empedokles, Fragment B 11, 12, 15.

«Wenn du den Leib verlassend .,.»: In dieser Form bei den Fragmentendes Empedokles nicht zu finden; siehe evtl. B 112.

In dem von Rudolf Steiner sonst oft beigezogenen Werk: VincenzKnauer, «Die Hauptprobleme der Philosophie», Wien und Leipzig1892, S. 97, werden diese Verse ohne nähere Angabe als Worte Hera-klits zitiert.

49 «Wer uneingeweiht...»: Siehe Hinweis zu S. 38.

Pindar (um 518-446 v. Chr.), griechischer Hymnendichter aus Theben.

«Selig, wer jene geschaut hat...»: Pindar über die eleusinischen Myste-rien; Fragment Nr. 121 (nach Bowra) bzw. Nr. 137 (nach Snell).

50 Pythagoras (um 580-496 v. Chr.), vorsokratischer Philosoph; eigeneschriftliche Darstellungen seiner Lehre sind nicht überliefert.

Aristoteles (384-322 v. Chr.), Philosoph, Schüler Piatons und Erzie-her Alexanders des Großen. Gründer der peripatetischen Philosophen-schule.

«Sie führten zuerst die Mathematik fort ...»: Aristoteles, Metaphysik I,985 b, 24-34

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52 Gregorius von Nissa (Gregor von Nyssa) (um 334-394 n. Chr.), Kir-chenvater, Bischof von Nyssa (Kappadokien).

«Allein etwas Kleines,...»: Gregor von Nyssa, «Große Katechese» X, 1.

54 Plato (427-347 v. Chr.), Philosoph, Schüler des Sokrates, Gründer der«Akademie» in Athen.

«Soviel kann ich über alle sagen, ...»: Plato, Siebenter Brief 341 b, d.

Ohnmacht im Gehrauch der Worte: Vgl. Plato, Siebenter Brief 343 a.

55 Für sie sprang dann Feuer aus seinen Reden.,.: Vgl. Plato, Siebenter Brief344 b.

55f. «Fürwahr, mir meinesteils war...»: Plato, «Phaidon» 58e-59a.

57 «Nämlich diejenigen ..., die sich ,..»: Plato, «Phaidon» 64a.

«Scheint dir es, daß sich ...»: Plato, «Phaidon» 64d-65a.

58 «Wie aber steht es nun ...»: Plato, «Phaidon» 65a, b.

59 «Und der kann dies wohl...»: Plato, «Phaidon» 65e-66a.

«Heißt nun nicht der Tod ...»: Plato, «Phaidon» 67d, e.

60 Wer ist tapfer?: Plato, «Phaidon» 68 C.

«von Begierden nicht fortreißen zu lassen...»: Plato, «Phaidon» 68 c; zumfolgenden vgl. «Phaidon» 69-80.

61 f. «wenn die Seele durch sich selbst,..»: Plato, «Phaidon» 79d; 80a, b; 81a.

63 «wenn das Unsterbliche ...»: Plato, «Phaidon» 106 b.

64 «Alle, die einigermaßen ...»: Plato, «Timaios» 27c, d.

«daß die Gottheit als Retter ...»: Plato, «Timaios» 48 d.

64f. «£5 haben schon viele ...»: Plato, «Timaios» 22c, d.

65 «Den Schöpfer und Vater dieses Alls...»: Plato, «Timaios» 28 c; zum fol-genden vgl. «Timaios» 32bff.

66 Und gespannt auf diesen Weltleib ist in Kreuzesform die Weltseele: RudolfSteiner führt dieses Bild häufig an. Die Darstellung Piatons im «Ti-maios», auf die er hier Bezug nimmt, ist Bestandteil eines komplexen,stufenweise entwickelten Dialogs über die Entstehung der Welt (Kap.8 u. 9; 34 b-37 c). Der von Rudolf Steiner hier angeführte Wortlautfindet sich darin nicht in dieser Formulierung.

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Ein anderer Beleg für dieses Bild ist eine Stelle in der Schrift des Wie-ner Philosophen und Geistlichen Vincenz Knauer: «Die Hauptproble-me der Philosophie in ihrer Entwickelung und ihrer theilweisen Lösungvon Thaies bis Robert Hamerling», Wien und Leipzig 1892. RudolfSteiner hat in seinem erhalten gebliebenen Exemplar dieses Buches fol-gende Stelle auf S. 96 kräftig angestrichen: «Der Mythus berichtet hier-über im <Timäos>, Gott habe diese Weltseele in Kreuzesform durch dasUniversum gelegt und darüber den Weltenleib ausgespannt.» Auffallen-derweise ist es hier der «Mythus», der das im Timaios berichtet.

Weder Piatons «Timaios», auf den sich Rudolf Steiner im Text be-zieht, noch Vincenz Knauers «Hauptprobleme der Philosophie», wo erdie entsprechende Stelle kräftig angestrichen hatte, scheinen allerdingsQuellen für das hier angeführte Bild zu sein. Vielmehr hat wohl RudolfSteiner bei diesen Philosophen eine (etwas modifizierte) Spur des vonihm selbständig gefundenen Bildes entdeckt, was denn auch die Abwei-chung gegenüber den Darstellungen bei Plato und Knauer erklärenwürde. Diese Methode, seine geistigen Erkenntnisse durch historischeÜberlieferungen zu veranschaulichen und zu belegen, beschreibt er inseiner Autobiographie «Mein Lebensgang» (Kap. XXVI):

«An meiner Stellung zum Christentum wird voll anschaulich, wieich in der Geisteswissenschaft gar nichts auf dem Wege gesucht und ge-funden habe, den manche Menschen mir zuschreiben. Die stellen dieSache so hin, als ob ich aus alten Überlieferungen die Geist-Erkenntniszusammengestellt hätte. Gnostische und andere Lehren hätte ich verar-beitet- Was im Christentum als mystische Tatsache> an Geist-Erkennt-nis gewonnen ist, das ist aus der Geistwelt selbst unmittelbar herausge-holt. Erst um Zuhörern beim Vortrag, Lesern des Buches den Einklangdes geistig Erschauten mit den historischen Überlieferungen zu zeigen,nahm ich diese vor und fügte sie dem Inhalte ein. Aber nichts, was indiesen Dokumenten steht, habe ich diesem Inhalte eingefügt, wenn iches nicht erst im Geiste vor mir gehabt habe.»

Das Grab des Göttlichen...: In dieser Allgemeinheit ist der Satz bei Platonicht zu finden; mehrfach jedoch in der Form, daß der menschlicheLeib das Grab der Seele sei. - Siehe Hinweis zu S. 124.

67 Philo,... der wiedererstandene Plato: Konnte in der Form nicht nachge-wiesen werden. Siehe aber O. Willmann, «Geschichte des Idealismus» I,Braunschweig 1894, S. 601.

«Sohn Gottes»... die aus dem Menschen geborene Weisheit: Siehe dazu OttoWillmann, «Geschichte des Idealismus» I, S. 616: Philons Logoslehre.

Das Buch, in dem «aller Weltbestand...»: Philo, «Legum allegoriarum» I,19. (Alle Philo-Zitate nach Willmann).

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67 «die Wege des Vaters nachahmend ...»: Philo, «De confusione lingua-rum» 63.

«Da Gott der erste und einzige König...»: Philo, «De posteritate Caini»101/102.

68 «Ich scheue mich nicht...»: Philo, «De migratione Abrahami» 34, 35.

« Wenn der Geist, von der Liehe ergriffen .. .*; Philo, «Quod a Deo mit-tantur somnia» II, 232.

69 «Wer Gott umgehen will, ...»: Philo, «Legum allegoriarum» III, 29.

Hippolytos (3. Jh. n. Chr.; gest. wahrscheinlich 235), griechischer Kir-chenvater.

«Das ist das große Geheimnis ...»: Hippolytos, «Refutatio omnium hae-resium» V, 8.

70 ergreift Sokrates das Wort: Vgl. zum folgenden Plato, «Symposion» (DasGastmahl) 198 a ff.

75 Sallustius (eig. Sallustios) (4. Jh. n. Chr.) griechischer Philosoph, Neu-platonlker, nicht zu verwechseln mit dem bekannteren römischen Hi-storiker Gaius Sallustius Crispus (um 86-34 v. Chr.).

«Man könnte die ganze Welt...»: Sallustius, «De Diis et mundo» III, 3 f.

77 Plotin (um 204-270 n. Chr.), griechischer Philosoph in Rom, systema-tischer Begründer und Hauptvertreter des Neuplatonismus.

«Die ägyptischen Weisen ...»: Plotin, V. Enneade 8, 6.

Mythos von Boreas: Plato, «Phaidros» 229 b.

78 «Derartige Deutungen ...»; Plato, «Phaidros» 229d-230a.

79 Da wird die Seele dargestellt...: Plato, «Phaidros» 246äff.

80 ein Gleichnis, das dem Buddha zugeschrieben wird: Wurde bisher nichtgefunden.

82 «Sie selbst bleiben die selben, ...»: Empedokles, Fragment B 26.

«Hier zum klaren Beweise ...»: Empedokles, Fragment B 20.

83 Gleiches nur durch Gleiches ...: Empedokles, Fragment B 109.

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83 «War nicht das Auge sonnenhaft...»: In dieser Form in Goethes «ZurFarbenlehre», Didaktischer Teil, Entwurf einer Farbenlehre, Einlei-tung, in: Naturwissenschaftliche Schriften, herausgegeben und kom-mentiert von Rudolf Steiner in Kürschners «Deutsche National-Litteratur», (1884-97), 5 Bände, Nachdruck Dornach 1975, GA BibL-Nr. la-e; Bd. 3, GA Bibl.-Nr. lc, S. 88. In leicht veränderter Formfindet sich dieser Spruch auch in «Zahme Xenien» III.

83 Liebe ist Aphrodite. ... Sie binden und Lösen ...: Vgl. Empedokles, Frag-mente B 86/87 und B 17 und 35.

90 Homer (8. Jh. v. Chr.), der älteste griechische Epiker.

91 «Sage mir, Muse, vom Manne...»: Homer, «Odyssee» I, Vers 1-5. (Über-setzung von J. H. Voß).

94 Karl Bötticher (1806-1889), Archäologe in Berlin.

97 «Wenn du vom Leibe befreit...»: Siehe Hinweis zu S. 48.

Richard Lepsius (1810-1884), Hauptbegründer der systematischenÄgyptologie, Berlin.

«das größte zusammenhängende Literaturwerk ...»: R. Lepsius, «Das To-tenbuch der alten Ägypter», Leipzig 1848, Vorwort S. 17. Eine Samm-lung der verschiedenen Stücke bietet: Das Totenbuch der Ägypter,übersetzt und kommentiert von Gregoire Kolpaktchy, München 1955.Vollständige deutsche Übersetzung mit Einleitung und Erläuterungenvon Erik Hornung, erschienen im Artemis Verlag, Zürich 1979.

98 «Der Osiris N ward geläutert...» und «Ich bin der Osiris N....»: Ägypti-sches Totenbuch, Kapitel 125; Papyrus NU.

102 Rudolf Seydel (1835-1892), Philosoph und Theologe in Leipzig.«Buddha und Christus», Breslau 1884. Die hier zitierten Stellenüber das Leben Buddhas finden sich auf S. 8-14.

Im Lukas-Evangelium heißt es: Luk. 1, 27 f u. 31 f.

105 «Und es begab sich nach diesen Reden ...»: Luk. 9, 28.

108 «Was von Anfang an geschehen ist...»: 1. Joh. 1,1 u. 3.

Aurelius Augustinus (354-430 n. Chr.), der bedeutendste der lateini-schen Kirchenväter.

«Ich würde dem Evangelium nicht glauben...»: Augustinus, «Contraepistulam Manichaei quam vocant fundamenti», 6.

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109 «Heute ist Christus geboren...»: Weihnachtsantiphon; siehe: BreviariumRomanum, vor Ende des Weihnachtsteils, In nativitate Domini. Über-schrift: Ad Magnificat Antiphona:

Hodie Christus natus est, hodie Salvator apparuit,Hodie in Terra canunt Angeli, laetantur Archangeli,Hodie exultant iusti, dicentes: Gloria in excelsis Deo, alleluia.

111 Adolf von Harnack (1851-1930), evangelischer Theologe, Berlin.

«bequem auf eine Quartseite ...»: Harnack, «Das Wesen des Christen-tums», 16 Vorlesungen, Berlin 1900; 4. Aufl. Leipzig 1901, S. 13.

Otto Schmiedely «Die Hauptprobleme der Leben-Jesu-Forschung», Tü-bingen und Leipzig 1902. Siehe dazu auch den Vortrag Rudolf Steiners«Von Jesus zu Christus», Karlsruhe, 4. Oktober 1911, GA Bibl.-Nr.131, S. 9-35.

«Gemessen mit dem Maßstabe ...»: Harnack, a.a.O. S. 15.

116 Plato einen attisch redenden Moses ...: Siehe O. Willmann, «Geschichtedes Idealismus» I, S. 589 u. II, S. 153.

116f. «O Greis, was hast du getan?...»: Sohar II, 110 b. Siehe auch Hinweis zuS. 150.

117 Und von vier Rabbinen ...: Talmud, Hagigah, Kap. II, 14 b.

«Selig sind, die da glauben ...»; Johannes 20, 29.

118 «Der Menschensohn ist gekommen ,..»: Lukas 19,10.

«es ist nicht hier oder dort, ...»: Lukas 17,20 und 21.

«Freuet euch nicht...»: Luk. 10,20.

119 Das Lazaruswunder: Siehe zu diesem Kapitel Johannes 11.

120 Emest Renan (1823-1892), französischer Religionswissenschaftler undphilosophischer Schriftsteller. «La vie de Jesus», Paris 1863.

120-122 Die Zitate von Renan entstammen dem Buch: «Das Leben Jesu»,aus dem Französischen übersetzt von Hans Helling, Reclam, Leipzigo. J., S. 261-263.

124 der Leib des Menschen ein Grab ...: Vgl. Plato, «Gorgias» 493 a; «Kraty-los» 400c; «Phaidon» 62b.

125 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775-1854), mit Fichte und HegelHauptvertreter des deutschen Idealismus.

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125 «Die Eingeweihte wurde...»: Die angeführte Stelle konnte in Schellings«Philosophie der Offenbarung» nicht gefunden werden, dagegen inSchellings «Über die Gottheiten von Samothrake», Eine Abhandlung,vorgelesen am 12. Oktober 1815, Stuttgart und Tübingen 1815, S. 40.Auch: Friedrich Wilhelm Joseph von Schellings Sämmtliche Werke,Erste Abteilung, Achter Band, Stuttgart und Augsburg 1861, S. 368.

Ädesius (4. Jh. n. Chr.), neuplatonischer Philosoph.

«Wenn du einst...»: Nach der Überlieferung hat Adesius diese Wortezu Julian Apostata gesprochen; siehe Joseph Bidez, «Julian der Abtrün-nige», übersetzt von Hermann Rinn, München 1940, S. 80 (Bidez zi-tiert diese Episode aus: Eunapii vitae sophistiarum).

129 Jacob Burckhardt (1818-1897), Kunst- und Kulturhistoriker, Basel.

Die Mysterien seien Dinge,,...; J. Burckhardt, «Die Zeit Constantins desGroßen», Gesamtausgabe, Zweiter Band, hrsg. von Felix Stähelin, Basel1929, S. 163.

131 «Die Offenbarung ...»: Off. 1,1.

«Ich war im Geiste ,..»: Off. 1,10f.

132 «Schreibe dem Engel...»: Off. 2, 1-7.

135 «Und aus seinem Munde ,..»: Off. 1,16.

«und ich war tot...»: Off. 1,18.

135f. «Danach schaute ich ...»: Off. 4,1.

136 «Undsogleich ward...»: Off- 4,3f.

136f. «Und inmitten des Thrones ...»: Off. 4,6-8.

«Siehe, es hat überwunden ,.,»: Off. 5,5.

Aischylos ungesühnt ...." Siehe S. 19 der vorliegenden Schrift und denHinweis dazu.

137 Als Siegel bezeichnet die mystische Weisheit des Philo ...: Philo, «De legi-bus specialibus» I, 47

138 «Ein Maß Weizen ...»: Off. 6,6.

139 «Und es ward ein Hagel...»: Off. 8,7.

141 «Und ihre Leichname ...»: Off. 11,8.

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143 «Selig sind ...»: Joh. 20,29.

144 «Und er spricht zu mir ...»: Off. 22,10.

146 Essäer: Vgl. dazu Rudolf Steiner, «Das Matthäus-Evangelium», GA 131,und «Aus der Akasha-Forschung. Das Fünfte Evangelium», GA 148.

147 Philo von Alexandrien (siehe Hinweis zu S. 43), «De vita contemplativa»(Über das beschauliche Leben); die Schrift behandelt das Leben der inÄgypten wohnenden «Therapeuten».

«Die Wobnungen der Gemeindemitglieder..,»: Philo, «De vita contem-plativa» 24 f.

«Sie besitzen auch Werke ...»: ebenda, 29.

«Die Auslegung der heiligen Schriften ...»: ebenda, 78.

150 Buch Sohar («Glanz»): Hauptwerk der Kabbala in Form eines Kom-mentars zur Genesis.

«Nichts geht in der Welt verloren ...»: Buch Sohar II, 110 b. Die Antwortder Zuhörenden ist: «O Greis, was hast du getan ...» - siehe S. 116 die-ser Schrift.

152 Klemens von Alexandrien (um 150-217 n. Chr.), griechischer Philo-soph und Kirchenlehrer der alexandrinischen Katechetenschule.

«Gott hat uns nicht versagt...»: Klemens von Alexandrien, «Stromata»,Buchl, 1-13,1 und 13,5

154 Dionysios Areopagtta: Ein Mitglied des athenischen Areopags, der vonPaulus zum Christentum bekehrt wurde (Apostelgeschichte 17,34).Um 500 erschienen in Syrien unter seinem Namen die christlich-neu-platonischen Schriften: «Von der himmlischen Hierarchie» und «Vonder kirchlichen Hierarchie».

157 mein Buch: «Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebensund ihr Verhältnis zur modernen Weltanschauung» (1901), GA 7.

159 «Wir sehen alle Dinge ...»: Augustinus, «Confessiones» XIII, 38 (nichtwörtlich).

160 «die Wege des Vaters nachahmend ...»: Philo, «De confusione Hngua-rum» 63; siehe S. 67 dieser Schrift.

«Im Urbeginne schuf Gott,..»: 1. Mose 1 u. 2.

«Urglanz, der unzählige Strahlen ...»: Philo, «De Cherubim et flammeogladio» I, 97.

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160 «Als nun aber der Vater ...»: Plato, «Timaios» 37c, d.

«Und Gott sah;, ...»: 1. Mose 1,31.

wie bei Plato, wie in der Mysterienweisheit: In einer Korrekturfahne zur5. Auflage (1925) fügte Rudolf Steiner zu dieser Stelle noch die Wortehinzu: «auch im Sinne der Bibel». Aus nicht bekannten Gründen wurdediese Ergänzung aber nicht in den gedruckten Text von 1925 aufge-nommen.

162 «Oftmals, wenn ich ...»: Plotin, 4. Enneade 8,1.

163 «was mag denn der Grund sein ...»: Plotin, 5. Enneade 1,1.

«Befriedet sei ihr Körperleben ...»: Plotin, 5. Enneade 1,2.

«Was von Anfang an ...»; 1. Joh. 1,1 u. 3.

164 Gott hat den Weltleib in Kreuzesform ...: Siehe S. 66 dieser Schrift undden Hinweis dazu.

166 Origenes (um 185-253/54 n. Chr.), Kirchenlehrer, Schüler und Nach-folger von Klemens in der Alexandrinischen Katechetenschule; seineLehre führte zu heftigen Auseinandersetzungen unter den folgendenKirchenlehrern.

Gregor von Nazianz (330-390 n. Chr.), Kirchenlehrer und Redner ausKappadokien; zeitweilig Patriarch von Konstantinopel.

Hieronymus (um 347-420 n. Chr.), Kirchenvater, lebte als Abt inBethlehem; er schuf die erste lateinische Bibelübersetzung (Vulgata).

«Daßich mir, wenn ich Gott...»: Augustinus, «Confessiones» V, 10,19.

167 «Ich fragte die Erde, ...»: Augustinus, «Confessiones» X, 6; 9.

167/8 «Ob die Lebenskraß ...»: Augustinus, «De Trinitate» X, 14.

168 «Wir sind und erkennen ...»: Augustinus, «De civitate Dei» XI, 26.

Aurelius Ambrosius (339-397), Bischof von Mailand.

«mit Aufhebung des mystischen Schleiers...»: Augustinus, «Confessiones»VI, 4; 6.

«ihr Gesetz das zu glauben ...»: Augustinus, «Confessiones» VI, 5; 7.

169 «Wer könnte so verblendet sein ...»: Augustinus, «Contra Faustum»XXXIII, 6.

«Was man gegenwärtig ...»: Augustinus, «Retractationes» I, 13; 3-

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170 «Ihr könntet Frieden finden ...»: Augustinus, «De quantitate animae» I,23; 76.

«Welche Wonne und...»: Augustinus, «De quantitate animae» I, 23; 76.

171/176 «Geheimwissenschaft»: «Die Geheimwissenschaft im Umriß» (1910),GA 13.

171 Thomas von Aquino: Vgl. dazu Rudolf Steiner, «Die Philosophie desThomas von Aquino», Drei Vorträge in Dornach, 1920, GA 74.

177f. Haeckels «Natürliche Schöpfungsgeschichte», Gemeinverständliche wis-senschaftliche Vorträge über die Entwickelungslehre im allgemeinenund diejenige von Darwin, Goethe und Lamarck im besonderen, überdie Anwendung derselben auf den Ursprung des Menschen und anderedamit zusammenhängende Grundfragen der Naturwissenschaft, 24Vorträge, Berlin 1868; 9. umgearbeitete und vermehrte Auflage, Berlin1898.

178 Rosa Mayreder (1858-1938), Wiener Schriftstellerin und Malerin. Zuder Begegnung Rudolf Steiners mit ihr siehe: «Mein Lebensgang» (1923bis 1925), GA 28, S. 158-162.

Adolf von Harnack: Siehe Hinweis zu S. 111.

179 bei einem so begeisterten Verehrer Ernst Haeckels: Zu Rudolf SteinersHaeckel-Verehrung siehe die Aufsätze «Haeckel und seine Gegner»(1899), «Ernst Haeckel und die <Welträtsel>» (1899), «Die Kämpfe umHaeckels <Welträtsel>» (1900), wiederabgedruckt in «MethodischeGrundlagen der Anthroposophie», GA 30, und Rudolf Steiners Brief-wechsel mit Haeckel in «Briefe II», GA 39.

179 Ernst Haeckel, «Die Welträtsel». Gemeinverständliche Studien über mo-nistische Philosophie, Bonn 1899.

180 «Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens und ihr Verhält-nis zur modernen Weltanschauung» (1901), GA 7.

Moritz Zitier: Jugendfreund Rudolf Steiners aus der Wiener Zeit, starb1921. Vgl. Rudolf Steiner, «Briefe II», GA 39.

dem Grafen und der Gräfin Brockdorff: Siehe die einleitende Bemerkung«Zu dieser Ausgabe», S. 183 in diesem Band.

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NAMENREGISTER

Absyrtus 86, 87Adam 69Adesms 125Äschylus 19, 129Aetes 86Agathon 70Akiba, Rabbi 117Alkinous 92Aitmann, Max 9Ambrosius 168Ananda 104Aphrodite 83Argonauten 90Ariadne 75Aristides 24Aristophanes 70Aristoteles 50Artemis 85Asita 103Athene 72, 93Augustinus 108, 153, 159, 166-173

BÖtticher, Karl 94Brockdorff, Cay Lorenz Graf von

180Brockdorff, Sophie Gräfin von 180Buddha 80, 102-107Burckhardt, Jacob 129

Cerberos 85Charybdis 92Chiron 89Christus Jesus (s.a. Jesus von Naza-

reth) 67,102,105-107,109,124,128, 131, 133, 137, 141f., 144,146, 148f., 152-157, 164, 169f.

Cicero 32f.Circe 91 f.Clemens von Alexandrien 152, 166

Darwin, Charles 14David 102, 137Demeter 93-96Desdemona 119Dionysius Areopagita 154, 172Dionysos 19, 40f., 72f., 93, 96Diotime 71, 87

Empedokles 47f., 82f., 97Epimetheus 87f., 90Erechtheus 77Eros 70Essäer 146-149Eurystheus 85

Gäa 87Goethe, Johann Wolfgang von 47,

83Gregor von Nazianz 166Gregorius von Nissa 52

Hades 23f., 40f.Haeckel, Ernst 14, 177-179Hamlet 13, 126f.Harnack, Adolf von 111, 178Harpokrates 81Helios 65Helle 85f.Hephaistos 88Hera 72f., 94Herakles 84-86, 89-91Heraklit 28, 34, 38-45, 47, 49f., 70Hermes 88f.Herodes 103Hesiod 41Hieronymus 166Hippolytos 69Homer 41, 90, (91)Horus 81, 83, 99Hydra 85

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Ingersoll, Robert Green 13, 174Isis 81, 83,99

Jakobus 105Jao 116Japetos 87Jason 86f.Jesus von Nazareth (s.a. Christus Je-

sus) 102-109, 111-113,118-124,126-129, 137, 143, 146, 148-151,154, 156, 164, 168

Johannes der Täufer 148 f.Johannes (Evangelist) 16,105f., 108,

111, 113f., 119, 121-126, 128f.,131-145, 164

Johannes Scotus Erigena 172Joseph (Ehemann Marias) 102

Kabir 125Kalypso 92Karl der Kahle 172Keleus 94f.Konstantin (Kaiser) 125, 129Kronos 87, 89, 94

Lazarus 119-130Lepsius, Richard 97Lukas (Evangelist) 16,102-104,113,

175Lyell, Charles 14

Maja 102Maria (Mutter Jesu) 102, 121Markus (Evangelist) 113 f.Martha 121Matthäus (Evangelist) 103f., 109Mayreder, Rosa 178, 180Mead, George R.S. 147, 153Medea 86f.Menippus 23Minos 75Minotaurus 75Moses 16, 116, 161Nausikaa 93

Neikos 83nemeischer Löwe 85

Odysseus 90-93Origines 166Orithya 77Orpheus 86Osiris 81, 83, 97-101, 107, 142Othello 119

Pallas Athene s. AthenePandora 88Paulus 170Penelope 93Persephone 94-96Petrus 105Pfleiderer, Edmund 39Phäaken 92Phädon 55Phaeton 65Philo von Alexandrien 43, 67f.,

112f„ 137, 147, 158-162Phrixus 85f.Pindar 49Plato 24, 38, 49, 54-73, 77-80,100,

115f., 124, 159f., 160, 164, 175Plotin 77, 162f.Plutarch 19, 27-29, 32f., 39, 125Pluto 94f.Polyphem 91Prometheus 87-90Pythagoras 50, 52, 115Pythagoreer 50f., 53

Renan, Ernest 120-122

Sallustius 75Samothraker 69Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph

125, 176Schmiedel, Otto 111Schure, Edouard 9, 96Semele 72Seydel, Rudolf 102

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Shakespeare, William (13), 126f.Simeon 103Sirenen 92Sokrates 55-63, 70f., 78, 87Solon 64, 72Sophokles 24Steiner, Marie 9Steiner, Rudolf 10, 177, 180

Werke:Die Mystik im Aufgange des neu-

zeitlichen Geisteslebens und ihrVerhältnis zur modernen Welt-anschauung (GA 7) 157, 180

Die Geheimwissenschaft im Um-riß (GA 13) 171, 176

Strauß, David Friedrich 46Szylla 92

Therapeuten 146-149Theseus 75f., 86Thomas von Aquino 171 f.Titanen 72f., 87-89Typhon(-Set) 78, 81, 83, 99, 142

Uranos 87, 89

Wiertz, Antoine 177

Xenophanes 34f.

Zeus 72f., 87-89, 92, 94f.Zitter, Moritz 180Zoroaster 23Zyklopen 91

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 8 Seite: 200

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RUDOLF STEINER GESAMTAUSGABEGliederung nach: Rudolf Steiner - Das literarische

und künstlerische Werk. Eine bibliographische Übersicht(Bibliographie-Nrn. kursiv in Klammern)

A. S C H R I F T E N/. WerkeGoethes Naturwissenschaftliche Schriften, eingeleitet und kommentiert von

R. Steiner, 5 Bände, 1884-97, Neuausgabe 1975 (la-e); separate Ausgabeder Einleitungen, 1925 (1)

Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung,1886 (2)

Wahrheit und Wissenschaft. Vorspiel einer «Philosophie der Freiheit», (1892)/5jDie Philosophie der Freiheit. Grundzüge einer modernen Weltanschauung,

1894 (4)Friedrich Nietzsche, ein Kämpfer gegen seine Zeit, 1895 (5)Goethes Weltanschauung, 1897 (6)Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens und ihr Verhältnis

zur modernen Weltanschauung, 1901 (7)Das Christentum als mystische Tatsache und die Mysterien des Altertums,

1902 (8)Theosophie. Einführung in übersinnliche Welterkenntnis und Menschenbe-

stimmung, 1904 (9)Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? 1904/05 (10)Aus der Akasha-Chronik, 1904-08 (11)Die Stufen der höheren Erkenntnis, 1905-08 (12)Die Geheimwissenschaft im Umriß, 1910 (13)Vier Mysteriendramen: Die Pforte der Einweihung - Die Prüfung der Seele -

Der Hüter der Schwelle - Der Seelen Erwachen, 1910-13 (14)Die geistige Führung des Menschen und der Menschheit, 1911 (15)Anthroposophischer Seelenkalender, 1912 (in 40)Ein Weg zur Selbsterkenntnis des Menschen, 1912 (16)Die Schwelle der geistigen Welt, 1913 (17)Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriß dargestellt, 1914 (18)Vom Menschenrätsel, 1916 (20)Von Seelenrätseln, 1917 (21)Goethes Geistesart in ihrer Offenbarung durch seinen Faust und durch das

Märchen von der Schlange und der Lilie, 1918 (22)Die Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegen-

wart und Zukunft, 1919 (23)Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus und zur Zeitlage

1915-1921 {24fJKosmologie, Religion und Philosophie, 1922 (25)Anthroposophische Leitsätze, 1924/25 (26)Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaft-

lichen Erkenntnissen, 1925. Von Dr. R. Steiner und Dr. I. Wegman (27)Mein Lebensgang, 1923-25 (28)

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:8 Seite:201

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//. Gesammelte AufsätzeAufsätze zur Dramaturgie 1889-1901 (29) - Methodische Grundlagen derAnthroposophie 1884-1901 (30) - Aufsätze zur Kultur- und Zeitgeschichte1887-1901 (31) - Aufsätze zur Literatur 1886-1902 (32) - Biographien undbiographische Skizzen 1894-1905 (33) - Aufsätze aus «Lucifer-Gnosis» 1903-1908 (34) - Philosophie und Anthroposophie 1904-1918 (35) - Aufsätze aus«Das Goetheanum» 1921-1925 (36)

III. Veröffentlichungen aus dem NachlaßBriefe - Wahrspruchworte - Bühnenbearbeitungen - Entwürfe zu den vierMysteriendramen 1910-1913 - Anthroposophie. Ein Fragment aus dem Jahre1910 - Gesammelte Skizzen und Fragmente - Aus Notizbüchern und -blät-tern - (38-47)

B. DAS VORTRAGSWERK/. Öffentliche Vorträge

Die Berliner öffentlichen Vortragsreihen, 1903/04 bis 1917/18 (51-67) - Öf-fentliche Vorträge, Vortragsreihen und Hochschulkurse an anderen OrtenEuropas 1906-1924 (68-84)

II. Vorträge vor Mitgliedern der Anthroposophischen GesellschaftVorträge und Vortragszyklen allgemein-anthroposophischen Inhalts - Chri-stologie und Evangelien-Betrachtungen - Geisteswissenschaftliche Menschen-kunde - Kosmische und menschliche Geschichte - Die geistigen Hintergrün-de der sozialen Frage - Der Mensch in seinem Zusammenhang mit dem Kos-mos - Karma-Betrachtungen - (91-244)Vorträge und Schriften zur Geschichte der anthroposophischen Bewegungund der Anthroposophischen Gesellschaft (251-263)

III. Vorträge und Kurse zu einzelnen LebensgebietenVorträge über Kunst; Allgemein-Künstlerisches - Eurythmie - Sprachgestal-tung und Dramatische Kunst - Musik - Bildende Künste - Kunstgeschichte(271-292) - Vorträge über Erziehung (293-311) - Vorträge über Medizin (312-319) - Vorträge über Naturwissenschaft (320-327) - Vorträge über das sozialeLeben und die Dreigliederung des sozialen Organismus (328-341) - Vorträgefür die Arbeiter am Goetheanumbau (347-354)

C. DAS KÜNSTLERISCHE WERK

Originalgetreue Wiedergaben von malerischen und graphischen Entwürfenund Skizzen Rudolf Steiners in Kunstmappen oder als Einzelblätter: Entwür-fe für die Malerei des Ersten Goetheanum - Schulungsskizzen für Maler -Programmbilder für Eurythmie-Aufführungen - Eurythmieformen - Ent-würfe zu den Eurythmiefiguren, u. a.

Die Bände der Rudolf Steiner Gesamtausgabesind innerhalb einzelner Gruppen einheitlich ausgestattet.

Jeder Band ist einzeln erhältlich.

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:8 Seite:202