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RUDOLF STEINER GESAMTAUSGABE

VORTRÄGE

VORTRÄGE ÜBER MEDIZIN

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RUDOLF STEINER

Anthroposophische Menschenerkenntnisund Medizin

Elf Vorträge

gehalten in verschiedenen Städten

zwischen dem 28. August 1923 und dem 29. August 1924

1994

RUDOLF STEINER VERLAGDORNACH/SCHWEIZ

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Nach vom Vortragenden nicht durchgesehenen Nachschriftenherausgegeben von der Rudolf Steiner-Nachlaßverwaltung

Die Herausgabe besorgtenDr. med. Werner Beiart und Dr. med. Hans W. Zbinden

1. Auflage in dieser ZusammenstellungGesamtausgabe Dornach 1971

2. Auflage, Gesamtausgabe Dornach 1982

3. Auflage, Gesamtausgabe Dornach 1994

Einzelausgaben und Abdrucke in Zeitschriftensiehe zu Beginn der Hinweise

Bibliographie-Nr. 319

Zeichen auf dem Umschlag nach einem Entwurf von Rudolf Steiner,Schrift von Benedikt Marzahn

Zeichnungen im Text nach Kopien der Tafelzeichnungen Rudolf Steinersin den Vortragsnachschriften, ausgeführt von Hedwig Frey

Alle Rechte bei der Rudolf Steiner-Nachlaßverwaltung, Dornach/Schweiz© 1971 by Rudolf Steiner-Nachlaß Verwaltung, Dornach/Schweiz

Printed in Germany by Greiserdruck, Rastatt

ISBN 3-7274-3190-3

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Zu den Veröffentlichungenaus dem Vortragswerk von Rudolf Steiner

Die Gesamtausgabe der Werke Rudolf Steiners (1861-1925) gliedertsich in die drei großen Abteilungen: Schriften - Vorträge - Künst-lerisches Werk (siehe die Übersicht am Schluß des Bandes).

Von den in den Jahren 1900 bis 1924 sowohl öffentlich wie fürMitglieder derTheosophischen, später Anthroposophischen Gesell-schaft zahlreichen frei gehaltenen Vorträgen und Kursen hatteRudolf Steiner ursprünglich nicht gewollt, daß sie schriftlich festge-halten würden, da sie von ihm als «mündliche, nicht zum Druckbestimmte Mitteilungen» gedacht waren. Nachdem aber zunehmendunvollständige und fehlerhafte Hörernachschriften angefertigt undverbreitet wurden, sah er sich veranlaßt, das Nachschreiben zuregeln. Mit dieser Aufgabe betraute er Marie Steiner-von Sivers. Ihroblag die Bestimmung der Stenographierenden, die Verwaltung derNachschriften und die für die Herausgabe notwendige Durchsichtder Texte. Da Rudolf Steiner aus Zeitmangel nur in ganz wenigenFällen die Nachschriften selbst korrigieren konnte, muß gegenüberallen Vortragsveröffentlichungen sein Vorbehalt berücksichtigtwerden: «Es wird eben nur hingenommen werden müssen, daßin den von mir nicht nachgesehenen Vorlagen sich Fehlerhaftesfindet.»

Über das Verhältnis der Mitgliedervorträge, welche zunächstnur als interne Manuskriptdrucke zugänglich waren, zu seinen öf-fentlichen Schriften äußert sich Rudolf Steiner in seiner Selbstbiogra-phie «Mein Lebensgang» (35. Kapitel). Der entsprechende Wortlautist am Schluß dieses Bandes wiedergegeben. Das dort Gesagte giltgleichermaßen auch für die Kurse zu einzelnen Fachgebieten, welchesich an einen begrenzten, mit den Grundlagen der Geisteswissen-schaft vertrauten Teilnehmerkreis richteten.

Nach dem Tode von Marie Steiner (1867-1948) wurde gemäßihren Richtlinien mit der Herausgabe einer Rudolf Steiner Gesamt-ausgabe begonnen. Der vorliegende Band bildet einen Bestandteildieser Gesamtausgabe. Soweit erforderlich, finden sich nähere An-gaben zu den Textunterlagen am Beginn der Hinweise.

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INHALT

RICHTLINIEN ZUM VERSTÄNDNIS FÜR DIE AUFANTHROPOSOPHISCHER GEISTESWISSENSCHAFT

AUFGEBAUTE HEILMETHODE

ERSTER VORTRAG, Penmaenmawr (England), 28. August 1923Krankheitsvorgänge als Naturprozesse. Die Gliederung der mensch-lichen Organisation in drei Grundprozesse medizinischer Anschau-ung. Migräne. Typhus abdominalis. Polarität Nerven- und Leber-zelle. Antimonprozeß. Albumisierungsprozeß. Polarität derselben.Quarzprozeß. Tuberkulose. Phosphorprozeß in der Therapie. Ver-hältnis dieser Prozesse zur Pflanzengestalt, zum menschlichen Orga-nismus. Bedeutung der Pädagogik für Gesundheit und Krankheit.Heileurythmie.

PATHOLOGIE, THERAPIE UND HEILMITTELHERSTELLUNGAUF GRUNDLAGE GEISTESWISSENSCHAFTLICHER

ERKENNTNIS

ZWEITER VORTRAG, London, 2. September 1923 34Milzfunktion. Wirkung kleinster Entitäten, Rationalisierung vonPathologie und Therapie. Die drei Grundprozesse: Nerven-Sinnes-System, rhythmisches System und Stoffwechsel-Gliedmaßensystem.Exsudative Diathese. Heufieber und seine Behandlung. Die Stoffe imPflanzenprozeß; Cichorium intybus. Gallenfunktion und Nerven-Sinnessystem. Migräne: Biodoron. Wichtigkeit des Prozesses bei Heil-mittelbereitung. Heilen durch Prozesse.

DRITTER VORTRAG, London, 3. September 1923 54Vorstellen, Fühlen, Wollen und Dreigliederung des Organismus.Einheitlichkeit der Nerven. Herztätigkeit und Zirkulation als Folgeder Säftebewegung. Stoffwechsel als Willensakt. Äußere und innereAbscheidung. Auf- und Abbauprozesse und Vorstellungsleben. Ge-hirnbildung und Kieselsäureprozeß. Rhythmus der polaren Prozesse.Typhus - Antimon. Karzinom - Mistel. Heileurythmie. Therapie ausmenschenerkennender Pathologie.

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ANTHROPOSOPHISCHE GEISTESWISSENSCHAFT UNDMEDIZINISCHE ERKENNTNIS

VIERTER VORTRAG, Wien, 2. Oktober 1923 79Wissenschaftlicher Charakter der Anthroposophie. Bewuike Ent-wickelung der Seelenkräfte. Exakte Erkenntnis der übersinnlichenWesensglieder. Bedeutung der Kenntnis derselben für die medi-zinische Anschauung.

ANTHROPOSOPHISCHE MENSCHENERKENNTNISUND MEDIZIN

FÜNFTER VORTRAG, Den Haag, 15. November 1923 85Prinzipielles zur medizinischen Arbeit. Studien über Milzfunktionund zur Wirksamkeit kleinster Entitäten. Neue Erkenntnismethodendurch Entwickelung von Seelenfähigkeiten. Erkenntnis von phy-sischem, ätherischem, astralischem Leib und Ich. Zusammenwirkender vier Glieder. Diagnose und Heilung. Außermenschliche und in-nermenschliche Prozesse. Catarrhus aestivus. Einswerden von Patho-logie und Therapie. Cichorium intybus. Anlsum.

SECHSTER VORTRAG, Den Haag, 16. November 1923 . . . . 109Dreigliederung des menschlichen Organismus. Kiesel- und Phosphor-prozeß im Auge, polar: Bleiprozeß. Denken. Sklerose und derenTherapie. Milch, Honig, Zucker. Silberprozeß und Formung, Phos-phor formauslöschend. Kalk - Ausatmung, Phosphor - Einatmung,Beziehung zum Schlaf. Migräne, Typhus, Karzinom und deren Be-handlung. Heileurythmie, Kunsteurythmie und Sprache.

Fragenbeantwortung zum Vortrag vom 16. November 1923 . . 134

WAS KANN DIE HEILKUNSTDURCH EINE GEISTESWISSENSCHAFTLICHE

BETRACHTUNG GEWINNEN?

SIEBENTER VORTRAG, Arnheim, 17. Juli 1924 142Anthroposophische Betrachtungsweise für Pädagogik und Medi-zin. Entwickelung von Denken, Fühlen, Wollen. Meditation. Denk-übungen. Erkraften der Erinnerung. Selbsterkenntnis. Naturgesetz-lichkeit, kosmische Gesetze. Umgestaltung des Fühlens, Erkraftungdes Denkens. Liebe als Erkenntniskraft. Unsterblichkeit und Unge-borenheit. Auf- und abbauende Strömungen. Gleichgewichtszustandzwischen denselben. Auf- und Abbauvorgänge in der Natur als Heil-prozesse. Verbindung von Erkenntnis und Heilkunde. Heilstätteneben Erkenntnisstätte.

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ACHTER VORTRAG, Arnheim, 21. Juli 1924 162Physischer Leib und Ätherleib aufbauend, Astralleib und Ich ab-bauend. Verhalten des menschlichen Organismus zu den drei Natur-reichen. Dreigliederung. Polarität. Differenzierung des Kieselsäure-prozesses im Innern. Atmung, Kohlensäure und Stoffwechsel, Kie-selsäure und Sinnessystem. Diagnose und Therapie: Equisetum ar-vense, Cichorium intybus. Typhus. Karzinom. Heilen als durch-schaubare Kunst.

NEUNTER VORTRAG, Arnheim, 24. Juli 1924 182Die vier höheren Glieder. Wachen und Schlafen. Bleiwirkung aufAstralleib und Ich. Sklerose. Silber und Verdauungsprozeß. Eisen-prozeß. Graue und weiße Hirnsubstanz. Ich und Hirn. Migräne.Mensch und Umwelt. Auf- und abbauende Kräfte, Jahreszeitenim Pflanzenprozeß. Karzinom: Erdewerden; Mistel: Erde nicht be-rühren. Catarrhus aestivus. Geistige Entwickelung und Krankheit.Mut des Heilens.

DIE KUNST DES HEILENS VOM GESICHTSPUNKTEDER GEISTESWISSENSCHAFT

ZEHNTER VORTRAG, London, 28. August 1924 205Möglichkeit der Erkenntnis von Gesundheit und Krankheit. Schu-lung der Seele zur Erkenntnis des Übersinnlichen. Ätherleib: weg-strebendes Element; physischer Leib der Gravitation unterliegend.Astralleib, Empfindung. Aufbau und Abbau. Denken, Fühlen, Wol-len beim Tier vermischt, beim Menschen gesondert: Ich. Ich-Organi-sation und Hirnbau. Die Relation der vier Wesensglieder. Verhält-nis der Quarzbildung und der Kohlensäure zum Geiste. Ich und SiO2,Astralleib und CO2. Prädominieren des Ätherleibes bei Ca., Prä-dominieren des Astralleibes bei Basedow.

ELFTER VORTRAG, London, 29. August 1924 226Verhältnis der Naturgeistigkeit zur Geistigkeit des menschlichenOrganismus. Mineralisches — Ich; Pflanzliches — Astralleib; Tie-risches - Ätherleib. Karzinom und Mistel. Basedow und Kupfer-glanz. Studium der Zustände von Wachen und Schlafen führt zumVerständnis von Bleiwirkung und Sklerose. Heilmittelherstellungmit Berücksichtigung der spirituellen Kräfte. Unsterblichkeit undUngeborenheit, Kinderkrankheiten, Rachitis, Phosphorbehandlung.Alte Mysterien-Medizin und moderne Initiationswissenschaft.

H i n w e i s e : Zu d iese r A u s g a b e / N a m e n r e g i s t e r 248R u d o l f Ste iner ü b e r d ie V o r t r a g s n a c h s c h r i f t e n 253Ü b e r s i c h t ü b e r die R u d o l f S te iner G e s a m t a u s g a b e . . . . 255

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ERSTER VORTRAG

Penmaenmawr (England), 28. August 1923

Da gewünscht worden ist, daß ich über die aus der anthroposophischenWeltanschauung herausgewachsenen therapeutischen Prinzipien an ei-nem unserer Abende spreche, so komme ich diesem Wunsche sehr gerneentgegen, allein es ist schwierig, gerade über diesen Gegenstand kurzzu sprechen. Es ist schwierig, weil der Gegenstand ein außerordent-lich ausgebreiteter ist und man in einem ganz kurzen Vortrag, derdoch nur aphoristisch sein kann, kaum eine richtige Vorstellung vondem hervorrufen kann, auf das es ankommt, und weil auf der ande-ren Seite zum Beispiel gewisse Betrachtungen, die dabei angestellt wer-den müssen, etwas für das allgemeine Menschenbewußtsein abgelegensind. Dennoch will ich versuchen, die Dinge, auf die es ankommt,so allgemeinverständlich als es möglich ist, am heutigen Abende dar-zulegen.

Daß sich innerhalb der anthroposophischen Bewegung auch einemedizinische Strömung befindet, das rührt ganz gewiß nicht davonher, daß wir als Anthroposophen überall dabei sein wollen und über-all gewissermaßen unsere Nase hineinstecken möchten. Das ist ganzgewiß nicht der Fall. Aber während die anthroposophische Bewegungihren Weg durch die Welt zu machen suchte, fanden sich zu dieser Be-wegung auch Ärzte hinzu, ernst strebende Ärzte, und eine große, ver-hältnismäßig große Anzahl solcher Ärzte war zu einem mehr oderweniger klaren Bewußtsein gekommen, wie schwankend eigentlichdie Anschauungen der heute offiziell geltenden Medizin sind, wie fürdas eigentliche Verständnis der Krankheitsprozesse und ihrer Heilungvielfach die Grundlagen fehlen.

Diese Grundlagen fehlen der offiziellen Wissenschaft aus demGrunde, weil dasjenige, was heute Geltung, wissenschaftliche Geltunghaben will, sich eigentlich nur auf die heute allgemein gebräuchlicheNaturwissenschaft stützen will. Und diese Naturwissenschaft wieder-um, sie glaubt nur sicher mit demjenigen zu gehen, was sie auf mecha-nische, physikalische oder chemische Weise in der äußeren Natur fest-

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stellen kann. Und sie wendet dann dasjenige, was sie durch Physik,Chemie über äußere Naturvorgänge findet, auch da an, wo sie zumVerständnis des Menschen kommen will. Aber wenn auch im Men-schen eine Art Konzentration, mikrokosmischer Konzentration allerWeltenprozesse enthalten ist, so sind doch die äußeren physischen undchemischen Prozesse im menschlichen Organismus selber niemals inder Form vorhanden, in der sie draußen in der Natur vor sich gehen.Der Mensch nimmt die Stoffe der Erde in sich auf, die ja nicht bloßpassive Stoffe sind, sondern die eigentlich immer erfüllt sind von Na-turprozessen, von Natur Vorgängen. Ein Stoff sieht nur äußerlich soaus, als ob er etwas in sich Ruhendes wäre. In Wirklichkeit webt undlebt ja alles in dem Stoffe. Und so nimmt der Mensch auch diejenigenVorgänge, dieses Weben und Leben, wie es sich chemisch und physischabspielt in der Natur, in seinen Organismus auf, aber er verwandeltes also gleich in seinem Organismus, er macht es in seinem Organismuszu etwas anderem.

Dieses andere, was aus den Naturprozessen im menschlichen Orga-nismus wird, das kann man nur verstehen, wenn man zu einer wirk-lichen, wahren Menschenbeobachtung kommt. Aber die heutige Natur-wissenschaft schließt eigentlich, indem sie sich einzig und allein aufdas Physische, Chemische stützen will, dasjenige von ihrem Gebieteaus, was sich im Menschen als eigentlich Menschliches, auch zum Bei-spiel im physischen Körper des Menschen als eigentlich Menschlichesabspielt. Denn im physischen Körper des Menschen spielt sich nie-mals etwas ab, was nicht zu gleicher Zeit unter dem Einflüsse derätherischen Vorgänge, der astralischen Vorgänge, der Ich-Vorgängeliegt. Aber indem die Naturwissenschaft ganz und gar absieht vondiesen Ich-Vorgängen, diesen astralischen Prozessen, diesem ätheri-schen Leben und Weben, kommt sie eigentlich gar nicht an den Men-schen heran. Daher kann diese Naturwissenschaft nicht eigentlich soin das menschliche Innere hineinschauen, daß ihr klar werden könnte,wie die äußeren chemischen und physischen Prozesse im Menschendann weiter wirken, wie sie im gesunden Menschen weiter wirken,und wie sie im kranken Menschen weiter wirken.

Wie soll man denn aber die Wirkung eines Heilmittels in der rich-

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tigen Art beurteilen, wenn man sich nicht ein Verständnis dafür ver-schaffen kann, wie irgendein Naturding, das wir in den Organismuseinführen, oder mit dem wir den Organismus behandeln, im mensch-lichen Organismus weiter wirkt.

Und so kann man sagen: Der denkbar größte Fortschritt auf me-dizinischem Gebiete in der neueren Zeit ist eigentlich nur gemachtworden auf dem Gebiete der Chirurgie, wo es sich um äußere, manmöchte sagen, mechanische Handhabungen handelt.

Dagegen herrscht auf dem Gebiete - nicht nach meinem Urteil,sondern eben gerade nach dem Urteil derjenigen Ärzte, die sich dasalles zum Bewußtsein gebracht haben - der eigentlichen Therapie einegroße Verwirrung, weil man den Zusammenhang zwischen irgend-einem Naturding und der Wirkung auf die Krankheit nicht durch-schauen kann, wenn man durch die besondere Ansicht, die man überdie Naturwissenschaft hat, eigentlich den Menschen selber ausschließtvon der wissenschaftlichen Betrachtung.

Indem nun die Anthroposophie gerade darauf ausgeht, den Men-schen in seinem innersten Wesen kennenzulernen, sowohl insofern erein übersinnliches wie insofern er ein sinnliches Wesen ist, kann auchaus der Anthroposophie heraus eine Erkenntnis geschöpft werden überdie Behandlung des Menschen mit diesen oder jenen Naturmitteln imKrankheitsfalle.

Im Grunde steht man heute schon vor einer gewissen Erkenntnis-grenze in der Medizin, wenn man nur nach dem eigentlichen Wesender Krankheit fragt. Was ist die Krankheit? Aus den heutigen wissen-schaftlichen Erkenntnissen läßt sich diese Frage: Was ist die Krank-heit? - gar nicht beantworten. Denn, was ist nach diesen naturwissen-schaftlichen Anschauungen die Summe all der Vorgänge, die im ge-sunden Menschen sich abspielen? Vom Kopf, vom äußersten Kopf-ende bis zum letzten Zehenende am Fuße sind das die Naturprozesse.Aber was sind denn die Prozesse, die sich während der Krankheit ab-spielen in der Leber, in der Niere, im Kopf, im Herzen, wo immer, wassind denn das für Prozesse? Naturprozesse sind es. Alles, was gesundeProzesse sind, sind Naturprozesse; alles, was Krankheitsprozesse sind,sind ja auch Naturprozesse. Warum ist denn der Mensch unter der

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einen Sorte von Prozessen gesund und unter der anderen Sorte vonProzessen krank?

Es handelt sich gerade darum, daß man nicht im Allgemeinen her-umspricht, so nebulos herumspricht: Nun ja, die gesunden Naturpro-zesse sind normal, die kranken Naturprozesse sind nicht normal. -Da stellt wirklich «zur rechten Zeit», wenn man nichts weiß, «einWort» sich ein!

Es handelt sich darum, daß man dann, wenn man nur die allge-meine Naturwissenschaft, wie sie heute üblich ist, anwendet, an denMenschen so herangeht: am liebsten nicht an den lebenden Menschen,sondern an die Leiche; man nimmt da oder dort irgendein Stück desOrganismus und macht sich Vorstellungen darüber, was da nun fürgesunde oder kranke Naturprozesse drinnen vorgehen. Und so ist eseinem eigentlich gleichgültig, ob man irgendein Gewebe aus dem Kopfoder aus der Leber oder aus der großen Zehe nimmt oder dergleichen.Alles wird eben zuletzt zurückgeführt, ich will sagen, auf die Zelle.Es ist eigentlich nach und nach die bestausgebildete Menschenlehre dieHistologie, die Gewebelehre geworden. Nun ja, wenn man in diekleinsten Teile hineingeht und alle Kräftezusammenhänge wegläßt,dann sind, so wie in der Nacht alle Kühe grau sind, alle Organe dannim Menschen gleich. Aber man bekommt dann eben eine nächtliche«Graue-Kuh-Wissenschaft», nicht eine wirkliche Wissenschaft, die sichder Spezifität der einzelnen Organe im Menschen annimmt.

Dasjenige, was da zur Grundlage dienen muß, das habe ich eigent-lich erst vor einigen Jahren auszusprechen gewagt, obwohl es mich be-schäftigt hat seit jetzt reichlich mehr als dreißig bis fünfunddreißig Jah-ren. Aber man stellt sich gewöhnlich nur vor, daß Geisteswissenschaft soleicht zu ihren Resultaten kommt. Man braucht nur hineinzuschauenin die geistige Welt, dann bekommt man das alles heraus, während manes schwierig hat, wenn man in Laboratorien arbeiten muß, in physi-kalischen Kabinetten oder auf der Klinik; da müsse man sich Mühegeben - so denkt man nämlich -, in der Geisteswissenschaft handlees sich nur darum, daß man hineinschaue in die Welt des Geistes,dann kriege man alles heraus. So ist es eben nicht. Gerade die gewis-senhafte Geistesforschung erfordert mehr Mühe und vor allen Dingen

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mehr Verantwortung als das Hantieren in den Laboratorien oder aufder Klinik oder der Sternwarte. Und so ist es, daß zwar die ersteKonzeption dessen, was ich jetzt kurz prinzipiell andeuten will, vormir stand vor fünfunddreißig Jahren etwa, daß ich das aber erstvor einigen Jahren aussprechen konnte, nachdem alles verarbeitetworden ist und vor allen Dingen auch an der gesamten offiziellenNaturwissenschaft der Gegenwart verifiziert worden ist. Und geradeunter dem Einflüsse dieser Prinzipien über die Gliederung des Men-schen ist dasjenige entstanden, von dem ich eben erzählte, diesetherapeutische Strömung innerhalb unserer anthroposophischen Be-wegung.

Wir müssen im Menschen einfach, wenn wir ihn auch als physischenMenschen vor uns haben, durchaus drei voneinander verschiedeneGlieder unterscheiden. Diese drei verschiedenen Glieder kann man inder verschiedensten Art benennen. Aber man kommt am besten an sieheran, wenn man sie so charakterisiert, daß man sagt: Der Menschhat als das eine System seines auch physischen Wesens das Nerven-Sinnessystem, das hauptsächlich im Kopfe lokalisiert ist.

Der Mensch hat als zweites System das rhythmische System; dasumfaßt die Atmung, das umfaßt die Blutzirkulation. Es umfaßt aberauch zum Beispiel die rhythmischen Tätigkeiten der Verdauung undso weiter. Das ist das zweite System des Menschen.

Und das dritte System des Menschen ist der Zusammenhang zwi-schen dem Bewegungssystem, Gliedmaßensystem und dem eigentlichenStoffwechselsystem. Dieser Zusammenhang wird Ihnen sofort klarsein, wenn Sie daran denken, daß ja gerade durch die Bewegung derGlieder der Stoffwechsel befördert wird, und daß eigentlich nach in-nen die Gliedmaßen ganz organisch immer mit den Stoffwechselorganenzusammenhängen. Das wird Ihnen auch die Anatomie unmittelbarzeigen. Sehen Sie nur, wie die Beine nach innen sich fortsetzen in denStoffwechselorganen und ebenso die Arme sich fortsetzen nach innen.So daß wir am Menschen unterscheiden können drei Systeme: DasNerven-Sinnessystem, vorzugsweise im Kopfe lokalisiert, das rhyth-mische System, vorzugsweise in der Brust, um das Herz herum loka-lisiert, das Stoffwechsel-Gliedmaßensystem, das vorzugsweise in den

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Gliedmaßen und in den daran anhängenden Stoffwechselorganen lo-kalisiert ist.

Aber man darf sich, diese Gliederung des Menschen nicht so vor-stellen, wie - um die anthroposophische Bewegung möglichst anzu-schwärzen - einmal ein Professor tat. Der versuchte nicht einzudrin-gen in dasjenige, was damit eigentlich gemeint ist mit dieser Gliede-rung, sondern er versuchte diese Gliederung des Menschen anzuschwär-zen und sagte: Diese Anthroposophen behaupten, der Mensch bestündeaus drei Systemen, aus dem Kopf, dem Rumpf - Brust und Bauch -und aus den Gliedmaßen. - Ja, man kann natürlich auf diese Art eineSache sofort lächerlich machen.

Denn es handelt sich nicht darum, daß das Nerven-Sinnessystemnur im Kopfe ist. Es ist hauptsächlich im Kopfe, aber es dehnt sichdann über den ganzen Organismus aus, so daß der Mensch seine Kopf-organisation über den ganzen Organismus verbreitet hat. Ebenso dehntsich das rhythmische System nach oben und unten über den ganzenOrganismus aus. Der Mensch ist also wiederum räumlich ganz rhyth-misches System, ebenso ganz Stoffwechsel-Gliedmaßensystem. WennSie die Augen bewegen, sind die Augen Gliedmaßen. Also nicht neben-einander stehen diese Systeme räumlich, sondern sie sind ineinandergegliedert. Sie stecken ineinander, und man muß sich schon ein wenigan ein exaktes Denken gewöhnen, wenn man diese Gliederung desMenschen im richtigen Sinne beurteilen will.

Nun sind die beiden Systeme, das erste und das dritte, das Nerven-Sinnessystem und das Gliedmaßen-Stoffwechselsystem, einander ei-gentlich polarisch entgegengesetzt. Was das eine erzeugt, zerstört dasandere; was das andere zerstört, erzeugt das eine. Sie wirken also ganzim entgegengesetzten Sinne. Und das mittlere System, das rhythmischeSystem, stellt die Beziehung zwischen beiden her. Da wird gewisser-maßen zwischen beiden hin- und hergependelt, damit ein Einklangzwischen dem Zerstören des einen Systems und dem Aufbauen desanderen Systems immer stattfinden kann. Wenn wir zum Beispiel dasStoffwechselsystem ins Auge fassen, so wirkt das Stoffwechselsystemmit seiner größten Intensität natürlich im menschlichen Unterleibe.Aber dasjenige, was da im menschlichen Unterleibe vor sich geht, das

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muß eine polarisch entgegengesetzte Tätigkeit hervorrufen im Hauptedes Menschen, im Nerven-Sinnessystem, wenn der Mensch gesundsein soll.

Denken Sie nun, daß jene intensive Tätigkeit, die eigentlich dieTätigkeit des menschlichen Verdauungssystemes ist, sich durch eine zustarke, zu große Intensität bis nach dem Nerven-Sinnessystem aus-dehnt, so daß also diejenige Tätigkeit, die eigentlich im Stoffwechsel-system sein sollte, auf das Nerven-Sinnessystem übergreift, dann habenSie zwei, allerdings Naturprozesse meinetwillen, aber Sie sehen gleich,wie der eine Naturprozeß zum Abnormen wird. Er gehört eben nurhinein in das Stoffwechselsystem, und er bricht gewissermaßen nachoben durch in das Nerven-Sinnessystem.

Dadurch entstehen die verschiedenen Formen einer zwar von derMedizin heute etwas als Quantite negligeable behandelten Krankheit,aber, ich möchte sagen, von einem großen Teil der Menschheit wenigerso behandelten Krankheit, denn es sind überall diese verschiedenenKrankheitsformen bekannt. Dadurch entsteht dasjenige, was unterden verschiedenen Formen der Migräne bekannt ist. Und man muß,um die Migräne in ihren verschiedenen Formen zu verstehen, diesenProzeß begreifen, der eigentlich in seiner Intensität, so wie er da ist,sich im Stoffwechselsystem abspielen soll, und der nach dem Nerven-Sinnessystem hin durchbricht, so daß die Nerven und die Sinne selber sobehandelt werden, daß der Stoffwechsel in sie hineinschießt, statt daßer an seinem eigentlichen Orte bleibt.

Das Umgekehrte kann stattfinden. Der Prozeß, der am intensivstensein soll im Nerven-Sinnessystem, der ganz entgegengesetzt ist demStoffwechselprozeß, der kann wiederum in einer gewissen Weise nachdem Stoffwechselsystem durchbrechen. So daß im Stoffwechselsystem,statt daß dort nur ein ganz untergeordneter Nerven-Sinnesprozeß vorsich geht, ein gesteigerter Nerven-Sinnesprozeß sich abspielt, daß ge-wissermaßen dasjenige, was dem Kopf gehört, durchbricht und in demUnterleibe auftritt, die Kopftätigkeit also im Unterleibe auftritt. Wenndies geschieht, dann entsteht im Menschen die gefährliche Krankheitdes abdominalen Typhus.

So sieht man in der Tat dadurch, daß man diesen dreigliedrigen

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Menschen von Grund aus versteht, wie im menschlichen Organismusder Krankheitsprozeß aus dem gesunden Prozeß heraus sich entwickelt.Ware unser Kopf mit seinem Nerven-Sinnessystem nicht so organisiert,wie er organisiert ist, dann könnten wir nie einen Typhus haben. Wäreunser Unterleib nicht so organisiert, wie er ist, könnten wir niemalseine Migräne haben. Aber die Kopftätigkeit soll im Kopfe, die Unter-leibstätigkeit im Unterleibe bleiben. Brechen sie durch, so entsteheneben solche Krankheitsformen.

Und wie auf diese zwei besonders charakteristischen Krankheits-formen, so kann man auf andere Krankheitsformen hindeuten, dieimmer dadurch entstehen, daß eine gewisse Tätigkeit, die in ein ge-wisses Organsystem gehört, an einem anderen Orte, in einem anderenOrgansystem sich geltend macht.

Geht man nur anatomisch vor, so sieht man eben, wie die kleinstenTeile im Gewebe des Organismus drinnen sind. Aber man sieht diesesWirken von polarisch entgegengesetzter Tätigkeit nicht. An der Ner-venzelle können Sie nur studieren, daß sie entgegengesetzt organisiertist, sagen wir der Leberzelle. Wenn Sie ins Ganze des Organismus sohineinschauen können, daß er Ihnen eben in seiner Dreigliederung er-scheint, dann merken Sie auch, wie die Nervenzelle eine Zelle ist, diefortwährend sich auflösen will, die fortwährend abgebaut sein will,wenn sie gesund sein soll, und wie eine Leberzelle etwas ist, was fort-während aufgebaut sein will, wenn sie gesund sein soll. Das sind po-larische Tätigkeiten. Sie wirken in der richtigen Weise aufeinander,wenn sie entsprechend verteilt sind im Organismus, sie wirken in derunrichtigen Weise ineinander, wenn sie ineinander eindringen.

Das rhythmische System steht in der Mitte und will eben immerden Ausgleich schaffen zwischen den einander entgegengesetzten pola-rischen Tätigkeiten des Nerven-Sinnessystems und des Stoffwechsel-Gliedmaßensystems.

Ich möchte nun ein besonderes Beispiel herauswählen, um Sie ge-wissermaßen hineinschauen zu lassen - ich kann natürlich alles nuraphoristisch erörtern -, wie man die Beziehung des aus der Natur ge-nommenen Heilmittels mit seinen Kräften zu den im Inneren des

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Menschen wirkenden Gesundungs- und Erkrankungskräften findenkann.

Wollen wir einmal unseren Blick hinwenden auf ein ganz bestimm-tes Erz, das sich in der Natur findet, das sogenannte Antimonerz. An-timon hat, wenn man es schon äußerlich betrachtet, eine außerordent-lich interessante Eigenschaft. Es formt sich in der Natur so, daß gewis-sermaßen Spieße entstehen, stangenförmige, spießartige Gliederungen,die sich aneinanderlegen, so daß man das Antimonerz in der Naturso findet, daß man es, wenn ich es schematisch aufzeichne, etwa so

aufzeichnen könnte. Fast wie ein mineralisches Moos oder eine mine-ralische Flechte wächst das. Man sieht, daß gewissermaßen dieses Mi-neral sich fadenförmig anordnen will. Man sieht noch viel deutlicher,wie sich dieses Mineral, dieses Erz fadenförmig anordnen will, wennman es einem gewissen physikalisch-chemischen Prozeß unterwirft.Dann wird es noch dünnfaseriger. Es ordnet sich ganz dünnfaserig an.Besonders bedeutsam aber ist das, was auftritt, wenn man dieses Anti-mon einer gewissen Art von Verbrennungsprozeß unterwirft. Man be-kommt einen weißen Rauch, der sich an Wände anlegen kann und dannglänzend, spiegelartig wird.* Man nennt das den Antimonspiegel. Erwird heute wenig mehr respektiert, wurde aber in der alten Medizinaußerordentlich viel angewendet, eben aus alten Erkenntniskräftenheraus, von denen ich Ihnen in den Vormittagsvorträgen wiederholtgesprochen habe. Dieser Antimonspiegel, also das, was sich erst ausdem Verbrennungsprozeß heraus entwickelt und sich an Wänden ab-lagern kann, so daß es spiegelglänzend wird, ist eben etwas außer-ordentlich Wichtiges.

* Siehe Hinweis auf Seite 249 17

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Zu alledem gesellt sich eine andere Eigenschaft. Ich will nur dieshervorheben: Wenn man das Antimon gewissen elektrolytischen Pro-zessen unterwirft und es an die sogenannte elektrolytische Kathodebringt, so braucht man nur, nachdem man das Antimon herangebrachtund dem elektrolytischen Prozeß unterworfen hat an der Kathode,einen kleinen Einfluß auszuüben, und man bekommt eine kleine Anti-monexplosion. Kurz, dieses Antimon hat die denkbar interessantestenEigenschaften.

Wenn man in einer gewissen mäßigen Dosierung das Antimon inden menschlichen Organismus einführt, so kann man an den verschie-denen Vorgängen studieren, wie in der Tat dieselben Kräfte, die sichso verhalten, wie ich es jetzt geschildert habe am Antimon, im mensch-lichen Organismus ihre Fortsetzung erfahren, und wie sie da allerleiKräfteformen, allerlei Wirkungsformen annehmen.

Diese Wirkungsformen - ich kann natürlich die Einzelheiten, dieBelege hier nicht auseinandersetzen, will Ihnen nur dasjenige, waseben innerer Zusammenhang ist, kurz skizzieren -, diese Prozesse also,die da im menschlichen Organismus auftreten, treten zum Beispiel be-sonders stark überall da auf, wo Blut gerinnt. Also sie verstärken, siebefördern das Blutgerinnen. Aber untersucht man nun mit denjenigenMethoden, die eben auch zu der Dreigliederung des menschlichen Or-ganismus gehören, die uns allmählich in die menschliche Wesenheithineinschauen lassen und erkennen lassen, wie die einzelnen Systemein den verschiedenen Organen sich verhalten, schaut man so in denmenschlichen Organismus hinein, so findet man, daß dasjenige, wasim Antimon lebt, nicht bloß draußen im mineralischen Antimon lebt,sondern daß das tatsächlich ein Kräftezusammenhang ist, der immenschlichen Organismus selber lebt, der immer im menschlichen Or-ganismus, im gesunden Organismus vorhanden ist, und der nun imkranken menschlichen Organismus auch Formen annimmt von derArt, wie ich es Ihnen jetzt auseinandergesetzt habe.

Dieser, ich möchte sagen, im menschlichen Organismus selber vor-handene Antimonprozeß, ist einem anderen Prozeß polarisch entge-gengesetzt. Er ist entgegengesetzt dem Prozesse, der überall da auftritt,wo die plastisch tätigen Kräfte, zum Beispiel die zellenbildenden

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Kräfte auftreten, die zellenrundenden Kräfte, wo also dasjenige auf-tritt, was eigentlich die Zellsubstanz des menschlichen Organismusbildet. Ich möchte diese Kräfte, weil sie vorzugsweise zum Beispiel inder Eiweißsubstanz enthalten sind, die albuminisierenden Kräfte nen-nen. Und so haben wir im menschlichen Organismus die Kräfte, diewir draußen in der Natur, im Antimon namentlich, dann finden, wennwir das Antimon zum Beispiel der Verbrennung unterwerfen und biszum Antimonspiegel bringen. Die Kräfte, die draußen im Antimonwirken, die haben wir also im menschlichen Organismus auch wirkend.Wir haben aber auch die entgegengesetzten Kräfte wirksam, die albu-minisierenden Kräfte, welche die Antimonkräfte zum Stillstand brin-gen, wegschaffen.

Diese zwei Kräftesysteme, albuminisierende und antimonisierendeKräfte, die wirken nun einander so entgegen, daß sie im menschlichenOrganismus in einem gewissen Gleichgewicht stehen müssen. Man mußnun erkennen, daß zum Beispiel jener Prozeß, den ich Ihnen vorhinprinzipiell geschildert habe und der zugrunde liegt dem abdominalenTyphus, im wesentlichen darauf beruht, daß das Gleichgewicht zwi-schen diesen beiden Kräftesystemen gestört ist.

Um nun recht in den menschlichen Organismus hineinzuschauen,muß man dasjenige zu Hilfe nehmen können, was ich Ihnen geradevon den verschiedensten - allerdings nicht medizinischen - Gesichts-punkten aus in diesen Morgenvorträgen während dieses Kursus aus-einandergesetzt habe.

Da haben wir gesehen, wie der Mensch nicht bloß diesen physi-schen Körper hat, sondern einen ätherischen oder Bildekräftekörper,einen astralischen Körper, eine Ich-Organisation. Und gerade gesternwar ich in der Lage, Ihnen auseinanderzusetzen, wie einen innigen Zu-sammenhang der physische Körper und der Bildekräftekörper auf dereinen Seite haben, das Ich und der astralische Körper auf der anderenSeite, wie aber einen loseren Zusammenhang der astralische Leib undder Bildekräfteleib oder Ätherleib haben, denn die trennen sich jedeNacht.

Dieser Zusammenhang, der in einem Ineinanderspielen der Kräftedes astralischen Leibes und des Ätherleibes besteht, ist nun radikal

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gestört beim abdominalen Typhus. Bei diesem abdominalen Typhustritt das ein, daß der astralische Leib schwach wird, nicht in der ent-sprechenden intensiven Weise in den physischen Leib hineinwirkenkann, dadurch, weil er für sich wirkt, jenes Übergewicht hervorruft,was gewissermaßen die Nerven-Sinnesorganisation, die hauptsächlichdem Astralleibe unterliegt, hinunterdrängt. Statt daß sie sich nun ver-wandelt in der Stoffwechselorganisation, bleibt sie als solche, als astra-lische Tätigkeit vorhanden. Der Astralleib wirkt für sich. Er wirktnicht ordentlich hinein in den Ätherleib. Dadurch entstehen die Krank-heitssymptome, die eben das Symptomenbild des Typhus geben.

Nun wirkt dasjenige, was gerade im Antimon so auftritt, daß dasAntimon gewissermaßen die mineralische Natur verleugnet, kristalli-nisch spießig wird, daß sogar der Antimonspiegel,* wo er sich ablagert,wie die Schneeblumen am Fenster erscheint, also auch die innere Kri-stallisationskraft wie in der Natur aufweist, diese Kristallisations-kraft also, die im Antimon wirksam wird, wirkt, wenn wir sie nun inentsprechender Weise als Arznei verarbeiten und in den Organismuseinführen, so, daß sie diesen Organismus unterstützt, damit er seinenAstralleib mit seinen Kräften wiederum in der richtigen Weise in denÄtherleib hineinschieben, diese Leiber wieder in den richtigen Zusam-menhang bringen kann.

Wir unterstützen mit dem aus dem Antimon in der entsprechendenWeise hergestellten Heilmittel denjenigen Prozeß, der dem typhösenProzeß entgegengesetzt ist. Und dadurch kann man gerade mit demAntimonheilmittel - dem, je nachdem die Krankheit diesen oder jenenVerlauf nimmt, andere Stoffe beigemischt sein müssen, die wiederumin einer ähnlichen Beziehung zum menschlichen Organismus stehen -,man kann mit diesem Heilmittel, dem andere Stoffe beigemischt sind,gerade die Krankheit bekämpfen, indem man die Prozesse im Orga-nismus erregt und unterstützt, damit er seine eigene, ich möchte sagen,antimonisierende Kraft entfaltet, die dann dahin geht, den richtigenRhythmus im Zusammenwirken von ätherischem Leib und astrali-schem Leib hervorzurufen.

So führt die anthroposophische Betrachtung dazu, das Verhältniszu sehen zwischen dem, was draußen in der Natur, im Naturding

20 * Siehe Hinweis auf Seite 249

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wirkt, wie ich es Ihnen an dem Beispiel des Antimons gezeigt habe, unddem, was im Inneren des menschlichen Organismus wirkt. Sie könnendiese albuminisierende, also plastisch rundende, und die nach Linienwirkende Kraft bis in die Keimzelle hinein verfolgen.

Demjenigen, der wirklich Erkenntnisse auf diesem Gebiete erwor-ben hat - so unangenehm es ihm ist, es so zu sagen, weil er ja weiß,daß er den Haß und die Antipathie der entsprechenden Leute hervor-ruft - und der so hineinsieht in das Getriebe des menschlichen Organis-mus, dem kommen die wirklich sonst wunderbarsten mikroskopie-renden Untersuchungen über die Eizelle, über die Keimzelle, außer-ordentlich dilettantisch vor. Da beobachten die Leute äußerlich dieEizelle als solche, die Entstehung der sogenannten Zentrosomen - Siekönnen ja das in irgendeiner Embryologie nachlesen -, ohne zu wis-sen, wie diese albuminisierenden Kräfte, die auch den Gesamtorganis-mus beherrschen, entgegengesetzt, polarisch entgegengesetzt den anti-monisierenden Kräften wirken. Die Rundung der Eizelle als solche wirdhervorgerufen durch die albuminisierende Kraft; die Zentrosomen nachder Befruchtung werden hervorgerufen durch die antimonisierendenProzesse.

Das aber geht in dem ganzen menschlichen Leibe vor sich. Undindem man in der richtigen Weise das Heilmittel bereitet und durchdie Diagnose weiß, worinnen man den menschlichen Organismus unter-stützen muß, führt man diejenigen Kräfte diesem menschlichen Orga-nismus zu, die er braucht, um einem Krankheitsprozesse entgegenzu-arbeiten.

Indem man die anthroposophischen Gesichtspunkte in die Medizinhineinbringt, wird eigentlich eben das bewirkt, daß die wirkliche rich-tige Beziehung des Makrokosmos, der ganzen Welt zum Menschendabei ins Auge gefaßt wird. Und geradeso wie ich Sie auf das Anti-mon gewiesen habe - ich müßte natürlich über das Antimon viel sagen,wenn ich das nun im einzelnen wissenschaftlich auseinandersetzenwollte, aber ich will ja nur das Prinzipielle andeuten - und auf dieProzesse, die es aus sich hervorgehen lassen kann, die es in sich hat,wenn man es so oder so behandelt, so könnte ich Ihnen nun zum Bei-spiel auch das ganze Verhalten innerhalb der Natur und ihrer Pro-

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zesse zeigen, sagen wir für dasjenige, was man als Mineral Quarznennt, Kieselsäure, SÜicea, was dem Granit als einem seiner Bestand-teile beigemischt ist, was in seinen Vorkommen durchsichtig kristalli-siert und so hart ist, so daß man es nicht mehr mit dem Messer ritzen

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kann, eben ein Bestandteil des Granits ist. Wenn man diesen Stoff in ent-sprechender Weise behandelt, so bekommt er, wenn er dem Organis-mus beigebracht wird - in der richtigen Dosierung selbstverständlich,das muß dann die Diagnose ergeben -, die Eigenschaft, dasjenige, wasim Nerven-Sinnessystem wirken soll, was der Organismus im Nerven-Sinnessystem als die Eigenkräfte dieses Nerven-Sinnessystems auf-bringen soll, zu unterstützen. So daß man sagen kann: was eigentlichdie Sinne tun sollen, das unterstützt man, wenn man in der rechtenWeise dieses Heilmittel, das aus Silizium, aus dem Quarz bereitet ist,dem Menschen beibringt. Man muß dann, je nachdem die Nebensym-ptome sind, andere Stoffe wiederum beimischen, aber in der Haupt-sache handelt es sich hier um die Wirkung desjenigen, was im Kiesel-säurebildungsprozeß liegt. Wenn man also diesen Kieselsäurebildungs-prozeß in den menschlichen Organismus hineinbringt, so wird eine zuschwach wirkende Tätigkeit im Nerven-Sinnessystem unterstützt. Siewirkt dann In der richtigen Stärke. Nun, wenn diese Nerven-Sinnes-tatigkeit zu schwach wird, so bricht die Verdauungstätigkeit eben nachdem Kopfe durch. Die migräneartigen Zustände entstehen.

Unterstützt man nun die Sinnestätigkeit, die Nerven-Sinnestätig-keit in der richtigen Weise mit einem Heilmittel, das in rechter Artaus der Kieselsäure, aus dem Quarz, Silicea, erzeugt ist, dann wird

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das Nerven-Sinnessystem bei dem Migränekranken so stark, daß eswiederum den durchgebrochenen Verdauungsprozeß zurückdrängenkann.

Ich schildere Ihnen diese Dinge natürlich etwas grob, aber Siewerden daraus sehen, worauf es ankommt. Es kommt darauf an, dengesunden und kranken menschlichen Organismus wirklich zu durch-schauen, nicht bloß nach seiner Zellenzusammensetzung, sondern nachdem, was als Kräfte in gleichem Sinne oder polarisch oder rhythmischin diesem menschlichen Organismus wirkt, um dann dasjenige in derNatur aufzusuchen, was beim Naturwirken im menschlichen Orga-nismus diesen oder jenen krankhaften Prozeß bekämpfen kann.

So kann man zum Beispiel finden, wie derjenige Prozeß, der imPhosphor enthalten ist, in der äußeren Natur ein Prozeß ist, der, wennman ihn in den menschlichen Organismus hinüberführt, unterstützendauf eine gewisse Art inneren Unvermögens des menschlichen Organis-mus wirkt: dann nämlich, wenn der menschliche Organismus in bezugauf gewisse Kräfte, die in seinem Inneren, wenn er gesund ist, immerwirken sollen, unfähig wird, diese Kräfte in der richtigen Weise wir-ken zu lassen, wenn er zu wenig Kraft hat, um gewisse Kräfte in sichwirken zu lassen, die eigentlich eine Art organischen Verbrennungs-prozesses sind, der immer da ist bei der Umbildung der Stoffe immenschlichen Organismus. Bei jeder Bewegung, bei allem, was derMensch tut, auch bei demjenigen, was innerlich ausgeführt wird, ge-schehen ja organische Verbrennungsprozesse. Nun kann der menschlicheOrganismus zu schwach werden, um diese organischen Verbrennungs-prozesse in der richtigen Weise zu regeln. Sie müssen nämlich in einergewissen Weise gehemmt werden. Werden sie zu wenig gehemmt, dannentwickeln sie sich in vehementer Art. Die organischen Verbrennungs-prozesse haben eigentlich durch sich selbst immer eine unermeßliche,unbegrenzte Intensität, sonst würde sogleich da oder dort eine zu großeErmüdung eintreten, oder man würde überhaupt nicht weiterkön-nen, als sich bewegender Mensch. Diese organischen Verbrennungspro-zesse haben eigentlich eine, ich will sagen, unbegrenzte Intensität,und der Organismus muß fortwährend die Möglichkeit haben, sie zuhemmen.

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Wenn nun entweder in einem Organsystem oder im ganzen Orga-nismus diese hemmenden Kräfte nicht da sind, wenn der Organismuszu schwach geworden ist, um seine organischen Verbrennungsprozessein der richtigen Weise zu hemmen, dann entsteht dasjenige, was inden verschiedensten Formen die Tuberkulose ist. Es wird nur durchdie organische Ohnmacht, möchte ich sagen, durch das Nichthemmen-können der Verbrennungsprozesse der geeignete Nährboden für dieBazillen geschaffen; diese können sich dann auf diesem Nährbodenfinden.

Es soll gar nichts hier gegen die Bazillentheorie gesagt werden. DieBazillentheorie ist sehr nützlich. Aus der verschiedenen Art, wie dieBazillen da oder dort auftreten, erkennt man natürlich verschiedenes;für die Diagnose erkennt man daraus überhaupt außerordentlich viel.Es soll von mir selbst aus überhaupt nicht gegen die offizielle Medi-zin aufgetreten werden, sondern sie soll eigentlich nur da fortgesetztwerden, wo sie an gewisse Grenzen kommt. Und so fortgesetzt kannsie werden, indem eben gerade die Gesichtspunkte der Anthroposophieauf sie angewendet werden.

Führt man dem Organismus nun Phosphor zu, dann unterstütztman diese Fähigkeiten, die organischen Verbrennungsprozesse zu hem-men. Aber da muß man Rücksicht darauf nehmen, daß diese Hemmungvon den verschiedensten Organsystemen ausgehen kann. Geht sie zumBeispiel, sagen wir von dem System, das in den Knochen vorzugsweisearbeitet, aus, dann muß man die Phosphorwirkung im menschlichenOrganismus dadurch unterstützen, daß man sie gewissermaßen geradenach der Knochenseite hin spezialisiert. Das geschieht, indem man dasHeilmittel des Phosphors verbindet in irgendeiner Weise, die sich ebendann durch das genauere Studium der Sache ergibt, mit Kalzium oderKalziumsalz. Hat man es mit einer Dünndarmtuberkulose zu tun, sowird man irgendwelche Kupferverbindungen in der richtigen Dosie-rung dem Phosphor beimischen. Hat man es mit einer Lungentuber-kulose zu tun, so wird man zum Beispiel Eisen zu dem Phosphor hin-zugeben. Aber es kommen dann, da die Lungentuberkulose eine äußerstkomplizierte Erkrankung ist, unter Umständen noch andere Beimi-schungen in Betracht. So sehen Sie also, daß die Möglichkeit einer

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wirklichen Therapie darauf beruht, wie die chemischen und physika-lischen Prozesse im menschlichen Organismus sich fortsetzen, wie sieda drinnen weiterwirken.

Die offizielle Medizin geht eben vielfach von der Ansicht aus, daßso, wie die Antimonkräfte draußen im Antimon wirken, sie auch immenschlichen Organismus wirken. Das ist nicht der Fall. Man mußsich klar sein darüber, wie diese Prozesse im menschlichen Organis-mus weiter wirken. Und das kann man namentlich sehen, wenn maneben die eigentlich anthroposophischen Erkenntnisse auf die Versucheanwendet, um die es sich dabei handelt.

Haben wir beim Antimon und seinen Kräften gesehen, daß dasAntimon den Rhythmus herstellt zwischen astralischem Körper undÄtherkörper oder Bildekräftekörper, so kann man bei den Kräften,die in der Kieselsäure, im Quarz, in der Silicea wirken, sehen, daßsie besonders dazu geeignet sind, das richtige Verhältnis zwischen demIch und dem astralischen Leib, wenn es gestört wird, herzustellen, umdadurch auf das Nerven-Sinnessystem gesundend zu wirken. Wäh-rend es beim Kalk so ist - insbesondere bei dem Kalk, der von Kalk-absonderungen der Tiere verwendet wird -, daß man Heilmittel be-kommt, die das richtige Verhältnis herstellen zwischen dem Bilde-kräfteleib und dem physischen Leib.

So daß man sagen kann: Es führt einen die richtige Anschauungdes Menschen dazu, Kalk oder überhaupt Ähnliches, namentlich alsovom tierischen Organismus Abgesondertes, Austernschalen zum Bei-spiel zu verwenden, um das richtige Verhältnis herzustellen, wenn esgestört ist, was sich immer dann auch in physischen Prozessen aus-drückt, in Krankheitsprozessen. Um das richtige Verhältnis zwischendem Ätherleib und dem physischen Leib herzustellen. Darauf hat manbei solchen kalkigen oder ähnlichen Absonderungen bei der Heilmittel-bereitung zu reflektieren.

Hat man es zu tun mit einem arrhythmischen Zusammenwirken desBildekräfteleibes und des astralischen Leibes, so muß man auf solcheDinge sehen, wie sie beispielsweise im Antimon, aber noch in zahl-reichen anderen Metallen vorhanden sind, insbesondere aber auch inden Bestandteilen, die im mittleren Teile der Pflanzen enthalten sind,

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also in den Blättern und in dem Stamme namentlich stark vorhandensind, während diejenigen Kräfte, die dem Phosphorprozeß entsprechen,vorzugsweise in den Blütenorganen der Pflanzen enthalten sind, unddiejenigen Prozesse, die dem Kieselsäureprozeß entsprechen, in denWurzelorganen der Pflanzen. So daß man auch die Beziehung findenkann zwischen den Kräften, die in den verschiedenen Teilen der Pflan-zen sind. Die Wurzelkräfte haben eine entschiedene Verwandtschaftund Beziehung zum menschlichen Kopf und zum Nerven-Sinnessystem.Die Blätter und die Stammorgane haben eine besondere Beziehung zudem rhythmischen System und die Blütenorgane eine besondere Be-ziehung zum Unterleibs-, zum Stoffwechselsystem. Wenn man daheroftmals in einer einfachen Weise dem Verdauungs-, dem Stoffwechsel-system zu Hilfe kommen will, so gelingt das sehr häufig einfach da-durch, daß man, nachdem man in der richtigen Weise diagnostizierthat, bestimmte Blütenorgane wählt, die man zu Tee bereitet. Auf dieseWeise kommt man den Verdauungsorganen bei. Während man dieSalze der Wurzeln ausziehen muß durch einen besonderen Ausziehungs-prozeß, wenn man ein Heilmittel gewinnen will, das zum Beispiel aufden Nerven-Sinnesprozeß, auf die Kopforgane besonders wirkt.

Und so muß man auf der einen Seite die Natur, auf der anderenSeite den menschlichen Organismus durchschauen. Dann kann man inder Natur wirklich die Heilmittel so finden, daß man sehen kann, wiedie beiden Dinge zusammenhängen, daß man nicht bloß klinisch pro-bieren muß: Wie wirkt das? - Und dann, nicht wahr, eine Reihe vonFällen aufzeichnet, von denen neunzig Prozent oder siebzig Prozentirgendwie ein günstiges Resultat zeigen, wobei man sich außerdemin vierzig Fällen dann geirrt hat. Dann wird die Sache statistisch be-handelt, und je nachdem die Statistik das oder jenes ergibt, wird dieSache dann als Heilmittel oder nicht als ein Heilmittel betrachtet.

Ich kann diese Dinge eben wirklich nur in der Kürze aphoristischbehandeln, um Ihnen zu zeigen, wie in der Tat, ohne irgendwie ineinen Dilettantismus oder in eine ärztliche Sektiererei zu verfallen,streng wissenschaftlich vorgegangen werden kann, um den Erkran-kungsprozessen durch Heilmittel, die aus der menschlichen Anschau-ung stammen, beizukommen.

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Ebenso wie die Erkenntnis des richtigen Naturstoffes und Natur-prozesses wichtig ist, die zum Heilmittel verarbeitet werden müssen,ebenso wichtig ist dann die besondere Art der Anwendung.

Gerade dadurch, daß man entweder auf das Nerven-Sinnessystemwirken kann, um in der angedeuteten Weise von ihm aus in der rech-ten Art die Gesundung herbeizuführen, oder auf das rhythmischeSystem, oder auf das Stoffwechsel-Gliedmaßensystem, gerade dadurch,daß man auf diese einzelnen Systeme wirken muß, ist es wichtig, ist eswesentlich, auch zu wissen, wie die Behandlungsmethode nun eintretensoll. Denn fast jedes Heilmittel kann man wiederum in dreierlei Artanwenden. Entweder wird es dem Menschen durch den Mund in denMagen und so weiter eingeführt, man rechnet also bei der Art undWeise, wie der Mensch das Heilmittel aufnimmt, auf den Stoffwechseldes Menschen, auf das Stoffwechselsystem und darauf, wie das Stoff-wechselsystem dann auf die anderen Systeme wirkt. Daher hat manHeilmittel, die insbesondere in dieser Art gebraucht werden, daß siedem Menschen durch Mund und Magen eingeführt werden und soweiter.

Dann aber gibt es auch Heilmittel, die im eminentesten Sinne so ver-wendet werden müssen, daß sie schon durch ihre Verwendungsweiseauf das rhythmische System wirken. In dieser Beziehung wird Anti-mon ganz besonders dazu berufen sein, die richtige Behandlungsme-thode in bezug auf diesen Punkt zu finden. Denn da treten die Inji-zierungen, die Injektionsmethoden ein. Und das Heilmittel, das demBlute eingeimpft wird, oder in anderer Weise injiziert wird, das istdasjenige, bei dem vor allen Dingen wiederum darauf gerechnet wird,daß es auf den rhythmischen Prozeß des Menschen wirkt.

Bei denjenigen Heilmitteln, die man als Bäder und in Salben ver-wendet, oder selbst da, wo es darauf ankommt, äußerlich mechanischden menschlichen Organismus zu behandeln, sagen wir in Massage-prozessen oder dergleichen, also da, wo es sich darum handelt, in einermehr äußerlichen Weise das Heilmittel oder den Heilprozeß an denMenschen heranzubringen, da rechnet man darauf, daß die Heilme-thode auf das Nerven-Sinnessystem wirkt,

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Und so kann man wiederum durch jedes andere System in der ver-schiedensten Weise eben wieder zum Heilprozeß hinarbeiten. Nehmenwir an, wir haben Silicea, ein Quarz. Es ist etwas anderes, ob wir zumBeispiel ein Heilmittel haben, das wir zubereiten, und das durch denMund genommen werden soll, oder ob es injiziert wird. Rechnen wirdarauf, daß es durch den Mund genommen wird, so wollen wir durchdie Art und Weise, wie es im Verdauungssystem verarbeitet wird unddas Verdauungssystem wiederum die Kräfte in das Nerven-Sinnes-system schickt, also auf dem Umwege durch das Verdauungssystemdie Quarzprozesse hereinführen. Rechnen wir aber damit, daß siemehr hineingeschickt werden sollen in das Nerven-Sinnessystem, da-durch daß sie eingefügt werden dem Blutorganismus, dem Atmungs-rhythmus, wodurch wiederum auf dem Umweg durch diesen Rhyth-mus geheilt werden kann, wenn wir also dies beabsichtigen, so injizie-ren wir.

Wenn wir beabsichtigen, durch das Verdauungsorgan irgendwiearomatisch-ätherische Substanz, wie sie in der Pflanzenblüte enthaltenist, zur Wirksamkeit zu bringen, so machen wir einen Tee, den wirdurch den Mund in den Magen einführen. Wollen wir dadurch wirken,daß wir das ätherische ö l , das in aromatischer Weise auf das Nerven-Sinnessystem wirkt, direkt zur Wirksamkeit bringen oder durch dasNerven-Sinnessystem auf den rhythmischen Prozeß, dann machen wiraus den Säften dieser Blüten meinetwillen irgendein Bad, indem wirden Saft dieser Blüten dem Wasser beimischen und ein Bad daraus be-reiten. Da wirken wir auf das Nerven-Sinnessystem.

Und so sehen Sie, wie wiederum auch von den Behandlungsweisen,die man den einzelnen Stoffen in ihrem Verhältnis zum Menschen an-gedeihen läßt, eben die Heilwirkung abhängt.

Alle diese Dinge werden in einer wirklich durchsichtigen Weiseerst zum Vorschein kommen, wenn anthroposophische Erkenntnis im-mer mehr und mehr auf die Beziehung der Naturwirkungen zumMenschen angewendet wird, wenn also durch Anthroposophie her-auskommt, welche Heilmittel man anwenden soll, und wie man sieauf den Menschen anwenden soll.

Damit auf diese Weise etwas bewirkt werden kann, sind durchin

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Ärzte, die sich hinzugefunden haben zu unserer anthroposophischenBewegung, unsere Klinisch-Therapeutischen Institute mit ihren ent-sprechenden Laboratorien und sonstigen Unternehmungen gegründetworden, damit auf der einen Seite Heilmittel und Heilmethoden aus-probiert werden können, auf der anderen Seite die Heilmittel herge-stellt werden können. Solche klinischen sowohl wie chemisch-phar-mazeutischen Institute haben wir in Ariesheim bei Dornach und Stutt-gart.

Insbesondere soll hier hingewiesen werden auf das Klinisch-Thera-peutische Institut in Ariesheim, das ja unter der ausgezeichneten Lei-tung von Frau Dr. Wegman steht, die insbesondere eine segensreicheWirksamkeit für dieses Institut dadurch entfaltet, daß sie dasjenigehat, was ich den Mut des Heilens nennen möchte. Denn es gehört ge-rade, wenn man einerseits hineinblickt in die Kompliziertheit der Na-turvorgänge, aus denen die Heilungsprozesse hervorgeholt werdensollen, auf der anderen Seite in die ungeheure Kompliziertheit derGesundheits- und Krankheitsprozesse im Menschen, es gehört, wennman dieses unermeßliche Feld vor sich hat - und man hat immerdieses unermeßliche Feld vor sich, auch wenn man eben nur einebestimmte Anzahl von Patienten hat -, dann zum Heilen der Mutdes Heilens.

Angegliedert ist diesem Arlesheimer Institut ein InternationalesPharmazeutisches Laboratorium, in dem die Heilmittel hergestellt wer-den. Sie können heute in der ganzen Welt verwendet werden, wennman nur die richtigen Mittel und Wege sucht. Das Laboratorium stelltdie Mittel her; es müssen nur die Leute die Mittel und Wege zu demLaboratorium finden, darum handelt es sich. Es müssen die Leute dierichtigen Mittel und Wege finden, in welcher Weise man zu den Heil-mitteln kommt. Nicht auf dilettantische Weise wird gearbeitet, nichtverleugnet wird die heutige Wissenschaft, sondern die heutige Wissen-schaft wird nur fortgesetzt.

Wird diese Erkenntnis einmal reifen in weitesten Kreisen, dannkönnen wir um das Gelingen einer solchen Bewegung, wie es das In-ternationale Pharmazeutische Laboratorium in Ariesheim ist, wirklichganz unbesorgt sein. Aber es ist schwierig, gegenüber der heutigen rein

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materialistischen Richtung eine auf voller Menschenerkenntnis beru-hende Therapie mit ihren Heilmitteln in der Welt auch wirklich zurGeltung bringen zu können. Hier müßte man eigentlich auf die Ein-sicht jedes Menschen rechnen, dem die Gesundheit seiner Mitmenschenam Herzen liegt.

Nun, indem man so zunächst hinzuweisen hat auf dasjenige, wasdurch Naturheilmittel erreicht werden kann und ihre entsprechendeVerwendung, wird natürlich nicht ausgeschlossen, was auf dem Wege,ich möchte sagen, mehr geistig-seelischer Prozesse in der Heilung er-reicht werden kann. Auf diesem Gebiete macht man ja ganz besondersfruchtbare Beobachtungen. Wenn man nun das Hygienisch-Therapeu-tische, wie man es ja immer muß in einer richtigen Pädagogik, in dieSchule hineinzutragen hat, sieht man, wie die Art und Weise, wie manseelisch-geistig im Unterricht auf die Kinder wirkt - wenn ich pädago-gische Vorträge halte, so setze ich ja diese Dinge auseinander -, zwarvielleicht manchmal nicht sofort, aber im Verlauf des Lebensprozesses,die mannigfaltigsten gesundenden und krankmachenden Wirkungenhaben kann. Ich will nur eines erwähnen. Der Lehrer kann zum Bei-spiel mit Bezug auf das Gedächtnis des Kindes in der richtigen Weisevorgehen, indem er ihm nicht zuviel und nicht zuwenig zumutet. Gehter unrichtig vor, mutet er dem Gedächtnis zuviel zu im achten, neun-ten, zehnten, elften Lebensjahre, hat er nicht den richtigen pädago-gischen Takt nach dieser Richtung, dann wird dasjenige, was da dieSeele vollbringen muß in einer übermäßigen Erinnerungstätigkeit, ineiner künstlich gezüchteten Erinnerungstätigkeit, sich später im Le-ben ausleben als allerlei physische Erkrankungen. Man kann nachwei-sen den Zusammenhang zwischen dem Diabetes und falschen Gedächt-nismethoden im Unterricht. Während auch wiederum das Stören desGedächtnisses nach einer anderen Seite in einer ungünstigen Weisedurchaus auf das Kind wirken kann.

Ich kann das nur prinzipiell erwähnen, denn die Zeit ist ja schonso sehr vorgeschritten. Aber man sieht daraus, wie nicht nur an Ge-sundheit und Krankheit die natürlichen Heilmittel arbeiten, sondernwie die besondere Art, wie die Seele selber arbeitet, für Gesundheitund Krankheit von ganz besonderer Wichtigkeit ist.

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Und von da ausgehend kann man dann auch den Weg hinüberfin-den zu denjenigen Methoden, wo wir versuchen, durch rein geistig-seelische Einflüsse von Mensch zu Mensch, die ich heute natürlich derKürze der Zeit halber nicht im einzelnen beschreiben kann, Gesun-dungsprozesse herbeizuführen. Gerade auf diesem Gebiete kann mansich aber sehr leicht einem Dilettantismus hingeben. Man kann zumBeispiel den Glauben hegen, daß die sogenannten Geisteskrankheitenam leichtesten durch geistige Einflüsse zu heilen sind. Gerade die Gei-steskrankheiten zeichnen sich dadurch aus, daß man den Krankeneigentlich seelisch-geistig kaum beikommen kann. Das ist es ja gerade,daß bei sogenannten Geisteskrankheiten die Seele sich gegen äußereEinflüsse abschließt. Aber man wird immer finden, daß gerade bei densogenannten Geisteskrankheiten, die eigentlich ihren Namen mit Un-recht führen, physische Krankheitsprozesse irgendwo verborgen vor-liegen. Ehe man dilettantisch gerade bei Geisteskrankheiten herumhan-tieren will, soll man eigentlich den physischen Krankheitsherd, dersich manchmal sehr verbirgt, diagnostisch richtig finden, dann wirdman gerade wohltätig wirken durch entsprechende Heilung des physi-schen Organismus.

Viel eher wird es sich gerade bei physischen Krankheiten darumhandeln, daß man durch allerlei geistig-seelische Einflüsse, die heutemeist sehr dilettantisch betrieben werden - darauf will ich jetzt nichteingehen -, hilft. Gerade bei physischen Krankheiten wird in dieserBeziehung viel Segen gestiftet werden können, in mancherlei Weiseder äußere Prozeß, der durch Heilmittel herbeigeführt werden sollund dergleichen mehr, unterstützt werden können.

Ich kann das nur andeuten. Diejenigen Methoden, die auf dem Bo-den der Anthroposophie fußen, schließen ganz gewiß therapeutischeseelisch-geistige Einflüsse nicht aus, sondern ein. Das beweisen wirja dadurch, daß Sie im Klinisch-Therapeutischen Institut in Arlesheim-Dornach neben den physischen Heilmethoden die sogenannte Heil-eurythmie finden können.

Diese Heileurythmie besteht darin, daß man dasjenige, was Sie hierals Kunsteurythmie sehen, an dem bewegten Menschen, dem Menschenin seiner Gliederung, aber sich bewegend im Räume, umformt, das

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Vokalisierende so umformt, daß sich der Mensch in gesunden Bewe-gungen, die aber aus der Eurythmie herausgeholt sind, bewegt, daßman die vokalisierenden Bewegungen so anwendet, daß man geradedie Kräfte, die ich vorhin die albuminisierenden Kräfte im Menschengenannt habe, dadurch unterstützt. Während durch die konsonantisie-renden Kräfte vielfach die antimonisierenden Kräfte unterstütztwerden.

So kann man auch durch das Zusammenwirken von konsonan-tischer und vokalischer Heileurythmie das Gleichgewicht zwischendiesen beiden Kräftearten herbeiführen. Und namentlich kann es sichda zeigen, wenn die Dinge richtig, nicht dilettantisch gemacht wer-den, wie andere Heilprozesse, namentlich auch bei chronischen Erkran-kungen, ungeheuer unterstützt werden können durch diese Heileu-rythmie.

Diese Heileurythmie beruht eigentlich darauf, daß gerade seelisch-geistige Vorgänge wachgerufen werden durch dasjenige, was derMensch mit den Gliedern seines Körpers ausführt. Wenn man weiß,welche Bewegungen aus dem gesunden Menschenorganismus unmittel-bar hervorgehen wollen, dann kann man auch die entsprechenden Be-wegungen finden, die heilend wirken, wenn von den Gliedmaßen aus,von der menschlichen Bewegung aus zurückgewirkt wird auf den Pro-zeß der inneren Organe.

So gibt es gerade in dem Klinisch-Therapeutischen Institut in Aries-heim die Möglichkeit, diese Heileurythmie aufzusuchen und zu sehen,wie sie als Therapie nun ein besonderer Zweig innerhalb der ganzenHeilprozesse sein kann, die eben aus wirklicher Menschenerkenntnisheraus auf anthroposophischem Boden gefunden werden können.

Es würde natürlich zu weit gehen, gerade auf diesem Gebiete Ein-zelheiten auszuführen. Das Prinzip ist eigentlich in dem gegeben, wasich dargestellt habe.

So ist es eben gekommen, daß wir in der mannigfaltigsten Weise,weil sozusagen Heilkundige an uns herangekommen sind, diese thera-peutische Strömung innerhalb der anthroposophischen Bewegung aus-bilden mußten. Sie hat sich aus den Zeitverhältnissen heraus ergeben.Sie ist sozusagen von der gegenwärtigen Zivilisation gefordert worden.

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Anthroposophie hat ja im Grunde genommen nur die Antwort ge-geben auf Fragen, die an sie gestellt worden sind.

Ich konnte Ihnen heute wirklich nur aphoristisch die Prinzipienauseinandersetzen; mehr ist in dieser ja schon allzulang gewordenenZeit nicht möglich. Und wollte ich auch nur einiges ausführen, so daßes, ich möchte sagen, in seiner Ganzheit dastünde, dann müßte ichetwas ähnliches tun, was ich auch vorgestern bei dem eurythmischenVortrage abgelehnt habe, ich müßte Sie einladen, über Nacht dazu-bleiben und mir zuzuhören bis morgen früh, bis wir dann zu demmorgigen Vormittagsvortrag zusammenkommen. Das ist etwas Krank-machendes, und es kann doch wirklich nicht jemand, der über das Ge-sundmachen reden will, auf diese Weise die Leute krank machen! Da-her muß man sie zu gesundem Schlafe schon lieber durch kürzere Dar-stellung nach Hause schicken.

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Z W E I T E R VORTRAG

London, 2. September 1923

Natürlich muß mein erstes Wort sein, meine sehr verehrten Anwesen-den, daß ich Sie um Entschuldigung bitte, nicht in Ihrer Sprache spre-chen zu können, sondern daß ich zu Ihnen deutsch sprechen werde,was übersetzt werden muß, und daher für die verehrten Zuhörer dasAnhören etwas mühevoll wird sein müssen. Aber da ich die englischeSprache nicht in der Weise beherrsche, wie es nötig wäre zu einemVortrage, so muß das eben so verlaufen. Ich bin einigen Freunden, vorallen Dingen Mrs. Larkins, sehr dankbar dafür, daß ich im Anschlußan die geisteswissenschaftlichen Vorträge, die ich in Sommerkursen inIlkley und in Penmaenmawr habe halten dürfen, nun auch an diesenAbenden zu Ihnen über etwas sprechen darf, was in unserer geistes-wissenschaftlichen Bewegung aufgetreten ist als eine Art medizinischeBewegung, nicht etwa - das bitte ich wirklich durchaus zu berück-sichtigen - in irgendeiner Opposition gegen die offizielle Wissenschaft,gegen die offizielle Medizin, sondern durchaus in der Absicht, das-jenige, was an großen Einsichten, an großen Fortschritten in der gegen-wärtigen Wissenschaft vorhanden ist, durch geisteswissenschaftlicheAnschauung weiterzuführen. Es ist auch innerhalb der geisteswissen-schaftlichen Bewegung, die, bevor solche wissenschaftliche Strömun-gen in ihr zur Geltung gekommen sind, durchaus sich mehr mit den allge-mein menschlichen, künstlerischen, religiösen, sittlichen, pädagogischenFragen und dergleichen befaßt hat, nicht etwa so gewesen, daß dieAbsicht bestanden hat, einmal auch agitatorisch etwa auf dem medi-zinischen Gebiete aufzutreten, sondern es haben sich in diese geistes-wissenschaftliche Bewegung auf dem Kontinente auch Ärzte gefunden,Ärzte, die trotz ihrer durchaus wissenschaftlichen Überzeugung ihreSeelenbedürfnisse zunächst glaubten innerhalb dieser geisteswissen-schaftlichen Bewegung befriedigen zu können. Und dasjenige, wasihnen da als eine Art Erforschung der über die physisch-sinnliche Welthinausliegenden geistigen Welt entgegentrat, das führte sie einfach da-zu, nach und nach zu glauben, daß manche von den großen Zweifeln,

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manche von den großen Fragen, die innerhalb der medizinischen Wis-senschaft der Gegenwart sich dem praktischen Arzt ergeben, geradeauf diesem Felde befriedigende, ich will nicht sagen, sogleich Lösungen,aber befriedigende Weiterführungen finden können.

Und so ist denn eine ärztliche Bewegung auf dem Kontinente ausdieser unserer sogenannten anthroposophischen geisteswissenschaft-lichen Bewegung herausgewachsen. Ich muß sagen, daß ich eigentlichnicht gerade mit Vorliebe über diesen Teil unserer geisteswissenschaft-lichen Bewegung spreche, denn Sie werden aus dem Verlaufe der Be-schreibungen überall sehen, daß es mir vielmehr darauf ankommt,Heilmittel herzustellen, die in der Tat wirksam sind, als über dieDinge viel zu sprechen. Aber dasjenige, was sich hier geltend machenwill, ruht ja vor allen Dingen auf Grundlagen, auf die man eben erstaufmerksam machen muß, gerade den wissenschaftlich gebildeten Men-schen der Gegenwart erst durchaus aufmerksam machen muß.

Ich kann mir sehr gut denken - und ich kenne alle die Untergründe,aus denen so etwas hervorgeht-, daß sich in Ihnen wirklich Widerspruchüber Widerspruch gegen dasjenige, was ich zu sagen haben werde, gel-tend macht. Ich verstehe diese Widersprüche vollständig. Und eigent-lich kann es heute noch nicht anders sein, als daß aus der wissenschaft-lichen Überzeugung, die der Arzt hat, eben solche Widersprüche kom-men. Deshalb war es uns auch nicht zunächst darum zu tun, irgend etwastheoretisch zu vertreten, sondern sogleich mit der Praxis aufzutreten.Und so wurde denn dem Wunsche von Ärzten und auch anderen wis-senschaftlichen Physikern, Chemikern, Biologen dadurch Rechnunggetragen, daß wir wissenschaftliche Institute gründeten, wissenschaft-liche Forschungsinstitute. Dasjenige, was vor allen Dingen in Betrachtkommt, ist das chemisch-pharmazeutische Laboratorium in Ariesheim.Und damit stehen dann in Verbindung innerhalb unserer Bewegungein biologisches, ein physikalisches Institut. Daß es uns wirklich umernste Forschung zu tun ist, das wird Ihnen vielleicht daraus hervor-gehen, daß zum Beispiel gerade in unserem biologischen Institute schonganz wichtige Arbeiten gemacht worden sind, obwohl der Bestand die-ser Institute ja eigentlich nur ein sehr kurzer ist.

Es ist uns nach meiner vollen Überzeugung gelungen, in dem bio-

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logischen Institut, das unter der Leitung von Herrn Dr. Kolisko undFrau Dr. Kolisko steht, wenigstens bis zu einer großen Wahrschein-lichkeit, die Funktionen der Milz aufzuklären, und zwar in der Rich-tung, daß wir in der Milzfunktion sehen müssen eine Regulierung der-jenigen Unregelmäßigkeiten, die im rhythmischen Verdauungsprozeßentstehen dadurch, daß ja der Mensch nicht vollständig im Rhythmusessen kann. Und selbst, wenn er meinetwillen sich ganz pedantisch,exakt pedantisch die Zeiten für sein Essen einteilen würde, so würdees dennoch durch die verschiedene Wahl der Nahrungsmittel und der-gleichen eine Unterbrechung des Verdauungsrhythmus geben.

Und da stellt sich denn das Merkwürdige heraus, daß die Milz-funktion gerade darinnen besteht, die rhythmischen Störungen desmenschlichen Verdauungsprozesses, die gerade durch das Leben desMenschen eben hervorgebracht werden müssen, auszugleichen.

Dann ist es uns gelungen in den allerletzten Zeiten - in einer Ab-handlung wird das dargestellt, die eben jetzt erschienen ist -, im bio-logischen Institute wirklich den exakten Nachweis zu führen, daßkleinste Entitäten verschiedener Stoffe tatsächlich Wirkungen aus-üben.

Es soll damit nicht etwa für irgendeine Parteirichtung in der Me-dizin eingetreten werden. Gerade wenn man exakt vorgeht auf diesemGebiete, so findet man dieses, daß das eine Gebiet in der entsprechen-den Weise mit entsprechend größeren Quanten, aber das andere Ge-biet des menschlichen Organismus eben doch mit kleinsten Quantenbehandelt werden muß. Es gab bisher auf diesem Gebiete im Grundegenommen nur den homöopathischen Glauben, keine exakte Forschung.

Es scheint nun tatsächlich gelungen zu sein, auf ganz exaktemWege nachweisen zu können, daß gewisse Substanzen zum BeispielAntimonverbindungen - das geht in sehr starker Verdünnung -, inanderer Weise auf das Wachstum des Weizenkorns einwirken, als wennman mit der Verdünnung noch weitergeht; geht man dann noch wei-ter, so kommt man immer in einen rhythmischen Gang über Maximaund Minima. Wir haben alles getan, um mit voller Verantwortung aufdiesem Gebiete den Nachweis zu führen, daß Verdünnungen selbst indem Verhältnis von eins zu einer Trillion durchaus vitale Wirkungen

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haben. Wir haben Weizenkörner, die wir sehr genau ausgewählt ha-ben nach ihren Keimungsintensitäten, zum Keimen gebracht in Flüs-sigkeiten, in denen wir die entsprechend verdünnten Substanzen hatten,so daß durch die sehr gewissenhafte Art, die, wie ich glaube, bei FrauKolisko vorliegt, tatsächlich dasjenige, was bisher, ich möchte sagen,nur als ein laienhafter Glaube hat auftreten können, auf eine wissen-schaftliche Basis gestellt worden ist.

Ich führe dieses nur einleitungsweise aus dem Grunde an, damitgezeigt werden kann, wie wir durchaus nicht etwa so, wie das in laien-hafter Weise geschieht, in unwissenschaftlicher Art vorgehen wollen.Die geisteswissenschaftlichen Einsichten werden in der Tat durch eingeistiges Schauen gewonnen, über das ich Ihnen nicht näher zu spre-chen haben werde; das geschieht bei den Auseinandersetzungen, dieich eben an anderen Orten gebe. Die großen Richtlinien werden inder Tat durch geistiges Schauen gewonnen, und durch dieses geistigeSchauen glaube ich, daß es mir gelungen ist, die Möglichkeit herbei-zuführen, auch wirklich exakt den Zusammenhang der inneren Men-schenorganisation mit der Konstitution nicht nur der Natursubstan-zen, sondern vor allen Dingen der Naturprozesse in exakter Weiseformulieren zu können, so daß die tiefe Kluft, die ja heute - das müs-sen wir uns doch offen gestehen - wirklich besteht zwischen Patho-logie und Therapie, durch diese Methode überbrückt werden kann.So daß man tatsächlich in der Zukunft eine Pathologie wird habenkönnen, die von selber in die Therapie übergeht, weil durch das An-schauen sowohl des gesunden Organismus wie namentlich des krankenOrganismus, man genau wird entdecken können, wie - ich werde heutein einigen Beispielen das erläutern - nicht nur von außer dem mensch-lichen Organismus entstandenen Substanzen, sondern von außer demmenschlichen Organismus vollzogenen Prozessen, sei es von derNatur, sei es im Laboratorium vollzogenen Prozessen, innerhalb desmenschlichen Organismus heilend gewirkt werden kann. Und auf dasTherapeutische kommt es uns ja dabei vor allen Dingen an. Wir wis-sen sehr gut, daß die Pathologie heute eigentlich weiter fortgeschrittenist, als sie selber weiß. Pathologie ist heute etwas, was man in jedemihrer Punkte aufgreifen und um ein Stück weiterführen kann. Während

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in der Tat eine tiefe Kluft besteht zwischen der Einsicht, die in bezugauf die Struktur, auf die Histologie von Organen besteht, und dem-jenigen, wie nun das eigentliche Heilmittel in dem menschlichen Orga-nismus weiterwirkt. Man durchschaut heute nicht einmal den gewöhn-lichen Ernährungsprozeß vollständig, der, wie ich glaube, viel weiseraus Instinkt eingerichtet ist, als man ihn je einrichten könnte durcheine wissenschaftliche Theorie, geschweige denn, daß man durch-schaute in exakter Weise die Beziehungen, die bestehen zwischen denSubstanzen sowohl wie zwischen dem Funktionieren dieser Substan-zen innerhalb des menschlichen Organismus, und draußen sowohl inder Natur wie eben auch in denjenigen Prozessen, die im Laboratoriumvollzogen werden können.

Auf den Weg bin ich dadurch gebracht worden, daß ich glaube,daß ich in einer jetzt wirklich mehr als dreißigjährigen Forschungfeststellen konnte, daß das allerwichtigste ist, um den Menschen zudurchschauen in seiner ganzen Konstitution, die fundamentale Diffe-renz zwischen drei verschiedenen Arten des Funktionierens im mensch-lichen Organismus festzustellen. So habe ich denn unterscheiden ge-lernt im Menschen eigentlich ein dreifaches Funktionieren des Orga-nismus.

Ich habe gegliedert dieses dreifache Funktionieren - ich möchtesagen, die Dinge sind ja natürlich alle im Werden - zunächst im wei-testen Sinne in den Nerven-Sinnesprozeß. Alles dasjenige fasse ichunter diesen ersten Teil, was zusammenhängt mit dem Funktionierender Sinne im weitesten Sinne und der mit ihnen in irgendeiner Ver-bindung stehenden Nerven. Ich unterscheide nun davon alles dasjenige,was rhythmische Prozesse im menschlichen Organismus sind. Und wie-derum, als drittes, unterscheide ich von diesen beiden Prozessen das-jenige, was Stoffwechsel- und Bewegungsprozesse sind. Die Stoffwech-sel- und Bewegungsprozesse hängen ja miteinander innig zusammen;jede innere und äußere Bewegung des menschlichen Organismus ist iminnigen Kontakt mit einem Vorgang des Stoffwechsels und kann eigent-lich nur mit diesem als Funktion in Zusammenhang betrachtet werden.

Diese drei Funktionsarten im menschlichen Organismus sind funda-mental voneinander verschieden, und zwar so stark, daß dasjenige,

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was ich als die Prozesse des Nerven-Sinneslebens auffasse, sogar po-larisch entgegengesetzt ist den Prozessen, die zusammengefaßt werdenkönnen als motorische und Stoffwechselprozesse. So daß, wenn wirzum Beispiel irgendeinen Prozeß in dem Stoffwechsel haben, dieserProzeß - und zwar jeder Prozeß im Stoffwechsel - einen polarischentgegengesetzten Prozeß im Nerven-Sinnesapparat hervorruft. Dierhythmischen Vorgänge sind dann der Ausgleich zwischen beiden. Nunhandelt es sich darum, die realen Unterschiede zwischen diesen Pro-zessen zu finden.

Da möchte ich zunächst darauf hinweisen, daß eine genauere Ein-sicht in den menschlichen Organismus zeigt - ich kann diese Dingenatürlich nur skizzieren in der Kürze der Zeit -, daß, wenn wir esmit der Nerven-Sinnesorganisation zu tun haben, wir es im wesent-lichen zu tun haben mit der Wirkung des Substantiellen, der verschie-denen Stoffe im menschlichen Organismus. Also kommt irgend etwasin Betracht, was bloß innerhalb der Sinnesorganisation oder der Ner-venorganisation ist, so ist für die Betrachtung das Wesentliche, daßwir die Relation kennen zwischen irgendeiner Substanz, die wir inder Weltumgebung des Menschen haben, und demjenigen, was wieder-um substantiell in dem Verlauf des Nerven-Sinnesprozesses sich findet.

Haben wir es mit einem Stoff Wechselprozeß zu tun, der zusammen-hängt mit einem Bewegungsprozeß, so kommt vor allen Dingen inBetracht, nun nicht das Substantielle dessen, was wir in der mensch-lichen Umgebung finden, sondern die Vorgänge an dem Substantiellen,die Prozesse an dem Substantiellen. Ich möchte das von der anderenSeite beleuchten. Handelt es sich darum, daß man konstatieren kann,daß ein Krankheitsherd im Nerven-Sinnesapparat ist, so werde ichzu erforschen haben, welche Substanzen da als Heilfaktoren - wirwerden über das Genauere dann weitersprechen - in Betracht kom-men können. Handelt es sich aber darum, einen Krankheitsprozeß zurAbheilung zu bringen im Bewegungs- und Verdauungssystem, sokommt es darauf an, nachzuforschen, welcher Prozeß entweder alsNaturprozeß oder als Laboratoriumsprozeß vorliegen muß in der Ver-arbeitung von Substanzen, um die betreffenden Substanzen zu Heil-mitteln umzuformen.

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Im Speziellen gesprochen - es ist ein Fall, den ich dann weiter er-örtern werde -, nehmen wir an, wir versuchen die Heilkraft des Anti-mons. Wir werden die Heilkraft des Antimons zu unterscheiden habenin bezug auf alles dasjenige, was seinen Herd im Nerven-Sinnesappa-rat des Menschen hat. Da würde es sich uns handeln um das Substan-tielle des Antimons. Handelt es sich darum, die Heilwirkung des Anti-mons für das motorische und das im Zusammenhang damit stehendeStoffwechselsystem zu betrachten, dann wird es sich darum handeln,das Antimon solchen Prozessen zu unterwerfen, Verbrennungsprozes-sen, Oxydationsprozessen, wo das Antimon als Rauch aufgeht, undder Rauch sich als Spiegel* absetzt, und wir werden von dem richtigenAusführen dieser Prozesse den Erfolg dieses Heilmittels zu erwartenhaben. So daß wir eigentlich immer sagen können, ganz fundamental:wir sollen die Substanzen, die Heilfaktoren in der Umgebung desMenschen suchen für das Nerven-Sinnessystem. Wir sollen die Pro-zesse, die wir entweder selbst herbeiführen oder die die Natur herbei-führt, ansehen als das Heilende für die Stoffwechsel- und Bewegungs-prozesse im menschlichen Organismus. Da diese beiden Prozesse po-larisch einander entgegengesetzt sind, wirkt das Rhythmische, allesRhythmische, vor allen Dingen der Atmungsrhythmus, der Zirkula-tionsrhythmus, die Verdauungsrhythmen, die anderen Rhythmen imMenschen, Schlafens- und Wachensrhythmus im Menschen, die wirkennun vermittelnd, ausgleichend, so daß nun bei denjenigen Prozessen,die sich auf die Organe der rhythmischen Organisation des Menschenbeziehen, nun auch wieder bei der Herstellung der Heilmittel gesehenwird, auf die Wechselwirkung, die sich ergeben wird aus der Zube-reitung des wirksamen Substantiellen und der wirksamen Prozesse, dieman die Natur herbeiführen läßt oder selber herbeiführt.

Damit ist zunächst nur einiges Fundamentales erörtert. Ich möchtedann auf das Gesprochene eingehen, werde mir dann erlauben, nach-dem ich heute das Fundamentale erörtern werde, morgen auf einigeunserer Heilmittel einzugehen, die in dem Pharmazeutischen Labora-torium in Ariesheim hergestellt werden und die in der damit verbun-denen Klinik, die unter der ausgezeichneten Leitung von Frau Dr.Wegman steht, die ja auch anwesend ist, ausprobiert werden* Ich werde

40 * Siehe Hinweis auf Seite 249

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auf das eigentliche Therapeutische noch eingehen. Vom Anfang anwar ich durchaus dafür, daß das Geisteswissenschaftliche nur die Richt-linien abzugeben hat, aber keine Heilmittel herstellt anders, als daßwir unsere Laboratorien in Verbindung mit der Klinik haben, so daßtatsächlich dann am Krankenbett in der Klinik verifiziert wird.

Faßt man diese Differenzierung des Menschen in die Prozesse desNerven-Sinnessystems, des rhythmischen Systems und des Stoffwech-sel-Bewegungssystems ins Auge, so muß man dann finden, wie derMensch so konstituiert ist, daß diese drei Systeme zwar in bezug aufihr Funktionieren durchaus voneinander verschieden sind, daß sie aberan jeder Stelle der menschlichen Organisation sich durchdringen. Esist dies eine unbequemere Betrachtungsweise des Menschen als die ge-wöhnliche. In der gewöhnlichen Betrachtungsweise nimmt man irgend-ein Organ oder einen Teil eines Organs, betrachtet es nun eben histo-logisch oder der Zellenanatomie nach und so weiter.

Hier hat man nötig, bei jedem Organ zu unterscheiden, inwiefern andem Funktionieren dieses Organs beteiligt ist der Nerven-Sinnesprozeß,der rhythmische Prozeß, der Stoffwechsel-Bewegungsprozeß. Dennalle drei Formen sind nun an jedem Organ des Menschen beteiligt.Nur wenn wir mehr nach den eigentlichen Sinneswerkzeugen des Men-schen gehen, dann präponderiert der Nerven-Sinnesprozeß, und estritt in den Hintergrund der rhythmische Prozeß und der Stoffwech-sel-Bewegungsprozeß. Haben wir es aber zu tun wiederum mit demStoffwechsel-Bewegungsprozeß, so präponderiert eben eigentlich inihm nur dieser Stoffwechselprozeß. Aber nichts gibt es im Trakt desStoffwechsel- und Bewegungssystems, das nicht wieder durchzogenist von den Prozessen des Nerven-Sinnessystems, die hier untergeordnetsind. Und ebenso ist es im rhythmischen System.

Nun durchschaut man die ganze menschliche Organisation, wennman vor sich haben kann für eine wirklich innere Beobachtung dasentsprechende Funktionieren im Organ. Sagen wir zum Beispiel, wirhaben es mit irgendeinem Teil des Gehirns zu tun. Man muß nun hin-schauen können, ob in richtigem Verhältnis die beiden entgegenge-setzten Organtätigkeiten vorhanden sind, Nerven-Sinnestätigkeit,

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Stoffwechsel-Bewegungstätigkeit, und ob das rhythmische System inentsprechender Weise zwischen beiden ausgleichend funktioniert. Dasmacht sich - grob gesprochen - bei den Kopforganen des Menschenganz anders als zum Beispiel bei den Verdauungsorganen selber. Aberman sieht auf der anderen Seite, wie man gerade dadurch zu einer ge-naueren Kenntnis des Menschen, sowohl in substantieller wie in funk-tioneller Hinsicht im Verhältnis zu seiner Weltumgebung kommt, unddadurch zu einem Zusammenhang zwischen der Pathologie und derTherapie.

Betrachten wir das einmal an einem einzelnen Beispiel. Eine ja viel-leicht unter den schweren Krankheitsfällen weniger geschätzte Krank-heit, die aber recht lästig werden kann manchen Menschen, vielen Men-schen auch wirklich lästig wird - ich möchte sie herausheben als einBeispiel -, ist ja Catarrhus aestivus, der sehr viele Menschen geradein einer bestimmten Jahreszeit befällt. Und um ein Verständnis herbei-zuführen dieses Prozesses, der da zugrunde liegt, ist eigentlich folgen-des notwendig.

Zunächst muß man sich darüber klar sein, daß in der Kindheit desMenschen, namentlich in der ersten Kindheit des Menschen, die ganzeGliederung in die drei eben genannten Systeme eine andere ist als imspäteren Lebensalter. Bei der Kindheit haben wir es zu tun mit einerMenschenorganisation, bei der die Nerven-Sinnesorgane in viel inten-siverer Weise in die beiden anderen Systeme hineingreifen als im spä-teren Lebensalter beim Menschen. Das Kind ist schon in gewissemSinne ganz Sinnesorgan. Alle Prozesse spielen sich so ab, daß durchden ganzen Organismus hindurch Vorgänge, wenn auch in intimer,feiner Weise geschehen, wie sie sich sonst an der Peripherie des Men-schen in den Sinnesorganen vollziehen. Das Kind ist durchaus eigent-lich Sinnesorgan in intimerer, feinerer Weise. Dadurch ist der ganzeOrganismus des Kindes in ähnlicher Weise, wie eben Sinnesorganesind, mehr der Außenwelt ausgesetzt als der Organismus des Men-schen im späteren Lebensalter. Denn es ist ja so, daß alles das, wasmit der Nerven-Sinnesorganisation zusammenhängt, unmittelbar derAußenwelt exponiert ist, dem Einfluß der Außenwelt unmittelbar un-terliegt. Die ganze Organisation des Kindes unterliegt daher dem Ein-

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flusse der Außenwelt - im weitesten Umfange natürlich gedacht -viel mehr als im späteren Lebensalter, wo man ganz auf die innerenProzesse der Organe angewiesen ist, auch der Stoffwechselprozesseim Zusammenhange mit dem Bewegungsprozeß. Die Bewegungenspielen sich zwar in der äußeren Welt ab, aber dasjenige, was dieihnen zugrunde liegende Organisation ist, tendiert ebenso nach demInneren des Menschen, wie die Nerven-Sinnesorganisation nach außentendiert. Wir finden daher, daß unter dem Einfluß der präponderie-renden Nerven-Sinnesorganisation beim Kinde auftreten können jeneProzesse, die man zusammenfassen kann dann etwa unter dem Namender exsudativen Diathese, Lockerungen der Gewebe, die beim Kindeeigentlich ganz generell, allgemein im Organismus auftreten können.

Spater, wenn diesem Präponderieren des Nerven-Sinnesprozessesim ganzen Organismus polarisch im richtigen Verhältnis entgegen-wirkt für das spätere Lebensalter der Stoffwechsel-Bewegungsprozeß,dann tritt, wenn man das Kind vorsichtig aufgezogen hat, die Neigungzu solcher exsudativen Diathese im allgemeinen zurück und kann sichspäter spezialisieren, so daß eben der lästige Catarrhus aestivus auf-treten kann.

Man hat diesen Catarrhus aestivus zurückgeführt - das braucheich ja hier nur zu erwähnen - auf gewisse Substanzen, die enthaltensein sollen im Pollenstaub der Gramineen. Das entspricht nur der Nei-gung unserer Zeit, die Pathologie zurückzuführen eben auf unmittel-bar substantiell Äußeres. Wenn man sowohl den menschlichen Orga-nismus geisteswissenschaftlich durchschaut, wie die Vorgänge, die sichabspielen in der Umgebung des Menschen beim Blühen der Gramineen,dann können wir durchaus sagen: der ganze Naturprozeß in der Jah-reszeit, wo die Gramineen eben blühen, der spielt sich natürlich nichtbloß um die Gramineen ab, der spielt sich auch um den Menschenab, der namentlich ausgesetzt ist denselben atmosphärischen Einflüssen,unter denen die Gramineen blühen.

Nun kann beim Menschen, indem er sich, ich möchte sagen, in derOrganisation spezialisiert hat gerade nach der Nase, den Augen hin,was dann zum Catarrhus aestivus führt, wenn sich dasjenige, was unterdem Präponderieren des Nerven-Sinnesprozesses eben zur exsudativen

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Diathese geführt hat in der Kindheit, spezialisiert auf den Anfangder Atmungsorgane nach innen, dann eben dieser lästige Katarrh auf-treten. Er entsteht dann dadurch, daß der Mensch denjenigen Natur-prozessen, denen die Gramineen beim Blühen ausgesetzt sein müssen,nun auch ausgesetzt ist und für diese Naturprozesse besonders emp-findlich ist.

Dadurch, daß der Sinnesprozeß nicht in genügender Weise durchden Stoff Wechselprozeß paralysiert ist, daß der Sinnesprozeß in derPeripherie präponderierend bleibt, haben wir den Menschen ausge-setzt denselben atmosphärischen Einflüssen, den Einflüssen seiner Um-gebung, die gerade günstig sind beim Blühen der Gramineen.

Wenn man diesen Prozeß außen durchschaut, wenn man wirklicheingeht auf die Art und Weise dessen, was da geschieht als Naturpro-zeß beim Blühen der Gräser, der Gramineen, dann sagt man sich, wiekommst du dieser Empfindlichkeit, die beim Catarrhus aestivus auf-tritt, bei? Und nun sucht man durch diese Einsicht, die man da ge-wonnen hat, danach, diesen Prozeß, den man bei den Gramineen sohat, daß er sich ganz nach außen auch abspielt, ganz peripherisch, ichmöchte sagen, in die Luft hinein sich abspielt, zu paralysieren - denner ist dann auch im Menschen vorhanden, wenn der Mensch ebenden Catarrhus aestivus hat - dadurch, daß man den Fruktifikations-prozeß, das Eilen zum Fruktifikationsprozeß, der bei den Gramineenin vollständiger Nacktheit, möchte ich sagen, nach der Atmosphärehinausschaut, da aufsucht, wo er auftritt, nicht peripherisch nach au-ßen gerichtet, sondern zentral nach innen geschoben. Als solchen fin-det man ihn, wenn man Früchte nimmt, die von lederartigen Schalenumgeben sind und bei denen sich in irgendwelchen Stoffen der Fruk-tifikationsprozeß nun zentral nach innen abspielt, zentripetal sichabspielt.

Und formt man so im Laboratorium den entgegengesetzten Prozeßvom Fruktifikationsprozeß bei den Gramineen, formt man ihn zumHeilmittel und versucht man namentlich dieses Heilmittel dadurchzur Wirksamkeit zu bringen, daß man es durch Impfung, Vakzinationanwendet, also unmittelbar in den Organismus einführt durch Imp-fung, dann kann man tatsächlich dieser Überempfindlichkeit gegen

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dieselben atmosphärischen Einflüsse, die bei den Gramineen günstigsind, beim Menschen aber einen Krankheitsprozeß erregen, entgegen-wirken. Wir haben tatsächlich bei diesem Heilmittel, das bei uns als«Gencydo» gemacht wird und in der weitaus größten Zahl der Fällesich als außerordentlich wirksam erwiesen hat beim Catarrhus aestivus,gerade sehen können, wie es möglich ist, durch entsprechende Formun-gen von Prozessen, die uns ja eigentlich die Natur vormacht, zu Heil-mitteln zu kommen. Wir müssen nur wissen, in welchem Falle wirdem Naturprozeß entgegenarbeiten müssen. Das ist zum Beispiel derFall, wenn gerade die Sinnes-Nerventätigkeit präponderiert, und wirwerden später sehen, wann wir mit dem Naturprozeß gehen müssen.Man muß nur wissen, wie man in jedem Fall vorgehen muß. So daßwir also nicht nur dasjenige benutzen, was laboratoriumsmäßig che-misch entweder im Sinne der Naturprozesse oder entgegen der Natur-prozesse geschehen muß, was wir als Heilfaktoren und eben nicht nurals Substanzen haben, sondern vor allen Dingen auf die Zubereitungs-weise achten, indem wir auf dasjenige schauen, was wiederum in deräußeren Natur den Prozeß als solchen herbeiführt, das Dynamischeam Prozeß ausmacht. Dieses Dynamische versuchen wir zu imitierenin technischer Weise, um dadurch gerade die Heilfaktoren aus derNatur herauszuziehen.

Nach solchen Prinzipien sind ja jetzt reichlich schon Heilmittelin dem Klinisch-Therapeutischen Institut in Ariesheim hergestellt wor-den. Sie werden alle nach diesem Prinzip hergestellt, aber alle durch-aus spezialisiert.

Ich will zum Beispiel noch folgendes als Heilmittel erwähnen. Ge-wiß, ich muß sagen, ich verstehe jeden Widerspruch, jede Opposition,da ich ja weiß, daß die Dinge aus einer Denkweise entspringen, diedurchaus nicht gang und gäbe und auch nicht geläufig ist. Ich möchtenur dies für uns anführen, daß in dieser Weise die Richtlinien gegebenwerden und dann in unseren Kliniken durchaus verifiziert werden, unddaß dies in derselben Weise unter voller Verantwortung gemacht wird,wie sonst in klinischen Betrieben es üblich ist. Deshalb darf ich viel-leicht auch, ich möchte sagen, etwas gewagtere Darstellungen geben,indem ich durchaus voraussetze, daß ich, wie gesagt, jede Opposition

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verstehe und es mir durchaus begreiflich ist, daß sich sogar eine Artvon Unbehagen gegenüber diesen Dingen, die einem sogar phantastischerscheinen könnten, geltend machen konnte.

Es ist außerordentlich interessant, gerade jenen merkwürdigen Pro-zeß zu betrachten, der sich in der Pflanze selber vollzieht. Wir habenja in der Pflanze neben dem, was die Pflanze also vorzugsweise zusam-mensetzt, alle möglichen Substanzen enthalten: Salze, Metallisches undso weiter. Nun, es ist weniger wichtig für eine Therapie, die direkt ra-tionell wirken soll, auf die Zusammensetzung der Pflanze zu sehen,als zu sehen auf die Art und Weise, wie zum Beispiel, sagen wir, irgend-eine Metallverbindung oder ein Salz durch den ganzen Prozeß desWachsens und Fruktifizierens der Pflanze geht.

Nehmen wir irgendeine Pflanze, zum Beispiel Cichorium intybus.Wer wirklich geisteswissenschaftlich Cichorium intybus studieren will,der wird studieren zunächst, in welch eigentümlicher Weise nament-lich dasjenige, was in Cichorium intybus vor allen Dingen in Betrachtkommt, enthalten ist: Kieselsäure und alkalische Salze.

Kieselsäure und alkalische Salze sind nun aber wiederum im Cicho-rium intybus in ganz verschiedener Verarbeitung, unter ganz verschie-denen Prozeßzusammenhängen in der Wurzel, in den Blättern undin den Blüten enthalten.

Wer diesen Prozeß im Cichorium intybus studiert und sieht, wieda in eigentümlicher Weise ineinandergewoben und verwoben werdendie Prozesse, die auf der einen Seite an der Kieselsäure hängen, anden alkalischen Salzen auf der anderen Seite, wer dieses verfolgt, derwird dann auf geisteswissenschaftliche Weise wiederum zurückgeführtzum Menschen herüber.

Nun sagte ich schon, in unserem Leibe, in jedem Organsystem,leben drei Systeme, aber es präponderiert immer eines, jedes ist wie-derum für den ganzen Menschen tätig; betrachten wir zum Beispielam menschlichen Organismus die Gallenfunktion im Zusammenhangmit allen anderen Verdauungsorganen, so finden wir vor allen Dingen,daß es neben allem übrigen Wirken der Galle außerordentlich wichtigist, daß die Galle funktioniert, richtig funktioniert gerade für die Ge-sundheit des Nerven-Sinnessystems. Denn wir können dann, wenn

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wir Verdauungsstörungen auf Störungen der Gallenfunktion zurück-führen, immer auch auftreten sehen außerordentlich große Störun-gen irgendwie in den Organen des Nerven-Sinnessystems.

Wenn wir den Gallenabsonderungsprozeß verfolgen, so wird ereigentlich erst interessant, wenn wir ihn im ganzen Zusammenhangmit der menschlichen Konstitution als denjenigen Prozeß betrachtenkönnen, der, vom Verdauungssystem ausgehend, das Nerven-Sinnes-system versorgt.

Dieser Prozeß ist auf der einen Seite in den Gallenfunktionen desMenschen vorhanden, ganz abgesehen von den Substanzen, die dabeispielen. Auf der anderen Seite wirkt er außer dem Menschen in fastgetreuer Imitation von der Wurzel von Cichorium intybus gegen denStengel und gegen die Blüte hinauf, in der Radix von Cichorium inty-bus. Wenn wir da sehen, wie verarbeitet werden gerade die Kieselsäureund die alkalischen Salze, so finden wir darinnen eine genaue Imi-tation desjenigen, was im menschlichen Organismus der Gallenabson-derungsprozeß in seiner Wirkung gerade auf das Nerven-Sinnessystemist.

Ahmen wir nun den Prozeß nach, der sich in Cichorium intybusvollzieht. Es gibt Laienärzte, die verwenden Cichorium intybus nundirekt, wenn Verdauungsstörungen vorliegen. Aber trotzdem durch-aus Erfolge erzielt werden können, die nicht in Abrede gestellt werdensollen, werden sie sehr selten dauernde sein, da ja der Prozeß, der sichin Cichorium intybus vollzieht, gebunden ist an die Labilität derPflanze selber und, indem er in den menschlichen Organismus herein-geführt wird, einer solchen Veränderung unterliegt, daß er nicht mehrderselbe bleibt. Aber er ist so verwandt dem menschlichen Prozeß, daß,wenn wir ihn laboratoriumsmäßig verarbeiten, namentlich Kiesel-säure verarbeiten, wir also ein Präparat machen, das Kieselsäure ent-hält, alkalische Salze enthält, und zwar so, daß dann in einer gewissenWeise, nicht eigentlich chemisch, sondern nur durch Pulverisierunganeinander gebunden und mit harzigen Bindemitteln ausgestattet, einelose Verbindung da ist zwischen Kieselsäure und alkalischen Salzen,mehr ein feines, natürliches, möchte ich sagen, Aneinanderkleben vor-handen ist. Und wenn wir dann das durch den Verdauungskanal ein-

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führen, führen wir nun so tatsächlich nicht dieselben Substanzen, aberdenselben Prozeß in den menschlichen Organismus ein, der sich beimGalleabsondern vollzieht, insofern das Galleabsondern mit dem Ner-ven-Sinnessystem in seinem Funktionieren seine Verwandtschaft hat.Es handelt sich also darum, in dem, was man im Laboratorium macht,dasjenige wirksam, ich möchte sagen, dauernd nachzuahmen, was diePflanze selber ausführt, bei der man zum Beispiel in ihrem Pflanzen-bildungsprozeß erkennen kann: dieser Prozeß ist in irgendeiner Weisepolarisch oder gleichlaufend verwandt mit irgendeinem Prozeß immenschlichen Organismus, so daß sich auf diese Weise eben ergibtein wirkliches Ineinanderarbeiten von Pathologie und Therapie. Mansieht es dem Organ an, was unregelmäßig ist im Zusammenwirken derdrei Prozesse.

Und indem man gerade der Natur ablauscht, wie man dem Orga-nismus gewissermaßen das, was er nicht ausführen kann, für einigeZeit abnimmt, indem man das zu erforschen versucht, führt man ge-radezu - ich möchte sagen: Cichorium intybus erweist sich als diewachsende Galle - die Gallenfunktion in den Menschen für eine Zeitein, weil der Organismus sie selbst nicht ausführen kann, bis der Orga-nismus an der fremden Galle, an dem, was man nach dem Muster vonCichorium intybus fabriziert hat, sich wieder gewöhnt hat, das Gallen-funktionieren auszuüben. Dann läuft er sozusagen wiederum durchausrichtig.

Es handelt sich nur darum, daß man durch die bloße Pflanzenheil-methode, weil ja die Natur viel vollkommener wirkt, das Richtigenicht erreichen kann, weil ja der Pflanzenprozeß wiederum vernichtetwird, wenn er in irgendeiner Weise in den Organismus eingeführt wird.

Da die Zeit schon etwas vorgeschritten ist und ich Ihre Aufmerk-samkeit für dieses eine Mal nicht zu stark in Anspruch nehmen möchte,werde ich nur noch einiges erwähnen über ein Mittel, das sich als be-sonders erfolgreich erwiesen hat und das unsere Ärzte das «Biodoron»genannt haben.

Dieses Biodoron ist dadurch zustande gekommen, daß zunächst voreine zusammenfassende, eben geisteswissenschaftliche Anschauung der

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ganze Symptomkomplex der sogenannten Migräne gestellt wordenist. Diese Migräne ist ja ebenfalls für viele Menschen eine so außer-ordentlich lästige Krankheit, die in den allerverschiedensten Formenauftritt. Die Migräne beruht nun auf einem unregelmäßigen Präpon-derieren des Stoff Wechselprozesses da, wo er nicht hingehört, innerhalbjener Region der menschlichen Organisation, wo eigentlich präpon-derierend vorzugsweise wirken sollte der Nerven-Sinnesprozeß imVerein mit dem rhythmischen Prozeß.

Nun handelte es sich mir wiederum darum, diesen ganzen Prozeß inseiner Zusammenfassung, wie er sich ausdrückt in der Zusammenschaudes Symptomkomplexes der Migräne, als Prozeß draußen in der Naturzu finden.

Er drückt sich nun in ganz wunderbarer Weise aus, und zwar so,daß man den Symptomenkomplex auf der einen Seite hat und einenentgegengesetzt verlaufenden Prozeß in der Art und Weise, wie imProzeß von Equisetum arvense die Kieselsäure eben in Tätigkeit ge-bracht wird von den schwefelsauren Salzen. Equisetum arvense ent-hält ja ungefähr neunzig Prozent Kieselsäure. Wir werden morgennoch von der ganz bedeutsamen Funktion der Kieselsäure für das Ner-ven-Sinnessystem und alles, was damit zusammenhängt, zu sprechenhaben. Die Kieselsäure ist aber in einer gewissen Art und Weise inEquisetum arvense zum Prozeß verarbeitet, also daß nur in einer sol-chen Verbindung, wie sie eben da hergestellt ist mit einem harzigenBindemittel, innerhalb des Pflanzenwachstums der Bildeprozeß ge-schehen kann durch das Zusammenwirken der Kieselsäure mit denschwefelsauren Salzen.

Wenn man einfach das Bild von Equisetum arvense vor sich hatund nun sieht, wie da in einer steifen Art, mit überall Präponderieren-lassen des Kieselsäurebildungsprozesses sich diese Pflanze bildet undzurückhält ihr ganzes Wachstum vom Blütenwesen, was wiederum ge-funden werden kann im Zusammenhange mit den normalen Stoff-wechselvorgängen, dann bildet sich einem unmittelbar in einer wirk-lichen intimen Anschauung der beiden Prozesse, des Prozesses, der sichim Symptomenkomplex der Migräne ausdrückt, und des ganzen Pro-zesses, der sich in einer so wunderbaren Weise abspielt zwischen Kie-

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seisäure und schwefelsauren Salzen im Equisetum arvense, die Vor-stellung aus: da sind zwei einander entgegengesetzte Prozesse.

Aber deshalb hilft doch noch nicht irgendwie Equisetum arvense, inirgendeiner Weise direkt verwendet, gegen Migräne. Denn da tritt nundas Eigentümliche auf, das einem recht klar wird, daß zwar gewissevegetative Prozesse im menschlichen Organismus ähnlich den Pflan-zenprozessen sind, aber doch von innen wiederum radikal verschiedensind. Es handelt sich also darum, nicht bloß den Prozeß, der sich inEquisetum arvense abspielt, direkt aufzunehmen und etwa ihn nunin den menschlichen Organismus einzuführen, sondern ihn erst, ichmöchte sagen, zu animalisieren.

Solche Dinge gelingen, wenn man nun in entsprechender Weise imLaboratorium den Prozeß eben imitiert, aber innerlich lebendig, so daßman verwendet Kieselsäure auf der einen Seite, auf der anderen SeiteSchwefel. Man kann direkt den Schwefel verwenden, denn der istdas eigentlich Wirksame im Equisetum arvense. Nun aber führt mandie Bindung herbei neben anderen Bindemitteln, die eine untergeord-nete Bedeutung haben, dadurch, daß man in den Prozeß den Eisen-prozeß einfügt. Jetzt hat man den ganzen Prozeß von Equisetum ar-vense animalisiert, und man bekommt ein Präparat, bei dem es wesent-lich darauf ankommt, wie man es herstellt. Denn durch das, wie manden Prozeß durchführt, durch den man zuletzt das Präparat bekommt,sehen Sie gewissermaßen, daß es darstellt das Ergebnis eines Prozesses,der sich abspielt zwischen Kieselsäure, Eisen und Schwefel. Und das,was man da als Präparat bekommen hat, was nun nur, ich möchte sa-gen, zunächst in dem Präparat in Ruhe gebracht ist, das wird wieder-um zum Prozeß aufgerufen, in Bewegung gebracht, wenn es einge-führt wird in den menschlichen Verdauungsprozeß und angewendetwird - wie gesagt, unsere Ärzte haben es «Biodoron» genannt - geradegegen die lästige Migräne.

Dieses Migräneheilmittel hat sich tatsächlich, ich möchte sagen,fast ausnahmslos in einer außerordentlich erfolgreichen Weise gezeigt.

So versuchen wir eben, die Heilfaktoren mehr auf dynamischeWeise durch die Herstellung der entsprechenden Prozesse zu erreichenfür die Heilmittel also, die Sie von dem Klinisch-Pharmazeutischen In-

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stitut in Ariesheim bekommen. Es handelt sich darum, was für Prozessesie in sich bergen, was für Prozesse sie im menschlichen Organismushervorrufen.

Auf diese Weise ist es uns gelungen, immerhin - die Dinge wurdenverifiziert in zahlreichen Fällen - für die verschiedenen Formen, fürdie verschiedenen Verzweigungen der Tuberkulose, für die mannig-faltigsten Erkrankungen des Verdauungssystemes und so weiter, wie ge-sagt, ungefähr hundert Heilmittel zu finden; und wir sind daran, so-zusagen die letzte Hand anzulegen an denjenigen Prozeß, den wir her-vorrufen wollen mit einem gewissen Pflanzennaturprodukt zur inne-ren Heilung der Karzinome. Doch werde ich über diese Heilmittel mirerlauben, morgen im einzelnen zu sprechen, über Tuberkuloseheilmit-tel, Karzinomheilmittel, Heilung auch von typhösen Krankheiten undso weiter.

Es wird ersichtlich geworden sein, daß das Wesentliche bei uns nichtdarinnen liegt, was nun in dem Präparat drinnen ist, sondern darin,wie das Präparat laboratoriumsmäßig entstanden ist. Dadurch birgtdas Präparat einen bestimmten Prozeß, der wiederum innerhalb desOrganismus in der gleichen oder in einer anderen Form sich auslöstund in dem Verlauf eines organischen Prozesses liegt oder den polari-schen Gegensatz bildet.

Und auf diese Weise ist man imstande, durch Zusammenschauen derNaturprozesse und der Prozesse, die sich in der Pathologie erkennenlassen, die gegenseitige Relation von Naturvorgängen und Vorgängenim menschlichen Organismus herbeizuführen, die Aufeinanderwirkungeben, die da sein muß, wenn die betreffenden Naturprozesse in denmenschlichen Organismus als Heilprozesse eingeführt werden sol-len. Auf die Herbeiführung von Heilprozessen durch die Funktionen,die wir ausführen in unseren Laboratorien, darauf kommt es an. Daherist es dann auch von ganz besonderer Wichtigkeit, wie nun diese Heil-mittel gerade verwendet werden, wiederum in Gemäßheit dieser Diffe-renzierung des menschlichen Organismus. Die Wirkung ist von funda-mentalem Unterschied, ob irgendein Heilmittel durch den Verdauungs-prozeß eingeführt wird, durch Impfung direkt in den Zirkulations-prozeß, oder ob es, wie ich morgen zeigen werde, näher verwandt zum

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Sinnesprozeß, zum Nerven-Sinnesprozeß angewendet wird, wie in demVersetzen von Bädern oder Waschungen und dergleichen mit unserenHeilmitteln.

Also ob man äußerlich oder halb innerlich, möchte ich sagen, wiebei der Impfung, oder ganz innerlich das Heilmittel anwendet, davonhängt es wiederum ab, wie man auf den menschlichen Organismuswirkt. Denn ich möchte sagen, das besonders Bedeutsame bei diesenHeilmitteln ist dieses, daß wir heilen möchten nicht durch Substanzen,sondern wir möchten heilen durch Prozesse. Und wir geben Heilmittelab in der Hoffnung - das heißt, die Dinge sind ja verifiziert -, daß dieProzesse, die wir aus dem Zusammenschauen von Natur und Menschausführen können, sich gewissermaßen in dem Präparat konservierenund wiederum ausgelöst werden im menschlichen Organismus als Heil-prozesse. Das ist das wesentlich Neue an den Dingen, um die es sich beiuns handelt. Wir wollen durch Vorgänge, Prozesse, durch das Wie derHerstellung heilen.

Daher ist es bei uns nicht von so großer Wichtigkeit, zu sagen, wasjust in dem Präparat drinnen ist, sondern es kommt überall daraufan, wie die Dinge im Intimen sich abspielen.

Auf das Therapeutische dann, und namentlich auf einzelne Heil-mittel und Verrichtungen im Äußeren werde ich mir erlauben, mor-gen einzugehen.

Frage: Wie lange Zeit ist es her, daß die Mittel für Migräne und Heufieber aus-probiert sind?

Dr. Steiner: Nun, es ist doch schon eine Anzahl von Jahren, daß dieFälle ausprobiert worden sind, vor allen Dingen doch in einer großenAnzahl von Fällen. Es tritt ja dadurch, daß unsere Methoden Verifi-kationsmethoden sind, diese Eigentümlichkeit auf, daß auf der einenSeite, so wie bei einem mathematischen Problem, der Erfolg gewisser-maßen vorausgesehen wird und dann verifiziert wird. Auf diese Weisehat man es nicht mit einer bloßen empirischen Methode zu tun, son-dern sozusagen dadurch, daß - wie man es sonst ja auch beim experi-mentellen Laboratoriumsversuch hat - man dasjenige, was voraus-

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gesetzt werden kann, verifiziert findet, wird natürlich der Wert derVerifikation doch ein höherer als beim bloßen empirischen Ausprobie-ren. Die Methoden sind natürlich noch jung, und dasjenige, um was essich handelt, wird sein, daß wir natürlich froh wären, wenn sie imweitesten Umfang ausprobiert würden.

Für Biodoron liegen seit etwa drei bis vier Jahren schon Verifi-zierungen vor, in einer großen Anzahl von Fällen gerade Verifizierun-gen, die außerordentlich wichtig sind, zum Beispiel in solchen Fällen,wo die Migräne ein ganz alt gewordener chronischer Zustand war, derdurch Jahrzehnte da war, und wobei dieses Mittel gewirkt hat.

Nur natürlich, das möchte ich doch ausdrücklich erwähnen, geradebei diesem Mittel ist es außerordentlich wichtig, daß richtig diagno-stiziert wird. Daher kann das Mittel eigentlich nur dann, wenn manin der richtigen Weise diagnostiziert hat, zu einer Verifizierung die-nen. Es ist ja natürlich nicht wünschenswert, daß bei jedem beliebigenKopfschmerz dieses Biodoron angewendet wird, denn dann könnennegative Fälle sehr zahlreich auftreten.

Es muß also erst richtig diagnostiziert werden; aber dann gebenwir sehr viel darauf. Es ist der Prozentsatz ja in den drei bis vier Jah-ren ein außerordentlich großer, dadurch daß wir es klinisch machen.In einzelnen Fällen wurde es aber auch schon früher durch privateÄrzte ausprobiert.

Ich möchte noch erwähnen, daß es Berichte gibt, sowohl zunächstAuseinandersetzungen über die Methoden wie auch Berichte über dieBehandlung und über die Erfolge gerade für das Biodoron. Sie sindherausgegeben von dem Klinisch-Therapeutischen Institut in Stutt-gart: «Die Migräne», zusammengestellt von Dr. Knauer, ein Bericht,der eine Anzahl von Fällen enthält - man kann natürlich nicht alleanführen -, aber eine Anzahl von charakteristischen Fällen enthält,und auch eine entsprechende Kasuistik. Ich glaube, diese Berichte undBeschreibungen sind ja vom Klinisch-Therapeutischen Institut auchzu beziehen, leider bis jetzt nur in deutscher Sprache, sie können aberjederzeit, wenn sie verlangt werden, auch in andere Sprachen über-setzt werden.

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D R I T T E R VORTRAG

London, 3. September 1923

Es ist mir gesagt worden, daß eine noch weitergehende theoretischeBegründung desjenigen gewünscht werde, was ich gestern vorgebrachthabe. Nun ist es mir immer so, als ob die Zweifel und die innere Oppo-sition, die sich gegen die Anschauungsweise in ganz begreiflicher Artheute geltend machen muß, noch stärker, ich möchte sagen, aus dem In-neren herausgetrieben werden, wenn diese geistige Begründung gegebenwird, und daß ich namentlich mit Bezug auf das Medizinische ein biß-chen die Hoffnung habe, daß es ja auf diesem Felde so ist, daß, wenndie Heilmittel helfen werden in der Anwendung und man aus den Heil-mitteln sehen wird, daß hinter der Sache etwas steckt, man uns dietheoretische Grundlage verzeihen werde. So daß ich gerade auf die-sem Gebiete, wenn es nicht ausdrücklich verlangt wird, etwas zurück-haltend bin mit der theoretischen Begründung. Denn sie muß für denersten Augenblick noch phantastischer klingen, obwohl sie so exaktist wie die Mathematik, als dasjenige, was über die Praxis der Heil-mittel gesagt werden kann. Dennoch, da es gewünscht wird, werdeich nicht nur am Schlüsse, wie ich gemeint habe, eine kurze Begrün-dung geben, sondern ich werde gleich am Ausgangspunkte heute etwasüber diese theoretische Begründung sagen.

Es handelt sich nämlich darum, daß durch den bewunderungswür-digen Fortschritt unserer Naturwissenschaft Unendliches geleistet wor-den ist in bezug auf die Erkenntnis der äußeren physisch-sinnlichenWelt, daß aber gerade diese außerordentlich bedeutsame Erkenntnisder äußeren physisch-sinnlichen Welt davon hinweggeführt hat, denMenschen selber in seiner totalen Wesenheit zu erfassen.

Dasjenige, was man mit den Naturgesetzen, die man draußen in derNatur heute, sei es durch die Beobachtung, sei es durch das Experimenterkundet, begreifen kann, das reicht beim Menschen nicht weiter alsbis zum Erfassen der Sinnesorganisation, nämlich desjenigen, was wiephysische Apparate als Sinne in den Menschen eingegliedert ist, unddesjenigen, was das Mechanische der Bewegung ist. Alles übrige geht

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gradweise, je weiter man wirklich in das Wesen des Menschen ein-dringt, so vorwärts, daß die äußeren Naturgesetze immer wenigergelten. Ich muß mich natürlich trotzdem kurz fassen, kann also dieDinge nur aphoristisch andeuten.

Aber es ist ja bekannt genug, daß eigentlich der Mensch, sagenwir, höchstens zu zehn Prozent oder etwas darüber aus den physisch-mineralischen Stoffen besteht, die wir in festem Zustande kennen, daßder Mensch zum weitaus größten Teil, sagen wir, Flüssigkeitssäule ist.

In dieser Flüssigkeitssäule sind dann wiederum wirksam diejenigenImpulse, die, vermittelt zum Beispiel durch den Atmungsprozeß aberauch durch sonstige Prozesse der menschlichen Organisation, Prozessesind, die wir in der Natur eigentlich nur in der frei sich bewegendenLuft finden. Und dann kommen als viertes dazu die Wärmeprozesse.Nur auf dasjenige, was im Menschen so vorhanden ist, wie wir drau-ßen in der Natur die scharfkonturierten, die mineralisch-physischenSubstanzen finden, sind die Naturgesetze anwendbar, mit denen manheute glaubt, den ganzen Menschen zu erkennen. Man erkennt mitdiesen Naturgesetzen kurioserweise nur einen Teil der Sinnesorgani-sation beziehungsweise, weil die Sinnesorganisation hauptsächlich immenschlichen Kopf organisiert ist, einen Teil der menschlichen Kopf-organisation. Die Kopforganisation des Menschen ist nämlich die-jenige, die am meisten der physischen Welt, der Konstitution der phy-sischen Welt ähnlich ist.

Vom Kopfe geht das Nervensystem des Menschen zum Teil aus.Jedenfalls aber hängt es im Menschen mit der Kopforganisation zu-sammen, dieses Nervensystem. Nun ist heute der Glaube, daß dasgesamte Nervensystem zusammenhängt mit demjenigen, was wir imMenschen als geistige Fähigkeiten bezeichnen. Wenn Sie sich heuteeine auch nur physiologisch gefärbte Psychologie ansehen, so werdenSie sehen, daß eigentlich in diesen Psychologien nur behandelt ist dieGedankenwelt, die Gedankenwelt im Zusammenhange mit Gehirn undNervensystem. Die Gefühlswelt und Willenswelt des Menschen wirdgewissermaßen nur angeklebt, als etwas Nebensächliches erwähnt, undman glaubt, daß Gefühl und Wille ebenso mit dem Nervensystemzusammenhingen wie die Vorstellungswelt. Das ist nicht der Fall.

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Wenn ich noch einmal zurückgreife auf den dreigliedrigen Men-schen, wie ich ihn gestern charakterisiert habe, so ist zu sagen, daßnur die eigentliche Fähigkeit des Vorstellens mit dem Nervensystemdes Menschen zusammenhängt; das Gefühlsleben nur indirekt. Dage-gen hängt das Gefühlsleben direkt mit dem rhythmischen System zu-sammen.

Und hier haben wir schon einen der Punkte, wo sich notwendiger-weise gerade wegen ihrer Bewunderungswürdigkeit auf anderen Ge-bieten die heutige Naturwissenschaft den Weg vollständig versperrt,von der physischen Organisation des Menschen vorzudringen zu seinergeistigen Organisation.

In Wahrheit liegt die Sache so, daß die gesamte Gefühlswelt un-mittelbar in die rhythmische Organisation eingreift, in jene rhyth-mische Organisation im weiteren Sinne, wie ich sie gestern charakte-risiert habe. Und das Nervensystem dient nur dazu, der Vermittlerzu sein, daß wir über unsere Gefühle Vorstellungen und Gedankenhaben können. So daß also in Atmung und Blutzirkulation die Ge-fühlsimpulse unmittelbar eingreifen. Nur für das, was wir als Vor-stellungen haben über die Gefühle, sind die organischen Vermitt-ler die Nerven. Und ebenso wie in das rhythmische System die Ge-fühlswelt des Menschen eingreift, ebenso greift in das Stoffwechsel-Bewegungssystem der Wille unmittelbar ganz ein. Und dasjenige,was wir in den Nerven oder durch die Nerven haben, das sind nurdie Vorstellungen des Gewollten, die Vorstellungen von dem Ge-wollten.

Nun werden Sie sagen: das braucht ja den Mediziner nicht weiterzu interessieren. Es ist eine Theorie über den Menschen, und mankönnte im Medizinischen davon absehen. Das ist aber ganz und garnicht der Fall. Das ist in dem Augenblicke nicht der Fall, wenn mandie Folgen für die heutige medizinische Anschauung sieht, die aus die-sem Vorurteil erwachsen, daß das Nervensystem dem gesamten See-lenleben direkt zugeordnet ist.

Man unterscheidet heute, wie ja genugsam bekannt ist, zwischenden sogenannten sensitiven Nerven, die vom Zentrum zu den Sinnengehen sollen und die sinnlichen Wahrnehmungen vermitteln, und den

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sogenannten motorischen Nerven, welche etwas zu tun haben sollenmit dem Willen.

Es gibt in Wahrheit zwar anatomisch-physiologisch metamorpho-sierte Nerven, aber es gibt nur einerlei Art von Nerven. Jeder Nervist nur physischer Vorstellungsvermittler. Und diejenigen Nerven, diewir heute motorische Nerven nennen, die sind in ihrer Funktion nichtanders als die sogenannten sensitiven Nerven. Während der sensitiveNerv zu den Sinnen geht, um die Außenwelt wahrzunehmen, geht dersogenannte motorische Nerv, der auch nichts anderes ist als ein inner-licher sensitiver Nerv, in das Innere und vermittelt die Wahrnehmun-gen, die ich zum Beispiel habe, wenn ich ein Glied bewege, die ichhabe, wenn ich irgendwie eine innerliche unbewußte Bewegung auszu-führen habe. Der Nerv ist nur der Vermittler der Wahrnehmung fürirgend etwas Äußeres oder Inneres. Es gibt nicht zwei Arten vonNerven, nicht sensitive und motorische Nerven. Meinetwillen, dieTerminologie ist mir dann einerlei, ob man sie dann sensitive odermotorische nennt, das ist gleichgültig, aber nur einerlei Art und ana-tomisch-physiologisch etwas metamorphosiert, nur einerlei Art vonNerven gibt es.

Ich weiß natürlich, daß naheliegende Einwände gegen diese An-schauung gemacht werden können. Aber ich habe, da ich wirklich seitfünfunddreißig Jahren arbeite an der Ausgestaltung dieser Anschau-ung vom Menschen, wirklich alle diese Einwände sorgfältig geprüft.Jede einzelne Tatsache, die genommen werden kann aus dem Funk-tionieren oder Nichtfunktionieren des Nervensystems, sagen wir zumBeispiel bei der Tabes dorsalis, jede dieser Tatsachen, wenn sie wirk-lich vorurteilslos interpretiert wird, ordnet sich in dasjenige theore-tische System ein, das ich Ihnen eben auseinandergelegt habe. Wäh-rend Sie überall die Brüche sehen werden, wenn Sie die heutige Inter-pretation, sagen wir zum Beispiel, der Tabeserkrankungen nehmen. Siekommen nur zurecht auch mit dem, was sorgfältig gerade heute mitsolchen Dingen in der Naturwissenschaft verzeichnet ist, wenn Siewissen, daß es nur einerlei Art von Nerven gibt, und daß die Gefühls-welt in keinem direkten, sondern nur in einem indirekten Zusammen-hang mit dem Nervensystem steht, daß die Gefühlswelt unmittelbar

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eingreift in das Atmungs- und Zirkulations-, überhaupt in das rhyth-mische System, daß der Wille unmittelbar wirkt als Stoffwechsel artig,jener unbewußte Wille in unserem Inneren, der dem Gesamtstoffwech-selprozesse zugrunde liegt und der dann wiederum sich metamorpho-siert zu dem bewußten Willen, der den äußeren bewußten Bewegungenzugrunde liegt.

Dies war das erste, ich möchte sagen, für mich erschütternde Er-gebnis, das ich gehabt habe eigentlich seit dreißig Jahren aus den An-schauungen, die ich über den Menschen gewinnen konnte. Ich habe esnicht auszusprechen gewagt bis zum Jahre 1917, weil es tatsächlichverhältnismäßig leicht ist, irgendein wissenschaftliches Ergebnis, daswenig abweicht von den Gewohnheiten, auszusprechen. Dagegen istes wirklich nicht leicht, ich möchte sagen, gegen das Urteil, das so gutbegründet erscheint, daß es zweierlei Nerven gibt, in der Welt irgend-wie vorzugehen. Und erst als ich beruhigt sein konnte darüber, daßes heute keine naturwissenschaftliche Tatsache gibt, die dem wider-sprechen würde, die sich nicht einordnen ließe in diese Anschauungvon der Einerleiheit der Nerven, wagte ich 1917, nachdem ich drei-ßig Jahre beschäftigt war mit dem Ausarbeiten dieser Anschauung, sieauszusprechen.

Aber diese Anschauung hat eine ganz andere Folge noch. NehmenSie nur diese Tatsache, daß die Gefühlsimpulse unmittelbar eingreifenin das rhythmische System, die Willensimpulse unmittelbar eingrei-fen in das Stoffwechsel-Bewegungssystem, dann haben Sie in dem Wil-lenssystem und in demjenigen, was sich dann weiter angliedert an dasWillenssystem, in dem Gefühlssystem des Menschen, das wir über-haupt nur fassen können auf spirituelle Art, indem wir die Gefühlenur fassen können als geistige Entitäten, in denen haben Sie die An-triebe zum Beispiel zur Zirkulation. Und Sie kommen hinweg vonetwas, worüber nun wirklich auch wiederum nicht leichter Hand hin-wegzukommen ist.

Heute sucht die Physiologie, die unserer gesamten medizinischenDenkweise zugrunde liegt, den eigentlichen Motor für die Blutzirku-lation im Herzen, und das Herz wird angesehen als dasjenige, was dieImpulse aussendet, um das Blut durch den Organismus zu treiben. Das

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Umgekehrte ist wahr. Das Blut wird durch den Organismus bewegt,durch die spirituelle Wesenheit des Menschen, die in der Willensorga-nisation in den Stoffwechsel unmittelbar eingreift, die in den Gefühls-impulsen in die Zirkulation unmittelbar eingreift und in die Atmung,also in das rhythmische System. Diese gesamte innere Bewegung, diesegesamte innere rhythmische Tätigkeit kommt unmittelbar aus demgeistigen Menschen, und das Herz, die Herztätigkeit ist nicht die Ur-sache der Blutzirkulation, sondern sie ist die Folge der Blutzirkula-tion, die Folge der Säftebewegung. Das Herz drückt also eigentlichnur aus in seinen eigenen Bewegungen, wie es innerlich erregt und be-wegt wird durch die Bewegung, die eigentlich von dem geistigen Men-schen ausgeht.

Das sind zwei Dinge, die nach und nach der Physiologie als derGrundlage der Medizin eben werden zugrunde gelegt werden müssen:die Anschauung von der Einerleiheit der Nerven und von dem Zuge-ordnetsein des gesamten Nervenlebens nur zum Vorstellungsleben, unddann auf der anderen Seite die Bewegung der flüssigen und luftformi-gen Elemente im Menschen unmittelbar vom Geistigen aus, so daß dieHerzbewegung als Folge der rhythmischen Bewegung im Menschenerscheint, nicht als deren Ursache.

Ich erinnere mich noch lebhaft, welche wilden Leidenschaften icheinmal ausgelöst habe in einem Eisenbahnwaggon auf der Streckezwischen Trälleborg und Stockholm, als ich einem schwedischen Arztediese Herztheorie auseinandersetzte. Es war ein schreckliches Gewühlvon Leidenschaften, in das der Mann gekommen ist. Also ich kannganz gut begreifen, wie sich diese Dinge heute in dasjenige, was wirnun alle einmal gewohnt sind zu denken, hineinstellen. Aber nur da-durch öffnet man sich das Tor vom physischen Menschen zum geistigenMenschen. Denn in dem Augenblicke, wo Sie zweierlei Nerven haben,geht die eine Art von Nerven von der sinnlichen "Wahrnehmung zumZentrum, geht als physische Organisation vom Sinn zum Zentrum.Vom Zentrum aus geht der Willensnerv. Der motorische Nerv ver-mittelt ebenso materiell dasjenige, was nun als Wille erscheint. Siekommen aus dem Materiellen überhaupt nicht heraus. Dadurch, daßSie zweierlei Nerven konstruieren, die es gar nicht gibt - es gibt nur

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einerlei Nerven -, haben Sie sich das Tor zu dem Geistigen des Men-schen zugesperrt. Und das ist dasjenige, was uns die so bewunderns-werte Naturwissenschaft, die für den äußeren Menschen so großartigist, für den Menschen gebracht hat. Sie ist so weit gegangen, daß sieeine rein ausgedachte Theorie an die Stelle der Wirklichkeit gesetzthat, die rein ausgedachte Theorie, daß es zweierlei Nerven gibt, wäh-rend eben die motorischen Nerven auch sensitive Nerven sind und nurzur Wahrnehmung der inneren Bewegungen da sind. Auf der anderenSeite macht sie das Herz zu einer Art von Pumpe, zu einem physika-lischen Apparat, der durch eine Art Automatismus die rhythmischeZirkulation des Menschen hervorruft. Dann löscht sie sich, indem siein diesen physischen Automaten Herz die ganze Ursache der rhyth-mischen Bewegungen des Menschen hineinverlegt, den Zusammen-hang aus zwischen dem rhythmischen System und auch zwischen demStoffwechselsystem und der geistigen Wesenheit des Menschen.

Das ist das Zuschließen des Tores zum geistigen Menschen, zu derspirituellen Wesenheit des Menschen gewesen, daß auf der einen Seitedie Theorie von den zweierlei Nerven aufgestellt worden ist, und aufder anderen Seite die Herztheorie, die das Herz nicht dasjenige seinläßt, was es ist, sondern es zum physischen Motor für die Blutzirku-lation macht, während es in Wahrheit in seinen Bewegungen nur derAusdruck für das Blut wirklich ist, das vom spirituellen Menschenaus bewegt wird.

Das hat schon seine bedeutsamen Folgen. Denn dadurch erst, daßSie in dieser Weise sehen, wie die Nervenorganisation sich eigentlichhineinverlegt in den Menschen, können Sie die Nervenorganisationin der richtigen Weise, sagen wir zum Beispiel, in Beziehung zu derOrganisation des Verdauungssystemes bringen. Das Verdauungssystemgehört dem System des Menschen an, das ich das Stoffwechsel-Bewe-gungssystem genannt habe, und das Nervensystem ist polarisch ihmentgegengesetzt.

Nun betrachten wir einmal den Menschen, wie er in bezug auf daseine und das andere System ist. In bezug auf das Stoff Wechselsystem:äußere Stoffe werden aufgenommen. Das Wesentliche für das Ver-dauungssystem ist die Tätigkeit, die nun hervorgerufen wird, wenn

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in den Körper die äußeren Stoffe hineinversetzt werden. Dasjenige,was der Organismus des Menschen genötigt ist deshalb zu tun, weilein Fremdkörper in ihn hineinkommt, den er umgestalten, den er me-tamorphosieren muß, was der Mensch deshalb tun muß: darauf kommtes an, auf diesen Prozeß kommt es an bei der Verdauung, und dieserProzeß bleibt auf einer bestimmten Stufe stehen. In dem Momente,wo nun dieser zunächst fortschreitende Prozeß gewissermaßen imÜberwinden der Kräfte der äußeren Nahrungsmittel stehenbleibt, datritt der Impuls der Ausscheidung ein. Und die Ausscheidung tritt hierin bezug auf das Stoffwechselsystem so ein, daß diese Ausscheidungunmittelbar nach außen erfolgt. Wir haben also zu begreifen das Stoff-wechsel-Bewegungssystem so, daß zunächst die Impulse des Menschen-organismus, die verwandt sind mit dem Willen, der Wille unmittelbarin den Stoffwechsel eingreift, daß diese Impulse, die verwandt sindmit dem Willen, die Überwindung, die Konstitution des Stoffes, wieer außen ist, so weit treiben, daß er bis zu einem gewissen Punktekommt. Dann wird ausgeschieden, ausgeschieden auf allen den We-gen, die ja bekannt sind. Aber die Ausscheidung erfolgt nach außen.

Derjenige Teil der Verdauungstätigkeit aber, der durch den ganzenorganischen Prozeß in die Kopforganisation, das heißt in diejenigeOrganisation, wo das Nerven-Sinnessystem nicht ausschließlich, abervorzugsweise lokalisiert ist, hingetrieben wird, der geht nicht nur biszu diesem Punkt im menschlichen Organismus, bis zu dem der Prozeßgeht im Stoffwechsel-Bewegungssystem, sondern dasjenige, was fürdie Kopforganisation Verdauung ist, das wird weitergetrieben, indemdie Ausscheidung nun nicht nach außen geht, sondern innerlich erfolgt.Und was ist das Ergebnis dieser innerlichen Ausscheidung, die also ab-gelagert wird in dem Menschen selber, was ist das Ergebnis dieser inner-lichen Ausscheidung? Das ist das Nervensystem. Das Nervensystem istdasjenige System im menschlichen Organismus, das eigentlich seinensubstantiellen Gehalt einer innerlichen Ausscheidung verdankt, dieaber im Organismus bleibt, nicht nach außen getrieben wird, natürlichnur bis zu einem gewissen Punkte im Organismus bleibt, und dortdurch die plastischen Kräfte der ersten unsichtbaren Wesenheit desMenschen, der ersten übersinnlichen Wesenheit des Menschen, dem

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sogenannten Äther- oder Lebensleib, durch die plastischen Kräfte,durch die Bildekräfte dieses Äther- oder Lebensleibes geformt wird.

So daß man zu unterscheiden hat außer dem physischen Leib desMenschen diese erste übersinnliche Wesenheit, den Äther- oder Le-bensleib, der eigentlich nur dynamisch ist, nicht materiell, nur dyna-misch. In der ganzen Welt sind diese dynamischen Wirkungen ebensovorhanden, im Menschen auf besondere Weise.

Dieser Bildekräfteleib enthält die gestaltenden Kräfte, die nun jeneAusscheidungsprodukte zu dem so wunderbar gebauten Gehirn, über-haupt dem wunderbar gebauten Nervensystem formen.

Meine sehr verehrten Anwesenden, ich fordere Sie auf, alles das-jenige, was histologisch, was embryologisch, was sonst entwickelungs-geschichtlich, evolutionistisch über die Beschreibung, ich will sagen,zum Beispiel einer Embryonalzelle und einer Nervenzelle zu sagenist, all das vorurteilslos zu prüfen und Sie werden das mit keiner an-deren theoretischen Grundlage in Übereinstimmung finden könnenals einzig und allein mit derjenigen, die ich eben auseinandergesetzthabe.

Und so kann man schon wirklich als ein, ich möchte sagen, ganzgewissenhafter Skeptiker zu demjenigen stehen, was die Geistesfor-schung, die ich vertrete, sonst sagt. Sie sagt, man kann kommen zueiner Art von exakter Clairvoyance, einem exakten Untersuchen diesesÜbersinnlichen. Wie man dieses Übersinnliche exakt untersucht: ichhabe es beschrieben in meinem Buche, das als «Initiation» ins Eng-lische übersetzt worden ist. Gerade durch solche Untersuchungen desÜbersinnlichen kommt man eben dazu, dasjenige, was nun nicht mehrden physischen Naturgesetzen folgt, sondern eigentlich in der Natureine Art künstlerischer Tätigkeit ist, daß man das, diese plastischen,diese plastizierenden Kräfte verfolgt, die vorzugsweise im mensch-lichen Kopforganismus tätig sind, und die in diesem Kopforganismusjene sonst als Ausscheidungsimpulse nach außen getriebenen materiel-len Entitäten formen.

So daß das Sonderbare bei dieser Betrachtungsweise herauskommt,daß wir in unserem Nervensystem eigentlich durchaus eine Summevon Abbauprozessen zu sehen haben, und daß die Funktion unseres

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Nervensystems eigentlich darauf beruht, daß sie lediglich in Abbau-prozessen besteht, weil sie eine über einen gewissen Punkt hinausge-triebene Ausscheidung und nach der Ausscheidung geformte, plastischgeformte Materie ist.

Das gibt den fundamentalen Unterschied zwischen einem Organ,das der Nerven-Sinnesorganisation angehört, und einem Organ, dasder Verdauungsorganisation angehört. Ein Organ, das der Nerven-Sinnesorganisation angehört, ist in der Evolution wesentlich weiter-geschritten, ist in einer absteigenden Evolution. Ein Organ, das derStoffwechsel-Gliedmaßenorganisation angehört, ist nur in einer auf-steigenden Evolution, geht bis zu einem gewissen Punkte und fördertvon diesem Punkte an die Ausscheidung.

Das sind die Dinge, die uns zeigen, wie die Organe sind in ihremgesunden Zustande, das sind aber auch die Grundbedingungen, um zuerkennen, wie die Organe sich verhalten in ihrem kranken Zustande.Und das sind schließlich die Fundamente, die dazu führen, nun auchdie Heilmittel in ihrem Zusammenhange mit dem Krankheitsprozeßin Wirklichkeit zu erkennen. Machen wir uns das klar an einem Bei-spiel.

Der Prozeß, der sich in unserem Gehirn oder auch, man könntesagen, im ganzen Nervensystem abspielt, dieser Prozeß, der die Ma-terie bis zu einem gewissen Punkte entwickelt, dann sie abbaut und dieAbbauprodukte, also gewissermaßen die poverierten Produkte wie-derum formt, dieser Prozeß geht in unserem Nervensystem vor sich.Und dieser Abbauprozeß, nicht Aufbauprozeß, dieser Dissimilations-prozeß, nicht Assimilationsprozeß, dieser Prozeß des Abbaues, derliegt unseren Vorstellungen zugrunde. Unseren Vorstellungen liegt ei-gentlich zugrunde, daß wir in jedem Augenblicke unseres Lebens mitBezug auf unser Nervensystem eine Art atomistisches Sterben durch-machen, das nur immer aufgehoben wird durch die Aufbauprozesse.Man möchte sagen, im Momente des Sterbens drängt sich zusammenalles dasjenige, was verteilt ist auf das ganze Erdenleben des Menschenin dem fortdauernden Abbauprozesse des Nervensystemes.

Wenn man diese Prozesse studieren kann, wobei man es also miteinem Funktionieren der materiellen Kräfte bis zu einem gewissen

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Punkte zu tun hat, dann mit einem Abbau, dann sagt man sich dasFolgende: Wodurch denken wir denn eigentlich als Menschen? Wo-durch sind wir denn geistige Wesen? Durch dieselben Kräfte, durchdie wir, sagen wir, durch die Embryonalentwickelung ins Leben tre-ten? - Keineswegs! Unser physisches System darf sich nicht in geraderLinie weiterentwickeln, damit wir Menschen sein können, sondern esmuß von einem gewissen Punkte an eine lebendige Entwickelung durch-machen, eine Devolution muß eintreten. Und in der Devolution, nichtin der Evolution, ist die Grundlage gegeben für dasjenige, was unseregeistigen Tätigkeiten sind.

Bedenken Sie die Folge einer solchen Anschauung. Man glaubt, soetwas wie der Nervenprozeß sei ein aufsteigender Prozeß, und alssolcher, als aufsteigender Prozeß, wie der Wachstumsprozeß oder wieder Ernährungsprozeß, sei er die Grundlage des Denkens, des Vor-stellens. Das ist ja gar nicht möglich. Die Grundlage des Vorstellensist ein Abbauprozeß. Die Materie muß erst zerstört und die Zerstö-rungsprodukte plastisch geformt werden, damit sie die Grundlage ab-geben können für das Funktionieren des Geistigen in uns, für die Ge-danken. Wir müssen erst unsere materielle Grundlage zerstören, wirmüssen gewissermaßen erst Löcher in das Gehirn schlagen, damit wirdenken können. Also nicht etwa auf den organischen Wachstumskräf-ten beruht die Fähigkeit des Denkens, sondern damit der Geist in un-sere Organisation einziehen kann, ist es notwendig, daß diese Orga-nisation erst einem Abbauprozeß, einem Zerstörungsprozeß, einem par-tiellen Ertötungsprozeß unterliegt.

Dann, wenn Sie das klar durchschauen, kommen Sie dazu, daß Siesich sagen: Hier ist eine Straße, es hat geregnet, es hat einen weichenBoden, Wagen fahren darüber; ich sehe die Furchen. Aber nehmen wirjetzt an, irgendein Wesen käme vom Mars herunter, hätte niemalsWagen gesehen, die Wagen wären fort, und es sähe nur die Furchen.Das untersucht nun die Furchen, geht in die Erde hinein und sagt:Unter der Erdoberfläche, im Inneren der Erde, da sind die Kräfte, dievon unten hinauf die Furchen gemacht haben. - Wir können es demWesen nicht verübeln, daß es im Erdboden drinnen die Gründe suchtfür die Furchen, nur liegen sie nicht darinnen, sondern sie liegen in den

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Wagen, die darüber gefahren sind und die Furchen hineingefahrenhaben.

So ungefähr ist es mit unserem Gehirn. Sie glauben, das ist ein Or-ganisationsprozeß von unseren Organen nach außen; während dieFurchungen unseres Gehirns Eingrabungen sind von seelisch-geistigemLeben. Und wir kommen nun darauf, dh& wir unseren physischenKörper in bezug auf seine Nerven-Sinnesorganisation überhaupt nurals die Widerlage, als das Widerstehende gebrauchen, um die geistigeTätigkeit auszuüben. So wie Sie jede Spur des Wagens oben, der dahinoder dorthin gefahren ist, verfolgen können - und Sie können darausvieles erschließen, immer findet sich von irgend etwas, was der Wagengetan hat, eine Spur -, so können Sie aus dem Gehirn natürlich dasganze Denken erklären. Das ist eben gerade die wunderbare Illusiondes Materialismus, daß man ja nicht etwa sagen soll, man soll es nichtaus dem Gehirn erklären; im Gegenteil, man kann aus dem Gehirndas ganze Denken erklären und das Vorstellungsleben, aber weil eseingegraben ist von dem spirituellen Leben.

Wenn Sie diesen Prozeß verfolgen, der also ein Abbauprozeß ist,und Sie gehen dann vom Menschen hinaus in den großen kosmischenProzeß, so haben Sie da draußen dieselben Vorgänge. Und zwar ha-ben Sie den Vorgang, der sich heute im Menschen abspielt, aber nursich aufhält - wenn ich mich so ausdrücken darf - im Status nascendi,im Moment des Entstehens, diesen Prozeß, der sich abspielt im Ab-bauen des materiellen Prozesses, der dem Nervensystem zugrunde liegt,diesen Prozeß, der aber nur aufgehalten wird im Status nascendi, denhaben Sie kosmisch in der Natur draußen vorhanden beim Entstehender Kieselsäure, überall, wo sie in der Natur auftritt. Wenn Sie daherin der richtigen Art ein Präparat herstellen aus der Kieselsäure, diedraußen im Kosmos denselben Prozeß vorstellt, nur daß da der Prozeßfortgeht und dann in einem späteren Punkte zum Stillstand kommt,während er im menschlichen Haupte im Status nascendi aufgehobenwird, wenn Sie diesen Prozeß, der da draußen ist, in der entsprechen-den Weise nun zum Präparat verwerten und das dem Menschen in dergeeigneten Weise beibringen, dann nehmen Sie einem Körper, der ineiner Weise in seinem Ätherleib schwach geworden ist, diesen Prozeß

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nicht durchführen kann, durch das Heilmittel diesen Prozeß ab. Nunhat die Kieselsäure das Merkwürdige, daß, wenn wir sie durch dieSubstanzen, die wir ihr beimischen, und durch die Prozesse, durch diewir sie verarbeiten, wenn wir sie im gesamten menschlichen Organisa-tionsprozesse zum Kopfe bringen, sie da tatsächlich dem Menschen das-jenige abnehmen kann, was er deshalb, weil eine organische Schwä-chung vorliegt, nicht durch seine inneren Organisationskräfte ausfüh-ren kann.

So sehen Sie richtig hin auf dasjenige, was im menschlichen Hauptevor sich geht. Aber Sie müssen das menschliche Haupt im Zusam-menhang sehen mit den spirituellen Impulsen. Und Sie sehen hinauf dasjenige, was draußen im Kosmos vor sich geht in der Kieselsäure-bildung, und Sie erkennen, daß Sie im Kieselsäureprozeß, festgehalteneben im Silizium, in der Silicea, in diesem Prozeß etwas haben, das Siehineinorganisieren können in den Menschen, wodurch Sie ihm abneh-men dasjenige, was er ohne dies nicht kann. Dadurch rufen Sie aberwiederum die innerste Organisation des Menschen zur Reaktion auf,so daß sie von sich aus wieder kann, was man ihr eine Zeitlang abge-nommen hat.

So sieht man durch spirituelles Schauen, was eigentlich die Kiesel-säure im menschlichen Organismus für eine Funktion ausübt, wennder Organismus diese Funktion nicht selber ausüben kann. Das ist es,was als eine fundamentale Erkenntnis entsteht, wenn man eben diegesamte menschliche Organisation und auch den Zusammenhang mitder äußeren Natur durchschaut. Man braucht dann nur zu fragen: Wasgeschieht nicht in irgendeinem Teil des menschlichen Organismus undwas sollte geschehen?

Weiß man dann von der Natur, wo der Prozeß liegt, der geradean der Stelle des menschlichen Organismus fehlt, so ist die Pathologieunmittelbar die wirkliche reale Grundlage der Therapie. Und jede inder Pathologie gegebene Fragestellung richtig beantworten, ist unmit-telbar auch die therapeutische Antwort,

Das ist dasjenige, was die Möglichkeit bedeutet, so vorzugehen, daßman sagt: Nun, ich verfertige ein Heilmittel. Durch das Einsehen desZusammenhanges kann ich voraussagen, wie das Heilmittel wirken

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wird. Wirkt es dann in der Tat so, so ist das ein Verifizieren, keinbloßer Empirismus, sondern es ist ein Verifizieren.

Sehen Sie überall nach, wie es die äußeren Wissenschaften machen.Ist man imstande, durch irgendeine theoretische Anschauung voraus-zusagen, was eintreten soll, dann sieht man nicht auf die Menge derFälle, die verifizieren, sondern wenn man die Bedingungen wirklichrichtig herstellt und das Vorausgesagte sich erfüllt, dann hält manzunächst dasjenige, was man angenommen hat, für verifiziert. Undinsbesondere ist es ja wichtig für das Praktische, daß eine solche Veri-fizierung eintritt, denn die Praxis zeigt ja auf diesem Gebiete immer,ob wir mit unseren Voraussagen recht haben oder nicht. Dasjenigealso, was erreicht werden kann durch dieses Hinlenken der Menschen-erkenntnis von der bloßen physischen Natur zur geistigen Natur, dasist, daß wir lernen, die Prozesse, die wir in der Pathologie beobachten,bei einer therapeutischen Behandlung so vorauszusehen, wie wir sonstim Laboratorium oder im physikalischen Kabinett einen äußeren Na-turprozeß voraussagen. Tritt er in der Weise ein, wie wir ihn vorausge-sagt haben, so haben wir die Sache durchschaut. So dehnen wir daswirklich Wissenschaftliche so aus, wie wir es gewohnt sind in derPhysik zu machen, wahrend wir in den biologischen Wissenschaften,und namentlich in ihrer praktisch therapeutischen Verwertung, ebenheute durchaus sehen, daß eine bloße empiristische Methode da ist. Eshandelt sich also nicht darum, weniger Wissenschaft zu haben, son-dern mehr Wissenschaft zu haben, um zu einer wirklich rationellen,das heißt, auch durchschaubaren Erkenntnis des Zusammenhanges zwi-schen Pathologie und Therapie zu kommen.

Es ist schon erschrecklich spät geworden. Daher werde ich genötigtsein, in einem kürzeren, nunmehr letzten Teil einiges noch zusammen-zufassen, was einiges Licht noch werfen kann auch von der therapeu-tischen Seite aus auf dasjenige, was ich gesagt habe.

Wenn wir diese Organisation für das Sinnes-Nervensystem, diehauptsächlich konzentriert, lokalisiert ist im menschlichen Haupte, insAuge fassen, so finden wir nach dem Gesagten, daß sie im wesentlichenzugrunde liegt dem Gedankenleben, dem Vorstellungsleben. Aber was

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ist dasjenige, was der Mensch sein Gedankenleben nennt? Es ist das-jenige, was von der eigentlichen Kraft der Gedanken in das Bewußt-sein hereinspielt, und dasjenige, was der Mensch eigentlich so wahr-nimmt, daß er ganz instinktiv, unwillkürlich davon spricht, wie ei-gentlich der Gedanke keine Wirklichkeit ist. Der Gedanke, der erlebtwird, ist kraftlos. Der Gedanke, der erlebt wird, ist im Grunde ge-nommen nur in einem Bilddasein vorhanden.

Dagegen hat dieses Gedankenleben noch eine andere Seite, eine we-sentlich andere Seite, und wir können, ich möchte sagen, in einer ein-fachen Weise uns vor die Seele führen, welche andere Seite dieses Ge-dankenleben hat, wenn wir daran denken bloß, daß ja diese Erschei-nung nach dem Bewußtsein beim ganz kleinen Kinde noch nicht vor-handen ist. Dagegen ist die andere Seite dieses Gedankenlebens bei demganz kleinen Kinde sehr wohl vorhanden. Das ist die wirkliche dyna-misierende, plastizierende Kraft des Gedankenlebens. Wir haben dieeine Seite des Gedankenlebens, die für das gewöhnliche Bewußtseineben in den Vorstellungen, in den Gedanken, in den Begriffen zur Of-fenbarung kommt, und wir haben gewissermaßen die nach rückwärtsgerichtete Kraft der Gedanken, die identisch ist mit jener plastizieren-den Kraft, die ich vorhin erwähnt habe. So daß, wenn wir auf dasmenschliche Vorstellungsleben sehen in seinem Zusammenhang mitdem ganzen menschlichen Organismus, wir eigentlich sagen müssen:dasjenige, was wir vom Gedankenleben wahrnehmen, unmittelbar er-leben, das ist wie ein Spiegelbild im Verhältnis zu einem wirklichenGegenstand. Das Wirkliche am Gedankenleben sind die nach innengehenden plastischen Kräfte.

Und diese nach innen gehenden plastischen Kräfte sehen wir amganz kleinen Kinde, das noch nicht ein bewußtes Gedankenleben hat,ja am stärksten an der Plastik des Gehirns arbeiten. Gerade wenn derMensch noch ein Kind ist, wird am stärksten an der Ausarbeitungdesjenigen Organs gearbeitet, das dann die Grundlage des Vorstellungs-lebens selber wird.

Wir wagen es, von einer latenten Wärme zu sprechen und von einerWärme, die erscheint, von einer erscheinenden Wärme. Wir wissen,daß durch gewisse Prozesse eine gebundene Wärme frei gemacht wer-

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den kann, herauskommt aus der Substanz, in der sie gebunden war, la-tent war. Wir wagen es nur heute noch nicht, in derselben Weise da-von zu sprechen, daß im Kinde allmählich das bewußte Vorstellungs-leben aus dem unbewußten Vorstellungsleben herausgetrieben wird,und daß dieses unbewußte Vorstellungsleben im Kinde am allerleben-digsten an der Plastik des ausgeschiedenen Materiellen arbeitet, umdas Nervensystem durch seine plastizierende Kraft zustande zu brin-gen. Diese plastizierende Kraft dauert dann das ganze menschliche Le-ben fort, ist am stärksten in der Kindheit. Und wir sehen dadurch aufdas erste Übersinnliche im Menschen.

Übersinnlich sind die Gedanken, aber es sind eigentlich nur dieBilder, die erlebt werden; übersinnlich sind aber auch die Kräfte, dienun das eigentliche Gedankenorgan formen, die am Nervensystemarbeitenden Kräfte.

Aber man möchte sagen, das ist nur der dem physischen Geschehen,dem physischen Prozeß nächste Teil des übersinnlichen Menschen. Esist etwas, was sich anschaut, möchte ich sagen, wie das, was zwischenphysischem Leib und Seelischem steht. Schauen wir aber hin auf dasrhythmische System, das in direktem Zusammenhang, wie ich gesagthabe, mit dem Gefühlsleben des Menschen steht, so sehen wir da einHöheres in diesem rhythmischen System tätig, und wir sehen in demrhythmischen System nicht nur gewissermaßen ein ätherisch Plastischeswirksam, sondern ein ätherisch Plastisches, das durchseelt ist. Und imInnersten ist der Rhythmus gerade dieses merkwürdige Ineinanderar-beiten des Prozesses, den wir auf der einen Seite gesehen haben im Ver-dauungs-Bewegungssystem, im Stoffwechsel-Bewegungssystem, wo biszu einem gewissen Punkte die Evolution des Stoffprozesses gebrachtwird, wo dann der Stoffprozeß ausscheiden will, während er im Ner-venprozeß innerlich ausscheidet.

Stellen wir uns nun den ganzen Prozeß so vor, daß er gewisser-maßen geführt wird als Stoffwechselprozeß bis zu einem gewissenPunkte, dann die Ausscheidung entsteht, aber sofort zurückgebildetwird, so daß fortwährend der ganze Prozeß hin- und herpendelt zwi-schen einem Stoffwechselprozeß und einem abbauenden Nervenpro-zeß, dann haben Sie den Grundtypus jenes rhythmischen Prozesses,

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der allen rhythmischen Prozessen zugrunde liegt. Er hängt zusammenmit einer Tätigkeit des Menschen, des übersinnlichen, des spirituellenMenschen, die ausgeht von dem beseelten ätherischen Prozesse, vondem beseelten Ätherleben gewissermaßen.

Und schauen wir auf die Atmung, auf die Blutzirkulation, irgendetwas, das sich gerade in der Sphäre der rhythmischen Prozesse ab-spielt, so haben wir dieses gewissermaßen gegenüber dem bloßen äthe-rischen Prozesse höhere Wirken eines durchseelten ätherischen Prozes-ses in unseren rhythmischen Vorgängen. Die lassen sich nun wiederumim Zusammenhange mit den Vorgängen im Kosmos beurteilen.

Wir sehen, wie da, wo er nicht über seine Grenzen hinausgehen soll,der Stoffwechsel über seine Grenzen hinausgeht, so daß er gewisser-maßen am unrichtigen Orte, in einem unrichtigen Organ des Men-schen zum Nervenprozeß wird. Gewiß, es sieht phantastisch aus, ent-spricht aber der Realität. Wenn innerhalb des Stoffwechselsystems, deseigentlichen Stoffwechselsystems, der Stoffwechselprozeß über denPunkt, den ich charakterisiert habe, wo er zur Ausscheidung führensollte, hinausführt und gewissermaßen übergeht an unrechtem Orte inden Nervenprozeß, dann entsteht die Krankheit, die in den verschie-denen Formen des Typhus abdominalis erscheint. So daß wir sagen müs-sen: die typhösen Krankheiten sind innerhalb des Stoffwechselprozes-ses auftretende Nervenprozesse, Nervenprozesse, die natürlich nur alsProzesse auftreten, nicht bis zu einer wirklichen Bildung eines Nerven-systems führen können. Es handelt sich nun darum: wie kommen wireinem solchen Prozeß bei?

Da schauen wir wiederum hinaus in den Kosmos, und es bietetsich uns in dem Kosmos jener merkwürdige Stoff, der natürlich imKosmos als Prozeß enthalten ist, aber im Antimonerz festgehaltenwird. Eigentlich sind ja die Mineralien, die Erze, durchaus festgehal-tene Prozesse.

Dieses Antimon ist ein merkwürdiges Mineral, ein merkwürdigesErz. Es beginnt gleichsam immer die Kristallisation, wirft Gestaltenauf, die spießig sind, drahtförmige Gestalten. Es sieht fast aus wieeine in der Mineralisation festgehaltene Pflanze oder wie ein in derMineralisation festgehaltenes Moos. Aber es hat noch andere Eigen-

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Schäften. Unterwerfen wir dieses Antimon einem gewissen elektro-lytischen Prozeß und bringen wir das, was wir daraus gewinnen, andie Kathode, so braucht es nur einer ganz geringen Berührung mit einerMetallspitze und wir können daraus hervorholen einen regelrechtenkleinen Explosionsprozeß.

Und wiederum, wenn wir dieses Antimon unter gewissen Umstän-den zur Verbrennung bringen, den Rauch auffangen an bestimmtenFlächen, so bekommen wir den wunderbaren Antimonspiegel, eineAblagerung des Antimonerzes, das durch eine bestimmte Art von Ver-brennungsprozeß durchgegangen, rauchbildend war, den Rauch ab-gelagert hat. Wir bekommen durch einen Prozeß, dem wir das Anti-mon unterwerfen können, gewissermaßen eine Fortsetzung desjenigenProzesses, den wir im Antimon, wie es in der Natur vorkommt, fest-gehalten sehen.

Wenn wir nun diesen Antimonspiegel gewinnen - und die Gewin-nung des Antimonspiegels* bildet innerhalb unseres pharmazeutischenLaboratoriums etwas sehr Wichtiges -, wenn man diesen Antimon-spiegel gewinnt, so nähert man sich denjenigen Kräften, welche rück-bildend wirken auf solche Prozesse, die innerhalb des Stoffwechsel-systems bis in die Nervenbildungsprozesse hineinführen. Die antimo-nisierenden Kräfte, möchte ich sagen, schlagen diesen Prozeß im Stoff-wechsel, der über sein Ziel hinausschießen will, wiederum auf sein Zielzurück. Und wir bekommen eine Nachbildung des rhythmischen Pro-zesses dadurch, daß wir den organischen Prozeß, der zu weit geht,durch das Antimon, das bis zum Antimonspiegel gebracht worden ist,wiederum zurücktreiben.

Wir können auf diese Weise direkt, wenn wir diese antimonisie-rende Kraft richtig benutzen, diesen, ich möchte sagen, nervenbilden-den Prozeß an unrechter Stelle wiederum zerstören, aufhalten, aufseine richtige Stelle zurückführen und bekommen dadurch, daß wirerfassen den eigentlichen typhösen Prozeß, indem wir in die Naturhinaussehen, welcher Prozeß diesen pathologischen Prozeß zurück-führt, den entsprechenden therapeutischen Prozeß.

So daß wir immer in der Lage sind, durch Durchsichtigmachen derpathologischen Prozesse einfach in der Natur, entweder die unter-

* Siehe Hinweis auf Seite 249 71

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stützenden, wie ich gestern schon sagte, oder die entgegenwirkendenProzesse zu finden und dadurch in der Tat die Heilmittel auf ganzrationelle Weise herbeizuführen.

Man kann wirklich hoffen, daß das auch zum Ende kommen kann,was bis zu einem gewissen sehr weiten Grade schon uns Erfolge ge-bracht hat, aber was eben jetzt erst eigentlich in seiner Vollendungist, nämlich das Aufsuchen des Heilmittels für die Karzinombildungen.

Wenn man sagen muß, daß der Stoffwechselprozeß hinausgetrie-ben werden kann über sein Ziel, so daß er zum nervösen Prozeß hin-überführt, gewissermaßen den nervösen Prozeß, den nervenbildendenProzeß an unrechter Stelle ausführt, so kann noch etwas anderes ein-treten. Es kann an unrechter Stelle nicht nur die Tendenz eintretenim menschlichen Organismus, Nerven zu bilden, sondern an unrech-ter Stelle kann die Tendenz eintreten, die sonst nur in den Sinnesorga-nen wirkende Prozesse hervorrufen. Da wird der Stoffwechsel nochweiter getrieben als nur zu dem Punkt, wo er nervenbildend auftretenwill, da wird der Stoffwechselprozeß getrieben bis zu der Tendenz, anunrechtem Orte des menschlichen Organismus ein Sinnesorgan zu bil-den. Und diese Tendenz liegt dem Karzinom zugrunde.

So skeptisch man heute noch dem entgegensehen muß, so wird manimmer mehr und mehr, gerade wenn man nun, ich möchte sagen, mitdieser Richtlinie histologisch und so weiter bei der Karzinomunter-suchung vorgeht, sehen, daß dem Karzinom zugrunde liegt ein an un-rechter Stelle entstehenwollendes Sinnesorgan. Natürlich ist das sehrapproximativ und grob gesprochen, aber es liegt der Prozeß zugrunde,der eigentlich nur bei der Bildung des Sinnesorgans tätig sein sollte.

Und nun handelt es sich darum: wie können wir diesen Prozeß zu-rücktreiben bis zu dem Punkt, wo der Stoffwechsel eigentlich endensoll und unmittelbar nicht zur Ablagerung, sondern zur unmittelbarenAusscheidung führen soll?

Und da bietet sich uns eben der Heilprozeß dadurch, daß wir denSaft der verschiedenen Arten von Viscum verwenden, und zwar nicht,wie manche eingewendet haben, weil da eine laienhafte Vorstellungzugrunde liegt, sondern im Gegenteil, weil ein wirkliches Durchschauenauch wiederum desjenigen Prozesses zugrunde liegt, der eigentlich da

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ist, wenn sich die Mistel als eine parasitische Pflanze da oder dort,sagen wir, auf dem einen oder anderen Baume bildet. Da liegt nämlichetwas außerordentlich Kompliziertes zugrunde.

Wenn wir den Prozeß untersuchen, der, grob gesprochen, der Holz-bildung zugrunde liegt, dem Entstehen des Baumes aus der gewöhn-lichen krautartigen Pflanze, aus der Pflanze, die nicht innerlich nochverholzt ist, wenn wir also diesen Prozeß des Baumwerdens aus derPflanze in der richtigen Weise schauen können, so ist dieser Prozeßkosmisch ein sehr, sehr merkwürdiger Prozeß. Wir haben es da zutun mit dem Erdboden, wenn wir eine gewöhnliche Krautpflanze ha-ben, die also noch nicht verholzt, die nicht Baum wird. Die Wurzelverwächst eigentlich innig mit dem Erdboden, sie gehört sozusagenzum Erdboden noch dazu, denn es findet auch ein fortwährender Stoff-wechsel mit dem Erdboden statt. Dann wächst also das Kraut mit denBlättern und es wachst die Blüte heraus. Es geht dann über in die atmo-sphärischen Einflüsse und so weiter.

Nun, wir betrachten ja heute - ich muß da allerdings jetzt aus einerArt biologischer Geologie eine Sache heranziehen - das Unorganischedes Erdbodens so ungefähr, wie wenn das etwas Absolutes an sichwäre. Aber alles dasjenige, was wir als Mineralisiertes im Erdbodenhaben, ist nämlich ursprünglich ein Ausgeschiedenes. Wenn wir so vor-gehen, wie die heutige Geologie vorgeht, dann kommen wir allerdingszu keiner Erkenntnis des Erdbildungsprozesses, weil wir herausab-strahieren aus dem Erdbildungsprozeß die bloße mineralische Grund-lage. Es ist so, wenn wir heute die Geologie als ein fertiges System voruns hinstellen, wie wenn wir das bloße Skelett des Menschen vor unshinstellen und behaupten würden, das kann für sich ein Dasein haben.Das Skelett des Menschen kann nur als Abgeschiedenes, ich möchtesagen, Mineralisiertes ein Dasein haben. Ein Skelett kann nicht fürsich entstehen. Ein Skelett kann auch nicht für sich betrachtet werden,nur im Zusammenhange mit dem ganzen Menschen.

So kann auch das, was die Geologie gibt, nur im Zusammenhangmit der lebendig organischen und geistig durchwesten Erde betrachtetwerden. Wir haben nicht etwas Ursprüngliches in den geologischenBildungen vor uns, sondern wir haben etwas vor uns, was abgeschie-

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den ist. Tatsächlich, es ist der Prozeß der Steinkohlenbildung nur dereinfachste, elementarste Prozeß des Mineralisierens. Aber alles, alleSchieferbildungen, alle kristallinischen Bildungen, alles ist Abgeschie-denes, ist Ausgeschiedenes, ist gewissermaßen dasjenige, was minera-lisiert ist aus einem ursprünglich undifferenziert organisch Geistigenheraus.

Diese Dinge sind deshalb so schwer heute zu vertreten, weil, manmöchte sagen, die Gegengründe so auf flacher Hand liegen. Sie sindfast selbstverständlich, die Gegengründe, und sie sind so leicht zudurchschauen, die Gegengründe. Es ist tatsächlich so furchtbar leicht,heute auszurechnen - approximativ natürlich, keiner behauptet ja,daß das sicher ist -, wie viele Millionen oder hundert Millionen Jahreman zurückgehen müsse bis zu dieser oder jener geologischen Forma-tion. Das ist eine Methode, die natürlich scheinbar außerordentlichexakt ist, aber es ist eine Methode gerade so, wie wenn ich beobachte,welch kleine Veränderungen mein Herz innerhalb eines Monats durch-macht; jetzt suche ich zu errechnen, wieviel das in drei Jahren ist. Esist genau dieselbe Sache. Ich kann nun ausrechnen, wie mein Herz indreihundert Jahren ist, und ich kann zurück einen Zustand berechnen,in dem mein Herz vor dreihundert Jahren war, nur daß ich selber nochnicht da war! Die Rechnung ist ganz richtig, die Schlußfolgerung istrichtig, tadellose Logik, nur ist es nicht wirklichkeitsgemäß. Ebensosind die Berechnungen der Geologie tadellos, vollständig logisch, nursind sie nicht wirklichkeitsgemäß, denn vor diesen Millionen von Jah-ren war eben die Erde ebensowenig da, wie wenn ich meine eigeneGestaltung berechne als physischer Mensch vor dreihundert Jahren.Die Rechnung ist richtig in der Geologie, aber die Erde war eben nochnicht da vor diesen dreihundert Millionen Jahren.

Und so muß eben eine höhere Betrachtungsweise eintreten. Diesieht in allem, was mineralisch ist, etwas Abgelagertes. Wenn nun diePflanzen aus dem Erdboden herauskommen, so haben wir da das Mine-ralische. Wenn nun statt der gewöhnlichen Krautpflanze der Baumentsteht, dann ist das Entstehen des Baumstammes mit seinem Ver-holzen ein Rückschlag, ein Atavismus an einen früheren Zustand, indem die ganze Erde war. Wir sehen also, so wie wir andere atavistische

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Organe haben, in der Entstehung des Baumes einen Atavismus an ei-nen früheren Zustand der Erde.

Wenn nun auf dem Baume Viscum wächst, dann haben wir etwas,was wächst in einem Boden drinnen, der nicht der unmittelbare Erd-boden ist, denn der ist ein Spätprodukt, der ist ein Ablösungsprodukt,ein Produkt der Abscheidung, sondern wir haben in dem Viscumetwas, was wächst in einem Erdenzustande, der ein früherer Erdenzu-stand ist. Dann aber wiederum, wenn wir die Sache weiterverfolgen,so müssen wir ja auch finden, daß der Mensch in seiner Evolution dieTendenz zur Sinnesbildung zuletzt aufgenommen hat. Wir finden, in-dem wir den Mistelbildungsprozeß verfolgen, einen Prozeß einer sehrfrühen Erdperiode.

Bringen wir diesen Prozeß in den menschlichen Organismus hin-ein, namentlich durch Injektion unmittelbar in den Zirkulationspro-zeß, dann versetzen wir den Menschen in ein früheres Stadium seinesWesens auf Erden, seiner Evolution, und wir arbeiten entgegen aufdiese Weise diesen Prozessen, die die spätesten Prozesse sind.

Nur muß man sich allerdings ganz klar sein darüber, daß das zu-nächst die abstrakten Gedankenkonstruktionen sind oder höchstensauch die abstrakten Konstruktionen des clairvoyanten Hellsehens. Esist ein Schauen, aber es ist noch nicht das vollständige Überschauen.

Wenn wir dasjenige, was nun im Mistelprozeß wirkt, unmittelbarnehmen und dem Menschen einführen, so verändert es sich wiederum,wie ich gestern für andere Dinge gesagt habe, zu stark. Und daherwird nun versucht, dasjenige, was im Mistelbildungsprozesse lebt, miteiner sehr komplizierten Maschine zu verarbeiten, die eine zentrifu-gale und eine radiale Kraft entfaltet, mit einer ungeheuren Geschwin-digkeit eine zentrifugale Kraft entfaltet. Die Konstruktion war nichtso leicht. So daß man tatsächlich dasjenige, was im Mistelprozeß wirkt,umgestaltet zu einem ganz anderen Aggregatsprozeß und dadurch dieTendenzen in der mistelbildenden Kraft in einer konzentrierteren Weiseverwenden kann, als sie heute, wo der Mistelprozeß doch ein deka-denter Prozeß ist, in diesem zutage tritt.

Und so werden wir versuchen, immer weiterzukommen gerade indiesem Antikarzinommittel, das ja bis zu einer gewissen Vollkommen-

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heit schon ausgebildet ist, auch gewisse Konsequenzen schon ergebenhat, aber das erst ganz fertig sein wird und erst dann seine letzte Veri-fizierung erfahren kann, wenn auch dieser, ich möchte sagen, Labora-toriumsprozeß mit der Zentrifuge - sie ist jetzt fertig - vollständigbis zu seinem Ende gebracht sein wird. Und wir werden auch aufdiese Weise der Krankheit der Karzinome auf eine immer bessere Weisebeizukommen suchen.

In einer ähnlichen Weise versuchen wir mit unseren verschiedenenMitteln - die Zeit ist zu weit vorgeschritten, als daß ich das nochgenauer erklären könnte, aber ich will die Prinzipien erörtern - denTuberkuloseprozessen, den verschiedenen Organprozessen und so wei-ter beizukommen. Wir verwenden, wie ich schon andeutete, die Mit-tel in verschiedener Weise, indem wir sie direkt in das Stoffwech-selsystem einführen oder durch Injektion in das Zirkulationssystem,wo sie wieder anders wirken, oder aber indem wir sie Bädern unddergleichen zufügen, indem sie mehr auf den Sinnesprozeß von außenwirken.

Wir verwenden dann auch zum Beispiel die sogenannte Heileuryth-mie, wo wir im Organismus des Menschen selbst liegende Bewegungenausführen lassen. Wer eine menschliche Hand vorurteilslos ansieht,wird doch niemals sagen, daß diese menschliche Hand jemals als etwasdastehen kann, was in Ruhe sich befindet; die Form der Hand selberist ja nur die festgehaltene Bewegung. Die Hand gehört zum Bewegen.So gehört im Grunde genommen jedes menschliche Glied zum Bewe-gen. Führe ich jene einzelnen Bewegungen aus, die seinen Formeigen-schaften entsprechen, so kann ich unter Umständen durch die Bewe-gung wieder heilend auf die Formeigenschaften zurückwirken durchsolch eine Heileurythmie, die im Zusammenhange wieder steht mit derkünstlerischen Eurythmie, von der morgen hier eine künstlerische Vor-stellung in der Royal Academy of Dramatic Art stattfindet. Aber dieseEurythmie ist eben durchaus im physiologischen Sinne in der Heil-eurythmie ausgebildet. Solch eine Heileurythmie führt wiederum zudemjenigen, was nun, ich möchte sagen, als äußere therapeutische Maß-nahmen in dem Klinisch-Therapeutischen Institut in Ariesheim ausge-übt werden.

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Und so wird gerade in diesem Klinisch-Therapeutischen Institut inAriesheim, das, wie ich schon gestern erwähnte, unter der ausgezeich-neten Leitung von Frau Dr. Wegman steht, die ja hier anwesend ist,versucht, dasjenige, was man wissen kann über den spirituellen Men-schen, neben dem, was die Naturwissenschaft gegenwärtig über denphysischen Menschen weiß, zur Therapie im rationellen Sinne zu ver-wenden.

Und dazu mußten wir ja allerdings diesem Klinisch-Therapeuti-schen Institut in Ariesheim das Klinisch-Pharmazeutische Laborato-rium angliedern, das also eben in der Form auch Heilmittel erzeugenkann, wie sie aus einer wirklichen Menschenerkenntnis hervorgehen.

Nun, ich habe versucht, so gut es geht, aphoristisch in einigen kur-zen Andeutungen darauf hinzuweisen, wie in dieser Weise nicht derheutigen Medizin, wie gesagt, Opposition gemacht werden soll, aberwie diese Medizin in einem genau ebenso wissenschaftlichen Sinne, wiesie auf ihrem heutigen Gebiete arbeitet, weiter herauf in diejenigenGebiete des menschlichen Organismus geführt werden kann, wo indiesem menschlichen Organismus das Geistige eingreift. Und die Un-regelmäßigkeit, die durch das unrichtige Eingreifen des Geistigen,durch das dem Organismus nicht entsprechende Eingreifen des unbe-wußten Geistigen als Krankheitsform entsteht, eben auch eingerech-net werden muß in dasjenige Denken, das das totale medizinische Den-ken sein muß. Das medizinische Denken muß eben nach und nachauch darauf kommen, in dem Menschen nicht nur ein physisches We-sen zu sehen, in seinen Verrichtungen nicht nur physische Prozesse zusehen, sondern nur in einem Teil des Menschen rein physische Prozesse,in dem weitaus größten Teil des menschlichen Organismus, im mensch-lichen Organismus etwas zu sehen, wo unmittelbar eingreift das Spiri-tuelle, das der Mensch ebenso aus der spirituellen Welt in sich hat, wieer sein Materielles aus der physisch materiellen Welt in Form der Nah-rungsmittel und sonst entnimmt. Erst dann, wenn so auf den ganzenMenschen hingesehen wird in physiologischer Beziehung, wird manauch auf diesen ganzen Menschen hinsehen können in pathologischerBeziehung. Aber dieses Hinsehen auf den ganzen Menschen in patholo-gischer Beziehung gibt, zugleich mit der Pathologie untrennbar ver-

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bunden, eine wirkliche Therapie, da man kennenlernt die Beziehung,die Relation des Menschen zu seiner kosmischen Umwelt, und man da-durch aus der kosmischen Umwelt die Heilungsmittel nun nicht bloßdurch ein empirisches Probieren, sondern durch ein richtiges Zusam-menschauen und Durchschauen des Zusammenhanges des Menschenmit dem Kosmos eben finden kann. Dadurch wird eine Therapie ge-schaffen, die wiederum den Abgrund zwischen sich und der Patho-logie nicht haben wird, sondern mit der Pathologie ein Ganzes aus-machen wird.

Und das war es, was als eine Sehnsucht vieler Ärzte in die anthro-posophische Bewegung hineingekommen ist und dem abgeholfen wer-den sollte durch diese Detailströmung, möchte ich sagen, innerhalbdieser geisteswissenschaftlichen Bewegung, die sich auf medizinischemGebiete geltend gemacht hat.

Hoffentlich sind meine aphoristischen Andeutungen nicht gar zuundeutlich geworden. Aber wenn man in der Kürze etwas darzustellenhat, will man doch womöglich die weitausgreifenden Prinzipien dar-stellen. Darunter leidet manchmal das einzelne. Aber hoffentlich habeich doch in diesen Andeutungen wenigstens einzelnes Anregendes ge-ben können.

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VIERTER VORTRAG

Wien, 2. Oktober 1923

Das Gebiet, über das heute abend gesprochen werden soll, ist ein sehrweites und bedarf auch einer sehr ausführlichen Grundlegung. Es istnatürlich außerordentlich schwierig, an irgendeinem Punkt anzufan-gen, deswegen gestatten Sie mir, wenigstens einleitungsweise mit einigenWorten darauf hinzudeuten, wie Anthroposophie zu den Erkenntnis-problemen, zu der ganzen Seelenverfassung des gegenwärtigen Men-schen steht.

Es ist ja namentlich im Laufe des 19. Jahrhunderts dasjenige imvollsten Maße eingetreten, was schon im Grunde genommen seit dem15., 16. Jahrhundert vorbereitet war, und das in bezug auf die Ent-wickelung der Erkenntnisprobleme und desjenigen, was sich dannpraktisch an die Erkenntnisprobleme anschließt, maßgebend gewordenist: die exakte hinaufgeführte Beobachtung und das Experiment, undauf der anderen Seite der Intellekt, die sich daran anschließende Schluß-folgerung. Es ist heute ja so, daß demjenigen, der auf irgendeinem Ge-biete eine wissenschaftliche Bildung durchgemacht hat, kein Zweifelaufsteigt, daß man, um zu einem wissenschaftlichen Resultat zu kom-men, experimentieren und denken muß, ja, daß er nicht einmal inseinen Horizont die Anschauung hineinbekommt, daß es auch anderssein könnte. Insbesondere kommen solche Anschauungen nicht in dieSpezialgebiete hinein. In dieser Beziehung schreckt man davor zurück,gerade zu denjenigen, die auf irgendeinem Gebiete geschult sind, vonden Konsequenzen der anthroposophischen Forschung für diese Ge-biete zu sprechen. Wenn man auch einerseits sagen müßte: In die an-throposophische Forschung, die ich meine, sollte nur derjenige ein-dringen, der sich wissenschaftliche Methodik angeeignet hat -, so mußman andererseits doch sagen, daß sich einige für die Spezialgebieteso paradoxe Resultate in bezug auf die Forschung ergeben, daß manin bezug auf diese Spezialgebiete lieber heute noch schweigt, als davonspricht. Und wenn ich davon spreche, so tue ich es in der Überzeugung,daß Sie alle hierher gekommen sind, nicht um etwas zu hören, was

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Sie überzeugt, was aber wenigstens wissenschaftlich ernstgenommenwerden kann.

Anthroposophie will eine wissenschaftliche Forschung sein, abersie will nicht stehenbleiben bei jener Seelenverfassung, die gespeist wirdvon dem äußeren Experiment und dem Intellekt, sondern sie suchtihre Erkenntnisse dadurch zu gewinnen, daß sie die menschlichen See-lenkräfte entwickelt in dem Vertrauen, wie man als kleines Kind un-entwickelte Kräfte hat, die sich entwickeln zum Vollmenschen, daßes ebenso möglich ist, wenn man in die heutige wissenschaftliche Bil-dung hineingelangt ist, durch eine besondere Entwickelung der Seelen-kräfte weiterzukommen. Die wichtigste Kraft ist die Gedächtniskraft,die Erinnerungskraft.

Die Erinnerungskraft ergibt sich ja als etwas, wovon schon einzelnevorurteilslose Philosophen der Gegenwart sagen, daß sie auf Geistigesim Menschen hinweist. Nun kommt es bei der Entwickelung der Seelen-kräfte darauf an, daß man ein Ergebnis vor die Seele stellt, das nichtmehr da ist. Man ruft also aus den Tiefen der Seele etwas herauf, wassich nicht mehr auf etwas unmittelbar Gegenwärtiges bezieht, was aberdoch in seiner ganzen inneren Konstitution nicht eine unbestimmte,sondern eine ganz bestimmte Relation zu einer Realität hat. Die Frageentsteht: Ist es möglich, das, was in der Erinnerung wirkt, weiterzuent-wickeln, wie die Gehirnstruktur in den ersten Lebensjahren des Men-schen entwickelt wird, so daß sie nicht nur innerlich seelische Gebildeschafft, welche durch ihre eigene Struktur auf etwas schon Dagewe-senes deuten, sondern die auf etwas deuten, was nicht nur menschlicheVergangenheit darstellt, sondern außermenschliche irdische Vergan-genheit darstellt? Ist es möglich, die Erkenntniskraft durch eine innereErkraftung so zu gestalten, daß das, was in einer stärkeren Weise alsdie Erinnerungsbilder geschaffen werden, hinweist auf etwas, wassonst nicht in das Bewußtseinsfeld des Menschen fällt?

Geht man von diesem Vertrauen aus, stellt man das als Postulathin, und stellt man in exakter Weise, so daß man mit Besonnenheiteinen jeden Schritt verfolgt wie das Mathematische, die inneren Übun-gen an, die durchaus nicht eine Seelenvergewaltigung sind, so kommtman zu neuen Erlebnissen. Hier, bei diesen Übungen, handelt es sich

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darum, daß man die Schritte so unternimmt, daß eine eigene Entwicke-lung daraus erfolgt. Es handelt sich nicht um etwas Mathematischesoder Derartiges. Wenn man in dieser Art gewisse Vorstellungen be-kommt, die leicht überschaubar sein müssen, damit keine Reminiszen-zen mitwirken - am leichtesten ist es den Mathematikern, die vonvornherein gewohnt sind, überschaubare Bewußtseinsinhalte in denMittelpunkt des Seelenlebens zu stellen —, und nicht müde wird, son-dern von diesem Standpunkt ausgehend, diejenigen Seelenfähigkeitenerkraf tet, die in der Erinnerung sich in einem mehr passiven Verhaltender Seele ausdrücken, so kommt man dazu, sich bewußt zu werden,daß man aus den Tiefen des Seelenlebens eine potenzierte Erinnerungs-kraft herausholen kann, welche die wirklichen organisch wirkendenKräfte des Erdenlebens wahren, so daß man tatsächlich überschaut ineinem Zeittableau - indem man sogar sprechen kann von Zeitperspek-tiven, von einer inneren Gesetzmäßigkeit und Struktur -, dasjenige,was zeitlich in einem gewirkt hat, seit man in das Erdenleben einge-treten ist.

Zuerst ergibt sich die Anschauung des eigenen Selbstes. Da ergibtsich die Anschauung, daß in dem physischen Leib ein ätherischer Leibwaltet, der in seiner inneren Gesetzmäßigkeit nichts Leibliches, son-dern Zeitliches hat, der aber da in Bildform auftreten kann, so daßman diese Erkenntnis die imaginative nennen kann. Und man gelangtdazu, daß man, während man sonst nur in der Gegenwart lebt, sich ineinen beliebigen Augenblick zurückversetzen kann, so daß man ihnwie einen unmittelbar gegenwärtigen erlebt. Man kommt da tatsächlichhinein in die Möglichkeit, von Zeitperspektive zu sprechen, so wieman von einem Orte hier zu einem anderen gehen kann, so innerlichden Weg machen zu können zu einem Orte der Zeit, den man durch-lebt hat. So daß dieses kontinuierlich in der Zeit sich abwickelndefeinere leibliche Dasein für die erste Stufe der übersinnlichen Erkennt-nis sich ergibt.

Ich brauche nur kurz anzudeuten, daß es eine weitere Stufe der See-lenentwickelung gibt, die dadurch erlangt wird, daß man sich dasGemälde des eigenen inneren Kraftens hinwegsuggeriert, so daß nichtbloß ein leeres Bewußtsein entsteht, das gleich Null ist, sondern das

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entspricht der Negativität des jetzigen Bewußtseinsgrades. Dieses an-dere Bewußtsein ergibt eine völlige innere Stille, innere Ruhe. Nun kannman sich vorstellen: Wenn alle äußeren Eindrücke aufhören, so ist dieRuhe ein Null; aber die Stille, in die man da hineinkommt, verhältsich wie etwas Negatives zu dem früheren. Dann kommt man anstelleder Imagination zur Inspiration. Dadurch kommt man dazu, das vor-irdische Dasein des Menschen zu schauen. Das ist nicht eine durchSpekulation errungene Erkenntnis, sondern eine Anschauung des Ewi-gen im Menschen. Auf diese Weise dringt man vor, die Realität desGeistig-Seelischen ebenso zu erforschen, wie man sonst im physischenLeben das erforscht, was die Sinne geben. Man kommt aber dazu, diesenganzen Menschen zusammengesetzt zu sehen. Auf alle die Spiegelfech-tereien zwischen monistischer und dualistischer Anschauung brauchtman sich dabei ja nicht einzulassen, das ist ebenso töricht, als wennman sagen wollte: der Chemiker sei ein Dualist, weil er das Wasser ausWasserstoff mit Sauerstoff bestehend erklärt. Man erkennt, daß derMensch einen physischen Teil und einen geistig-seelischen Teil hat. Manerkennt das plastisch Gestaltende am Gehirn, das eine Realität ist, schonin der embryonalen Entwickelung. Ich will einen Vergleich gebrau-chen: wenn hier ein weicher Boden ist und darauf Fußspuren, so würdeein Wesen, das nie auf der Erde war, vielleicht dazu kommen, dieseSpuren durch irgendwelche Kräfte zu erklären. Aber ebenso real, wiedie Spuren von einem Menschen herrühren, der über den Boden ge-gangen ist, so sind die Gehirnspuren ausplastiziert vom Seelisch-Gei-stigen.

So ist es möglich, die menschliche Wesenheit zu erkennen: denmenschlichen physischen Leib, dann den Bildekräfteleib, den man er-kennt durch die imaginative Erkenntnis: der feinere Mensch im Men-schen, der trotz alles Austausches der physischen Stoffe eine einheit-liche, in der Zeit fortlaufende Wesenheit ist, eine in sich geschlosseneRealität von einem Zeitpunkte bis zu einem anderen Zeitpunkte.

Gelangt man von da bis in die Spezialgebiete, dann wird die Sachesozusagen ernst. Der Bildekräfteleib ist noch nicht ein seelisches Da-sein, sondern er könnte höchstens zum Wachsen, aber nicht zum Füh-len kommen. Man kommt zum Astralleib, zur eigentlichen Seele und

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zur Ich-Organisation. In den letzten drei bis vier Jahrhunderten hatsich die Erkenntnis so entwickelt, daß man immer mehr abgesehen hatvon dem Geistigen, Höheren in der menschlichen Organisation. Da-durch mußte man sich immer mehr beschränken auf das, was man er-schließen kann aus der physischen Gliederung des menschlichen Orga-nismus. Ich schrecke immer davor zurück, solche Dinge zu erklären,denn ich kann begreifen als Wissenschafter, daß man darüber wildwird.

Wir haben zunächst den menschlichen Organismus. Wir verfolgendie zentripetalen und die zentrifugalen, die sogenannten sensitivenund motorischen Nerven. Ja, dieser Tatbestand ergibt sich. Ich kanndiese Gründe voll würdigen, kann auch würdigen, wie man die Zwie-fachheit des Nervensystems stützt durch die Tabes dorsalis und soweiter.

Aber wenn man die höheren Wesensglieder kennt, dann werdeneinem die Nerven etwas Einheitliches, man schaut die Einheitlichkeitdes Nervensystems. Die sensitiven sind darauf veranlagt, Sinnesein-drücke zu vermitteln; die motorischen haben mit dem Willen nichtszu tun, sondern sie haben die Aufgabe, die Empfindungen, die in derPeripherie sind, zu vermitteln, die chemisch-physiologischen Vorgängein den Beinen und so weiter. Die motorischen Nerven sind sensitiv fürdie inneren Vorgänge des Organismus, während man tatsächlich dazukommt, so paradox das für die heutige Wissenschaft klingt, den Willenunmittelbar in der Seele zu schauen und für die Entstehung der Bewe-gung und der Willenseffekte einen unmittelbaren, direkten Einflußdes Geistig-Seelischen auf das Physische anzunehmen.

Ich möchte Sie auf den Weg hinweisen, der dazu führen kann, dieseAnschauung zu finden. Denn als heutiger Anatom steht einem das See-lisch-Geistige als etwas gegenüber, was zu allen möglichen Hypothe-sen führen kann, es ist aber dasjenige, was man sich heute mehr miteiner abstrakten Inhaltlichkeit vorstellt. Ziehen spricht nur von «Ge-fühlsbetonung» der Vorstellungen. Das, was man sich als Seele vor-stellt, ist etwas so abstraktes, dünn gewordenes, daß man nicht dazukommt, das Eingreifen dieses Seelischen in das Physische zu verstehen.

In dem Augenblicke, wo man sich klar wird, daß der physische

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Leib vom Festen zum Flüssigen, Luftförmigen, bis zur Wärme herauf-geht, dann kommt man schon mehr heran an das Geistige. Es ist na-türlich unmöglich, sich vorzustellen, daß das Geistige in den Organis-mus eingreift, den die heutige Wissenschaft sich vorstellt. Aber sobaldman einen Wärmeorganismus annimmt, ist es nicht so schwer, sichvorzustellen, daß das innere Kräften des Bildekräfteleibes eingreiftin die Wärmedifferenzierungen des menschlichen Organismus. In einerBeziehung werden wir vieles durchzumachen haben, bis wir dazukommen, das lebendig zu machen, was heute in der Erkenntnis er-starrt ist. Man wird den Übergang finden von dem feiner gewordenenPhysischen zu dem kraftvoller gewordenen Seelischen. Und man wirdsich sagen können: was Willenswesen ist, greift unmittelbar in dieWärmeprozesse ein, von da in den Luftorganismus, von da in denwäßrigen Organismus. Und es ist etwas ganz anderes vorhanden alsdas, was die heutige Wissenschaft glaubt in bezug auf die motorischenNerven; da ist vorhanden ein geistig-seelisches-physisches Wirken, dasdurch die motorischen Nerven zum Bewußtsein gebracht wird.

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F Ü N F T E R VORTRAG

Den Haag, 15. November 1923

Vor allen Dingen danke ich Herrn Dr. Zeylmans und Ihnen allen, daßSie mir Gelegenheit geben, einiges hier auszusprechen über die - wennich so sagen darf - medizinischen Konsequenzen der anthroposophi-schen Forschungsart. Es wird natürlich nur möglich sein, in zwei kur-zen Stunden einiges Wenige als Andeutungen zu geben, und bei derAbweichung des Gesichtspunktes, den ich werde zu wählen haben, vondem heute gebräuchlichen, wird es auch noch ganz besonders schwersein, in den zwei kurzen Stunden darüber hinauszukommen, daß man-ches, was gesagt werden muß, vom heutigen Gesichtspunkte aus - vondem Gesichtspunkte aus, den man gewohnt ist - recht paradox, viel-leicht mehr als paradox zu erscheinen hat. Aber die verehrten Anwe-senden werden ja wissen, wie man im Laufe der geschichtlichen Ent-wickelung der Menschheit in bezug auf mancherlei Dinge gelernt hat,umzudenken; und so wird, wenigstens zunächst, auch eine gewisseNachsicht dafür vorhanden sein, daß ein Gesichtspunkt aus einer wirk-lichen gewissenhaften Forschung heraus einmal paradox erscheinenmuß.

Das erste aber, was ich einleitungsweise sagen möchte, ist, daß essich hier bei den medizinischen Konsequenzen der anthroposophischenForschungsmethode nicht darum handelt, irgend etwas, das nun ab-solut «neu» sein müßte, entgegenzusetzen dem, was die heutige ge-wissenhafte, auf der seit Jahrhunderten gebräuchlich gewordenen Na-turwissenschaft gebauten Medizin zu sagen hat. Nicht umstürzenmöchte die Forschungsmethode, von der ich hier spreche, sondern siemöchte gerade das Gegenteil: Indem sie auf Verschiedenes hinblickt,was gerade in der neueren Zeit aus den gewissenhaften sinnlich-empi-rischen Methoden für die Medizin aus der Naturwissenschaft sich er-geben hat, muß sie aus dem großen Umfange der Fragen, die da ent-standen sind, gerade ihrerseits in Anspruch nehmen, daß die moderneMedizin überall hinüberweist in ein Gebiet, das ihr selbst noch schwerist zu betreten, aus dem Grunde, weil, ja, weil die Forschungsmethoden

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im Grunde genommen so gewissenhaft, so exakt sind, so exakt sind inbezug auf die uns ja allen bekannten sinnlich-empirischen Methoden.Aber gerade durch das, wodurch die Naturwissenschaft groß gewor-den ist, wodurch sie in ihrer Art eine so bedeutungsvolle Grundlage fürdie Medizin hat liefern können, gerade durch das sind wiederum ge-wisse Wege zur Menschenerkenntnis und damit zur Heilkunde un-möglich gemacht worden. Und deshalb gestatten Sie, daß ich heutezunächst einiges Prinzipielle anführe und dann auf die Besonderheiteiniger unserer Heilmittel, die typisch, die charakteristisch sind, mor-gen eingehen werde.

Wir haben von vornherein nicht etwa den Weg gewählt, daß wiruns gesagt haben: Anthroposophie muß über alles etwas wissen, mußalso auch über die Medizin etwas zu sagen haben. Das ist Agitatoren-methode. Wir aber, auf wirklich anthroposophischem Boden, wollenuns gerade auf den Standpunkt echter wissenschaftlicher Erkenntnis,wenigstens in unseren Grundlagen, stellen. Und so ist es auch dadurchgekommen, daß überhaupt diese medizinische Bewegung innerhalbder anthroposophischen Gesamtbewegung entstanden ist, daß Ärzte,namentlich Ärzte Deutschlands, aber im Grunde genommen auch Ärztealler Länder, gefunden haben: gegenwärtige Naturwissenschaft undMedizin geben Fragen auf, die mit den heute gebräuchlichen Metho-den nicht beantwortet werden können, wenigstens nicht von der Dia-gnose, von der Pathologie bis zu einer rationellen Therapie hinüber-getrieben werden können. Es sind dann diese Ärzte gekommen undhaben gefragt, ob nicht Anthroposophie mit ihrer besonderen Art vonMenschenerkenntnis etwas zu sagen habe über Medizinisches, über eineMenschenerkenntnis, die etwas tiefer hineingehen kann in die mensch-liche Wesenheit, als man das mit den heute gebräuchlichen Methodenimstande ist. So ist eigentlich, herausgefordert, möchte ich sagen, ge-rade durch diejenigen Mediziner, die unbefriedigt waren, oder ausihren Studien und aus ihrer Praxis heraus in eine gewisse Skepsis ver-fallen sind, dasjenige entstanden, worüber ich Ihnen heute und mor-gen werde zu sprechen haben. Dabei haben wir auch von vornhereinnicht etwa den Standpunkt eingenommen, wir dürften jetzt alles mög-liche Dilettantische hineintreiben in ein gewissenhaft betriebenes, in

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die Praxis übergegangenes Forschungsgebiet. Und als durch die Be-gründung des «Kommenden Tages» in Stuttgart und des «Futurums»in der Schweiz nahegelegt worden ist, nun auch das Gebiet der Medi-zin zu pflegen, ist es denn gekommen, daß von mir gesagt worden ist:Gewiß, es läßt sich von dem aus, was Anthroposophie zu geben hat, einLicht werfen auf Heilmittelbereitung, aber man solle nicht einfachdavon ausgehen, Heilmittel zu bereiten, sondern alles, was nach dieserRichtung hin gemacht wird, solle im strengsten Zusammenhang stehenmit der Medizin, mit der wirklichen Praxis. Und so sind denn unsereInstitute entstanden, die ja in der Tat auf der einen Seite Institute sindfür Heilmittelbereitung nach den Methoden, von denen ich sprechenwerde; aber diese Institute sind verbunden mit klinischen Anstalten,und ich werde noch im Laufe der Zeit öfter, namentlich auf jenes kli-nische Institut hinzuweisen haben, das in erster Linie jetzt muster-gültig geworden ist: das von Frau Dr. Wegman in Ariesheim, das inunmittelbarem Zusammenhange steht mit dem Goetheanum, unsereranthroposophischen Hochschule in der Schweiz. Da ist es ja denn mög-lich, tatsächlich im fortwährenden Verkehr mit den Kranken auch ineinen lebendigen Zusammenhang hineinzukommen in bezug auf dasTherapeutische, das von der anthroposophischen Forschungsart ebenhauptsächlich als die große Frage der Zeit heute gepflegt werden soll.

Aber auch damit haben wir uns noch nicht genügen lassen. Wirhaben an diese Institute angegliedert eigentliche Forschungsinstitute.Und zwar haben wir angegliedert ein biologisches Institut, auch phy-sikalische Institute, aber von denen will ich zunächst nicht sprechen,die stehen noch mehr im Anfange ihrer Arbeit. In dem BiologischenForschungsinstitut - das ich erwähnen will, damit Sie sehen, daß wiraus derselben Exaktheit heraus arbeiten wollen, die sonst auch gefor-dert wird - haben wir schon zwei Arbeiten zu verzeichnen. Fassen Siees nicht als eine alberne Eitelkeit von mir auf, wenn ich meine Über-zeugung ausspreche - o nein, es kommt ja darauf an, ehrlich das auszu-sprechen, wovon man sich nach den vorhandenen Ergebnissen über-zeugt halten kann -, wenn ich sage: Trotz mancher methodischer Ein-wände im einzelnen, die man noch machen kann, sind diese zwei Ergeb-nisse doch zunächst so, daß sie darauf hinweisen können, wie wir die-

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selbe Exaktheit anstreben, die sonst heute in der wissenschaftlichenGrundlage auch der Medizin angestrebt wird.

Die erste Arbeit, die aus unserem Forschungsinstitut hervorgegan-gen ist, ist eine Arbeit über die Milzfunktion, und da ich in diesenzwei Vorträgen ja wirklich nur Gesichtspunkte, nur Anregungen gebenkann, so werden Sie es verzeihen, wenn ich auf manches nur hinweisenkann. Mir selber ist im Verlaufe der anthroposophischen Forschungs-arbeit gerade die Milzfunktion interessant geworden, und ich werdeja gerade nachher von dem zu sprechen haben, was man geisteswissen-schaftliche Methode nennen kann. Durch diese Methoden ist mir auf-gestiegen, wie besonders geartet in der Gesamtheit der menschlichenOrganisation diese Milzfunktion ist, die ja, wie Sie wissen, für dieAnthropologie eine Art von Crux ist. Der Mensch - ich kann das jetztnur andeuten - trägt in sich die verschiedensten Prozesse, unter ande-rem die Prozesse, die Rhythmik fordern. Zu solchen Prozessen gehörenja nicht nur Atmung und Blutzirkulation, sondern auch Rhythmenvon einer größeren Ausdehnung, zum Beispiel der Verdauungsrhyth-mus. Nun ist der Verdauungsrhythmus etwas, was von der mensch-lichen Natur selber gefordert wird, was aber in der Art, wie es vonihr gefordert wird, niemals eingehalten werden kann. Der Menschmüßte eigentlich, nach der Forderung seines Organismus, essen undtrinken mit einer ungeheueren rhythmischen Regelmäßigkeit. Das kanner nicht; denn selbst wenn er sich mit großer Pedanterie die Zeiten fürseine Mahlzeiten einrichten würde, so würde das noch nicht zur Folgehaben, daß die Rhythmik, die der Organismus fordert, auch wirklicheingehalten werden kann. Denn man ißt am einen Tage dieses, amanderen Tage jenes, und man müßte mit einer schier ins Unermeßlichegehenden Detailkenntnis dabei vorgehen, wenn man das alles machenwürde. Atmung und Blutzirkulation haben es leichter, aber der Ver-dauungsrhythmus ist, weil wir darin abhängig sind von unserem Ver-kehr mit der Außenwelt, etwas, dem schlechterdings eigentlich nichtentsprochen werden kann. Nun sind die Funktionen der Milz dazuveranlagt, jene Unregelmäßigkeiten, die notwendigerweise im Ver-dauungsrhythmus auftreten müssen, auszugleichen, zu korrigieren, in-dem sich diese Milzfunktionen vereinigen mit der ganzen Verdauungs-

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funktion im weitesten Sinne. Das ist mir damals aufgegangen. Nunist in unserem Biologischen Forschungsinstitute dann durch Methoden,die immerhin so exakt sind, wie die klinischen Methoden heute sonstsind, wenn auch in bezug auf die Details manches eingewendet werdenkann, durch die Arbeit über die Milzfunktion dieses zur vollständigenempirischen Bestätigung gekommen. Es ist schon eine Arbeit, von derman glauben möchte, daß sie, wenn sie an einer gewöhnlichen Klinikgemacht worden wäre, einen großen Eindruck auf dem Gebiete desmedizinischen Denkens gewonnen hätte. Daß es nicht so gewordenist - und das ist es, was ich bitte, mir nicht als alberne Eitelkeit auszu-legen -, daß diese mit ungeheuerer Hingabe von Frau Dr. Kolisko aus-geführte Arbeit auch heute noch ziemlich unbekannt geblieben ist, dasist einzig und allein dem Umstände beizumessen, daß sie auf anthro-posophischem Boden entstanden ist.

Die zweite Arbeit ist dann eine solche, daß ein wissenschaftlich-medizinischer «Glaube» in dem Maße, in dem er exakte Wissenschaftwerden kann, zu einer solchen gemacht worden ist. Sie werden nichtvoraussetzen, daß ich hier irgendwie eintreten will für das vielum-strittene Gebiet der Homöopathie in ihrem Verhältnis zur Allopathie,das fällt mir nicht ein, denn ich weiß, wieviel Laienhaftes und Dilet-tantisches in der gewöhnlichen homöopathischen Anschauung steckt.Aber nicht geleugnet werden kann, daß von Substanzen in großerVerdünnung, selbst auf äußerem physikalischem Gebiete, die weitge-hendsten Wirkungen da sein können. Es ist also von vornherein nichtvorauszusetzen, daß Substanzen in starker Verdünnung nicht immer-hin Wirkungen haben können. Denken Sie nur daran, daß zahlreichdiejenigen Wirkungen sind, die ausgeübt werden beim Inhalieren vonirgendwelchen Substanzen, die in einer außerordentlich feinen Ver-teilung da sind. Wir beachten oftmals nicht, wenn wir Menschen sichin ein Bad setzen lassen, daß es viel wichtiger ist, daß sie inhalieren, wasverdunstet, wobei gewisse Substanzen in einer sehr starken Verdün-nung sind, daß dies viel wichtiger ist als das, was das Bad von außenbewirkt. Das alles war aber bisher eine Art wissenschaftlicher Glaube.Wir haben nun tatsächlich versucht, diesen Glauben - in den Grenzennatürlich, in denen er berechtigt ist; es darf das, was dabei heraus-

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kommt, natürlich nicht zu einem Allheilmittel werden - wissenschaft-lich zu begründen, indem wir Verdünnungen in einem Verhältnis biseins zu einer Trillion herstellten, so daß wir wirklich schon sagen kön-nen: dabei handelt es sich wirklich nicht mehr darum, daß die ge-wöhnliche stoffliche Wirkung zutage tritt, sondern um die Funktion,die in den Stoffen lebt, die übergeht in das Medium. Man hat es dabeimit nichts anderem zu tun als mit der funktionellen Form. Wir habendabei aber doch zustande gebracht, daß wir nachweisen konnten, daßdie verdünnten Entitäten rhythmische Wirksamkeiten entfalten, dieerstaunlich sind. Wir haben uns dazu des Wachstums von Samenkör-nern bedient. Wir waren in der Auswahl der Samenkörner exakt undvorsichtig. Wir haben die Samenkörner keimen lassen in Metallösun-gen, wobei wir die Metallverbindung in entsprechender Verdünnungbenutzt haben, und wir haben wirklich nachweisen können, wie aufdie Wachstumskräfte der Pflanzen die Metallösungen in der Verdün-nung von eins zu zehn, eins zu zwanzig, eins zu fünfzig, eins zu hun-dert, eins zu fünfhundert und so weiter wirksam sind. Man bekommtda interessante Kurven heraus, die eine große Regelmäßigkeit zeigen,so daß man sagen kann: Bei einer gewissen Verdünnung wird die vita-lisierende Kraft noch in einer gewissen Weise beeinflußt; geht manweiter in der Verdünnung, so wird diese Beeinflussung geringer. Gehtman noch weiter, so erfährt dann durch die größere Verdünnung dievitalisierende Kraft wieder eine größere Beeinflussung. Das gibt eineabsteigende und eine aufsteigende Kurve, die dann der Ausdruck sindfür die Wirkungen von stark verdünnten Entitäten, die sich exaktrechtfertigen lassen. Und damit ist der kleine Teil, der Ausschnitt des-sen, was - ich sage ausdrücklich - die Homöopathie mißbraucht, zumRange eines exakten Forschungsgebietes erhoben worden. Ich sage dasnicht deshalb, um gerade diesen Ergebnissen in erster Linie die größereBedeutung beizumessen; ich sage es nur, um zu zeigen, daß wir unsdurchaus bemühen, nicht in dilettantischer, laienhafter Weise außer-halb der Wissenschaft zu arbeiten, sondern uns durchaus zunächst aufden Boden gegenwärtiger, in der Wissenschaft gebräuchlicher For-schungsmethoden zu stellen. Aber von da aus müssen wir dann ent-sprechend weitergehen.

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Es ist historisch begreiflich, daß bei den ungeheueren Erfolgen, die -wenigstens in naturwissenschaftlicher Beziehung - in den letzten Jahr-hunderten, insbesondere im 19. Jahrhundert, hervorgetreten sind, dieMenschheit sozusagen wie suggestioniert war von demjenigen, was diesinnlich-physische Beobachtung und das exakte Experiment ergebenkönnen. Aber in bezug auf die Menschenerkenntnis, und zwar auch inbezug auf die ganz gewöhnliche physische Menschenerkenntnis ist esdoch nicht möglich, mit diesen Forschungsmethoden so weit zu kom-men, daß ein innerliches Auffassen des Wesens der menschlichen Or-ganisation dabei herauskommt. Und das hängt einfach damit zusam-men, daß man nicht nur auf der einen Seite großartige und gewaltigeFortschritte macht in der Erkenntnis der physischen Organisation desMenschen, sondern daß man gerade durch das Exakte und Fruchtbaredieser Forschungsmethoden auf der anderen Seite dazu kommt, sicheinen ganzen Teil des Menschen, der ebenso real ist wie der physischeMensch, einfach auszuschließen. Die Größe der naturwissenschaftli-chen Forschung konnte man auch daran ermessen, daß sie mit einer un-geheueren Energie aus unserer Menschenerkenntnis dasjenige heraus-geworfen hat, was der geistig-seelische Mensch ist, der - wie wir sehenwerden - auch im medizinischen Sinne nicht weniger als eine Realitätin der Praxis aufgefaßt werden muß als der physische Mensch. Dazuist es schon notwendig, daß ich Ihnen erst einiges Prinzipielle sage überdie anthroposophische Forschungsmethode überhaupt, namentlich in-sofern sie zur Menschenerkenntnis führt.

Es handelt sich ja darum, daß wir heute bei allem Forschen einfachdabei stehenbleiben, wie wir in unserer Seelenkonstitution, zu der auchunsere Erkenntnisfähigkeit gehört, geworden sind durch das, v.ras dieKultur schon einmal heraufgebracht hat als unsere Schulbildung, alsdie Bildung innerhalb der gebräuchlichen Wissenschaften. Da bleibenwir stehen. Wir sagen uns nicht: Wir schauen als zwei-, dreijährigesKind noch seelisch ganz unähnlich unserer Seelenstimmung und -kon-stitution im späteren Lebensalter aus. Wir entwickeln uns; wir werdenseelisch ganz andere im Verlaufe von, sagen wir, fünfzehn Jahren unse-rer menschlichen Jugend. Wir haben im achtzehnten, neunzehnten Le-bensjahre Fähigkeiten, die wir als zwei-, dreijähriges Kind, geschweige

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denn früher, nicht haben; die entwickeln sich aus unserem Inneren her-aus. Warum sollte es denn nicht möglich sein, auch einmal die Frageauf zuwerfen: Darf man sich denn nicht auch noch als erwachsenerMensch relativ entwickelungsfähig halten? Darf man denn willkür-lich, sozusagen, dieses Werden des Seelenlebens einmal abschließen? -Es ist natürlich zunächst eine Frage, die auf das innere Probieren geht.Aber wer probiert, wer wirklich über das, was heute als das Normaleeiner menschlichen Seelenentwickelung angesehen wird, hinauszu-kommen versucht zu noch anderen Seelenfähigkeiten, der kann es,der bringt es zustande! Das Genauere darüber steht in meinen Bü-chern «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», «Geheim-wissenschaft im Umriß» und anderen. Prinzipiell will ich darüber nurdieses andeuten, daß wir in der Lage sind, dasjenige, was wir sonst alsDenken haben, was wir kennen aus der Anwendung nicht nur im ge-wöhnlichen Leben, sondern auch in der gebräuchlichen Wissenschaft,wenn wir experimentieren und Beobachtungen interpretieren, daß wirdies, was wir als Denken haben, weiterentwickeln können. Wenn dasgesagt wird, fängt man dann gewöhnlich gleich an zu sagen: Ja, jetztkommt er mit einer «mystischen Entwickelung». - Aber wenn manverächtlich auf die mystische Entwickelung - wenn man das Wort ge-brauchen will - hinweisen will, von der ich hier spreche, dann soll manauch verächtlich auf die Mathematik und die Geometrie hinweisen.Das Wesentliche der Mathematik und Geometrie ist dies: daß man sichin voller Besonnenheit bewegt von einer Aufstellung zur anderen, daßda gar nichts von Unterbewußtem, in das Suggestives hineinspielenkann, dabei ist. Diese Besonnenheit, diese volle Bewußtheit ist es, dieuns beim Objekt, bei der Mathematik und Geometrie, überall verfol-gen muß. Dasselbe, was man da tut beim Objekt, innerlich, wenn manexakt vorgeht, dasselbe kann man anwenden auf die eigene Seelenent-wickelung. Nicht in jener mystischen Verschwommenheit, mit der manoft über Mystik spricht, sondern in voller Klarheit läßt sich die Seelein bezug auf ihre Denkfähigkeit weiterentwickeln, aber nicht, indemman in sich hineinbrütet, sondern indem man von ganz bestimmten,überschaubaren Vorstellungen ausgeht und von da aus - gerade so, wiees in der Mathematik für das Objekt geschieht - nun nichts hinein-

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nimmt als das, wodurch man mit voller Besonnenheit von dem einenBewußtseinsinhalt zum anderen übergehen kann. Wenn man das alseine wirklich innerlich exakte Methode der Seelenfortentwickelung ge-nügend lange anwendet - beim einen dauert es länger, beim anderenkürzer -, dann kommt man in der Tat dazu, allmählich das Denken nunnicht so, wie es sonst passiv ist, sondern in seiner Aktivität zu ergreifen;so daß man, während man sonst mit seinen Gedanken passiv demjeni-gen folgt, was man beobachten kann, zum Erleben einer inneren Ak-tivität kommt.

Diese innere Aktivität des Denkens gibt die erste wirkliche Erkennt-nis von dem, was übersinnlich im Menschen ist, die erste Stufe. Ichmochte sagen: wenn man von außen an den Menschen herangeht - undman kann sich die ganze Blutdynamik aufzeichnen -, so hat man inder Blutdynamik gewissermaßen ein Bild des Menschen, eines Teilesdes Menschen, von außen angesehen. Indem man so vorgeht, wie iches andeutungsweise über das Denken jetzt gesagt habe, kommt manaber dazu, sich innerlich ausgefüllt zu erleben nun mit einem zweitenMenschen, mit dem Menschen, der unabhängig ist von dem physischenOrganismus.

Wer da glaubt, es trete da irgend etwas Suggestives auf, der beachtetnicht, wie die Methoden, auf die ich hier hinweise, durchaus exakteMethoden sind, wo alles in voller Besonnenheit erlebt wird; so daßman gerade auf das kommt, was auch nur im geringsten suggestiv imInneren der Seele sein könnte und das abweisen kann. Der Weg, denman mit dieser Methode macht, ist der genau entgegengesetzte vondem, der irgend etwas Suggestives oder Autosuggestives in das Be-wußtsein hereinbringen kann. Aber man kommt auf folgendes:

Wenn man nun in einer exakten Beobachtungsart, die man sichgerade durch eine solche Denkentwickelung erwirbt, die allmählicheEntfaltung des Kindes beachtet, dann ergibt sich einem eine bedeut-same Differenz zwischen der ganzen Konstitution des Kindes bis etwazum Zahnwechsel, zum siebenten, achten Lebensjahr hin, und nachher.Die Differenz, die da vorhanden ist zwischen dem Früheren und Spä-teren, sie ist so, daß man sich eben erst die Fähigkeit der Aufmerksam-keit für sie erwerben muß. Man übersieht sie sonst, achtet nicht darauf,

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aber man muß gerade dort einsetzen, ich möchte sagen, mit dem Mut,an den Menschen und an solche Beobachtungen wirklich so exakt her-anzugehen, wie man es sonst in der Physik gewohnt worden ist imLaufe des neueren Forschungslebens. Wir reden in der Physik von la-tenter Wärme und von real auftretender Warme; wir reden davon, daßdurch irgendeinen Prozeß ein Wärmezustand, der sonst latent bliebein irgendeiner Substanz, der also in der Substanz drinnen ist, heraus-kommen kann. Wozu man mit der äußeren physikalischen Wissen-schaft gekommen ist, zu dem müssen wir auch kommen. Wir müssenden Mut dazu haben können, den Mut in bezug auf die menschlicheSeelenentwickelung zum Beispiel. Und hat man diesen Forschungsmut,so stellt sich folgendes heraus: Man sieht - man muß nur verstehen, dieAufmerksamkeit darauf zu richten —, wie beim Kinde, wenn es denZahnwechsel durchgemacht hat, innere seelische Kräfte auftreten, dievorher nicht da waren. Nicht einmal die Pädagogik ist heute so weit,darüber etwas zu sagen, weil sie nicht exakt beobachtet, weil die Kur-ven nicht bergehoch steigen und tälertief fallen, sondern weil es sichda um Feinheiten handelt und diese Feinheiten mit anderem, geistigemBlick verfolgt werden müssen; deshalb gibt man heute nicht viel dar-auf. Aber für den, der sich den geistigen Forschungsblick aneignet,stellt sich heraus, daß zum Beispiel alles, was wir Erinnerungsfähigkeitnennen, mit dem Zahnwechsel radikal verändert wird. Die Erinne-rungsfähigkeit ist früher eine solche, die mit einer gewissen elementa-ren Kraft noch aus dem Organismus dasjenige, was das Kind in derErinnerung vorstellt, herausschießen läßt. Jene besondere Art des Er-innerungserlebnisses, wo man zurückgeht und das Gefühl hat, daß manzurückgeht auf das Erlebte, die tritt erst mit dem Zahnwechsel ein.

So treten unzählige Dinge im seelischen Erleben erst mit dem Zahn-wechsel auf. Die sind dann da; sie offenbarten sich vorher nicht in derkindlichen Natur. Wo waren sie? Sie waren in der kindlichen Naturdrinnen, so wie latente Wärme in einer Substanz drinnen ist; und die-jenigen organischen Prozesse> die im Zahnwechsel nur ihr äußeresSymptom haben, die haben das, was früher im Organismus steckte undan ihm arbeitete, so herausgeholt, wie irgendein physikalischer Prozeßdie latente Wärme aus einer Substanz herausholt. Heute redet die Psy-

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chologie von psychophysischem Parallelismus und ähnlichem; sie kannnicht darauf kommen, daß zwischen dem, was wir heute in der Psy-chologie figurieren haben: dem ganz abstrakt gedachten Seelischen,und zwischen dem, was wiederum anatomisch-physiologisch zutagetritt, ein Zusammenhang sein kann, weil die zwei Dinge so sind, daßman, wenn man sie so abstrakt sieht, keine Brücke von dem einen zumanderen findet.

Aber der Mensch ist ja ein Entwickelungswesen. Sieht man auf das,was nach dem Zahnwechsel seelisch da ist, was seelisch hervorgetretenist, so kann man sagen: dieselben Kräfte, die einem jetzt entgegentre-ten als das metamorphosierte Denken in der Seele, waren vorher orga-nische Kräfte, wirkten als Organwachstumskräfte im Kinde; so daßman hier eine empirische Beziehung des seelischen Lebens zum körper-lichen Leben hat, die man nur eben in der richtigen Zeit der mensch-lichen Entwickelung suchen muß.

Macht man nun solche Denkübungen durch, von denen ich gespro-chen habe, dann kommt man wiederum darauf - allerdings jetzt aufeinem seelischen Niveau -, in diesem Denken etwas Ähnliches zu er-greifen, was so stark, so aktiv ist wie das noch im Organismus steckendeDenken, das beim Kinde bis zum Zahn Wechsel hin aber zugleich Wachs-tums- und Organisationskraft ist. Das ist der zweite Mensch, den manin sich entdeckt: es ist auf einem höheren Niveau dasjenige, was nunnicht das gewöhnliche, bloß passive Denken ist, sondern was uns alsein zweiter, ätherischer Leib - ich bitte, sich nicht an dem Ausdruckzu stoßen - durchorganisiert. Also es handelt sich nicht bei der anthro-posophischen Forschungsmethode darum, daß man nun schwefelt voneinem ausgedachten ätherischen Leib, sondern darum, daß man in derTat - ich kann hier nur Andeutungen geben - überall empirisch hin-weisen kann, wie das, was man nun durch die besonderen Erkenntnis-methoden findet, real tätig ist in der menschlichen Natur; denn wennwir ein Kind anschauen, so wirkt ja das, was wir später im Gedankenfinden. Will ich also beim Kinde die Wachstumskräfte begreifen, willich wissen, wie da besonders Vitalisierendes drinnen ist, so habe iches in dem, was ich imaginative Erkenntnis nenne, denn die macht eszum inneren Bewußtseinsinhalt. Liegen also etwa in den Kräften, die

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beim Kinde Wachstumskräfte sind, später in das seelische Leben über-gehen, dann aber passiv wirken, liegen in diesen WachstumskräftenHeilkräfte, so kann ich diese Heilkräfte nur erforschen, wenn ich nunwiederum dazu komme, mit der eigentlichen geisteswissenschaftlichenMethode das anzuschauen und innerlich zu erleben, was die vitalisie-renden Kräfte sind. Das gibt die Möglichkeit, in der Tat nicht bloßetwas Phantastisches in den Dingen zu sehen, die man sich da erobert,sondern etwas, was im menschlichen Organismus wirksam ist, unddamit die äußere Anthropologie durch innere Empirie zu einer wirk-lichen Anthroposophie zu machen.

Und so wie man durch eine besondere Ausbildung des Denkensdiesen zweiten Menschen findet, so läßt sich, wenn man nun weiter-geht, innerhalb dieser zwei Menschen, des physischen und des ätheri-schen, noch ein dritter finden. Stoßen Sie sich aber nicht daran - dennüberall braucht man eine Terminologie -, wenn ich ihn den astra-lischen Menschen nennen werde, die Anthroposophie gibt schon dieGründe dafür an. Ich will hier nur auf die Konstitution des Menschenselber hindeuten.

Wenn man soweit gekommen ist, diesen zweiten, ätherischen Men-schen wirklich innerlich unabhängig vom physischen Menschen zuerleben, dann hat man einen Bewußtseinsinhalt. Mit Bezug auf diesenkann ich sagen: Man fühlt sich darinnen fast ebenso sicher, wie mansich in seinem physischen Leibe beim normalen wachen Bewußtseinfühlt. - Man fühlt schon diesen zweiten Menschen. Deshalb ist es eineviel stärkere innere Arbeit, was nun folgen muß: das herauszubekom-men, was ich beschrieben habe als ätherischen Menschen. Denn dasWeitere bekommt man nur dadurch, daß man die Kraft gewinnt, sichdiesen ätherischen Menschen abzusuggerieren. Das muß nun sehr be-wußt geschehen, so daß man gewissermaßen wiederum herausfährt,nachdem man hereingefahren ist. Es ist schon im allgemeinen die Vor-übung dazu nicht ganz leicht. Vorstellungen, an denen man lange ge-haftet hat, die einem so gegenwärtig waren, daß sie das ganze Be-wußtsein eingenommen haben - aber wieder in voller Besonnenheit,so daß nichts Suggestives dabei sein kann -, die sind schon schwerauszuschalten, da sie mit viel stärkerer Kraft im Bewußtsein wirken

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als das, was flüchtig im Alltagsleben und aus der gewöhnlichen Be-obachtung als Vorstellungen sich festsetzt. Aber hat man sich geübt,überhaupt das Bewußtsein frei zu machen, in bewußterer Weise freizu machen von dem, was in ihm da sein kann, dann kommt man auchdazu, dieses Eigengebilde, das man bekommen hat, sich wieder weg-zusuggerieren und ein leeres Bewußtsein herzustellen. Dieses Bewußt-sein ist dann genau in dem Zustande, in dem der Mensch wäre, wenner, nachdem der gewöhnliche traumlose Schlaf eingetreten ist, plötz-lich um sich herum eine andere Welt wahrnehmen würde, wenn ernicht im Körper, sondern außerhalb des Körpers, aber auch nicht inder physischen Welt, sondern in einer geistigen Welt aufwachen würde.

Dieses Aufwachen kann man dadurch herstellen, indem man dasmacht, was ich eben beschrieben habe: daß man, nachdem man zuerstdas Bewußtsein in der stärksten Weise energisiert hat, so daß es einenätherischen Inhalt bekommen hat, es nun wieder leer macht, das leereBewußtsein hat, das bloße Wachen, ohne einen Inhalt von dem, wasman sonst im Leben oder in der Wissenschaft hat. Leeres Bewußtseinherzustellen - Sie wissen, wie schwierig das im gewöhnlichen Lebenist, denn wenn man die Sinnesempfindungen im gewöhnlichen Lebenverschwinden läßt, so schläft eben der Mensch ein. Aber auf dieseWeise, wie ich es dargestellt habe, kommt man zu dem leeren Bewußt-sein, das bloß wacht, aber es bleibt nicht lange so. Dann kommt diegeistige Welt herein, vor allen Dingen ein dritter Mensch, ein Mensch,der eigentlich jetzt nur innere Funktion, nur innere Beweglichkeitund Tätigkeit ist. Der zweite, ätherische Mensch, ist das Vitalisierende,der dritte, astralische Mensch, ist Beweglichkeit, Tätigkeit.

Es gibt dann noch einen vierten Menschen, der erst möglich macht,daß wir im vollsten Sinne des Wortes Mensch sind. Ich werde viel-leicht im Verlaufe der Vorträge noch Gelegenheit haben, darauf ein-zugehen; jetzt will ich nur andeuten, daß dies der eigentliche Ich-Mensch ist, denn das, was ich bisher beschrieben habe, hat auch dasTier: physischen Leib, ätherischen Leib und astralischen Leib. DerMensch aber hat außerdem noch die Möglichkeit, jene Zusammenfas-sung seiner Glieder - nicht abstrakt, sondern konkret - in sich zu er-leben. Wenn der Mensch nicht nur leeres Bewußtsein herstellt, dadurch

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die geistige Welt erfaßt, sondern wenn er nun noch weitergeht unddas Erleben der geistigen Welt wieder weiter energisiert, dann kommter hinauf zur vollen Ich-Vorstellung.

So kann man sich eine Vorstellung von dem bilden, was durch an-throposophisch exakte Methoden Inhalt der Menschenwesenheit all-mählich wird. Dieser Inhalt der Menschenwesenheit ist nun wahrhaftigda. Geradeso wie die Wärme, die erst latent war und nachher herauf-geholt und reale Wärme wurde, sich in ihren physikalischen Wirkun-gen äußert, so äußert sich das, was Ätherleib, astralischer Leib und Ichist, durchaus im Menschen. Und wir verstehen den Menschen nur, wennwir dieses Zusammenwirken der vier Glieder seiner Wesenheit wirk-lich ins Auge fassen können.

Betrachten wir eine Einzelheit. Betrachten wir im einzelnen, damitwir uns eine Vorstellung bilden können, wie diese Dinge zusammen-wirken können, zum Beispiel die Niere und die Nierenfunktion desMenschen. In jedem einzelnen Glied des Menschen spielen die vierGlieder der menschlichen Natur mehr oder weniger zusammen. Wennwir nun die Nierenfunktion studieren, so haben wir in dem, was wiran der Leiche oder sonst beobachten können, eben nur die Summephysischer Wirkungen. Diese Summe physischer Wirkungen ist aberdurchenergisiert von dem, was ich zunächst den ätherischen Leibnannte, also von jenem Teil des Ätherleibes, der im besonderen die vi-talen Funktionen für die Niere enthält. Der aber ist wieder durchzogenvon dem astralischen Leib, und in der Zusammenwirkung dieser Glie-der der menschlichen Natur liegt erst das, was auch bei einem einzelnenOrgan oder Organsystem die menschliche Wesenheit innerlich begreif-lich macht. Nehmen wir nun den Fall, wir konstatieren irgendwelcheUnregelmäßigkeiten in der Nierenfunktion. Ich brauche ja auf diesesüberall nur hinzuweisen, da Sie in einer Fachwissenschaft stehen. Dawird sich dem, der nun die ganze Sache so durchschaut, wie ich es an-gedeutet habe, ergeben, daß in irgendeiner Weise die physische Nieren-funktion und die ätherische Nierenfunktion der astralischen Nieren-funktion Widerstand entgegensetzen. Also das ist ein typischer Fall.Man kann darauf kommen, daß die physische und die ätherische Nie-renorganisation der astralischen Nierenfunktion - die man erst zur

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Ansicht bekommt, wenn man leeres Bewußtsein hergestellt hat -, Wi-derstand entgegensetzen. Nun ist es aber so: wenn ein lebendiges Or-gan, die Niere, durch seine physische und ätherische Organisation derastralischen Widerstand entgegensetzt, so muß, weil sonst das Organeben atrophieren würde, die astralische Organisation gründlicher, ener-gischer eingreifen; und wir haben daher, in besonderen Fällen natür-lich - ich erzähle immer besonders konkrete Fälle -, eine besondereKonzentrierung desjenigen Teiles der astralischen Organisation, derder Niere entspricht, auf die Nierentätigkeit. Mit anderen Worten: dieastralische Nierenfunktion wird viel stärker in sich, als sie nach derganzen Konstitution des Menschen für die Niere in Anspruch ge-nommen werden darf; so daß der, der in dieser Weise die Nierenfunk-tion durchschaut, das Bild hat: Da verrichtet der astralische Leib ander Niere eine Arbeit, die er der Totalität der menschlichen Wesen-heit, in der er aktiv sein muß, entzieht; er bildet einen Prozeß aus in derNiere, der eigentlich nicht da sein dürfte. Durch die besonderen, abnor-men Entwickelungsmomente in der physischen und in der ätherischenNiere wird eben die astralische Niere in einer zu starken Weise in An-spruch genommen.

Nun handelt es sich darum, die Diagnose bis zu diesem Punkte zutreiben. Man wisse: der astralische Teil der Niere hat jetzt etwas zutun, was er eigentlich im normalen Funktionieren des Organismusnicht zu tun hat; er verrichtet etwas, was er eigentlich nicht ver-richten sollte, was aber die Niere jetzt, wie sie einmal ist in ihremkranken, pathologischen Zustande, oder als ätherische Niere von die-sem astralischen Teil fordert. Man kommt da auf den ersten Teil, aufdas allererste Glied einer Anschauung über das Wesen des Kranken.Die Krankheitsprozesse müßten eigentlich für den denkenden Men-schen das größte Rätsel sein, denn sie sind ja Naturprozesse. Aber dienormalen Prozesse sind auch Naturprozesse. Wie kommen diese ab-normen Prozesse, diese Krankheitsprozesse, mitten hinein unter dienormalen Prozesse? Solange man den Menschen nur wie ein gleich-wertiges Gewebe von physischen Stoffen und Funktionen ansieht, solange kommt man eigentlich nicht zu einer möglichen Unterscheidungdesjenigen, was physiologisch, und desjenigen, was pathologisch ist;

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man kommt aber dazu, wenn man weiß, daß die Niere metamorpho-siert werden kann dadurch, daß sie eben einfach physische Prozesseentwickelt, die die normale Niere nicht entwickelt, weil in der norma-len Niere der richtige Zusammenklang zwischen physischer, ätherischerund astralischer Niere ist. Das also durchschaut man zunächst.

Jetzt handelt es sich darum: wie kann dieser Krankheitsprozeß, dereinfach in einer zu starken Inanspruchnahme gerade eines übersinn-lichen Teiles der menschlichen Natur erklärt werden muß, eventuellbeseitigt werden? Wie können wir den astralischen Menschen dazubringen, daß er wiederum normal funktioniert?

Ich will bei diesen Auseinandersetzungen immer ganz Konkretes,Einzelnes betrachten. Ich will nicht von einer schweren Nierenerkran-kung sprechen, denn das Prinzipielle der Sache kann uns auch beieiner leichten Nierenerkrankung klar werden. Nur damit ich andeu-ten kann, wie nun einer solchen Niere beizukommen ist, möchte ichaber von einem ganz Bestimmten ausgehen.

Was wir wissen, das ist zunächst, daß wir nun den astralischenLeib wieder frei bekommen müssen von seinem Arbeiten an der imweitesten Sinne deformierten Niere. Da ist ein Prozeß drinnen, dender menschliche Astralleib nicht tun sollte; wir müssen ihn herausbe-kommen aus dem abnorm verlaufenden Prozeß der Niere.

Wenn man nun diejenige Art von Erkenntnisüberschau gewinnt,die zuerst auf den Menschen geht und dann auf die Welt, so stellt sichmit einer solchen Methode, wie ich sie geschildert habe, das Folgendeheraus. Wir richten den Blick vom Menschen auf die äußere Natur.Wir kommen dazu, zu studieren die besondere Natur von Equisetumarvense. Wenn wir dieses Equisetum studieren, indem wir nicht sosehr den Hauptwert darauf legen, aus welchen einzelnen Substanzen esbesteht, sondern darauf sehen, welcher Prozeß in ihm lebt, dann kom-men wir zu folgendem: Heute ist es üblich, weil das materialistischorientierte Denken alles ergriffen hat, daß wir bei allem Organischenangeben: es besteht aus so und so viel Eiweiß, Fett und Kohlehydratenund so weiter. Wir sehen überall darauf, was die äußere Chemie an-geben kann als die einzelnen Bestandteile eines Stoffes, und kommendann auf diese Weise zu den Elementen, wie man es genannt hat; es

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hat sich die Sache ja nun wieder etwas geändert. Nur ist das aber nichtdas, worauf es zunächst bei dem ankommt, was ich jetzt hier im Augehabe. Da interessiert uns am Equisetum besonders das, daß wir bei ei-ner Analyse, wenn wir das Equisetum analysieren, also seine Funk-tionen auseinandertreiben, unter demjenigen, was wir da übrigbehal-ten, besonders Kieselsäure als Hauptbestandteil bekommen. Der mußalso so stark darinnen sein, daß er prädominiert, also noch seine Kie-selsäurefunktion geltend macht im Equisetum. Im Analysieren erken-nen wir also nicht den Stoff als solchen, wohl aber, was der Stoff füreine Bedeutung hat. Und das muß man auch erkennen.

Equisetum ist eine Pflanze; in ihr finden wir nicht einen astralischenLeib, wohl aber einen physischen Leib und einen ätherischen Leib.Wir studieren Equisetum arvense und finden, daß da besonders dieKieselsäure eine Rolle spielt. Es gibt natürlich auch andere Pflanzen,die Kieselsäure enthalten. Wir finden außerdem, daß gewisse schwefel-saure Salze eine Rolle spielen und finden zuletzt, daß die wichtigstenBestandteile, die noch ihre Natur, ihre Wesenheit geltend machen imEquisetum, Kieselsäure - aber nicht der «Stoff», sondern die Kiesel-säurefunktion - und die Schwefelfunktion ist. Und nun finden wiretwas sehr Merkwürdiges. Wenn wir nun in der Lage sind, mit dengeistig entwickelten Kräften die besondere Art der Verbindung zudurchschauen, was da um die schwefelsauren Salze herum in Zusam-menhang steht mit der Kieselsäure, SiO2, so finden wir, daß da einProzeß, ein Funktionszusammenhang ist, den wir nun in den mensch-lichen Organismus hineinbringen, sei es innerlich oder - bei anderenVorgängen müssen wir eben nicht die Aufnahme durch den Mundwählen - durch das Bad oder durch Injektion. Die Bedeutung diesereinzelnen Methoden werden noch zu erörtern sein. Wenn wir aber ineiner gewissen Weise das Equisetum in den menschlichen Organismushineinbringen - aber besser ist es jetzt, nicht Equisetum als solches zuverwenden, und darauf beruht das Wesentliche unserer Heilmittel-verfertigung, weil die Wirkungen zwar da sind, anschaulich, abernicht so dauerhaft sind -, wenn wir nun den Funktionszusammenhangzwischen Kieselsäure und Schwefel studieren und ihn im Präparatdann nachzuahmen versuchen, so bekommen wir dadurch in der Um-

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Setzung dessen, was am Equisetum studiert werden kann, in das mehroder weniger unorganische Präparat die Möglichkeit, stärkere Wir-kungen auf den menschlichen Organismus herauszubilden, als dieje-nigen sind, wie wenn man etwa die bloße Pflanze als Tee oder der-gleichen verwendet. Hierin liegt besonders das Wesentliche bei derHerstellung unserer Heilmittel.

Bringe ich jetzt das, was der Funktionszusammenhang zwischenSchwefel und Kieselsäure ist, in der richtigen Weise in den mensch-lichen Organismus hinein, so geschieht einfach durch die besondereQualität dieses Funktionszusammenhanges dies: daß nun in der Nieredem menschlichen astralischen Leib abgenommen wird der Prozeß,den er, während die Krankheit vorliegt, verrichten muß. Bringe ichalso in die Niere das Funktionieren von Schwefel und Kieselsäure imEquisetum arvense hinein, so nehme ich ihm das, was sonst der mensch-liche astralische Leib an der deformierten Niere - deformiert jetzt imweitesten Sinne genommen - verrichten muß, ab; ich lasse sozusagenzunächst den Krankheitsprozeß von etwas verrichten, was ich in denKörper hineingebracht habe.

Das ist überhaupt der Anfang eines jeden Heilungsprozesses. Manmuß den Krankheitsprozeß kennen. Man muß zunächst eine ratio-nelle Pathologie haben, muß den Krankheitsprozeß kennen und mußerforschen, wo in der Natur irgend etwas vorkommt, das diesen Krank-heitsprozeß genau nachbilden kann. Denn man darf zunächst nichtglauben, daß man immer überall bei einer Krankheit den Krankheits-prozeß bekämpfen kann, sondern man muß ihn geradezu auffangen.Was der Krankheitsprozeß ist, das muß man durch etwas, was man inseiner Dynamik kennt wie hier beim Equisetum Schwefel und Kiesel-säure, auffangen lassen. Dann bekommt man dasjenige frei heraus,was, wie in diesem Falle der Nierenerkrankung, früher als astralischerLeib gewirkt hat. Und indem man das nun frei herausbekommt, mußman auch dafür sorgen, daß der Mensch durch Diät und so weiterinnerlich gestärkt wird, daß er seine ganzen inneren Kräfte energi-scher anwenden kann als sonst, das heißt, man muß einige Energiedem gesamten astralischen Leib zuwenden. Dann bringt man den jetztauf diese Weise in seiner ganzen Normalität frei gewordenen astrali-

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sehen Leib dazu, daß in dem entsprechenden Falle nun das Gesundendedes astralischen Leibes das Kranke auslöscht, wenn man die zu starkeTätigkeit des astralischen Leibes zuerst hat von einem äußerlichenFunktionieren übernehmen lassen.

So kommt man zu einem rationellen Begriff des Heilens, DiesesHeilen besteht in der Regel eigentlich immer darin, daß man denKrankheitsprozeß durch einen eingeschobenen, von außen eingescho-benen Prozeß abfängt und dann das, was schon im Menschen ist, durchEnergisierung zum Überwinden des Krankheitsprozesses veranlaßt,während man das nicht kann, so lange - wie hier in diesem Falle -der astralische Leib seine Tätigkeit einseitig nach der Niere, die andersist, als sie sein soll, hinwenden muß. Das aber, was ich jetzt eben be-schrieben habe, ist der Fall, oder kann der Fall sein bei allen denjeni-gen Krankheitsvorgängen, die auf Unregelmäßigkeiten von Organenberuhen, die - wie ich es nennen möchte - zentrifugal wirken, nachinnen zentrifugal wirken. Die Niere ist ein Absonderungsorgan, dasnach innen zunächst absondert, wenn auch die Ausscheidung nach au-ßen geht, sie sondert nach innen ab. Und pathologische Prozesse müs-sen, wenn man das auffaßt, was ich gesagt habe, so verstanden wer-den, daß die Heilung darin besteht, daß wir in der Niere durch Ein-fügung von Equisetum arvense einen zentrifugalen Prozeß hervor-rufen, einen von der Niere ausstrahlenden Prozeß.

Es gibt nun andere Prozesse, die uns geradezu die polarische Seitevon dem zeigen, was ich jetzt angeführt habe. Und da möchte ichwieder nicht eine schwere Krankheit, sondern, um das Prinzipielle zuerörtern, etwas anführen, was zwar mehr oder weniger nur entfernteAufmerksamkeit gegenüber den eigentlichen tieferen Erkrankungendes menschlichen Wesens hervorruft, was aber vor allen Dingen fürden Patienten außerordentlich unangenehm ist: das ist der Heu-schnupfen, das Heufieber, der Heufieberkatarrh. Wenn man diesesbekämpfen will, muß man darauf achten, daß man es dabei mit einersehr starken konstitutionellen Erkrankung zu tun hat. Die führt aberzuletzt darauf zurück, daß peripherisch im Menschen auftritt einNachlassen des astralischen Leibes mit seinen Kräften, dieses dritten,innerlich beweglichen Menschen. Wir können ja gerade das Heufieber

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zurückverfolgen bis in die erste Kinderzeit, wo wir gewöhnlich nichtsehr beachtete allgemeine Erkrankungen haben, die sich dann spe-zialisieren zu dem, was im späteren Leben als Heufieber auftritt. Undwissen wir, daß dieses Heufieber darauf beruht, daß der astralischeLeib in bezug auf gewisse Funktionen nachläßt, nicht herandringt bisan den physischen Leib und ätherischen Leib, so muß es uns zunächstdaran liegen, diesen astralischen Leib innerlich zu energisieren, aufseine eigentlichen Funktionen zurückzuführen; so daß man da, woman es mit mehr nach außen gehenden zentrifugalen Wirkungen imPathologischen zu tun hat, jetzt etwas anderes entgegenstellt. Bei demBeispiel der Nierenerkrankung haben wir gewissermaßen die Krank-heit abgefangen; wir haben den astralischen Leib so betrachtet, daßwir ihn, wenn er von seiner anormalen Arbeit befreit ist, nur zu ener-gisieren, zu verstärken brauchen; dann wird er, wenn man ihm ab-nimmt, was er an der kranken Niere tun mußte, schon in der Richtungder Gesundheit wirken. Das ist bei Prozessen wie beim Heufieber nichtder Fall. Da dürften wir nicht darauf ausgehen, den Krankheitsprozeßabzufangen, sondern da müssen wir geradezu dem Krankheitsprozeßeinen gleichen Prozeß in polarisch entgegengesetzter Richtung ent-gegenschicken. Und da hat sich dann herausgestellt, daß wir geradedann den astralischen Leib zu der Funktion anregen können, die ernicht mehr verrichtet, weil er nicht mehr den Zugang hat zum phy-sischen Leib und Ätherleib, wenn wir gewisse Säfte von Früchten, dieSchalen haben, verwenden, wodurch sich in der Tat innerhalb derFrucht zentripetale Wirkungen zeigen, und wenn wir das entspre-chende Präparat aus diesen Fruchtsäften zubereiten, bei leichteren Fäl-len als Salbe, bei schwereren Fällen als Injektion. Wir treiben ihn wie-der zurück zum physischen Leib und Ätherleib, und in dieser Bezie-hung sind ja tatsächlich recht schöne Erfolge aufzuweisen. Frau Dr.Wegman hat doch zahlreiche Patienten mit unserem Heuschnupfen-mittel injiziert und gerade auf diesem Gebiete die allerschönsten Er-folge gehabt. Es ist durchaus möglich, aus dieser Denkweise herauses dahin zu bringen, dem träge gewordenen astralischen Leib entge-genzukommen und ihn zu energisieren, so daß man an diesem Pro-zeß, den man bei der Injektion hervorruft - diese Prozesse haben dann

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eine bestimmte Affinität zu besonderen Organen; wenn wir also einenbestimmten Fruchtsaft anwenden, so hat er eine besondere Affinitätzu bestimmten Organen; man muß dann die besonderen Stellen aus-forschen und die Strömungen kennen, in denen sich die Affinitätenzum Ausdruck bringen -, gerade sehen kann, wie jene physischenFunktionen, die durch dasjenige auftreten, was lässig und träge ge-worden ist im astralischen Leib, die nicht auftreten würden, wenn sievom astralischen Leib gehalten würden, wie diese Funktionen wirk-lich aufhören aufzutreten, wenn wir nun den astralischen Leib selberabfangen. Vorher haben wir den Krankheitsprozeß abgefangen, jetztfangen wir den Prozeß ab in dem betreffenden Gebiete, auf das wirgerade wirken wollen. So haben wir in bezug auf die Präparate, diewir anwenden, zu unterscheiden zwischen mehr zentrifugal wirkendenProzessen, wie ich es beim Nierenprozeß beschrieben habe, und zwi-schen zentripetal wirkenden Heilprozessen, wie zum Beispiel beimHeuschnupfenmittel.

Wenn man diese Dinge ins Auge faßt, kann man zunächst glauben,das sei etwas Ausgedachtes. Die meisten Menschen in der Gegenwartglauben auch, es sei ausgedacht. Deshalb legte ich einen großen Wertdarauf, daß wir nicht nur solche Heilmittel herstellen, sondern daß imSinne dieser medizinischen Denkungsart in unseren Instituten gearbei-tet wird. Nun ist man ja bei der Ausprüfung dieser Mittel in einem an-deren Falle, als wenn man rein äußerlich-empirisch Mittel ausprobiert.Im letzteren Falle ist man ja hauptsächlich auf die Statistik angewiesen,die uns sagt: ist die Zahl der Fälle, wo ein Mittel geholfen hat, im Ver-hältnis zu denen, wo es nicht geholfen hat, sehr groß, so hilft uns dadie Statistik. Wenn man aber von einer solchen Methode ausgeht, wieich sie besprochen habe, sieht man ja in einer gewissen Beziehung ausdem Durchschauen des Krankheitsprozesses heraus, was bei einem be-stimmten Heilungsprozeß eintreten muß. Pathologie und Therapiewerden ja eines! Denn die Sache ist so: erkenne ich durch die Diagnose,was in der kranken Niere vor sich geht, so ist es ja derselbe Prozeß,nur auf einem anderen Niveau, den ich bei der Therapie anwendenmuß: ich muß den Prozeß abfangen; ich muß durch Verbindung vonSchwefel und Kieselsäure etwas in den menschlichen Organismus hin-

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einbringen, damit ich das, was sich mir als pathologischer Prozeß dar-stellt, selber hervorbringe. Ich heile dadurch, daß ich eine Therapieausbilde, die die Nachahmung des Krankheitsprozesses auf einem an-deren Niveau ist, und die muß der astralische Leib ausführen. Führeich zum Beispiel die Equisetumfunktion in den menschlichen Organis-mus ein, so lasse ich sie im Ätherleibe, und ich nehme dem astralischenLeib seine Arbeit an der kranken Niere wieder ab.

So verwandelt sich das, was sonst heute ganz nebeneinanderstehtund nur rein empirisch zusammengefunden werden kann: Pathologieund Therapie, das verwandelt sich in eine absolute Einheit. Erkenntman in einer solchen Weise die Natur des Krankheitsprozesses, somuß man in der äußeren Natur finden, wie zum Beispiel ein besondererNierenprozeß imitiert wird im Equisetum arvense; oder erkennt man,daß der Gallenabsonderungsprozeß in der Leber bei bestimmtenKrankheitsformen wirklich seiner inneren Natur nach so ist, daß wirdiese Krankheitsform des Gallenabsonderungsprozesses zum Beispielim Cichorium intybus finden, so sind wir imstande, daß wir durch dieArt und Weise, wie die Funktion im Cichorium intybus verläuft, demAstralleib der Leber im Gallenabsonderungsprozeß das abzunehmen,was er sonst tun muß. Wir kommen so in der Heilung in der Weiseweiter, daß die Pathologie selber eigentlich nichts anderes ist als schondie Therapie. Dadurch wird die Therapie eine wirklich rationelleWissenschaft. - Kennt man zum Beispiel den wunderbaren Zusam-menhang, der zwischen Eisen und namentlich gewissen Pflanzen-schleimbestandteilen und Salzen des Anisum vulgäre besteht, so kannman erkennen, wie in diesem Anis, namentlich in dem Samen vonAnisum [Pimpinella anisum] etwas Funktionierendes drinnen ist,was mit gewissen überentzündlichen Krankheitsprozessen des Blu-tes eins ist. Wir können dem Blut diese Krankheitsprozesse abnehmen,indem wir in entsprechender Weise ein Präparat verwenden, das nach-gebildet ist dem Zusammenhange zwischen gewissen Pflanzenschleim-stoffen und dem Eisen im Anis. Da ist es dann so, daß wir nichtnur den astralischen Leib frei machen, sondern, wenn es sich umBluterkrankungen handelt, ist zugleich die Ich-Organisation daranbeteiligt.

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So kommen wir auf diese Weise dazu, den Blick auf die ganze Naturhinzuwenden. Was die schöne Natur draußen ist, sind eigentlich lauterimitierte Krankheitsprozesse. Beim Menschen sind es innerlich Krank-heitsprozesse, draußen ist es die wunderbar schöne Natur. Aber manmuß den Zusammenhang verstehen und muß wissen, wie man aus demweiten Felde der Naturprozesse in den Menschen Krankheitsfunktio-nen hineinbringt und dadurch Krankheitsprozesse den übersinnlichenGliedern der menschlichen Natur abnehmen kann. Jetzt ist man nichtmehr auf eine Statistik angewiesen! Denn erkennt man einen solchenZusammenhang durch inneres Durchschauen, und schaut man an, wiedie Wirkungen auftreten müssen, dann ist das ebenso wie bei einem inexakter Wissenschaftlichkeit richtig ausgeführten physikalischen Ex-periment. Da geht man ja auch nicht gerade nach der Statistik vor,sondern da weiß man, zum Beispiel beim Mariotte-Gay-Lussac'schenGesetz, daß das ein exakt ausgeführtes Experiment ist, das, wenn esexakt ausgeführt ist, auch beweisend ist. Beim Menschen ist es zwar nichtso einfach wie bei einem physikalischen Experiment, aber es ist eigent-lich ebenso, wenn man beim Durchschauen des Krankheitsprozessesangeben kann: da muß dies oder jenes wirken -, und wenn man dannStück für Stück sieht, wie es wirkt. Was dabei notwendig ist - und dasist das, was eben gerade in dem Klinisch-Therapeutischen Institut vonFrau Dr. Wegman in Ariesheim in einem so hohen Maße vorhandenist -, das ist, daß man wirklich verbannt alle ärztliche Skepsis; denndie ist eigentlich das, was einem fortwährend die stärksten Hinder-nisse in den Weg legt. Was bei Frau Dr. Wegman vorhanden ist, dasist der Mut des Heilens. Der Mut des Heilens gehört zu allem dazu!Dann kommt man auch dazu, den Krankheitsprozeß zu schauen, unddaß man anfängt ihm zu begegnen, indem man ihn sozusagen abfängt.Aber dann wird besonders wichtig, darauf zu sehen, wie das alles auchwirklich eintritt, wenn man nicht schlampig ist; sondern daß man denHeilungsprozeß verfolgt von Stufe zu Stufe. Und dann weiß man jaauch, wo etwas nicht in Ordnung ist; dann muß man zurückgehenund erforschen, wo man etwas übersehen hat. Aber wenn man dannin jedem einzelnen Falle den Mut des Heilens hat und tatsächlichnichts anderes voraussetzt, nichts anderes will als Heilen, als die

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Krankheitsprozesse mutvoll zu heilen, dann hat man dasjenige, wovonman sich am allerstärksten angeregt fühlen kann, als eine solche exakt-wissenschaftliche Grundlage der Medizin, die aus einer exakten Patho-logie nicht erst bloß als Konsequenz eine rationelle Therapie heraus-arbeiten will, sondern die schon in der Diagnose den Heilprozeß hat.Dann kann man gar nicht anders über den Krankheitsprozeß sprechen,als daß man zugleich mit der Diagnose schon die Therapie hat. Manbeschreibt dann schon die Nierenerkrankung so, daß die Beschreibungganz ähnlich ist dem, was im Equisetum arvense geschieht: man über-trägt das, was man in der Niere schaut, auf ein äußeres Naturgeschehen;so daß man im Diagnostizieren so beschreibt, daß die Diagnose denHeilprozeß enthält.

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S E C H S T E R VORTRAG

Den Haag, 16. November 1923

Gestatten Sie, daß ich einzelnes von dem, was ich mir erlaubte gesternprinzipiell anzudeuten, heute weiter ausführe. Es kann ja auch das, wasich heute sagen werde, nicht mehr geben als einige Hinweise, einigeAnregungen; während natürlich zu alledem, was von dem Gesichts-punkte, den ich gestern angedeutet habe, über Medizinisches zu sagenist, eine reiche Summe von Beweisen beigebracht werden kann, die na-türlich nicht heute - und in so kurzer Zeit überhaupt - zur Erörterungkommen kann.

Ich habe gestern schon darauf hingedeutet, daß man durch die in-nerliche Erkenntnisschulung der menschlichen Seele tatsächlich dazukommen kann, im Menschen zu unterscheiden den eigentlichen physi-schen Leib, dann das, was ich gestern - wie gesagt, eine Terminologiemuß man ja haben, und man braucht sich nicht daran zu stoßen - ge-nannt habe den ätherischen Leib, der das erste übersinnliche Glied dermenschlichen Natur ist; daß man dann den astralischen Leib, den ichin seinem Eingreifen in bezug auf die Nierenfunktion gestern auch er-örtert habe, und zuletzt die Ich-Organisation im Menschen zu unter-scheiden habe. Wenn man nun vom Menschen im gesunden oder kran-ken Zustande spricht, so ist es immer nötig, daß man sich bewußtbleibt, daß diese vier Glieder der menschlichen Wesenheit durchauszunächst scharf zu unterscheidende Funktionen haben, die ineinandereingreifen, wechselseitige Wirkungen im gesunden und kranken Zu-stand aufeinander ausüben. Und erst dann, wenn man in der Lage ist,die Einheit der Menschen Wesenheit aus diesem Zusammenfluß von vier,ich möchte sagen, voneinander getrennten Funktionsniveaus aus sich zuvergegenwärtigen, ist man auch erst imstande, über den gesunden oderkranken Menschen eine wirkliche Vorstellung zu gewinnen. Ich er-wähnte schon gestern: Krankheitsprozesse sind doch Naturprozesse.Und man kann bei unbefangener Beobachtung eigentlich nicht eineGrenze finden zwischen den sogenannten normalen, den gesunden Pro-zessen des menschlichen Organismus und den kranken Prozessen, wenn

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man nicht diese Gliederung der Menschennatur kennt und dadurchweiß: wenn irgendeines dieser Glieder in die gesamte menschliche Ein-heit mehr eingreift, als es eingreifen sollte, dann entsteht dadurch ebendas unnormale, krankhafte Funktionieren der menschlichen Wesenheit.

Aber man kommt noch nicht zu einer Vorstellung, wie in diesemWunderbau des menschlichen Organismus die verschiedenen Kräfte,die sinnlichen und die übersinnlichen, zusammenwirken, wenn mannicht eines kennt, das mir eigentlich in der Konzeption vorlag heutevor mehr als fünfunddreißig Jahren, das ich aber erst in den letztenJahren mich getraut habe auszusprechen. Erst in den letzten Jahrenkonnte ich den Mut finden, es auszusprechen, und man wird schon dar-aus sehen, daß die Forschung, die hier gemeint ist, nicht weniger ge-wissenhaft vorgeht als das, was man heute gebräuchlich als Forschungansieht. Es handelt sich nämlich um folgendes.

Man muß den Menschen auch noch gliedern nach dem Nerven-Sin-nessystem, das zunächst vorzugsweise im Kopfe des Menschen lokali-siert ist. Aber so sind die Dinge am Menschen nicht, daß man etwasanderes sagen könnte als: vorzugsweise ist das Nerven-Sinnessystemin der Kopforganisation lokalisiert. Es ist über den ganzen Menschenausgebreitet, und das, was ich als drei oder vier Glieder der Menschen-natur unterscheiden muß, greift ineinander; und man kann eigentlich,wenn man von der Nerven-Sinnesorganisation spricht, exakt, genaunur sagen: der Mensch ist im Kopfe am meisten «Kopf», aber dieKopforganisation, die Nerven-Sinnesorganisation ist über den ganzenMenschen ausgebreitet.

Dann spielt in diese Nerven-Sinnesorganisation dasjenige hinein,was im weitesten Sinne genannt werden kann die rhythmische Organi-sation des Menschen. Atmungsrhythmus und Blutzirkulationsrhyth-mus sind ja die hervorragendsten Erscheinungen innerhalb des rhyth-mischen Menschen; aber es kommen andere Rhythmen noch in Be-tracht: der Rhythmus von Schlafen und Wachen, der Rhythmus, dersich im engeren Sinne in der Verdauung ausspricht und so weiter.Wiederum ist das rhythmische System über den ganzen Menschen aus-gebreitet und nur vorzugsweise im mittleren Menschen lokalisiert. Undals drittes haben wir zu unterscheiden — wir können es in der einen oder

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anderen Weise ansehen - das Stoffwechsel-Gliedmaßensystem. Damithaben wir dasjenige System, das vorzugsweise der Bewegung des Men-schen dient und das wiederum über den ganzen Menschen ausgebreitetist. Es sind auch diese beiden Systeme, das Stoffwechselsystem und dasBewegungssystem, durchaus miteinander verbunden, was vielleicht ausdem inneren Gehalt der Betrachtung, die ich anstellen werde, hervor-gehen wird.

Nun sind aber diese drei Systeme, trotzdem sie ineinandergreifen,streng voneinander unterschieden, so daß wir sagen können: In derNerven-Sinnesorganisation arbeitet das, was physischer, ätherischer,astralischer Leib und Ich-Organisation ist, ganz anders als zum Bei-spiel in der rhythmischen Organisation oder in der Stoffwechsel-Gliedmaßenorganisation. Vorhanden sind diese vier Glieder dermenschlichen Natur - physischer Leib, ätherischer Leib, astralischerLeib und Ich - in allen drei, gewissermaßen örtlich voneinander ge-trennten Systemen, aber sie greifen in verschiedenster Weise in jedesdieser Systeme wiederum ein. Und nur wenn man zu sagen vermag,wie zum Beispiel in das Kopfsystem die Ich-Organisation oder derastralische Leib eingreifen, ist man imstande, von gesunden und kran-ken Menschen in einer exakten, sachgemäßen Weise zu sprechen. Ichmöchte dies für einen konkreten Fall einmal erörtern.

Nehmen wir die Hauptesorganisation, und zwar jetzt mehr, wie dasNerven-Sinnessystem im Haupte lokalisiert ist. Wir sprechen auch danatürlich vom ganzen Menschen, weil das, was man vom Haupte sagenkann, im minderen Grade auch vorhanden ist im rhythmischen Men-schen, im mittleren Menschen, und im Stoffwechsel-Gliedmaßenmen-schen. Aber man kann sich schon das Wesentliche, worauf es dabei an-kommt, durch die Hauptesorganisation klarmachen: Bei ihr handeltes sich darum - wie gesagt, mit der Einschränkung sage ich es, dieich jetzt gemacht habe -, was zunächst in dieser Hauptesorganisationlokalisiert ist. Der Mensch ist ganz Kopf auch, aber ich erörtere dieKopf Organisation am Kopfe im engeren Sinne. Da ist zunächst die Ner-ven-Sinnesorganisation lokalisiert; die verschiedenen sinnlichen Wahr-nehmungsorgane haben ihre Fortwirkungen in den inneren mensch-lichen Organismus hinein, so müssen wir nämlich sagen, wenn wir

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exakt über die Sinne sprechen wollen. Nun handelt es sich darum: Wasliegt uns eigentlich vor, wenn wir zunächst von der Sinnesorganisationsprechen? - Auch da kann ich nur eine Art Direktion geben.

Die Sinnesorganisation erörtert man eigentlich gewöhnlich außer-ordentlich abstrakt, so daß man von ihr spricht wie von bloßen Be-griffen. Die anatomisch-physiologische Grundlage erörtert man wohl,aber - das geht schon aus den furchtbar dilettantischen Auseinander-setzungen hervor, die man in der Physiologie findet - das eigentlicheFunktionieren innerhalb des Sinnestraktes ist etwas, was im Grundegenommen niemals so recht konkret ins Auge gefaßt wird. Denn dasist etwas, was sich verhält im umgekehrten Verhältnis so, daß mansagen kann: Atmungsfunktion verhält sich zur Sinnesfunktion im um-gekehrten Verhältnis, wie sich verhält das Blutzirkulationssystem zuder Verdauungsfunktion. Also die Verdauungsfunktion ist, wenn ichmich grob ausdrücken soll, gewissermaßen eine verdichtete Blutzirku-lation. Oder umgekehrt: was im Blut zirkuliert, ist ein verfeinerterVerdauungsprozeß. Und der Sinnesprozeß ist ein verfeinerter Atmungs-prozeß. Ich könnte auch sagen: der Atmungsprozeß ist ein vergröber-ter sinnlicher Wahrnehmungsprozeß. Diese beiden Prozesse unterschei-den sich quantitativ, nicht qualitativ. Darin liegt zum Beispiel die Be-gründung, daß in der Methodik, die in der indischen Jogaphilosophiefür ein tieferes Erkennen vorgeschrieben wird, nicht der bloße ge-wöhnliche Nerven-Sinnesprozeß angewendet wird, sondern ein ge-wisser modifizierter Atmungsprozeß. Was in der Jogaübung in die-sem modifizierten Atmungsprozeß erreicht werden soll, ist nichts an-deres als ein gröberes Erkennen. In diesem Hinunternehmen des Er-kenntnisprozesses in den Atmungsvorgang durch die JogaphilosophieIndiens liegt eigentlich doch eine tiefe Weisheit. Aber es ist eben das,was sich abspielt von den Sinnen nach einwärts, ein verfeinerter, ge-wissermaßen ein vergeistigter Atmungsprozeß. In diesem verfeinertenAtmungsprozeß, also ich möchte sagen, an denjenigen Orten, wo sichdie Sinneswahrnehmung zunächst abspielt, da müssen vorhanden seinin möglichster Freiheit die Funktion des Ich und die Funktion desastralischen Leibes. Die müssen wirken können im Auge, müssen wir-ken können im Ohre; aber sie müssen so wirken können, daß die

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Wirkung sich wirklich überträgt bis auf die physische Organisa-tion hin.

Betrachten wir die Sache beim Auge, so finden wir es folgender-maßen. Im Auge ist zunächst die physische Organisation des Auges.In ihr steckt der ätherische Leib des Auges, der das Vitalistische be-sorgt. Dann aber haben wir die astralische und die Ich-Organisationdes Menschen; die müssen für das Auge zwar selbständig wirken, abersie müssen die physische Substanz des Auges ergreifen. Nun ist es imSinne dessen, was ich gestern angedeutet habe, so, daß dasjenige, wassich im menschlichen Organismus findet, sich auch findet in der Naturdraußen, nur daß sich der Naturprozeß nicht als ein gesunder Prozeßim menschlichen Organismus findet, sondern als ein kranker; aber esentspricht einem Vorgang im menschlichen Organismus immer ein ge-sunder Prozeß im Naturgeschehen. Was sich für die Sinnesorgane drau-ßen in der Natur vorfindet, das ist am hervorragendsten anzutreffen,wenn Sie diejenige Funktionsweise ins Auge fassen, die, ich möchtesagen, festgehalten ist im Kieseldioxyd, im Quarz, in der Kieselsäure,wenn Sie also dasjenige, was Ihnen als etwas Festgewordenes, gewisser-maßen als etwas Erstarrtes erscheint, als lebendigen Prozeß auffassen.Alle festen Körper sind ja nur erstarrte Prozesse, erstarrte Vorgänge.Wenn wir also den Kieselsäurevorgang betrachten, so müssen wir sa-gen: Wo wir in der Natur draußen Kieselsäure, wo wir Quarziges fin-den - es ist auch in anderen Substanzen der Natur vorhanden, aber amhervorragendsten im Quarz —, da haben wir in dem, was sich da ab-spielt, etwas, was beim Menschen demjenigen entspricht, was sichdurch die menschliche Organisation zum Beispiel im Auge oder in ei-nem anderen Sinnesorgane abspielt. Da ist nicht etwa die Behauptunggerechtfertigt, daß wir da drinnen substantiell Quarz haben; aber waswir im Auge oder in einem anderen Sinnesorgane haben, das ist funk-tionell, dem Prozesse nach dasselbe wie das, was sich draußen imQuarz abspielt. Und wiederum: wenn wir diesen Vorgang in den Sin-nesorganen beobachten, der sich als identisch erweist mit dem Vor-gange im Quarz, so kommen wir dazu - und das zeigt nun auch dieMineralogie in der Analogie des äußeren Naturgeschehens -, daß mitalledem, was in einem solchen Prozeß liegen kann, wie wir ihn in dem

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Quarzvorgang haben, am wenigsten damit harmonisch zusammenwir-kend alles das ist, was wieder getragen wird von der Organisation desPhosphor. Schauen Sie sich also in der Natur draußen das, was imPhosphor fest geworden ist, als lebendigen Prozeß an und nehmen Siedas lebendige Zusammenwirken von beiden, so haben Sie denselbenProzeß, den Sie im menschlichen Auge - als Repräsentanten der Sin-nesorganisation überhaupt - haben. Und durch dieses Zusammenwir-ken eines Prozesses, der so ist wie der Phosphorprozeß, und eines ande-ren Prozesses, der so ist wie der Kieselsäureprozeß, ist das Auge das-jenige Organ, daß in die physische Organisation des Auges eingreifenkann, was als Ich und als astralischer Leib im Menschen vorhanden ist.Es muß überall die physische Organisation die Grundlage dafür schaf-fen, daß das Geistige in der richtigen Weise eingreifen kann.

Nun ist etwas anderes der Fall. Wenn jener Vorgang, der sich imAuge abspielt durch dieses Zusammenwirken des Phosphorprozessesund des Kieselsäureprozesses, der ein inniges, harmonisches Zusam-menwirken der beiden darstellt, sich ins Gehirn hinein fortsetzen wür-de, so würden wir ganz erfüllt sein von einem Sinnesprozeß, wir wür-den ganz hingegeben sein an die Natur, wir würden nicht als Men-schen herausgehoben sein aus der Natur. Wir müssen uns aber als Men-schen herausheben aus der Natur. Und dazu muß im Gehirn ein ande-rer Prozeß stattfinden als in den Sinnen, ein Prozeß, der den Menschenabsondert von den Naturprozessen. Während sich im Auge eigentlichetwas abspielt, was nur Fortsetzung eines äußeren Naturprozesses indie Vitalisation hinein ist - die Sinnesorgane sind ja eigentlich wieGolfe, die sich in den Menschen hineinerstrecken -, muß sich im Ge-hirn etwas absondern, selbständig machen.

Das geschieht wieder durch einen Prozeß, den wir auch draußenin der Natur finden. Was in uns - wenn ich mich jetzt psychologischausdrücken darf -, aus der Wahrnehmung die Vorstellung macht mitHilfe der menschlichen Organisation, das ist ein Vorgang im Innerender Nerven-Sinnesorganisation, der jenen Vorgängen entspricht, die wirdraußen im Blei finden. Daher können wir sagen: Wenn das, was durchdas Auge in der Wahrnehmung aufgefaßt wird, nun weiter zurück-geht in das Nerven-Sinnessystem, dann muß ihm entgegenkommen

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ein Prozeß, der gleich ist dem Bleiprozeß. Nur dadurch kann derMensch das, was er wahrnimmt, auch denken. Dadurch wird das Ge-hirn ein Denkorgan; sonst würde es auch ein Wahrnehmungsorgansein. Auf diese Weise wird der Mensch verselbständigt.

Damit habe ich hingedeutet auf etwas, was in der Kopforganisationcharakteristisch ist. Ich sagte also: dasselbe, was sich draußen im Blei-prozeß abspielt, müsse sich in der Kopforganisation abspielen, damitder Denkprozeß im Menschen zustande kommen kann.

Nehmen wir nun einmal die Bleifunktion und bringen wir sie nunnicht in die Nervenorganisation - wenn der Mensch geboren wird, istdas Blei von der Natur selber da, ist die Bleifunktion da, ohne daß dieSubstanz des Bleies nachgewiesen werden kann -, sondern bringen wirdie Bleifunktion jetzt in die Verdauungsorganisation und in das Wei-tere hinein; dafür sorgt schon das Leben, zum Beispiel manchmal beiden Bleivergiftungen. Wenn Sie nun beobachten in allen Erscheinun-gen, was das Blei im Stoffwechsel-Gliedmaßenmenschen bewirkt, sobekommen Sie ein Bild, das sich zwar in verschiedenen einzelnen Sym-ptomen darstellt, das aber eigentlich doch am charakteristischsten zu-sammengefaßt wird etwa in dem Symptomkomplex von Dementiasenilis oder der Arteriosclerosis cerebralis: Sie bekommen dann dasBild des im Alter zerfallenden menschlichen Organismus. Das heißtmit anderen Worten: Wenn ich denselben Prozeß, der mir im Gehirnmeine Selbständigkeit als organisches Wesen sichert, auf den anderenPol des Menschen in Anwendung bringe, auf das Verdauungssystemund auf das damit im Zusammenhange stehende Gliedmaßensystem,dann bekomme ich ein Krankheitsbild; was also im Stoff wechsel-Glied-maßensystem ein Krankheitsprozeß ist, das ist für den Nerven-Sinnes-menschen eine notwendige organische Funktion. Wenn ich also die Skle-rose als ein langsames Sterben auffasse, so muß ich auch sagen: in einergewissen abgeschwächten Form muß sie fortwährend im Haupte desMenschen funktionieren, dort ist sie der normale Zustand.

So also sind die drei Glieder der menschlichen Wesenheit vonein-ander verschieden: was in dem einen Glied, in der Nerven-Sinnesorga-nisation, der normale Zustand ist, das ist in dem anderen Gliede desmenschlichen Organismus eine Krankheitserscheinung. Aber ich habe

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schon gestern gesagt: Wie müssen wir uns nun zur Therapie stellen?Wir müssen das, was den Krankheitsprozeß ausmacht, und was

astralischer Leib und Ich-Organisation versorgen müssen, wenn ebender Krankheitsprozeß ungestört wuchern kann, das müssen wir demastralischen Leibe und der Ich-Organisation abnehmen. Was müssenwir also tun, wenn wir die Sklerose haben? Wir müssen uns ihr sonähern, daß wir dem menschlichen astralischen Leibe für das Verdau-ungs-Gliedmaßensystem das abnehmen, was er mit dem alternden, zer-fallenden, skierotisch werdenden Leibe zu tun hat. Und das könnenwir, wenn wir es dem Blei übergeben, dem Blei in einer gewissen Dosie-rung. Und dies hat dazu geführt, daß wir zu einem solchen Heilmittelgekommen sind, wie Sie es in unserem Verzeichnis als Heilmittel Num-mer I angeführt finden, als das Heilmittel gegen Arteriosklerose. Es istalso von vornherein durch wirkliche Menschenerkenntnis klar, daßman durch die in entsprechender Weise in den Menschen hineinge-brachte Bleifunktion substantiell der Sklerose beikommen kann; nurmuß man jetzt das Blei zur Wirksamkeit bringen. Es ist nicht ohneweiteres gesagt, daß ich das Blei, wenn ich es in den Organismus einge-führt habe, damit auch wirklich zur Wirksamkeit gebracht habe. Dahelfen einem dann die weiteren Glieder einer wirklichen Menschener-kenntnis.

Da hilft es einem dann, daß man im menschlichen Organismusunterscheiden kann die aufbauenden und die abbauenden Kräfte. Dieletzteren sind zum Beispiel gerade in der Sklerose tätig, wo der mensch-liche Organismus zerfällt. Im Haupte, im Gehirn zerfällt fortwährendder menschliche Organismus, denn das Gehirn ist immerfort von einerleisen Sklerose erfüllt; das liegt in seiner Organisation. Es hängt alsoalles davon ab, daß man nun unterscheiden kann die Abbauprozesseund die eigentlichen Vitalisationsprozesse, die Aufbau-, die Wachstums-prozesse. Wenn man diese beiden Prozesse richtig voneinander unter-scheiden kann, dann sieht man zunächst hin auf dasjenige im mensch-lichen Organismus, was die Aufbauprozesse im eminentesten Sinne insich trägt: das ist in dem ersten Kindesalter der ganze menschliche Or-ganismus. Er ist zunächst noch nicht überlastet mit den Organen fürdas Denken, mit den Organen für die übrige seelische Tätigkeit; er

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lebt zunächst in der Organisation des Wachstums. Wenn wir nun dasVerhältnis der Milchfunktion zum menschlichen kindlichen Organis-mus nehmen, so finden wir, daß in dieser Milchfunktion gerade dieplastischen Kräfte drinnen liegen, die der Organismus im kindlichenZeitalter braucht. Im späteren Lebensalter können wir uns nicht inderselben Weise die noch immer nötigen plastischen Kräfte verschaf-fen, die wir durch den Milchgenuß im kindlichen Alter haben. Wirbrauchen auch noch, wenn wir uralt geworden sind, plastisch wirkendeKräfte, Bildekräfte, die die Nahrung, die wir aufnehmen, überführenin die Formen des Organismus. Nun stellt sich heraus: Daß nichts mehrfördert diese plastisch wirkenden, diese Bildekräfte, daß nichts mehrfördert die Anahnlichung der aufgenommenen Stoffe an den mensch-lichen Organismus als ein oftmals recht schwacher Honiggenuß. Honigwirkt in der Tat auf den altgewordenen Menschen im Stoffwechsel-Gliedmaßenorganismus ganz ähnlich, wie für den Gehirnorganismusdes Kindes - und besonders des Kindes - die Milch wirkt. Das weistuns darauf hin, daß im Honig eben besondere Bildekräfte sind, die wirnicht dadurch auffinden, daß wir den Honig einfach chemisch analy-sieren, sondern die wir nur finden, wenn wir tatsächlich in aller Leben-digkeit die Beziehungen erkennen, die der Mensch hat zu den übrigenSubstanzen im Weltall. Und diese Bildefähigkeit des Honigs - dennfür eine genauere Interpretation stellt sich heraus, daß der Honig denmenschlichen Organismus so ergreift, daß vorzugsweise der astralischeLeib seine Bildekräfte ausüben kann —, diese Wirkungen des Honigskann man dann unterstützen durch einen Zusatz von Zucker, voraus-gesetzt, daß der menschliche Organismus das sonst verträgt. Daher fin-den Sie, daß - in einer besonderen Weise ineinandergefügt, funktionalineinandergefügt - unser erstes Heilmittel gegen Sklerose ein Präparatdarstellt aus Blei, Honig und Zucker.

Das weist aber zugleich darauf hin, daß es darauf ankommt, wieman so etwas macht. Denn es muß in gewissem Sinne wiederum eininneres Funktionieren der Bleikräfte mit den Honig- und Zuckerkräf-ten entstehen in dem Präparat selber. Dieses Präparat ist also so her-gestellt, daß es, wenn es in den menschlichen Organismus eingeführtwird, dort übernimmt die skierotisierenden Kräfte. Es nimmt die skle-

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rotisierenden Kräfte dem astralischen Leib und der Ich-Organisationdes Menschen ab; die werden dadurch wieder frei und können nun fürdie normale, gesunde Organisation des Menschen wirken. Was ich abermit diesem Präparat in den menschlichen Organismus einführe, das istdas, was früher Ich und astralischer Leib tun mußten, die daher nichtfrei waren und ihre Funktionen ableiteten auf den Krankheitsvorgang.Jetzt übergebe ich den Krankheitsvorgang meinem Präparat. Das be-sonders Wirksame ist dabei das Blei; es übernimmt die Sklerotisierung,denn es ist ja seine eigene Natur, skierotisierend zu wirken. Aber ichmuß erst die Wege suchen durch die Plastik des Organismus hindurch,durch die ich das Blei dahin bringe, wo es nötig ist: das geschieht durchdie Zusammensetzung mit Honig und Zucker.

So sind also unsere Präparate daraufhin fertiggestellt: erstens das-jenige zu enthalten, was einen krankhaften Vorgang übernehmen kann.Dann aber auch sind sie weiter in ihren Zusammensetzungen und inihrer ganzen Art der Verarbeitung so zustande gekommen, daß nunauch dasjenige, was ich in den Menschen hineinbringen will, damit esden Krankheitsprozeß übernehme, sich in der richtigen Weise im Or-ganismus ausbreiten kann. So sind durchaus unsere Präparate absolutrationell hergestellt. Dadurch kommt tatsächlich — das konnte geradeimmer, wenn wir unsere Präparate anwendeten, in dem ArlesheimerInstitut von Frau Dr. Wegman von Stufe zu Stufe beobachtet werden -,es kommt tatsächlich im Heilen dieser Art heraus - was notwendigist -, daß man weiß: Der menschliche Organismus ist so; wende ichirgend etwas auf ihn an, dann muß das eine entsprechende Umände-rung in ihm hervorrufen. Beobachte ich nun die Umänderung, wie siegeschieht, so beobachte ich den Prozeß, der der Heilungsprozeß ist;ich beobachte das, was ich vorausgesetzt habe. Und das ist so wichtigbei unserer Methode, daß wir nicht äußerlich probieren und durch Sta-tistiken feststellen, sondern rationell voraussagen, was eintreten muß,und daß dann geprüft werden kann, schon im allerersten Stadium des-sen, was eintritt, ob man tatsächlich die entsprechenden Wirkungenhervorbringt.

Auf diese Weise sehen Sie auch, wie die schon gestern erwähnte,im Equisetum enthaltene Kieselsäure wirkt. Ich habe davon gespro-

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chen, daß die besondere Art und Weise, wie die Kieselsäure im Equi-setum enthalten ist, auf die Nierenfunktion wirkt. Man beachtet heuteanatomisch und physiologisch nicht, daß das Nerven-Sinnessystem nurgewissermaßen abstrakt abgetrennt werden kann von dem Zirkula-tions- und Stoffwechselsystem. In gewissem Sinne sind alle Organeauch wieder Sinnesorgane, und die Niere ist schon ein besonders wich-tiges Organ des menschlichen Unterleibes. Wenn ich also, in demSinne, wie ich es gestern ausführte, Kieselsäure, wie sie im Equisetumvorhanden ist, verwende, so steigere ich die Sensitivität der Niere undwirke damit auf diejenigen Prozesse im menschlichen Organismus, dievon einer Abstumpfung der inneren Sensitivität der Niere herrühren.

Dasjenige nun, was man in hervorragender Weise gerade an denSinnesorganen sieht, ist nämlich wiederum in einer gewissen Bezie-hung anwendbar auf den ganzen menschlichen Organismus. Beson-ders klar kann einem so etwas werden, wenn man beispielsweise diePhosphorwirkung in einem besonders eklatanten Falle betrachtet. Esist ganz gewiß etwas außerordentlich Interessantes, physiologisch undanatomisch die Vorgänge in der menschlichen Embryonalbildung zubetrachten. Nun hat man in der menschlichen Embryonalbildung zweizusammenwirkende Prozesse, die gewöhnlich nicht sehr gut ausein-andergelegt werden, wenn man heute anatomisch-physiologisch be-trachtet. Man hat zunächst alles das, was sich gruppiert um die Ent-stehung des befruchteten Eikeimes. Dann alles das, was sich abspieltin das Chorion herein von der Umgebung, von dem Uterus und soweiter, von den weiblichen Umschließungsorganen des Embryo. Wennman dieses studiert, ist natürlich auch das alles, was dabei Organisa-tion ist, durchzogen nicht nur von physischer Organisation, sondernauch von der ätherischen, astralischen und Ich-Organisation. Wennman nun aber zunächst diesen Prozeß - ich möchte ihn einen zentrifu-galen Prozeß, weil er ein ausstrahlender Prozeß ist, nennen - betrach-tet, was von der eigentlichen befruchteten Keimzelle ausgehend, durchdie Differenzierung immer mehr und mehr sich entwickelt, und wasder zentrale Embryo wird, so hat man auf der einen Seite in diesemProzesse als Hauptwirkung, als besonders prädominierende Wirkungetwas, was wiedergefunden werden kann in dem Prozesse, der in der

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Silbersubstanz festgehalten ist. So paradox es klingt: in der Silber-substanz haben wir etwas, was bis zu der Ausscheidung - eine Aus-scheidung ist es ja auch - sich steigern kann, die da stattfindet in derAbsonderung der Eizelle im menschlichen- Organismus. Im Silber, imFunktionellen des Silbers haben wir überhaupt die Ausscheidungs-kräfte, die im Menschen wirken, draußen in der Natur, in der Silber-substanz. Daraus, daß das Silber in einem so eminenten Sinne aus-scheidend wirkt, erkennen Sie die ganze ungeheure Bedeutung desSilbers in der entsprechenden Dosierung für den menschlichen Unter-leib überhaupt. Und daher kann man, wenn man wiederum mit dennötigen Bindemitteln, den nötigen Zusätzen die Silbersubstanz infeiner Dosierung einführt in den Verdauungsprozeß, gerade auf dieAbscheidungsprozesse wirken. Stocken die Abscheidungsprozesse, sokann man da in einer außerordentlich bedeutsamen Weise auf siewirken.

Aber nehmen wir nun dasjenige, was jetzt zentripetal wirkt, wasausgeht vom Uterus, also hineingeht von außen, so haben wir da wie-derum im eminenten Sinne in einer äußeren Substanz nämlich imPhosphor, dasjenige, was da ausgeht von den Wänden der weiblichenGebärorgane nach innen, was von dort ausgeht und gegen den Embryozu wirkt. Wiederum sieht man daraus, welche Bedeutung in den Kräf-ten liegt, die im Funktionieren des Phosphors enthalten sind. Sie wir-ken gerade im entgegengesetzten Sinne als Silber; sie wirken so, daßsie alles in den Menschen hineintreiben. Während zum Beispiel dasSilber namentlich für den Unterleib die ausscheidende Tendenz ent-wickelt, entfaltet der Phosphor die in den Leib hineintreibenden Ten-denzen. So daß man im Silber etwas hat, was im eminentesten Sinnedie Formen des physischen Leibes des Menschen hervorruft, wogegenman im Phosphor etwas hat, was diese Formen auslöscht, was hinein-treibt in den Menschen und die physische Organisation auslöscht, diesephysische Organisation auslöschend macht für den astralischen Leibund das Ich. Es ist also der Phosphor dasjenige, was die astralischeOrganisation und das Ich heraustreibt aus dem Menschen. In dieserBeziehung sind Silber und Phosphor polarisch einander entgegenge-setzte Substanzen.

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Für den rhythmischen und für den Kopfmenschen, also für dasZirkulationssystem und für das Nerven-Sinnessystem, gibt es nocheinen anderen polarischen Gegensatz zum Phosphor: das ist der Kalk,das kohlensaure Kalzium. Dieses kohlensaure Kalzium hat wiederum,in den menschlichen Organismus hineingebracht, die eigentümlicheTendenz, ausscheidend zu wirken. Ja, es ist beim kohlensauren Kal-zium, beim Kalk, so, daß in der Tat die zentrifugalen, die ausstrahlen-den Kräfte des Menschen sich auf eine äußerlich-natürliche Weise imKalk zeigen; wodurch ich, wenn diese ausstrahlenden Kräfte zu starkwerden und dadurch Krankheitsbildungen entstehen, diese Krankheits-prozesse gerade durch Kalkpräparate abnehmen kann. Besonders klaraber zeigt sich, was ich damit sagen will, wenn wir nun verfolgen, wieder dem menschlichen Organismus zugeführte Kalk etwas ist, wasüberall im menschlichen Organismus ausscheidend ist. Ich möchte sa-gen: im untersten Menschen hat er einen Konkurrenten im Silber,aber er wirkt auch da ausscheidend; so daß der Kalk überall sowohlWäßriges ausscheidet aus dem Organismus wie Luftiges. Die Kalk-kräfte, die im menschlichen Organismus lokalisiert sind, sind alsoauch alles das, was der menschlichen Ausatmung zugrundeliegt. DerKalk hat die Kraft in sich, die als Motor für die Ausatmung wirkt.Und wiederum hat er diejenigen Kräfte in sich, die in der Nerven-Sinnesorganisation die Wärme austreiben, eine Art Abkühlung derNerven-Sinnesorganisation bewirken. Also im unteren Menschen, imStoffwechsel-Gliedmaßenmenschen, wirkt er austreibend die Flüssig-keiten, im rhythmischen Menschen wirkt er austreibend die Luft-substanzen, in der Nerven-Sinnesorganisation wirkt er austreibendden Wärmeäther - oder die Wärme, wenn Sie es lieber haben wollen.

In jeder dieser Beziehungen wirkt dem Kalk entgegengesetzt derPhosphor. Er wirkt so, Sie können das wieder an dem Bilde der Phos-phorvergiftungen studieren, daß er in den Stoffwechsel-Gliedmaßen-menschen hineinbringt das Flüssige, besser: das Feste in aufgelösterForm, so daß er der treibende Motor für die Einatmung ist, aller nachinnen gerichteter Atmungsprozesse. Das Luftige bringt er in den Orga-nismus so hinein, daß er erwärmend wirkt auf die Nerven-Sinnesorga-nisation. - Dadurch aber, daß der Kalk das Austreibende ist, macht er

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im menschlichen Organismus das Bett für das Funktionieren von astra-lischem Leib und Ich-Organisation; die können dann herein.

Gerade durch das, was der Kalk heraustreibt, können der astralischeLeib und die Ich-Organisation in den Menschen hinein. Durch das-jenige, was dagegen der Phosphor hineintreibt an physischer Organi-sation, treibt er den astralischen Leib und das Ich heraus. In der ober-flächlichsten Weise können Sie diese Dinge daran studieren, daß derKalk sozusagen überall das wache Ich und den wachen astralischenLeib an den physischen Leib fesselt. Was heißt aber das: Der astralischeLeib und das Ich an den physischen Leib gefesselt? Das heißt: ich leidean Schlaflosigkeit. Wenn ich nicht die Ich-Organisation und den astra-lischen Leib herausbringen kann aus dem menschlichen Organismus,so leide ich an Schlaflosigkeit. Die Kalkfunktion ist, wenn ihr nichtentgegengewirkt wird durch die Phosphorfunktion, fortwährend einAnlaß dazu, daß wir in Schlaflosigkeit hineinkommen und damitin alle diejenigen Prozesse, die mit ihr zusammenhängen. In dem Au-genblick, wo Sie den Phosphorvorgang in den menschlichen Organis-mus hineinbringen, fördern Sie die Schlaffähigkeit; so daß Sie damitdas fördern, was aus dem menschlichen Organismus den astralischenLeib und das Ich herausbringt, denn diese sind während des Schlafesheraus. Im eminentesten Sinne hat diese Eigenschaft die Phosphor-funktion, im geringeren Grade hat sie die Schwefelfunktion. Und wennwir im rhythmischen System Unregelmäßigkeiten haben, können wirauch statt Phosphor den Schwefel anwenden. Wenn wir es zum Bei-spiel mit einer Schlaflosigkeit zu tun haben, die ihre Symptome imrhythmischen Menschen zeigt, werden wir es für den Heilungsprozeßmit irgendeinem Schwefelpräparat zu tun haben.

Das können gewiß alles nur Hindeutungen sein. Aber diese Hindeu-tungen sollen zeigen, daß man in alledem, was hier als eine rationelleDiagnose angestrebt wird, schon die rationelle Therapie drinnen hat.Denn gehe ich physiologisch vor, so ist mir zum Beispiel im menschli-chen Haupt ein verfeinerter Sklerotisierungsprozeß gegeben. Indem ichmich nun solcher Ausdrücke bediene, welche den Menschen in Verbin-dung bringen mit der ihn umgebenden Natur, kann ich jetzt dasjenige,was im menschlichen Gehirn als organische Funktion dem Denken zu-

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grundeliegt, einen Bleiprozeß nennen. Ich sehe diesen Bleiprozeß, ohnedie Substanz des Bleies, in der menschlichen Nerven-Sinnesorganisation;ich sehe ihn als Gift in der anderen Organisation, in der Stoffwechsel-Gliedmaßenorganisation. Das eine Bild zeigt mir in einer gräßlichenWeise das, was in feinerer Weise immer in der Nerven-Sinnesorganisa-tion vor sich geht. Aber ich kann jetzt auch wissen: wenn ich die Blei-funktion, den Bleiprozeß, hineinbringe in den Stoffwechsel-Gliedma-ßenmenschen, dann nehme ich dadurch diesem Stoffwechsel-Glied-maßenmenschen in bezug auf die astralische Organisation ab, was ab-genommen werden muß. Und damit habe ich die Heilung eintretenlassen. Ich unterscheide also gar nicht mehr zwischen dem, was Dia-gnose ist, was Pathologie ist und was Therapie ist, denn das fließt ineins zusammen. Man erkennt die Krankheit und man kennt den Pro-zeß in der äußeren Natur, der diesen Krankheitsprozeß im mensch-lichen Organismus übernehmen kann. Das eine erkennt man aus demanderen. Gerade das, zwischen dem heute ein furchtbarer Abgrundklafft: Pathologie und Therapie, das wird ineinander verwoben, zueins gemacht durch diese rationelle anthroposophische Grundlage derMedizin.

Auf der anderen Seite aber wird auch in entsprechender Weise einLicht geworfen auf die Krankheitsvorgänge selber. Nehmen wir eineKrankheit, wegen der, wenn wir sie anführen, wir immer ausgelachtwerden, weil sie für den Arzt als eine ganz unbedeutende Krankheitgilt - für den Arzt in Mitteleuropa ist das der Fall; ich weiß nicht,ob es in Holland ebenso ist -, nur für den Patienten ist diese Krank-heit recht unangenehm: ich meine die Migräne. Man versteht sie ei-gentlich nur, wenn man weiß, daß sie darin besteht, daß ein Prozeß,der gar nicht in der Nerven-Sinnesorganisation - im Haupte - seinsoll, nämlich ein Stoffwechselprozeß, gewissermaßen hypertrophiert,der feine Stoffwechselprozeß, der immer im Kopfe sich abspielt. Manhat also einen Stoffwechselprozeß im Kopfe, der nicht da sein sollte,und es handelt sich nun darum, dem Kopfe diesen Stoffwechselprozeßabzunehmen. Wie macht man das? Nun, zunächst tritt an einen dieAufgabe heran, dasjenige in den Menschen einzuführen, was diesenStoffwechselprozeß aufnehmen kann, was ihn selber ausführen kann.

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Nach dem, was ich vorhin gesagt habe, werden Sie jetzt finden, daßdies die Kieselsäure ist. Von ihr sagte ich, daß sie in die Sinnesorgani-sation hinein muß, die ja auch irritiert ist bei der Migräne. Bringen wirden Kieselsäureprozeß in die menschliche Hauptesorganisation hin-ein, dann wirken wir so, daß wir den krankhaften Migräneprozeßdem Kopfe abnehmen. Aber wir müssen erst den Kieselsäureprozeß inden Kopf hineinbringen. Wollen wir das Präparat so formen, daßes durch den Mund aufgenommen werden kann, so müssen wir dafürsorgen, daß es uns unterwegs nicht irgendwo in der Verdauung liegenbleibt. Dazu müssen wir den astralischen Leib so tätig wie möglichmachen, so daß er in den aufsteigenden Wogen durch den ganzen Ver-dauungsvorgang uns die Kieselsäure hinaufträgt, die wir durch dasPräparat hineinbringen in die Kopforganisation. Das können wir nur,wenn wir gleichsam das Hinauffluten der aufgenommenen Kiesel-säure dadurch fördern, daß wir etwas tun, um den astralischen Leibmöglichst zur Wirksamkeit zu bringen. Das heißt, wir müssen ausallem, was vermittelt zwischen Unterleib und Kopf - namentlich ausdem Zirkulationsrhythmus -, alles herauswerfen, was den astralischenLeib verhindern könnte, lebhaft zu wirken. Das geschieht, wenn wirSchwefel anwenden. So muß sich in unserem Präparat, in einer ge-wissen Weise verarbeitet, Kieselsäure und Schwefel finden. Aber immenschlichen Organismus muß das so sein, daß nicht nur etwas hin-aufwirkt, sondern gerade, wenn wir das rhythmische System angrei-fen, muß der Rhythmus hinauf- und hinuntergehen. Wir verfolgen jaden Atmungsrhythmus hinauf und hinunter, verfolgen den Zirkula-tionsrhythmus hinauf und hinunter. Dieses Hinauf- und Hinunter-gehen wird am wesentlichsten durch jene Funktion gefördert, die wie-der in der Substanz des Eisens liegt. Und dieses, was wir wollen: ein-mal hinauffluten, dann aber verhindern, daß es sich oben festsetzt,daß sich oben nur etwas absetzt, und nicht der ganze Mensch in An-spruch genommen ist, das wird dadurch bewirkt, daß wir ein Präparatherstellen in einer gewissen Verarbeitung, das Eisen, Schwefel undKieselsäure enthält. In dieser Weise bekommen wir unser Präparat, dasBiodoron, das im eminentesten Sinne dazu dient, die Migräne demKopfe abzunehmen, dann aber das, was wir so dem Kopfe abnehmen,

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auch wieder in der richtigen Weise in die Gesamtorganisation desMenschen hineinzufügen.

Was man für die untergeordnete Krankheit, die Bagatellenkrank-heit der Migräne sagen kann, das wird, allerdings dem Prinzipe nach,ernster, wenn man das Umgekehrte verfolgt. Wenn namentlich jenerVorgang, wo die Atmung übergeht in die - wie ich vorhin gesagthabe - verfeinerte Atmung, die dann auftritt als der Nerven-Sinnes-prozeß, dieser Vorgang, der sich also eigentlich nur abspielen soll imunteren Teile des obersten Menschen, ungefähr - das ist ja nur annä-hernd und grob ausgedrückt - in der Gegend zwischen den Lungenund den unteren Regionen des Antlitzes, wenn sich dieser Prozeß,diese besondere Nuance des menschlichen Zirkulationsprozesses durch-drückt und nun dieser schon Nerven-Sinnesprozeß, nämlich Nerven-Kopfprozeß gewordene Prozeß sich in dem menschlichen Darmtraktabspielt, dann haben wir einen Prozeß, der im Menschen sein muß;nur gehört er nicht in den Darmtrakt hinein, sondern in den Kopf.Dort hat er seinen normalen Ort. Kommt er in den Darmtrakt,so wird er dort zu den typhösen Erscheinungen. Und wir haben ein-fach dadurch begriffen, was ein Naturvorgang - jeder Krankheitsvor-gang ist ein Naturvorgang -, das heißt also, was ein solcher Krankheits-vorgang im Menschen sein kann: etwas, was an einer anderen Stelleberechtigt ist, ist in diesem Falle disloziert. An einer gewissen Stelledes Organismus ist der Vorgang, der in den typhösen Erscheinungenspielt, normal; im Darmtrakt ist er eine Krankheit. Es ist eine Krank-heit, die sich in dieser Weise darstellt.

Wir müssen nun in der Kopforganisation etwas haben, wo geradedie äußere Welt besonders stark wirken kann. Wir wissen ja, den Kopfspürt man am allerwenigsten; aber wir spüren durch den Kopf dieUmwelt. Die Umwelt muß hereinfluten in unser Haupt. Wir habenalso in unserem Haupte etwas, womit wir am stärksten in der Außen-welt leben. Wir haben nur zwei solcher Organisationsglieder, mit de-nen wir so stark in der Außenwelt leben: das ist einmal das Hauptselbst, namentlich jener Trakt, den ich eben charakterisiert habe, wodie Atmung in die Nerven-Sinnesfunktion übergeht; und dann habenwir noch etwas, das Ihnen sehr paradox erscheinen wird. Aber wenn

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wir ausführlicher noch die medizinische Literatur für diese Sache ge-schaffen haben werden - wir werden das in der allernächsten Zeit zu-stande bringen -, dann .gehen Sie einmal ein auf die Dinge, die da zufinden sind, und Sie werden sehen, wie gerade die Leberfunktion aufganz andere Art auch wieder etwas ist, was innerhalb des mensch-lichen Organismus am meisten die Außenwelt wiedergibt. Die Außen-welt wirkt in der Leber so, wie wenn der andere Organismus fastgar nicht da wäre. Es ist das die besondere Art der Leberfunktion.Aber wenn das, was in dieser Weise lokalisiert sein soll als eigentlichesBett für die Außenwirkungen, wenn das dort, wo es Innenwirkung ist,wo es nicht sein soll, auftritt, nämlich im Darmtrakt, dann haben wirin diesem Darmtrakt etwas, was sich dem menschlichen Organismusfunktionell entfremdet. Wenn wir nun wieder in der weiten Natursuchen, wie wir sozusagen diese veräußerlichte Wirkungsweise im Darmwieder verinnerlichen können und dem menschlichen Funktionierendas wieder zurückgeben können, dann stellt sich uns der Prozeß dar,der verfestigt ist im Antimon. Das Antimon ist ein Körper, der inaußerordentlich feiner Weise reagiert auf die Kräftewirkungen der Um-gebung. Die Antimonstruktur ist ja wie ein geoffenbarter Dynamit.Stellen Sie sich diese büschelförmigen Strahlungen vor, versuchen Siezu fühlen, wie es durch den sogenannten Saigerprozeß sich entreißenmöchte dem Mineralwerden; da sieht man: es ist das Antimon gewis-sermaßen mineralisch-sensitiv, es verinnerlicht die äußeren Wirkun-gen. Das zeigt sich besonders dadurch, daß man unter gewissen Vor-aussetzungen das Antimon elektrolytisch behandeln kann. Bringt manes dann an die Kathode, so tritt durch die geringfügigste Veranlassungeine Explosion ein. Wenn man das alles erkennt, wenn man weiß, wiedas Antimon zu den Kräften steht, die überall im Weltall spielen, dannerkennt man auch, wie der Antimonprozeß, wenn er richtig verarbeitetund in den Organismus eingeführt wird, den typhösen Prozeß aufneh-men kann; so daß dadurch wiederum Ich und astralischer Leib freiwerden können von ihrer Arbeit am typhösen Prozeß und der Menschdamit allmählich wiederum zur Gesundheit gebracht werden kann.

Damit versuchte ich, prinzipiell das anzudeuten, was man eine ra-tionelle Medizin nennen kann. Unsere Präparate, die bis jetzt schon an

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die zweihundert sind, sind immer auf eine zweifache Weise im Laufeder Zeit entstanden. Zuerst war es so, daß sich eine ziemlich große An-zahl von Ärzten zusammengefunden haben, die in eine gewisse Skep-sis gegenüber den jetzigen therapeutischen Methoden verfallen waren,und die die Frage stellten, ob es nicht möglich sei, durch anthroposo-phische Erkenntnis Beziehungen des Menschen zur Umgebung aufzu-finden, die auf irgend etwas hinweisen, was in den umgebenden Sub-stanzen und in ihrer Verarbeitung und Anwendung Heilmittel abgebenkönne. Nun liegt ja in der Anthroposophie vor eine ganz detaillierteexakte Menschenerkenntnis, eine Erkenntnis des Menschen nach Leib,Seele und Geist, wie auch eine detaillierte Naturerkenntnis nach denverschiedenen Reichen der Natur und den verschiedenen Ingredien-zien der Naturreiche. Und da war das erste, was mir als Aufgabe ge-stellt war: sozusagen den Weg zu gehen, Naturprozesse aufzusuchenund zu prüfen, inwiefern diese Naturprozesse Krankheitsprozesse dar-stellen. Ich ging also von der äußeren Natur hinein in den Menschen.Dadurch finden Sie zuerst das Sklerose-Heilmittel, das diesen Weg ge-nommen hat. Ich habe versucht, herauszubekommen, wie Plumbummetaliicum und irgendein plastisch-dynamisches System, wie es im Ho-nig, im Zucker oder in der Milch ist, wirken kann. Auf diese Weise istzunächst, von außen nach innen gehend, eine Anzahl von Heilmittelnzustande gekommen.

Da entstand nun die Frage: Wie kann man diese Heilmittel in dieWelt bringen? Ich sagte: Ich möchte nicht eine Heilmittelfabrik haben,ohne daß dieser Kliniken zugeordnet sind. So sind denn die Klinikenentstanden. Und nachdem eine Anzahl von Heilmitteln da war, gingman in den Kliniken daran, zunächst diese Heilmittel zu verwenden.Da stellte sich heraus, was ich eben gesagt habe. Und da ich nun selbstin Dornach bin, Ariesheim mit Dornach eins bildet, und die Institutein Ariesheim dem Goetheanum angegliedert sind, so ist mir durch dasenge Zusammenarbeiten mit Frau Dr. Wegman auch möglich gewesen,nun den umgekehrten Weg für eine weitere Reihe von Heilmitteln zugehen, den Weg vom Krankheitsprozeß aus zu suchen: wo findet sichdieser, einem Krankheitsprozeß entsprechende Naturprozeß? Also so-zusagen vom Menschen aus zu dem betreffenden Naturpräparat zu

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kommen. Auf diese Weise floß zusammen, was Sie als Heilmittel fin-den können, also insbesondere in Ariesheim, wo dem Klinisch-Thera-peutischen Institut von Frau Dr. Wegman - wo das herrscht, was ichgestern besprochen habe: wirklicher Mut des Heilens - angegliedert istdas Internationale Pharmazeutische Laboratorium, das sich mit derHerstellung der entsprechenden Heilmittel befaßt, die ja auf den ver-schiedensten Wegen in die Welt gebracht werden sollen und die Siekennenlernen können, wenn Sie sich dafür interessieren. Ich möchtenicht agitatorisch wirken, ich will nur die wissenschaftliche Grund-lage der Sache erörtern. Aber gerade auf diesen zwei sich begegnendenWegen ist etwas zustande gekommen, was auch rein äußerlich-empi-risch eine große Sicherheit für diese Dinge gibt. Und es ist ja dann ganzbesonders befriedigend, wenn man in der Lage ist, vor einer Zuhörer-schaft, wie vor der Ihrigen, zu sprechen, was ja dadurch möglich ge-worden ist, daß Herr Dr. Zeylmans mich dazu aufgefordert hat undaußerdem die Liebenswürdigkeit hatte, Sie dazu einzuladen, und Siewieder die Liebenswürdigkeit hatten zu kommen, was damit zusam-menzuhängen scheint, daß Herr Dr. Zeylmans selbst dieses Instituthier in der Weise orientieren will, wie es jetzt auseinandergesetzt wor-den ist. Denn ich muß annehmen: Daß ich diese Vorträge habe haltendürfen, scheint darauf hinzudeuten, daß hier ein Institut sein soll, waszum Beweise und zum Belege dessen dienen will, was von uns in unse-ren Klinisch-therapeutischen Instituten angestrebt wird, ebenso aberauch von einer außerordentlich großen Anzahl von Privatärzten. Undaus der entsprechenden Literatur werden Sie sich überzeugen können,daß wir nicht nur zum mindesten ein ebenso sicheres statistisches Ma-terial haben, wie sonst es klinische Statistiken ergeben, sondern daß da-durch auch in vieler Beziehung zu dem, was ich ausführte, zu jenerSicherheit, die eben durch das Eintreffen der Voraussagen kommt, daßzu jener Sicherheit noch ein besonders großes statistisches Material hin-zukommt.

Von ganz besonderer Bedeutung wird es aber sein, wenn wir - undauch das ist auf gutem Wege - denjenigen Erkrankungen beikommenkönnen, die heute zum Beispiel nur operativ behandelt werden kön-nen, wie zum Beispiel das Karzinom. Wenn man sagen kann, daß ir-

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gendein Prozeß disloziert werden kann, so muß man das gerade vomKarzinom sagen. Es ist ein dislozierter Prozeß, ein Prozeß, der eigent-lich nur an der äußersten Peripherie, innerhalb der Sinnesorganisation,stattfinden sollte. Es ist sehr interessant zu verfolgen, wie diese an diePeripherie des Körpers - und zwar an die dazu präparierte Peripheriedes Körpers - gehörige Funktion disloziert werden kann und dann alsKarzinom auftritt, die eigentlich, jetzt also nicht Nervenfunktion, son-dern die eigentlich Sinnesfunktion ist. Da kommt man dazu, eben intieferem Sinne das eigentümliche Parasitäre des Karzinoms zu erken-nen. Und dann kommt man dazu - wirklich nicht auf eine so einfacheWeise, wie man das gewöhnlich vorausgesetzt hat -, in den Präparaten,die in der Regel aus den verschiedenen Säften der Viscumarten be-stehen, etwas herstellen zu können, was das Karzinom auf medikamen-tösem Wege bezwingen kann. Wir haben auch da schon wenigstens guteTeilerfolge erzielt, die vielversprechend sind; aber wir können nur vonTeilerfolgen reden, weil wir erst in der letzten Zeit mit der Apparaturfertig geworden sind, welche das Viscumpräparat so herstellt, wie eshergestellt werden soll. Dennoch haben die bisherigen Präparate schonzu sehr guten prophylaktischen Kuren geführt. Beim Karzinom han-delt es sich ganz besonders darum, daß man es zur rechten Zeit er-kennt, was einem die Patienten meistens erschweren; aber ein zur rech-ten Zeit erkanntes Karzinom wird durch solche Präparate, wie wir sieaus dem Viscum herstellen, auf medikamentösem Wege bekämpft wer-den können. Ich will hier nicht über den Wert oder den Unwert deroperativen Behandlung sprechen, auch nicht darüber, daß diese oftnotwendig ist; ich will nur darauf hinweisen, daß aus einer wirklichenMenschenerkenntnis heraus auch die schweren Krankheitsfälle durch-aus so betrachtet werden können, daß man für sie, von einer solchenMenschenerkenntnis aus, von innen heraus zu Heilprozessen kommenkann.

Das ist im wesentlichen das, was ich Ihnen als Prinzipielles habesagen wollen über unsere Bestrebungen, die aus dem Anthroposophi-schen hervorgegangen sind, was ich habe sagen wollen in bezug aufden Weg, der von der äußeren Natur nach dem Inneren des Menschenund umgekehrt verweist. Ich möchte zum Schluß nur noch darauf hin-

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weisen, daß gerade aus diesen methodischen Betrachtungen das her-vorgeht, was wiederum von ungeheurer Bedeutung ist: nämlich wieman dasjenige an den Menschen heranbringt, was den Krankheitspro-zeß dem Organismus abnehmen soll. Und wenn das so ist, daß derMensch ein dreigliedriges Wesen ist nach Nerven-Sinnesorganisation,rhythmischer Organisation und Stoffwechsel-Gliedmaßenorganisation,dann zerfällt auch das Heilen in dreierlei Prozesse. Diese dreierlei Pro-zesse sind diese: zunächst innerlich genommene Medikamente, die so-zusagen auf demselben Wege in den menschlichen Organismus kom-men, den der Verdauungsprozeß nimmt. Die zweite Art ist die durchInjektionen, wo wir versuchen, durch Injektion den Prozeß, die Funk-tion hineinzubringen in den rhythmischen Organismus. Und der dritteHeilweg ist der durch das Bad, wo man von außen wirkt. Dieser letz-tere ist eine Wirkung auf den Nerven-Sinnesprozeß, wo man mehr ver-gröbert von außen wirkt; aber es ist die Badwirkung eine auf ein nied-rigeres Niveau herabgeschobene Wahrnehmungstätigkeit.

Verfolgen wir einmal diese drei Formen beim Phosphor. Wenn wirden Phosphor als Präparat anwenden, mit anderen Dingen vermischt,chemisch oder sonstwie verarbeitet, per os, innerlich, dann müssen wiruns klar sein, daß er vorzugsweise das Aufnehmen von Flüssigem inden menschlichen Organismus herein fördert. Wenn wir dem mensch-lichen Organismus einen Krankheitsprozeß abzunehmen haben, derdas Flüssige sozusagen über den ihm zugehörigen Raum herausdrängt,wie zum Beispiel bei gewissen entzündlichen Erscheinungen an derPeripherie oder bei solchen Erscheinungen, die im Trivialen ähnlichsind dem Nasenbluten, wenn wir da den Phosphor innerlich anwenden,so nimmt er dem astralischen Organismus und dem Ich den Krankheits-prozeß sozusagen im Funktionieren des Flüssigen ab. Verfertigen wirin entsprechender Dosierung ein Präparat, das wir dann injizieren,bringen wir also den Phosphor in den Zirkulationsprozeß herein, dannmuß das, was wir dabei dem Organismus abnehmen, auch wieder mitabnormen Zirkulationsprozessen zusammenhängen. Konstatieren wiralso zum Beispiel beschleunigte Atmung, irgendwelche Intensivierungder Herztätigkeit, insbesondere aber auch so etwas, wie ein auch zumRhythmischen gehöriges zu starkes Absondern von Galle, dann können

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wir - ebenso auch bei einer ganzen Reihe anderer Prozesse, ich nennenur Naheliegendes - auf dem Injektionswege durch Phosphor außer-ordentlich günstig wirken. Treffen wir etwas, was mehr nach der psy-chischen Seite hinüberspielt, sind die Gehirnfunktionen so, daß sie denMenschen unwillkürlich zu einer Art von Ideenflucht treiben, kannder Mensch seine Gedanken nicht aufhalten, übersprudelt er seineWorte und steigert sich das zum Pathologischen, dann können wirdurch entsprechende Bäder, in denen Phosphor aufgelöst ist, geradeauf eine solche Verlangsamung der Ideenflucht hin wirken.

Ich erwähne das nur als Beispiel, aber was in diesem Beispiel an-geführt ist, kann in hundertfacher Weise vermannigf altigt werden. Aufdreifache Weise kommt man dem menschlichen Organismus dadurchbei. Es kommt darauf an, wie man es verwirklichen kann.

Auf der anderen Seite liegt dann das, daß man unmittelbar in einertherapeutischen Weise an den Menschen heranbringt, was von außenjetzt in das Stoff Wechselsystem hinein wirkt: die Dynamik der Welt,in die der Mensch hineingestellt sein kann. Und das führen wir wirk-lich mit gutem Erfolge aus durch die Heileurythmie. Eurythmie ist et-was wie ein geistiges Turnen, das aber zur Kunst gesteigert werdenkann. Wir haben jetzt schon, unter der Leitung von Frau Dr. Steiner,über einen großen Teil von Mittel- und Nordeuropa gezeigt, was durchdie eurythmische Kunst geschehen kann, und es sind ja auch schonhier im Haag vor einiger Zeit Vorstellungen in eurythmischer Kunstgegeben worden. In der Eurythmie tritt uns die Umsetzung der mensch-lichen Sprache in menschliche Bewegungsfunktionen unmittelbarkünstlerisch vor Augen. Wenn Sie bedenken, was die Wissenschaftdarüber heute als ein kleines Detail besitzt, wie nämlich die Hand-und Armfunktionen zusammenhängen mit der Sprachorganisation -Rechtshänder haben ihr Sprachzentrum auf der linken Gehirnseite,Linkshänder umgekehrt -, so werden Sie vielleicht nicht ganz in Ab-rede stellen, wozu man durch die Anthroposophie kommt: daß eigent-lich das ganze menschliche Sprechen zusammenhängt mit der mensch-lichen Beweglichkeit. Wir können die Art und Weise verfolgen, wiesich die Beine, die Füße bewegen in der Konsonantierung, namentlichin den Gaumenlauten. Wir können verfolgen, wie sich die Arme bewe-

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gen, und wie sich das durch eine innere Umschaltung überträgt auf das,was dann Luftbewegung im Sprechen wird. Aber das ganze Sprechenkann wiederum zurückgeführt werden auf Bewegungen des einzelnenMenschen oder von menschlichen Gruppen. Das gibt dann die künst-lerische Eurythmie. Die kann aber wieder umgestaltet werden in derWeise, daß man dies zunächst als Kunst Dargestellte so ausbildet, daßman die betreffenden Bewegungen, die aus dem ganzen Menschen, ausLeib, Seele und Geist hervorgehen - das gewöhnliche Turnen geht janur aus der physiologischen Beschaffenheit des physischen Organis-mus hervor -, den Menschen ausführen läßt als eine heileurythmischeGebärde im Zusammenhange. Wir haben ein ganzes System dafür inAriesheim ausgebildet. Wenn man das systematisch anwendet, wirktes wieder zurück auf den Menschen, und man kann auf diese Weise inaußerordentlich fruchtbarer Art die innerlichen Heilprozesse - nachden drei verschiedenen Arten, wie ich sie dargestellt habe - durch Heil-eurythmie unterstützen. Diese Heileurythmie wirkt also dadurch, daßjener Prozeß, der im normalen Menschenleben dadurch zustandekommt, daß ich gehe, laufe und so weiter, wobei immer im Gefolgesind innere Prozesse, die mit den Abbau- und Aufbauprozessen desmenschlichen Organismus zusammenhängen, daß dieser Prozeß, woder Mensch in eine Dynamik hineingestellt ist, zurückwirkt auf dieinneren Vorgänge. Es gibt dafür strenge Regeln. So kann ich also denMenschen ein heileurythmisches Gebärdensystem ausführen lassen, dasso auf den Organismus zurückwirkt, daß zum Beispiel Abbaupro-zesse, die sich nicht abspielen wollen, sich in der richtigen Weise ab-spielen müssen; oder daß durch ein anderes heileurythmisches Systemzu stark vor sich gehenden Abbauprozessen entsprechend entgegenge-wirkt wird.

So läuft alles darauf hinaus, den gesunden und kranken Menschenzu durchschauen nach Leib, Seele und Geist. Dann sieht man in ihmeinfach dasjenige, was die Gesundheit oder Krankheit darstellen. Unddann hat man wieder in dem, was man sieht, auch schon den therapeu-tischen Prozeß.

So möchten wir in aller Bescheidenheit hinarbeiten auf eine ratio-nelle Therapie. Ich weiß schon, daß man heute noch gegen eine solche

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rationelle Therapie vieles einwenden kann, daß sie von dem, der sichnun mit aller Mühe durchgerungen hat durch das, was heute offiziellanerkannt wird, vielleicht als paradox oder gar als etwas Schlimmeresangesehen wird. Aber solche Dinge waren schon oft in der Welt da.Ich kann Ihnen jedoch die Versicherung geben: Ich würde es bequemerfinden, nicht über diese Dinge zu sprechen; denn da ich weiß, wievieleinem heute noch einfällt und beifällt aus dem, was man als gewohnteDenkweise hat und da ich mir alle Einwände schon selber machenkann, so würde ich es bequemer finden, nicht darüber zu sprechen.Aber es gibt Gründe, daß man über das, von dem man glaubt, daß esin den Kulturprozeß der Menschheit eingeführt werden muß, dochspricht. Aus diesem Pflichtgefühl heraus nehmen Sie die Größe desDankes, den ich Ihnen dafür sagen möchte, daß Sie in Aufmerksam-keit meinen Ausführungen, die in den zwei Stunden nur Andeutungensein konnten, folgen wollten.

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FRAGENBEANTWORTUNG

nach dem zweiten Vortrag über

Anthroposophische Menschenerkenntnis und Medizin

Den Haag, 16. November 1923

Frage: Stellen Sie sich vor, daß es Vibrationsdifferenzen gibt? Über Blei, . . .

Dr. Steiner: Ich habe natürlich nichts dagegen, wenn man die Pro-zesse, um die es sich handelt, in der einen oder anderen Weise interpre-tiert. Mir scheint aber zunächst für die Praxis dies eine Theorie zu sein,worinnen diese Prozesse bestehen. Solche Theorien könnten demselbenSchicksal verfallen wie die Emissions- und Undulationstheorie desLichtes. Das Wichtige ist mir das, was an der Sache das Qualitativeist, was also eigentlich darauf hinzielt, daß zuletzt das ganze Funk-tionieren, das eigentlich nur lokalisiert ist in der Bleisubstanz, wie ichsie im physischen Räume vor mir habe, daß dieses ganze Funktionierenäußerlich dasselbe vorstellt wie innerlich die Prozesse, die sozusagendas Gehirn als geeignetes Organ für das selbständige Denken gegen-über dem unselbständigen Wahrnehmen machen. In dieser Beziehungist ja die Vorstellung dadurch erschwert, daß wir heute gewöhnt sind,die inneren Prozesse des Organismus zu schematisch als Fortsetzungvon äußeren Prozessen in der Natur vorzustellen. Wir reden zum Bei-spiel davon, daß im menschlichen Organismus durch die Sauerstoff-aufnahme aus Kohlenstoff Kohlensäure entsteht; wir nennen das einenVerbrennungsprozeß (Zuhörer:.. . im Status nascendi!) - Da sprechenSie das Wort aus, das ich später hätte sagen müssen! - Da ist es tatsäch-lich so, daß wir vielfach sprechen in der Physiologie und Medizin vonVerbrennung. Es handelt sich aber dabei ebensowenig um Verbren-nungsprozesse, wie sie sich außen abspielen, wie es sich beim Menschenhandeln kann um einen nicht durchseelten, nicht durchgeistigten Pro-zeß. Auch die Verbindung von Sauerstoff und Kohlenstoff ist durch-seelt und durchgeistigt. So daß der Prozeß auftritt im Status nascendiund stehenbleibt, aber auch noch beseelt und durchgeistigt wird. So

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daß ich also auf dem Status nascendi den Prozeß festgehalten habe undder Prozeß nun dadurch Naturprozeß wird, daß er sich draußen fort-setzt, während er, wenn er vom Status nascendi ausgeht und im mensch-lichen Organismus wirkt, ein anderer Prozeß wird.

Nehmen Sie zum Beispiel die Prozesse, die ich gerade als eine Artvon Blei-Prozessen bezeichnet habe, die sich im menschlichen Gehirnabspielen. Ja, was sind sie im menschlichen Organismus? Da kommenwir auf ein sehr heikles Kapitel. Wir können die Prozesse zum Beispielam menschlichen Unterleibe studieren. Da finden wir, daß sich dieaufgenommenen Stoffe auch in einer gewissen Weise metamorpho-sieren, daß dann etwas zur Ausscheidung kommt. Betrachten wir nundiese Ausscheidungsprodukte und vergleichen wir sie nun wirklich,indem wir nicht bloß chemisch analysierend vorgehen, denn das istdas wenigste, chemisch analysierend vorzugehen, das ist ungefähr so,wie wenn ich eine Uhr dadurch kennenlernen will, daß ich sehe einBergwerk, wo Gold gewonnen wird, eine Glasfabrik, wo Glas fabri-ziert wird und andere Dinge, und dann weiß: Glas ist notwendig,Gold ist notwendig zu der Uhr und so weiter. Gewiß, diese Dinge sindalle sehr wichtig, aber ebensowenig wie ich auf diese Weise etwas überdie Uhr erfahre, ebensowenig kann ich etwas erfahren über die Funk-tionen der Kartoffel im menschlichen Organismus, wenn ich weiß,sie hat so und so viele Kohlehydrate und so weiter. Ich erfahre mehr,wenn ich weiß, was die Kartoffel für eine Funktion an der Pflanzeselber hat, wie sie eigentlich ein Stamm, ein Wurzelstock ist. Wenn ichalso das Niveau ihrer Organisation kenne, dann fange ich an zu ver-stehen, wie ich diese Prozesse vergleichen kann mit dem, was im Men-schen vor sich geht. Es kommt dazu, wie der Prozeß verschieden istvon dem Prozeß, der angefacht wird durch Hülsenfrüchte. Der Pro-zeß, der angefacht wird durch die Kartoffel, geht weiter hinauf in dieKopffunktion als derjenige, der durch Hülsenfrüchte angefacht wird.Wenn ich auf dies alles eingehen kann, dann komme ich zuletzt dazu,anzuerkennen, daß im Verdauungstrakte Metamorphosen vor sich ge-hen und daß die Ausscheidungsprodukte nur die auf halbem Wege ste-hengebliebenen Prozesse sind. Und wo sind diese Prozesse, die denganzen Weg durchmachen? Das sind die Prozesse, die im Nerven-

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Sinnessystem stattfinden. Der Nerven-Sinnes- und Wahrnehmungs-prozeß ist ein Prozeß, der bis zu Ende geführt wird. Das, was in denAusscheidungsorganen des Menschen vor sich' geht, stellt einen stehen-gebliebenen Prozeß dar. Der Darminhalt ist ein nicht ganz zustandegekommenes Gehirn, so paradox das klingt. Es ist einfach an einemanderen Orte des Organismus ein anderer Prozeß, der die Hälfte istdes Prozesses, der im Kopfe eintritt.

Wenn ich das alles ins Auge fasse, komme ich dazu, in diese Pro-zeßwirkungen des menschlichen Inneren hineinzuschauen, und dannstellt sich mir dasjenige dar, was sich mir nun erst für einen Vergleichergibt zwischen dem Prozesse, der draußen ist, dem Bleiprozeß, unddem Prozesse, der im menschlichen Gehirn stattfindet. Dann kann ichanfangen, wenn ich mir etwas verifizieren will, anzusehen, was ge-schieht im Blei. Ich betrachte das Blei, wie es oxydiert, schmilzt, wases sonst tut im Schmelzen. Ich gehe weiter ein auf die Geologie undauf die Geographie des Bleies. Ich sehe, wie das Blei bindet, wie esmit anderen Substanzen verbunden ist. Dann bekomme ich schon Bil-der, die das bestätigen können, was demjenigen erscheint, der dasBlei beobachten kann, der in der Tat eine Art Aura des Bleies sieht, dieähnlich ist der Aura, die die Nervensubstanz des Gehirns bildet.

Und so kann man von diesen Zusammenhängen sprechen, auf daslege ich einen besonderen Wert, während ich ja jedem natürlich freistelle, Hypothesen darüber aufzustellen, ob das Vibrationsdifferenzensind. Das ist aber eigentlich die Physik der Sache, nicht, was physio-logisch wichtig ist.

Frage: Ich möchte fragen, ob Sie diese inneren Prozesse, von denen Sie gesprochenhaben, in anderer Weise erkennen als wir gewöhnlichen Menschen.

Dr. Steiner: Die inneren Prozesse werden ja durch die gewöhnlicheäußere Sinnesempirie nicht beobachtet. Sie sind höchstens in ihrenFolgeerscheinungen beobachtbar an der Leiche oder in anderer Weise,durch Schlüsse aus Vorgängen, die von außen geschehen. Da sind sienicht beobachtbar. Beobachtbar werden sie erst dann, wenn die Metho-den angewandt werden, von denen ich gestern gesprochen habe, und

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wie Sie sie in den gestern genannten Büchern finden können. - SehenSie, da wird tatsächlich zunächst für die Erkenntnis der Mensch durch-sichtig. Und Sie können in der Tat dann davon sprechen, daß Sie wirk-lich, sagen wir, den Leberprozeß schauen. Die Ableitung bezieht sichnur darauf, daß man auch geistig die Leber herauspräparieren muß;aber das, was behauptet werden darf, das muß angeschaut werden.Wenn ich den ganzen Menschen schaue, so schaue ich ein Durchein-ander von allem Möglichen. Ich muß nun alles wegschaffen, auch inder Anschauung, was nicht Leber ist. Ich muß also die Leber auchgeistig erst herauspräparieren. Das ist für das eine Organ schwererwie für andere Organe. Gerade für die Leber ist es zum Beispiel schwe-rer, aber dann ist es auch fruchtbringender, weil gewisse Leberkrank-heiten - wie meine Überzeugung ist - überhaupt nur auf diese Weisedurchschaut werden können. Das Durchschauen ist aber für jedes Or-gan möglich.

Ein Zuhörer: Wir haben gestern ein schön aufgebautes System gehört, aber dieFundamente sind mir noch nicht begreiflich. Sie gliedern den Menschen in physischenLeib, Ätherleib, Astralleib und noch ein viertes Glied. Wenn das so ist, dann ist esbegreiflich, daß wir auch eine Ätherniere, eine astrale Niere und eine vierte Nierehaben. Wenn das aber nicht so ist? Diese Gliederung in vier Wesensteile hätten Siezuerst beweisen müssen.

Mit der Therapie war es ähnlich. Sie haben zum Beispiel nicht gesagt, warumSie Equisetum gewählt haben, da es doch viele Pflanzen gibt, die Kieselsäure ent-halten. Equisetum enthält meines Wissens keine therapeutischen Kräfte.

Heute sagten Sie: Wir machen Präparate, die rationell hergestellt sind. Das soll-ten Sie doch beweisen! Wir wissen doch nichts von diesen Funktionen, die Sie be-schreiben.

Im großen und ganzen habe ich nicht begriffen, was das Hauptsächlichste ist.Das Ganze ist logisch aufgebaut, aber mir fehlen die Prämissen.

Dr. Steiner: Es liegt ja bei einer solchen Sache alles darin, daß manzweierlei durchschauen kann. Erstens, wenn so etwas auftritt unddarüber gesprochen wird, so kann man, wie ich auch gesagt habe, inzwei Stunden nur auf die Dinge hindeuten, nur Direktiven geben undso weiter. Außerdem habe ich durch die ganze Art der Darstellungklargemacht, daß wir im Werden sind, daß wir aber auch gewillt sind,weiterzuarbeiten.

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Nun, und wenn man von Beweisen spricht, so ist das doch so, daßda eigentlich nicht ein ganz wissenschaftlicher Begriff, eine ganz wis-senschaftliche Vorstellung zugrunde liegt. Und das rührt davon her,daß man sich heute daran gewöhnt hat, Beweise nur herzuholen vondem, was im eigentlichen Sinne sinnlich beobachtbar ist. In einem an-deren Sinne hat auch keine Medizin Beweise, als nur in dem Sinne, wiees sinnlich-physisch beobachtbar ist.

Ich habe nun davon gesprochen, daß die sinnliche Beobachtungdurch ein Höheres weiter auszuführen und zu modifizieren ist. Daßes Methoden gibt, durch die man das kann, habe ich gestern angedeu-tet und auf Schriften hingewiesen, durch die man zu solchen Metho-den kommen kann. Dadurch wird allerdings für das ganze sogenannteBeweissystem etwas konstituiert, was ich nur durch einen Vergleichklarmachen kann: Wenn wir hier auf Erden sind, reden wir davon,daß irgend etwas, was ich in die Luft stelle, schwer ist und herunter-fällt, auf den Boden fällt, dann hat es eine Grundlage. So müssenwir sagen für eine gewisse Denkweise, die sich auf sinnlich empirischeBeweise stützt. Wenn man nun weitergeht, kommt man dazu - unddas habe ich gerade zufällig einmal erlebt als Bube, daß mir das jemandsagte -: Wenn die Erde schwebt, müßte sie eigentlich herunterfallen.Dieses sich gegenseitige Tragen und Stützen der Weltenkörper undWeltenräume, das ist das Bild für dasjenige, was einer solchen Wissen-schaft zugrundeliegt, wie ich sie heute gemeint habe. Da trägt sichdas Ganze gegenseitig und stützt sich gegenseitig. Da ist man eben ineinem ganz anderen Gebiet darinnen. Selbstverständlich werden Sienicht sehr gut sich stützen können, wenn ich aus so etwas, was so aus-führlich ist wie die Medizin, nur in zwei Stunden einiges herauswäh-len kann, um Perspektiven zu geben. Man muß dabei denken, daß dasWünschenswerte nur eintreten könnte, wenn man nun vier Jahre Fa-kultätsstudium, aufgebaut auf den Gesichtspunkten, die ich heute aus-einandersetzte, haben würde. Wenn man von den medizinischen Vor-bereitungsstudien so ausgehen würde, daß eine wirkliche, geistdurch-drungene Naturwissenschaft da ist, wenn eine ebensolche Physiologieaufgebaut würde, übergehend in Histologie, bis ins Pathologisch-Kli-nische. Dann würden wir aber, weil die Dinge in der entsprechenden

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ausführlichen Weise an die Menschen herankommen würden, sie eben-so plausibel finden, wie heute das medizinische System plausibel wer-den kann.

Ich kann heute für diese Dinge nichts weiter geben als Perspektivenund Anregungen.

Also das erste ist, daß man sich heute gewöhnt hat, bewiesen nurzu nennen, was sinnlich bewiesen werden kann, und daß man nichtRücksicht darauf nimmt, wie sich die Dinge gegenseitig stützen. Dasandere ist aber dieses: Wie wollen Sie überhaupt, wenn Sie zum Bei-spiel, sagen wir, Mathematik treiben, irgendeine Wissenschaft, die ra-tionell getrieben wird, anders treiben als dadurch, daß Sie die einePosition von der anderen stützen lassen? Die Mathematik ist etwassich gegenseitig Stützendes. Wenn man zwei Stunden über Mathe-matik sprechen würde, so würde gewiß noch weniger dabei heraus-kommen, als es in der heutigen Diskussion der Fall sein konnte, ob-wohl da auch Anregungen gegeben werden könnten. In dem Augen-blicke, wo ich mit Hilfe der Mathematik eine Brücke baue, da sprecheich von der Verifizierung. Und das habe ich simplicite angedeutet,wenn ich sagte: Ich lege keinen Wert auf die Heilmittel, wenn nichtKliniken angegliedert sind und man da verfolgen kann, wie die Heil-mittel wirken. Wenn man die Diagnose so hat, wie ich es auseinander-gesetzt habe und zum Heilen kommt, und wenn man nach zwei, dreiTagen schon sehen kann, so und so wirken die Sachen, dann ist dieVerifizierung da. Eine andere Methode, medizinische Aufstellungenzu verifizieren, kennt auch die andere Medizin nicht. Nehmen Sie dieHeilweise von Phenacetin. Man stellt Statistiken auf; die Verifizie-rung ist es, worauf es ankommt.

Was ich darstellen wollte, ist, daß wir heute in der empirischen Me-dizin auf dem Standpunkte stehen, wo wir nur von Statistiken aus-gehen. Da hängt es ab vom Glück, ob die Zusammenhänge gefundenwerden. Das kann aber umgewandelt werden durch ein Durchschauendes Menschen in einer rationellen Therapie.

Wenn man nun heute sagt: Eine Funktion wie die, welche im Phos-phor liegt, ist in dieser oder jener Weise wirksam auf den menschlichenOrganismus -, so handelt es sich darum, daß man darangeht, die Wir-

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kungsweise zu prüfen. Aber da habe ich hingedeutet darauf, wie dieBlei- und Phosphorwirkung im menschlichen Organismus sein kann.Und wenn gesagt wird, man könne nicht sprechen davon, daß einePhosphorfunktion da wäre oder eine Equisetumfunktion, dann mußich darauf hinweisen, daß das, was ein Stoff ist, tatsächlich nur einaugenblicklich festgehaltenes Stadium ist. Was ist denn Blei? Man kannzufällig einen Namen finden, weil wir in einem bestimmten Tempe-raturgrad leben und in diesem das Blei fest existiert. In anderen Welt-situationen ist es etwas anderes, da geht es über in Metamorphosen. Wirhaben es in der Tat nirgendwo zu tun mit etwas, was festgehalten istauf einer besonderen Stufe, sondern wir haben es zu tun mit Prozessen,die sich nur fixiert zeigen. Aber man kann angeben, wie die Fixierunggeschieht.

Sie sprachen von Equisetum. Selbstverständlich haben auch anderePflanzen diese Bestandteile wie Equisetum. Ich drücke mich sehr vor-sichtig aus. Ich habe beim Equisetum gesagt: Selbstverständlich habenauch andere Pflanzen diese Bestandteile; ich führe das Equisetum anals charakteristisch, weil es neunzig Prozent Kieselsäure hat, das habenandere Pflanzen nicht; dadurch ist die Kieselsäurewirkung die her-vortretende.

Wenn man sagt: meines Wissens ist Equisetum überhaupt keineHeilpflanze -, so bedeutet das ja nicht mehr, als daß man eben die Heil-wirkung des Equisetum noch nicht beobachtet hat. Wir haben sie sehroft zu beobachten. Das sind eben Dinge, die davon abhängen, wie dieErfahrung sich ausdehnt.

Ich verstehe jeden Einwand, kann ihn mir selber machen. Aber be-denken Sie einmal, wie viele Einwendungen gegen das KopernikanischeSystem gemacht worden sind. Der katholische Einwand ist bis 1827gemacht worden, erst von da ab ist es auch eingeführt in den katholi-schen Schulen. Man käme wirklich in der Zivilisation nicht sehr weit,wenn man sich nur an die Einwände halten würde. - Nicht daß ichgerade, nachdem ich das alles angedeutet habe, in Unbescheidenheitdie Dinge vorführen wollte. Aber es beruht doch alles auf Arbeit! Esberuht nicht auf Leichtfertigkeit, von der Wirksamkeit kleinster Enti-täten zu sprechen. Wenn Sie sich die Schriften anschauen, die hier lie-

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gen: man hat sich doch jahrelang Mühe gegeben, die Sache im Labo-ratorium zu verifizieren. Die Einwände gelten, die Sie gemacht haben,aber gegen alles läßt sich etwas einwenden, das ist selbstverständlich.

Zuhörer: Sobald man die allgemeine Relativität einsieht, beruft man sich nicht aufZustände.

Dr. Steiner: Ja, nur ist die Relativität auch relativ. Es hat einmaljemand die Einsteinsche Relativitätstheorie seinen Zuhörern dadurchplausibel machen wollen, daß er eine Streichholzschachtel nahm undein Streichholz. Und er sagte: Ich kann nun das Streichholz an derSchachtel vorbeiführen, die ich ruhig halte; ich kann aber auch dasStreichholz ruhig halten und die Schachtel daran vorbeiführen: der-selbe Effekt. Die Sache ist relativ. - Ich hätte dem Herrn gerne zurufenmögen: Nageln sie die Schachtel doch einmal an, dann erfordert dasschon etwas mehr. Dann kommen wir in die Relativität der Relativitäthinein. Und wenn wir den menschlichen Körper betrachten in seinerBewegung, so kommen wir dazu, daß die Bewegung nicht konstatiertwird durch Koordinatensysteme, durch Bezugssysteme, sondern auchdurch Ermüdung und organische Veränderungen, wodurch ich schoneinen Schritt mache vom Relativen zum Absoluten. Ich möchte sagen:die Relativität ist wieder relativ und nähert sich asymptotisch derAbsolutheit.

Ich sehe die Wichtigkeit des Relativitätsbegriffes in etwas ande-rem. Wir sind gewohnt, von physikalischen Voraussetzungen aus, ei-gentlich bisher in den gebräuchlichen Theorien alles so zu betrachten,daß wir es auf einen Ort beziehen im Räume, und daß wir es auf denZeitenlauf beziehen. So schreiben wir auch in der Physik die Formeln.Nun kommen wir in der Tat mit einer solchen Betrachtungsweisein der Physik nicht zurecht. Sondern wir müssen bloß das räumlicheVerhältnis des Dinges oder Vorganges a zum anderen b betrachtenwie zwei Eigenschaften. Da kommen wir zu fruchtbaren Ideen. Dakommt man dazu, die Relativität als etwas mehr oder weniger - auchfür Qualitäten sogar -, als für etwas mehr oder weniger berechtigt an-zusehen, aber für relativ berechtigt.

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S I E B E N T E R VORTRAG

Arnheim, 17. Juli 1924

Die Leitung der Anthroposophischen Gesellschaft, die von mir hiereinen Vortragskursus über pädagogische Gegenstände veranlaßt hat,hat es auch angemessen gefunden, daß ich einige öffentliche Vorträgehalte, welche die Beziehungen anthroposophischer Geisteswissenschaftzur Heilkunst zum Gegenstande haben. Es wird notwendig sein, daßich heute abend eine Art einleitenden Vortrag halte und den eigent-lichen Gegenstand, die Befruchtung der Heilkunst durch die Anthropo-sophie, in den beiden nächsten Vorträgen behandele - aus dem Grunde,weil zur großen Befriedigung der Veranstalter viele Zuhörer erschienensind, welche mit Anthroposophie noch weniger bekannt sind, und Vor-träge, die ein spezielles Kapitel behandeln, mehr in der Luft hängenwürden, wenn ich nicht heute eine Art einleitenden Vortrag über An-throposophie im allgemeinen den eigentlichen Betrachtungen voran-gehen ließe, die das Gebiet des Medizinischen berühren sollen.

Anthroposophie will ja nicht das sein, was ihr von so vielen Seitennachgesagt wird: irgendeine Art von Schwärmerei oder Sektierertum;sondern sie will sein eine ganz ernste, im wissenschaftlichen Sinne ge-haltene Betrachtung der Welt, nur daß diese Betrachtung der Welt inebenso ernster Weise auf das geistige Gebiet gerichtet sein soll, wie wirheute gewohnt sind, wissenschaftliche Methoden angewendet zu fin-den auf das materielle Gebiet. Nun könnte es ja scheinen, als ob vonvornherein mit der Hinwendung auf das Geistige für viele Menschenheute etwas Unwissenschaftliches gegeben werde, aus dem Grunde,weil eine allgemeine Meinung diese ist: daß man nur das wissenschaft-lich erfassen könne, was sich durch sinnliche Erfahrung erkennen läßt,und was der Verstand, der Intellekt des Menschen aus dieser sinnlichenErfahrung gewinnen kann. Die Meinung vieler Menschen ist: in demAugenblicke, in dem man übergeht auf das Geistige, habe die wissen-schaftliche Resignation einzutreten, in der Art, daß man sagt, über dasGeistige könne nur eine subjektive Meinung, eine Art Gefühlsmystikentscheidend sein, die jeder mit sich selbst abmachen müsse, Glaube

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müsse da an die Stelle wissenschaftlichen Erkennens treten. Daß diesnicht der Fall sein soll, dies gerade zu zeigen, soll die Aufgabe dieseseinleitenden Vortrages sein.

Anthroposophie will allerdings nicht eine «Wissenschaft» im ge-wöhnlichen Sinne des Wortes sein, die abgezogen vom Leben von ein-zelnen Menschen getrieben wird, die sich für diesen oder jenen wissen-schaftlichen Beruf vorbereiten, sondern sie will sein eine Betrachtungs-weise der Welt, die für jeden Menschensinn gelten kann, der Sehnsuchtdanach hat, sich die Fragen zu beantworten, die handeln von dem Sinn,den Aufgaben des Lebens, von der Wirkungsweise der geistigen und dermateriellen Kräfte im Dasein und der Anwendung dieser Erkenntnisseim Leben. Und es ist uns auf anthroposophischem Felde bisher durch-aus gelungen, auf einzelnen Gebieten ganz praktische Anwendungs-möglichkeiten der anthroposophischen Betrachtungsweise zu erzielen,vor allen Dingen auf pädagogischem Gebiete, wo wir Schulen einge-richtet haben, die auf der Anschauungsweise beruhen, von der heuteabend hier gesprochen werden soll. Und es ist uns dies auch in einerschon vielfach anerkannten Weise auf dem Gebiete der Heilkunst ge-lungen, so paradox das für manchen heute noch scheinen mag. DennAnthroposophie will auf keinem Gebiete irgendwie in einen Gegen-satz, in eine Opposition geraten zu dem, was heute anerkannte Wissen-schaft ist, sie will nicht einen trivialen Dilettantismus pflegen. Sie willdurchaus, daß die, welche im ernsten Sinne Anthroposophie als Er-kenntnis sich erarbeiten wollen, dasjenige achten und schätzen, was zuso großen Errungenschaften, vollends in der neueren Zeit, gerade aufden verschiedensten Gebieten in wissenschaftlicher Art geführt hat.So kann es sich also nicht darum handeln, auch auf dem Gebiete derHeilkunst nicht, irgendwie Laienhaftes, zu der heutigen Wissenschaftin Opposition Tretendes, mit der Anthroposophie zu verkünden, son-dern zu zeigen, wie man durch gewisse geistige Methoden in der Lageist, zu dem Anerkannten anderes hinzuzufügen, das eben nur dann hin-zugefügt werden kann, wenn man das Gebiet ernsten Forschens er-weitert in die geistige Welt hinein.

Anthroposophie will dies dadurch erreichen, daß sie nach Erkennt-nisarten strebt, die im gewöhnlichen Leben und auch in der gewöhnli-

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chen Wissenschaft nicht vorhanden sind. Im gewöhnlichen Leben wiein der gebräuchlichen Wissenschaft bedient man sich ja derjenigen Er-kenntnisse, welche der Mensch erringt, wenn er mit seinen nun einmalmenschlich vererbten Anlagen und Fähigkeiten dasjenige hinzuerwirbtin seiner Entwickelung, was uns die gewöhnliche heutige niedere oderhöhere Schulerziehung geben kann, und was uns in dem heute aner-kannten Sinne zu einem reifen Menschen macht. Anthroposophie willweitergehen, sie will ausgehen von dem, was ich nennen möchte intel-lektuelle Bescheidenheit. Und diese intellektuelle Bescheidenheit, diezunächst da sein muß, wenn man überhaupt Sinn und Gesinnung fürAnthroposophie entwickeln will, möchte ich in der folgenden Weisecharakterisieren.

Nehmen wir einmal die Entwickelung des Menschen von der jüng-sten Kindheit auf. Wir sehen das Kind so in die Welt treten, daß es inseinen Lebensäußerungen und namentlich in dem, was es in der Seeleträgt, noch nichts von dem hat, womit der reife Mensch sich erkenntnis-mäßig und tatenmäßig in der Welt orientiert. Durch Erziehung undUnterricht müssen erst aus der kindlichen Seele und aus dem kindli-chen Organismus diejenigen Fähigkeiten herausgeholt werden, die derMensch nicht reif zur Welt mitbringt. Und wir geben alle zu, daß wirja nicht im wahren Sinne des Wortes für die Welt wirkende Menschensein können, wenn wir nicht zu dem, was wir durch Vererbung in dieWelt mitbringen, dasjenige hinzuerwerben würden, was eben erst durchdie Erziehung aus dem Menschen herausentwickelt werden kann. Danntreten wir - der eine früher, der andere später, je nachdem er niedereoder höhere Schulen absolviert - ins Leben und haben ein gewisses Ver-hältnis zum Leben, haben die Möglichkeit, ein gewisses Bewußtsein zuentwickeln von dem, was uns in der Welt umgibt. Nun sagt der, dermit Verständnis an das Wollen der Anthroposophie herankommt: War-um sollte dasselbe, was zunächst beim Kinde möglich ist - daß es etwasganz anderes wird, wenn es seine seelischen Eigenschaften weiterent-wickelt -, warum sollte denn das nicht möglich sein beim reifen Men-schen im heutigen Sinne? Warum sollte man denn, wenn man mit derheutigen, auch höchsten Schulbildung, an die Welt der Sinne heran-tritt, nicht auch in der Seele verborgene Fähigkeiten haben, die noch

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weiterentwickelt werden können, so daß man durch eine weitere Ent-wickelung hinauskommt zu Erkenntnissen und zu einer praktischenLebensführung, die gewissermaßen dasjenige fortsetzen, was man sichin derjenigen Entwickelung errungen hat, die zum gewöhnlichen Be-wußtsein hinführt?

So wird denn auf dem Felde der Anthroposophie eine Art vonSelbstentwickelung aufgenommen, eine Selbstentwickelung, die überden gewöhnlichen Stand des Bewußtseins hinausführen soll. Nun gibtes in der menschlichen Seele drei Fähigkeiten, die wir für das gewöhn-liche Leben bis zu einem gewissen Grade entwickeln, die aber weiter-entwickelt werden können. Und erst Anthroposophie ist dasjenige immodernen Kultur- und Zivilisationsleben, was zu einer entsprechendenWeiterentwickelung dieser Fähigkeiten die Anregung geben will. DieseFähigkeiten sind Denken, Fühlen und Wollen. Alle drei Fähigkeitenkönnen so umgestaltet werden, daß sie Erkenntnisfähigkeiten in einemhöheren Sinne werden.

Zunächst das Denken. Wir gebrauchen in derjenigen Bildung, diewir uns heute erwerben, das Denken so, daß wir uns eigentlich im Den-ken ganz passiv der Welt hingeben. Ja, man verlangt es gerade in derWissenschaft, daß möglichst keine innere Aktivität im Denken wirkensoll, sondern daß das, was draußen in der Welt ist, nur so sprechen soll,wie die Sinne es beschreiben, und daß man im Denken sich einfachdieser Sinnesbeobachtung hingibt. Man sagt: jedes Weitergehen überein solches Passivverhalten führe zur Phantastik, zur Träumerei. Aberdas, um was es sich bei der Anthroposophie handelt, führt nicht zurPhantastik, nicht zur Träumerei, sondern ganz im Gegenteil zu einersolchen inneren Betätigung, die klar ist, wie nur irgendeine Verrich-tungsweise auf dem Gebiete der Mathematik oder der Geometrie klarsein kann. Gerade die Art und Weise, wie man sich in der Mathematik,in der Geometrie verhält, wird in der Anthroposophie zum Muster ge-nommen, nur daß dann nicht spezielle Eigenschaften entwickelt wer-den wie in der Geometrie, sondern daß allgemein-menschliche, jedesmenschliche Herz und jeden Menschensinn berührende Fähigkeitenentwickelt werden. Und im Grunde genommen ist das, was zunächstzu leisten ist, etwas, was eigentlich von jedem Menschen, wenn er nur

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unbefangen genug dazu ist, eingesehen werden kann. Man verwendeteinfach die Fähigkeit, die Kraft des Denkens, eine Weile zunächst nichtdazu, um etwas anderes, Äußeres zu erfassen, zu ergreifen, sondernman läßt einen Gedanken anwesend sein in der menschlichen Seele, ei-nen Gedanken, den man möglichst überschauen kann, und man gibtsich für eine bestimmte Zeit ganz diesem Gedanken hin. Ich will es ge-nauer beschreiben.

Wer das nötige Vertrauen dazu hat, wende sich an einen auf diesemGebiete erfahrenen Menschen und frage ihn: Welches ist für mich derbeste Gedanke, dem ich mich so hingeben kann? - Dann wird dieserihm einen leicht überschaubaren Gedanken geben, der dem, der so et-was sucht, aber möglichst neu sein soll. Verwendet man einen alten Ge-danken, dann steigen allerlei Erinnerungen, Gefühle, also Subjektivesaus der Seele herauf, und man kommt leicht in die Träumerei hinein.Verwendet man jedoch einen Gedanken, der einem ganz sicher neu ist,bei dem man an nichts erinnert wird, dann kann man sich einem sol-chen so hingeben, daß man die denkerischen Seelenkräfte dabei immermehr und mehr verstärkt. Ich nenne in meinen Schriften, besondersin meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?»und in der «Geheimwissenschaft im Umriß» diese Art, das Denken in-nerlich zu kultivieren, Meditation. Es ist ein altes Wort; wir wollenheute mit ihm nur den Sinn verbinden, den ich auseinandersetzen will.

Die Meditation besteht darin, daß man die Aufmerksamkeit vonallem äußerlich und auch innerlich Erlebten abwendet, daß man annichts denkt als nur an den einen Gedanken, den man ganz in den Mit-telpunkt des Seelenlebens stellt. Indem man so alle Kraft, die man inder Seele hat, auf einen einzigen Gedanken wendet, geschieht mit denseelischen Kräften etwas, was sich damit vergleichen läßt, daß manimmer mehr und mehr eine Handbewegung als Übung ausführt. Wasgeschieht dabei? Die Muskeln verstärken sich, man bekommt kräftigeMuskeln. Genau so geht es mit den Seelenkräften. Wenn man sie immerwieder und wieder auf einen Gedanken hin richtet, so erkraften sie sich,verstärken sich. Und wenn dies lange Zeit hindurch geschieht - esbraucht auf einmal wahrhaftig nicht längere Zeit, denn es handelt sichmehr darum, daß man überhaupt in eine Seelenverfassung hinein-

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kommt, sich zu konzentrieren auf einen Gedanken -, dann wird man,je nachdem man die Veranlagung dazu hat, bei einem kann es acht Tagedauern, bei einem anderen kann sich der Erfolg in drei Jahren einstel-len und so weiter, aber man wird durch solche Übungen, die man im-mer wieder und wieder, und seien es auch nur fünf Minuten oder eineViertelstunde täglich, anstellt, dazu kommen, innerlich etwas zu füh-len, wie wenn sich das menschliche Wesen mit einem neuen innerenKräfteinhalt erfüllt. Man fühlt vorher die Kräfte seiner Nerven im ge-wöhnlichen Denken und Fühlen; man fühlt die Kräfte seiner Muskelnim Ergreifen der Gegenstände, im Ausführen der verschiedenen Ver-richtungen. So wie man das nach und nach fühlt, wenn man von Kind-heit an aufwächst, so lernt man nach und nach etwas fühlen, was einenneu durchdringt, wenn man solche Denkübungen anstellt, die ich hiernur prinzipiell anführen kann. Genauer sind sie in den schon angeführ-ten Büchern beschrieben. Dann fühlt man eines Tages: Man kann jetztnicht mehr über äußere Dinge denken, wie man es früher auch gekonnthat, sondern man fühlt jetzt: man hat eine ganz neue Seelenkraft insich, man hat etwas in sich, was wie ein verdichtetes, wie ein viel stär-keres Denken ist. Und endlich fühlt man: mit diesem Denken ergreiftman zuerst etwas, was man vorher nur in ganz schattenhafter Weisegekannt hat.

Was man da ergreift, das ist nämlich im Grunde genommen dieWirklichkeit des eigenen Lebens. Wie kennt man denn dieses eigeneErdenleben, wie man es seit der Geburt durchlebt hat? Man kennt esin der Erinnerung, die bis zu einem gewissen Punkt der Kindheit zu-rückreicht. Da tauchen aus unbestimmten Seelentiefen herauf die Er-innerungen an die durchgemachten Erlebnisse. Sie sind schattenhaft.Vergleichen Sie nur einmal, wie schattenhaft das ist, was als Erinne-rungsbilder an das Leben auftaucht, gegenüber dem, was man vollsaf-tig, intensiv von Tag zu Tag an Erlebnissen hat. Erfaßt man nun inder geschilderten Weise das Denken, dann hört diese Schattenhaftig-keit der Erinnerungen auf. Dann geht man zurück ins eigene Erden-leben und man erlebt das, was man vor zehn, vor zwanzig Jahren er-lebt hat, mit derselben inneren Kraft und Stärke, wie es war, als manes erlebt hatte. Aber man erlebt es nun nicht so, wie man es damals

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erlebte, daß man mit den äußeren Gegenständen, mit den äußerenWesenheiten in unmittelbare Berührung kommt, sondern man erlebteinen geistigen Extrakt davon. Und was man erlebt, das kann, so para-dox es heute noch klingen mag, ganz eindeutig geschildert werden.Man hat auf einmal, wie in einem mächtigen Tableau, wie in einemPanorama, sein Leben bis zur Geburt hin vor sich. Nicht daß man dieeinzelnen Ereignisse bloß in der Zeitenfolge vor sich hat, sondern manhat sie in einem einheitlichen Lebenstableau vor sich. Die Zeit wirdzum Räume. Was man erlebt hat, das hat man vor sich, aber nicht imSinne der gewöhnlichen Erinnerung, sondern man hat es so vor sich,daß man weiß: Was man da vor sich hat, das ist die tiefere mensch-liche Wesenheit, ein zweiter Mensch in demjenigen Menschen, den manim gewöhnlichen Bewußtsein vor sich hat. Und dann kommt man auffolgendes: Dieser physische Mensch, den man im gewöhnlichen Be-wußtsein vor sich hat, baut sich auf aus den Stoffen, die wir aus derWelt, die um uns herum ist, nehmen. Wir stoßen diese Stoffe fortwäh-rend ab, nehmen neue Stoffe auf, und man kann ganz genau sagen:innerhalb eines Zeitraumes von sieben bis acht Jahren ist das, was un-seren Körper materiell stofflich gebildet hat, abgestoßen, ist durchNeues ersetzt. Was in uns stofflich ist, das ist etwas Vorüberfließendes.Und wir kommen, indem wir durch das verdichtete Denken das eigeneLeben kennenlernen, zu demjenigen, was bleibt, was bleibt durch unserganzes Erdenleben hindurch, was aber zu gleicher Zeit das ist, was ausden äußeren Stoffen unseren Organismus aufbaut und was ihn wiederabbaut. Und dies letzte ist gleichzeitig das, was wir als ein Lebens-tableau übersehen.

Nun unterscheidet sich das, was wir in dieser Weise ansehen, vonder gewöhnlichen Erinnerung noch durch etwas anderes. In der ge-wöhnlichen Erinnerung treten die Ereignisse des Lebens so vor unsereSeele hin, wie sie von außen an uns herankommen. Wir erinnern uns,was uns dieser Mensch getan hat, was uns durch jenes Ereignis zugefügtworden ist. In dem Tableau, das durch das verdichtete Denken vor unshintritt, lernen wir uns so erkennen, wie wir sind, was wir einem Men-schen getan haben, wie wir uns zu einem Ereignis gestellt haben. Wirlernen uns selbst kennen. Das ist das Wichtige. Denn indem wir uns

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selbst kennenlernen, lernen wir uns auch intensiver kennen und lernenuns so kennen, wie wir in unseren Wachstumskräften, ja selbst in unse-ren Ernährungskräften drinnenstecken; und wie wir es selbst sind, dieunseren Körper aufbauen und wieder abbauen. Wir lernen daher sounsere innere Wesenheit kennen.

Und das Wesentliche ist dann, daß wir, indem wir so zu dieserSelbsterkenntnis kommen, sogleich etwas erfahren, was man durchkeine gewöhnliche Wissenschaft und durch kein gewöhnliches Bewußt-sein erfahren kann. Ich muß gestehen, es ist heute noch schwer auszu-sprechen, wozu man da kommt, aus dem Grunde, weil es gegenüberdem, was heute aus autoritativen Gründen als berechtigt angesehenwird, so fremdartig klingt. Aber es ist eben so. Es ist eine Erfahrung,die man mit dem verdichteten Denken macht. Und diese Erfahrung be-steht darin, daß man folgendes sagen muß: Wir haben Naturgesetze,wir studieren diese Naturgesetze emsig in unseren Wissenschaften, wirlernen sie schon zum Teil in der Volksschule kennen. Wir sind stolzdarauf, und die nüchterne Menschheit ist mit Recht stolz auf das, wassie so als Naturgesetze kennengelernt hat in Physik, Chemie und soweiter. Ich möchte es ausdrücklich betonen: Anthroposophie dilettiertnicht in einer wesenlosen Opposition in der Wissenschaft. Im Gegen-teil, sie erkennt diese Wissenschaft viel stärker an, als die Wissenschaftselber es tut. Sie nimmt sie gerade recht ernst, aber sie kommt darauf,indem sie das innerlich verdichtete Denken ergreift, zu sagen: Natur-gesetze, wie wir sie in Physik und Chemie kennenlernen, sind dochnur da innerhalb der Stoffeswelt unserer Erde, und sie gelten nichtmehr, wenn man in den Weltenraum hinausgeht.

Ich muß da etwas aussprechen, was vielleicht dem, der unbefangendarüber nachdenkt, gar nicht so unplausibel erscheint, da es nur schein-bar paradox ist. Wenn wir irgendwo eine Lichtquelle haben, so wissenwir, wie dieses Licht, wenn man es zerstreut, an Intensität immer mehrabnimmt; und wenn wir hinausgehen in den Raum, wird es immerschwächer und schwächer, so daß wir zuletzt versucht sind, es als Däm-merung, gar nicht mehr als Licht anzusprechen, bis es endlich, wennwir recht weit hinausgehen, uns gar nicht mehr als Licht gelten kann.So wie es für das Licht ist, so ist es für die Naturgesetze. Sie gelten im

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Erdbereich, aber je weiter wir in den Kosmos hinauskommen, destoweniger und weniger gelten sie, und wenn wir schließlich recht sehrhinausgehen, dann gelten diese Naturgesetze nicht mehr. - Jene Ge-setze, die wir aber durch das verdichtete Denken kennenlernen, die le-ben in unserem eigenen Leben schon, und die zeigen uns, daß wir alsMensch nicht aus den Naturgesetzen der Erde herausgewachsen sind,sondern aus höheren kosmischen Gesetzen. Wir haben sie uns mitge-bracht, indem wir in das Erdendasein hineingekommen sind. Und solernen wir erkennen, wie wir in dem Augenblicke, wo wir das verdich-tete Denken erfassen, die Naturgesetze nur auf das mineralische Reichanwenden können. Wir können nicht, wie es aus einem sehr begreif-lichen Irrtum heraus die neuere Physik macht, sagen, man könne dieNaturgesetze auch anwenden auf die Sonne, auf die Sterne. Das kön-nen wir nicht; denn Naturgesetze auf das Weltall anwenden wollen,wäre gerade so einfältig, wie wenn man mit einer Kerzenflamme in denWeltenraum hinausleuchten wollte. Indem wir von dem Mineral, dasso, wie es als Mineral uns erscheint, nur auf der Erde ist, aufsteigen zudem Lebendigen, können wir nicht mehr sprechen von den Naturge-setzen im Bereich der Erde, sondern müssen sprechen von Gesetzen,die aus dem Kosmos, aus dem Weltenraume in das Erdendasein herein-wirken. Das ist nun schon bei der Pflanze der Fall. Nur wenn wir dasMineral erklären wollen, können wir die Gesetze der Erde gebrauchen,jene Gesetze also, zu denen zum Beispiel die Schwerkraft und so weitergehört, die vom Mittelpunkt zum Umkreis wirken. Gehen wir zumPflanzendasein, so müssen wir sagen: da ist die Kugel der Mittel-punkt, und es wirken von überall her, von allen Seiten vom Kosmosdie Lebensgesetze, jene Lebensgesetze, die wir zuerst mit dem verdich-teten Denken in uns selber entdecken, von denen wir kennenlernen,daß wir uns selber zwischen Geburt und Tod durch sie aufbauen. Wirlernen zu den vom Mittelpunkt der Erde nach auswärts wirkendenGesetzen diejenigen kennen, die von allen Seiten zum Mittelpunkt derErde hereinwirken, und die schon im Pflanzenreich wirksam sind. Daschauen wir uns dann die Pflanze an, wie sie aus der Erde heraussprießt,und sagen uns, diese Pflanze enthält mineralische Stoffe. Die Chemieist heute sehr weit, diese Stoffe in ihrem gegenseitigen Wirken zu er-

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kennen. Alles berechtigt, alles sehr schön und gut. Sie wird noch weiter-kommen. Das wird auch sehr schön und gut sein. Aber wenn wir diePflanzen erklären wollen, müssen wir ihr Wachstum erklären, unddas können wir nicht mehr durch die Kräfte, die von der Erde auf-steigend wirken, sondern nur durch jene Kräfte, die vom Umfange,vom Kosmos in das Erdendasein hereinwirken. Da kommen wir dazu,anzuerkennen, daß wir in der Erkenntnis von der irdischen Anschau-ung aufsteigen und zu der kosmischen Anschauung kommen müssen.Und in dieser kosmischen Anschauung ist nun das enthalten, waswirkliche menschliche Selbsterkenntnis ist.

Wir können weiterkommen, indem wir auch das Fühlen umgestal-ten. Das Fühlen, das wir im gewöhnlichen Leben haben, ist eine persön-liche Angelegenheit, nicht eine eigentliche Erkenntnisquelle. Aber wirkönnen das, was sonst nur im Fühlen subjektiv erlebt wird, zu einerwirklichen objektiven Erkenntnisquelle machen, und zwar in folgen-der Weise.

Im Meditieren konzentriert man sich auf einen ganz bestimmtenGedanken; man kommt zu dem verdichteten Denken und ergreiftdadurch etwas, was von der Peripherie des Weltalls zum Mittelpunkteder Erde wirkt, im Gegensatz zu den gewöhnlichen Naturgesetzen,die vom Mittelpunkt der Erde nach allen Seiten hin wirken. Hat mandas verdichtete Denken erreicht, hat man erreicht, daß das eigeneLeben und auch das Leben der Pflanzen wie auf einem mächtigenTableau vor der Seele ausgebreitet sind, so kann man weitergehen.Man kann dahin kommen, nachdem einen im erkrafteten Denkenetwas ergriffen hat, nun den verstärkten Gedanken wieder auszu-schalten. Wer da weiß, wie es schwierig ist im gewöhnlichen Leben,Gedanken, die einen ergriffen haben, wieder auszuschalten, der wirdbegreifen, daß besondere Übungen dazu notwendig sind, um das An-gedeutete zu erreichen. Aber man kann es; man kann nicht nur er-reichen, daß man einen Gedanken, auf den man sich konzentrierthat, mit aller Kraft der Seele ausschaltet, sondern daß man auch dasganze Erinnerungstableau - und damit sein eigenes Leben - ausschal-tet und die Aufmerksamkeit davon abzieht. Dann tritt etwas ein,von dem man deutlich merkt: man steigt jetzt tiefer in die Seele hin-

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unter, steigt jetzt in jene Regionen hinunter, die sonst nur dem Ge-fühle zugänglich sind. Nun ist es ja gewöhnlich so, wenn man im ge-wöhnlichen Leben Gesichtseindrücke, Gehörseindrücke und so weiterverschwinden läßt, dann schläft der Mensch meistens ein. Hat manaber das verdichtete Denken entwickelt, so schläft man nicht ein, wennman nun alle Gedanken, auch die verdichteten, ausschaltet. Da kommtman in einen Zustand, in welchem keine Sinneswahrnehmungen undkeine Gedanken wirken, den man nur so beschreiben kann, daß mansagt: der Mensch ist bloß wach, er schläft nicht ein; aber er hat zu-nächst nichts im Bewußtsein, er ist mit leerem Bewußtsein wach. Dasist ein Zustand, den die Geisteswissenschaft entdeckt, der im Menschenda sein kann, der ganz systematisch, methodisch heranentwickeltwerden kann: Leeres Bewußtsein haben im vollbesonnenen Wachzu-stand. Wenn man sonst leeres Bewußtsein herstellt, ist man für dengewöhnlichen Lebenszustand eingeschlafen. Vom Einschlafen bis zumAufwachen haben wir zwar leeres Bewußtsein, aber wir schlafen eben.Wachend leeres Bewußtsein haben, ist das, was als zweiter Erkenntnis-zustand angestrebt wird.

Aber das Bewußtsein bleibt dann nicht lange leer. Es füllt sich.So wie sich das gewöhnliche Bewußtsein durch die Augenwahrnehmun-gen mit Farben füllt, durch das Ohr mit Tönen, so füllt sich nun diesesleere Bewußtsein mit einer geistigen Welt, die ebenso im Umkreise istwie hier die gewöhnliche physische Welt. Erst das leere Bewußtseinentdeckt die geistige Welt, jene geistige Welt, die weder hier aufder Erde noch im Kosmos im Räume ist, sondern die außer Raumund Zeit ist, die aber doch unsere tiefste menschliche Wesenheit aus-macht. Denn haben wir vorher mit dem verdichteten Bewußtsein desDenkens hinschauen gelernt auf unser ganzes Erdenleben wie auf eineEinheit, jetzt schauen wir mit dem erfüllten, zuerst leeren Bewußt-sein hinaus in diejenige Welt, die wir in einem seelisch-geistigen Le-ben durchgemacht haben, bevor wir ins irdische Dasein herunterge-stiegen sind. Wir lernen uns jetzt kennen als ein Wesen, das geistigvorhanden war vor Geburt und Empfängnis, das vor dem Erden-dasein in einem vorirdischen Dasein gelebt hat. Wir lernen uns erken-nen als ein geistig-seelischer Mensch, der den Leib, den er an sich

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trägt, von Eltern und Voreltern überliefert erhalten hat, so überlieferterhalten hat, daß er ihn, wie gesagt, alle sieben Jahre auswechselnkann, der aber das, was er seinem eigentlichen Wesen nach ist, sichhereingebracht hat aus dem vorirdischen Dasein. Das lernt man nichtdurch Theorien oder durch ein spintisierendes Denken kennen, son-dern man kann es nur kennenlernen, wenn man in intellektueller Be-scheidenheit eben die entsprechenden Fähigkeiten dazu erst entwickelt.

So lernen wir jetzt die innere menschliche Wesenheit, die eigentlichegeistig-seelische Wesenheit kennen. Sie tritt uns entgegen, wenn wirin die Region des Gefühls nicht nur fühlend, sondern auch erken-nend hinuntersteigen. Da müssen wir aber erst merken, daß Erkennt-nis-Erringen verbunden ist mit starken inneren Erlebnissen, die ich infolgender Weise schildern kann. Wenn Sie irgendein Glied Ihres phy-sischen Organismus unterbunden haben, es nicht bewegen können,wenn Ihnen jemand vielleicht nur zwei Finger zusammenbindet, sospüren Sie es als unangenehm, vielleicht als schmerzhaft. Jetzt sindSie in einem Zustande, wo Sie im Geistig-Seelischen erfahren ohne denLeib. Jetzt haben Sie den ganzen physischen Menschen nicht an sich,denn jetzt leben Sie in einem leeren Bewußtsein. Der Übergang dazuist mit einem tiefen Schmerzgefühl verbunden. Über die Erfahrungdes Schmerzes, der Entbehrung hinüber, erringt man sich den Eingangin das, was unser tiefstes geistig-seelisches Wesen ist. Davor schreckenviele Menschen zurück. Aber es ist eben nicht anders möglich, sichüber das wirkliche menschliche Wesen aufzuklären, als auf diese Art.Lernt man auf diese Weise erkennen, was man dem innersten Wesendes Menschen nach ist, so kann man dann noch weitergehen. Dannmuß man aber eine Erkenntniskraft ausbilden, die im gewöhnlichenLeben nicht als Erkenntniskraft genommen wird: man muß die Liebeausbilden als Erkenntniskraft, das selbstlose Hinausgehen in die Dingeund Vorgänge der Welt. Bildet man diese Liebe immer mehr und mehraus, so daß man tatsächlich sich hinaustragen kann in den Zustand,den ich eben geschildert habe, wo man leibfrei, körperfrei die Weltanzuschauen vermag, dann lernt man sich vollständig erfassen alsgeistiges Wesen in der geistigen Welt. Dann weiß man, was der Menschals Geist ist, dann weiß man aber auch, was Sterben heißt, denn im

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Tode legt der Mensch seinen physischen Leib tatsächlich ab. In derErkenntnis, die ich jetzt als dritte schildere, die durch eine Vertie-fung der Liebe erfahren wird, lernt man sich erkennen außerhalb sei-nes Leibes; man vollzieht in der Erkenn tnisbildhaftigkeit die Tren-nung von seinem Leibe. Man weiß von diesem Augenblicke an, wases heißen will, wenn man im Erdendasein den Leib ablegt und durchdie Pforte des Todes geht. Man lernt den Tod kennen, aber auch dasLeben im Geistig-Seelischen über den Tod hinaus. Man lernt die gei-stig-seelische Wesenheit des Menschen jetzt erkennen, wie sie im Le-ben nach dem Tode sein wird. Wie man sie vorher erkennen gelernthat, wie sie vor dem Herabstieg in das irdische Dasein in der gei-stigen Welt ist, so lernt man jetzt erkennen das Fortleben der geistig-seelischen Wesenheit des Menschen nach dem Tode.

Da tritt etwas auf, woran man so recht merkt, wie unvollkommendas heutige Bewußtsein ist. Es spricht aus Hoffnung, aus Glauben her-aus von Unsterblichkeit. Aber Unsterblichkeit ist nur die Hälfte derEwigkeit: Das Fortdauern von dem gegenwärtigen Zeitpunkte in alleEwigkeit. Wir haben heute kein Wort, wie es noch Erkenntnisstufenfrüherer Zeiten gehabt haben, die zur Unsterblichkeit noch die andereHälfte der Ewigkeit fügten: das Ungeborensein. Denn ebenso wie derMensch unsterblich ist, so ist er ungeboren, das heißt, er tritt durchdie Geburt aus der geistigen Welt in das physische Dasein herein, wieer durch den Tod aus der physischen Welt wieder in ein geistiges Da-sein hineingeht. Man lernt auf diese Weise die wahre, durch Geburtund Tod gehende geistige Wesenheit des Menschen kennen, und erstdann ist man in der Lage, den ganzen Menschen aufzufassen.

Was ich so nur prinzipiell, in der Kürze hier geschildert habe,ist der Inhalt einer heute schon reichen Literatur, die wahrhaftig ihreGewissenhaftigkeit, ihre Erkenntnisverantwortlichkeit von der exak-testen Wissenschaft gelernt hat, die es heute nur geben kann. Manberührt damit eine Geisteswissenschaft, die wirklich der gewöhnlichenWissenschaft gewachsen sein will.

Aber gerade dadurch lernt man ein anderes kennen: wie das Le-ben eigentlich aus zwei Strömen besteht. Man spricht heute allge-mein von Entwickelung, man spricht davon: das Kind ist klein, es

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entwickelt sich, es wächst. Es wuchtet und kraftet, es sprießt undsproßt das Leben. Man spricht davon, daß sich die niederen Lebe-wesen zu den höheren entwickelt haben: sprießendes, sprossendesLeben, das immer komplizierter und komplizierter wird. Mit Recht!Dieser Strömung des Lebens - das lernt man erkennen - steht eineandere gegenüber, die auch in jedem Lebewesen, das empfindet, vor-handen ist: die abbauende Strömung. Geradeso wie wir wucherndes,sprießendes, sprossendes Leben in uns haben, aufbauendes Leben, sohaben wir auch abbauendes Leben in uns. Durch eine solche Erkennt-nisart, wie ich sie beschrieben habe, lernt man einsehen, daß man nichtnur sagen kann: unser Leben geht hinauf bis in unser Gehirn und Ner-vensystem; dort richtet sich das Materielle so ein, daß das Nerven-system der Träger des seelischen Lebens werden kann. So ist es nicht.Es sprießt und sproßt das Leben, aber es gliedert sich ein in diesessprießende, sprossende Leben das fortwährende Zerfallen. Fortwährendzerfällt in uns das Leben. Das sprießende, sprossende Leben macht demZerfall fortwährend Platz. Wir sterben eigentlich teilweise in jedemAugenblick, es zerfällt etwas in uns. Wir bauen es nur immer wiederauf. Aber indem etwas in uns materiell zerfällt, hat das Geistig-See-lische Platz, in uns einzutreten, in uns tätig zu sein. Hier kommen wiran den großen Irrtum des Materialismus: dieser glaubt, daß das sprie-ßende, sprossende Leben sich hinaufentwickelt im Menschen bis zuden Nerven, und daß gerade so, wie aus dem Blut die Muskeln auf-gebaut werden, auch die Nerven sich aufbauen, sie werden es auch.Aber dadurch entwickelt sich noch kein Denken, daß die Nervenaufgebaut werden, und ebenso kein Fühlen. Sondern indem die Ner-ven gewissermaßen zerfallen, gleichsam lauter Löcher bekommen, glie-dert sich in das Zerfallende das Geistig-Seelische hinein. Wir müssendas Materielle zuerst abbauen, damit das Geistig-Seelische in uns er-scheinen kann, damit wir selber es erleben können.

Das wird der große Moment in der Entwickelung der richtig ver-standenen Naturwissenschaft sein, wo sie das Entgegengesetzte derEntwickelung, an der entsprechenden Stelle, fortsetzend diese Ent-wickelung erkennen wird, wo sie nicht nur den Aufbau, sondern auchden Abbau, wo sie zu der Evolution die Devolution erkennen wird.

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Dann wird man verstehen, wie das Geistige im Tiere und im Men-schen - im Menschen auf eine selbstbewußte Art - das Materielle er-greift. Das Geistige ergreift das Materielle nicht dadurch, daß diesessich ihm entgegenentwickelt, sondern es ergreift es dadurch, daß dasMaterielle sich im umgekehrten Prozeß abbaut, und im Abbauen findetdas Geistige dann seine Erscheinung, seine Offenbarung. So sind wirerfüllt von Geistigem, das überall da ist, wo Devolution ist, nichtEvolution, wo Ent-Entwickelung ist.

Dann aber lernt man durchschauen, wie dieser ganze Mensch voruns steht, wie er in einem polarischen Gegensatz vor uns steht. Über-all, wo Aufbau ist, in einem jeglichen Organ, muß auch Abbau sein.Und indem wir irgendein Organ, Leber, Lunge oder Herz, anschauen,ist es in einem stetigen Strom, in einem Strom, der sich zusammen-setzt aus Aufbau-Abbau, Aufbau-Abbau. Ist es denn nicht so, daßwir eigentlich eine merkwürdige Sprache führen, wenn wir zum Bei-spiel sagen: Hier fließt der Rhein? - Was ist denn der Rhein? Wennwir sagen: Hier fließt der Rhein -, so meinen wir gewöhnlich nicht:Da ist das Flußbett «Rhein», aber das fließende Wasser meinen wir,wenn wir hinschauen. Das ist jedoch in jedem Augenblicke ein an-deres. Der Rhein ist hundert Jahre, ist tausend Jahre da. Aber wasist denn in jedem Augenblicke da? Was in jedem Augenblicke in demStrömen in Veränderung begriffen ist! So ist alles, was in uns ist, indem Strom der Veränderung enthalten, im Aufbau und im Abbau,und im Abbau wird es Träger des Geistigen. Und so gibt es in jedemnormalen Menschenleben einen Gleichgewichtszustand zwischen Auf-bau und Abbau, und in ihm entwickelt der Mensch seine richtige Fä-higkeit für das Geistig-Seelische. Aber dieser Gleichgewichtszustandkann gestört sein, kann so gestört sein, daß ein Organ seinen richtigenAufbau einem zu geringen Abbau entgegenstellt, so daß sein Wachs-tum wuchert; oder umgekehrt, ein Organ kann einem normalen Ab-bau einen zu geringen Aufbau entgegenstellen, dann verkümmert dasOrgan, trocknet aus, und wir kommen aus dem Physiologischen indas Pathologische hinein.

Nur wer durchschaut, was dieser Gleichgewichtszustand ist, kannauch durchschauen, wie dieser Gleichgewichtszustand durch Hyper-

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trophie des Aufbaues oder Abbaues gestört wird. Wenn wir aber dieserkennen, dann können wir auch den Blick auf die große Welt hinaus-richten und können in ihr das finden, was unter Umständen auf dengestörten Aufbau oder Abbau ausgleichend wirken kann. Haben wirzum Beispiel ein Organ des Menschen, das dadurch gestört ist, daß eseinen zu großen Abbau in sich hat, und schauen wir dann mit einemdurch geisteswissenschaftliche Erkenntnis geschärften Blick auf irgendetwas draußen in der Natur, auf irgendeine Pflanze, so erkennen wirdann in einer bestimmten Pflanze: da ist Aufbau. Nun stellt sichheraus, daß wir in den Arten gewisser Pflanzen immer Aufbaukräftehaben, die genau den Aufbaukräften von menschlichen Organen ent-sprechen. So können wir finden, wenn wir diese allgemeine, jetzt vonmir entwickelte Anschauung haben: im menschlichen Nierenorgansind aufbauende Kräfte. Nehmen wir an, sie sind zu schwach, siewerden von den Abbaukräften überwuchert. Wir schauen hinaus aufdie Pflanzen, finden im gewöhnlichen Ackerschachtelhalm, im Equi-setum arvense, Aufbaukräfte, die genau den Aufbaukräften, die wirim Nierenorgan haben, entsprechen. Wenn wir aus Equisetum arvenseein Präparat bereiten und im Zirkulationsprozeß, in der Ernährung, inder richtigen Weise das Präparat an seinen Ort bringen, wo es wir-ken kann, so verstärken wir durch das Heilmittel die zu schwach ge-wordenen aufbauenden Kräfte des Nierenorgans. So für jedes Organ.Haben wir nur einmal diese Kenntnis ergriffen, dann haben wir durchdie Kräfte, die wir draußen in der Welt finden, die Möglichkeit, Auf-bau und Abbau, die aus ihrem Gleichgewicht gekommen sind, wiederins Gleichgewicht zu bringen. Haben wir irgendwo, etwa auch in denNieren, zu starke Kräfte des Aufbaues, zu schwache des Abbaues, somüssen wir den Abbau verstärken. In diesem Falle müssen wir zu nie-deren Pflanzen, etwa den Farnkräutern greifen, die die Abbaukräfteverstärken.

So kann man über das bloße Probieren und Experimentieren, obirgendein Stoff oder Präparat hilft, hinauskommen. Man durchschautden menschlichen Organismus nach den Gleichgewichtsverhältnissenseiner Organe; man durchschaut die Natur nach den aufbauendenund den abbauenden Kräften, und man macht nun die Heilkunst zu

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etwas, was man durchschaut, wo man nicht nur ein Heilmittel des-halb anwendet, weil die Statistik festgestellt hat: in so und so vielenFällen wirkt es nützlich -, sondern aus dem Durchschauen des Men-schen und der Natur weiß man, wie man ganz exakt im einzelnen Falleden Naturvorgang in einem Naturprodukt zum Heilfaktor umge-stalten kann, das heißt für das menschliche Organ in bezug auf auf-bauende und abbauende Kräfte.

Ich sage nicht, daß nicht die Medizin in der neueren Zeit ungeheureFortschritte gemacht hat. Auch für die Medizin werden diese Fort-schritte von der Anthroposophie voll anerkannt. Es wird von uns nichtmit Ausschluß der modernen Medizin gearbeitet, sondern im Gegen-teil, mit vollster Würdigung derselben. Aber gerade wenn man dasuntersucht, was sich auf dem Gebiete der wirksamen Heilmittel derneueren Zeit herausgestellt hat, so findet man bei alledem, daß mandurch langsames Experimentieren dazu gekommen ist, es zu finden.Was sich durch das Durchschauen der menschlichen Natur auf denGebieten, wo die Medizin schon glücklich war, voll bestätigt hat, da-für liefert die Anthroposophie die durchsichtige Erkenntnis. Dazu aberliefert sie eine ganze Reihe neuer Heilmittel, die zu finden durch diesesDurchschauen der Natur und des Menschen möglich geworden ist.

Lernt man aber auf diese Weise in einer geistigen Art in den Men-schen hineinschauen - und ich werde noch zeigen, wie auf den einzel-nen Gebieten die Heilkunst befruchtet werden kann durch eine wirk-liche Erkenntnis des Geistes -, lernt man so hineinblicken in das gei-stige Leben neben dem materiellen, dann gelangt man, und jetzt nichtauf die alte träumerische Weise, die dann in den Mythen ihren Aus-fluß gefunden hat, sondern auf exakte Weise, dazu, ganz rationellErkenntnis und Heilkunde zu verbinden. Man lernt heilen aus einerwirklichen, aus künstlerischer Anschauung der Welt erwachsendenKunst. Und damit ist man wieder bei dem angelangt, was in denalten Zeiten - aber nicht auf diejenige Weise, wie man es heute an-streben muß, nachdem wir die glorreiche Wissenschaft hinter uns ha-ben - durch eine Art traumhafter Erkenntnis vorhanden war, wo manzu dem kam, was zum Anwenden der Kräfte der Natur und der Gei-steskräfte gegenüber dem gesunden und kranken Menschen führen

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kann, gegenüber dem Gesunden in Schule und Volkspädagogik, gegen-über dem Kranken in der Heilkunst. Wir haben in den alten ZeitenMysterienstätten, in denen eine Erkenntnis gepflegt wurde, die demMenschen seine religiösen Rätsel lösen und seine Seelensehnsuchten be-friedigen sollte; neben diesen Mysterien aber haben wir die Heilstätten.Wir sehen mit Recht heute das als kindlich an, was damals gepflegtworden ist. Aber es lag ein gesunder Kern darin, der Kern, daß sichdie Erkenntnis der sogenannten normalen Welt fortsetzen muß in dieErkenntnis der anormalen Welt hinein. Denn, ist es nicht sonderbar,daß wir auf der einen Seite sagen: aus der Natur heraus entsteht derMensch in seinem gesunden Zustande - und daß wir dann wieder ausden Naturgesetzen heraus den kranken Menschen erklären müssen?Denn jede Krankheit ist wieder aus Naturgesetzen erklärbar. Wider-spricht sich die Natur? Wir werden sehen, daß sie sich nicht wider-spricht, wenn der Mensch krank wird. Aber die Erkenntnis muß sichaus dem Physisch-Normalen fortsetzen in das Pathologische hinein.Dadurch gewinnt die Erkenntnis erst ihren Lebenswert, daß neben derPflegestätte für das Normale im Leben sich diejenige für das Erkran-kende im Leben findet.

Es ist allerdings die Anthroposophie mit diesen Dingen erst in ei-nem Anfange, aber auf dem Wege zu Zielen, die für den unbefangenenSinn durchaus als berechtigt erkannt werden können. In dem uns lei-der abgebrannten Goetheanum bei Dornach in der Schweiz sollte eineErkenntnisstätte vorhanden sein - sie wird hoffentlich bald wiederaufgebaut sein -, eine Erkenntnisstätte, durch die des Menschen Sehn-sucht nach dem Durchschauen seiner eigenen Lebensquellen möglichsein sollte. Wiederum sind wir, ich möchte sagen, aus der Selbstver-ständlichkeit heraus dazu gekommen, diesem Goetheanum anzuglie-dern die Heilstätte, zwar auch noch in bescheidener Art, aber dochso, wie es vor einer wirklichen Menschenerkenntnis sein muß: in demKlinisch-Therapeutischen Institut in Ariesheim, das aus den Bemü-hungen von Frau Dr. Wegman erflossen ist, das dann auch seine Nach-folgeschaft durch das Institut von Dr. Zeylmans van Emmichoven, inden Haag, gefunden hat. Damit ist in Dornach neben einer Erkenntnis-stätte für das Geistige auch wieder die Heilstätte hingestellt. Und wenn

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zu alledem, was die Erkenntnis des Geistes ist, vor allem Mut ge-hört, so gehört auch zu der Heilweise vor allem Mut. Und das istes, was in dem Klinisch-Therapeutischen Institut in Ariesheim lebt,das zum Goetheanum gehört: der Mut des Heilens, um das, wasaus dem ganzen Menschen an möglicher Beherrschung der Heil-kräfte fließt, zum Segen der Menschheit anzuwenden. Deshalb darf,wenn auch in bescheidener Weise, eine solche Erkenntnisstätte, diewiederum zum Mysterium hinstrebt - aber im modernen Sinne -, wodie großen Fragen des Daseins neben dem Erkennen der Kleinigkeitendes Lebens gepflegt werden sollen, nebeneinandergestellt werden mitder Heilstätte, die da anstrebt in geistiger Weise, auch die Heilkunstentsprechend zu vertiefen, insbesondere seitdem in einer vertiefterenArt noch das aufgetreten ist, was seit letzte Weihnachten in Dornachgepflegt wird.

Das ist das, was heute schon als die reale Beziehung zwischen Anthro-posophie und Medizin dasteht, und was sich dann auslebt auf demGebiete der Medizin durch die hingebungsvolle Arbeit meiner liebenMitarbeiterin Frau Dr. Wegman, die sich von Anfang an und schonseit Jahrzehnten so in die Anthroposophie hineingestellt hat, daß miteiner gewissen Selbstverständlichkeit die Orientierung in bezug aufdie Heilkunst erfolgen konnte.

In dieser äußerlichen Nebeneinanderstellung von Erkenntnisstätteund Heilstätte ist auch das äußere Bild vorhanden, wie innerlich neben-einander stehen sollen die anthroposophische Erkenntnis und die Praxisdes Heilens - aus einer solchen Geistesart heraus, wo aus einer An-schauung des kranken Zustandes des Menschen auch herauswachsensoll die Anschauung des Therapeutischen, des Heilens, so daß beidenicht auseinanderfallen, sondern daß sich der diagnostische Prozeßfortsetzt in den Heilprozeß hinein. So strebt Anthroposophie an, daßman, indem man die Diagnose ausführt, in der Erkenntnis dessen, wasim Menschen geschieht, wenn er im kranken Zustande ist, zugleichanschaut: da geschieht dies im Menschen, geschieht dies im Abbaupro-zeß, geschieht jenes im Aufbauprozeß. Man erkennt dann die Naturzum Beispiel in Vorgängen, wo Abbaukräfte wirken; man weiß, woAbbaukräfte vorhanden sind, und indem man diese im Heilmittel ver-

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wendet, ist man in die Lage gesetzt, so zu wirken, daß diese Abbau-kräfte einem Aufbauprozeß im Menschen entgegenarbeiten können.Und umgekehrt. So durchschaut man in dem, was im Menschen vorsich geht, den kranken Zustand; aber indem man den kranken Zu-stand hat, schaut man zugleich in das Wesen der Wirkung des Heil-mittels hinein.

Was sich nun aus diesem innerlichen Erfassen des gesunden undkranken Menschen zu diesem äußerlichen Nebeneinanderstellen vonGoetheanum und Klinik für die Befruchtung der modernen Heilkunstdurch geisteswissenschaftliche Vertiefung sagen läßt, das möchte derInhalt der nächsten beiden Vorträge sein. Heute wollte ich nur dasWesen des geistigen Erkennens auseinandersetzen und darauf hinwei-sen, wie aus diesem geistigen Erkennen ein innerliches Durchdrungen-sein des Menschen wirkt, durch das er nicht bloß theoretisch an Natur-und Geisteskräfte herantritt, sondern so, daß er sie auch handhabenlernt, um aus dem geistigen Erkennen heraus das Leben in seinen ge-sunden und kranken Zuständen zu gestalten. Das Leben wird mitfortdauernder Zivilisation immer komplizierter und komplizierter.Heute schon waltet auf dem Untergrunde vieler Seelen die Sehnsucht,das zu finden, was diesem immer komplizierter werdenden Leben ge-wachsen ist. Anthroposophie will vor allem mit diesen Sehnsuchtenrechnen. Und man wird sehen, daß sie, gegenüber vielem Zerstörendenim heutigen Leben, in ehrlicherweise mitarbeiten will am Auf bauenden,am Wachsen und Gedeihen in der Zivilisation - aber nicht in lahmenPhrasen, sondern in der Betätigung, in den praktischen Fragen desLebens, überall da, wo erkannt werden soll, will sie so erkennen, daßErkenntnis ins Leben überfließen kann; und überall da, wo etwas imLeben auftritt, will sie so erkennen, daß sie helfen kann.

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A C H T E R VORTRAG

Arnheim, 21. Juli 1924

In dem einleitenden Vortrage habe ich versucht auseinanderzusetzen,wie durch die von der Anthroposophie gepflegte Erkenntnisart derMensch nach seiner Totalität, nach seiner Gesamtwesenheit - nachLeib, Seele und Geist - durchschaut werden soll. Wie man nur dann zueiner inneren Erkenntnis der gesunden und kranken Zustände in dermenschlichen Wesenheit kommen kann, wenn man diese ganze Naturdes Menschen ins Auge faßt, das versuchte ich ferner zu zeigen; und wieman dadurch, daß man kennenlernt die realen Beziehungen desjenigen,was im Menschen vor sich geht, zu den äußeren Vorgängen und sub-stantiellen Verhältnissen in der Natur, nun auch dazu gelangt, eineunmittelbare Verbindungsbrücke zu schlagen zwischen dem Patho-logischen und dem Therapeutischen.

Nun aber wird es sich im weiteren darum handeln, dasjenige, wasdas letzte Mal im allgemeinen gesagt worden ist, an Einzelheiten zuerhärten. Da wird es vor allen Dingen darauf ankommen, richtig insAuge zu fassen, wie in der menschlichen Organisation ein Abbau statt-findet, wie auf der anderen Seite aber auch fortwährend ein Aufbaustattfindet. Wir haben im Sinne des letzten Vortrages am Menschen zuunterscheiden jenen äußeren physischen Organismus, der durch dieäußeren Sinne wahrnehmbar ist, und dessen Offenbarungen durch dieSinnes Wahrnehmungen mit dem Verstande begriffen werden können.Wir haben außer diesem physischen Leib, in dem Sinne, wie ich diesdas letzte Mal auseinandergesetzt habe, einen ersten übersinnlichenLeib im Menschen zu unterscheiden: den ätherischen oder Lebensleib.Diese beiden Organisationsglieder der menschlichen Gesamtwesenheitdienen dem Aufbau der menschlichen Organisation. Der physischeLeib wird fortwährend, indem er seine Stoffe ausstößt, erneuert. Derätherische Leib, der die Kräfte des Wachstums, der Ernährungsfähig-keit in sich enthält, er ist in seiner Gesamtkonstitution etwas, vondem wir eine Anschauung bekommen, wenn wir die wachsende, blü-hende Pflanzenwelt im Frühling betrachten; denn die Pflanzen ent-

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halten ebenso wie der Mensch einen Äther- oder Lebensleib. Wir ha-ben also in diesen beiden Organisationsgliedern des Menschen einefortschreitende, aufbauende Entwickelung.

Indem der Mensch ein empfindendes Wesen ist, trägt er des wei-teren - man braucht sich nicht an Ausdrücken zu stoßen, sondern nurdasjenige zu sehen, was sie uns erörtern - einen astralischen Leib insich, der im wesentlichen der Vermittler der Empfindungen ist, derTräger des innerlichen, fühlenden Wesens. Dieser astralische Leib ent-hält nun in sich nicht mehr Kräfte des Aufbaus, er trägt in sich Kräftedes Abbaus. So wie durch den ätherischen Leib, oder nenne man es,wie man will, aber da ist es, die Menschennatur gewissermaßen sprießtund sproßt, so wird das, was sprießt und sproßt, durch den astra-lischen Leib fortwährend abgebaut. Und gerade dadurch ist in dermenschlichen Organisation eine seelisch-geistige Betätigung, daß dasPhysisch-Ätherische fortwährend abgebaut wird. Man macht etwasganz Falsches, wenn man meint, das Geistig-Seelische in der mensch-lichen Wesenheit liege im Aufbau; und der Aufbau, die fortschreitendeEntwickelung, komme zuletzt an einem Punkt - meinetwillen in derNervenorganisation oder dergleichen - dazu, Träger des Geistig-See-lischen zu sein. Das ist nicht der Fall. Wenn einmal - und alle An-zeichen sind dafür da, daß es in Bälde geschehen wird - unsere tiefbewundernswürdigen naturwissenschaftlichen Untersuchungen aufdem Wege weiterschreiten, auf dem sie schon sind, dann wird es sichzeigen, daß im Nervenprinzip nicht ein Aufbauendes das Wesentlicheist; das Aufbauende in der Nervenorganisation ist nur dazu da, damitdie Nerven überhaupt bestehen können. Aber der Nervenvorgang istin einer fortwährenden, wenn auch langsamen Auflösung begriffen;es ist das, was in einem Abbau ist und dadurch gewissermaßen, in-dem das Physische sich auflöst, dem Geistig-Seelischen den Platz freimacht.

In noch stärkerem Maße ist das der Fall für die eigentliche Ich-Organisation durch die sich der Mensch über alle anderen Naturwesenerhebt, die auf der Erde in seiner Umgebung sind. Die Ich-Organisa-tion ist im wesentlichen immer abbauend; sie macht sich am meistendort geltend, wo im menschlichen Wesen abgebaut wird.

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So hat man also, wenn man in dieses Wundergebilde des mensch-lichen Organismus hineinschaut, in jedem einzelnen Organ einen Auf-bau, wodurch das Organ dem Wachstum, der fortschreitenden Ent-wickelung dient, und einen Abbau, wodurch es der rückschreitendenphysischen Entwickelung dient, aber damit gerade dem Platzgreifendes Geistig-Seelischen im Menschen. Und schon das letzte Mal sagteich: Der Gleichgewichtszustand zwischen Aufbau und Abbau, der fürjedes Organ im Menschen in einer bestimmten Weise da ist, er kanngestört sein. Der Aufbau kann überwuchern, dann haben wir es mitkrankhaften Zuständen zu tun. Wenn wir so in die Menschenwesen-heit hineinschauen - ich kann die Dinge zunächst nur mit einiger Ab-straktion darlegen; sie werden nachher schon konkreter zum Ausdruckkommen - und wenn wir gewissenhaft mit wissenschaftlicher Verant-wortung vorgehen, daß wir nicht nur im allgemeinen phrasenhaftherumreden: Es ist Aufbau und Abbau vorhanden -, sondern wennwir daraufhin jedes einzelne Organ wirklich studieren, und zwar mitderselben wissenschaftlichen Gewissenhaftigkeit, die man gelernt hatan wissenschaftlichen Beobachtungen, die es heute zu so großer Voll-kommenheit gebracht haben, dann schaut man eben hinein in jeneGleichgewichtszustände, die für die einzelnen Organe bestehen müssenund hat die Möglichkeit, eine Anschauung zu bekommen von dem ge-sunden Menschen. Ist irgendwie nach der einen oder anderen Richtung,nach der Richtung des Aufbaues oder nach der des Abbaues, dasGleichgewicht der Organe gestört, dann hat man es zu tun mit irgendetwas Krankhaftem im menschlichen Organismus.

Nun muß man aber berücksichtigen, wie der menschliche Orga-nismus zu der ihn umgebenden äußeren Welt der drei Naturreichesteht, zum mineralischen, pflanzlichen, tierischen Reich, aus denen wirja unsere Heilmittel nehmen müssen. Wenn man in umfänglicher Weiseden Blick so hinlenkt auf die inneren Gleichgewichtszustände des Men-schen, wie ich es ja skizziert habe, dann sieht man, wie im menschlichenOrganismus nach allen Richtungen überwunden wird das, was außer-halb des menschlichen Organismus in den drei Reichen der Natur vor-handen ist. Nehmen wir das Allereinfachste: die Wärmezustände immenschlichen Organismus. Es darf nichts von äußeren Wärmezustän-

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den im Inneren des menschlichen Organismus sozusagen seine unver-änderte Fortsetzung finden. Wenn ich die Wärmeerscheinungen außenin der Natur verfolge, so weiß ich: Wärme erhöht die Temperatur vonDingen der Außenwelt. Wir sagen: Wärme durchdringt die Dinge.Wenn wir ebenso als menschliche Organisation von der Wärme durch-drungen wären, wenn wir sozusagen für die Wärme ein Ding wären,dann wäre die Wärme für uns krankmachend. Nur wenn wir durchdie Intensität und das Qualitative unserer Organisation imstande sind,jeden Wärmeprozeß, der auf uns ausgeübt wird, sogleich innerlich mitdem Organismus in Empfang zu nehmen, ihn zu einem inneren Prozeßumzubilden, dann sind wir als menschliche Organisation in der Lageder Gesundheit. Wir werden von Wärme oder Kälte in dem Augen-blick beschädigt, wo uns äußere Wärme oder Kälte ergreift und wirnicht in der Lage sind, sofort innerhalb unserer Organisation das inEmpfang zu nehmen, was äußere Wärme oder Kälte ist.

Das kann bei Wärme und Kälte sozusagen jeder Mensch leicht ein-sehen. Bei allen übrigen Naturvorgängen ist jedoch das gleiche derFall. Nur ein sorgfältiges, durch geistige Anschauung verschärftes Stu-dium führt dazu, zu erkennen, daß jeder Prozeß, der in der Naturstattfindet, im menschlichen Organismus umgesetzt, transformiert, me-tamorphosiert wird, so daß wir in unserer inneren Organisation fort-während Uberwinder desjenigen sind, was im irdischen Bereiche inunserer Umgebung da ist. Nehmen wir jetzt die gesamte innere Orga-nisation des Menschen, so werden wir sagen: wird die innere Kraft desMenschen, die äußeren Vorgänge und Prozesse innerlich zu verwan-deln, die fortwährend auf ihn einwirken, auch dann, wenn er zumBeispiel Nahrungsmittel genießt, wird diese Fähigkeit herabgesetzt,dann wirkt das, was von außen in den Menschen hineinkommt, alsFremdkörper und der Mensch wird gewissermaßen - wenn ich grob,trivial spreche - ausgefüllt mit Fremdkörpern oder mit Fremdpro-zessen und so weiter. Oder aber der Mensch entwickelt seine höherenOrganisationsglieder, die ich als den astralischen Leib und als Ich-Organisation bezeichnet habe, übermäßig stark, dann kann er dieäußeren Prozesse, die von der Umgebung in ihn hineinkommen, nichtnur so transformieren, wie sie transformiert werden sollen, sondern

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stärker transformieren, wuchtiger, übermäßig transformieren. Es fin-det eine Beschleunigung der Prozesse statt, die in ihn eindringen. Dieäußere Natur wird über das Menschliche hinausgeführt, wird gewis-sermaßen — populär ausgedrückt - zu stark vergeistigt, und wir habenes wiederum mit einer Störung der Gesundheit zu tun. Aber was manso nur in einem ganz abstrakten Prinzip andeutet, ist ja für jedes Or-gan im Menschen vorhanden; das muß für jedes einzelne Organ be-sonders studiert werden. Und der Mensch verhält sich in bezug auf dieArt und Weise, wie er die äußeren Prozesse umsetzt, wirklich in einersehr komplizierten Art.

Wer über jene Kenntnisse hinaus, die man durch die ja durchausnicht anzufechtende heutige Anatomie und Physiologie bekommt, sichweiterzubilden versucht, so daß er das, was man durch das Studiumdes Leichnams oder durch das Studium von Krankheitsfällen als An-schauung vom menschlichen Organismus bekommt, umsetzt, um esanzuschauen, nicht in einer Art toter Struktur, sondern umsetzt in seinlebendiges Wesen und Weben, der steht der menschlichen Organisationgegenüber in jedem Augenblick eigentlich recht hilflos da; denn geradeje genauer, je lebendiger man die menschliche Organisation kennen-lernt, desto komplizierter erscheint sie. Es gibt da jedoch Richtlinien,durch die man gleichsam durch das Labyrinth sich hindurchkämpfenkann. Und wenn ich hier eine persönliche Bemerkung einfügen darf, somag es diese sein, sie ist zugleich durchaus sachlich.

Solche Richtlinien zu finden, um die menschliche Organisation nachihrer Ganzheit, nach ihrer Totalität zu durchschauen, beschäftigte micheigentlich, bevor ich überhaupt öffentlich davon gesprochen habe,was etwa im Jahre 1917 geschah, vorher durch dreißig Jahre hindurch.Als verhältnismäßig junger Mensch, in meinen ersten 2 wanziger jähren,habe ich mir die Frage vorgelegt: Gibt es eine Möglichkeit, in diesekomplizierte menschliche Organisation mit gewissen Leitlinien einzu-dringen, so daß man zu irgendeiner Überschau kommt? Und da stelltesich heraus - wie gesagt, was ich jetzt kurz auseinandersetze, war eineArbeit, mit der ich mich dreißig Jahre befaßt habe -, daß man diemenschliche Gesamtorganisation nach drei Aspekten beurteilen kann,so daß man unterscheidet: die Nerven-Sinnesorganisation, die rhyth-

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mische Organisation, und die Stoffwechsel-Gliedmaßenorganisation.Mehr als anderes gehört alles das im menschlichen Organismus zusam-men, was man die Nerven-Sinnesorganisation nennen kann. Und sieist wiederum der Träger alles dessen, was man als das Vorstellungs-leben bezeichnen kann. Aber wiederum als in einer gewissen Bezie-hung in sich geschlossen erweist sich das, was man die rhythmischeOrganisation in der Menschennatur nennen kann: der Atmungsrhyth-mus, der Rhythmus des Blutkreislaufes, der Rhythmus, der sich inSchlafen und Wachen offenbart, und zahlreiches andere, was rhyth-misch im Menschen verläuft. Gerade durch eine sachgemäße, exakteUnterscheidung der rhythmischen Organisation von der Nerven-Sin-nesorganisation kam ich zunächst darauf, diese Gliederung im Men-schen vorzunehmen. Ich mußte mir damals, vor jetzt fast vierzig Jah-ren, wo mehr als heute die prinzipiellen physiologischen Fragen auf denMenschenherzen lasteten, die Frage vorlegen: Ist es denn möglich nachder Erscheinung, die sich in der Erfahrung darbietet, so zu sprechen,daß das gesamte Seelenleben nach Denken, Fühlen und Wollen an dasNervensystem und Sinnessystem gebunden ist? Es ergab sich für michdabei ein unmöglicher Widerspruch: an das Nerven-Sinnessystem sol-len Denken, Fühlen und Wollen gebunden sein? Ich kann heute natür-lich nicht im einzelnen dies ausführen, kann auf alles nur hindeuten;allein gerade wenn wir ins therapeutische Gebiet kommen, wird sichuns manches aufhellen. Wenn man zum Beispiel wirklich mit physiolo-gischem Blick, mit Exaktheit die Wirkungen des Musikalischen auf diemenschliche Organisation studiert; wenn man die enge Gebundenheitim Erleben des Musikalischen an alles Rhythmische im Menschen ken-nenlernt, und wenn man auf der anderen Seite das Seelische im Musika-lischen erfaßt, das Gefühlsmäßige im Erfassen des Melodischen, desHarmonischen unbefangen studiert, so sagt man sich zunächst: Dasganze Gefühlsleben des Menschen ist nicht unmittelbar an das Nerven-system gebunden, sondern es wird erlebt im rhythmischen System;und nur wenn wir ins Vorstellen heraufheben, was wir zunächst anMusikalischem unmittelbar im rhythmischen System erleben und was,indem es dort erlebt wird, Gefühlswelt wird, dann wird die Vorstel-lung davon erst vom Nervensystem getragen. Da kommt man darauf,

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daß das Nervensystem und das rhythmische System wirklich vonein-ander innerlich, organisatorisch voneinander geschieden sind.

Nehmen Sie die gegenwärtige Physiologie mit allem, was sie Ihnenbieten kann; nehmen Sie vor allem alles, was sie Ihnen bieten kannan äußeren Erfahrungen, die Sie mit dem Musikalischen machen kön-nen, und studieren Sie so etwas wie das menschliche Ohr im Wahr-nehmen der Töne, studieren Sie es, dieses Ohr, indem es musikalischgegliederte Töne erfaßt, dann werden Sie sich schon sagen: Hörbares,das heißt sinnlich Wahrnehmbares einer Art, wird zunächst dem rhyth-mischen System des Menschen einverleibt, rhythmet herauf in dieSinnesorganisation, rhythmet heran an das Nervensystem und wirddann durch das Nervensystem vorgestellt. Unmittelbar steht unserrhythmisches System mit dem Gefühlsleben in Verbindung, mittelbarnur das Nervensystem, das der Träger des Denkens ist - der Trägerdes Fühlens jedoch nur insofern, als wir uns unserer Gefühle bewußtwerden in Gedanken, und die Gedanken werden dann vom Nerven-system getragen.

Ebenso kommt man weiter, wenn man das Physiologische bis zudem treibt, was Stoffwechsel-Gliedmaßensystem ist. Es könnte para-dox erscheinen, daß ich diese zwei Dinge zusammenfasse: Stoffwechselund Gliedmaßen; aber Sie brauchen nur zu bedenken, wie alles Moto-rische, alles, was in Bewegung ist und mit den Gliedmaßen zusammen-hängt, auf den Stoffwechsel zurückwirkt. Das Stoffwechsel-Glied-maßensystem ist schon ein einheitliches Ganzes. Und wenn man nichtin konfuser, sondern in exakter Weise die Dinge untersucht, so erweistsich wiederum, daß das Stoffwechsel-Gliedmaßensystem der unmit-telbare Träger aller Willenserscheinungen im Menschen ist. Wiederumist es so: Wenn das, was im Stoffwechsel-Gliedmaßensystem als demTräger der Willenserscheinungen vorgeht, heraufwirkt, heraufkraftetin das rhythmische System - wir haben in der menschlichen Organisa-tion unmittelbar den Zusammenhang zwischen Stoffwechselsystemund rhythmischem System gegeben -, dann geht es ins Gefühl über.Wir entwickeln unsere Gefühle in unserem Willen, indem unser Willesich unmittelbar in den Stoffwechselvorgängen auslebt, unmittelbar.Wir erleben mittelbar im rhythmischen System fühlend den Willen.

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Und wir machen uns Gedanken über das, was wir wollen, indemStoffwechselsystem und rhythmisches System heraufkraften in dasNerven-Sinnessystem.

Da schaut man hinein in eine Gliederung des Menschen, die nunwirklich Leitlinien für ein Durchschauen der menschlichen Organi-sation abgibt. Denn durchschaut man das, was im Nerven-Sinnes-system gegeben ist und vergleicht es mit dem, was im Stoffwechsel-Gliedmaßensystem gegeben ist - lassen wir zunächst das rhythmischeSystem zwischendrinnen liegen -, dann findet man einen vollstän-digen polarischen Gegensatz nach jeder Richtung: Nerven-Sinnessy-stem und Stoffwechsel-Gliedmaßensystem sind polarisch einander ent-gegengesetzt; wo das Stoffwechsel-Gliedmaßensystem aufbaut, da bautdas Nerven-Sinnessystem ab, und umgekehrt. Dieses und vieles andereerweist sich als polarischer Gegensatz. Erst wenn man in dieser Weiseden menschlichen Organismus durchschaut und dann sieht, wie allesdas, was Ich-Organisation ist, im engeren Sinne gebunden ist an dasNerven-Sinnessystem; wie alles das, was Ätherleib des menschlichenOrganismus ist, gebunden ist im engeren Sinne an das Stoffwechsel-Gliedmaßensystem; wie alles das, was astralischer Leib ist, gebundenist an das rhythmische System; und wie der physische Leib das ganzedurchdringt, aber fortwährend überwunden wird von den drei ande-ren Gliedern der menschlichen Organisation, dann lernt man eben auchin das Normale oder Abnorme, in die sogenannten normalen oder ab-normen Prozesse der menschlichen Organisation hineinschauen.

Lassen Sie uns, damit wir das im einzelnen erörtern können, ein-mal etwas im Detail betrachten. Nehmen wir die Nerven-Sinnesorga-nisation. Ich möchte, damit ich nicht mißverstanden werde, hier etwaseinfügen. Ein sehr übelwollender Naturforscher hat, indem er ganzoberflächlich gehört hatte von dieser Gliederung, die ich der mensch-lichen Natur zugrunde legte, gesagt, ich hätte zu unterscheiden ver-sucht zwischen Kopforganisation, Brustorganisation und Unterleibs-organisation: ich hätte gewissermaßen also die Nerven-Sinnesorgani-sation in den Kopf konzentriert, die rhythmische Organisation in dieBrust und die Stoffwechsel-Gliedmaßenorganisation in den Unterleib.Aber das ist natürlich eine ganz übelwollende Auslegung. Denn wenn

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man nicht räumlich abtrennt, dann ist in der menschlichen Organisa-tion das Nerven-Sinnessystem im Kopf hauptsächlich organisiert, aberes ist ebenso in den beiden anderen Systemen zu finden. Die rhyth-mische Organisation ist vorzugsweise in der Mittelorganisation desMenschen lokalisiert,- aber sie ist wieder im ganzen Menschen ausge-breitet. Und ebenso ist die Stoffwechselorganisation überall im Men-schen zu finden. Da handelt es sich nicht um eine Unterscheidungnach räumlich voneinander zu sondernden Organen, sondern um etwas,was man qualitativ erfassen muß, und was in den einzelnen Organenlebt und sie durchdringt. - Wenn man, von dieser Auffassung ausge-hend, die Nerven-Sinnesorganisation studiert, so findet man sie durchden ganzen Organismus ausgebreitet. Nur ist zum Beispiel das Augeoder das Ohr so organisiert, daß es am intensivsten die Nerven-Sinnes-organisation enthält, weniger stark die rhythmische und noch wenigerstark die Stoffwechselorganisation. Ein Organ wie zum Beispiel dieNiere hat nicht so viel von Nerven-Sinnesorganisation in sich wie dasAuge oder das Ohr, aber es hat auch Nerven-Sinnesorganisation, es hatmehr rhythmische, mehr Stoffwechselorganisation, aber es hat alle dreiGlieder der menschlichen Organisation in sich. Und man versteht denMenschen nicht, wenn man ihn so schildert, daß man sagt: hier sindSinne, dort Verdauungsorgane. So ist es ja nicht. In Wirklichkeit ver-hält es sich ganz anders. Ein Sinnesorgan ist nur hauptsächlich Sinnes-organ; jedes Sinnesorgan ist auch in einem gewissen Sinne Verdauungs-organ und rhythmisches Organ. Ein Organ wie die Niere oder dieLeber, ist nur im hauptsächlichsten Sinne Ernährungs- oder Ausschei-dungsorgan; in einem untergeordneten Sinne ist es auch Sinnesorgan.Wenn wir daher von der Nerven-Sinnesorganisation - ihrer Realitätnach, nicht nach den phantastischen Begriffen, die sich die Physiologiesehr häufig macht - hinschauen auf die ganze Organisation des Men-schen mit den einzelnen, spezifizierten Organen, so finden wir, daß derMensch durch die einzelnen Sinne - Sehsinn, Geruchssinn, Gehörsinnund so weiter - die Außenwelt wahrnimmt; aber wir sehen, wie derMensch ganz von Sinnesorganisation durchdrungen ist. Die Niere istzum Beispiel ein Sinnesorgan, das in feiner Weise das wahrnimmt, wasim Verdauungs- und Ausscheidungsprozeß sich vollzieht. Ebenso ist

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die Leber in gewisser Beziehung Sinnesorgan; das Herz ist sogar in ei-nem hohen Grade innerliches Sinnesorgan, und erst dann versteht manes, wenn man es so auffaßt.

Glauben Sie nicht, daß ich ein Kritiker der gegenwärtigen Wissen-schaft irgendwie sein möchte; ich erkenne diese Wissenschaft mit allenihren Verdiensten voll an und mochte, daß gerade unsere Anschauungvoll auf dieser Wissenschaft fußt. Aber man muß sich schon klar wer-den, daß diese Wissenschaft heute durchaus noch nicht die Möglichkeithat, exakt in die Menschennatur hineinzuschauen. Würde sie dies kön-nen, dann würde sie nicht in der Art, wie sie es heute macht, die tie-rische Organisation so nahe an die menschliche heranbringen; denndie tierische liegt gerade in bezug auf das Sinnesleben um ein Niveautiefer als die menschliche Organisation. Die menschliche Nerven-Sin-nesorganisation ist in die Ich-Organisation eingespannt; die tierischeist nur in den astralischen Leib eingespannt. Das Sinnesleben des Men-schen ist ein ganz anderes als das des Tieres. Wenn das Tier irgendwiedurch sein Auge etwas wahrnimmt - Sie können das an einem genaue-ren Studium der Struktur des Auges erkennen -, so geht im Tiere etwasvor, was sozusagen durch den ganzen Leib des Tieres geht; es spieltsich das nicht so ab wie beim Menschen. Beim Menschen bleibt dieSinneswahrnehmung viel peripherischer, viel mehr an der Oberflächekonzentriert. Das können Sie daraus entnehmen, daß im Tiere feineOrganisationen vorhanden sind, die bei höheren Tieren meist nur imÄtherischen da sind. Bei gewissen niederen Tieren aber finden Sie zumBeispiel den Schwertfortsatz, den aber ätherisch auch höhere Tiere ha-ben, oder Sie finden den Fächer im Auge. Das sind Organe, die in derArt, wie sie vom Blut durchdrungen sind, zeigen, daß das Auge an derGesamtorganisation des Tieres teilnimmt und ein Leben im Umkreisder Umwelt vermittelt. Beim Menschen dagegen sehen wir, wie er mitseiner Nerven-Sinnesorganisation ganz anders zusammenhängt unddaher auch in einem viel höheren Sinne als das Tier mit der seinigenin der Außenwelt lebt, während das Tier mehr in sich lebt. Aber alles,was so, durch die höheren geistigen Glieder des Menschen vermittelt,sich auslebt durch die Ich-Organisation als Nerven-Sinnesleben, dasbraucht ja, weil es im Bereiche des physischen Leibes vorhanden ist,

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seine Einflüsse, auch seine stofflichen Einflüsse von der Sinneswelt,von der physischen Welt her.

Studiert man nun exakt das Nerven-Sinnessystem des Menschen,wenn es in vollständig gesundem Zustande im Menschen funktioniert,so findet man es abhängig von einem Stoffe und den Prozessen, diein diesem Stoffe vorgehen. Denn ein Stoff ist ja niemals etwas nurRuhendes, sondern stellt nur dar, was eigentlich ein Vorgang ist. EinQuarzkristall ist zum Beispiel nur deshalb ein Begrenztes, Konturier-tes, weil wir nie sehen, daß dies ein Prozeß ist, ein Prozeß, der zwarsehr langsam abläuft, aber es ist ein Vorgang. Man muß in den mensch-lichen Organismus immer mehr eindringen, die Wechselwirkung ver-stehen. Was als äußerlich Physisches in den Organismus hineinkommt,das muß in der Weise, wie ich es in der Einleitung charakterisiert habe,von dem Organismus aufgenommen und in ihm überwunden werden.Da ist nun ganz besonders das interessant, daß das menschliche Ner-ven-Sinnessystem, wenn es im sogenannten normalen, das heißt, gesundzu nennenden Zustande ist - was natürlich relativ zu nehmen ist -,abhängig ist von einem feinen Prozeß, der sich unter dem Einfluß derin den Organismus eindringenden Kieselsäure abspielt. Die Kieselsäure,die äußerlich in der physischen Natur sich zu dem schönen Quarz-kristall gestaltet, zeigt die Eigentümlichkeit, wenn sie in die mensch-liche Organisation eindringt und von ihr überwunden wird, aufge-nommen zu werden von den Prozessen des Nerven-Sinnessystems; sodaß man, wenn man geistig schauen kann, was im Nerven-Sinnes-system des Menschen vorgeht, einen wunderbar feinen Prozeß sieht,der in der Kieselsäuresubstanz wirkt. Aber wenn Sie auf der anderenSeite auf das schauen, was ich vorhin gesagt habe, daß der Menschüberall Sinn ist, dann werden Sie gewahr, daß nur in dem Umkreisdes Menschen - da, wo die Sinne vorzugsweise konzentriert sind - einintensiver Kieselsäureprozeß sich abspielt; daß aber, wenn man mehrins Innere des Organismus kommt, wo die Organe Lunge, Leber, Nieresind, jener Kieselsäureprozeß weniger stark sich zeigt, wieder dünnerwird, während er dann in den Knochen wiederum stark wird. So be-kommt man auf diese Weise eine merkwürdige Gliederung des Men-schen. Man hat sozusagen die Peripherie und den Umkreis, wo die

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Sinne konzentriert sind; man hat das, was die Gliedmaßen ausfülltund trägt, das Knochensystem; dazwischen hat man das Muskelsystem,das Drüsensystem und so weiter. In dem, was ich als Umkreis und alsdas Zentrierte bezeichnet habe, hat man den stärksten Kieselsäure-prozeß; und man verfolgt in den Organen, die dazwischenliegen, spe-zifiziert überall eigene, aber schwächere Kieselsäureprozesse als imUmkreis. Da sagt man sich: nach außen hin, wo der Mensch von denNerven weiter hinaus übergeht ins Sinnessystem, da braucht er immermehr und mehr Kieselsäure; in der Mitte seines Organismus brauchter verhältnismäßig wenig Kieselsäure; dort aber, wo seinem moto-rischen System das Knochensystem zugrunde liegt, da braucht er wie-derum mehr Kieselsäure.

Damit haben wir durch das Anschauen der ganzen Organisationdes Menschen auch erkannt, wie ein besonders spezifizierter Prozeßim Menschen sich abspielt: ein Kieselsäureprozeß im menschlichen We-sen. Lernt man dies einmal kennen, dann kommt man schon auchdarauf, wie wenig exakt die heutigen physiologischen Angaben sind.Wenn wir heute nämlich - ich betone nochmals: ich will hier nichtkritisieren, ich will nur Angaben machen - das Leben des Menschenim Sinne der gegenwärtigen Physiologie studieren, so werden wir zumBeispiel auf den Atmungsprozeß gelenkt. Er ist in einer gewissen Be-ziehung kompliziert, im wesentlichen aber besteht er darin, daß derMensch von außen Sauerstoff aus der Luft aufnimmt und Kohlen-säure durch die Ausatmung wieder abgibt. Das ist jener rhythmischeProzeß, der eigentlich die Grundlage des menschlichen organischenLebens ist. Wir verfolgen ihn so, daß wir sagen: Sauerstoff wird durchEinatmung aus der Luft aufgenommen, geht durch die Vorgänge, diein der Physiologie beschrieben werden, über in den ganzen Organis-mus, vereinigt sich mit dem Kohlenstoff aus dem menschlichen Blutund wird dann mit der Ausatmung als Kohlensäure wieder ausgeschie-den. Diese Darstellung ist nach einer bloß äußerlichen Beobachtungs-weise richtig. Aber dieser Prozeß, der sich da an dem Sauerstoff undKohlenstoff abspielt, ist mit einem anderen verbunden. Wir atmennämlich nicht bloß Sauerstoff ein und verbinden ihn mit dem Kohlen-stoff in unserer Organisation. Das tun wir vorzugsweise mit demjeni-

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gen Sauerstoff, den wir nach unten in unserer Organisation ausbreiten;den verbinden wir vorzugsweise mit dem Kohlenstoff und atmen ihndann als Kohlensäure wieder aus. Aber es liegt diesem rhythmischenVorgang noch ein anderer, feinerer Prozeß zugrunde. Der Sauerstoffnämlich, der in der menschlichen Organisation gegen den Kopf zuund damit eben - in dem vorher angedeuteten eingeschränkten Sinne -nach dem Nerven-Sinnessystem geht, der verbindet sich mit dem Si-lizium, das heißt mit dem Stoff, den wir Kiesel nennen, und bildetKieselsäure. Und während für das Stoffwechselsystem die Erzeugungvon Kohlensäure das Wesentliche ist, ist für das Nerven-Sinnessystemdie Erzeugung von Kieselsäure im Menschen ein Wesentliches. Nurist das ein feiner Prozeß, den wir nicht mit unseren groben Instrumen-ten schon verfolgen können; aber alle Wege sind da, um ihn auch ein-mal verfolgen zu können. So haben wir also in der Atmung gegebeneinen gröberen Prozeß, wo der eingeatmete Sauerstoff sich mit demKohlenstoff unseres Organismus verbindet und als Kohlensäure ausge-atmet wird. Daneben haben wir einen feineren Prozeß, wo sich derSauerstoff mit dem Silizium zu Kieselsäure verbindet und als solchein die menschliche Organisation hinein abgesondert wird. Und durchdiese Absonderung von Kieselsäure wird der ganze menschliche Orga-nismus - im höheren Maße an der Peripherie, im minderen Maße injedem Organ — zum Sinnesorgan.

Sieht man den menschlichen Organismus in dieser Weise an, dannschaut man in sein feines Gefüge hinein, dann schaut man hin, wiejedes einzelne Organ — und wie es sich mit der Kieselsäure verhält,so verhält es sich mit unzähligen anderen Substanzen - seinen bestimm-ten Gehalt an Prozessen, die an Substanzen gebunden sind, hat undhaben muß. Man muß nun verstehen, wenn man Gesundheit oderKrankheit begreifen will, wie diese Prozesse sich in einem mensch-lichen Organ abspielen. Nehmen wir als Beispiel die menschliche Niere.Man wird nun, wenn man durch irgendwelche Verhältnisse dazu ge-führt wird, diagnostizieren, durch irgendeinen Symptomkomplex glau-ben müssen, daß ein Krankheitsprozeß seinen Hauptquell in der Nierehat. Indem wir Geisteswissenschaft mit anwenden zum Diagnostizie-ren, kommen wir darauf, daß die Niere zu wenig Sinnesorgan ist für

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die umliegenden Verdauungs- und Ausscheidungsprozesse; sie ist zu-viel Stoffwechselorgan, das Gleichgewicht ist also gestört. In solchemFalle haben wir vor allem darüber nachzudenken: Wie machen wirdiese Niere wieder in stärkerem Maße zum Sinnesorgan? - Wir kön-nen sagen: Weil die Niere zeigt, daß sie nicht genügend Sinnesorganfür die Verdauungsprozesse und Ausscheidungen ist, müssen wir dafürsorgen, daß die nötige Kieselsäure an die Niere herankommt. Wirhaben nun im anthroposophischen Sinne drei Wege um dem mensch-lichen Organismus Stoffe zuzuführen, die er im gesunden Zustandebraucht. Der erste Weg ist der, daß wir sie ihm wie die Nahrungs-mittel, per os, innerlich geben als Heilmittel. Da müssen wir aberwarten, ob der ganze Verdauungsorganismus so eingerichtet ist, daßer die Stoffe gerade dorthin trägt, wo sie wirken sollen. Das ist gewißbei sehr vielen Dingen der Fall, und man muß wissen, wie ein Stoff immenschlichen Organismus wirkt, ob er auf Herz oder Lungen wirktund so weiter, wenn wir ihn durch den Mund in die Verdauung hin-einbringen. Als zweiten Weg haben wir den durch Injektion. Da brin-gen wir einen Stoff unmittelbar ins rhythmische System. Da wirktmehr der Prozeß, da wandelt sich das, was in dem Stoffwechsel stoff-liche Organisation ist, gleich in die rhythmische Tätigkeit um, undwir wirken dann unmittelbar auf das rhythmische System. Oder auch,wir versuchen als drittes, dadurch, daß wir den Stoff als Salbe bereitenund am richtigen Orte des Organismus aufstreichen, oder daß wir ihnals Bad verarbeiten, kurz, wir versuchen dadurch zu wirken, daß wirihn mehr äußerlich an den menschlichen Organismus heranbringen.Es gibt ja noch sehr viele Arten. Auf diese Weise also haben wir dreiWege, um mit den Substanzen an den Menschen heranzukommen.

Betrachten wir jetzt also die Niere, die sich uns im Diagnostizierenso zeigt, daß ihre Sinnesfähigkeit herabgestimmt ist. In diesem Fallemüssen wir ihr dann den richtigen Kieselsäureprozeß zuführen. Damüssen wir für eines sorgen: weil bei dem vorhin angedeuteten Pro-zeß im Atmen, wo Sauerstoff sich mit Kiesel verbindet und dann dieKieselsäure sich im ganzen Körper ausbreitet, weil sich nun dabei zuwenig Kieselsäure nach der Niere hinzieht, müssen wir dafür sorgen,daß sich ein stärkerer Kieselsäureprozeß nach der Niere hinzieht. Da-

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zu müssen wir wissen, wie wir dem Organismus, der selber für dieNiere nicht genug Kieselsäure erzeugen kann, zu Hilfe kommen. Damüssen wir dasjenige kennenlernen, was äußerlich dem Prozeß ent-spricht, der der Niere fehlt. Nun, irgendwo in der Natur finden wiretwas, was gerade der Prozeß enthält, der im Organismus an irgend-einer Stelle fehlt. Wir müssen suchen: Wie können wir Mittel undWege finden, um den Kieselsäureprozeß gerade in die Niere hinein-zubringen?

Da finden wir, daß die Nierenfunktion, insbesondere indem sieauch Sinnesfunktion ist, abhängt von dem astralischen Leib des Men-schen. Der astralische Leib liegt namentlich den Ausscheidungspro-zessen, dieser besonderen Form der Abbauprozesse, zugrunde. Dahermüssen wir den astralischen Leib anregen, aber so anregen, daß ergerade an ein Organ, wie es die Niere ist, Kieselsäure heranbringt,die wir irgendwie von außen zuführen. Wir brauchen also ein Mittel,das erstens den Kieselsäureprozeß anregt, zweitens ihn besonders an-regt in der Niere. Wenn wir nun suchen, dann kommen wir im Um-kreis der Pflanzenwelt auf Equisetum arvense, auf den gewöhnlichenAckerschachtelhalm. Der hat das Eigentümliche, daß er in hohemMaße Kieselsäure enthält. Bloße Kieselsäure würde, wenn wir sie demMenschen eingeben, nicht zur Niere hingelangen. Equisetum enthältaußerdem noch schwefelsaure Salze. Wenn wir schwefelsaure Salzeallein anwenden, wirken sie auf das rhythmische System, auf die Aus-scheidungsorgane und auf die Niere ganz besonders. Und wenn sie mitder Kieselsäure so innig verbunden sind, wie das bei Equisetum arvenseder Fall ist - wir können es innerlich geben, aber auch, wenn sich her-ausstellen sollte, daß dies nicht geht, die anderen angegebenen Wegeanwenden -, dann ebnen diese schwefelsauren Salze des Equisetumder Kieselsäure den Weg zur Niere hin.

Jetzt haben wir an einem einzelnen Falle erkannt, was das Patho-logische an der Nierenerkrankung ist. Wir sind ganz exakt dabei vor-gegangen; wir haben das gesucht, was den mangelhaften Prozeß inder Niere ersetzt; wir führen eine Brücke auf, die Schritt für Schrittüberschaubar ist, von der Pathologie zur Therapie.

Nehmen wir einen anderen Fall: Wir hätten es mit irgendwelchen

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Störungen im Verdauungssystem zu tun, Störungen, wie man sie etwazusammenfaßt unter dem Namen Dyspepsie oder dergleichen. Indemman wieder so geisteswissenschaftlich vorgeht, wie ich es charakteri-siert habe, wird man durchschauen können, daß es sich vorzugsweiseum eine fehlerhafte, nicht stark genug wirkende Ich-Organisation han-delt. Warum wirkt diese Ich-Organisation nicht stark genug? Das istjetzt die Frage. Und wir müssen irgendwo im Funktionieren desmenschlichen Organismus suchen, was da zugrunde liegt, daß die Ich-Organisation nicht stark genug wirkt. Wir werden in bestimmtenFällen finden, daß eine mangelhafte Gallenabsonderung vorhandenist. In solchem Falle müssen wir der Ich-Organisation dadurch zuHilfe kommen, daß wir ebenso, wie wir es vorher mit dem Equise-tum gegenüber der Nierenfunktion getan haben, es nun gegenüber derGallenabsonderungsfunktion auch dazu bringen, dem Organismusirgend etwas zuzuführen, was, wenn es durch seine Zusammensetzungan seinen richtigen Platz kommt, einer zu schwach wirkenden Ich-Organisation hilft. Ebenso wie wir finden, daß der Kieselsäureprozeß,wenn er in der richtigen Weise - als der Prozeß, der dem normalfunktionierenden Nerven-Sinnessystem zugrunde liegt - in die Niereeingeführt wird, ihre Sinnesfähigkeit hebt, so finden wir, daß Pro-zesse wie die Gallenabsonderung, die vorzugsweise der Ich-Organi-sation entsprechen, nun zusammenhängen mit einer ganz bestimmtenArt, wie - mit anderen im Verhältnis zusammen - Kohlenstoff imOrganismus wirkt. Da stellt sich zum Beispiel das Merkwürdige her-aus: Wenn wir den Kohlenstoff in der richtigen Weise so in den Orga-nismus einführen wollen, daß wir gerade der Dyspepsie begegnen,dann finden wir, daß der Kohlenstoff, der ja natürlich in jeder Pflanzeenthalten ist, gerade im Cichorium intybus so enthalten ist, daß er hin-dirigiert wird zum Gallenfunktionsorgan. Wenn wir aus Cichoriumintybus das richtige Präparat zu gewinnen wissen, dann leiten wir inderselben Art einen gewissen Kohlenstoffprozeß zur Gallenfunktionhin, wie wir mit dem Equisetumpräparat einen Kieselsäureprozeß indie Niere hineinbringen.

Ich habe Ihnen hier an leicht überschaubaren Beispielen, die aufleichte, unter Umständen auch auf sehr schwere Krankheitsfälle hin-

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weisen können, das Prinzip anzudeuten versucht, wie durch ein gei-steswissenschaftliches Durchschauen des menschlichen Organismus aufder einen Seite, der verschiedenen Naturgeschöpfe und ihrer Wechsel-beziehungen auf der anderen Seite, zustande kommen kann: Erstensein Durchschauen des Krankheitsprozesses, zweitens aber ein Durch-schauen dessen, was notwendig ist, um den Erkrankungsprozeß, derin einer bestimmten Richtung abläuft, zum Umkehren zu bringen.Das Heilen wird dadurch zu einer durchschaubaren Kunst. Das ist das,was Arzneikunst, Heilkunst, Medizin haben kann von jener wissen-schaftlichen Forschungsart, die hier Anthroposophie genannt wird. Dasist durchaus keine Phantasterei, Das ist eigentlich das, was bis zuralleräußersten Exaktheit - wie ich das neulich schon gesagt habe - dasForschen dahin bringt, vor allem den ganzen Menschen zu durch-schauen, ihn zu begreifen nach der Seite des Physischen, des Seelischenund des Geistigen. Und im Menschen hängt der gesunde und der krankeZustand von dem Wirken des Physischen, des Seelischen und des Gei-stigen ab. Dadurch, daß man den Menschen gliedert nach Nerven-Sinnessystem, rhythmischem System und Stoffwechsel-Gliedmaßen-system, schaut man auch hinein in die verschiedenen Prozesse und ihreGrade. Man lernt erkennen, wie in der Niere Sinnesfunktion vorhan-den ist, wenn man erst aufmerksam wird auf das Wesentliche der Sin-nesfunktion; sonst sucht man die Sinnesfunktion nur in den gröberenArten in den gewöhnlichen Sinnen. Dann aber kommt man dahin,Krankheiten als solche zu durchschauen.

Ich sagte schon, daß im Stoffwechsel-Gliedmaßensystem die ent-gegengesetzten Prozesse desjenigen vor sich gehen, was im Nerven-Sinnessystem sich abspielt. Aber es kann sein, daß Prozesse, die ihrervorzüglichsten Wesenheit nach Nerven-Sinnesprozesse sind und zumBeispiel in den Kopfnerven vor sich gehen, dort also normal sind,nach dem Stoffwechsel-Gliedmaßensystem gewissermaßen disloziertwerden können; daß dann im Stoffwechsel-Gliedmaßensystem durchAbnormität des astralischen Leibes und der Ich-Organisation etwasvorgehen kann, was richtig, normal in der Nerven-Sinnesorganisationvor sich gehen würde. Das heißt, daß dasjenige, was für ein Systemdas Richtige ist, sich für ein anderes System metamorphosieren und

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krankmachend sein kann. Dann entsteht dadurch, daß ein Prozeß,der zum Beispiel ins Nerven-Sinnessystem gehört, in einem anderenSystem erscheint, ein Krankheitsprozeß. Das ist beim Typhus der Fall.Der Typhus stellt einen Prozeß dar, der ins Nervensystem gehört. Wäh-rend er sich dort abspielen sollte in der physischen Organisation, spielter sich tatsächlich ab in der Gegend des Stoff Wechselsystems innerhalbder ätherischen Organisation, des Ätherleibes, überträgt sich auf denphysischen Leib und tritt als Typhus zutage. Da sieht man hinein indas Wesen eines Erkrankens. Oder es kann auch das eintreten, daßdiejenige Dynamik, diejenigen Kräfte, die in einem Sinnesorgan tätigsind, in einem gewissen Grade dort tätig sein müssen, damit das Sin-nesorgan als solches entsteht, am falschen Orte sich betätigen. Was ineinem Sinnesorgan wirkt, das kann irgendwie transformiert auch aneinem anderen Orte sich betätigen. Nehmen wir die Tätigkeit desOhres: Anstatt im Nerven-Sinnessystem prägt sie sich aus - durch Um-stände, die auch beschrieben werden können — an einer anderen Stelle,zum Beispiel irgendwo im Stoffwechselsystem, da, wo dieses sich ver-bindet mit dem rhythmischen System. Dann kommt am falschen Orteein abnormes Hintendieren nach einem Sinnesorgan zustande. Unddas tritt auf als Karzinom, als Krebsbildung. Nur wenn Sie so diemenschliche Organisation zu durchschauen vermögen, können Sie er-kennen, daß Sie im Karzinom gewissermaßen eine über die Systeme hindislozierte Sinnesbildungstendenz haben.

Wenn von der Befruchtung der Medizin durch die Anthroposophiegesprochen wird, dann handelt es sich also darum, daß man hinein-schauen lernt, wie Abnormes im menschlichen Organismus sich da-durch bildet, daß etwas, was in einem bestimmten Systeme normalist, in ein anderes System hineinversetzt wird. Indem man aber so denmenschlichen Organismus durchschaut, kommt man erst dadurch indie Lage, ihn im gesunden und kranken Zustande wirklich verstehenund dann die Brücke schlagen zu können von der Pathologie zur The-rapie, vom Beobachten des Kranken zum Heilen. Wenn diese Dingeim Zusammenhange dargestellt werden, wird man schon sehen, wiedas, was von einem solchen Gesichtspunkte aus gesagt werden kann,durchaus nicht im Widerspruche steht zu der modernen Medizin. Als

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ein erstes darüber wird - ich glaube in recht kurzer Zeit - das Bucherscheinen können, das von Frau Dr. Wegman, der Leiterin des Kli-nisch-Therapeutischen Instituts in Ariesheim, mit mir zusammen ge-schrieben, veröffentlicht werden wird, und das im Zusammenhangedarstellen soll, was von einem solchen geisteswissenschaftlichen Ge-sichtspunkte aus - nicht im Widerspruche, sondern als Ergänzung dermodernen Medizin - gesagt werden kann. Man wird sich dann über-zeugen können, daß es sich nicht um irgendwelche Flunkereien handelt,wie sie heute an der Tagesordnung sind; sondern jenes Buch wird ineiner Weise, die der modernen Wissenschaft durchaus gerecht wird, dieBefruchtung zeigen, die durch die geisteswissenschaftliche Forschungfür die Heilkunst eintreten kann. Gerade wenn man immer mehr undmehr im Detail, mit wissenschaftlicher Gewissenhaftigkeit diese Dingeverfolgen wird, dann wird man auch die Bemühungen erkennen, diein einem solchen Institut wie den Internationalen Laboratorien in Ar-iesheim gemacht werden, wo nach den hier dargestellten Prinzipieneine ganze Reihe neuer Heilmittel hergestellt werden.

Im dritten Vortrage wird es meine Aufgabe sein, durch die Be-trachtung ganz bestimmter einzelner Krankheitsfälle und ihrer mög-lichen Heilungen - soweit das hier in populärer Weise auseinander-gesetzt werden kann - weiter zu erhärten, was über eine rationelleTherapie bisher schon angedeutet worden ist. Wer durchschauen kann,um was es sich hier handelt, der wird wirklich keine Furcht und Sorgehaben vor einem genauen Prüfen dessen, was hier angedeutet ist. Wirwissen, daß es auch mit dieser Sache so sein wird, wie auf dem Gesamt-gebiete der Anthroposophie: Schimpfen, abkanzeln und kritisierenwerden die Sache zunächst die, die sie nicht im Detail kennenlernen.Mit dem Schimpfen werden dann diejenigen aufhören, die sie im Detailkennenlernen. Deshalb werde ich im nächsten Vortrage noch einiges anEinzelheiten anführen, was zeigen soll, daß man nicht mit Umgehungder modernen Wissenschaft, sondern im vollen Einklänge mit ihr -aber mit dem Drang, aus geistiger Erkenntnis heraus diese Wissenschaftzu ergänzen — auf dem Gebiete anthroposophischer Medizin vorgehenwill. Dann erst, wenn das verstanden wird, wird die Heilkunst aufihrem richtigen Boden stehen. Denn die Heilkunst hat mit dem Men-

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sehen zu tun. Der Mensch ist ein Wesen, das sich gliedert nach Leib.Seele und Geist. Eine wirkliche Medizin kann daher nur bestehen,wenn sie auch eindringt in eine Erkenntnis des Menschen nach Leib.Seele und Geist.

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N E U N T E R VORTRAG

Arnheim, 24. Juli 1924

Was ich in den ersten beiden Vorträgen über allgemeine Prinzipienvorbrachte, durch welche die Heilkunde befruchtet werden kann durchdie anthroposophische Forschung, das möchte ich heute nach der einenoder anderen Seite hin durch Einzelheiten ergänzen, durch solche Ein-zelheiten, die zugleich zeigen können, wie man, indem man von dieserSeite her durch Anthroposophie ins praktische Leben hineinwirkt, tat-sächlich auch zu einer lebensfreundlichen, zu einer wirklichkeitsge-mäßen Handhabung - wenn ich so sagen darf - des Lebens kommt.

In den ersten beiden Vorträgen habe ich angedeutet, wie Anthro-posophie genötigt ist, die gesamte menschliche Wesenheit zu gliedernin den physischen Leib, der für die äußeren Sinne wahrgenommenwerden kann, der aber im Laufe des Erdenlebens wiederholt abge-worfen und neu gebildet wird; wie dann innerhalb dieses physischenLeibes lebt der sogenannte Äther- oder Lebensleib, der die Wachs-tumskräfte, die Ernährungskräfte in sich enthält, und den der Menschmit der Pflanze gemeinschaftlich hat; wie wir aber dann beim Men-schen weiter unterscheiden müssen den Träger des Empfindungslebens,des Lebens, das innerlich die äußere Welt spiegelt. Wir kommen damitzu dem astralischen Leib. - Ich sagte schon, man braucht sich an Aus-drücken nicht zu stoßen, sondern sie nur als das zu nehmen, als wassie hier erklärt werden. - Diesen astralischen Leib hat der Menschnun mit dem Tiere gemeinschaftlich. Dann ragt aber der Mensch überdie übrigen Naturreiche innerhalb seiner Erdenumgebung dadurchhinaus, daß er in sich trägt die Ich-Organisation.

Wenn wir nur im allgemeinen den Menschen so gliederten, dannwürde eine solche Gliederung eigentlich ihrem Werte nach gar nichteingesehen werden können. Wenn man aber dazu kommt, einzusehen,welche reale Bedeutung diese vier Glieder der menschlichen Naturhaben, dann wird man nicht mehr eine bloße philosophische Begriffs-auseinandersetzung oder nur eine Einteilung der am Menschen vor-kommenden Erscheinungen darin finden; sondern dann wird man

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einsehen, daß mit einer solchen Gliederung etwas gewonnen ist fürdas Hineinschauen in die menschliche Wesenheit. Und man brauchtja nur auf eine alltägliche Erscheinung im menschlichen Leben hinzu-blicken, auf den Wechselzustand von Wachen und Schlafen, dannwird man schon finden, welche Bedeutung eine solche Gliederung hat.Alltäglich sehen wir den Menschen aus dem Zustande, in dem er voninnen heraus seine Glieder bewegt und aus der Außenwelt die Ein-drücke aufnimmt, um sie innerlich zu verarbeiten, übergehen in den-jenigen Zustand, wo er schlafend regungslos daliegt, wo sein Bewußt-sein hinuntersinkt - wenn nicht die Träume heraufgaukeln - in eineinnere, unbestimmte Finsternis. Will man nämlich nicht annehmen,daß das, was im Menschen innerlich lebt, innerlich west als Wollen,Fühlen und Denken, beim Einschlafen ins Nichts vergeht, beim Auf-wachen aus dem Nichts wieder zurückkehrt, dann wird man sichfragen müssen: Wie verhält sich denn der wachende Mensch zumschlafenden Menschen?

Da zeigt uns diejenige Anschauung, die in der Lage ist, auf diesehöheren, übersinnlichen Glieder der menschlichen Wesenheit hinzu-blicken, daß dasjenige, was vom Menschen während des Schlafens imBette liegt, nur den physischen Leib und den Äther- oder Lebensleibenthält, während der astralische Leib und die Ich-Organisation sichvon den beiden anderen Gliedern getrennt haben. Sobald wir aber -und ich kann diese Dinge natürlich hier nur andeuten als Ergebnissegeisteswissenschaftlicher, anthroposophischer Forschung, die so sicherstehen wie nur irgendein mathematisches oder naturwissenschaftlichesErgebnis - darauf gekommen sind, daß der Mensch sein Astralischesund seine Ich-Organisation, also sein eigentliches reales Geistig-See-lisches, während des Schlafes herausheben kann aus der physischenOrganisation, dann kommt man auch auf ein anderes: daß dieses ra-dikale, dieses totale Herausheben während des Schlafes teilweise, par-tiell, auch während des Wachens eintreten kann. Wir brauchen ja nurdarauf hinzuschauen, wie es in der menschlichen Wesenheit immer-hin Zustände gibt, die gewissermaßen das Schlafen anheben, aber esnicht bis zum völligen Schlafen bringen: Ohnmachtszustände, Be-wußtlosigkeit, Betäubungszustände. Das sind Zustände, in denen die

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menschliche Wesenheit gewissermaßen das Schlafen anhebt, aber nichtbis zum völligen Schlafen kommt, wo sie so schwebt zwischen Schlafenund Wachen. Was liegt denn beim Menschen vor, wenn derartige Zu-stände eintreten?

Um das zu verstehen, muß man völlig in die menschliche Wesen-heit hineinschauen können. Dazu muß man dessen gedenken, was ichim letzten Vortrage als ein anthroposophisches Forschungsergebnis aus-einandergesetzt habe. Ich sagte, daß es möglich geworden ist, die ge-samte Organisation des Menschen zu gliedern nach dem Nerven-Sin-nesorganismus, nach dem rhythmischen Organismus, der alle rhyth-mischen Vorgänge als Funktionen umfaßt, und nach dem Stoffwech-sel-Gliedmaßenorganismus. Und ich sagte auch schon, daß der Stoff-wechsel-Gliedmaßenorganismus polarisch entgegengesetzt ist demNerven-Sinnesorganismus, während der rhythmische zwischen beidenvermittelt. Wir können uns schematisch dieses Verhältnis durch dieZeichnung versinnlichen, in der mit A der Nerven-Sinnesorganismus,mit C der Stoffwechsel-Gliedmaßenorganismus angedeutet sein soll,während B den rhythmischen Organismus darstellen soll, der die bei-

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den anderen verbindet, in beide hineingestellt ist. Natürlich ganz sche-matisch. Durch alle drei dieser Systeme der menschlichen Natur gehenhindurch diese vier Glieder der menschlichen Wesenheit: der physischeLeib, der Äther- oder Lebensleib, der astralische Leib und die Ich-Organisation. Aber die menschliche Wesenheit ist eben durchaus kom-pliziert. Und es ist nicht so, daß man unter allen Umständen sagenkann wie: im Schlafe geht der ganze astralische Organismus und dieganze Ich-Organisation aus dem physischen und dem ätherischen Or-ganismus heraus. Sondern es kann so sein, daß der Nerven-Sinnes-organismus bis zu einem gewissen Grade von dem astralischen Leibund von der Ich-Organisation verlassen wird. Dann ist, weil der Ner-ven-Sinnesorganismus, wenn er auch den ganzen Menschen erfüllt,hauptsächlich im Haupt konzentriert, lokalisiert ist, dann ist im Ge-gensatz der menschliche Kopf genötigt, so etwas zu entwickeln, wasgegen den Schlaf hinüberneigt. Aber der Mensch schläft nicht; dennsein Stoffwechsel-Gliedmaßensystem und sein rhythmisches Systementhalten noch voll den astralischen Organismus und die Ich-Organi-sation. Diese beiden sind nur aus dem Haupte heraus. Dadurch wirdim Kopfe ein dumpfer, ein Betäubungszustand, ein Ohnmachtszustandhervorgerufen. Der übrige Organismus aber funktioniert wie im Wach-leben.

Was ich Ihnen hier geschildert habe, das braucht für den Men-schen nicht bloß als irgendein Zustand einzutreten, der durch das oderjenes von innen heraus bestimmt ist, sondern es kann dadurch eintre-ten, daß wir Äußeres auf den Menschen wirken lassen, indem wirihm zum Beispiel eine gewisse Quantität Blei oder einer Bleiverbindungbeibringen. Was den Betäubungszustand, den Schwindelzustand durchAbtrennen des astralischen Leibes und der Ich-Organisation vomHaupte bewirkt, also diesen partiellen Schlafzustand, das können wirdadurch hervorrufen, daß wir dem menschlichen Organismus eine ge-wisse Dosis Blei zuführen. Wir sehen daraus, daß diese äußere Sub-stanz, das Blei, indem es in den menschlichen Organismus eingeführtwird, den astralischen Organismus und die Ich-Organisation aus demKopfe heraustreibt. Wir blicken damit tief hinein in die menschlicheOrganisation, in ihr Verhältnis zur Umwelt; wir sehen, wie der

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menschliche Organismus abhängig werden kann von dem, was er indieser Weise aufnimmt.

Aber nehmen wir jetzt an, wir finden, daß der Mensch die ent-gegengesetzten Zustände von denjenigen zeigt, die ich soeben geschil-dert habe, daß er zeigt: sein astralischer Leib und seine Ich-Organi-sation stecken zu intensiv im Kopfe drinnen, wirken zu stark auf denKopf. Worin sich das zeigt, kann uns klarwerden, wenn wir einmalprüfen, wie die Hauptesorganisation auf den ganzen menschlichenOrganismus wirkt, wenn wir studieren, wie der Organismus sich über-haupt aufbaut. Wir sehen in ihm entstehen die ganz festen Teile, dieSkeletteile; wir sehen weiter die weicheren Teile, die Muskeln undso weiter entstehen. Studieren wir die menschliche Entwickelung vonKindheit auf, so finden wir, daß derjenige Teil des Organismus, deruns zunächst durch seinen äußeren Bau zeigt, wie er nach der Ver-knöcherung hinneigt, der uns durch seine ganze Organisation zeigt,daß er in der Verknöcherung sein Wesentlichstes hat, das Haupt, durchdie ganze Entwickelung hin die Kräfte ausstrahlt, welche skelettbil-dend sind und damit verhärtend, versteifend in der menschlichen We-senheit wirken. Wir kommen allmählich darauf, welche Aufgaben dieIch-Organisation und der astralische Organismus im Menschen haben,indem sie den Kopf durchdringen: sie wirken so, daß der Mensch vomKopfe aus im wesentlichen diejenigen Kräfte ausstrahlt, die ihn inner-lich verhärten, die namentlich dahin wirken, daß er feste Teile aus-sondert aus seiner mehr flüssigen Organisation. Wirken nun im mensch-lichen Haupt der astralische Leib und die Ich-Organisation zu stark,dann wirkt vom Kopfe ausstrahlend ein zu starkes Prinzip der Ver-härtung, des Sich-Versteifens. Und die Folge ist, was wir an dermenschlichen Organisation beobachten, wenn wir alt werden, wo wirsozusagen die Anlage zur Knochenbildung im Entstehen in der Ar-teriosklerose, in der Verkalkung der Adern, in uns tragen. Das Ver-steifungs- oder Verhärtungsprinzip, das sonst in die Knochen hinein-schießt, das schießt in der Sklerose in übermäßiger Weise in den Or-ganismus hinein. Wir haben es zu tun mit einer starken Wirkung derIch-Organisation und des astralischen Leibes; diese beiden setzen sichgewissermaßen zu tief in den Organismus hinein.

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Hier beginnt die Anschauung von dem astralischen Leib sehr wirk-lichkeitsgemäß zu werden. Denn bringen wir dem Organismus Bleibei und ist er normal, so drängen wir seinen astralischen und seinenIch-Organismus aus dem Kopfe heraus. Stecken diese beiden aberzu stark im Kopfe drinnen, und bringen wir ihm dann die entspre-chende Dosis Blei bei, so haben wir recht, daß wir die astralische unddie Ich-Organisation etwas aus dem Kopfe herausbringen: wir be-kämpfen die Sklerose. Hier sehen wir, wie wir durch äußere Mittelauf diesen Zusammenhang der menschlichen Wesensglieder wirkenkönnen: indem wir dem gesunden Organismus Blei beibringen, kön-nen wir dahin wirken, daß er krank, betäubt, ohnmächtig wird, in-dem aus seiner Hauptesorganisation der astralische Leib und das Ichsich abgliedern, wie sonst nur im Schlafe; stecken sie aber zu tief imKopfe drinnen, wacht der Mensch zu stark, bewirkt er durch seinfortdauerndes zu starkes Wachsein, daß er sich innerlich verhärtet,dann kommt er in die Sklerose, und wir tun in diesem Falle recht,astralischen Leib und Ich aus dem Haupte etwas herauszutreiben. Wirsehen so die innere Wirkung des Heilmittels ein, indem wir gerade dieverschiedenen Glieder der menschlichen Natur überblicken.

Nehmen wir nun den entgegengesetzten Fall an: wir haben die-selben Erscheinungen in der Stoffwechsel-Gliedmaßenorganisation.Wenn der Mensch völlig schläft, sind der astralische Leib und dieIch-Organisation auch aus der Stoffwechsel-Gliedmaßenorganisationheraus. Aber ohne daß wir den astralischen Leib und das Ich aus demHaupte heraustreiben, können wir sie aus dem Stoffwechsel-Glied-maßensystem heraustreiben; denn wie wir durch Blei die astralischeund die Ich-Organisation aus dem Kopfe herausbringen, Betäubungenund dergleichen hervorrufen, so können wir, indem wir eine gewisseDosis Silber oder einer Silberverbindung dem Menschen beibringen,die astralische und Ich-Organisation aus dem Stoffwechsel-Gliedma-ßensystem heraustreiben. Wir bekommen dann entsprechende Erschei-nungen in der Verdauung, bekommen Verhärtung in den Abschei-dungen, Störung im Verdauungssystem und so weiter.

Nehmen wir aber an, wir haben im Organismus ein zu starkesDurchsetztsein unserer Verdauungsorgane durch den astralischen Leib

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und durch das Ich. Nun sind diese beiden, astralischer Leib und Ich,die eigentlichen Akteure, die tätigen Motore für die Verdauungsorga-nisation eben im Stoffwechsel-Gliedmaßensystem. Wenn sie zu starkwirken, sich gewissermaßen zu tief hineinsetzen, dann wird zuvielverdaut, zu stark verdaut. Wir bekommen eine zu schnelle Verdauung,bekommen die Erscheinung von Durchfällen und alles, was damit zu-sammenhängen kann; wir bekommen auch diejenigen Erscheinungen,die als Folgezustände einer solchen zu oberflächlichen, weil zu schnellvollzogenen Verdauung eintreten.

Aber das ist mit noch etwas anderem verbunden, damit nämlich,daß die Stoffwechsel-Gliedmaßentätigkeit im Überschusse vorhandensein wird. Im menschlichen Organismus wirkt aber alles zusammen.Ist die Stoffwechsel-Gliedmaßentätigkeit im Überschüsse vorhanden,so wirkt sie zu stark, wirkt sowohl auf die rhythmische Organisationwie auf die Kopf Organisation, namentlich aber auf die rhythmische;denn in dieser setzt sich die Verdauungsorganisation fort, das Ver-daute wird in Blut verwandelt. Von dem, was da stofflich-substantiellin das Blut hineinkommt, hängt wiederum der Rhythmus im Bluteab. Wir bekommen, indem so etwas eintritt, daß der astralische Leibund das Ich zu stark wirken, Fiebererscheinungen, gesteigerte Tem-peratur. Wenn wir jetzt wissen, wir treiben den astralischen Leib unddie Ich-Organisation aus dem Stoffwechsel-Gliedmaßensystem heraus,indem wir dem Menschen eine Dosis Silber zuführen, dann wissen wirjetzt weiter: wenn nun der astralische Organismus und die Ich-Orga-nisation zu tief drinnenstecken im Stoffwechsel-Gliedmaßensystem,so können wir sie nun durch Silber oder eine Silberverbindung als Heil-mittel aus diesem System herausbringen.

Daraus sehen Sie wieder, wie wir imstande sind, diese Zusammen-hänge in der menschlichen Wesenheit beherrschen zu lernen. Und soversucht die Geisteswissenschaft, die ganze Natur «abzusuchen». Ichhabe das letzte Mal gezeigt, im Prinzip, wie man das in bezug aufPflanzen Wesenheiten tun kann; ich habe heute gezeigt, wie man esin bezug auf zwei mineralische Substanzen, Blei und Silber, tun kann.Man lernt das Verhältnis des menschlichen Organismus in bezug aufseine Umgebung dadurch durchschauen, daß man erst aufmerksam

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wird, wie diese verschiedenen Substanzen, die in der Umwelt sind,von den verschiedenen Gliedern der menschlichen Wesenheit verar-beitet werden.

Und nun wollen wir einmal versuchen, ein Beispiel uns vor dieSeele zu rücken, das uns zeigen wird, wie es möglich ist, aus der in-neren Einsicht in die Wirkungsweise der menschlichen Organisationvom pathologischen Zustand zum Durchschauen des Therapeutischenzu kommen. Dazu muß ich etwas vorausschicken. - Wir haben eigent-lich immerfort eine Art Heilmittel in uns. Die menschliche Naturbraucht immerfort eine Art Heilmittel, es ist selbstverständlich nichtganz genau gesprochen, indem ich dies sage, aber Sie werden sogleichverstehen, was gemeint ist. Die menschliche Natur neigt nämlich da-zu, daß die Ich-Organisation und der astralische Leib eigentlich zustark in den physischen Leib und Ätherleib versinken möchten. DerMensch möchte immer mehr oder weniger nicht hell, sondern dumpfin die Welt hinausschauen; er möchte auch nicht rührig sein, er möchteeigentlich ruhen, hat so eine Vorliebe für Ruhe. Er hat eigentlich im-mer die Krankheit des Ruhenwollens etwas in sich. Die muß ihm ge-heilt werden. Und wir sind nur gesund, wenn der menschliche Orga-nismus fortwährend geheilt wird. Zu diesem Heilen ist das Eisen imBlute. Das Eisen ist dasjenige Metall, das immerfort auf den Orga-nismus so wirkt, daß astralischer Leib und Ich sich nicht zu starkmit physischem Leib und Ätherleib verbinden. Wir haben eigentlichim Menschen fortwährend eine Therapie: die Eisentherapie; und wirhaben in dem Moment, wo der Mensch zu wenig von dem Eisen in sichträgt, sogleich die Sehnsucht, ruhig zu werden, schlaff zu werden;und sobald der Mensch zu viel an Eisen in sich entwickelt, habenwir ein unwillkürliches Regsamsein, ein Zappeligsein. Das Eisen istder Regulator des Zusammenhanges zwischen physischem Leib undätherischem Leib einerseits und astralischem Leib und Ich-Organi-sation andererseits. Wenn also in diesem Zusammenhange irgend etwasgestört ist, so werden wir auch sagen können: Vermehrung oder Ver-minderung des Eisengehaltes im menschlichen Organismus wird dasrichtige Verhältnis wieder herstellen.

Nun betrachten wir einmal eine Krankheitsform, die von der Me-

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dizin nicht sehr geschätzt wird. Man kann ganz gut verstehen, warum.Sie ist nämlich zunächst so verworren, scheinbar, daß man nicht so-gleich darauf kommt, worin sie besteht. Daher gibt es dafür auch allemöglichen Heilmittel, so daß, wenn jemandem ein solches empfoh-len wird, man auch sagt: dafür hat ja schon jeder der Heilmittelerfin-der ein Mittel erfunden. Es ist die Krankheit, die zwar von der Medi-zin, wie gesagt, nicht sehr geschätzt wird, aber die doch für die vonihr Betroffenen sehr unangenehm ist: die Migräne. Die Migräne scheintverworren zu sein, weil sie in der Tat im Grunde recht kompliziertist. - Wenn wir den menschlichen Hauptesorganismus betrachten, sohaben wir in ihm, zunächst mehr zentral gelegen, die Ausläufer derSinnesnerven, die in einer wunderbaren Weise sich vernetzen und ver-stricken. Was mehr in der Mitte des Gehirns im menschlichen Haupteliegt, was die Organisation der Sinnesnerven nach innen ist, das isteigentlich ein Wunderbau. Das ist im Grunde genommen dasjenige,was am vollkommensten in bezug auf die physische Organisation da-steht; denn da prägt sich das Ich des Menschen in seiner Wirksamkeitauf den physischen Leib am allerintensivsten aus. In jener Art, wie dieSinnesnerven nach innen gehen, sich miteinander verbinden, etwas wieeine innere Gliederung im ganzen Organismus bewirken, da strebt diemenschliche Organisation über das Tierische weit, weit hinaus. Das istein Wunderbau. Und da ist es sehr leicht möglich, daß - weil geradedort die menschliche Ich-Organisation, das höchste Glied der mensch-lichen Wesenheit, eingreifen muß, um diesen Wunderbau zu regulie-ren -, diese Ich-Organisation zeitweilig versagt, so daß die physischeOrganisation an dieser Stelle sich selbst überlassen ist. Es ist durchausmöglich, daß sich in dieser sogenannten weißen Substanz des Gehirnsergibt: die Ich-Organisation ist nicht mächtig genug, um sie zu durch-dringen, um sie ganz durchzuorganisieren. Es fällt die physische unddie ätherische Organisation aus der Ich-Organisation heraus, und soetwas wie Fremdorganisation gliedert sich dem menschlichen Organis-mus ein.

Nun ist die weiße Gehirnsubstanz umgeben von der grauen Ge-hirnsubstanz, von jener Substanz, die viel weniger fein gegliedert ist,die zwar von der gewöhnlichen Physiologie als die bedeutendere an-

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gesehen wird, aber es nicht ist, deshalb nicht ist, weil sie viel mehr mitder Ernährung zusammenhängt. Wir haben eine viel regsamere Tätig-keit in bezug auf Ernährung, in bezug auf innere Ansammlung vonStoffen in der grauen Gehirnsubstanz als in der weißen, die in derMitte liegt, die viel mehr dem Geistigen zugrunde liegt. - Nun hängtaber im menschlichen Organismus alles zusammen, denn jedes Gliedwirkt auf jedes andere. Und in dem Augenblick, wo das Ich beginnt,sich gewissermaßen von der mittleren Gehirnsubstanz, der weißen, zu-rückzuziehen, kommt die graue auch gleich in Unordnung. Der astra-lische Leib und der Ätherleib können in die graue Gehirnsubstanznicht mehr ordentlich eingreifen; dadurch entsteht im ganzen Innerendes Hauptes eine Unregelmäßigkeit. Die Ich-Organisation zieht sichvom Mittelgehirn, die astralische Organisation mehr vom Umfangedes Gehirns zurück; die ganze Organisation des menschlichen Haupteswird verschoben. Das mittlere Gehirn fängt an, weniger dem Vorstel-len zu dienen, ähnlicher zu werden dem grauen Gehirn, eine Art Ver-dauung zu entwickeln, die es nicht entwickeln sollte; die graue Gehirn-substanz fängt an, stärker Verdauungsorgan zu werden, als sie es seinsollte, sie sondert zu stark ab. Fremdkörpereinschlüsse, zu starke Ab-sonderungen durchdringen das Gehirn. Alles aber, was in dieser Weiseim Haupte sich ausorganisiert, wirkt wieder zurück auf die feinerenAtmungsprozesse, namentlich aber auf die rhythmischen Prozesse derBlutzirkulation. Wir haben eine zwar nicht sehr tiefgehende, aber dochbedeutungsvolle Unordnung im menschlichen Organismus und müssennun die wichtige Frage auf werfen: Wie bringen wir in das eigentlicheNervensystem, in diese Fortsetzung der Nerven von außen nach innen,wieder die Ich-Organisation hinein? Wie treiben wir das Ich wiederdorthin, wovon es sich zurückgezogen hat: in die mittleren Gehirnpar-tien?

Das erreichen wir, indem wir diejenige Substanz anwenden, derenWirkungsweise ich in den zwei ersten Vorträgen dargelegt habe: in-dem wir dem Organismus Kieselsäure beibringen. Würden wir aberbloß Kieselsäure anwenden, dann würden wir bewirken, daß das Ichzwar in die mittlere Nerven-Sinnesorganisation des Hauptes unter-taucht, aber wir ließen die Umgebung, das heißt die graue Gehirnsub-

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stanz, so wie sie ist. Wir müssen deshalb zu gleicher Zeit den Verdau-ungsprozeß in der grauen Gehirnsubstanz so regeln, daß er nicht über-sprudelt, daß er sich rhythmisch eingliedert in den ganzen normalenZusammenhang der menschlichen Wesenheit. Daher müssen wir gleich-zeitig dem Organismus das Eisen zuführen, das da ist, um diesen Zu-sammenhang immerfort zu regeln, um den rhythmischen Organismusin der richtigen Weise zum ganzen geistigen System des Menschen inZusammenhang zu stellen.

Nun merken wir aber zugleich, daß wir zu Unregelmäßigkeiten inder Verdauung gerade im Großhirn neigen. Im menschlichen Orga-nismus geschieht aber nichts, ohne daß etwas anderes auch beeinträch-tigt wird. Und so treten im ganzen Verdauungssystem dann leise, feineUnordnungen ein. Indem wir nun wiederum die äußeren Substanzenim Zusammenhange mit dem menschlichen Organismus studieren,kommen wir darauf, daß Schwefel und Schwefelverbindungen so wir-ken, daß vom Verdauungssystem aus eine Regelung der ganzen Ver-dauung zustande kommt.

Jetzt haben wir die drei Gesichtspunkte erörtert, die bei der Mi-gräne in Betracht kommen: Regelung der Verdauung, deren Unord-nung sich zeigt in unregelmäßiger Verdauung im Großhirn; Regelungder Nerven-Sinnestätigkeit vom Ich aus durch die Kieselsäure; Rege-lung der in Unordnung gekommenen Rhythmik des Zirkulations-wesens, indem wir Eisen anwenden. Wir durchschauen so den ganzenProzeß. Er ist, wie gesagt, von der gewöhnlichen Medizin ein wenigverachtet; aber er ist ungeheuer anschaulich, wenn man den mensch-lichen Organismus wirklich durchschaut. Und wir kommen darauf,daß uns der Organismus selber befiehlt, ein Präparat herzustellen, dasaus Kieselsäure, Schwefel und Eisen in einer bestimmten Weise zu-sammengesetzt ist. Wir erhalten dann das, was aus anthroposophischerForschung heraus jetzt in der Welt als Migränemittel verbreitet wird,das aber zugleich überhaupt außerordentlich regulierend wirkt auf dieIch-Organisation, damit diese richtig in den Organismus eingreift, aufalles das, was gestörte Rhythmik in der Blutzirkulation herstellt, undauf alles das, was die Wirkung, die Ausstrahlung der Verdauung in denganzen menschlichen Organismus in der richtigen Weise bewirkt.

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Wer nun den menschlichen Organismus kennt, der weiß, daß vondiesen drei Seiten her eigentlich ungeheuer vieles kommt, was Unord-nung im Organismus bedeutet, und daß schließlich die Migräne nurein Symptom dafür ist, daß Ätherleib, astralischer Leib und Ich nichtordentlich im physischen Leibe drinnen wirken. Es ist daher kein Wun-der, daß unser Migränemittel überhaupt dazu geeignet ist, die Zusam-menwirkung zwischen Ich, astralischem Organismus, ätherischem Or-ganismus und der physischen Organisation zu regulieren. Wenn daherder Mensch fühlt, diese Glieder seiner Wesenheit wirken nicht ordent-lich in ihm zusammen, dann wird unser Migränemittel - das ebennicht ein bloßes Migränemittel ist - unter allen Umständen ihm helfenkönnen. Es ist ein Migränemittel, weil es eben gerade auf das hingeht,was sich in der Migräne in seinen radikalsten Symptomen zeigt, undich konnte Ihnen gerade an diesem Mittel anschaulich machen, wieman nach anthroposophischen Prinzipien studiert, worin das Weseneiner Krankheit besteht und wie man dann, wenn man weiß, was aufdie einzelnen Glieder der menschlichen Wesenheit so oder so wirkt,das Präparat zusammenstellt.

Bei den Heilmitteln, die auf diese Weise hergestellt werden, kommtes eben überall darauf an, daß man erkennt, welches das Verhältnis desmenschlichen Organismus zur Umwelt ist. Aber da muß man ganzernsthaftig darauf ausgehen, dieses Verhältnis seiner Wesenheit nachzu studieren. Ich habe das letzte Mal angeführt, wie man zu Pflanzen-heilmitteln kommt, habe das Beispiel des Ackerschachtelhalms, desEquisetum arvense, angeführt. Man kann von jeder Pflanze sagen: siewirkt in dieser oder jener Weise auf dieses oder jenes Organ. Aberwir müssen uns, wenn wir so etwas studieren wollen, auch dann dar-über klar sein, daß eine Pflanze, die draußen irgendwo wächst, imFrühling etwas ganz anderes ist als im Herbst. Wenn wir im Frühlingdie sprießende, sprossende Pflanze haben, dann ist in ihr enthalten einPhysisches und ein Ätherisches, wie es der Mensch auch in sich trägt.Verwende ich dann irgend etwas Substantielles von diesen Pflanzenim menschlichen Organismus, dann werde ich insbesondere starke Wir-kungen auf den physischen Leib und den ätherischen Leib haben kön-nen. Lassen wir jetzt die Pflanzen den Sommer hindurch draußen ste-

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hen und pflücken wir sie, wenn es gegen den Herbst zu geht, so habenwir die absterbende, die verdorrende und vertrocknende Pflanze.

Schauen wir jetzt zurück auf den menschlichen Organismus. Ersprießt und sproßt durch die Entwickelung seines physischen Leibes,sprießt und sproßt durch das, was der Ätherleib in ihm bewirkt. Durchden astralischen Leib wird abgebaut, durch die Ich-Organisation eben-falls. Wir haben im Menschen fortwährend sprießendes, sprossendesLeben durch den physischen Leib und durch die ätherische Organisa-tion. Würde nur dies im Menschen sein, er würde nicht ruhiges, beson-nenes Bewußtsein entwickeln; denn je mehr wir die Wachstumskräfteanregen, je mehr es in uns sprießt und sproßt, desto unbesonnener wer-den wir. Und wenn wir gar die Ich-Organisation und den astralischenOrganismus im Schlafe aus den beiden anderen Gliedern weg haben,dann sind wir ganz unbewußt, bewußtlos. Was den Menschen aufbaut,das macht ihn wachsend, macht, daß Ernährungskräfte in ihm die auf-genommenen Substanzen verarbeiten; das bringt es aber nicht dahin,daß empfunden und gedacht wird. Sondern damit empfunden und ge-dacht wird, muß abgebaut werden. Dazu sind der astralische Leib unddie Ich-Organisation da. Sie bewirken einen fortwährenden Herbstim Menschen. Durch die physische Organisation und den ätherischenLeib ist fortwährend Frühling im Menschen, sprießendes, sprossendesLeben, aber keine Besonnenheit, kein Bewußtsein, nichts Seelenhaft-Geistiges. Durch die astralische und die Ich-Organisation wird abge-baut; da wird der ätherische Leib in seinen Kräften zurückgestaut, dawird der physische Leib verhärtet, verdorrend gemacht. Aber das mußgeschehen. Der physische Leib muß fortwährend hin- und herschwin-gen zwischen Aufbau und Abbau; der ätherische Leib muß fortwäh-rend hindurch zwischen sprießenden und sprossenden Kräften einer-seits und zwischen Kräften, die sich zurückziehen, andererseits. Drau-ßen in der Natur finden wir die Kräfte sich abwechseln vom Frühlinggegen den Herbst; die Natur läßt es Frühling und Herbst werden ge-trennt nach Zeiten. Im Menschen haben wir einen Rhythmus: indem ereinschläft, wird es in ihm ganz Frühling, da sprießt und sproßt dasphysische und ätherische Leben; indem er erwacht, wird das physischeund ätherische Leben zurückgedrängt, zurückgestaut, die Besonnen-

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heit macht sich geltend: es wird Herbst und Winter. Daraus kann mansehen, wie äußerlich man eigentlich urteilt, wenn man nur nach äuße-ren Analogien geht. Wer würde denn nicht, wenn er auf Äußerlichessieht, das Aufwachen des Menschen, sein Übergehen zum Tageslebenals Frühling und Sommer schildern und das Einschlafen als das Hinein-gehen in die Winterfinsternis? Aber so ist es nicht in Wirklichkeit.Schlafen wir ein, dann fängt es in uns an, weil der astralische Leib unddas Ich weg sind, zu sprießen und zu sprossen; da geht auf das Äthe-rische, das uns sonst in der Pflanze erfreut, da wird es Frühling undSommer, wenn wir einschlafen; und könnten wir auf den physischenund Ätherleib zurückschauen und beobachten, was da vorgeht, wennwir sie beide verlassen haben - dazu braucht man natürlich geistigesWahrnehmungsvermögen; das kann man mit physischen Augen nichtsehen, denn mit ihnen würde man nur den regungslosen Leib sehen -,so würde man das Sprießen und Sprossen schildern können. Und beimAufwachen würden wir mit geistigem Erkennen wahrnehmen, wie wirhineingehen in den Herbst.

Nehmen wir jetzt nun an, wir suchen nach Pflanzenheilmitteln.Wir pflücken den Enzian im Frühling. Der Enzian ist ein gutes Heil-mittel gegen Dyspepsie. Pflücken wir ihn im Frühling, dann werdenwir, wenn wir ihn in der richtigen Weise zu einem Heilmittel verwer-ten, auf das wirken können, was immerfort vorzugsweise von demphysischen und dem ätherischen Leib ausgeht. Haben wir gestörtesWachstum, gestörte Ernährungskräfte, so werden wir Enzianwurzelnauskochen und die ausgekochte Substanz verwenden, um die Ernäh-rungskräfte zu verbessern und die Störung zu bekämpfen. Verwendenwir aber die Enzianwurzeln, indem wir sie im Herbst ausgraben, woder ganze Enzian daraufhin organisiert ist, gerade abzubauen, demähnlich zu werden, was der astralische Leib im Menschen bewirkt,dann wird nichts aus der Heilung; im Gegenteil, dann verstärken wirdie Verdauungsunregelmäßigkeit. Wir müssen daher nicht nur irgend-eine Pflanze kennen und von ihr sagen: sie ist für dies oder jenes einHeilmittel, sondern wir müssen noch wissen, wann wir diese Pflanzepflücken müssen, um sie als Heilmittel zu verwenden.

So müssen wir das ganze Werden der Natur überschauen, wenn wir

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Pflanzenheilmittel, die besonders wirksam sein können, verwendenwollen. Deshalb ist bei derjenigen Herstellung von Heilmitteln, woman zu einer rationellen Therapie tatsächlich aus der Erkenntnis desKrankheitszustandes kommen muß, notwendig, daß man alles be-rücksichtigt, was sich ergibt auch aus dem Werden der Pflanzenwelt.Man muß also wissen, wenn man seine Präparate herstellt, daß manetwas anderes macht, wenn man die Pflanzen im Herbst sammelt undverwendet, und etwas anderes wiederum, wenn man sie im Frühlingsammelt und verwendet. Das aber, was da nur getrennt durch großeZeiträume möglich ist, das ist schon auch in kleinen Zeiträumen möglich.Wenn wir die Präparate, die als Heilmittel dienen sollen, herstellen, somüssen wir lernen, was es heißt: Enzian in der ersten Maiwoche pflük-ken - Enzian in der letzten Maiwoche pflücken. Denn was der Menschim Verlaufe von vierundzwanzig Stunden in sich trägt: Frühling, Som-mer, Herbst und Winter, das ist draußen in der Natur über dreihun-dertfünf undsechzig Tage ausgedehnt; wir brauchen für den Menschenfür den Zeitraum von vierundzwanzig Stunden das, was sich draußenin der Natur in dreihundertfünfundsechzig Tagen entwickelt.

Daraus sehen Sie, was es heißt: anthroposophische Prinzipien aufdie Heilkunde anwenden. Wir haben heute eine sehr verdienstvolleHeilkunde, und ich habe, weil das besonders betont werden muß, wie-derholt während dieser Vorträge gesagt: Was Anthroposophie derHeilkunde an Diensten leisten will, das soll durchaus nicht in Oppo-sition treten gegen das, was von der heute anerkannten Heilkunde ge-leistet wird. Insofern dieses als berechtigt anerkannt wird, soll anthro-posophische Heilkunde durchaus auf dem Boden der heutigen Medi-zin stehen. Mit jenen Bestrebungen, wo man in laienhafter Weise ei-gentlich bloß davon ausgeht, daß das, was man studieren soll, zuvielist, und man nun allerlei pfuscherische Heilmittel auf leichte Weiseerlangen mochte, mit denen kann Anthroposophie nicht mitgehen.Denn sie erkennt, daß die Wirklichkeit, wenn man sie geistig durch-schaut, sich als viel komplizierter erweist, als man nach der physischenWissenschaft ahnt. Daher wird das, was nach der einen oder anderenSeite auftritt, wo man wenig zu wissen braucht, um als Heiler zu gel-ten, vielleicht sehr beliebt werden können; denn das gibt sich so, daß

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man sagt: Man erspart sich das ärztliche Studium. - Das kann mannicht sagen! Anthroposophie kann den Leuten das ärztliche Studiumnicht ersparen, im Gegenteil, sie muß noch vieles andere hinzufügen.Allerdings könnte das ärztliche Studium mit größerer Ökonomie ge-trieben werden; man könnte auf kürzere Zeit gebracht das lehren, washeute, weil es unübersehbar geworden ist, auf viele Jahre ausgedehntwird. Aber es muß noch etwas dazukommen: das Durchschauen dermenschlichen Wesenheit.

Nehmen Sie noch einmal, was ich in diesen Vorträgen schon ge-sagt habe, daß das Nerven-Sinnessystem durchdrungen ist von allenvier Gliedern der menschlichen Wesenheit, vom physischen Leib, äthe-rischen Leib, astralischer Organisation und Ich; und das Stoffwechsel-Gliedmaßensystem ist wiederum von allen vier Gliedern durchdrun-gen. Aber in verschiedener Weise sind beide von ihnen durchdrungen.Das Stoffwechsel-Gliedmaßensystem ist so davon durchdrungen, daßdie Ich-Organisation dem Willen nach wesentlich stärker wirkt. Alles,was Aktivität ist, was den Menschen und die ganze menschliche Orga-nisation in Bewegung bringt, steckt in der Stoffwechsel-Gliedmaßen-organisation; alles, was den Menschen in Ruhe läßt und ihn ausfülltmit inneren Erlebnissen, mit Vorstellungen, Gedanken und Gefühls-erlebnissen, das steckt in der Nerven-Sinnesorganisation. Das stellteinen wesentlichen Unterschied dar, den Unterschied, daß in der Ner-ven-Sinnesorganisation der physische Leib und der Ätherleib viel wich-tiger sind als das Ich und die astralische Organisation; und für dieStoffwechsel-Gliedmaßenorganisation sind insbesondere das Ich unddie astralische Organisation wichtig. Wenn daher Ich und astralischerLeib zu stark im Nerven-Sinnessystem wirken, dann wird dasjenigeim Menschen auftreten, was das Nerven-Sinnessystem in die übrigenOrganisationsglieder der menschlichen Natur hineintreibt. Überstei-gerung der Ich-Organisation und der astralischen Organisation imNerven-Sinnesorganismus treiben diese ganze Nerven-Sinnesorgani-sation irgendwie in die Stoffwechsel-Gliedmaßenorganisation hinein.Da können die verschiedensten Wege gesucht werden, wie die Nerven-Sinnesorganisation hineingetrieben wird in die Stoffwechsel-Glied-maßenorganisation: immer entsteht das, was wir unter dem allgemei-

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nen Namen Geschwulstbildung fassen können. Und Geschwulstbil-dungen lernen wir verstehen, wenn wir sehen, wie durch eine übertrie-bene Ich-Tätigkeit oder astralische Tätigkeit die Nerven-Sinnesorgani-sation in den übrigen Organismus hineingetrieben wird.

Nehmen wir umgekehrt an: In dem Stoffwechsel-Gliedmaßenorga-nismus treten Ich und astralische Organisation zurück; physische undätherische Organisation werden zu stark, sie strahlen hinein in dasNerven-Sinnessystem, sie überfluten es mit den Vorgängen, die nurdem Stoffwechsel-Gliedmaßensystem angehören sollen: Entzündungs-zustände entstehen. Wir durchschauen, wie Geschwulstbildungen undEntzündungszustände als polarische Gegensätze auftreten. Wissen wirjetzt, wie wir die Nerven-Sinnesorganisation, wenn sie irgendwo imStoffwechsel-Gliedmaßensystem zu wirken anfängt, zurücktreibenkönnen, dann kommen wir zu möglichen Heilungsprozessen.

Einer derjenigen Prozesse nun, wo die Nerven-Sinnesorganisationwirklich in einer furchtbaren Art irgendwo innerhalb der Stoffwech-sel-Gliedmaßenorganisation auftreten kann, ist die Krebsbildung, dieKarzinombildung. In ihr liegt also das vor, daß die Nerven-Sinnes-organisation in die Stoffwechsel-Gliedmaßenorganisation hineingehtund sich innerhalb dieser geltend macht. Im zweiten Vortrage sagteich, wir sehen innerhalb des Stoffwechsel-Gliedmaßensystems so etwasauftreten wie an falscher Stelle gebildete Sinnes-Organanlagen. DasOhr, wenn es an richtiger Stelle gebildet wird, ist normal; wird eineOhranlage oder überhaupt eine Sinnesorgananlage - nur eben in derganz spärlichen Anlage - an falschem Orte gebildet, so haben wir esmit einer Karzinombildung, mit einer Krebsorganisation zu tun. DieserNeigung des menschlichen Organismus, an falscher Stelle Sinnesorganebilden zu wollen, müssen wir entgegenwirken. Dazu muß man nuntief hineinschauen in die ganze Entwickelung, die in der Welt, imKosmos, zum Menschen heraufgeführt hat.

Wenn Sie die anthroposophische Literatur durchgehen, so werdenSie eine ganz andere Kosmologie und eine ganz andere Weltentste-hungslehre finden, als der Materialismus sie zeigt. Sie werden finden,daß unsere Erdenbildung eine andere, vorhergehende Bildung hatte,in welcher der Mensch noch nicht in seiner heutigen Form vorhanden

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war, aber doch - in einer gewissen Beziehung - das Tier geistig über-ragend vorhanden war. Nur waren seine Sinne damals noch nichtausgebildet. Sie sind erst innerhalb der Erdentwickelung beim Men-schen in ihrer letzten Ausbildung entstanden. Veranlagt sind sie amlängsten; aber ihre letzte Ausbildung, wo sie so, wie sie heute sind, vonder Ich-Organisation durchsetzt sind, haben sie erst während der Erd-entwickelung erlangt. Das menschliche Ich schoß in Augen, Ohrenund in die übrigen Sinne während der Erdentwickelung hinein. Wirddaher die Ich-Entwickelung zu stark, so bildet sich im menschlichenOrganismus nicht bloß der Sinn in normaler Weise, sondern es ent-steht eine zu starke Neigung, Sinne zu bilden. Und die Karzinombil-dung tritt auf. Was muß ich tun, wenn ich hier heilend eingreifen will?Ich muß zu nüheren Zuständen der Erdentwickelung zurückgehen,wo auf der Erde noch nicht diejenigen Organismen vorhanden waren,wie sie heute da sind; ich muß irgendwo nachschauen, wo etwas ist,was der letzte Rest, das Überbleibsel, die Erbschaft von früheren Er-denzuständen ist. Da komme ich darauf, daß es diejenigen Pflanzensind, die als Parasiten, als Viscumbildungen, als Mistelbildungen aufden Bäumen wachsen, die es nicht dazu gebracht haben, im Erdbodenzu wurzeln, sondern auf Lebendigem wuchern müssen. Warum müs-sen sie das? Weil sie sich eigentlich entwickelt haben, bevor unsereErde diese feste mineralische Erde geworden ist. Ich sehe heute in derMistel das, was nicht reine Erdenbildung hat werden können; es mußauf der fremden Pflanze aufsitzen, weil das Mineralreich am letztenin der Erdentwickelung entstanden ist. Und in der Mistelsubstanz ha-ben wir das, was in der entsprechenden Weise verarbeitet, sich alsHeilmittel gegen die Karzinombildung darstellt, das die Sinnesorg?.n-büdung an falscher Stelle innerhalb des menschlichen Organismus aus-treibt. - Die Natur durchschauen, bedeutet, die Möglichkeit zu haben,dasjenige zu bekämpfen, was aus der normalen Entwickelung irgend-wie im krankhaften Zustande herausfällt. Der Mensch wird zu starkErde, indem er die Krebsbildung in sich hat; er bildet zu stark dieErdkräfte in sich aus. Diesen übertriebenen Erdkräften muß man die-jenigen Kräfte entgegensetzen, die einem Zustande der Erde entspre-chen, wo das Mineralreich und die heutige Erde noch nicht da waren.

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Deshalb arbeiten wir auf dem Boden anthroposophischer Forschungdas Karzinommittel aus in einem bestimmten Viscumpräparat. Undes wird dadurch ganz zweifellos aus der Anschauung der Wesenheitdieser Krankheit das Heilmittel gefunden, das die gewöhnlichen Hei-lungsprozesse, die Operationsprozesse, allmählich unnötig machenwird.

Damit habe ich Ihnen Details angegeben. Ich konnte dem nochvieles hinzufügen, denn unsere Heilmittel sind schon in großer Anzahlvorhanden. So könnte ich zum Beispiel folgendes zeigen: Indem esmöglich ist, daß die Stoffwechsel-Gliedmaßenorganisation einstrahltin der äußersten Peripherie in die Sinnesorganisation hinein, kommtdies in einer bestimmten Form von Erkrankung zum Ausdruck, undzwar im sogenannten Heuschnupfen. Da haben wir das Umgekehrtevon dem, was ich vorhin gezeichnet habe: wenn die Nerven-Sinnes-organisation gewissermaßen hinunterrutscht in die Stoffwechsel-Glied-maßenorganisation, so hat dies Geschwulstbildung zur Folge; geht dieStoffwechsel-Gliedmaßenorganisation dagegen in die Nerven-Sinnes-organisation hinein, so bekommen wir solche Erscheinungen, wie siezum Beispiel im Heuschnupfen vorliegen. Bei diesem handelt es sichdarum, jene zentrifugalen Prozesse, wo die Stoffwechsel-Gliedmaßen-tätigkeit zu stark nach der Peripherie des Organismus hingelenkt ist,zu paralysieren durch etwas, was die ätherischen Kräfte wiederumzurückdrängt. Wie versuchen das mit einem Präparat, das gewonnenwird aus solchen Früchten, die sich mit bestimmten Schalenbildungenumkleiden, wo durch die Schalenbildung das Ätherische im Stoff-wechsel zurückgetrieben wird. Wir setzen in unserem Präparat den zustark auftretenden zentrifugal wirkenden Kräften im Heuschnupfenandere, stark zentripetal wirkende Kräfte entgegen, die die ersterenbekämpfen. Man durchschaut ganz genau den pathologischen und denHeilungsprozeß. Und wir können ja darauf hinweisen, wie gerade dieschönsten Erfolge mit unseren Heilmitteln auf solchen Gebieten zu ver-zeichnen sind, mit denen man kaum so leicht heute etwas anzufangenweiß. Auf dem Gebiete der Heuschnupfenbekämpfung zum Beispielsind sehr schöne Erfolge gerade mit den Präparaten erzielt worden, dieaus dem angegebenen Gesichtspunkte heraus gewonnen worden sind.

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So könnten viele Details angeführt werden. Und sie würden zei-gen, daß durch dieses charakterisierte Durchschauen der mensch-lichen Wesenheit, das der anthroposophischen Forschung möglich ist,die Brücke geschlagen wird zwischen Pathologie und Therapie. Denn,wie wirken denn schließlich das Ich und der astralische Organismus?Sie bauen ab. Dadurch, daß wir abbauen, sind wir geistig-seelischeWesen. Es ist immer eine reine Giftwirkung vorhanden, wenn etwasabgebaut wird; die Organe werden zerstört. Wuchern Organe, so müs-sen wir sie auch stark abbauen. Aber eine Abbautätigkeit im Menschenist die astralische und die Ich-Tätigkeit. Haben wir die äußeren Gifte,gleichgültig ob metallische oder pflanzliche Gifte, so sind diese in ihrerWirkung auf den menschlichen Organismus verwandt der Tätigkeitder astralischen und der Ich-Organisation. Wir müssen nur verstehen,wieviel in der ganzen normalen Tätigkeit im Menschen, dadurch daßdas Ich und der astralische Leib in ihm wirken, auch Giftwirkungenstattfinden. In aller Denktätigkeit, in aller seelischen Entwickelungwirken wir auf den Leib in Giftwirkungen. Wir lernen verstehen dieÄhnlichkeit der äußerlich sprießenden und sprossenden Kräfte in denPflanzen, die wir auch essen können, ohne daß sie uns schaden, mitden physischen und ätherischen Kräften im Menschen; und wir lernenerkennen die Ähnlichkeit der Wirkung des Ich und des astralischenLeibes auf den menschlichen Organismus mit der Wirkung der Kräfteund Substanzen in jenen Pflanzen, die wir nicht essen können, weil sieuns schaden; die aber, weil sie in ihrer Wirkung ähnlich werden dem,was normale Abbautätigkeit im Menschen ist, in entsprechender Ver-wendung als Heilmittel wirken können.

So lernen wir die ganze Natur einteilen einmal in das, was denKräften unseres physischen und ätherischen Leibes ähnlich ist, in dasalso, was wir essen, wo wir das Wuchern, das Wachstum fördernwollen; und zweitens in das, wo wir abbauen, das heißt in die Gift-wirkungen, die unserem astralischen Leibe und der Ich-Organisationähnlich sind. Durchschauen wir so diese vier Glieder der menschlichenWesenheit, den physischen Leib, den ätherischen Leib, die astralischeOrganisation und das Ich, dann schauen wir in ganz anderer Weiseauf diesen polarischen Gegensatz hin zwischen Ernährungssubstanzen

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und giftwirkenden Substanzen. Dann schauen wir hinein in die Heil-kräfte, wie sie in den Ernährungskräften innerhalb der Natur aus-gebreitet sind. Dann wird uns das Studium der Krankheit eine Fort-setzung des Studiums der Natur. Durchschauen wir beides - Gesund-heit und Krankheit - geistig, dann bereichert sich uns die ganze Na-turanschauung. — Es gehört nur eines dazu, um solches Studium anzu-stellen. Heute liebt man es, Studien anzustellen, wenn der Gegenstand,um den es sich handelt, recht ruhig ist; man will den Gegenstand jamöglichst zur Beruhigung bringen, will einen ruhigen Zustand herstel-len, so daß man möglichst lange Zeit hat, um das Ganze zu überschauen.Die Anthroposophie dagegen bringt bei ihrem Studium alles in Bewe-gung; alles ist Regsamkeit und Bewegung. Da muß alles geschaut wer-den mit Geistesgegenwart; da kann man nicht sich Zeit lassen, indemman die Dinge erst beruhigt. Aber dadurch kommt man dem Lebenund der Wirklichkeit nahe. Und dazu gehört auch etwas, von demich immer sage, wie es vorhanden ist in unserem, von unserer lieben Mit-arbeiterin, Frau Dr. Wegman, geleiteten Institut in Ariesheim: der Mutdes Heilens. Dieser Mut des Heilens ist ebenso notwendig wie Kennt-nisse im Heilen - der Mut, der nicht einen nebulosen, phantastischenOptimismus im Heilen gibt, aber der einen begründeten Optimismusgibt, der Sicherheit bietet, wo man sagt: hier liegt ein Krankheitsfallvor, man durchschaut ihn, man versucht zu heilen, und man tut das,was man kann. Dann wird auch das Mögliche herauskommen. Dannmuß man allerdings, wenn man diese innere Sicherheit haben will,durchaus den Mut haben, die menschliche Wesenheit und die Naturin ihrem Flusse erkennend erfassen zu können. Und so können natür-lich solche Heilmittel, wie sie bei uns entstehen, auch nur im Zusam-menhange mit dem lebendigen Betriebe des Medizinischen entstehen.Der wird aber in der Weise versucht, wie ich es im ersten Vortrageschon dargelegt habe: Neben dem Goetheanum, das Erkenntnisse er-strebt, wie sie den einzelnen Menschen befriedigen wollen auf dem Ge-biete der Anthroposophie für sein Seelenleben, steht - in bescheidenerWeise noch, es wird noch vollkommener werden - wie immer die Heil-stätte, neben der Mysterienstätte die Klinik, weil ein wirkliches Total-verhältnis der menschlichen Wesenheit zur gesamten Welt die gesun-

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denden aber auch die kränkenden Prozesse umfaßt, und weil ein tiefesHineinschauen in den Kosmos nur möglich ist, wenn man diejenigenAnlagen, die ins Krankhafte hineinführen, ebenso zu überblicken ver-mag wie die, die ins Gesunde hineinführen. Könnte das, was mensch-liche aufsteigende Organisation ist, nicht zurückgedrängt werden,könnte das, was wächst und sprießt und sproßt, nicht fortwährendgedämpft werden, so würde nie geistig-seelisches Wesen möglich sein.Dieselben Erscheinungen, die im Normalzustande des Menschen zurKrankheit werden, zur Zurückbewegung der Entwickelung, die müs-sen ja doch in einer gewissen Form da sein, um uns überhaupt zu gei-stigen, zu denkenden Wesen zu machen. Könnten wir als Menschennicht krank werden, so könnten wir auch keine geistigen Wesen sein;denn nur dadurch sind wir geistige Wesen, daß wir die Möglichkeitzum Krankwerden in uns haben. Was im Denken, Fühlen und Wollenimmer auftreten muß, tritt in einer abnormen Weise in der Krank-heit auf. Unsere Leber und unsere Nieren müssen dieselben Prozessedurchmachen, die wir im Denken, Fühlen und Wollen durchmachen,die nur über das Ziel hinausschießen, wenn sie in zu großer Zahl auf-treten. Könnten wir nicht krank werden - wir müßten Toren bleibenunser Leben lang! Der Möglichkeit, krank zu werden, verdanken wirdie andere Möglichkeit, denkende, fühlende und wollende Menschen-wesen zu werden.

Wenn wir diesen Zusammenhang durchschauen - und die Anthro-posophie bringt ihn uns ganz besonders zum Bewußtsein -, dann wirduns gerade vom anthroposophischen Gesichtspunkte aus eine tiefe Her-zensangelegenheit, im Zusammenhange mit der Vergeistigung des Men-schen die Begleiterscheinungen, die diese Vergeistigung mit sich führenmuß: die Krankheitserscheinungen, zu studieren. Und dann werdenuns geistige Entwickelung und das, womit diese geistige Entwickelungbezahlt werden muß, nämlich das Kranksein des Menschen, zu zweiPolen einer und derselben Menschheit, und dann stellen wir uns in derrichtigen Weise - auch mit unserem Gemüt und unserem Gefühl - zumKranksein und zu den notwendigen Heilungsprozessen.

Das ist die innere, die gefühlsmäßige Seite, wie die anthroposo-phische Geisteswissenschaft die Heilkunde befruchten kann. Sie kann

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sie befruchten in der Erkenntnis, wie ich das gezeigt habe; sie kann sieaber auch dadurch befruchten, daß sie beim Arzte das Herz an dierechte Stelle zu versetzen vermag, so daß ärztliche Hingabe und ärzt-liche Opferwilligkeit gerade aus dieser inneren Verwandtschaft vonKrankheit und geistiger Entwickelung sich ergeben. Anthroposophiehat überall die Möglichkeit, nicht nur unser Denken, unsere Intellek-tualität zu vertiefen, sondern auch unser Fühlen, unseren ganzen Men-schen zu vertiefen. Das ist es, was ich als die Beantwortung der Frage,die ich als Thema aufgestellt habe, geben wollte: Was kann die Heil-kunst durch eine geisteswissenschaftliche Betrachtung gewinnen?

Sie kann das gewinnen, daß der Arzt wirklich in die Lage kommt,als heilender Mensch ein ganzer Mensch zu werden, nicht bloß einer,der mit dem Kopfe nur über die Krankheit nachdenkt, sondern einer,der das Kranksein aus der innersten Menschenwesenheit miterlebt unddadurch in Heilungsprozessen eine richtige, eine menschenwürdigeAufgabe, seine Mission sieht. Dem Arzte wird sein Beruf dadurch erstauf den rechten sozialen Fleck gerückt, daß er durchschaut, wie dieKrankheiten die Schatten der geistigen Entwickelung sind. Um aberdie Schatten in der rechten Weise zu erkennen, müssen wir auch aufdas Licht hinsehen; auf die Natur und Wesenheit der geistigen Prozesseselber. Lernt der Arzt in der entsprechenden Weise auf diese geistigenProzesse hinschauen, auf das Licht, das in der menschlichen Wesen-heit wirkt, dann wird er auch die Schatten in der richtigen Weise zubeurteilen verstehen. Wo Licht ist, muß Schatten sein. Wo geistigeEntwickelung ist, wie zum Beispiel innerhalb der Menschheit, da müs-sen die Krankheitserscheinungen als die Schattenbilder einer solchenEntwickelung auftreten. Sie kann nur derjenige bemeistern, der in rich-tiger Weise auch zum Lichte hinschaut.

Das ist das, was Anthroposophie dem Arzte und der Heilkunst ge-ben kann.

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Z E H N T E R VORTRAG

London, 28. August 1924

Vor allem darf ich meinen herzlichst gemeinten Dank Mrs. Larkinsund Dr. Larkins dafür aussprechen, daß ich an diesem Abende wieder-um, in Wiederholung desjenigen, was ich schon im vorigen Jahre tundurfte, einiges vorbringen kann, was als eine Auffassung über dasMedizinische, über die kranke Menschenwesenheit im Gegensatz zurgesunden und über Heilverfahren aus der anthroposophischen Welt-auffassung und Forschungsweise heraus gewonnen werden kann.

Wenn ich mit ein paar einleitenden Worten etwas vorausschickendürfte, so sollte es vor allen Dingen dieses sein: Was durch Anthropo-sophie, wie sie hier gemeint ist, zu einzelnen Lebenszweigen, zum Bei-spiel also zum medizinischen, hinzugefügt werden soll, das will nichtirgendwie in einen Widerspruch treten mit demjenigen, was man heuteals wissenschaftliche medizinische Auffassung hat. Wenn man geradevon solchen Gesichtspunkten aus spricht, wie ich es am heutigen undmorgigen Abend tun werde, wird man sehr leicht deshalb mißverstan-den, weil von vornherein heute die Auffassung herrscht, daß dasjenige,was nicht sich beschränkt auf das sogenannt exakt Festgestellte, etwasSektiererisches sei, daß das etwas sei, das im wissenschaftlichen Sinnenicht ernst genommen werden kann. Deshalb möchte ich von vorn-herein bemerken: Gerade diejenige Anschauung, die auf Anthroposo-phie auch das Medizinische stützen will, ist nicht nur voller Aner-kennung, sondern auch voll Verständnisses alles desjenigen, was anBedeutsamem, an Großem in der neueren Zeit auch auf medizinischemGebiete geleistet worden ist. Und es kann gar nicht die Rede davonsein, daß irgendwie eine dilettantische oder laienhafte Polemik mitdemjenigen, was ich sagen werde, geführt werden soll gegen dasjenige,was heute anerkannte medizinische Heilweise oder dergleichen ist.Es handelt sich lediglich darum, daß im Verlauf der letzten Jahr-hunderte unsere ganze Weltanschauung eine Form angenommen hat,welche sich beschränkt in der Forschung auf dasjenige, was durch dieSinne festgesetzt werden kann, entweder durch das Experiment oder

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durch unmittelbare Beobachtungen, und auf das, was dann der mensch-liche Verstand auf Grundlage dessen, was sinnlich geschaut wird, kom-binieren kann.

Diese Art und Weise des Forschens hatte für Jahrhunderte ihre volleBerechtigung. Denn die Menschheit wäre, wenn sie die alten Wegefortgesetzt hätte, ganz und gar ins Phantastische, ins Träumerischegekommen, wäre zu willkürlichen Annahmen und zu einem wüstenHypothesenbauen gekommen. Aber das gilt denn doch, daß derMensch, so wie er nun einmal in der Welt steht zwischen Geburt undTod, nicht ein Wesen ist, das sich durch die Sinne und durch den Ver-stand wirklich erkennen läßt, daß der Mensch ebenso einen real über-sinnlichen Teil hat, wie er einen real sinnlichen Teil hat.

Und wenn wir von dem gesunden und kranken Menschen sprechen,dann können wir nicht anders, als uns auch die Frage stellen: Ist dennGesundheit und Krankheit wirklich in der Weise allein zu erkennen,wie man das heute will durch die Erforschung des physischen Leibesmit Hilfe der Sinneswerkzeuge, mit Hilfe derjenigen Werkzeuge,welche die Sinne ergänzen, die zu unseren Experimenten führen, undmit Hilfe des Verstandes? Und da kann uns ja eine wirkliche - nichteine vorurteilsvolle - geschichtliche Betrachtung lehren, daß die Er-kenntnis vom Menschen von ganz anderem ausgegangen ist als von derbloßen Sinnesbeobachtung. Wir haben ja nun einmal eine lange mensch-heitliche Entwickelung auch in bezug auf das geistige Leben hinter uns.

In alten Zeiten, wir können sagen noch vor drei Jahrtausenden,aber durchaus noch in der Zeit, in der das Griechentum, das ältereGriechentum geblüht hat, gab es ja nicht Schulen, an denen man solernte, wie man in heutigen Schulen lernt. An den heutigen Schu-len lernt man so, daß man als jüngerer Mensch an die Hochschule her-ankommt und nun das ganze Gefüge seiner Seele fertig hat. Man wirdan die einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen geführt, zum Beispielauch an die für die Medizin vorbereitende Disziplin, und man soll daurteilen nach dem Stande der Seele, den man als achtzehn-, neunzehn-und zwanzigjähriger Mensch einnimmt.

Dies war nicht der Standpunkt des Lernens in älteren Zeiten, son-dern der Standpunkt des Lernens in älteren Zeiten war der, daß man

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zuerst in der Seele Kräfte zu entwickeln hatte, sich weiterzuerziehenhatte, weiterzuentwickeln hatte, um dann dasjenige erst zu erkennen,was eigentlich am Menschen ist.

Nun, gerade dadurch, daß in älteren Zeiten die Menschen durchihre mehr primitive Seelenart nicht zur Phantastik neigten, war esmöglich, in den sogenannten Mysterien alle Lebenszweige auf Grund-lage zunächst einer solchen geistigen Schulung, einer solchen geistigenDisziplin zu erlernen.

Das hat etwa aufgehört, ich möchte sagen, gerade seit der Begrün-dung unserer Universitäten im 12., 13., 14. Jahrhundert. Seit jenerZeit lernen wir nur noch auf rationalistische Weise. Der Rationalis-mus, der zu einer scharfen Logik führt, er führt aber auch auf deranderen Seite wiederum dazu, nur das äußere Materielle sehen zukönnen.

Nun hat einmal die neuere Zeit im Laufe der letzten Jahrhunderteein großartiges Kapital an äußeren sinnlichen Wahrheiten hervorge-bracht. Das ist nicht zu leugnen. Wir haben sogar ein so außerordent-lich großes Kapital an sinnlichen Wahrheiten der Biologie, der Physio-logie, aller die Medizin namentlich vorbereitenden Wissenschaften,daß wir gar noch nicht dazu gekommen sind, alle die einzelnen Beob-achtungen zu ordnen. Es ist ungeheuer viel in den Beobachtungen, ausdem noch Unermeßliches gewonnen werden kann. Aber zurückgetre-ten ist in diesen letzten Jahrhunderten alle Anschauung der Menschen,die dahin geht, man müsse die Seelen dazu bringen, auch das Über-sinnliche zu schauen. Dadurch aber ist es eigentlich unmöglich gewor-den, die menschliche Wesenheit nach Gesundheit und Krankheit wirk-lich real zu erforschen. Um das einigermaßen zu erhärten, was ichsage, möchte ich nur darauf hinweisen, daß es auch heute möglich ist,wie ich in meinen Büchern, unter anderem auch in dem Buch, das unterdem Titel «Initiation» hier übersetzt ist, dargestellt habe, die Seele her-aufzubringen zum Erfassen des Spirituellen im Menschen gegenüberdem Materiellen, gegenüber dem Physischen.

Dieses Spirituelle im Menschen ist für eine geistige Beobachtungebenso schaubar, ebenso sichtbar zu machen wie das Physische, dasMaterielle für die Sinnesbeobachtung. Nur wird die Sinnesbeobachtung

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unserem Körper organisch eingegliedert, ohne daß wir etwas dazutun; die geistige Beobachtung müssen wir uns erwerben. Diese geistigeBeobachtung, sie kann aber herbeigeführt werden durchaus nicht etwadurch allerlei mystische, nebulose Trainierungen, sondern sie kann ge-rade dadurch herbeigeführt werden, daß man das strenge Leben imGedanken, das Ruhen auf dem Gedanken in sich ausbildet. Man mußnur dasjenige, was man sonst wie fertig besitzen will, dieses Ruhen imGedanken, dieses Leben im Gedanken, methodisch in Seelenerziehungumwandeln. Wenn man es wirklich, so wie man sonst im Äußerenexperimentiert, dazu bringt, eine Zeitlang sozusagen mit der Seele sel-ber zu experimentieren, die Seele ruhen zu lassen auf einem leicht über-schaubaren Gedanken, ohne daß man dabei etwa verfällt in irgend-eine Autosuggestion, in irgendeine Art herabgedämmerten Bewußt-seins, etwa in einen hypnotischen Zustand, sondern wenn man so übt,daß man dasjenige, was mit dem gewöhnlichen Denken behalten wer-den kann, weiterbildet - die Besonnenheit bleibt, aber innerlich see-lisch das durchgeführt wird, daß äußerlich trivial physisch das zutagetritt, daß, wenn man einen Muskel immerfort trainiert, er sich stärkt,man mehr damit kann -, wenn man die Seele fort und fort methodischbetätigt, so wird sie stärker, wird kräftiger, schaut anderes.

Das erste, was sie schaut, ist, daß der Mensch tatsächlich nicht bloßaus diesem physischen Leib besteht, den man entweder mit bloßemAuge oder durch das Mikroskop oder irgendwie sonst untersuchenkann, sondern daß der Mensch außer diesem physischen Leib einenÄtherleib an sich trägt. Stoßen Sie sich nicht an dem Terminus «Äther-leib», ich könnte ebensogut einen anderen Ausdruck wählen, aber manmuß eben einen Terminus haben. Man kann also schauen am Menschen,außer dem gewöhnlichen physischen Leibe, der in der Art gestaltet ist,der durch Anatomie und Physiologie in unserem heutigen Sinne unter-sucht werden kann, den Ätherleib. Der ist nicht einerlei mit dem, wasdie dilettantische Lebenskraft in früheren wissenschaftlichen Zeitalterndarstellte, der ist etwas wirklich Wahrnehmbares, wirklich Schaubares.Und soll ich Ihnen einen qualitativen Unterschied dieses Ätherleibesvom physischen Leibe geben, so möchte ich herausgreifen aus den zahl-reichen qualitativen Unterschieden, die da bestehen, nur den: Der phy-

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sische Leib des Menschen unterliegt der Schwere, der Gravitation. Ertendiert nach der Erde hin. Der Ätherleib des Menschen tendiert nachder Peripherie des Weltenalls, das heißt nach allen Seiten. Wir rechnengewöhnlich, weil wir ja heute gerne der Waage uns in der Forschungbedienen, mit dem, was schwer ist. Aber dem Schweren stellt dermenschliche Organismus dasjenige entgegen, was nicht nur nichtschwer ist, sondern was wegstrebt von der Erde, was der gewöhnlichenErdengravitation entgegenstrebt. So tragen wir nicht nur Schwere-kräfte in uns, sondern wir tragen Kräfte in uns, die von der Erde weg-streben.

Das ist der erste übersinnliche Leib. Ich könnte noch viele andereätherische Merkmale für diesen ersten übersinnlichen Leib nennen,aber ich will mich darauf beschränken. Wir haben sozusagen in unseinen ersten Menschen, den physischen Menschen, der in bezug aufdie Erde zentripetal orientiert ist, hinstrebt nach der Erde; wir habeneinen zweiten Menschen, der zentrifugal orientiert ist, der wegstrebtvon der Erde. Wir haben das eigentliche Leben dadurch gegeben, daßdas Gleichgewicht gehalten werden soll zwischen diesen beiden Kon-figurationen der menschlichen Wesenheit, dem schweren, der Gravi-tation unterliegenden physischen Leib und dem nach allen Seiten desWeltenalls strebenden ätherischen Leib, der unsere zweite Organi-sation ist.

Nun nehmen Sie nur einmal diese Konfiguration der Kräfte desphysischen Leibes, des Ätherleibes. Sie können sich sagen: Der Äther-leib strebt nach allen Seiten; er will also gewissermaßen immer so großwerden wie das Weltenall. Der physische Leib unterliegt der Gravi-tation, der Schwere. Er strebt nach dem Mittelpunkt der Erde. Errundet den Ätherleib, so daß der Ätherleib das Weltenall, den Kos-mos nachahmt, aber zunächst vom physischen Leib in seinen Grenzengehalten wird. Und so nur bekommen wir eine wirkliche, durchdrin-gende, reale Anschauung vom Menschen, wenn wir das Gleichgewichtzwischen dem physischen Leib und dem ätherischen Leib ins Augefassen.

Nun weiter! Haben wir also wirklich einmal einen Begriff von diesenvon der Erde wegstrebenden zentrifugalen Kräften, dann sehen wir

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diese zentrifugalen Kräfte auch in den Pflanzen. Physisch sind für unsnur die Mineralien. In denen finden wir nichts von zentrifugalen Kräf-ten. Die Mineralien sind rein der Gravitation unterworfen. Bei denPflanzen finden wir auch die äußere Gestalt, die sie haben, als Resultatder beiden Kräfte. Aber wir werden uns auch klar darüber, daß wirnicht bei diesen zwei Konfigurationen stehenbleiben können, wenn wirHöheres in der Organismenreihe als die Pflanzen betrachten wollen,denn die Pflanze hat ihren Ätherleib; das Tier, wenn wir es betrach-ten, es hat Leben in sich, wie wir es als Empfindung bezeichnen. Es er-schafft innerlich sich eine Welt. Das macht uns darauf aufmerksam,daß wir weiter forschen sollen.

Nun können wir tatsächlich das menschliche Bewußtsein weiterausbilden. Es ist schon eine Ausbildung des Bewußtseins, wenn wir da-zu kommen, nun nicht bloß den physischen Leib des Menschen zusehen, sondern diesen physischen Leib eingebettet wie in einer Wolkeim Ätherleib zu sehen.

Aber das ist nicht alles am Menschen; sondern wir können nun,wenn wir so, wie wir einen Armmuskel verstärken, indem wir ihn fort-während belasten mit Kraftanstrengung, unsere Seele verstärken undkräftigen, daß sie sozusagen mehr und mehr Realität in ihren Gedan-ken hat, dann können wir zu dem anderen übergehen, was jetzt schwie-rig ist, nicht so leicht ist; wir können dazu übergehen, diese Gedanken,die dann stark in uns sind, weil wir sie ja erkraftet haben, diese Gedan-ken zu unterdrücken.

Wenn man im gewöhnlichen Bewußtsein nach und nach zum Ver-löschen bringt das Sehvermögen, das Hörvermögen, die Sinne, das Den-ken, so schläft der Mensch ein - ein leicht auszuführendes Experiment.Wenn man aber in dieser Weise die Seele erkraftet hat, wie ich es ge-schildert habe, durch eine Denktrainierung, durch eine Trainierungdes ganzen Vorstellungs- und Gefühlslebens, dann kann man diesesGefühlsleben wiederum unterdrücken. Denn vor allen Dingen kommtman zu einem Zustand, in dem man nicht schläft, in dem man sehrwach ist. Man muß sogar achtgeben, daß man nicht den Schlaf ver-liert, wenn man diesen Zustand ausbildet. Doch wenn man so verfährt,wie ich es in meinen Büchern dargestellt habe, sind alle Vorkehren da-

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zu getroffen, daß man nicht Störungen in seinem Leben erfährt. Mangelangt dazu, recht wach zu sein, aber nichts mehr zu sehen, zu hören,was sonst die Sinne wahrnehmen. Man gelangt auch dazu, die gewöhn-liche Erinnerung, das gewöhnliche Gedächtnis wegzubringen. Mansteht da vor der Welt mit leerem, aber ganz wachem Bewußtsein.

Dann sieht man einen dritten Organismus im Menschen, den ich -stoßen Sie sich wieder nicht an dem Terminus - den astralischen Or-ganismus nenne. Ihn haben auch die Tiere. Er ist dasjenige, was amMenschen die Möglichkeit hervorruft, nicht nur den Ätherleib zu ha-ben mit den Kräften, die wegstreben von der Erde, sondern ein wirk-liches Innenleben zu entfalten, Empfindung zu entfalten. Das ist etwas,was nun weder zusammenhängt mit den Tiefen der Erde noch mit denWeiten des Weltenalls, sondern das ist etwas, was zusammenhängt miteinem innerlichen Durchdrungensein mit Kräften, die man schauenkann als astralischen Leib. Das ist ein drittes Glied der menschlichenOrganisation. Ich werde von einem vierten Gliede nachher noch zusprechen haben. Ich möchte von diesem dritten Gliede nun das Fol-gende sagen.

Lernt man dieses dritte Glied der menschlichen Organisation ken-nen auf dem Wege, wie ich es angedeutet habe, so ist das wissenschaft-lich etwas ungeheuer Aufklärendes, denn jetzt ist es einem plötzlich,wenn man das kennenlernt, wie wenn einem die Schuppen von denAugen fielen. Denn vorher sagt man sich eigentlich, wenn man wirklichunbefangen nachdenkt über das menschliche Wachsen: lauter Unmög-lichkeiten! - Man sieht den Menschen wachsen von Kindheit auf; seineVitalkräfte sind tätig; immerzu wächst der Mensch. Aber er wächstja nicht nur, er entwickelt Bewußtsein, er entwickelt eine innerlicheSpiegelung der äußeren Welt, Bewußtsein entwickelt er. Kann dasvom Wachsen kommen? Kann das von denselben Kräften kommen,die der Ernährung zugrunde liegen, dem Wachstum zugrunde liegen?

Ja, wenn die Organkräfte, die der Ernährung und dem Wachstumzugrunde liegen in uns, die Oberhand gewinnen, so wird ja das Be-wußtsein gerade trüb. Wenn also irgend etwas in uns sitzt, was eineHypertrophie der Wachstumskräfte darstellt, irgend etwas, das unsübermannt, was die Ernährungskräfte darstellt, sogleich wird das Be-

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wußtsein getrübt. Wir brauchen etwas, was nicht mit diesen Wachs-tums-, mit diesen Ernährungskräften zusammenfällt, sondern was die-sen Kräften geradezu entgegenarbeitet. Der Mensch wächst fortwäh-rend, ernährt sich fortwährend; aber wir haben in unserem astralischenLeib, wie ich ihn eben beschrieben habe, etwas, was fortwährend wie-derum das Wachstum, die Ernährung unterdrückt, abbaut.

So haben wir im Menschen Aufbau durch den physischen Leib imAnschluß an die Erde, Aufbau im ätherischen Leib im Anschluß an denKosmos, Abbau im astralischen Leib, fortwährenden Abbau. Der astra-lische Leib baut fortwährend die organischen Prozesse ab, baut dasZellenleben ab, das Drüsenleben ab, baut ab.

Das ist das Geheimnis der menschlichen Organisation. Jetzt begreifenwir, warum der Mensch eine Seele hat. Wenn der Mensch fortwährendwie eine Pflanze wächst, kann er keine Seele haben. Die Wachstums-prozesse müssen erst abgebaut werden; die vertreiben ja die Seele.Wenn wir immerfort in unserem Gehirn Wachstums-, Aufbauprozessehätten, nicht Abbauprozesse, Zerstörungsprozesse hätten, könnten wirkeine Seele aufnehmen. Die Evolution schließt alle Geradlinigkeit aus.Die Evolution muß nach einer Richtung zurückgehen. Es muß wieder-um Platz gemacht werden, abgebaut werden. Das ist das Geheimnisder menschlichen Wesenheit, jeder beseelten Wesenheit.

Ich mochte heute darstellen, ich möchte sagen, das spirituell Phy-siologische, spirituell Biologische und morgen dann übergehen zu derBeschreibung einzelner Krankheiten und ihrer Heilprozesse. Deshalbwollte ich mit dieser Auseinandersetzung zunächst beginnen und werdemir erlauben, fortzufahren, wenn dieser Teil übersetzt ist.

Solange wir bei der tierischen Organisation stehenbleiben, haben wires zu tun mit diesen drei Organisationen, dem physischen Leib, demätherischen Leib, dem astralischen Leib. In dem Augenblicke, wo wiran den Menschen herantreten, finden wir, wenn wir mit derselben inne-ren Seelentrainierung weiterschreiten, daß wir ein weiteres Glied derOrganisation für die geistige Anschauung vor uns haben.

Wenn wir das Tier gerade mit der geistigen Anschauung durchdrin-gen, so finden wir im Tiere gewissermaßen miteinander neutralisiert,

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nicht deutlich voneinander geschieden: Denken, Fühlen, Wollen. Mankann beim Tiere gerade, wenn man es durchschaut, nicht sprechen voneinem getrennten Denken, Fühlen und Wollen, nur von einer neutralenVermischung dieser drei Elemente. Beim Menschen beruht das innereLeben gerade darauf, daß er seine Absichten im ruhigen Denken er-fassen kann, bei diesen ruhigen Absichten sogar noch stehenbleibenkann, sie ausführen kann, nicht ausführen kann. Das Tier, wenn eseinen Impuls hat, führt es ihn aus. Der Mensch trennt Denken, Fühlenund Wollen. Wie das zustande kommt, durchschaut man erst, wennman das innere seelische Schauen weiter fortführt bis zu dem viertenmenschlichen Gliede, zu der Ich-Organisation, so daß wir im Men-schen unterscheiden physischen Leib, ätherischen Leib, Astralleib, dender Mensch noch mit den Tieren gemeinschaftlich hat, und die eigent-liche Ich-Organisation.

Wir haben gerade uns vor die Seele gestellt, daß der astralische Leibdie Prozesse des Wachstums abbaut, die Prozesse der Ernährung fort-während zurückstaut, gewissermaßen ein langsames Sterben in denmenschlichen Organismus hineingliedert. Die Ich-Organisation rettetnun aus diesem Abbau wiederum gewisse Elemente, und von dem-jenigen, was durch den astralischen Leib schon abgebaut ist, ich möchtesagen, die aus dem Ätherleib und dem physischen Leib herausfallendenStoffe, die schon im Abbau sind, baut die Ich-Organisation neuerdingsauf. Das ist eigentlich das Geheimnis der menschlichen Natur.

Wenn wir ein menschliches Gehirn betrachten, so sehen wir in denhellen Partien, in den mehr unter der Oberfläche liegenden Partiendes Gehirns, den Partien, die als Nervenstränge von den Sinnen aus-gehen, eine sehr komplizierte Organisation, aber eine Organisation,die für denjenigen, der sie durchschauen kann, in Abbau begriffen ist,in fortwährendem Abbau in Wirklichkeit, wenn der Abbau auch sehrlangsam geht, so daß er mit grober Physiologie nicht verfolgt werdenkann. Aber aus alledem baut sich auf im Menschen, der sich dadurchgerade vom Tiere unterscheidet, das peripherische Gehirn, das eigent-lich der menschlichen Organisation zugrunde liegende Gehirn. In be-zug auf den menschlichen Bau ist eigentlich das zentrale Gehirn, dieFortsetzung der Sinnesnerven und ihre Verbindungen, vollkommener.

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Das äußere Gehirn, das der gewöhnlichen Organisation des Menschenzugrunde liegt, ist eigentlich mehr noch ein dem Stoffwechsel nahe-liegendes Organ als die tieferen Partien des Gehirns. Aber dafür istauch dieses, das dem Menschen eigentümliche peripherische Gehirn,das eigentliche Stirngehirn, eigentlich durch die Ich-Organisation her-ausgerettet aus demjenigen, was sonst schon zerfällt. Und so geht esdurch den ganzen menschlichen Organismus. Die Ich-Organisation ret-tet aus dem Zerfall, den der astralische Leib bewirkt, wiederum gewisseElemente, aus denen nun aufgebaut wird dasjenige, was dem harmo-nisch geordneten Denken, Fühlen und Wollen des Menschen zugrundeliegt.

Ich kann diese Dinge natürlich nur andeuten, möchte aber dochdarauf hinweisen, daß wir auf dem Gebiet der geistigen Forschunggenau ebenso exakt verfahren, wie nur irgendeine äußere Wissen-schaft experimentierend verfahren kann, und uns auch verantwort-lich fühlen, so daß wir uns jederzeit fragen: Stimmt dasjenige über-ein, was wir im geistigen Schauen finden, mit demjenigen, was Er-gebnis der äußeren empirischen, physischen Forschung ist? - An-deres wird nicht in Wirklichkeit, wenigstens prinzipiell nicht geltengelassen.

Aber gerade der Bau des Gehirnes weist uns hin auf dieses, wasman dann mit dem Schauen, mit dem geistigen Schauen, mit dem spi-rituellen Wahrnehmen erkennt, daß beim Menschen zu den drei Glie-dern, dem physischen Leib, dem Ätherleib, dem astralischen Leib, dieIch-Organisation zugrunde liegt, die gewissermaßen einen Parasitenaus den Zerfallsprodukten wiederum aufbaut, gewissermaßen wieder-um lebendig macht. So haben wir vier Glieder der menschlichen Orga-nisation. Diese vier Glieder der menschlichen Organisation müssenzueinander im gesunden menschlichen Organismus ganz bestimmte Ver-hältnisse haben.

Ich möchte, wenn ich mich durch ein wissenschaftliches Analogonausdrücken soll, folgendes sagen: Wir bekommen nur Wasser, wennwir Wasserstoff und Sauerstoff in einer gewissen Weise nach den Ge-wichtsverhältnissen miteinander vereinigen; in einer anderen Weisewird aus Sauerstoff und Wasserstoff nicht Wasser. Wasserstoff und

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Sauerstoff haben eine gewisse Relation zueinander. Ist diese Relationerfüllt, entsteht Wasser.

Ebenso ist der Mensch da, wenn eine normale Relation - wenn ichmich dieses Ausdruckes bedienen darf - zwischen physischem Leib,ätherischem Leib, astralischem Leib und Ich-Organisation ist. Wir ha-ben nicht nur vier, sondern vier mal vier Relationen. Alle können ge-stört werden. Es kann der ätherische Leib präponderieren, denn dasLebendige unterscheidet sich von dem Toten dadurch, daß zwar einGleichgewicht da ist, dieses Gleichgewicht aber labil ist. Wasserentsteht einfach nicht, wenn nicht die Relation zwischen Wasserstoffund Sauerstoff da ist. Im menschlichen Organismus aber kann einabnormes Verhältnis eintreten zwischen dem ätherischen Leib und demphysischen Leib oder zwischen dem astralischen Leib und dem äthe-rischen Leib oder zwischen der Ich-Organisation und einem dieserGlieder. Alle sind sie miteinander verbunden, haben bestimmte Rela-tionen zueinander. Werden sie gestört, haben wir den kranken Orga-nismus vor uns.

Nun aber ist diese Relation, die man durchschauen kann, nicht etwaeine durch den ganzen Menschen hindurchgehende gleichmäßige, son-dern sie ist für jedes menschliche Organ verschieden. Betrachten wireine menschliche Lunge, so stehen in der menschlichen Lunge physi-scher Leib, ätherischer Leib, astralischer Leib und Ich-Organisation ineinem anderen Verhältnis als im Gehirn oder in der Leber. Dadurchgerade ist der Mensch eine so komplizierte Organisation, daß in jedemseiner Organe das Spirituelle und das Materielle in verschiedenen Ver-hältnissen stehen.

Wenn ich mich heute mehr im Allgemeinen aufhalten darf - ichwerde auf Spezielles morgen eingehen -, so möchte ich von diesemAllgemeinen sagen: Da kann für ein Organ, sagen wir Leber, Niere,eine zu starke Astralität vorhanden sein. Ich möchte sagen, es ist einbestimmtes, für den gesunden menschlichen Organismus tauglichesVerhältnis zwischen der Niere als physischem Organ, ätherischem undastralischem Leib und Ich-Organisation da. Es kann die astralischeOrganisation in der Niere überwiegen, sie kann zu stark sein. Sie kannauch zu schwach sein. Beides bedeutet eine Nierenkrankheit.

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Dasselbe aber, Zu-schwach-Sein der astralischen Organisation oderZu-stark-Sein, ist in einem anderen Organ anders. Sie sehen daraus,es muß genau so, wie der physische Anatom,, der physische Physio-loge, nach den äußeren physischen Merkmalen den Organismus desMenschen studiert, so muß exakt, nachdem einmal dieses allgemeinespirituelle Schauen zugegeben und geübt ist, die menschliche Organi-sation studiert werden, Gesundheit und Krankheit jedes Organes fürsich beobachtet werden, erkannt werden. Dadurch gelangt man all-mählich zu einer vollständigen, zu einer totalen Erkenntnis des mensch-lichen Organismus. Man erkennt den menschlichen Organismus nicht,wenn man ihn bloß seiner physischen Organisation nach kennt. Manerkennt ihn erst, wenn man ihn nach diesen genannten vier Gliedernerkennt. Und man durchschaut das Wesen einer Krankheit erst dann,wenn man sagen kann, wie im menschlichen Organismus irgendeinesder vier Glieder, die genannt worden sind, da oder dort entweder zustark prädominiert oder zu stark zurücktritt. Dadurch, daß man aufdiese Dinge den geistigen Blick hinzulenken vermag, kommt man inder Tat zu einer eben spirituell neben dem Materiellen gehaltenen Dia-gnose. Und es wird auf dem Gebiet der anthroposophischen Medizin,das da bearbeitet wird, kein Mittel, das die gewöhnliche Medizin hat,vernachlässigt; davon kann gar nicht die Rede sein. Dagegen wirdhinzugefügt zu alledem dasjenige, was durch dieses Durchschauen dermenschlichen Organisation nach ihren vier Gliedern eben möglich istin der Beurteilung des gesunden oder kranken Menschen.

Dazu kommt aber, daß es auch möglich ist, die spirituelle Anschau-ung nicht nur im Menschen, in bezug auf den Menschen zu haben,sondern diese spirituelle Anschauung in bezug auf die ganze Naturzu haben, das heißt, die ganze Natur nicht nur physisch zu durch-schauen, sondern sie auch geistig zu durchschauen. Dadurch aber istman erst wiederum in der Lage, die Beziehung des Menschen zur Na-tur, im Speziellen in der Medizin, die Beziehung des Menschen zu denHeilmitteln zu finden.

Betrachten wir eines. Ein sehr verbreiteter Stoff der Erdenorgani-sation ist die Kieselsäure. Die Kieselsäure ist in den schönen, so vielauf der Erde verbreiteten Quarzkristallen enthalten; aber auch fein

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verteilt in der Luft ist Kieselsäure. Achtundzwanzig Prozent der ge-samten Substanz an der Erdoberfläche ist Kieselsäure, achtundvierzigProzent Sauerstoff. Also Kieselsäure ist kaum viel weniger vorhandenals Sauerstoff auf der Erde. Die Kieselsäure bildet die schönen hellen,sechsseitigen Prismen, sechsseitigen Pyramiden. Wir finden sie in un-seren Gebirgen, stellen sie uns ins Zimmer als besondere Stücke, diewir bewundern unter unseren Mineralien.

Diese Kieselsäure stellt einen unendlich wichtigen Bestandteil un-serer Erde dar. Aber für denjenigen, der so, wie ich es angedeutet habe,die Dinge auch geistig durchschauen kann, ist alles dasjenige, was sichin allem Quarz, in allem Kieseligen darstellt, zugleich die äußere Of-fenbarung eines Geistigen.

Da wird der heutige Mensch noch rebellischer, als er wird, wennman ihm beim Menschen vom Geiste redet. Beim Menschen läßt ersich es manchmal gefallen. Wenn man ihm aber von der Natur spricht,daß überall, wo ein Naturwesen sitzt, auch Geist drinnensitzt in demNaturwesen: das läßt er sich nicht gefallen! Denn da will er sich über-all mit der physischen Natur Genüge tun. Aber es ist nicht so. Es istein ganz gewaltiger Unterschied, wenn wir Kieselsäure unter uns ha-ben und sie geistig durchschauen, zum Beispiel Quarzkristall oderauch ganz feine Kieselsäure, oder wenn wir Kohlensäuregas durch-schauen mit dem trainierten Bewußtsein. Man ist eben heute gewöhnt,die gewöhnlichen physischen Merkmale gelten zu lassen: Kohlensäureist Carbo, Kohlenstoff und Oxygen, Sauerstoff; Kieselsäure ist Sili-zium und Sauerstoff, und man beurteilt Sauerstoff und Kiesel nachden Eigenschaften, die sie in der Retorte zeigen, die man sonst nachReaktionen im chemischen Laboratorium beobachten kann. EbensoKohlenstoff und Sauerstoff.

Aber zu alledem kommt Geistiges. Und das ist nun so, daß bei allemKieselsäurigen, bei alledem, was so ist, wie in festem Zustande derQuarz ist, der Bergkristall, den wir draußen in unseren Hochgebirgenfinden, bei alledem ist es so, daß diese Substanz, diese kieselige Sub-stanz, allem Geistigen einen freien Weg gibt. Die Kieselsäuresubstanzläßt alles Geistige der Welt, das in der Welt webt und lebt, immerdurch sich durchgehen.

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Das ist das Merkwürdige, wenn man einen Quarzkristall vor sichhat: er ist wie eine Durchgangsstation für das Geistige. Es sind ja umdie Erde herum achtundzwanzig Prozent der Gesamtsubstanz Kiesel-säure und durch alles, was im Kieselsäureprozeß ist, geht das Geistigedurch, wie eben das Licht durch etwas Durchsichtiges durchgeht. Aberder Bergkristall Quarz kommt ja auch im sogenannten Undurchsichti-gen vor als sogenannter Rauchtopas; trotzdem das Licht nicht durch-geht, geht alles Geistige durch.

Also wir haben es zu tun in der Natur mit solchen Stoffen, die ein-fach für den Geist durchlässig sind. Sie sind Träger des Geistes. Geistist in ihnen, sie nehmen ihn überall auf, halten ihn nirgends zurück zu-gleich. Sie sind die wahren Durchgangsstationen für den Geist.

Verhalten sich solche Substanzen wie Kieselsäure in dieser Art zumSpirituellen, so ist es ganz anders bei der Kohlensäure. Die Kohlen-säure hat die Eigentümlichkeit - und es ist in allem Physischen auchGeistiges -, daß, wenn Geistiges in die Kohlensäure kommt, es darin-nen individualisiert wird. Die Kohlensäure will mit aller Kraft allesGeistige festhalten. Das Geistige selber wählt sich die Kohlensäure,um drinnen zu wohnen. Wenn das Geistige in das Kieselige kommt,will es weiter, will alles Kieselige auskosten. Wenn es an Kohlensäureherankommt, will es drinnenbleiben. Es fühlt sich an dem Orte, wo esdie Kohlensäure ergriffen hat, außerordentlich heimisch.

Darauf beruht das Folgende: Beim Tiere haben wir in Atmung,Blutzirkulation, den Kohlensäureprozeß. Er ist vorzugsweise gebun-den an den astralischen Leib. Der astralische Leib arbeitet; er arbeitetfortwährend in dem Kohlensäureprozeß. Der Kohlensäureprozeß istdas äußerlich Physische beim Tier, der astralische Leib ist das inner-lich geistig Arbeitende. Das Spirituelle ist der astralische Leib; seinphysisches Korrelat ist der Kohlensäureprozeß, der dem Ausatmen zu-grunde liegt.

Die Ich-Organisation ist das spirituell Innerliche. Wir haben Kiesel-säure in den Haaren, in den Knochen, in unseren Sinnesorganen, wirhaben Kieselsäure an die ganze Peripherie des Leibes verteilt, überall,wo der Mensch irgendwie mit den Kräften der Außenwelt in Berüh-rung kommt, ist Kieselsäure. Diese Kieselsäure ist das äußerliche Kor-

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relat, die Wirksamkeit nach außen für die Ich-Organisation. Astra-lischer Leib: das innerlich Spirituelle; Kohlensäureprozeß: das äußer-liche Physische. Kieselsäureprozeß: das äußerlich Physische; Ich-Or-ganisation: das Innerliche.

Nun bedenken Sie, die Ich-Organisation muß in einer gewissenWeise stark genug sein, um all den Kieselsäureprozeß, der in ihr ist,zu verarbeiten, zu beherrschen. Ist die Ich-Organisation zu schwach,so fällt physisch der Kieselsäureprozeß heraus: ein Krankheitsprozeß.Der astralische Leib muß stark genug sein, den Kohlensäureprozeßzu beherrschen; ist er zu schwach dazu, fallen Kohlensäure oder ihreZerfallsprodukte heraus: Beginn der Krankheit.

Man schaut also, indem man den starken oder schwachen astrali-schen Leib kennenlernt, gerade im Spirituellen die Ursache der Krank-heit. Man schaut, indem man die Ich-Organisation kennenlernt, dieUrsache all derjenigen Erkrankungen, die entweder einen falschenKieselsäurezerfall im Körper bewirken, oder denen man irgendwie -wir werden davon morgen sprechen - therapeutisch beikommen mußdurch einen Kieselsäureprozeß. Aber dasjenige, was daraus hervor-geht, ist ja das Folgende.

Mit der bloßen physischen Naturwissenschaft kann man als Heil-mittel Kieselsäure irgendwie verarbeitet verabreichen. Es gibt dies janatürlich; obwohl in der heutigen Medizin seltener Kieselsäure ver-wendet wird, wird sie doch verwendet. Aber man denkt dabei dochnur an das, an was der Chemiker denkt, an diese Verbindung von Kiese-ligem und Sauerstoff, SiO2. Man denkt nur an das. In Wahrheit ver-abreicht man aber, wenn man Kieselsäure verabreicht, eine solcheäußere materielle Substanz, die nicht den Geist zusammenhält, son-dern nur durch sich durchgehen läßt. Das muß man wissen. Verab-reicht man dem Menschen Kieselsäure als Heilmittel, so muß man dasPräparat so gestalten, daß der Geist in der richtigen Weise drinnen-sitzt.

Bei Heilmitteln, wo die Kohlensäure drinnensitzt, muß man sichbewußt sein: da drinnen arbeitet der astralische Leib.

Es ist also möglich, an eine Therapie zu denken, die nicht bloß mitden chemischen Agenzien, mit den chemischen Kräften arbeitet, son-

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dem die ein Heilmittel mit dem vollen Bewußtsein verabreicht: Ge-radeso wie du eine Portion physische Substanz verabreichst, oder wiedu in einer bestimmten Prozentuallösung von physischer Substanzbaden läßt oder injizierst, so injizierst du mit der bestimmten Sub-stanz in einer ganz bestimmten Weise das Geistige in den menschlichenOrganismus hinein.

So ist es durchaus möglich, den Übergang zu machen zu der Er-kenntnis nicht bloß der physischen Substanz im Heilmittel, sonderndesjenigen, was im Heilmittel als Geistiges wirkt. Das ist dasjenige,was der alten Medizin eben eigen war und wovon noch die Traditio-nen da sind, wovon gerade bei heute noch angewendeten wichtigenHeilmitteln die Tradition noch da ist.

Das ist dasjenige, wozu wir wieder kommen müssen. Und wirkönnen dazu kommen, wenn wir ohne alle Vernachlässigung der phy-sischen Medizin die spirituelle Erkenntnis zu der physischen, sowohldes Menschen wie der Natur, hinzufügen. Man kann dabei ganz eben-so exakt vorgehen, wie man in der physischen Naturwissenschaft vor-geht.

Das ist eben gerade, was Anthroposophie nicht korrigieren will ander gewöhnlichen Medizin, sondern einfach, weil sie sieht, daß diegewöhnliche Medizin überall das aus sich heraus eigentlich verlangt,es hinzufügen will zur gewöhnlichen Medizin. Davon wird man sichüberzeugen, wenn demnächst das Buch erscheinen wird, das sozusageneigentlich die erste Bearbeitung dieses Gebietes ist, das jetzt eben ge-rade im Druck ist und das darstellen wird die ersten Elemente. DieDinge werden ja natürlich erst langsam erarbeitet werden können,und es wird lange Zeit brauchen, bis die ersten Elemente, die jetzt vor-handen sind, zu einem so schönen vollkommenen System werden ge-staltet werden können, wie es die heutige Medizin nach allen Seitendarstellt, aber der Weg muß eben gegangen werden und der Weg wirdgegangen werden, und das erste, was als Produkt nach dieser Rich-tung erscheint, ist das Buch, das im Zusammenarbeiten von mir undmeiner lieben Freundin und Mitarbeiterin auf medizinischem und aufsonstigem geistesforscherischem Gebiete, auf dem Gesamtgebiete derGeistesforschung, Dr. med. Ita Wegman, die das Klinisch-Therapeu-

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tische Institut am Goetheanum leitet, entstanden ist. Was in diesemBuche zunächst wenigstens als Anfang wird dargestellt werden - dererste Band ist eben im Drucke -, stellt den einen Anfang dar. Es wer-den Fortsetzungen folgen, denn dasjenige, was ich Ihnen andeute, istder Anfang einer ausgebreiteten spirituellen Erkenntnis, an die dieMenschheit heute noch wenig glaubt, und man kann verstehen, daßsie noch wenig glaubt. Aber daß schließlich damit auch auf medizi-nischem Gebiet schon Erfolge errungen werden können, das kann den-noch auch schon in der Praxis studiert werden an dem Klinischen In-stitut von Frau Dr. Wegman. Und meine Überzeugung ist es, daß die-jenigen Persönlichkeiten, welche ohne Vorurteil auf diese Fortsetzungund Ergänzung der Medizin mit demselben guten Willen eingehen,wie man sonst auf die physische Medizin eingeht, daß diese Persön-lichkeiten es gar nicht schwierig haben werden, den Zugang zu dieserspirituellen Erfassung des Menschen und der spirituellen Erfassungeiner gewissen Heilweise zu finden.

Ich habe versucht, wirklich nur das Prinzipielle anzudeuten. Ichweiß sehr gut, daß man aus solchen Andeutungen wenig gewinnenkann; ich möchte aber dennoch heute dann im dritten Teil die Sachedamit beginnen, daß ich, nachdem dieser Teil übersetzt ist, übergehedazu, zu zeigen, wie aus solchen Voraussetzungen heraus prinzipiellin die Erkenntnis bestimmter Krankheitsprozesse eingetreten werdenkann und damit ein Fundament geliefert werden kann, von der Pa-thologie heraus in die Therapie zu kommen.

Ich darf mir nur noch erlauben, kurz an zwei Beispielen sozusagendie spirituell praktische Ausgestaltung desjenigen, was ich dargestellthabe, zu zeigen. Nehmen wir auf Grundlage dessen, was gesagt wordenist, an: Irgendwie zeigt sich im Menschen vor einer - wenn ich mich soausdrücken darf - spirituellen Diagnose, daß der Ätherleib irgendwoprädominiert, daß die Tätigkeit des Ätherleibes zu stark ist. Es ist alsodas Folgende eingetreten: Wir stehen vor der Tatsache, daß einfach sichdem Blicke zeigt, der Ätherleib arbeitet in irgendeinem Organ zu stark.Der astralische Leib und die Ich-Organisation sind nicht in der Lage -die astralische Organisation durch Abbau, die Ich-Organisation durch

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Wiederbeleben -, zu beherrschen diesen prädominierenden Prozeß desÄtherleibes in irgendeinem Organ. So stehen wir vor einer zu schwachgewordenen astralischen Organisation, vielleicht auch vor einer zuschwach gelenkten Ich-Organisation, der Ätherleib praponderiert. Erbringt in irgendeinem Organ die Prozesse des Wachstums, der Er-nährung, so zustande, daß der menschliche Organismus zu wenig zu-sammengehalten wird durch den beherrschenden astralischen Leib,durch die beherrschende Ich-Organisation.

An dieser Stelle des prädominierenden Ätherleibes erscheint dermenschliche Organismus zu stark ausgesetzt den zentrifugalen Kräf-ten in den Kosmos hinaus. Im Ätherleib wirken diese. Sie stehen nichtim Gleichgewicht mit den zentripetalen Kräften des physischen Leibes.Und was sich entwickelt, kann der astralische Leib nicht beherrschen.Wir stehen in diesem Falle zugleich vor einem Prädominieren des Kie-selsäureprozesses, vor einem Nichtbeherrschen des Kieselsäureprozessesdurch die Ich-Organisation.

So etwas erblicken wir immer in der Tumorbildung. Und insbeson-dere eröffnet sich der Weg zum wirklichen Erkennen der Karzinom-prozesse, Cancerprozesse auf diese Weise.

Sie werden immer finden, in bezug auf die Erforschung des Karzi-noms, Cancer, werden sehr schöne Ansätze genommen. Man hat geradein bezug auf diese Untersuchungen die besten Erfolge erzielt, die ei-gentlich auf physischem Gebiete erzielt werden können. Aber das Kar-zinom läßt sich nicht begreifen, solange man nicht weiß, daß es sichum ein Prädominieren des Ätherleibes handelt, das nicht zurück-gedrängt, nicht abgebaut wird durch ein entsprechendes Wirken desastralischen Leibes, der Ich-Organisation. Und es entsteht die Frage:Was hat man zu tun, um nun partiell für das betreffende Organ dieastralische Organisation, die Ich-Organisation zu verstärken, damitdie prädominierende Ätherorganisation genügend abgebaut werdenkann? Das ist die Frage, zunächst abstrakt aufgestellt, die hinüber-führt zur Therapie des Karzinoms, über die ich mir dann erlaubenwerde, morgen zu sprechen.

Wir sehen also hier aus dem Begreifen des Ätherleibes den Wegeröffnet, eine der allerschlimmsten menschlichen Erkrankungen nach

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und nach zu durchschauen und durch das Begreifen der spirituellenWirkungen in den Heilmitteln das Betreffende zu bekämpfen. Dasist ein Beispiel, wo man auf den Ätherleib hinschauen muß, um dieKrankheit durchgreifend zu verstehen.

Nehmen wir aber an, der astralische Leib prädominiere, und zwarso, daß der astralische Leib so prädominiert fast durch den ganzenOrganismus hindurch, daß man es zu tun hat mit einer allgemeinen,ich möchte sagen, Versteifung des astralischen Leibes, daß der astra-lische Leib zu stark seine inneren Kräfte entwickelt und eigentlich, ichmöchte sagen, sich viel wichtiger macht im Organismus, als ihm zu-kommt. Was entsteht dadurch? Zunächst, wenn der astralische Leib vonder Ich-Organisation nicht beherrscht werden kann, wenn er in seinemAbbau nicht durch einen Wiederbelebungsprozeß in entsprechenderWeise paralysiert werden kann, ein Gleichgewicht hergestellt werdenkann, dann treten vor allen Dingen Erscheinungen auf, die immer miteiner zu schwachen Ich-Organisation zusammenhängen. Denn wennder astralische Leib zu stark ist, ist die Ich-Organisation dazu relativzu schwach. Das ist immer verbunden mit all den Krankheitssympto-men, die von einer zu schwachen Ich-Organisation, zu starken astrali-schen Organisation herrühren.

Das tritt zunächst auf in den Erscheinungen der abnormen Herz-tätigkeit. Wir haben also einen Symptomenkomplex aufzusuchen, indem ein Bestandteil die zu starke Herztätigkeit ist.

Weiter ist ein Ergebnis einer relativ zu schwachen Ich-Tätigkeit inbezug auf den astralischen Leib die hervortretende Tätigkeit der Drü-sen. Also mehr oder weniger peripherische Drüsenorgane beginnen,weil sie von der Ich-Organisation nicht genügend beherrscht werden,eine prädominierende Tätigkeit zu entwickeln. Wir sehen zum Bei-spiel dasjenige auftreten, was diese Drüsen hier (am Halse) anschwel-len läßt: die Kropfbildung tritt auf.

Wir sehen weiter, wie durch den sich versteifenden astralischen Leibder Kieselsäureprozeß, der in der Reaktion von innen zurückwirkensollte, nach außen gedrängt wird, wie die Ich-Organisation nicht in derLage ist, gerade in den Sinnesorganen, wo sie entsprechend stark wirkensoll, stark genug zu wirken. Wir sehen daher, wie die Augen aufquellen.

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Der astralische Leib treibt die Augen nach außen. Die Ich-Organisationist dazu da, dieses Nach-außen-Treiben der Augen zu beherrschen. Un-sere Augen sind durch das stabil labile Gleichgewicht zwischen der Ich-Organisation und dem astralischen Leib in ihrer der Organisation ent-sprechenden Lage gehalten. Wir sehen nun die Augen heraustreten,wie wenn sie aus dem Organismus heraustreten sollten, weil die Ich-Organisation zu schwach ist, sie in dem Organismus in der richtigenWeise zu halten. Wir sehen aber auch eine allgemeine Unruhe auf-treten, eine Sensitivität, eine Nervosität. Wir sehen endlich, weil dieIch-Organisation nicht in richtiger Weise die organischen Prozesse,insofern sie der astralische Leib bewirkt, zurücktreiben kann, prädo-minierend die Tätigkeit des astralischen Leibes. Es tritt dasjenige ein,was eintreten muß, wenn die Ich-Organisation zu schwach ist undder Mensch gewissermaßen getrieben und gestoßen wird von der seinerIch-Organisation untergeordneten astralischen Organisation, wir se-hen Schlaflosigkeit, mit diesem Hervortreten der Augen, mit abnormerDrüsentätigkeit verbunden, kurz, wir sehen, indem wir den Menschenbegreifen, Morbus Basedow, wir sehen die Basedowsche Krankheit.

Finden wir uns so zurecht, erkennen wir, daß durch eine Störungdes Gleichgewichtes zwischen Ich und astralischen Leib die Basedow-sche Krankheit, Morbus Basedow, hervorgerufen wird, dann könnenwir wieder auf entsprechendem Wege versuchen, die Therapie aus-zubilden.

Sie sehen, die Dinge können durchaus auf exaktem Wege gesuchtwerden, sowohl hinsichtlich ihrer pathologischen Lage, wie hinsicht-lich der Therapie, und mit Hilfe des spirituellen Durchschauens desMenschen, entsprechend gefunden werden.

Das ist dasjenige, was ich zunächst mir erlaubt habe, vorauszu-setzen. Ich werde dann insbesondere mir erlauben, morgen überzu-gehen von diesen beiden Beispielen, die ich gegeben habe, um zu zei-gen, wie eine solche spirituelle Pathologie auch hinüberführt in einesolche spirituelle Therapie. Ich werde ausgehen von diesen beiden, ichmöchte sagen, charakteristischen Krankheitsbildern, dem Karzinomund Morbus Basedow, um von da aus zu zeigen, wie man auf diesemWege zu einer Bereicherung, Ergänzung des Therapeutischen kommen

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kann, nachdem man zunächst eine wirkliche exakt spirituelle Grund-lage für Physiologie und Therapie geschaffen hat.

Auf das Therapeutische, also in bezug auf die beiden Beispiele, werdeich mir erlauben, morgen einzugehen, um daraus ein weiteres Bild vonder Therapie zu geben, die aus dieser Fundation folgen kann.

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ELFTER VORTRAG

London, 29. August 1924

Gestern durfte ich davon sprechen, wie durch die Erkenntnis der über-sinnlichen Wesenheit des Menschen Licht verbreitet werden kann überden gesunden und kranken Zustand dieses Menschen. Ich konnte zei-gen, wie die physische, die ätherische, die astralische und Ich-Wesen-heit im gesunden Menschen ganz bestimmte Relationen haben müs-sen, die allerdings nicht einem exakten, strikten Gleichgewicht ent-sprechen, sondern einem mehr labilen, wie aber dennoch von einerbeträchtlichen Abweichung von dem gesunden Verhältnis dieser vierGlieder der menschlichen Natur das Werden der Krankheit im Men-schen abhängt. Und ich habe zwei Beispiele zunächst herausgegrif-fen, an denen ich zeigen konnte, was sich einer geisteswissenschaftli-chen Forschung, einer spirituellen Anschauung ergibt über die Krank-heitsnatur aus der Erkenntnis des ätherischen Organismus, die da lie-fert eine bestimmte Einsicht zum Beispiel in das Karzinom, Cancer,und ich habe dann darauf hingewiesen, wie die Einsicht in das Wesendes astralischen Organismus dazu führen kann, so etwas wie den kom-plizierten Symptomkomplex von Morbus Basedow, der BasedowschenKrankheit, zu überblicken.

Wenn man nun weitergehen will aus dem Pathologischen ins The-rapeutische hinein - und das wollen wir zunächst veranschaulichen andiesen beiden Beispielen -, so muß ich dazu zunächst etwas Prinzi-pielles noch geben, um zu zeigen, wie überhaupt eine Wirkung ent-steht durch die Aufnahme äußerer Natursubstanzen in den mensch-lichen Organismus.

Das ganze Verhältnis der sogenannten Natur zum menschlichenOrganismus begreift man nämlich erst, wenn man durchschaut, wienicht nur dieser menschliche Organismus ein Physisch-Seelisch-Geisti-ges in physischem Leib, ätherischem Leib, astralischem Leib und Ich-Organisation ist, sondern wenn man des weiteren begreift, was ich jagestern schon für die Kieselsäure und Kohlensäure gezeigt habe, daßsich überall da, wo Natursubstanzen, Naturprozesse sich finden, als

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Grundlage dieser Natursubstanzen und Naturprozesse für die geistigeAnschauung konkret ergreifbares Geistiges da ist. Aber man mußeben dann auch in das Konkret-Geistige eingehen. So wie man im Phy-sischen unterscheiden muß zwischen einem Mineral und einer Pflanze,so muß man auch dasjenige, was die Wesen der Welt Geistiges, Spiri-tuelles in sich tragen, in seiner Konkretheit erkennen.

Nun kann ich die Dinge natürlich nur summarisch darstellen, aberich möchte doch wenigstens auf Hauptkategorien eingehen. Nehmenwir zunächst die mineralische Natur. Wir nehmen ja aus der mine-ralischen Natur einen beträchtlichen Teil unserer Heilmittel, und auchdasjenige, was als spirituelle Grundlage der Medizin geschaffen wer-den kann, wird einen beträchtlichen Teil der Heilmittel aus dem Mi-neralreiche entnehmen müssen.

Schauen wir uns um im ganzen Mineralreich und wir werden fin-den, daß dasjenige, was im Mineralreich vorhanden ist, das Geistigein sich so gebunden enthält, daß eine gewisse Verwandtschaft des Mi-neralischen gerade mit der menschlichen Ich-Organisation vorhandenist, und zwar so: Man könnte glauben, wenn man dem Menschen ir-gendwie, sei es durch den Mund, sei es durch Injektion, Mineralischesbeibringt, dann wirke das Mineralische hauptsächlich auf den mensch-lichen Organismus und mache ihn gesund oder krank. Nun ist es aberin Wirklichkeit so, daß das Physisch-Mineralische als solches, das-jenige, das der Chemiker untersucht, mit dem es der Physiker zu tunhat, in seinen Gedanken zu tun hat, eigentlich gerade als Physischesauf den menschlichen Organismus nicht wirkt, sondern so bleibt, wiees ist. Gerade das Physische zeigt für die geistige Anschauung, wennes aus der Außenwelt in den menschlichen Organismus übergeführtwird, kaum eine beträchtliche Metamorphose. Dagegen wirkt das imPhysischen vorhandene Geistige beim Mineralischen ganz besondersstark auf die Ich-Organisation des Menschen. So daß wir sagen kön-nen: Der Geist eines solchen Bergkristalls zum Beispiel, er wirkt be-sonders stark auf die Ich-Organisation des Menschen. So daß die Ich-Organisation des Menschen, indem sie zum Beispiel das Kieselige insich trägt, das Geistige der Kieselsäure, also des Quarzes, in sich be-herrscht. Das ist das Bedeutsame.

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Gehen wir vom Mineralischen zum Pflanzlichen. Die Pflanzenhaben nicht nur einen physischen Leib, sie haben auch dasjenige, wasich gestern als einen Ätherleib charakterisiert habe. Wenn wir nunwiederum Pflanzliches dem Menschen, sei es durch Injektion, sei esdurch den Mund beibringen, so wirkt das Pflanzliche im allgemeinen -die Dinge, die ich jetzt sage, sind summarisch im allgemeinen, es fin-den überall Ausnahmen statt, die können dann auch studiert werden,aber dies gilt im allgemeinen -, so wirkt alles Pflanzliche, das demMenschen beigebracht wird, unmittelbar auf seinen astralischen Leib.Alles Tierische, also alle diejenigen Essenzen, irgendwie Flüssigkeiten,verarbeitete Stoffe, die wir aus dem Tierreich gewinnen und demmenschlichen Organismus beibringen, die wirken im menschlichen Or-ganismus auf den ätherischen Leib.

Das ist ganz besonders deshalb interessant, weil in der gestern er-wähnten, spirituell fundierten Medizin schon für gewisse Krankheits-fälle Produkte aus dem tierischen Reiche genommen werden, zum Bei-spiel das Sekret der Hypophysis cerebri, des Gehirnanhanges, das mitErfolg angewendet wird bei rachitischen Kindern oder bei Deforma-tionen von Gliedmaßen im kindlichen Alter und dergleichen. Abernicht nur dieses Sekret, auch andere Produkte des tierischen Orga-nismus wirken auf den ätherischen Leib des Menschen, verstärkenihn oder schwächen ihn, kurz, haben da ihre hauptsächlichste Wir-kung.

Dasjenige, was vom Menschen etwa direkt hinübergeimpft wirdauf den anderen Menschen, das hat nur eine Bedeutung für die phy-sische Organisation des Menschen. Es kommt lediglich bei dem einebloß physische Wirkung in Betracht, was von einem Menschen aufden anderen hinübergeimpft wird. Das ist sehr interessant. Denn wennzum Beispiel von einem Menschen zu dem anderen Blut hinüberge-bracht wird, so hat man bloß mit dem zu rechnen, was Blut auf denOrganismus als physische Wirkung hervorbringen kann.

Das war besonders gut zu studieren in der Zeit, als der Überganggemacht worden ist von der Pockenimpfung mit menschlicher Flüssig-keit zu der Kuhpockenimpfung, wo man direkt verfolgen konnte, wiedie Wirkung vom physischen Leib bei dem früheren vom Menschen

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genommenen Impfstoff sozusagen hinauf rückte, dadurch daß man dentierischen Impfstoff verwendete, in den ätherischen Leib.

So können wir sagen: Wir vermögen zu überschauen, wenn wir dasspirituelle Anschauen in uns entwickeln, wie stufenweise die Naturauf den Menschen wirkt, wie der Mensch durch seine Ich-Organisationgewissermaßen den Geist des Mineralreiches in sich hereinzieht, wieer durch seine astralische Organisation den Geist des Pflanzenreichesin sich hereinzieht, durch seine ätherische Organisation den Geist, dasSpirituelle des Tierreiches und durch seine physische Organisation le-diglich das Physische des Menschen. Da können wir nicht mehr vomGeist sprechen. Schon bei der tierischen Organisation, die auf denÄtherleib wirkt, können wir nicht eigentlich mehr vom Geistigen,sondern nur vom Ätherischen im Tiere selber sprechen.

Auf diese Zusammenhänge zu kommen, gibt wirklich eigentlicherst eine wahre Anschauung von der ganzen Art und Weise, wie derMensch im gesunden und kranken Zustande in die Natur hineingestelltist. Aber man bekommt auch ein innerliches Schauen von der Fort-wirkung des Natürlichen im menschlichen Organismus. Und wennman dann weiterzugehen hat, zu fragen hat: Wie hat man sich alsozum Beispiel zu verhalten bei so etwas wie dem Karzinom, Cancer? -Wir haben gestern gesehen, der ätherische Leib entwickelt an der Stelleirgendeines Organs eine zu starke Kraft von sich aus. Die zentrifugalenKräfte, das heißt, die in den Kosmos hinauswollenden Kräfte wer-den zu stark. Der astralische Leib und die Ich-Organisation sind nichtin der Lage, dem in genügender Art entgegenzuwirken. Nun wirdman geleitet durch dasjenige, was man spirituell erkannt hat. Mansagt sich, jetzt kann man versuchen: entweder man muß den astra-lischen Leib stärker machen, dann muß man sich ans Pflanzenreichwenden, oder man muß den ätherischen Leib zurückdrängen in sei-ner Wirksamkeit, dann müßte man sich an das Tierreich wenden.

Uns hat nun zunächst die spirituelle Forschung dazu geführt, jenenWeg zu betreten, der an den astralischen Leib herangeht, um die Hei-lung des Karzinoms zu erreichen, so daß der astralische Leib in seinerKraft verstärkt werde.

Wenn man sich nun für den astralischen Leib um ein Heilmittel

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bemühen will, so kann es sich nur darum handeln, es zunächst im Pflan-zenreiche zu suchen. Im Pflanzenreiche - kann man nun sagen - hatsich dieses Heilmittel auch wirklich gefunden.

Man hat uns vorgeworfen, daß dabei allerlei laienhafte Vorstellun-gen mitspielten und dergleichen, indem wir eine parasitäre Pflanze,die Mistel, die sonst in der Medizin höchstens bei der Heilung der Epi-lepsie und ähnlichen Erkrankungen verwendet wird, in besonders prä-parierter Weise anwenden, um den Weg zu betreten, der zur Heilungdes Karzinoms führt.

Aber die Mistel ist eben etwas ganz Besonderes. Wenn Sie sich je-mals Bäume angesehen haben, welche diese merkwürdigen Rindenaus-wüchse haben, Stammauswüchse so wie Geschwülste, namentlich wennSie sie im Schnitt, im Durchschnitt angesehen haben, dann werden Siebemerken, daß da etwas Eigentümliches eintritt.

Die ganze Tendenz des Wachstums, die sonst eine vertikale Rich-tung hat, bekommt an der Stelle eine Ablenkung im rechten Winkel,eine Horizontalrichtung; es drängt alles so hinaus, wie wenn ein zwei-ter Stamm nach außen wachsen würde, und Sie bekommen etwas, waswie ein aus der Pflanze selber herausgeholtes Parasitäres ist.

Studiert man es genauer, dann findet man, wenn der Baum einensolchen Auswuchs bekommt, daß dann das Folgende eintritt: Irgend-

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wie ist der physische Leib des Baumes gehemmt. Es ist nicht überallgenügend physische Materie hergegeben, um dem ätherischen Leib inseiner Wachstumskraft nachzukommen. Er bleibt zurück, der phy-sische Leib. Der ätherische Leib, der sonst bestrebt ist, die physischeMaterie zentrifugal hinauszuschleudern in das Weltenall, der ist ge-wissermaßen, wenn hier der erste Auswuchs ist, von da ab alleinge-lassen für einen gewissen Teil. (Es wird gezeichnet.) Zu wenig phy-sische Materie geht hindurch oder wenigstens Materie, die zu wenigphysische Kraft hat. Die Folge davon ist, daß der Ätherleib die Wen-dung herunternimmt zu der mit stärkerer Kraft ausgerüsteten unterenPartie des Baumes. Es ist also im wesentlichen wiederum der Äther-leib, der stark wird.

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Nun stellen Sie sich aber vor, das geschieht nicht, sondern es setztsich hier die parasitäre Mistelpflanze auf, dann geschieht durch einezweite Pflanze, die nun einen eigenen Ätherleib in sich trägt, dasselbe,was sonst mit dem eigenen Ätherleib des Baumes geschieht. Dadurchentsteht ein ganz besonderes Verhältnis der Mistel zu dem Baum. DerBaum, der direkt in der Erde fundiert ist, verarbeitet in sich die der Erdeentnommenen Kräfte. Die Mistel, die an dem Baume aufgesetzt ist,verarbeitet dasjenige, was ihr der Baum gibt, benützt gewissermaßenden Baum als Erde. Sie also verursacht dasjenige künstlich, was beiden Auswüchsen ein Überwuchern der Ätherorganisation ist, wenn esohne die Mistel auftritt. Die Mistel nimmt dem Baume dasjenige weg,was er nur hergibt, wenn er zu wenig physische Materie hat, wenn das

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Ätherische in ihm überwuchert. Ein überwucherndes Ätherisches ziehtsich von dem Baum aus in die Mistel hinein- Dieses innerlich durch-schaut, sagt uns - die Mistel in entsprechender Weise nun so verarbei-tet, daß sie dieses dem Baum entrissene Ätherische wirklich auf denMenschen übertragen kann, was unter gewissen Umständen durch In-jektionen geschieht -, dieses sagt uns: Die Mistel übernimmt als äußereSubstanz dasjenige, was wuchernde Äthersubstanz beim Karzinom ist,verstärkt dadurch, daß sie die physische Substanz zurückdrängt, dieWirkung des astralischen Leibes und bringt dadurch den Tumor desKarzinoms zum Aufbröckeln, zum In-sich-Zerfallen. So daß, wennwir die Mistelsubstanz in den menschlichen Organismus hineinbrin-gen, wir tatsächlich die Äthersubstanz des Baumes in den Menschenhineinbringen, und die Äthersubstanz des Baumes also, auf dem Wegedurch den Mistelträger in den Menschen übergeführt, wirkt verstär-kend auf den astralischen Leib des Menschen.

Das ist ein Weg, der sich nur ergeben kann, wenn wir Einsichthaben, wie der Ätherleib der Pflanze auf den astralischen Leib desMenschen wirkt, wenn wir Einsicht haben, wie eben das Geistige derPflanze, das hier durch die parasitäre Pflanze aus dem Baum her-ausgezogen wird, auf das Astralische des Menschen wirkt.

Sie sehen, auch im Konkreten bewahrheitet sich das, was ich ge-stern gesagt habe: Es handelt sich darum, daß wir, wenn wir Heil-stoffe anwenden, nicht allein dasjenige anwenden, was der Chemikerdenkt dabei, wovon der Chemiker spricht, sondern daß wir dasjenigeanwenden, was Geistiges, Spirituelles in den Dingen drinnen ist.

Nun, ich konnte Ihnen darstellen, daß bei Morbus Basedow derastralische Leib sich versteift, die Ich-Organisation diesen astralischenLeib nicht beherrschen kann. Der ganze Symptomkomplex stellt sich,wie ich gestern darstellte, als solches dar. Worauf wird es ankommen?Es wird darauf ankommen, daß man die Kraft der Ich-Organisationverstärkt. Hier handelt es sich darum, daß wir einmal den Blick aufdasjenige werfen, was im gewöhnlichen Verkehre des Menschen mitder Außenwelt eine geringe Rolle spielt. Der Mensch ißt ja manches,hat so manches zu seinen Nahrungsmitteln, aber gewisse Metalle zumBeispiel gehören nicht zu den Nahrungsmitteln. Kupfer oder Kupfer-

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erz zum Beispiel, Kupferglanz oder Cuprit gehört nicht zu den Nah-rungsmitteln.

Gerade diejenigen Substanzen, welche im gewöhnlichen Verkehredes Menschen mit der Natur nicht eine Rolle spielen, das sind die-jenigen, die nun in ihrem geistigen Teil die größte Wirkung habenauf die mehr geistige Wesenheit des Menschen. Zum Beispiel findenwir gerade, daß der Kupferglanz, Kupfer und Schwefel, die denkbarstärkste Wirkung hat auf die Ich-Organisation des Menschen, die Ich-Organisation wirklich verstärkt.

Wenn man nun bei Morbus Basedow dem Menschen im entspre-chenden Präparat Kupferglanz beibringt, dann stellt man dem Ihnengestern beschriebenen, sich versteifenden astralischen Leib gegenübereine diesen astralischen Leib beherrschende Ich-Organisation, denn derKupferglanz kommt der Ich-Organisation mit seiner inneren Kraftzu Hilfe, und man stellt das Gleichgewicht her zwischen dem astrali-schen Leib und der Ich-Organisation, das notwendig ist.

Ich habe diese Beispiele zunächst gewählt aus dem Grunde, umIhnen innerlich zu zeigen, wie in jedem Produkt der Natur, das wirum uns herum haben, studiert werden kann: Wie wirkt das auf denphysischen Leib des Menschen? Wie wirkt das auf den Ätherleib desMenschen? Wie wirkt das auf den astralischen Leib, auf die Ich-Orga-nisation?

Ich habe Ihnen an dem Beispiel der Mistel gezeigt, Viscum, ent-weder Viscum pini oder Viscum mali, wie die Mistel wirkt auf dasVerhältnis des ätherischen Leibes zum astralischen Leibe, das ja be-sonders berücksichtigt werden muß bei einem therapeutischen Weg,der zur Bekämpfung des Karzinoms führt.

Ich habe Ihnen gezeigt, wie der Kupferglanz wirkt auf die Ich-Organisation. Ich habe Ihnen gezeigt, was bei Morbus Basedow inBetracht kommt, so daß man sagen kann: Ist man in der Lage, hinzu-schauen auf den Menschen auf der einen Seite, wie da ineinander webtund lebt physischer, ätherischer, astralischer Leib und Ich, wie dasabnorm wird im kranken Zustande, durchschaut man dann auch das-jenige, was draußen in der Natur ist, so hat man zum Beispiel folgendeAnschauung: Da ist die Ich-Organisation zu schwach bei Morbus Ba-

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sedow. Draußen habe ich den Kupferglanz. Dieser Kupferglanz, mitder Ich-Organisation zusammengebracht, verstärkt sie wesentlich. Se-hen Sie, wenn Sie so etwas in Betracht ziehen, so ergibt sich ja einwunderbares Erkennen des Zusammenhanges zwischen Mensch undNatur. Die große, wunderbar wirkende Frage beantwortet sich uns:Warum nimmt der Mensch so viele Substanzen in seine Nahrungsmittelauf? Warum spielen andere eine so geringfügige Rolle? Im gesundenMenschen spielen die letzteren allerdings keine besondere Rolle, imkranken Menschen beginnen sie eine besondere Rolle zu spielen, weilgerade diejenigen Substanzen, die nicht in den Nahrungsmitteln ent-halten sind, auf den geistigen Teil des Menschen besonders stark wir-ken; die nicht in der Nahrung wirkenden Mineralien, Pflanzen, auchtierischen Produkte, sie sind es, die zum Ich, zu der astralischen Orga-nisation ihre besondere Verwandtschaft haben.

Und so handelt es sich wirklich bei diesen Dingen um das Hinein-schauen in tiefe Geheimnisse der Natur. Dieses Hineinschauen in tiefeGeheimnisse der Natur, ich möchte sagen, in die Mysterien der Natur,führt eigentlich erst zu der Möglichkeit, die Anschauung des krankenMenschen unmittelbar zu verbinden mit der Anschauung des wirken-den Heilmittels. So wie ich weiß, der Magnet zieht das Eisen an, undwenn ich einen Magneten habe und Eisenfeilspäne in die Nähe bringe,werden die Eisenfeilspäne angezogen, wenn ich erkenne die Wirkungdes Magnets auf die Eisenfeilspäne, so weiß ich, was geschieht. Kenneich in derselben Weise die Art und Weise, wie spirituell der Kupfer-glanz ist, auf der anderen Seite dasjenige, was dem Menschen fehlt,wenn er die Symptome von Morbus Basedow hat, so ist das dasjenige,was heißt, Medizin zu durchdringen mit spiritueller Anschauung.

Erst dann, wenn man auf den ganzen Zusammenhang zwischenden vier Gliedern der menschlichen Wesenheit eingeht, wird man denWeg finden, diese Beziehungen, die ich nun schon angedeutet habe,zwischen außermenschlichen Substanzen, natürlichen Substanzen, unddem gesunden und kranken Menschen selber zu finden. Da muß manaber zunächst darauf hinschauen, wie sich diese vier Glieder dermenschlichen Wesenheit, physischer Leib, ätherischer Leib, astralischer

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Leib und Ich, ganz verschieden verhalten in den zwei Wechselzustän-den, in denen der Mensch in seinem Erdendasein lebt, in den beidenZuständen von Wachen und Schlafen. Im Wachen haben wir unserephysische Organisation durchdrungen von der ätherischen Organisa-tion. Darinnen breitet sich gewissermaßen, beide Organisationen in-nerlich ausfüllend, die astralische Organisation aus. Und das ganzedurchdringt wiederum die Ich-Organisation, so daß wir uns, wennwir uns schematisch das vorstellen wollen, sagen können: Den wachen-den Menschen können wir in diesem Schema uns vorstellen, physi-sche und ätherische Organisation, ihn ausfüllend, auch etwas über ihnhervordringend, die astralische und die Ich-Organisation, die ich hiermit anderer Farbe andeute. (Es wird gezeichnet.)

Haben wir dagegen den schlafenden Menschen vor uns, so habenwir im Bette liegend den physischen Leib und den ätherischen Leib.Der Mensch kommt nur dahin, in einer zwar nicht pflanzlichen Orga-nisation, eine mineralische und pflanzliche Tätigkeit zu entwickeln,wie das die Pflanze tut. Wir haben im Bette liegen den physischen

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Leib und den ätherischen Leib. Dagegen haben wir den astralischenLeib und die Ich-Organisation außerhalb des physischen und des äthe-rischen Leibes. Und schematisch kann ich das so zeichnen, daß nun-mehr der astralische Leib und die Ich-Organisation (rot) den Äther-

leib und den physischen Leib wie eine Art Wolke, die sich aber insUnbestimmte verliert, größer und größer wird, umgeben. Aber es istnun nicht so, daß wir sagen können: Bei Tag, im Wachen, wirken inuns astralischer Leib und Ich-Organisation, und im Schlaf umgekehrt,ist das Ich und die astralische Organisation nicht in dem physischenLeib und Ätherleib; das ist nicht so. Wir können nur sagen: Im Wachenwirkt von innen aus nach allen Seiten, überallhin, wo die Organe re-spektive die Kräfte der Organe dynamisch das hinführen, Ich-Orga-

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nisation und astralischer Leib im physischen Leib und Ätherleib. ImSchlafe wirken sie von außen. Gewissermaßen so, wie sonst die Wir-kungen des Kosmos in unsere Sinne eindringen und zum Inhalte un-seres Bewußtseins werden als Sinnes Wahrnehmungen und Ideen, sosind wir schlafend eingehüllt von unserem astralischen Leib und unse-rer Ich-Organisation. Die senken sich außer uns in den Geist des Kos-mos ein und wirken durch Augen, durch Ohren, durch alles mögliche,was peripherisch menschliche Organisation ist.

So haben wir den Unterschied zwischen Wachzustand und Schlaf-zustand dadurch charakterisiert, daß wir sagen können: Unser Ich undunser astralischer Leib wirken von innen aus nach allen Richtungenim Wachzustande. Unser Ich und unser astralischer Leib wirken vonaußen mit den spirituellen Kräften des Kosmos auf uns zurück imSchlafzustande. Wir haben also die Möglichkeit, einzusehen, daß so-wohl von außen wie von innen Wirkungen auf unseren Ätherleib undin unserem physischen Leib durch unsere geistige Organisation statt-finden können.

Nun kommen wir, wenn wir dies durchschauen, darauf, wie wie-derum zu diesen Vorgängen, die ja den Menschen konstituieren alsschlafenden und als wachenden, in Beziehung stehen die spirituellenEssenzen der Naturprodukte. Zum Beispiel ist es eigentümlich, daß,wenn wir nun wiederum eine Substanz, die nicht in dem gewöhn-lichen Nahrungsmittelsystem darinnen ist, das Blei, in irgendeinerWeise in uns aufnehmen, dieses Blei immer die Wirkung hat, daß essozusagen zuerst den Menschen dazu drängt, seinen astralischen Leibnach außen zu fördern, geradeso wie es im Schlaf geschieht. Das Bleihat eigentlich die Wirkung, den Menschen in den Schlafzustand zu ver-setzen, astralischen Leib und Ich-Organisation nach außen zu drängen.Stellen Sie sich das nur lebhaft vor. Der Mensch will schlafen, wenn erBlei genießt. Es kommt aber nicht zum Schlaf in Wirklichkeit. Eskommt nur dazu, daß Ich und astralischer Leib herausbefördert wer-den. Aber das Blei verhindert zu gleicher Zeit, daß die Wirkungenvon außen eintreten. Das Blei fördert den astralischen Leib und dieIch-Organisation zentrifugal nach außen, aber es verhindert die zen-tripetalen, die nach innen wirkenden Kräfte. Der Mensch kommt halb

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ins Schlafen, kann aber nicht ganz schlafen, weil die Wirkung vonaußen behindert wird durch den Bleigenuß.

Die Folge davon ist, daß unter normalen Verhältnissen, wenn dergesunde Mensch Blei in sich bekommt, er nicht schlafend wird, son-dern Schwindel ihn überfällt, er ohnmächtig wird, und alle diejeni-gen Zustände eintreten, die mit dem Nachlassen des Ich und der astra-lischen Organisation bei dem physischen Leib und Ätherleib eintretenmüssen.

Nehmen wir aber an, in der menschlichen Organisation ist einesolche Anormalität eingetreten, daß, wenn der Mensch nun in Schlafversetzt wird, oder sich in Schlaf versetzt, die Ich-Organisation undder astralische Leib zu stark sich einwurzeln in der äußeren Welt,das heißt, zuviel von der Spiritualität des außermenschlichen Kosmosaufnehmen, so daß also diese Wirkungen zu stark werden, daß derMensch also jedesmal, wenn er in Schlaf kommt, zu starke Wirkun-gen von außen bekommt, zu starke geistige Wirkungen von außenbekommt, spirituelle Wirkungen. Dann verfällt er in die Sklerose.

Das ist die wirkliche Ursache der Sklerose, daß der Mensch, stattdaß er sich innerlich durchorganisieren würde, zu starke Wirkungenvon außen bekommt, und zwar dann, wenn er gerade im Schlafzu-stande ist. Zuweilen weigert sich der menschliche Organismus, wenner älter wird und diese Wirkungen eintreten können, durch die Schlaf-losigkeit gegen dieses zu starke Wirken von außen. Aber man kann janicht bei der Schlaflosigkeit verbleiben. Die Folge davon ist, daß,wenn man alt wird und doch schlafen muß, der im Alter heraustre-tende, aus physischem Leib und ätherischem Leib heraustretende astra-lische Leib und die Ich-Organisation zuviel Wirkungen von außeneinnehmen und zu stark zurückwirken auf den Organismus. Was fin-den wir nun, wenn man alt wird und doch schlafen muß und der imAlter heraustretende astralische Leib und die Ich-Organisation zuvielWirkungen von außen einnehmen und zu stark zurückwirken auf denOrganismus? Wir finden, wenn wir dem menschlichen Organismusnunmehr Blei beibringen, so tritt nicht Schwindel und Ohnmacht ein,sondern es werden nur abgehalten die skierotisierenden Kräfte unterUmständen, indem man das Blei zu einem entsprechenden Heilmittel

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präpariert, es werden die astralischen Kräfte von außen und die Ich-Kräfte von außen, die skierotisierenden Kräfte dadurch abgehalten,weil der Mensch dann auch Zustände durchmacht, in denen er nichtin den Schlaf kommt, sondern in denen nur durch das Blei sein astra-lischer Leib und die Ich-Organisation herausgetrieben werden, aberdie zu starken Kräfte von außen abgehalten werden.

Man kommt auf diese Weise dazu, durch ein Durchschauen dessen,was das Verhältnis ist zwischen physischem Leib, Ätherleib, astrali-schem Leib und Ich, ganz durch und durch einzusehen, worauf Blei-wirkung beruhen kann, wie Bleiwirkung eine Gegenwirkung gegen skle-rotisierende Wirkung sein kann.

Das ist eben Durchschauen der menschlichen Organisation, Durch-schauen der äußeren Natur nach ihren spirituellen Grundlagen, da-durch in die Möglichkeit kommen, die beiden in Wechselwirkung zubringen und dadurch auf Gesundheit und Krankheit den entsprechen-den Einfluß zu haben.

Nun handelt es sich natürlich aber darum, daß man in die Lagekommen muß, die verschiedenen Wirkungen zu kombinieren. Ich habeIhnen auseinandergesetzt, daß Kieselsäure zu den Sinnesorganen, zuder ganzen Peripherie des menschlichen Organismus Beziehung hatund wiederum zu der Ich-Organisation. Vom Blei haben wir jetzt auchkennengelernt, wie es zur Ich-Organisation eine bestimmte Beziehunghat. Dadurch, daß man nun in entsprechender Weise ein Heilmittelhervorbringt, das man präpariert in der gehörigen Art aus Kiesel-säure und Blei zusammen, dadurch verstärkt man unter Umständendie zentrifugale Kraft des Bleis, oder man vermindert die zentripetaleKraft der Kieselsäure, so bekommt man ein Heilmittel, das eigentlicheine innere Lebendigkeit hat, die man durchschaut, von der man weiß,wie sie nun im menschlichen Organismus wirkt.

Das ist das Wesentliche derjenigen Heilmittel, die auf Grundlageeiner solchen spirituellen Fundierung der Medizin hergestellt werdenkönnen. Sie werden mit vollständigem Durchschauen desjenigen, waseigentlich stattfindet inner- und außerhalb des Menschen, hergestellt;und sie werden so hergestellt, daß es nun darauf ankommt, daß derBetreffende, der sie inauguriert, der sie in die Welt führt, die geistigen

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Zusammenhänge, die diesen Heilmitteln mitgegeben werden, über-schaut. Es handelt sich also darum, daß man neben den Heilmitteln,bei denen man bloß auf die chemischen Kräfte sieht, die nun einmalin unserer materialistisch gearteten Chemie angeführt werden, auchsolche herstellen kann, von denen man sagen kann: Da hinein in diesesHeilmittel ist die Spiritualität der Welt in dieser bestimmten Weisegeleitet worden.

Das wird das Wesen der Heilmittel sein, die hergestellt werden,wenn der Medizin diese spirituelle Grundlage gegeben werden wird.Man wird wissen, bei diesen Heilmitteln kommt es darauf an, daßihnen von ihrer Präparierung her nicht bloß dasjenige, was der Che-miker durchschaut, beigegeben ist, sondern daß ihnen die spirituellenKräfte der Welt mitgegeben sind. Es wird unmittelbar der Geist selber,die Spiritualität, in der Therapie angewendet. Darauf kommt es anbei diesen Dingen.

Sehen Sie, man kann in dieser Richtung noch weitergehen. Mankann ja, indem man in der Art, wie ich es gestern geschildert habe,die menschliche Organisation durchschaut, darauf kommen, strengexakt - hier kann ich es nur andeuten -, wie der physische und derÄtherleib dasjenige sind, was dem Menschen in der Vererbungsströ-mung mitgegeben wird, was also abstammt von Vater, Mutter, Groß-vater, Großmutter und so weiter, wie aber in der Ich-Organisation undim astralischen Leib dasjenige liegt, was aus der geistigen Welt her-unterkommt, in den menschlichen physischen und Ätherleib sich ein-senkt und wiederum durch die Pforte des Todes hinausgeht in die gei-stige Welt, was also als das Dauernde, das den physischen Leib Über-dauernde, im Menschen lebt und west, sein eigentliches Unsterbliches.

Aber wir dürfen, wenn wir wissenschaftlich sprechen, nicht bloßUnsterbliches sagen, sondern wir müssen zu dem Unsterblichen dasandere dazu haben. Geradeso wie das, was im Ich und in der Ich-Organisation und im astralischen Leib durch die Pforte des Todesgeht, in die geistige Welt hineingeht, wie das in dieser Art den eigent-lichen Kern der menschlichen Wesenheit darstellt, das aber dyna-misch eingreift in seine physische und Ätherorganisation, so ist die-ses auch vor der Geburt respektive Konzeption vorhanden. Es kommt

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aus der geistigen Welt, konstituiert, arbeitet, baut mit am physischenund Ätherleib. Wir müssen auch vom Ungeborensein sprechen.

Man ist in der Naturerkenntnis so weit abgekommen von der Wahr-heit auf diesem Gebiete, daß man zwar aus gewissen religiös egoisti-schen Gründen heraus, weil der Mensch wissen möchte, wie es ihmnach dem Tode geht, von Unsterblichkeit spricht, weil der Mensch aberschon da ist, interessiert ihn das nicht, was vor der Geburt lag odervor der Konzeption. Will man aber wissenschaftlich sprechen, so mußman ebensogut von Ungeborenheit sprechen wie von Unsterblichkeit,denn erst die Ungeborenheit und die Unsterblichkeit zusammen ma-chen die Ewigkeit aus.

So können wir sagen: Dasjenige, was so dieser ewige Wesenskerndes Menschen ist, der untertaucht durch Konzeption, Embryonalent-wickelung, Geburt, in den physischen und Ätherleib, was wiederumverläßt diese physische und ätherische Organisation im Tode, das mußsich, indem es untertaucht in physische und ätherische Organisation,anpassen an diesen physischen und ätherischen Leib.

Das ist nun in der menschlichen Entwickelung nicht immer ohneweiteres vorhanden. Da findet durchaus ein innerer Kampf statt. In-dem das Kind in die Welt tritt, kommt von der geistigen Welt herder astralische Leib und das Ich, aus der Vererbung von den Vorelternder physische Leib und der Ätherleib. Die müssen sich kämpfend in-einanderfügen. Diesen Prozeß des sich kämpfend Ineinanderfügensschauen Sie äußerlich an, in einer äußerlichen Offenbarung, indemSie die verschiedenen Arten von Kinderkrankheiten anschauen.

Auf die Kinderkrankheiten wird erst das richtige Licht geworfen,wenn man sie so ansieht, daß der ewige Wesenskern des Menschen,die eigentliche spirituelle Grundlage, sich anzupassen hat demjenigen,was durch die Vererbung gegeben ist. Und insbesondere ist es so, daßwenn der ätherische Leib sich schwer anpaßt dem astralischen Leibund der Ich-Organisation, denen er sich doch anpassen muß, aber sichschwer anpaßt, so sehen wir eine Krankheit entstehen, die gerade da-von herrührt, daß der ätherische Leib sich prädominierend geltendmacht gegenüber dem herandrängenden Ich und der herandrängendenAstralorganisation. Und dieses prädominierende Geltendmachen des

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ätherischen Leibes, dieses gewissermaßen sich Entgegenstemmen, dasdrückt sich aus in der Rachitis.

Nun kommt man wiederum darauf, indem man zu dem Physi-schen das Spirituelle hinzuverfolgt, sich die Frage auf eine besondereArt beantworten zu können: Wie kann ich denn diesem ätherischenLeibe, der sich gewissermaßen stauend entgegenstellt dem astralischenLeibe, wie kann ich dem denn seine entgegenwirkende Kraft nehmen?Was benimmt ihm denn diese Kraft in der normalen Weise, wenn derMensch aus der geistigen Welt in die physische Welt allmählich her-antritt während seiner Embryonalzeit?

Da kommt man dazu, zu studieren, wie der Mensch in der Em-bryonalzeit hereintritt aus der geistigen Welt in die physische Welt,und da findet man, daß eine besondere Relation besteht zwischenden Kräften, die im Phosphor oder in Phosphorverbindungen vor-handen sind, und denjenigen Kräften, die im Uterus vorhanden sindund im Uterus sich entgegenstellen der Embryonalentwickelung. Wä-ren diese Kräfte im Uterus nicht vorhanden, so würde einfach beijedem Menschen Rachitis eintreten. Der Uterus ist zu gleicher Zeitein fortwährender Arzt gegen die Rachitis, indem er Kräfte in sichenthält, die im Organismus von derselben Art sind wie die Kräfte,die in der äußeren Natur in der Mineralsubstanz Phosphor oder inPhosphorverbindungen vorhanden sind.

So enthüllen sich die Mysterien, so daß, wenn man nun dem Men-schen, der rachitisch geworden ist, eine Phosphorbehandlung ange-deihen läßt, man die mangelnde Phosphorwirkung des Uterus in derAußenwelt nach der Geburt nachholt.

Und so kann man exakt tatsächlich, wenn man die innere spiri-tuelle Natur desjenigen durchschaut, was am Menschen und im Wech-selverkehr vom Menschen mit der Natur geschieht, dazu kommen,Krankheitsprozesse, die eben da sind, in der entsprechenden Weisedurch ihre Gegenwirkung zu paralysieren.

Sehen Sie, das ist das Prinzip, das jener spirituellen Fundierung derMedizin zugrundeliegt, von der ich gestern gesprochen habe, die eineerste Bearbeitung durch das Buch von Frau Dr. Wegman und mir fin-den soll und die nicht auftreten will mit laienhafter Kritik der wissen-

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schaftlichen Medizin, sondern nur dasjenige, was ebenso exakt wissen-schaftlich sein kann, nur eben in die geistige Welt eindringt, hinzufügenwill zu dem, was in richtiger Wissenschaftlichkeit da ist.

Und man kann sagen: Gerade derjenige, der recht gut bekannt istmit den Grundlagen der heutigen wissenschaftlichen Medizin und derdiese Grundlagen der heutigen wissenschaftlichen Medizin nur etwasweiterverfolgt, der kommt schon dazu, die Erweiterung nach der spi-rituellen Seite hin zu suchen.

Und in einer gewissen Beziehung sind für denjenigen Menschen,der nach dem Geistigen im Menschen sucht, die Krankheiten eigent-lich, so unerwünscht und unerfreulich und unsympathisch sie natür-lich vom Standpunkte des Lebens sind, sie sind für denjenigen, derspirituelle Aufklärung über den Menschen sucht, tatsächlich unend-lich Licht verbreitend. Denn in der Krankheit zeigt sich, wie auf ab-norme Weise, durch Verstärkung oder Schwächung dasjenige wirkt,was im Menschen fortwährend wirken muß, damit der Mensch über-haupt ein geistiges Wesen sein kann.

Denken Sie nur, wenn der Mensch nicht in sich, ohne daß er Bleiunmittelbar in sich hat, die Bleiwirkungen hätte, wäre er kein den-kendes Wesen. Es würde sich fortwährend durch eine latente Sklero-tisierung der Denkprozeß stumpf erweisen. Weiß man das, dann wirktder Prozeß, der hier eintritt, den ich hier beschrieben habe, der derSklerose entgegenwirkende Bleiprozeß, der wirkt wie erhellend aufdie Art und Weise, wie das Denken im Menschen überhaupt zustandekommt.

Psychologie oder Seelenwissenschaft kann ungeheuer viel lernenvon der Pathologie und von der Therapie.

Das eröffnet aber den Ausblick gerade darauf, daß durch die Ver-bindung von geistiger Betrachtungsweise mit Medizin unsere Weltan-schauung wiederum zu einer etwas universelleren gemacht werdenkann, als sie heute in ihrer Spezialisierung ist.

Nur noch ein paar Worte möchte ich zu dem, was ich gesagt habe,nachdem dieses übersetzt ist, am Schlüsse hinzufügen.

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Man kann auf die Entwickelung der Menschheit zurückblicken,namentlich auf die Entwickelung des Geistes, der die menschliche Zi-vilisation und die einzelnen Zivilisationen getragen hat, der auch her-vorgebracht hat dasjenige, was man Erkenntnis, was man Wissen-schaft nennt.

Sieht man zurück in sehr alte Zeiten, in Zeiten, die eigentlich heuteauch nur mit dem Blicke der geistigen Forschung, wie ich ihn gesterncharakterisiert habe, zu verfolgen sind, so hat man - ich habe dasgestern schon angedeutet - Erkenntnisstätten, die nicht so waren wieunsere Schulen, zu suchen, sondern Erkenntnisstätten, in denen derMensch erst herangeführt wurde an das Durchschauen der Natur,an das Durchschauen des Menschen, nachdem seine Seele vorbereitetworden ist dazu, auch in das Geistige des Äußerlichen hineinzuschauen.Jene Erkenntnisstätten, die man dann gewohnt worden ist, Mysterienzu nennen, sie waren eben nicht einseitig Schulen, sondern sie warenim Grunde genommen das zugleich, was heute getrennt auftritt in derWelt, sie waren religiöse Kultstätten, sie waren Pflegestätten derKünste, sie waren zur gleichen Zeit Pflegestätten der Erkenntnis aufden verschiedensten Gebieten des menschlichen Lebens.

Diese alten Mysterien waren so eingerichtet, daß diejenigen, welchezu lehren hatten, zunächst nicht dasjenige bloß in abstrakten Begriffenvorbrachten, was sie den Menschen mitzuteilen hatten, sondern in Bil-dern, in Bildern, die aber in ihrer inneren Konfiguration die wirklichenVerhältnisse darstellten, die wirklichen Wirkungen in der Welt. Da-durch waren sie imstande, diese Bilder darzustellen in dem, was wirheute kultusartig nennen würden.

Das verzweigte sich dann nach einer gewissen Richtung hin dazu,dieses Bildhafte in der Weise zu gestalten, daß es die Schönheit insich trug. Kunstartig wurde der Kultus nach bestimmten Richtungenhin.

Und dann, wenn man dasjenige, was nicht aus einer willkürlichenPhantasie gewonnen wurde, sondern aus jenen Bildern heraus, die ab-geschaut wurden den Geheimnissen der Welt selber, in Ideen dar-stellte, so war das dazumal Wissenschaft. Dasselbe dargestellt so, daßes in seinen Bildern aufrief den Extrakt des menschlichen Willens als

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Frömmigkeit, war religiöser Kultus. Dasselbe dargestellt so, daß esden menschlichen Sinn entzückte und erhob, anmutig berührte, er-haben hinaufzog zum Schönen, war Kunst. Und die Kunststätte warunmittelbar vereinigt mit der Kultusstätte. Dasselbe dargestellt inForm von Ideen, war Erkenntnis, war Wissenschaft.

Das aber wendete sich nicht einseitig an den menschlichen Ver-stand, an die Sinnesbeobachtung, an das äußere sinnliche Experiment,das wendete sich an den ganzen Menschen nach Leib, Seele und Geist.Aber es drang auch vor bis zu denjenigen Tiefen in den Wesenheitender Dinge, wo sich dasjenige offenbart, was Realität ist nach der einenSeite hin so, daß es göttlich zur Frömmigkeit stimmt, auf der anderenSeite so, daß es sich im wahrhaftigen Ideenzusammenhang ausdrückt.Diese Art, die Wahrheit, die Schönheit und auch das Moralische derMenschennatur zu verfolgen, nannte man, kann man heute noch nen-nen: den Weg zu den Initien, zu den Anfängen der Dinge. Denn manwar sich bewußt, man lebte in den Anfängen der Dinge, indem mansie hineinzauberte, diese Anfänge, in die Kultushandlung, in dieschöne Offenbarung, in die wahrhaftig gestaltete Ideenwelt. Und mannannte dann ein solches Sich-Stellen zu den Dingen der Welt Initia-tionserkenntnis, die Erkenntnis der Anfänge, aus denen heraus alleDinge begriffen, alle Dinge durch unseren Willen erst behandelt wer-den können. Initiationswissenschaft, die in die Mysterien der Welt, indie Anfänge eindrang, das war dasjenige, was man eigentlich suchte.

Es mußte eine Zeit in der Menschheitsentwickelung kommen, wodiese Initiationswissenschaft zurücktrat, wo der Mensch seine Geistes-kraft dazu verwenden mußte, um mehr in sich selber real bewußt zuwerden. Der Mensch bekam die alte Initiationswissenschaft wie träu-mend, wie instinktiv. Von einer Entwickelung des Menschen zur Frei-heit war nicht die Rede. Eine Entwickelung zur Freiheit ist nur da-durch gekommen, daß der Mensch eine Zeitlang abgetrieben wordenist von den Anfängen, verloren hat eine Zeitlang die Initiationsan-schauung und nicht an die Anfänge gegangen ist, sondern an das-jenige, was mehr die Enden sind, die äußere sinnliche Offenbarung,und dasjenige, was an den Enden mit dem Experiment erforscht wer-den kann.

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Heute ist wieder die Zeit gekommen, wo wir nach einer uner-meßlich weiten, ich mochte sagen, Endenwissenschaft, Oberflächen-wissenschaft, die auch nur ein äußerliches Verhältnis zur Kunst undzur Religion haben kann, die Initiationswissenschaft mit Bewußtseinwiederum suchen müssen, mit jenem Bewußtsein, das wir uns aner-zogen haben an der exakten Wissenschaft, mit jenem Bewußtsein, dasin dieser neueren Initiationswissenschaft nicht weniger exakt sein kannals in der exakten Wissenschaft.

Da aber wird wiederum die Brücke hinübergeschlagen werden vondemjenigen, was als Weltanschauung auftritt, um in der innerlichenIdeenbildung die menschliche Seele zusammenzubringen mit ihremUrsprünge, zu demjenigen, was in der praktischen Handhabung des-jenigen, was in der Idee geschaut wird, besteht. In den alten Mysterienwar daher vereinigt mit demjenigen, was in dieser Weise Initia-tionsanschauung war, vor allen Dingen dasjenige, was sich auf dasHeilen der Menschen bezog, die Kunst zu heilen. Denn das war aucheine Kunst, die Kunst zu heilen, die zugleich aufrief den Menschendazu, in dem Heilungs vorgange einen Opfer Vorgang zu sehen. Siewird wiederum eine engere Verbindung schließen müssen mit dem-jenigen, was in mehr oder weniger philosophischer Form als Weltan-schauung auftritt, um die menschliche Seele in ihren inneren Bedürf-nissen zu befriedigen. Das ist es, was, ich möchte sagen, in der Erkennt-nis dessen, was die Zeit von uns fordert, gesucht wird in der anthro-posophischen Bewegung,

Diese anthroposophische Bewegung, die ihren Mittelpunkt am Goe-theanum in Dornach in der Schweiz hat, sie will nicht irgend etwasWillkürliches in die Welt setzen, sie will auch nicht etwas weltfremdAbstraktes, nebulos Mystisches nur leisten, sie will unmittelbar ein-greifen in alles praktische Wirken, in alle praktische Betätigung desMenschen. Sie will wiederum dasjenige in vollbewußter Weise an-streben, was in alten, primitiven Zeiten instinktiv angestrebt worden ist.

Wenn das auch nur zunächst ein Anfang ist, so ist doch dasjenige,was in der engen Verbindung der Stätte, die nach Weltanschauungstrebt im spirituellen Sinne, des Goetheanum mit der Klinik von FrauDr. Wegman gegeben ist, das, was möglich macht, auch das wiederum

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herzustellen, was in alten Zeiten, als die Erkenntnis Mysterienerkennt-nis war, eine Selbstverständlichkeit bedeutete: Die Medizin in engstenZusammenhang zu bringen mit dem spirituellen Schauen. Und das istdasjenige, was aus den Forderungen der Zeit heraus die anthroposo-phische Bewegung erfüllen möchte. Daher dürfen wir die Hoffnunghaben, daß aus diesem Zusammenarbeiten von Weltanschaulichem undKlinischem, aus diesem Arbeiten nach den Initien hin, Leben entste-hen kann und, neben einer den modernen Anforderungen entsprechen-den Initiationserkenntnis, auch wiederum eine initiierte Medizin, eineMedizin als Initiationswissenschaft. Wie das in den Anfängen mit denersten Schritten gesucht wird, das habe ich in diesen zwei Stundenversucht, mit wenigen Strichen anzudeuten.

Ich weiß, wie wenig getan werden kann mit solchen Andeutungenin wenigen Strichen. Um so dankbarer muß ich sein, daß es mir mög-lich geworden ist, durch die Liebenswürdigkeit von Mrs. und Dr. Lar-kins diese Andeutungen hier vor Ihnen zu geben. Ich danke daher Mrs.und Dr. Larkins für ihre so liebenswürdige Bereitwilligkeit, dieses Zu-sammensein zu ermöglichen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksam-keit, die ich zu würdigen weiß, da dasjenige, was ich Ihnen vorzubrin-gen habe, wirklich nicht bloß ein theoretisch Angestrebtes ist, sondernetwas, woran man, wenn man es in der heutigen Zeit vertreten will,wirklich mit den innersten Fasern seines Herzens hängen muß.

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HINWEISE

Zu dieser Ausgabe

Die vorliegenden elf Vorträge wurden außer dem ersten (Penmaenmawr) unddem siebenten bis neunten Vortrag (Arnheim) vor Ärzten und Medizinstu-dierenden gehalten. Der erste Vortrag wurde im Rahmen der «InternationalSummer School» in dem nordwalisischen Ort Penmaenmawr gehalten; dieArnheimer Vorträge waren hingegen öffentlich zugänglich. Die Vorträge inEngland wurden von Dr. Steiner in deutscher Sprache gehalten und von einemTeilnehmer jeweils unter dreien Malen a tempo ins Englische übersetzt und dieÜbersetzung vorgelesen. Die Zwischenräume im Text deuten auf diese Un-terbrechungen des Vortrages hin.

Auf im Text häufig genannte Institute, Persönlichkeiten und Publikationenist zusammenfassend hingewiesen (Gruppen von Seitenzahlen).

Textunterlagen: Der in Penmaenmawr am 28. August 1923 gehaltene Vortrag,sowie die am 2. und 3. September 1923 und am 28. und 29. August in Londongehaltenen Vorträge wurden von der Berufsstenographin Helene Finckh mit-geschrieben, die Rudolf Steiner auf beiden Vortragsreisen in England beglei-tete. Dem vorliegenden Text der in England gehaltenen Vorträge liegt ihreÜbertragung in Klartext zugrunde. Die in Den Haag am 15. und 16. Nov. 1923und die in Arnheim am 17., 21. und 24. Juli 1924 gehaltenen Vorträge wurdenvon Walter Vegelahn stenographisch festgehalten. Von dem Wiener Vortragvom 2. Okt. 1923 liegen lediglich Vortragsnotizen von L. Kolisko vor.

Der Titel des Bandes «Anthroposophische Menschenerkenntnis und Medizin»stammt von den Herausgebern, die auch für die Zwischentitel zeichnen mitAusnahme der Arnheimer Vorträge, deren Titel «Was kann die Heilkunstdurch eine geisteswissenschaftliche Betrachtung gewinnen?» von Dr. Steinergegeben wurde.

Einzelausgaben:

Penmaenmawr 28. August 1923: «Richtlinien zum Verständnis für die aufanthroposophischer Geisteswissenschaft aufgebaute Heilmethode», Dornach1964.

London 2., 3. September 1923: «Zur Therapie und zur Methodik der Heil-mittelherstellung». Medizinische Schriftenreihe, 2. Folge, 5. Heft, Basel 1953.

Arnheim 17., 21., 24. Juli 1924: «Was kann die Heilkunst durch eine geistes-wissenschaftliche Betrachtung gewinnen?», Dornach 1934 und 1958.

London 28., 29. August 1924: «Die Kunst des Heilens vom Gesichtspunkteder Geisteswissenschaft». Medizinische Schriftenreihe, zweite Folge, 4. Heft,Basel 1952.

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Veröffentlichungen in Zeitschriften:

Penmaenmawr 28. Aug. 1923: in «Natura» 1927/28, 2. Jg., Heft 8/9

Wien 2. Okt. 1923: in «Beiträge zur Erweiterung der Heilkunst ...» 1962, 15.Jg., Heft 2

Den Haag 15. Nov. 1923: in «Natura» 1931, 5. Jg., Heft 4

Den Haag 16. Nov. 1923: in «Natura» 1931, 5. Jg., Heft 5

Arnheim 17. Juli 1924: in «Natura» 1927/28, 2. Jg., Heft 3/4

Arnheim 21. Juli 1924: in «Natura» 1927/28, 2. Jg., Heft 5

Arnheim 24. Juli 1924: in «Natura» 1927/28, 2. Jg., Heft 6

Hinweise zum Text

Werke Rudolf Steiners innerhalb der Gesamtausgabe (GA) werden in den Hinweisen mitder Bibliographie-Nummer angegeben. Siehe auch die Übersicht am Schluß des Bandes.

zu Seite

12 «zur rechten Zeit ein Wort»: «Faust» I. Teil, Studierzimmer; Mephistopheles:«Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu ängstlich quälen; / Denn eben woBegriffe fehlen, / Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.»

nächtliche «Graue-Kuh-Wissenschaft»: Siehe hierzu die Vorrede G. W. F. Hegelszu seiner «Phänomenologie des Geistes» (1806)

12, 58, 166 habe ich ... erst vor einigen Jahren auszusprechen gewagt: Siehe «VonSeelenrätseln» (1917), GA 21.

14 wie ... einmal ein Professor tat: Der Professor in Göttingen war Hugo Fuchs.

17, 20, 40, 71 und dann glänzend, spiegelartig wird: Wollte man das hier Darge-stellte im chemischen Sinne wörtlich nehmen, so wäre es nicht richtig, da auseinem Oxidrauch kein spiegelglänzender Belag entstehen kann. Chemisch verhältsich die Sache folgendermaßen: Versetzt man Antimonmetall oder Antimonerz,z. B. Antimonit, mit Zink und starken Säuren, z. B. Salzsäure, so bildet sichAntimonwasserstoff, der bei Vorhandensein von Sauerstoff, nach Entzünden, unterBildung von weißem Rauch verbrennt. Bei diesem Rauch handelt es sich umAntimontrioxid, das sich an kalten Wänden zu den sog. Antimonblumen - floresantimonü - niederschlagen kann. Dieser Belag aus Antimontrioxid ist mattweißbis glitzernd-kristallin und spiegelt nicht. - Der Antimonspiegel entsteht unterAusschluß von Sauerstoff. Er geht also, wie bereits erwähnt, nicht aus dem weißenOxidrauch hervor, sondern aus nichtoxidiertem, dampfförmigen Antimonmetall.Wollte man aus dem Oxidrauch einen Spiegel herstellen, so müßte man ihm denSauerstoff erst wieder entreißen, d. h. man müßte ihn reduzieren. Von einemsolchen Vorgang aber ist hier nicht die Rede. Nun kann man jedoch aus demweißen Rauch das noch nicht oxidierte Antimon abfangen, indem man einen

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gekühlten Glaskolben sehr nahe an die weiß rauchende Flamme heranbringt; andem Glaskolben bildet sich alsdann ein metallisch glänzender Spiegel aus reinemAntimon (vgl. Marsh'sche Probe zum Arsennachweis). Es tritt das Antimon, vomSauerstoff unversehrt, aus dem Rauch heraus, indem es sich an den Glaskolben anlegtund spiegelnd wird. Damit hat man einen weißen Rauch, aus dem sich etwas «anWände anlegen kann und dann glänzend, spiegelartig wird».

Rudolf Steiner scheint hier auf einen Prozeß hinzuweisen. So wie der physi-sche Leib des Menschen ein trübes Medium ist, aber die Voraussetzung bildet fürdas klare Denken, so ist der weiße Rauch die Voraussetzung für die Bildung desmetallisch glänzenden Spiegels. Und so wie das Denken durch die Überwindungder physischen Kräfte, insbesondere der Schwerkraft, entsteht, so bildet sich auchder Spiegel durch die Abwehrkraft gegen das Trübe. Gelingt es, den sich bildenwollenden Rauch zu verhindern, so entsteht der Spiegel. Es ist eine Art imChemischen sich ausdrückender Wille, durch welchen aus dem Erz der Spiegelentsteht. In ihm erscheint das Antimon auf einer dem Pflanzlichen verwandtenStufe.

Die Herstellung von Antimonspiegeln geschieht heute meist durch Destillationvon Antimon im Vakuum. Eine früher geübte Methode war die thermische Zer-setzung von Antimonwasserstoff. Bei beiden Methoden wird unter Sauerstoff-ausschluß gearbeitet; daher entsteht auch kein Rauch. Gäbe es keinen Rauch,könnte man dessen Entstehung auch nicht verhindern. Daher ist der Rauch dieVoraussetzung des Spiegels.

Kaspar Appenzeller

Weitere Ausführungen R. Steiners über das Antimon: GA 27, 232, 312, 314, 316.

17 Vormittagsvorträgen: Siehe «Initiations-Erkenntnis. Die geistige und physischeWelt- und Menschheitsentwickelung in der Vergangenheit, Gegenwart und Zu-kunft, vom Gesichtspunkt der Anthroposophie» (Penmaenmawr 1923), GA 227.

29, 47, 77, 87, 107, 118, 127/128, 159, 180, 202, 220, 246 Klinisch-Therapeuti-sches Institut in Ariesheim; Wurde nach Ostern 1920 gegründet und von Frau Dr.Ita Wegman (1876 - 1943) geleitet; jetzt Ita-Wegman-Klinik.

29, 128, 180 Internationales Pharmazeutisches Laboratorium: Jetzt Weleda AG inAriesheim (Stammhaus) und Schwäbisch Gmünd (Betriebsstätte) sowie dieTochtergesellschaften.

34 Sommerkurse in Ilkley und Penmaenmawr: Siehe «Gegenwärtiges Geisteslebenund Erziehung» (1923), GA 307, und den 2. Hinweis zu Seite 17.

34, 247 Airs. Larkins: Mrs. C. A. M. Larkins, die Frau des Londoner Arztes Dr.Larkins, der auch nach Ratschlägen Rudolf Steiners behandelte. Seine Frau un-terstützte die Eurythmiearbeit in London.

35, 36 88, 89, 140 ganz wichtige Arbeiten: L. Kolisko «Milzfunktion und Plätt-chenfrage», 1922; «Physiologischer und physikalischer Nachweis der Wirksam-keit kleinster Entitäten», 1923; «Physiologischer Nachweis der Wirksamkeitkleinster Entitäten bei 7 Metallen / Wirkung von Licht und Finsternis auf dasPflanzenwachstum», 1926.

35, 87, 89 im biologischen Institute: Biologisches Institut am Goetheanum, der FreienHochschule für Geisteswissenschaft in Dornach, in dem Frau Dr. L. Koliskoarbeitete und das sich in Stuttgart befand.

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40 Oxydationsprozessen: Laut Stenogramm.

48, 50, 53 Migräneheilmittel Biodoron: Publikationen darüber aus jener Zeit: «NeueBerichte über die Behandlung von Migräne und chronischem Kopfschmerz mit<Biodoron>» aus der Kasuistik zu «Die Migräne und ihre rationelle Behandlung»von Dr. med. Ludwig Noll, und «Die Migräne und ihre Behandlung mit<Biodoron>» von Dr. med. S. Knauer.

62 in meinem Buche, das als «Initiation» ins Englische übersetzt worden ist: In derdeutschen Originalausgabe «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?»(1904/05), GA 10.

11 daß wir den Saft der verschiedenen Arten von Viscum verwenden: Muß eigentlichheißen: daß wir den Saft der verschiedenen Subspecies von Viscum album ver-wenden.

83 Theodor Ziehen, 1863 - 1950, Psychiater und Philosoph. Siehe «Leitfaden derPhysiologischen Psychologie», Jena 1900, 5. Aufl., 9. Vorlesung: Der Gefühlstonder Vorstellungen - Affekte.

85, 159 Dr. F. Willem Zeylmans van Emmichoven, 1893 - 1961, Arzt in Holland; erführte eine eigene Klinik.

86 Es sind ... Ärzte gekommen und haben gefragt: Die Antwort auf diese Fragenwar der von Rudolf Steiner gehaltene erste Ärztekurs: «Geisteswissenschaft undMedizin» (20 Vorträge, Dornach 1920), GA 312.

87 Institute für Heilmittelbereitung: Siehe Hinweis zu Seite 29.

des «Kommenden Tages»: Der Kommende Tag, Aktiengesellschaft zur Förderungwirtschaftlicher und geistiger Werte, Stuttgart 1920 - 1925; ein assoziativesUnternehmen im Sinne der Sozialen Dreigliederung, das infolge der damaligenInflation liquidiert werden mußte.

des «Futurum»: Futurum AG, Ökonomische Gesellschaft zur internationalenFörderung wirtschaftlicher und geistiger Werte, Dornach 1920 - 1924; begründetals assoziatives Unternehmen auf derselben Grundlage wie die Kommende TagAG, Stuttgart; konnte sich infolge der allgemeinen Wirtschaftskrise nichtbehaupten und mußte ebenfalls liquidiert werden.

110 in den letzten Jahren: Siehe Hinweis zu Seite 12.

118 Frau Dr. med. Ita Wegman: Siehe Hinweis zu Seite 29.

135 Zeile 2 von oben: Nach «.. . Prozeß ... dadurch ...» ist eine Lücke im Stenogramm.Es wurde das Wort Naturprozeß eingefügt.

142 Vortragskursus über pädagogische Gegenstände: «Der pädagogische Wertder Menschenerkenntnis und der Kulturwert der Pädagogik» (Arnheim 1924),GA 310.

143 Schulen eingerichtet: Die Waldorf schule in Stuttgart, eingerichtet von Kommer-zienrat Emil Molt und geleitet von Rudolf Steiner, war die erste derartige Schule.

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157 da ist Aufbau: Sinngemäße Änderung.

160 was seit letzte Weihnachten in Dornach gepflegt wird: Weihnachten 1923 wurdevon Rudolf Steiner die Freie Hochschule für Geisteswissenschaft ins Leben ge-rufen und die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft unter seiner Führungbegründet. Siehe «Die Weihnachtstagung zur Begründung der Allgemeinen An-throposophischen Gesellschaft 1923/24», GA 260.

166 was etwa im Jahre 1917 geschah: Siehe den Hinweis zu Seite 12.

169 übelwollender Naturforscher: Siehe Hinweis zu Seite 14.

180, 220, 242 wird das Buch erscheinen können: Dr. Rudolf Steiner, Dr. Ita Weg-man; «Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst» (1925), GA 27.

207 »Initiation»: Siehe den Hinweis zu Seite 62.

217 Achtundzwanzig Prozent Kieselsäure ... achtundvierzig Prozent Sauerstoff: Siehe«Handwörterbuch der Naturwissenschaft» Band III, 1913, Artikel «Erdrinde».

233 Viscum pini oder Viscum mali: Benannt nach dem Wirtsbaum, der Kiefer bzw.dem Apfelbaum.

NAMENREGISTER

(* = ohne Namensnennung)

Fuchs, Hugo 14*, 169*

Knauer, Siegfried 53

Kolisko, L[ily] und Eugen 36, 88, 89

Larkins, Mrs. und Mr. 34, 205, 247

Wegman, Ita 29, 40, 77, 87, 107, 118,127/128, 159/160, 180, 202, 220/221,242, 246

Zeylmans van Emmichoven, F[rederik]Willem 85, 128, 159

Ziehen, Theodor 83

Steiner, Rudolf

Schriften und Vorträge:Wie erlangt man Erkenntnisse der hö-

heren Welten? (GA 10) 62, 207Von Seelenrätseln (GA 21) 12, 58, 166Grundlegendes für eine Erweiterung der

Heilkunst (GA 27) 180, 220, 242Initiations-Erkenntnis (GA 227) 17Gegenwärtiges Geistesleben und Erzie-

hung (GA 307) 34Der pädagische Wert der Menschener-

kenntnis und der Kulturwert derPädagogik (GA 310) 142

Geisteswissenschaft und Medizin (GA312) 86

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ÜBER DIE VORTRAGSNACHSCHRIFTEN

Aus Rudolf Steiners Autobiographie«Mein Lebensgang» (35. Kap., 1925)

Es liegen nun aus meinem anthroposophischen Wirken zwei Ergebnissevor; erstens meine vor aller Welt veröffentlichten Bücher, zweitens einegroße Reihe von Kursen, die zunächst als Privatdruck gedacht und ver-käuflich nur an Mitglieder der Theosophischen (später Anthroposophi-schen) Gesellschaft sein sollten. Es waren dies Nachschriften, die beiden Vorträgen mehr oder weniger gut gemacht worden sind und die -wegen mangelnder Zeit - nicht von mir korrigiert werden konnten. Mirwäre es am liebsten gewesen, wenn mündlich gesprochenes Wort münd-lich gesprochenes Wort geblieben wäre. Aber die Mitglieder wollten denPrivatdruck der Kurse. Und so kam er zustande. Hätte ich Zeit gehabt,die Dinge zu korrigieren, so hätte vom Anfange an die Einschränkung«Nur für Mitglieder» nicht zu bestehen gebraucht. Jetzt ist sie seit mehrals einem Jahre ja fallen gelassen.

Hier in meinem «Lebensgang» ist notwendig, vor allem zu sagen, wiesich die beiden: meine veröffentlichten Bücher und diese Privatdruckein das einfügen, was ich als Anthroposophie ausarbeitete.

Wer mein eigenes inneres Ringen und Arbeiten für das Hinstellen derAnthroposophie vor das Bewußtsein der gegenwärtigen Zeit verfolgenwill, der muß das an Hand der allgemein veröffentlichten Schriften tun.In ihnen setzte ich mich auch mit alle dem auseinander, was an Erkennt-nisstreben in der Zeit vorhanden ist. Da ist gegeben, was sich mir in«geistigem Schauen» immer mehr gestaltete, was zum Gebäude derAnthroposophie — allerdings in vieler Hinsicht in unvollkommener Art —wurde.

Neben diese Forderung, die «Anthroposophie» aufzubauen und da-bei nur dem zu dienen, was sich ergab, wenn man Mitteilungen aus derGeist-Welt der allgemeinen Bildungswelt von heute zu übergeben hat,trat nun aber die andere, auch dem voll entgegenzukommen, was aus derMitgliedschaft heraus als Seelenbedürfnis, als Geistessehnsucht sichoffenbarte.

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Da war vor allem eine starke Neigung vorhanden, die Evangelien undden Schrift-Inhalt der Bibel überhaupt in dem Lichte dargestellt zuhören, das sich als das anthroposophische ergeben hatte. Man wollte inKursen über diese der Menschheit gegebenen Offenbarungen hören.

Indem interne Vortragskurse im Sinne dieser Forderung gehaltenwurden, kam dazu noch ein anderes. Bei diesen Vorträgen waren nurMitglieder. Sie waren mit den Anfangs-Mitteilungen aus Anthroposo-phie bekannt. Man konnte zu ihnen eben so sprechen, wie zu Vorge-schrittenen auf dem Gebiete der Anthroposophie. Die Haltung dieserinternen Vorträge war eine solche, wie sie eben in Schriften nicht seinkonnte, die ganz für die Öffentlichkeit bestimmt waren.

Ich durfte in internen Kreisen in einer Art über Dinge sprechen, dieich für die öffentliche Darstellung, wenn sie für sie von Anfang anbestimmt gewesen wären, hätte anders gestalten müssen.

So liegt in der Zweiheit, den öffentlichen und den privaten Schriften,in der Tat etwas vor, das aus zwei verschiedenen Untergründen stammt.Die ganz öffentlichen Schriften sind das Ergebnis dessen, was in mirrang und arbeitete; in den Privatdrucken ringt und arbeitet die Gesell-schaft mit. Ich höre auf die Schwingungen im Seelenleben der Mit-gliedschaft, und in meinem lebendigen Drinnenleben in dem, was ichda höre, entsteht die Haltung der Vorträge.

Es ist nirgends auch nur in geringstem Maße etwas gesagt, was nichtreinstes Ergebnis der sich aufbauenden Anthroposophie wäre. Vonirgend einer Konzession an Vorurteile oder Vorempfindungen der Mit-gliedschaft kann nicht die Rede sein. Wer diese Privatdrucke liest, kannsie im vollsten Sinne eben als das nehmen, was Anthroposophie zu sagenhat. Deshalb konnte ja auch ohne Bedenken, als die Anklagen nach die-ser Richtung zu drängend wurden, von der Einrichtung abgegangenwerden, diese Drucke nur im Kreise der Mitgliedschaft zu verbreiten. Eswird eben nur hingenommen werden müssen, daß in den von mir nichtnachgesehenen Vorlagen sich Fehlerhaftes findet.

Ein Urteil über den Inhalt eines solchen Privatdruckes wird ja aller-dings nur demjenigen zugestanden werden können, der kennt, was alsUrteils-Voraussetzung angenommen wird. Und das ist für die allermei-sten dieser Drucke mindestens die anthroposophische Erkenntnis desMenschen, des Kosmos, insofern sein Wesen in der Anthroposophiedargestellt wird, und dessen, was als «anthroposophische Geschichte»in den Mitteilungen aus der Geist-Welt sich findet.

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RUDOLF STEINER GESAMTAUSGABE

Gliederung nach: Rudolf Steiner - Das literarischeund künstlerische Werk. Eine bibliographische Übersicht

(Bibliographie-Nrn. kursiv in Klammern)

A. SCHRIFTEN/. WerkeGoethes Naturwissenschaftliche Schriften, eingeleitet und kommentiert von R. Steiner,

5 Bände, 1884-97, Neuausgabe 1975, (la-e); separate Ausgabe der Einleitungen, 1925 (1)

Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung, 1886 (2)

Wahrheit und Wissenschaft. Vorspiel einer «Philosophie der Freiheit», 1892 (3)

Die Philosophie der Freiheit. Grundzüge einer modernen Weltanschauung, 1894 (4)

Friedrich Nietzsche, ein Kämpfer gegen seine Zeit, 1895 (5)

Goethes Weltanschauung, 1897 (6)

Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens und ihr Verhältnis zur modernenWeltanschauung, 1901 (7)

Das Christentum als mystische Tatsache und die Mysterien des Altertums, 1902 (8)

Theosophie. Einführung in übersinnliche Welterkenntnis und Menschenbestimmung,1904 (9)

Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? 1904/05 (10)

Aus der Akasha-Chronik, 1904-08 (11)

Die Stufen der höheren Erkenntnis, 1905-08 (12)

Die Geheimwissenschaft im Umriß, 1910 (13)

Vier Mysteriendramen: Die Pforte der Einweihung - Die Prüfung der Seele - Der Hüterder Schwelle - Der Seelen Erwachen, 1910-13 (14)

Die geistige Führung des Menschen und der Menschheit, 1911 (15)

Anthroposophischer Seelenkalender, 1912 (in 40)

Ein Weg zur Selbsterkenntnis des Menschen, 1912 (16)

Die Schwelle der geistigen Welt, 1913 (17)

Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriß dargestellt, 1914 (18)

Vom Menschenrätsel, 1916 (20)

Von Seelenrätseln, 1917 (21)

Goethes Geistesart in ihrer Offenbarung durch seinen Faust und durch das Märchen vonder Schlange und der Lilie, 1918 (22)

Die Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und

Zukunft, 1919 (23)

Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus und zur Zeitlage 1915-1921 (24)

Kosmologie, Religion und Philosophie, 1922 (25)

Anthroposophische Leitsätze, 1924/25 (26)

Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichenErkenntnissen, 1925. Von Dr. R. Steiner und Dr. I. Wegman (27)

Mein Lebensgang, 1923-25 (28)

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 319 Seite: 255

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/ / . Gesammelte Aufsätze

Aufsätze zur Dramaturgie 1889-1901 (29) - Methodische Grundlagen der Anthroposo-phie 1884-1901 (30) - Aufsätze zur Kultur- und Zeitgeschichte 1887-1901 (31) - Aufsätzezur Literatur 1886-1902 (32) - Biographien und biographische Skizzen 1894-1905 (33) -Aufsätze aus «Lucifer-Gnosis» 1903-1908 (34) - Philosophie und Anthroposophie1904-1918 (35) - Aufsätze aus «Das Goetheanum» 1921-1925 (36)

III. Veröffentlichungen aus dem Nachlaß

Briefe - Wahrspruchworte - Bühnenbearbeitungen - Entwürfe zu den Vier Mysteriendra-men 1910-1913 - Anthroposophie. Ein Fragment aus dem Jahre 1910 - GesammelteSkizzen und Fragmente - Aus Notizbüchern und -blättern - (38-47)

B. DAS V O R T R A G S W E R K/. Öffentliche Vorträge

Die Berliner öffentlichen Vortragsreihen, 1903/04 bis 1917/18 (51-67) - Öffentliche Vor-träge, Vortragsreihen und Hochschulkurse an anderen Orten Europas 1906-1924 (68-84)

II. Vorträge vor Mitgliedern der Anthroposophischen Gesellschaft

Vorträge und Vortragszyklen allgemein-anthroposophischen Inhalts - Christologie undEvangelien-Betrachtungen - Geisteswissenschaftliche Menschenkunde - Kosmische undmenschliche Geschichte - Die geistigen Hintergründe der sozialen Frage - Der Mensch inseinem Zusammenhang mit dem Kosmos - Karma-Betrachtungen - (91-244)Vorträge und Schriften zur Geschichte der anthroposophischen Bewegung und derAnthroposophischen Gesellschaft - Veröffentlichungen zur Geschichte und aus den In-halten der Esoterischen Schule (251-270)

III. Vorträge und Kurse zu einzelnen Lebensgebieten

Vorträge über Kunst: Allgemein-Künstlerisches - Eurythmie - Sprachgestaltung undDramatische Kunst - Musik - Bildende Künste - Kunstgeschichte - (271-292) - Vorträgeüber Erziehung (293-311) - Vorträge über Medizin (312-319) - Vorträge über Naturwis-senschaft (320-327) - Vorträge über das soziale Leben und die Dreigliederung des sozialenOrganismus (328-341) - Vorträge für die Arbeiter am Goetheanumbau (347-354)

C. DAS KÜNSTLERISCHE WERK

Originalgetreue Wiedergaben von malerischen und graphischen Entwürfen und SkizzenRudolf Steiners in Kunstmappen oder als Einzelblätter: Entwürfe für die Malerei desErsten Goetheanum - Schulungsskizzen für Maler - Programmbilder für Eurythmie-Aufführungen - Eurythmieformen - Entwürfe zu den Eurythmiefiguren - Wandtafel-zeichnungen zum Vortragswerk, u. a.

Die Bände der Rudolf Steiner Gesamtausgabesind innerhalb einzelner Gruppen einheitlich ausgestattet.

Jeder Band ist einzeln erhältlich.

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 319 Seite: 256