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http://www.laender-analysen.de/russland/ NR. 284 russland- analysen 24.10.2014 DIE DEUTSCHE RUSSLAND-POLITIK ZIVILGESELLSCHAFT IN RUSSLAND Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde e.V. Freie Universität Berlin Osteuropa-Institut Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen Die Russland-Analysen werden unterstützt von ANALYSE Eine neue Phase der Russland- und Ostpolitik hat begonnen 2 Karsten D. Voigt, Berlin UMFRAGE Die Russland-Ukraine-Krise in russischen Umfragen 5 AUS RUSSISCHEN BLOGS Nawalnyj: Krim nasch! 11 ANALYSE Zivilgesellschaft und Staat in Russland 14 Pavel Chikov, Moskau ANALYSE NGOs in Russland 16 Jens Siegert, Moskau ANALYSE Ein Kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen Engagements zur Unterstützung und Integration von Migranten in Russland 19 Marina Grinfeld, Michael Bellmann, Christina Huthmann und Kristina Arisov, Berlin UMFRAGE Über die Zivilgesellschaft in Russland 22 DOKUMENTATION Lügen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des Justizministeriums Erklärung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL 27 NOTIZEN AUS MOSKAU Petersburger Dialog 28 Jens Siegert, Moskau DOKUMENTATION Briefwechsel über die Zukunft des »Petersburger Dialogs« 30 CHRONIK 9. – 23. Oktober 2014 37

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Page 1: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

httpwwwlaender-analysenderussland

NR 284

russland-analysen

24102014

Die Deutsche RusslanD-PolitikZivilgesellschaft in RusslanD

Deutsche Gesellschaft fuumlr Osteuropakunde eV

Freie Universitaumlt BerlinOsteuropa-Institut

Forschungsstelle Osteuropaan der Universitaumlt Bremen

Die Russland-Analysenwerden unterstuumltzt von

AnAlyseEine neue Phase der Russland- und Ostpolitik hat begonnen 2Karsten D Voigt Berlin

UmfrAgeDie Russland-Ukraine-Krise in russischen Umfragen 5

AUs rUssischen BlogsNawalnyj Krim nasch 11

AnAlyseZivilgesellschaft und Staat in Russland 14Pavel Chikov Moskau

AnAlyseNGOs in Russland 16Jens Siegert Moskau

AnAlyseEin Kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen Engagements zur Unterstuumltzung und Integration von Migranten in Russland 19Marina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin

UmfrAgeUumlber die Zivilgesellschaft in Russland 22

DokUmentAtionLuumlgen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des Justizministeriums Erklaumlrung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL 27

notizen AUs moskAUPetersburger Dialog 28Jens Siegert Moskau

DokUmentAtionBriefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo 30

chronik9 ndash 23 Oktober 2014 37

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 2

ANALYSE

eine neue Phase der russland- und ostpolitik hat begonnenKarsten D Voigt Berlin

zusammenfassungDie deutsche Russland- und Ostpolitik war nach dem Ende des Kalten Krieges von einem Nebeneinander von Integration und Kooperation gepraumlgt Integration in die EU und NATO dort wo gewuumlnscht und moumlg-lich Kooperation dort wo keine Integration moumlglich oder gewuumlnscht war Langfristiges Ziel war eine euro-paumlische Friedensordnung unter Einbeziehung Russlands Auch wenn dieses Ziel nicht aufgegeben wird ist es jetzt aufgrund des russischen Verhaltens waumlhrend der Ukraine-Krise weit in den Hintergrund geruumlckt In der jetzt beginnenden neuen Phase geht es um ein Nebeneinander von Kooperation und Konflikt nach dem Motto raquoZusammenarbeit wo moumlglich Risikovorsorge und Gefahrenabwehr wo noumltiglaquo

Langfristiges Ziel sollte nach wie vor eine gesamteuropaumlische Friedensordnung unter Einbindung Russ-lands bleiben Allerdings haben sich mit den autoritaumlren Entwicklungen in der russischen Innenpolitik der Abwendung der russischen Fuumlhrung von Europa der Annexion der Krim und dem kriegsaumlhnlichen Kon-flikt in der Ostukraine die Rahmenbedingungen fuumlr diese Politik geaumlndert Wir stehen daher am Beginn einer neuen Phase der deutschen Ost- und Russlandpolitik

Die gesamteuropaumlische friedensordnung in der zeit der BlockkonfrontationDie wesentlich von Willy Brandt und Egon Bahr gepraumlgte entspannungspolitische Phase der Ostpolitik hatte den Macht- und Systemkonflikt zwischen Ost und West als Hintergrund Der Machtkonflikt wurde durch zahlrei-che Vereinbarungen eingehegt seine Folgen durch die Vereinbarung menschlicher Erleichterungen abgemil-dert Der Systemkonflikt wurde nicht geleugnet Im Gegenteil Parallel zum Beginn der Entspannungspoli-tik wurden innerhalb der DDR die Abgrenzung gegen-uumlber dem raquoSozialdemokratismuslaquo und innerhalb der Bundesrepublik Deutschland mit dem Radikalenerlass die Abgrenzung gegenuumlber dem Kommunismus betont

Mit dem KSZE-Prozess trat ein neues Element hinzu In der KSZE-Schlussakte von 1975 ging es nicht nur um die gemeinsame Definition der Prinzipien einer kooperativen Sicherheit in Europa sondern auch um die Achtung der Menschenrechte und der Informations-freiheit Diese gemeinsamen Prinzipien wurden in Ost und West unterschiedlich interpretiert und praktiziert Ihrem Wesen nach aber gefaumlhrdeten die in der KSZE-Schlussakte definierten Menschen- und Freiheitsrechte die ideologischen Grundlagen der kommunistischen Systeme Aus diesem Grunde brauchte die Schlussakte auch nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes nicht ersetzt sondern nur durch zusaumltzliche Vereinbarungen wie die Charta von Paris ergaumlnzt zu werden

Die Entspannungspolitik der 1970er und 1980er Jahre hat den Macht- und Systemkonflikt zwischen Ost und West nicht beendet Das aumlnderte sich mit Gorba-tschow und Jelzin Gorbatschows Ziel war eine grund-legende Reform des sowjetischen Systems Jelzin wollte das sowjetische System beenden und eine kapitalistische Ordnung einfuumlhren Die russische Fuumlhrung unter Jelzin

strebte nach einer raquoVerwestlichunglaquo Russlands Durch diese Politik wurde dem Systemkonflikt zwischen Ost und West der die Geschichte der Sowjetunion seit ihrer Gruumlndung gepraumlgt hatte die Grundlage entzogen Ziel der ausgehenden Sowjetunion und spaumlter Russlands waren jetzt gemeinsame rechtsstaatliche und demokra-tische Prinzipien aller europaumlischen Staaten Symbol fuumlr diese neue russische Politik war der Beitritt Russlands zum Europarat im Jahre 1996 und die Ratifizierung der Europaumlischen Menschenrechtskonvention im Jahre 1998 Durch den Beitritt Russlands und anderer fruumlhe-rer Mitgliedsstaaten des Warschauer Paktes wurden aus urspruumlnglich auf Westeuropa beschraumlnkten Institutio-nen und Normen wichtige Instrumente der gesamteu-ropaumlischen Werte- und Rechtsgemeinschaft

Mit dem Fall der Mauer und dem Abzug der sowje-tischenrussischen Truppen aus Osteuropa wurden auch dem Machtkonflikt mit der Sowjetunion ndash und spaumlter Russland ndash die Grundlage entzogen Russland akzep-tierte Vereinbarungen uumlber die konventionelle Abruumls-tung und die militaumlrische Vertrauensbildung und das auszligen- und sicherheitspolitische Selbstbestimmungs-recht aller Staaten Derartige Vereinbarungen waumlren waumlhrend des Kalten Krieges undenkbar gewesen Mit dem erfolgreichen Ende der Entspannungspolitik schien eine Periode der groszligen Schritte in Richtung auf eine gesamteuropaumlische Friedensordnung unter Einbindung Russlands zu beginnen Die Rahmenbedingungen fuumlr die deutsche Ost- und Russlandpolitik veraumlnderten sich in eine grundlegend positive Richtung

russland und die osterweiterung von eU und nAtoDiese neue Phase der Ostpolitik war von einem Neben-einander von Integration und Kooperation gepraumlgt Inte-

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gration dort wo gewuumlnscht und moumlglich Kooperation dort wo keine Integration moumlglich oder gewuumlnscht war Die baltischen Staaten die Staaten Ostmittel-Europas und Suumldosteuropas wurden zum ersten Male in ihrer Geschichte zu einer Zone der sicherheitspolitischen und ndash mit Einschraumlnkungen ndash auch der demokrati-schen Stabilitaumlt Die gemeinsame Integration in euro-paumlische und transatlantische Institutionen verband jetzt die oumlstlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands Ein Teil der Ostpolitik gestaltete sich nun institutionell wirtschaftlich und politisch wie die fruumlhere Westpolitik

Die Ost-Erweiterung der EU und der NATO lieszligen eine neue gesamteuropaumlische Realitaumlt entstehen Die Ziele der deutschen Politik aber reichten weiter Sie wollten Russ-land uumlber seine Mitgliedschaft im Europarat und der OSZE hinaus moumlglichst eng mit den uumlbrigen Staaten und Insti-tutionen Europas verbinden Diese Politik schien anfangs mit den Zielen der russischen Politik uumlberein zu stimmen

Anfangs wurde die Ost-Erweiterung der EU von Russ-land durchaus positiv gesehen insbesondere da sie durch Kooperationsvertraumlge zwischen der EU und Russland ergaumlnzt werden sollte Der Widerstand Russlands gegen die Assoziationsvertraumlge der EU mit der Ukraine Molda-wien und Georgien sind erst neueren Datums Anfangs hatte Russland selbst nach aumlhnlichen Vertraumlgen mit der EU gestrebt Dies deckte sich mit den Absichten der EU

Die Ost-Erweiterung der NATO dagegen wurde von Russland von Anfang an negativ bewertet Trotzdem gelang es die negativen Wirkungen der Ost-Erweiterung auf das Verhaumlltnis der NATO zu Russland 1997 durch die raquoGrundakte uumlber die gegenseitigen Beziehungen Zusam-menarbeit und Sicherheitlaquo und 2002 durch die Schaffung des NATO-Russland-Rates zu begrenzen Der Inhalt die-ser Vereinbarungen beruumlcksichtigte russische Interessen entsprach aber in entscheidenden Punkten nicht den rus-sischen Wuumlnschen naumlmlich denen nach einer gleichbe-rechtigten Mitsprache innerhalb der NATO bis hin zu einem faktischen Vetorecht bei deren Entscheidungen

Die Mitglieder der NATO und EU waren auch nicht bereit Russland eine Einflusssphaumlre im postsowjetischen Raum zu garantieren Dies konnten sie auch nicht tun ohne das auszligen- und innenpolitische Recht auf Souverauml-nitaumlt und Selbstbestimmung eines jeden einzelnen euro-paumlischen Staates zu missachten Erst recht wollten die USA und groumlszligere europaumlische Staaten nicht ndash wie im 19 und 20 Jahrhundert ndash in einem raquoKonzert der Maumlchtelaquo uumlber die Koumlpfe kleinerer Staaten hinweg Vereinbarungen uumlber deren auszligenpolitische Orientierung deren Sicher-heit oder sogar uumlber deren Grenzen treffen Eine Politik eines raquoKonzerts der Maumlchtelaquo haumltte die in Europa guumlltigen Prinzipien und Vertraumlge verletzt Sie wuumlrde die Grund-lagen der Zusammenarbeit prinzipiell gleichberechtig-ter Staaten innerhalb der EU und NATO infrage stellen

Die Mitgliedsstaaten der EU strebten eine enge Zusammenarbeit mit Russland an jedoch nicht zu Lasten der oumlstlichen und suumldoumlstlichen Staaten Europas Wenn die EU sich der Zusammenarbeit mit Russland wegen uumlber die Interessen der kleineren osteuropaumlischen und suumldosteuropaumlischen Staaten hinweg gesetzt haumltte wuumlrde in diesem Teil des Kontinents erneut Unsicherheit und Misstrauen herrschen Sorgen vor einem neuen raquoJaltalaquo koumlnnten um sich greifen Russland ist das wichtigste Land oumlstlich der Grenzen von EU und NATO Aber deut-sche Ostpolitik ist ndash anders als zu Zeiten Bismarcks und zu Zeiten des Ost-West-Konfliktes ndash nicht immer vorran-gig und erst recht nicht ausschlieszliglich Russlandpolitik

Waumlhrend der Zeit des Kalten Krieges und in den Jahr-zehnten der Entspannungspolitik musste die Ostpolitik EU haumlufig zuerst nach Moskau blicken wenn Vertraumlge mit Warschau Prag oder Budapest angestrebt wurden Heute sitzen die Staaten Mittelost- und Suumldosteuropas mit am Tisch der EU und der NATO wenn dort uumlber Russland-politik beraten wird Dass die Rahmenbedingungen fuumlr die deutsche und europaumlische Ostpolitik sich seit Anfang der 1990er Jahre grundlegend veraumlndert haben haben Viele in Moskau und Manche in Bruumlssel noch nicht begriffen

Defizite russischer WestpolitikRusslands Politik gegenuumlber seinen westlichen Nach-barn wird heute positiv wie negativ durch eine Fixierung auf die USA gepraumlgt Russland strebt heute eine Rolle als gleichberechtigter und gleichmaumlchtiger Machtpol neben den USA an und weiszlig zugleich dass eine derar-tige Rolle als Weltmacht seine eigenen politischen und wirtschaftlichen Moumlglichkeiten bei weitem uumlbersteigt Russland hat es nicht vermocht nach dem Kalten Krieg zu seinen kleineren westlichen Nachbarn ein wechselsei-tiges Vertrauen und ein kooperatives Verhaumlltnis aufzu-bauen In diesem Defizit sehe ich die wichtigste auszligen-politische Ursache fuumlr die zunehmende Entfremdung zwischen Russland und den Mitgliedern der EU und der NATO Russland seinerseits sieht in der Politik der USA die wichtigste Ursache fuumlr die negativen interna-tionalen Entwicklungen der letzten Jahre

Ich leugne die auszligenpolitischen Ursachen der zuneh-menden Entfremdung zu Russland nicht Mir scheinen aber die Entwicklungen in der russischen Innenpolitik mindestens ebenso bedeutend wenn nicht sogar bedeut-samer zu sein Mit seiner zunehmend autoritaumlren Ent-wicklung dem Ruumlckgriff auf Symbole und Politik der Zaren-Zeit und der nachlassenden Bereitschaft die sow-jetische Periode kritisch aufzuarbeiten entfremdet sich Russland immer mehr von den demokratischen Staa-ten Europas Mit seiner Berufung auf raquoeurasischelaquo und raquotraditionellelaquo Werte entfernt sich die russische Fuumlhrung von den gemeinsamen europaumlischen Werten

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Der Ruumlckgriff auf vor-demokratische Werte und die Kritik an der EU finden den Beifall der europaumlischen Rechten wie der UKIP in Groszligbritannien dem raquoFront Nationallaquo in Frankreich der raquoLega Nordlaquo in Italien der raquoJobbiklaquo in Ungarn der AfD in Deutschland jedoch auch von groszligen Teilen der Partei raquoDie Linkelaquo in Deutschland Gleichzeitig nimmt die Kritik an der russischen Politik in der demokratischen Linken Europas zu Die Ursache hierfuumlr sind Russlands schwere Verstoumlszlige gegen europaumli-sche Vereinbarungen und internationales Recht

Mit dem Einsatz der Energieversorgung als politi-sches Druckmittel untergraumlbt Russland das Vertrauen das seit Anfang der 1970er Jahre eine wichtige Grund-lage der Zusammenarbeit zwischen Russland und West-europa gebildet hatte Die Annexion der Krim missach-tet die in der KSZE-Schlussakte von 1975 vereinbarten Grundsaumltze der Unverletzlichkeit der Grenzen und der friedlichen Loumlsung von Konflikten Die Annexion der Krim verstoumlszligt auszligerdem gegen einen bilateralen Vertrag in dem Russland die Grenzen der Ukraine anerkannt hat Und schlimmer noch Sie verstoumlszligt gegen den auch von Frankreich Groszligbritannien und den USA unter-schriebenen Vertrag mit dem die Ukraine auf Nukle-arwaffen verzichtet Sie untergraumlbt damit den Vertrag gegen die Nichtweiterverbreitung von Nuklearwaffen

Doch damit nicht genug Erklaumlrtes Ziel russischer Politik ist es ndash auch uumlber die Krim und die Ostukraine hinaus ndash Russen und russischsprachige Buumlrger in ande-ren Staaten zu raquoschuumltzenlaquo Meiner Ansicht nach hat es auf der Krim und in der Ostukraine keine Diskriminie-rung russischsprachiger Buumlrger gegeben Wenn es der russischen Fuumlhrung wirklich darum gegangen waumlre eine angebliche Diskriminierung russischsprachiger Buumlrger zu beheben dann haumltte sie sich in Verhandlungen mit der ukrainischen Regierung darum bemuumlhen koumlnnen diese zu beseitigen Das hat Moskau nicht versucht Und das verstaumlrkt bei den Nachbarn Russlands die Befuumlrch-tung dass es der Fuumlhrung Russlands nicht wirklich um den Schutz von raquorussischen Minderheitenlaquo geht sondern dass diese als Instrument russischer Machtpolitik die-nen sollen Dies bedeutet nicht notwendigerweise dass Russland militaumlrische Mittel anwendet um den Schutz raquorussischer Minderheitenlaquo zu gewaumlhrleisten (wobei in der Ukraine sich die meisten russisch-sprachigen Buumlrger als Ukrainer empfinden) Aber die Anwendung militaumlrischer Mittel wird auch nicht ausdruumlcklich ausgeschlossen

russlandpolitik in einer zeit des VertrauensverlustesAufgrund der Zielsetzungen russischer Politik und auf-grund der Erfahrungen mit der Praxis russischer Politik gegenuumlber der Krim und der Ostukraine fuumlhlen sich ndash verstaumlndlicherweise ndash mehrere Nachbarstaaten bedroht

Russlands Verhalten gegenuumlber der Ukraine ndash und vor-her schon bei den Konflikten in Georgien und Trans-nistrien ndash begruumlnden Zweifel ob es den Status quo sei-ner Auszligengrenzen akzeptiert Viele Nachbarn Russlands nehmen es heute als revisionistische Macht wahr Alle Mitglieder der EU und der NATO muumlssen sich ange-sichts dieser Gefahren auf die Solidaritaumlt ihrer Partner und Verbuumlndeten verlassen koumlnnen

Das Vertrauen in die russische Politik ist schwer erschuumlttert worden Eine uumlberwiegend positive Phase der Russlandpolitik geht zu Ende Es steht uns kein neuer Kalter Krieg bevor Aber es wird eine laumlngere Zeit brau-chen ehe sich neues Vertrauen entwickeln kann Grund-voraussetzung hierfuumlr ist eine Aumlnderung der Politik der russischen Fuumlhrung Unser Verhaumlltnis zu Russland wird auf absehbare Zeit nicht mehr von dem Grund-satz raquoZusammenarbeit wo moumlglichlaquo beherrscht werden Stattdessen wird es wohl in Zukunft heiszligen muumlssen raquoZusammenarbeit wo moumlglich und sinnvoll Risiko-vorsorge und Gefahrenabwehr soweit wie noumltiglaquo Die-ses spannungsreiche Nebeneinander einer auf Koopera-tion und einer auf Risikovorsorge und Gefahrenabwehr angelegten Politik stellt einen Ruumlckschritt gegenuumlber den letzten Jahren und Jahrzehnten dar

Die Einsicht dass eine europaumlische Friedensordnung erst dann dauerhaft stabil ist wenn Russland Teil dieser Ordnung ist bleibt richtig Wenn Russland in wichtigen Punkten gegen die vereinbarten Normen einer europaumli-schen Friedensordnung verstoumlszligt so ist dies kein Grund diese Prinzipien preiszugeben Im Gegenteil Es geht darum Russland zu einer Ruumlckkehr zu diesen Prinzipien und Normen zu bewegen damit es gleichberechtigter Teil einer europaumlischen Friedensordnung werden kann

Wir sollten uns weiterhin um einen regen Dialog mit der russischen Fuumlhrung und der russischen Gesell-schaft bemuumlhen Sich um ein Verstaumlndnis der russischen Politik zu bemuumlhen bedeutet nicht unbedingt mit ihr einverstanden zu sein Im Gegenteil Gerade waumlhrend einer Krise ist die intensive Kommunikation eine unver-zichtbare Voraussetzung fuumlr die friedliche Beilegung von Konflikten Die Bereitschaft weiterhin mit Russ-land zusammenzuarbeiten wo dies moumlglich und sinn-voll ist ist Ausdruck unseres Realismus Russland bleibt trotz seiner gegenwaumlrtigen Politik das wichtigste Land oumlstlich der Grenzen der EU und der NATO

Anders als in den vergangenen Jahren werden wir wohl bedauerlicherweise davon ausgehen muumlssen dass die EU und NATO dort Vorsorge treffen muumlssen wo die Poli-tik der russischen Fuumlhrung Risiken und Gefahren fuumlr die Nachbarn Russlands fuumlr die Mitgliedsstaaten der EU oder fuumlr die NATO und fuumlr die europaumlische Sicher-heit insgesamt beinhaltet Die veraumlnderte Lage macht das Bemuumlhen um eine friedliche Beilegung von Konflikten

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wie im Falle der Ostukraine Georgiens Moldawiens und Armeniens sowie das Draumlngen auf Ruumlstungskon-trolle Abruumlstung und Vertrauensbildung noch wichti-ger Beim Problem des iranischen Atomprogramms beim Kampf gegen den internationalen Terrorismus in Bezug auf Afghanistan war Russland ein Partner Es war an der Loumlsung von Konflikten beteiligt Derartige Felder der Zusammenarbeit sollten erhalten und ndash soweit moumlglich und sinnvoll ndash ausgebaut werden Bei anderen Konflikten wie beim Bemuumlhen um eine Stabilisierung der Wirtschaft und Demokratie in der Ukraine wird Russland in der nahen Zukunft bedauerlicherweise wohl eher Widerpart als Partner bleiben Trotzdem sollten wir uns in Absprache

und gemeinsam mit der Regierung in Kiew um konflikt-mindernde Absprachen und Vereinbarungen bemuumlhen

Es steht uns kein neuer Kalter Krieg mit Russland bevor wohl aber eine Zeit der begrenzten Kooperation und des begrenzten Konfliktes Aufgabe Deutschlands ist es in dieser neuen Phase der Ostpolitik Meinungs- und Interessengegensaumltze realistisch zu analysieren gleichzei-tig aber auf der Grundlage der eigenen Werte und Prin-zipien kooperative Politikansaumltze zu foumlrdern und Kon-flikte einer friedlichen Loumlsung zuzufuumlhren Vielleicht kann auf diese Weise ndash wenn wahrscheinlich wohl erst nach laumlngerer Zeit ndash wieder die Chance fuumlr eine positi-vere Phase der Russland- und Ostpolitik eroumlffnet werden

Uumlber den AutorKarsten D Voigt war von 1976 bis 1998 Mitglied des Bundestags seit 1983 als auszligenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion und bis 1998 Vorsitzender der deutsch-russischen Parlamentariergruppe Von 1999 bis 2010 war er Koordi-nator der Bundesregierung fuumlr die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit Karten Voigt ist Mitglied des Praumlsidiums der Deutschen Gesellschaft fuumlr Auswaumlrtige Politik

UmFRAGE

Die russland-Ukraine-krise in russischen Umfragen

zum Waffenstillstand in der Ukraine Umfragen der raquostiftung Oumlffentliche meinunglaquo (fom)

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 13ndash14 September 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 22 September 2014 unter lthttpfomruMir11731gt

grafik 1 Verfolgen sie die ereignisse in der Ukraine

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100

InsgesamtFreunde etc in der Ukraine

Keine Freunde in der UkraineMann

Frau18-30 Jahre

31-45 Jahre45-60 Jahre

Uumlber 60 JahreMittelschule

Technikum u aumlHochschulbildung

Bis 4000 Rubel4001- 9000 Rubel

9001 ndash 20000 Rubel Mehr als 20000 Rubel

MoskauUumlber 1 Mio Einwohner

250000 ndash 1 Mio Einwohner50000 ndash 250000 Einwohner

Unter 50000 EinwohnernDorf

Taumlgliche Internetnutzer

Aufmerksam staumlndig Nicht sehr aufmerksam von Fall zu Fall Nein Keine Antwort

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 6

grafik 2 Aus welchen informationsquellen erfahren sie von den ereignissen in der Ukraine (frage an jene die die ereignisse in der Ukraine verfolgen ndash 89 Beliebige zahl an Antworten)

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387

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28 01

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 13ndash14 September 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 22 September 2014 unter lthttpfomruMir11731gt

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 13ndash14 September 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 22 September 2014 unter lthttpfomruMir11731gt

grafik 3 Berichten die russischen fernsehsender ihrer meinung nach objektiv uumlber die ereignisse in der Ukraine

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InsgesamtFreunde etc in der Ukraine

Keine Freunde in der UkraineMann

Frau18-30 Jahre

31-45 Jahre45-60 Jahre

Uumlber 60 JahreMittelschule

Technikum u aumlHochschulbildung

Bis 4000 Rubel4001- 9000 Rubel

9001 ndash 20000 Rubel Mehr als 20000 Rubel

MoskauUumlber 1 Mio Einwohner

250000 ndash 1 Mio Einwohner50000 ndash 250000 Einwohner

Unter 50000 EinwohnernDorf

Taumlgliche Internetnutzer

Objektiv Keine Antwort Voreingenommen

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grafik 4 Wird die Waffenruhe zu einem stabilen frieden fuumlhren

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 13ndash14 September 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 22 September 2014 unter lthttpfomruMir11731gt

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InsgesamtFreunde etc in der Ukraine

Keine Freunde in der UkraineMann

Frau18-30 Jahre

31-45 Jahre45-60 Jahre

Uumlber 60 JahreMittelschule

Technikum u aumlHochschulbildung

Bis 4000 Rubel4001- 9000 Rubel

9001 ndash 20000 Rubel Mehr als 20000 Rubel

MoskauUumlber 1 Mio Einwohner

250000 ndash 1 Mio Einwohner50000 ndash 250000 Einwohner

Unter 50000 EinwohnernDorf

Taumlgliche Internetnutzer

Die Waffenruhe fuumlhrt zu einem stabilen FriedenKeine AntwortDie Kampfhandlungen werden wieder aufgenommen

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 13ndash14 September 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 22 September 2014 unter lthttpfomruMir11731gt

grafik 5 Werden die republiken Donezk und lugansk am ende teil der Ukraine bleiben unabhaumlngige staa-ten werden oder teil russlands werden

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InsgesamtFreunde etc in der Ukraine

Keine Freunde in der UkraineMann

Frau18-30 Jahre

31-45 Jahre45-60 Jahre

Uumlber 60 JahreMittelschule

Technikum u aumlHochschulbildung

Bis 4000 Rubel4001- 9000 Rubel

9001 ndash 20000 Rubel Mehr als 20000 Rubel

MoskauUumlber 1 Mio Einwohner

250000 ndash 1 Mio Einwohner50000 ndash 250000 Einwohner

Unter 50000 EinwohnernDorf

Taumlgliche Internetnutzer

Teil der Ukraine bleiben Keine Antwort Anderes Unabhaumlngige Staaten werden Teil Russlands werden

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 8

Umfragen des lewada-zentrums

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 6 Welches sind die wesentliche kraumlfte auf seiten der kiewer seite bei den kaumlmpfen in den gebieten Donezk und lugansk

0 20 40 60 80 100

Jun2014

Sep2014

Regulaumlre Einheiten der ukrainischen ArmeeKeine AntwortBewaffnete Formationen ukrainischer Rechtsradikaler

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 7 Welches sind die wesentlichen kraumlfte bei den kaumlmpfen in den gebieten Donezk und lugansk auf der anderen seite [separatistenneurussland]

0 20 40 60 80 100

Jun 2014

Sep2014

Buumlrgerwehren der Staumldte in den Gebieten Donezk und LuganskKeine AntwortBewaffnete Einheiten prorussischer Radikaler die von Russland unterstuumltzt werden

grafik 8 Befinden sich gegenwaumlrtig in der Ukraine russische streitkraumlfte

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

Ja29

Nein48Keine Antwort

23

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 9

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 9 Wie stehen sie dazu dass in den reihen der Buumlrgerwehr der ostukraine russische freiwillige kaumlmpfen

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1 Mai 2014

1 Juni 2014

19-22 Sept2014

26-29 Sept2014

Absolut positiv Eher positiv Keine Antwort Eher negativ Absolut negativ

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 10 Wie endet die gegenwaumlrtige Waffenruhe

Die Unterzeichnung eines Friedensabkommens und

dem Prozess einer friedlichen Regulierung

des Konfliktes27

Wiederaufnahme des bewaffneten Konflikts

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Keine Antwort27

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 11 sollten im falle eines Wiederaufnahme der kampfhandlungen in der ostukraine russische truppen entsandt werden

Auf jeden Fall5

Eher ja16

Eher nein36

Auf keinen Fall27

Keine Antwort16

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 10

grafik 12 Unterstuumltzen sie die massenproteste (raquofriedensmaumlrschelaquo) gegen die russische einmischung in innere Angelegenheiten der Ukraine

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 September 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 25 September 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint25-09-2014marshi-miragt

0 20 40 60 80 100

Mrz2014

Sep2014

Auf jeden Fall Eher ja Keine Antwort Eher nein Auf keinen Fall

Die haltung gegenuumlber den fluumlchtlingen aus der Ukraine

Quelle Umfragen des WZIOM vom 20ndash21 September 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 26 September 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=114994gt

grafik 13 gibt es in ihrer stadt siedlung fluumlchtlinge aus der Ukraine

0 20 40 60 80 100

Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja viele ukrainische Fluumlchtlinge Ja wenige ukrainische Fluumlchtlinge Keine Antwort Nein keine ukrainischen Fluumlchtlinge

Quelle Umfragen des WZIOM vom 20ndash21 September 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 26 September 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=114994gt

grafik 14 leistet russland den ukrainischen fluumlchtlingen ausreichende hilfe

Russland leistet den Fluumlchtlingen

ausreichende Hilfe67

Russland leistet den Fluumlchtlingen zu geringe

Hilfe4

Russland leistet den Fluumlchtlingen zu viel Hilfe

24

Keine Antwort5

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 11

AUS RUSSISchEN BLOGS

nawalnyj krim nasch1

Seit Maumlrz 2014 steht Alexej Nawalnyj wegen des sogennanten raquoYves-Rocher-Fallslaquo unter Hausarrest Dem opposi-tionellen Politiker wurde per Gerichtsbeschluss verboten seine Wohnung zu verlassen sowie mit jeglichen Perso-

nen auszliger dem engen Familienkreis zu sprechen Interviews zu geben und das Internet zu nutzen Seitdem fuumlhrt das Team der raquoStiftung fuumlr die Korruptionsbekaumlmpfunglaquo (russ raquoFBKlaquo) seinen Blog und seine Frau seinen Twitter-Account Anfang Oktober milderte das Gericht des Moskauer Basmannyj-Rayons (Basmannyj-Gericht) uumlberraschenderweise die Bedingungen des Hausarrests in Bezug auf Kontakte mit der Auszligenwelt was nach mehreren Monaten Journalis-ten wieder einen Zugang zur Schluumlsselfigur der russischen Protestbewegung ermoumlglichte

Das Interview fuumlr Echo Moskwy vom 15 Oktober in dem Nawalnyj sich unzweideutig zur Annexion der Krim aumluszligerte erregte in Russland uumlberaus groszlige Aufmerksamkeit Wie im Nachhinein aus der Redaktion von Echo Moskwy verlautet wollte Michail Lesen Chef der Holding Gazprom-Media die zwei Drittel der Aktien des Radiosenders besitzt die Veroumlffentlichung dieses Interviews auf alle erdenkliche Weise verhindern er habe der stellvertretenden Chefre-dakteurin Olesja Rjabzewa per Telefon mit groszligen Problemen gedroht wie diese in ihrem Blog berichtet Das Inter-view schlug in der liberalen Oumlffentlichkeit wie eine Bombe ein da Nawalnyj die Ruumlckgabe der Krim an die Ukraine eindeutig ausschloss Auf die Frage des Chefredakteurs des Radiosenders Alexej Wenediktow raquoKrim naschlaquo (Ist die Krim unser) sagte der Oppositionelle Folgendes raquoIch finde dass obwohl die Krim unter eklatanten Verstoumlszligen gegen alle voumllkerrechtlichen Normen erobert wurde die Realien derart sind dass die Krim jetzt ein Teil der Russischen Foumlderation ist Machen wir uns doch nichts vor Den Ukrainern rate ich ebenfalls ausdruumlcklich sich nichts vorzu-machen Sie [die Krim Anm d Red] bleibt Teil Russlands und wird in absehbarer Zukunft kein Teil der Ukraine werdenlaquo Diese Aussage loumlste auf Twitter einen massiven raquoShitstormlaquo aus Kurz nach dem Interview schloss sich auch Michail Chodorkowskij der Position Nawalnyjs an und sagte raquoDie Krim gebe ich nicht zuruumlcklaquo (lthttpgraniruPol iticsRussiaPartiesm234009htmlgt) Im Zuge heftiger Debatten in den Blogs teilte sich die liberale Oumlffentlichkeit Russlands in Nawalnyj-Versteher und harsche Kritiker der Krim-Annexion es meldeten sich unter anderem zu Wort Grigorij Golosow Professor an der Europaumlischen Universitaumlt St Petersburg Sergey Davidis Buumlrgerrechtler und enger Verbuumlndeter Nawalnyjs in der Protestbewegung Alexander Osowzow Projektdirektor der Stiftung von Michail Cho-dorkowskij raquoOffenes Russlandlaquo Wladislaw Naganow Mitglied der Nawalnyj-Partei raquoPartei des Fortschrittslaquo der Jour-nalist und Publizist Alexander Sotnik der russischsprachige Kiewer Journalist Mustafa Nayyem und der Kriegskor-respondent Arkadij Babtschenko

eine situation ohne guten AuswegraquoNawalnyj stellt alles richtig dar zu vielen Fragen laumlsst sich derzeit kaum etwas Besseres sagen Er ist ein begabter Mensch ein geborener Politiker Das Schlimme ist dass Russland ihn unter Hausarrest haumllt Alle gehen ihn hier an mit der Krim Man muss aber dabei im Kopf behalten dass es Putin war der die ukrainischen Probleme fuumlr Russland geschaffen hat und Nawalnyj nach einem guten Ausweg aus einer schlechten Lage zu fragen ist nicht besonders fair Die Krim bedeutet eine Situation ohne guten Ausweg Fuumlr den Besitz der Krim werden wir ndash alle zusammen oder jeder einzelne aus eigener Tasche ein Vielfaches von dem zahlen muumlssen was es gekostet haumltte jeden Quadratmeter auf der Halbinsel zu kommerziellen Preisen als Eigentum zu erwerben und alle Bewohner die dann nicht bleiben wollen an die Cocircte drsquoAzur umzusiedeln Putin hat das Geschaumlft bereits abgeschlossen Selbst Nawalnyj kann es nicht stornierenlaquoGrigorij Golosow via Snobru 16102014 lthttpslonrurussiapochemu_navalnyy_prav-1172360xhtmlgt

raquoAlle haben sich auf nawalnyj gestuumlrzthelliplaquoraquoIch habe in seinen Worten keinen Imperialismus erkennen koumlnnen er stimmt der Besetzung und Annexion der Krim nicht zu weist im Gegenteil auf deren krasse Rechtswidrigkeit hin Er hat gesagt dass Krim jetzt de facto zu Russ-land gehoumlrt [hellip] Er sagt dass man sie nicht wie ein Butterbrot zuruumlckgeben kann dass das die Bevoumllkerung entschei-den sollte was gibt es da zu bestreiten Selbst bei der Annexion gab es ein Schein-Referendum Und wenn man nicht autoritaumlr und rechtswidrig vorgeht sondern fair und demokratisch wer anders als die Bevoumllkerung sollte dann ent-scheiden [hellip]

Was ich in der Aumluszligerungen Alexejs nicht gutheiszligen wuumlrde ist der Stil Man sollte jetzt auf Ratschlaumlge fuumlr die Ukrainer lieber verzichten insbesondere bei einer solchen Frage Man sollte nicht davon reden dass Krim rsaquoin absehba-

1 dt Die Krim ist unser

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rer Zukunft kein Teil der Ukraine werdenlsaquo wird auch wenn es scheint als ob die Ergebnisse eines jeden Referendums vorhersehbar sind Schlieszliglich tragen wir alle selbst diejenigen die dagegen waren zu einem gewissen Grad eine Ver-antwortung bei der Aggression des Kreml gegen die Ukraine und trotz allem stehen wir in den Augen der Ukrainer vollkommen zurecht als Buumlrger eines Aggressorstaates da Etwas mehr Ruumlcksicht und Fairness waumlre nicht verkehrtlaquoSergej Davidis auf Facebook 15102014 lthttpswwwfacebookcomsergeidavidisposts800840943304969gt

raquoDer Drache gewinnt in jedem falllaquoraquoBezuumlglich der Krim bin ich mit Nawalnyj kategorisch nicht einverstanden und finde dass gerade Russland der Ukraine die annektierte Krim zuruumlckgeben sollte vor allem weil niemand auch kein Land ein normales Leben fuumlh-ren kann ohne zu versuchen die Folgen eines von ihm begangenen Verbrechens nach Moumlglichkeit zu korrigieren Das waumlre genauso als wenn Alexejs rsaquoLieblingsfigurenlsaquo ndash Timtschenko Jakunin die Rotenbergs usw ndash eines schoumlnen Tages sagen wuumlrden rsaquoWir klauen jetzt nicht mehr wir sind jetzt ehrliche Leute Aber was wir vorher zusammenge-klaut haben das gehoumlrt bereits uns und das behalten wirlsaquo Eine solche Idee wuumlrde Nawalnyj kaum zufriedenstellen

Die Diskussion um Nawalnyjs Position die jetzt stattfindet zeigt aber aus meiner Sicht sehr ernst zu nehmende moralische und ethische Probleme innerhalb eines Teils der russischer Opposition auf Die einen die gestern noch mit harten Worten die rsaquoKrimnaschistenlsaquo beschimpft haben und so schien es bereit waren rsaquoWatniki und Koloradylsaquo2 in Stuumlcke zu zerreiszligen sind nun durch der rsaquoHetze der liberalen Presse gegen Nawalnyjlsaquo empoumlrt [hellip]

Ich moumlchte denjenigen fuumlr die jedweder Meinungsunterschied zu Nawalnyj ein Anschlag auf das Allerheiligste ist Folgendes sagen Beruhigt euch versucht zu verstehen dass es dumm und aussichtslos fuumlr das Land waumlre rsaquoPuti-noidelsaquo durch rsaquoNawalnoidelsaquo auszutauschen So wie in dem alten vietnamesischen Maumlrchen uumlber den Drachen und das Schwert aus grauem Stahl Es gewinnt immer der DrachelaquoAlexander Osowzow auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcomosovtsovaaposts1568393260047754gt

raquoman darf sie nicht hin und her zuruumlckgebenlaquoraquoAlle die Nawalnyj fuumlr seine Worte rsaquoIst die Krim etwa ein Wurstbrot dass man es hin und her zuruumlckgeben koumlnntelsaquo kritisieren moumlchte ich fragen Wie stellt ihr das uumlberhaupt vor

Der Praumlsident Russlands unterschreibt einen Erlass uumlber die Ruumlckgabe der Krim und Sewastopols an die Ukraine Uumlber die Entziehung der russischen Staatsbuumlrgerschaft bei allen Bewohnern der Krim und Sewastopols Oder kann man den Menschen die russische Staatsbuumlrgerschaft belassen und nur das Territorium ndash mit ihnen ndash uumlbergeben Fragt irgendjemand die Menschen was sie wollen bevor man etwas mit ihnen macht Oder werden die Einwohner der Krim und Sewastopols nicht fuumlr Menschen gehalten sondern fuumlr Vieh fuumlr eine Schafherde die zwischen verschie-denen Staaten hin und her rsaquouumlbergebenlsaquo werden kann Der eine Praumlsident hatte Lust und nahm es sich der andere hat sich anders uumlberlegt und gibt es wieder zuruumlckt So etwa

Sollte man nicht doch besser die Menschen fragen Hat Nawalnyj das etwa nicht selbst gesagt als er von einem rsaquonormalenlsaquo Referendum auf der Krim sprach Ich verstehe unter einem rsaquonormalenlsaquo Referendum eines das nicht nur 15ndash20 Tage vorbereitet wird sondern mindestens drei Monate Und bei dem es keine Einschraumlnkungen fuumlr die Kam-pagne gibt Die Anhaumlnger einer Zugehoumlrigkeit der Krim und Sewastopols zur Ukraine wollen hierfuumlr agitieren mit Plakaten Flugblaumlttern Werbevideos ukrainischen Fahnen ndash bitte schoumln Ohne Einschraumlnkungen Und dass alle moumlg-lichen Wahlbeobachter zum Referendum kommen koumlnnen von der OSZE von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates von der GUS aus der Ukraine der EU und den USA von uumlberall her Und dass ein transparenter Ablauf der Stimmenzaumlhlung gewaumlhrleistet werde Und wenn jemand von den Wahlbeobachtern ein Nachzaumlhlen der Stimmen per Hand verlangt ndash bitte schoumln mehrmals so oft wie gewuumlnscht Und uumlberhaupt Lasst so viele Wahlbe-obachter in jedes Wahllokal wie dort Platz ist Und keinerlei bewaffnete Menschen mit Maschinenpistolen in kei-nem einzigen Wahllokal oder dessen UmgebunglaquoWladislaw Naganow auf Livejournal 16102014 lthttpnaganofflivejournalcom142862htmlgt

liebe raquonawalnistenlaquoraquoAlso Fuumlr die verehrten rsaquoNawalnistenlsaquo die sich wegen Alexej so aufregenhellip

2 raquoWatnikilaquo (Wattejacken) ndash abfaumlllige Bezeichnung fuumlr russische sbquoHurrapatriotenlsquo (ein raquoWatniklaquo ist eine Wattejacke die mit der Armee aber auch mit Straumlflingen assoziiert wird) raquoKoloradylaquo (von raquo koloradskij shuklaquo ndash Kartoffelkaumlfer) ndash abfaumlllige Bezeichnung fuumlr prorussische Akti-visten in der Ukraine (die Faumlrbung des Kaumlfers ist schwarz-gelb oder schwarz-orange gestreift aumlhnlich den Farben des St Georgs-Bandes das von prorussischen Kraumlften in der Ukraine und von politisch rechtsstehenden Russen als Abzeichen verwendet wird)

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Ja eurer rsaquoFuumlhrerlsaquo ist Imperier Daraus hat er kein Geheimnis gemacht Er ist bei der Krim-Frage ein absoluter Putin Weil er wenn er einer anderen Ansicht waumlre Wenediktow Folgendes gefragt haumltte rsaquoVon welcher Krim reden Sie denn Von der die zur Ukraine gehoumlrt womit Russland einverstanden war als es das Budapester Abkommen unterschrieben hat Sie fragen mich uumlber die territoriale Integritaumlt eines Staates dem Russland Garantien gegeben hat wonach die Ukraine zum atomwaffenfreien Land geworden ist Haumltte Russland seinerzeit diese Garantien nicht gegeben haumltte die Ukraine jetzt Atomraketen und wir wuumlrden es niemals riskieren uns dort einzumischenhellip Sie fragen also nach Quatsch und zwar provokantem Quatschlsaquo

Wenn er also auf diese Weise geantwortet haumltte dann ja Dann waumlre er als Politiker geboren worden Er hat sich aber ausgenullt Wie seinerzeit Udalzow

Und noch etwa Verehrte rsaquoNawalnistenlsaquo houmlrt auf euch Goumltzen zu schaffen Viele von euch waren auf dem rsaquoFrie-densmarschlsaquo zur Unterstuumltzung der territorialen Integritaumlt der Ukraine Verliert das Gesicht nicht Trefft eine Wahl ohne Bindung des Herzens Und all die Argumente rsaquoer habe es nicht so gesagt er habe etwas anderes gemeintlsaquo das ist im Stil von rsaquoPutinistenlsaquo und zwar rsaquoUnser Fuumlhrer hat alle ausgetrickst Das eine gesagt was anderes getan Sie haben seinen Weisheiten schlecht zugehoumlrtlsaquohellip

Seid keine Kinder Werdet erwachsenlaquoAlexander Sotnik auf Facebook 15102014 lthttpswwwfacebookcomsashasotnikposts646414272138108gt

raquorandfigur russischer PolitiklaquoDa Alexej Nawalnyj recht offen seine Meinung zur Krim geaumluszligert hat [hellip] waumlre es auch fuumlr den Oppositionellen selbst sinnvoll das Geheimnis uumlber seine Lage zu luumlften Ich finde dass abgesehen davon dass die Rechte von Ale-xej Nawalnyj lange Jahre verletzt wurden und er nach himmelschreiender Verletzung aller Gesetzesnormen der Rus-sischen Foumlderation verurteilt wurde die Realitaumlt so aussieht dass Herr Nawalnyj eine Randfigur der russischen Poli-tik ist Ich rate ihm und seinen Anhaumlngern eindringlich sich nichts vorzumachen ndash sie haben in absehbarer Zukunft keine Chance bedeutende Figuren in der groszligen Politik zu werden Das waumlre ebenfalls ehrlichMustafa Nayyem auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcomMustafanayyemposts10203171638717866gt

raquoWas wollen sie Pardon zuruumlckgebenlaquoraquoWas fuumlr spannende Eskapaden nun zu dieser Krimhellip rsaquoDie Krim ist kein Wurstbrotlsaquo meint Nawalnyj rsaquoWenn ich Prauml-sident werde gebe ich Krim nicht zuruumlcklsaquo schreibt Michail Chodorkowskij auf Twitter [hellip]

Russland hat einen Teil eines souveraumlnen Staates okkupiert Diese Okkupation ist von keinem anderen Staat in der Weltgemeinschaft anerkannt worden In der ganzen Welt hat sich die ukrainische Grenze nicht um einen Zen-timeter veraumlndert Die Welt kennt keinen anderen Staat rsaquoUkrainelsaquo auszliger diesen ndash mit der Krim Die Welt kennt kei-nen anderen Staat rsaquoRusslandlsaquo auszliger diesen ndash ohne die Krim Es hat keine Vertraumlge zur Anerkennung und Bestaumltigung neuer Grenzen gegeben

Was also wollen Sie Verzeihen Sie die Frage rsaquozuruumlckgebenlsaquo [hellip]Und zweitens Das wichtigsteWenn du Praumlsident wirst ndash eben Praumlsident ndash waumlre in diesem Koordinatensystem schon eine solche Fragestellung

rsaquoabgeben oder nichtlsaquo per definitionem undenkbar Denn der Praumlsident ist ein gewaumlhltes Amt Ein Amt das im Rah-men fairer und freier Wahlen besetzt wird die in einem demokratischen Land nach internationalen Regeln Konven-tionen Rechten und Gesetzen die durch die Weltgemeinschaft als korrekt anerkannt werden [hellip] In dieser Situa-tion wuumlrde sich die Frage rsaquozuruumlckgeben oder besser nochmal uumlberlegenlsaquo a priori nicht stellen Weil nicht du es bist der uumlber zuruumlckgeben oder nicht entscheidet Du bist kein Lenker des Schicksals von Staaten Laumlndern und Voumllkern Du bist bloszlig Garant der Ausfuumlhrung von Gesetzen Einschlieszliglich internationaler Gesetze Fuumlr alle die daruumlber anders dachten ist die Moumlglichkeit geschaffen worden uumlber ihre Fehler nachzudenken ndash in den schoumlnen Staumldten Nuumlrnberg und Den HaaglaquoArkadij Babtschenko auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcombabchenkoaposts555934824506755fref=nfgt

Ausgewaumlhlt und zusammengefasst von Sergey Medvedev Berlin (Die Blogs auf die verwiesen wird sind in russischer Sprache verfasst)

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ANALYSE

zivilgesellschaft und staat in russlandPavel Chikov Moskau

zusammenfassungDie Zivilgesellschaft befindet sich heute in Russland in einem schlechten Zustand Sie entwickelte sich Ende der 1980er Jahre und genoss bis Ende der 1990er Jahre weitgehende Freiheiten 1999 gab es erste staatliche Eingriffe und 2004 kennzeichnete Praumlsident Putin aus dem Ausland finanzierte NGOs direkt als raquoFeindelaquo In den folgenden Jahren wurde die Gesetzgebung verschaumlrft die Registrierung von NGOs erschwert den-noch gab es bis zur Ruumlckkehr Putins in das Praumlsidentenamt im Jahre 2012 kein ernstliches Vorgehen der Behoumlrden gegen die NGOler Mit der ultrakonservativen Wende des Jahres 2012 begann der Staat auch verstaumlrkt gegen die NGOs vorzugehen Heute auch nach den Ereignissen in der Ukraine ist weithin klar geworden dass Wladimir Putin bei seiner Orientierung auf einen extremen Konservatismus auch vor Re-pressionen gegen Nichtregierungsorganisationen nicht zuruumlckscheut

Die entstehung der zivilgesellschaft ende der 1980er JahreDer Zustand der Zivilgesellschaft in Russland laumlsst sich heute mit nur einem Wort charakterisieren schlecht Mehr noch Er ist schlechter denn je in der neuesten Geschichte Russlands wenn man davon ausgeht dass es zu sowjetischer Zeit keine nennenswerte Zivilgesell-schaft gegeben hat Die vereinzelten sowjetischen Buumlr-gerrechts- und Dissidentengruppen deren Mitglieder von den Geheimdiensten aufs engste uumlberwacht wurden lassen sich naumlmlich nur mit groumlszligter Muumlhe als Zivilge-sellschaft bezeichnen

Eine legale Existenz vom Staat unabhaumlngiger Nicht-regierungsorganisationen begann in Russland ungefaumlhr in jener Zeit als West- und Ostdeutschland wiederver-eint wurden Ende der 1980er und in der ersten Haumllfte der 1990er Jahre wurden zum einen die bereits erwaumlhn-ten sowjetischen Dissidentengruppen dann aber auch jene Initiativgruppen die auf der Welle der Perestroika unter Gorbatschow entstanden waren und nun als Orga-nisationen auftraten zur Basis der kuumlnftigen Zivilgesell-schaft Diese Gruppen erreichten dass Kuibyschew in Samara und Gorkij in Nishnij Nowgorod umbenennt wurde und sie beteiligten sich engagiert an den Wahlen der Volksdeputierten beseitigten verschiedenste Relikte der sowjetischen Vergangenheit wurden zu Meinungs-fuumlhrern der Gesellschaft organisierten erstmals recht-liche Hilfe fuumlr die schwaumlchsten Bevoumllkerungsgruppen

Die ersten Gesetze die die Taumltigkeit von NGOs sys-tematisch regulierten entstanden in den Jahren 1995 und 1996 Sie wurden auf der Houmlhe der allgemeinen Demokratisierung verabschiedet schrieben die grundle-genden buumlrgerlichen Freiheiten fest sahen eine Registrie-rung per Anmeldung keinerlei Rechenschaftspflichten sowie die Moumlglichkeit vor ohne Registrierung als juristi-sche Person taumltig sein zu koumlnnen Hierbei konnten rund zwei Dutzend verschiedener Rechtsformen genutzt wer-den Eine gesellschaftliche Organisation (NGO) regis-

trieren zu lassen bedeutete keine Muumlhe und die staat-lichen Gebuumlhren hierfuumlr waren minimal Gleichzeitig gab es jedoch keinerlei System fuumlr eine finanzielle Foumlrde-rung von nichtkommerziellen Organisationen (NGOs) durch den Staat

erste eingriffe des staatesDie ersten Zeichen die von kuumlnftigen Problemen fuumlr NGOs kuumlndeten erfolgten im Jahr 1999 als das Justiz-ministerium eine Neuregistrierung aller aktiven nicht-kommerziellen Organisationen (NGOs) verlangte Damals sahen sich einige Menschenrechtsorganisatio-nen erstaunlichen Beanstandungen durch die Behoumlrden gegenuumlber Wie sich herausstellte sollte es nicht moumlg-lich sein den Schutz der Menschenrechte und buumlrgerli-chen Freiheiten zu den satzungsgemaumlszligen Zielen zu zaumlh-len Die Fachleute des Justizministeriums behaupteten Da der Schutz der Menschenrechte gemaumlszlig der Verfas-sung die Pflicht des Staates ist koumlnnten NGOs diesen darin allenfalls sbquounterstuumltzenlsquo Das ist die Erklaumlrung dafuumlr dass die meisten Moskauer Organisationen bei ihren Namen und in ihren Satzungen bis heute diese Formulierung verwenden die offensichtlich eine klare paternalistische Botschaft an die Gesellschaft darstellt Zivilgesellschaftliche Organisationen koumlnnen ndash so die Haltung der russischen Regierung seit 1999 und bis jetzt ndash nichts selber machen Sie koumlnnen lediglich den Staat unterstuumltzen Folglich stoszligen NGOs wenn sie sich gegen die Politik des Staates wenden auf unweiger-lichen vaumlterlichen Zorn Die 15 Jahre nach 1999 illus-trieren diese Haltung sehr deutlich

nichtregierungsorganisationen als raquofeindelaquo2004 hat Praumlsident Putin in seiner jaumlhrlichen Parla-mentsansprache Nichtregierungsorganisationen die auch nur irgendwelche Gelder aus dem Ausland erhalten direkt seine Feinde genannt 200405 wurde eine spe-zielle staatliche Struktur der raquoFoumlderale Dienst fuumlr Regis-

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trierunglaquo (raquoRosregistrazijalaquo) geschaffen ndash eine Polizei fuumlr NGOs Es wurden fuumlr NGOs Rechenschaftspflich-ten uumlber ihre Taumltigkeit eingefuumlhrt die fuumlr zwei Drit-tel der Organisationen nicht zu stemmen waren Von 2006 bis 2008 hat diese dem Justizministerium nach-geordnete Behoumlrde die Aufloumlsung Zehntausender zivil-gesellschaftlicher Organisationen per Gerichtsbeschluss erwirkt Weitere 50000 erhielten Verwarnungen Ins-gesamt befanden sich beim Amtsantritt des Zwischen-praumlsidenten Medwedew achtzig Prozent der in Russland existierenden Organisationen (ungefaumlhr 150ndash180000) nur einen Schritt von ihrer moumlglichen Aufloumlsung (aus formalen Gruumlnden) durch das Justizministerium ent-fernt Staatsfreundliche Strukturen (wie etwa die Gesell-schaftskammer) haben beharrlich die Vorstellung trans-portiert dass es in Russland tatsaumlchlich nicht mehr als 30000 gesellschaftliche Organisationen (NGOs) gebe Das Anhalten der repressiven Maschine gegen NGOs war eine der wenigen liberalen Zugestaumlndnisse Dmitrij Medwedews als Praumlsident raquoRosregistrazijalaquo wurde 2008 selbst aufgeloumlst und seine Funktionen zur Kontrolle der Nichtregistrierungsorganisationen direkt dem Justiz-ministerium uumlbertragen Viele ehemalige Mitarbeiter von raquoRosregistrazijalaquo einschlieszliglich des Behoumlrdenlei-ters wechselten zur Staatsanwaltschaft

2009 und 2010 ritten die Behoumlrden nur vereinzelte Angriffe auf Nichtregistrierungsorganisationen Ein besonders bekannter Fall war die blitzartige staatsan-waltschaftliche Uumlberpruumlfung von 40 Menschenrechtsor-ganisationen im September 2010 die auf Anweisung der Praumlsidialadministration erfolgte diese wollte vor dem Treffen der Leiter der Kommission von Wladislaw Sur-kow und Michael MacFaul kompromittierende Mate-rialien uumlber aus dem Ausland finanzierte Organisatio-nen praumlsentieren Insgesamt aber hat bis zur Ruumlckkehr Putins in das Praumlsidentenamt kein ernstliches Vorgehen der Behoumlrden gegen die NGOler gegeben

Die situation der zivilgesellschaft nach dem mai 2012Die Situation aumlnderte sich grundlegend im Mai 2012 nach der dritten Inauguration Putins die von Mas-senprotesten auf dem Bolotnaja-Platz begleitet wurde denen die bis heute andauernden sogenannten Bolot-naja-Verfahren folgten naumlmlich die strafrechtliche Ver-folgung und Verurteilung zu Gefaumlngnisstrafen von Teil-nehmern der regierungskritischen Demonstration vom 6 Mai 2012 Die Praumlsidialadministration wappnete sich mit der ultrakonservativen Politik einer demonstrativen Absage an liberale Werte fuumlr den Praumlsidenten wurde das Image eines Verteidigers traditioneller Werte aufgebaut die den Menschenrechten und buumlrgerlichen Freiheiten gegenuumlbergestellt werden

Die weitgehenden Beschraumlnkungen der Versamm-lungsfreiheit die Verfolgung von Schwulen und Les-ben die Angriffe auf die Redefreiheit im Internet die Herstellung staatlicher Kontrolle uumlber die Medien die Diskreditierung des Instituts der Wahlen wurden durch eine Kampagne zur Verfolgung von Nichtregierungsor-ganisation ergaumlnzt Diese Welle wurde unter der Losung losgetreten dem Einfluss aus dem Ausland entgegenzu-wirken Sie erfolgte durch Aumlnderungen im Gesetz uumlber nichtkommerzielle Organisationen (NGOs) das Aumlnde-rungsgesetz wurde als raquoGesetz uumlber auslaumlndische Agen-tenlaquo bekannt Praumlsident Putin persoumlnlich ist bekann-termaszligen dessen geistiger Vater Im Verlauf des Jahres 2013 organisierte die Staatsanwaltschaft die vom Jus-tizministerium die Funktion der Kontrolle uumlber Nicht-regierungsorganisationen uumlbernommen hatte die Uumlber-pruumlfung von rund tausend NGOs und lieszlig sich dabei lediglich von einem Kriterium leiten naumlmlich der Frage ob eine Organisation in irgend einer Art Gelder aus irgendeiner Art auslaumlndischer Quelle erhaumllt die Ver-einten Nationen den Europarat und private Nichtre-gierungsstrukturen eingeschlossen Auch eine Reihe deutscher Stiftungen und Organisationen waren Atta-cken ausgesetzt naumlmlich die Friedrich-Ebert-Stiftung die Konrad-Adenauer-Stiftung und der Deutsch-Rus-sische Austausch

Ziel der von Generalstaatsanwalt Jurij Tschajka ini-tiierten Kampagne war es moumlglichst viele Organisa-tionen dazu zu noumltigen sich als auslaumlndischer Agent registrieren zu lassen Die Reaktion der russischen Zivil-gesellschaft laumlsst sich wohl als deutlichsten Beweis ihrer Existenz bezeichnen Nach dieser halbjaumlhrigen Kam-pagne in allen Regionen des Landes hatte sich keine einzige Organisation im Verzeichnis der raquoauslaumlndi-schen Agentenlaquo registrieren lassen Die Zivilgesellschaft hatte ndash ohne sich zu verabreden ndash die Anwendung die-ses Gesetzes sabotiert und Dutzende Organisationen zogen mit Beschwerden gegen das Vorgehen der Staats-anwaumllte vor Gericht Diese ewig langen Gerichtspro-zesse dauern bis heute an Involviert sind mittlerweile auch das Oberste Gericht das Verfassungsgericht der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte die Vene-dig-Kommission des Europarates der Menschenrechts-kommissar des Europarates und die Regierungschefs aller groszligen westlichen Staaten

Heute nach den diesjaumlhrigen Ereignissen in der Ukraine ist weithin klar gewonnen dass Wladimir Putin bei seiner Hingabe an extremen Konservatismus und bei seiner Attacke gegen liberale Werte die die Grundlage der Nachkriegsordnung dargestellt haben bei Repressionen gegen Nichtregierungsorganisationen nicht halt macht Heute in einer Situation da von jenem Moment wo im Kopf des Praumlsidenten oder von irgend

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jemandem in dessen engster Umgebung die naumlchste Idee zur Beschraumlnkung der Menschenrechte entsteht bis zur Verabschiedung und dem Inkrafttreten eines entsprechenden Foumlderalen Gesetzes nur eine Woche vergehen kann koumlnnen jene die Menschenrechtsar-

beit machen solche Schritte der Regierung weder aus-zuschlieszligen noch sie vorhersehen Es bleibt einem nur auf wirklich alle Szenarien gefasst zu sein auch auf die schlimmsten

Uumlbersetzung Hartmut Schroumlder

Uumlber den AutorPawel Chikow Vorsitzender der Interregionalen Assoziation der Buumlrgerrechtsorganisationen raquoAGORAlaquo Mitglied des Rats fuumlr die Entwicklung der Zivilgesellschaft und fuumlr Menschenrechte beim Praumlsidenten der Russischen Foumlderation

ANALYSE

ngos in russlandJens Siegert Moskau

zusammenfassungUnabhaumlngige russische NGOs sind seit Praumlsident Putins Amtsantritt Ziel staatlichen Drucks Die Auseinan-dersetzung mit diesem Druck hat bei den NGOs zu einer schrittweisen und beindruckenden Professionali-sierung beigetragen die wiederum geholfen hat trotz dieses Drucks nicht nur zu uumlberleben sondern auch ihre Arbeit weiter machen zu koumlnnen Das vor knapp zwei Jahren in Kraft getretene sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo stellt die NGOs vor eine neue harte Probe Zudem versucht der Staat erneut NGOs auch institutionell in raquogutelaquo und raquoboumlselaquo einzuteilen Dieser neue Versuch NGOs unter direkte staatliche Kontrol-le zu bringen gefaumlhrdet die Existenz unabhaumlngiger und staatskritischer NGOs in Russland

Putin und die ngosSeit Wladimir Putin vor nun schon fast 15 Jahren rus-sischer Praumlsident wurde versucht er sehr erfolgreich alle autonomen politischen Subjekte in Russland der direkten Kontrolle des Staates besser noch des Kremls zu unterwerfen In Wirtschaft und Politik ist das wei-testgehend gelungen Bei den Massenmedien sehr weit-gehend Blieben und bleiben die NGOs Sie haben sich als am widerstaumlndigsten erwiesen Das hat unterschied-liche Gruumlnde

Erstens galten NGOs im Kreml lange nicht als son-derlich gefaumlhrliche politische Bedrohung Das aumlnderte sich kurzzeitig 20042005 als der Kreml vor allem bei der sogenannten Orangenen Revolution in der Ukraine aus dem Ausland finanzierte NGOs als wichtige trei-bende Kraft der politischen Veraumlnderungen betrachtete Doch hielt diese seinerzeit stark uumlbertriebene Angst vor der Moumlglichkeit aumlhnlich raquoumstuumlrzlerischer Machen-schaftenlaquo in Russland nur recht kurz an Danach etwa ab Ende 2006 und bis zur Protestwelle gegen Wahlfaumll-schungen und die Wiederwahl von Wladimir Putin zum russischen Praumlsidenten im Winter 20112012 periodisch blieben die Aufmerksamkeit den NGOs gegenuumlber und das Verhaumlltnis zwischen Staat und NGOs ambivalent

Dieses Verhaumlltnis schwankt seit Putins Machtan-tritt zwischen dem Misstrauen des Staates allen auto-nomen potentiell eigenstaumlndigen politischen Subjekten gegenuumlber (die aus seiner Sicht streng kontrolliert gehouml-ren) und der Erkenntnis dass NGOs eine ganze Reihe wichtiger sozialer und politischer Funktionen ausfuumll-len die der Staat nicht oder nicht mehr zu gewaumlhrleis-ten in der Lage ist Auszligerdem erwiesen sich die NGOs nach weitgehender Abschaffung der Pressefreiheit und Gleichschaltung der (ohnehin schwachen und in vielen Bereichen dysfunktionalen) politischen Parteien fuumlr den Kreml als nuumltzlicher ja mitunter notwendiger Kommu-nikationskanal in die Gesellschaft

Die Uumlberlebensfaumlhigkeit der russischen ngosDas Uumlberleben unabhaumlngiger NGOs wurde bis heute auszligerdem durch ihre groszlige politische und institutio-nelle Lernfaumlhigkeit gewaumlhrleistet Unter dem staatli-chen Druck der vergangenen 15 Jahre ist die NGO-Arbeit in Russland in fast allen Bereichen professioneller geworden Das gilt insbesondere fuumlr die Einhaltung der in vielem widerspruumlchlichen oft geaumlnderten und uumlber Verwaltungsakte zu wahren buumlrokratischen Monstern

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aufgeblaumlhten die NGOs betreffenden Gesetze Kurz gesagt Vor allem Juristen Buchhalter Geschaumlftsfuumlh-rer die NGOs beraten oder in ihnen arbeiten aber auch viele Aktivisten sind schlicht besser schneller und pro-fessioneller als die staatliche Finanz- Justiz- oder sons-tige Verwaltung Einem in vielem legalistischen Staat gegenuumlber kostet diese staumlndige Professionalisierung (auch im Sinn einer Art raquolebenslangen Lernenslaquo) zwar viel Kraft und es muumlssen dafuumlr nicht geringe Ressour-cen eingesetzt werden aber sie verschafft solange es sich nicht um frontale Angriffe handelt immer wieder Raum und Zeit zum Weitermachen

Damit komme ich zum dritten Grund fuumlr die beson-dere Widerstaumlndigkeit von NGOs in Russland Es ist fuumlr einen Staat (und seine Staatsmaumlnner und -frauen) fuumlr den der Eigensinn der Menschen nur schwer vorstell-bar ist und der vom eigenen Zynismus geleitet hin-ter jedem und allem irgendwelchen raquofremden Maumlchtelaquo Verschwoumlrungen und politischen Utilitarismus vermutet ganz offenbar schwer vorstellbar dass zivilgesellschaftli-ches Engagement sozusagen aus sich selbst heraus oder aus einer bestimmten Situation oder einem bestimmten Ereignis einem Erlebnis oder einer Erfahrung heraus entsteht Administrative auch strafrechtliche Maszlig-nahmen gegen dieses Engagement laufen eben deshalb immer wieder zwar nicht voumlllig ins Leere (sie erschwe-ren dieses Engagement mitunter enorm) aber sie koumln-nen es nicht verhindern Es verlagert sich immer wieder und findet immer neue Formen und Foren

Die Verstaumlrkung der staatlichen kontrolleBis heute gab es unter Putin drei groumlszligere Versuche unab-haumlngige NGOs unter mehr oder weniger direkte staatli-che Kontrolle zu bringen und diejenigen die sich dagegen wehrten entweder zu marginalisieren oder auch zu schlie-szligen Der erste im Jahr 2001 endete mit einem oben schon angedeuteten Kompromiss der das Verhaumlltnis Kreml-NGOs in einem (allerdings jederzeit prekaumlren) Gleich-gewicht zwischen Konfrontation und Kooperation hielt

Der zweite Versuch endete in der Verabschiedung des raquoNGO-Gesetzeslaquo Ende 2005Anfang 2006 das den NGOs weitergehende Berichtspflichten auferlegte in der Praxis also Ressourcen band und bindet aber ebenfalls in der Praxis und entgegen anderslautenden Befuumlrchtungen nicht zu wesentlichen Einschraumlnkun-gen in der Arbeit russische NGOs fuumlhrte Die groumlszligte negative Wirkung dieses Versuches duumlrfte von zahlrei-chen oumlffentlichen Aumluszligerungen hochgestellter Politiker bis hin zu Putin ausgegangen sein NGOs seien raquoFeindelaquo raquoSchakale die um auslaumlndische Vertretungen streunenlaquo Dadurch wurde die Einstellung von Teilen der Gesell-schaft vor allem aber von weiten Teilen der Verwaltung zu NGOs grundsaumltzlich negativ gepraumlgt

Der dritte Versuch begann als Teil der staatlichen Reaktionen auf den Protestwinter 20112012 und haumllt bis heute an Sein wichtigster Bestandteil ist das soge-nannte raquoNGO-Agentengesetzlaquo das eigentlich kein eigenes Gesetz ist sondern aus einer Reihe dem NGO-Gesetz neu hinzugefuumlgter oder geaumlnderter Paragraphen besteht Diese Vorschriften verpflichten NGOs die raquosich politisch betaumltigenlaquo und Geld oder andere Zuwendun-gen aus dem Ausland erhalten sich beim Justizminis-terium als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren zu lassen Danach muumlssen sie jede oumlffentliche Aumluszligerung mit dem Zusatz raquoauslaumlndischer Agentlaquo versehen

Die Durchsetzung des AgentengesetzesTrotz erheblichen staatlichen raquoPressingslaquo der raquoUumlber-pruumlfunglaquo von mehr als 700 NGOs in ganz Russland durch Staatsanwaltschaft Justizministerium Finanz-amt und eine Reihe anderer Behoumlrden ab dem Fruumlhjahr 2013 hatte sich im Fruumlhjahr 2014 erst eine NGO als raquoauslaumlndischer Agentlaquo im entsprechenden Register des Justizministeriums eintragen lassen (lthttpunromin justruNKOForeignAgentaspxgt) Alle anderen selbst diejenigen NGOs die von den Behoumlrden als raquoAgentenlaquo eingestuft und teilweise mit empfindlichen Geldstra-fen belegt worden waren weigerten sich und weigern sich bis heute Viele NGOs klagten und klagen sowohl gegen das Gesetz als auch gegen die raquoUumlberpruumlfungenlaquo und die aus ihnen von den Justizbehoumlrden abgeleite-ten Bescheide und Anweisungen vor russischen Gerich-ten aber auch vor dem Europaumlischen Gerichtshof fuumlr Menschenrechte (EGMR) Eine Entscheidung des rus-sischen Verfassungsgerichts hat die raquoAgentenparagra-phenlaquo fuumlr verfassungskonform erklaumlrt wenn auch einige Einzelbestimmungen darunter die zu Mindeststrafen aufgehoben

Im Juni 2014 beschloss die Staatsduma eine Verschaumlr-fung der raquoAgentenlaquo-Paragraphen des NGO-Gesetzes Seither hat das Justizministerium das Recht NGOs auch ohne deren Zustimmung in das raquoAgentenlaquo-Register ein-zutragen Bis heute (21102014) hat es 15 NGOs getrof-fen Es ist damit zu rechnen das weitere folgen werden Justizminister Jurij Tschajka hat bereits 2013 im Foumlde-rationsrat von 24 NGOs gesprochen die nach Ansicht des Ministeriums raquoAgentenlaquo seien Auszligerdem wurden 2013 und 2014 mehr als 40 NGOs von der Staatsanwalt-schaft aufgefordert sich vorsorglich als raquoAgentenlaquo regis-trieren zu lassen da sie Geld aus dem Ausland bekaumlmen und Gefahr liefen sich raquopolitisch zu betaumltigenlaquo

Die reaktionen der ngos auf das AgentengesetzDie praktischen Reaktionen der NGOs auf diesen staat-lichen Druck sind unterschiedlich Einige NGOs wie

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die Wahlbeobachter von raquoGoloslaquo haben sich als juris-tische Personen aufgeloumlst oder sind wie die raquoJuristen fuumlr Verfassungsrechte und Freiheitlaquo dabei sich aufzu-loumlsen (ein juristisch und administrativ nicht ganz ein-facher und langwieriger Vorgang) Fast alle NGOs die sich aufloumlsen haben aber erklaumlrt ihre Arbeit auch ohne juristischen Status fortsetzen zu wollen Rechtlich ist das moumlglich Praktisch werden diese NGOs auf zahlreiche neue Probleme treffen wohl bis hin zur moumlglichen Kri-minalisierung einzelner Personen

Einige andere NGOs darunter das Menschenrechts-zentrum Memorial machen weiter wie bisher Sie fech-ten meist die Eintragung in das raquoAgentenregisterlaquo vor Gericht an (in der Regel ohne besonderen Erfolg) Das Menschenrechtszentrum Memorial aber auch einige andere NGOs wollen bis zum EGMR gehen unter ande-rem weil sie das Gesetz insgesamt fuumlr unmoralisch und verfassungswidrig haumllt

Eine weitere Reaktion ist eine Art Hase-und-Igel-Spiel mit den Behoumlrden Das kann sich in einem Geflecht von unterschiedlichen NGOs ausdruumlcken die unter-schiedliche Funktionen wahrnehmen Eine NGO macht politische Erklaumlrungen und betreibt Lobbying Ihre Aktivistinnen arbeiten ausschlieszliglich ehrenamt-lich Eine andere bekommt auslaumlndische Finanzierung fuumlr Projekte die auch nach der Definition von Staatsan-waltschaft und Justizministerium nicht raquopolitischlaquo sind Wieder andere NGOs weichen auf Organisationsformen (juristische Personen) jenseits des NGO-Gesetzes aus die dann nicht den raquoAgentenparagraphenlaquo unterliegen

Der Vorstoszlig gegen memorialAllerdings beschraumlnkt sich die staatliche Behinderung und Bedrohung von NGOs nicht auf das relativ neue Agentengesetz Alle anderen laumlnger erprobten adminis-trativen bis strafrechtlichen Instrumente bleiben eben-falls im Einsatz Juumlngstes und bekanntestes aber bei weitem nicht einziges Beispiel ist der Schlieszligungsan-trag des Justizministeriums vor dem Obersten Gericht gegen raquoMemorial Russlandlaquo raquoMemorial Russlandlaquo ist ein Netzwerk aus rund 50 regionalen und thematischen Memorial-Organisationen und selbst eine von mehr als 60 Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Internatio-nallaquo (Zum Memorial-Netzwerk siehe lthttprusslandboellblogorg20141011wie-funktioniert-memorial-ein-kleiner-wegweiser-durch-eine-zugegeben-kompli zierte-strukturgt) Bei einer der regelmaumlszligigen Pruumlfun-

gen stellte das Justizministerium Anfang 2012 also vor Beginn der jetzigen Repressionswelle gegen NGOs fest dass die seit Gruumlndung der Organisation geltende konfouml-derative Struktur von raquoMemorial Russlandlaquo raquonicht dem Gesetz entsprechelaquo und geaumlndert werden muumlsse Insbe-sondere behagt dem Justizministerium nicht dass die Mehrzahl der Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Russlandlaquo ihrerseits eigenstaumlndige juristische Personen sind raquoMemorial Russlandlaquo muumlsse sich zentralistisch organisieren und die regionalen Memorial-Organisa-tionen zu Filialen werden Ohne hier ins Detail gehen zu koumlnnen wuumlrde das aber zu weiteren Problemen fuumlh-ren die wiederum die Schlieszligung von Memorial durch das Justizministerium zum Ergebnis haumltten Memorial sucht einen Ausweg das Justizministerium betreibt die Schlieszligung Viele NGOs haben Probleme mit der Feu-erwehr dem Gesundheitsamt oder der Arbeitsschutzbe-houmlrde Beliebt ist in juumlngster Zeit auch die Kuumlndigung von Mietvertraumlgen (so unlaumlngst geschehen bei raquoGoloslaquo und der raquoBewegung fuumlr Menschenrechtelaquo)

soziale und politische ngosSeit dem Fruumlhjahr zeichnet sich noch ein weiterer Angriff auf unabhaumlngige und staatskritische NGOs ab Der von Michail Fedotow geleitete Zivilgesellschaftsrat beim Praumlsidenten beraumlt seit einiger Zeit eine erneute Aumlnde-rung des NGO-Gesetzes Er schlaumlgt vor die Agenten-paragraphen abzuschaffen und dafuumlr um den Befuumlrch-tungen des Kremls auf politische Einflussnahme (nicht nur aus dem Ausland) Rechnung zu tragen kuumlnftig eine Einteilung von NGOs in raquosozialelaquo und raquopolitischelaquo vor-zunehmen raquoSozialelaquo NGOs sollen diesen Vorschlaumlgen nach kuumlnftig steuerlich beguumlnstigt sein und staatliche Zuwendungen erhalten koumlnnen raquoPolitischelaquo NGOs wer-den hingegen von staatlicher Foumlrderung ausgeschlossen und sollen auf alle Zuwendungen insbesondere aber auf Zuwendungen aus dem Ausland einen noch fest-zulegenden Steuersatz zahlen Die Befuumlrworter dieser im Uumlbrigen im Zivilgesellschaftsrat nicht unumstrit-tenen Initiative verweisen darauf dass so die heute als raquoAgentenlaquo verfolgten NGOs eventuell noch gerettet wer-den koumlnnten waumlhrend staatliche Foumlrderung aller ande-ren verstaumlrkt wuumlrde Ein Gewinn also fuumlr alle Betei-ligten Tatsaumlchlich verbirgt sich hinter dem Vorschlag aber eine gefaumlhrliche Tendenz zur Entsolidarisierung in der NGO-Szene wie sie auch anderswo schon laumln-ger zu beobachten ist

Uumlber den AutorJens Siegert ist Diplompolitologe und leitet seit 1999 das Laumlnderbuumlro Russland der Heinrich Boumlll Stiftung in Mos-kau Davor arbeitete er in Moskau als Korrespondent fuumlr Radiostationen Zeitschriften und Zeitungen im deutsch-sprachigen Raum

Lesetipps finden Sie auf der naumlchsten Seite

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Lesetippsbull Siegert Jens Putin und die Zivilgesellschaft in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 12 06 2013

lthttprusslandboellblogorg20130612putin-und-die-zivilgesellschaftgtbull Siegert Jens Uumlber ein Jahr raquoNGO-Agentenlaquo-Jagd ndash eine Art Zwischenbericht in Russland-Blog (Hein-

rich-Boumlll-Stiftung Moskau) 4 Juni 2014 lthttprusslandboellblogorg20140604ueber-ein -jahr-agenten-jagd-eine-art-zwischenberichtgt

bull Siegert Jens Russische raquoNGO-Agentenjagdlaquo ndash eine Zwischenbilanz in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 7 Juni 2013 lthttprusslandboellblogorg20130607russische-ngo-agentenjagd-eine-zwischenbilanzgt

bull Siegert Jens Erklaumlrung Permer NGOs warum sie sich unter keinen Umstaumlnden als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren lassen in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 26 Mai 2013 lthttprusslandboellblogorg20130526erklarung-permer-ngos-warum-sie-sich-unter-keinen-umstanden-als-auslandische-agenten-registrieren-lassengt

bull Siegert Jens Memorial raquoNGO-Agentengesetzlaquo ist ungesetzlich und unmoralisch Keine freiwillige Registrierung als raquoauslaumlndischer Agentlaquo in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 22 September 2013 lthttpruss landboellblogorg20120922memorial-ngo-agentengesetz-ist-ungesetzlich-und-unmoralisch-keine-freiwillige-registrierung-als-auslandischer-agentgt

bull Siegert Jens Sozialer Wandel und politische Dynamik in Russland 201112 in Russland-Analysen Nr 245 19 Oktober 2012 lthttpwwwlaender-analysenderusslandpdfRusslandanalysen245pdfgt

ANALYSE

ein kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen engagements zur Unterstuumltzung und integration von migranten in russlandMarina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin

zusammenfassungObwohl die Wirtschaft Russlands aufgrund der ruumlcklaumlufigen Bevoumllkerungszahl auf Migranten angewiesen ist ist der Groszligteil der Bevoumllkerung des Landes Migranten gegenuumlber skeptisch und oft geradezu fremden-feindlich eingestellt Durch eine schlecht koordinierte staatliche Migrationspolitik ist die Lage der Arbeits-migranten meist prekaumlr Initiativen aus der Zivilgesellschaft versuchen die Situation der Migranten zu ver-bessern und leisten Aufklaumlrungsarbeit in der Bevoumllkerung sowie konkrete Hilfestellungen fuumlr Migranten Die Arbeit solcher Aktivisten wird jedoch oftmals durch staatliche Einmischung erschwert

immigration nach russland als gesellschaftliches ProblemDie widerspruumlchliche Migrationspolitik der russischen Regierung und die aufgeheizte Stimmung in der Bevoumll-kerung haben 2013 zu vermehrten xenophoben Uumlbergrif-fen auf Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien gefuumlhrt (siehe beispielsweise die Unruhen in Birjuljowo im Oktober 2013) Diese Entwicklung wirft die Frage auf welche Haltung die russische Zivilgesellschaft hierzu einnimmt Gibt es zivilgesellschaftliche Initiativen die dieser fremdenfeindlichen Stimmung entgegenwirken

In der russischen Oumlffentlichkeit ist oft von einer Flut von Arbeitsmigranten aus den GUS-Staaten die Rede doch in Wirklichkeit ist die Immigration nach Russ-land im internationalen Vergleich gering Zudem zeigen Zahlen der Staatlichen Statistikbehoumlrde raquoRosstatlaquo dass

die russische Wirtschaft aufgrund der demographischen Entwicklung in zunehmendem Maszlige Arbeitskraumlfte aus dem Ausland benoumltigt (bis 2030 ndash so die Prognose ndash soll die russische arbeitsfaumlhige Bevoumllkerung um 103 Mil-lionen Menschen abnehmen)

Trotzdem gibt es starke fremdenfeindliche Stimmun-gen die sich gegen Immigranten aus Zentralasien und dem Kaukasus richten Diese Ablehnung von Migran-ten hat zugenommen und schafft den Naumlhrboden fuumlr Pogrome wie 2006 in Kondopoga 2010 auf dem Mos-kauer Manegenplatz sowie 2013 in der Stadt Pugat-schow und dem Moskauer Vorort Birjuljowo Angst und Verachtung gegenuumlber Fremden ziehen sich durch alle Gesellschaftsschichten Sie werden als Kriminelle und Illegale stigmatisiert und nicht nur Nationalisten ver-wenden die Losung raquoRussland den Russenlaquo um Ras-

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sismus zu schuumlren und die Stimmung gegen Migranten weiter anzuheizen

es gibt keine migrationspolitikDiese interethnischen Konflikte spiegeln sich auch im russischen Alltag wieder Der durch den Foumlderalen Migrationsdienst praktizierte administrative und poli-zeiliche Umgang mit Migration ist nicht effektiv Eine Stigmatisierung der Migranten als potenzielle Krimi-nelle und eventuelle Uumlberlegungen zur Verschaumlrfung des Migrationsgesetzes koumlnnen die Probleme nicht loumlsen die gerade auch auf kommunaler Ebene anfallen Die nur situativen politischen Maszlignahmen fuumlhren mitunter zu einer Verschaumlrfung des Problems Eine uumlbergreifende Strategie existiert nicht die Politik weiszlig auf die Migra-tionsfrage keine Antwort Ein autoritaumlres zentralisier-tes System ist nicht im Stande die regionalen Probleme dieses riesigen Landes zu loumlsen deshalb liegt es vor allem an der Zivilgesellschaft sich diesen Themen zu widmen

zivilgesellschaftliche Projekte AufklaumlrungsarbeitIn Moskau und Sankt Petersburg gibt es verschiedene nichtstaatliche Projekte die sich sowohl fuumlr mehr Tole-ranz als auch fuumlr die Integration der Migranten einsetzen

Einige von ihnen bestehen schon mehrere Jahre Boris Romanow ist einer der Gruumlndervaumlter eines zivil-gesellschaftlichen Netzwerks zur Unterstuumltzung von Menschen mit Migrationshintergrund in Sankt Peters-burg Er arbeitet mit den unterschiedlichsten NGOs zusammen die zu Themen wie Toleranz Antirassis-mus Homophobie Antiziganismus und Antisemitis-mus arbeiten Finanziert durch das Goethe-Institut rief er 2012 raquoRespektlaquo ins Leben ein Comic-Projekt inter-nationaler Kuumlnstler mit dessen Hilfe Schuumller ihr Den-ken uumlber Fremde reflektieren und selbst in Frage stel-len koumlnnen Laut Romanow scheitern solche Projekte oft an der Buumlrokratie der Kommunen Durch das neue NGO-Gesetz gebe es kaum noch Kontaktmoumlglichkei-ten zu staatlichen Schulen erlaumlutert Romanow so dass eine Zusammenarbeit houmlchstens uumlber einzelne Lehrer nicht jedoch uumlber die Schuldirektion moumlglich sei Dies widerspreche dem Konzept zivilgesellschaftlicher Arbeit die vor allem jedermann offen stehen will Durch das geschlossene staatliche Schulsystem komme es selten zu einer Kooperation mit interessierten Lehrern Die Zusammenarbeit von Staat und Zivilgesellschaft ist unabdingbar macht aber die Finanzierung der Projekte schwierig da sie im Falle einer Unterstuumltzung auslaumln-discher Sponsoren unter das neue NGO-Gesetz fallen

Im Zuge der neuen NGO-Gesetzgebung wurde das Antidiskriminierungszentrum raquoMemoriallaquo in Sankt Petersburg geschlossen Dessen ehemaliger Mitarbei-

ter Andrej Jakimow ist Anthropologe Seine langjaumlh-rige Arbeit mit ethnischen Minderheiten wie Sinti und Roma Arbeitsmigranten und Staatenlosen macht ihn zu einem erfahrenen Koordinator der raquoStiftung zur Unter-stuumltzung und Entwicklung von Bildungs- und Sozial-projektenlaquo (raquoPSP-Fondlaquo) in Sankt Petersburg Auch fuumlr ihn zaumlhlt die aktive Aufklaumlrungsarbeit zu den wichtigs-ten Punkten seines zivilgesellschaftlichen Engagements Die juristische und psychologische Betreuung von Mig-ranten stehen neben der Sensibilisierung der russischen Bevoumllkerung im Zentrum seiner Arbeit Seiner Erfah-rung nach interessieren sich die OSZE und die UNO nur marginal fuumlr diese Themen also muumlssen die Pro-bleme der Arbeitsmigranten auf nationaler Ebene geloumlst werden Seine Kontakte zu verschiedenen Netzwerken in den Auswanderungslaumlndern helfen den Migranten sich schon vor der Einreise nach Russland auf den Aufenthalt vorzubereiten In der Zusammenarbeit von Staat und Experten sieht Jakimow eine Moumlglichkeit eine effek-tive Migrationspolitik zu entwickeln

fuumlr die Verbesserung der migrationspolitikAumlhnlich denken auch Wjatscheslaw Postawnin und Natalja Wlasowa die die Stiftung raquoMigrazija XXI weklaquo (raquoMigration im 21 Jahrhundertlaquo) gegruumlndet haben Sie selbst sind ehemalige Mitarbeiter des Foumlderalen Migra-tionsdienstes und kennen die staatliche Migrationspoli-tik von innen Die Regierung unter Putin scheint keiner-lei Loumlsungsansaumltze fuumlr die immer staumlrker zunehmende Xenophobie in Russland zu erarbeiten In den fuumlnf Jah-ren ihrer Existenz hat sich die Organisation in Mos-kau zu einem unabhaumlngigen intellektuellen und wissen-schaftlichen Zentrum entwickelt das Vorschlaumlge fuumlr die Verbesserung der staatlichen Migrationspolitik ausarbei-tet Diese Vorschlaumlge werden oft von der Administration des Praumlsidenten beruumlcksichtigt jedoch nicht sofort und ohne Nennung der Urheberschaft In Zusammenarbeit mit der Weltbank und dem Netzwerk raquoMirpallaquo (raquoMigra-tion and Remittance Peer-Assisted Learninglaquo) erstellt die Organisation Statistiken zu den Migrationsstroumlmen aus den GUS Staaten die oftmals stark von den offiziellen Zahlen des Foumlderalen Migrationsdienstes abweichen

fluumlchtlingsarbeitDie von Swetlana Gannuschkina einer wichtigen Men-schenrechtlerin in Russland 1990 mitbegruumlndete Orga-nisation raquoGrashdanskoje sodejstwijelaquo (raquoBuumlrgerhilfelaquo) beschaumlftigt sich nicht nur mit Arbeitsmigration sondern zu vier Fuumlnfteln mit Fluumlchtlingen Es war die erste Orga-nisation dieser Art in Moskau und wurde im Zusam-menhang mit dem Konflikt um Berg-Karabach und dem Krieg in Tschetschenien gegruumlndet um den Fluumlchtlin-gen aus diesen Regionen zu helfen Die Unterstuumltzung

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der Arbeitsmigranten umfasst juristische Konsultation und die Loumlsung administrativer Fragen z B bei nicht ausgezahlten Gehaumlltern Deportationen Einreisever-boten Die Organisation stellt juristischen Beistand bei unbegruumlndeten Klagen gegen Migranten hilft bei Kla-gen gegen Arbeitgeber wegen nicht ausgezahlter Loumlhne fuumlhrt ein Projekt gegen Hate Crimes durch und veran-staltet Spendenaktionen auf ihrer Webseite Besonders die aumlrztliche Versorgung ist wichtig da der staatliche Notdienst Migranten oft seine Hilfe verwehrt raquoGrash-danskoje sodejstwijelaquo arbeitet eng mit dem Fluumlchtlings-hilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) der Inter-nationalen Organisation fuumlr Migration (IOM) und mit dem Netzwerk raquoMigrazija i prawolaquo (raquoMigration und Rechtlaquo) einem Programm des Menschenrechtszentrums raquoMemoriallaquo zusammen Obwohl in der offiziellen Rhe-torik die Bedeutung der Migration fuumlr Russland unter-strichen wird (wie zum Beispiel in der raquoKonzeption der staatlichen Migrationspolitik 2025laquo) beobachtet man in der Praxis meist die stumme Hinnahme der Uumlber-griffe auf Arbeitsmigranten Nach dem Inkrafttreten des NGO-Gesetzes fand bei der Organisation eine Uumlberpruuml-fung durch die Staatsanwaltschaft statt Ob und wenn ja wie dieses Projekt weiterlaufen wird ist bis heute unklar

Arbeit mit fluumlchtlingskindernIm Rahmen der Organisation raquoBuumlrgerhilfelaquo gibt es zudem ein raquoZentrum fuumlr Integration und Unterricht fuumlr Fluumlchtlingskinderlaquo da das staatliche Programm mit dem Kinder mit Migrationshintergrund Russisch lernen nicht ausreichend ist

Aumlhnlich wie ihre Kollegen aus Moskau arbeiten die Freiwilligen des zivilgesellschaftlichen Projekts raquoDeti Peterburgalaquo (raquoKinder von Petersburglaquo) mit Kindern des-sen Eltern aus den unterschiedlichsten Gruumlnden nach Russland immigriert sind Zwei Projektkoordinatoren der Organisation raquo[Wahl]Beobachterlaquo Daniil Ljubarow und Irina Beljaewa haben 2012 raquoDeti Peterburgalaquo gegruumlndet Angefangen mit einem Angebot von Russisch-Grundkur-sen fuumlr Vorschuumller mit Migrationshintergrund hat sich dieses Programm mittlerweile so weit entwickelt dass Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre an sechs verschie-

denen Standorten in Sankt Petersburg an Russischkursen teilnehmen koumlnnen Bis 2014 hatte es noch nicht einmal feste Raumlumlichkeiten gegeben die Mitarbeiter der raquoDeti Peterburgalaquo organisierten sich ausschlieszliglich uumlber soziale Netzwerke Der virtuelle Raum verbindet diese Organi-sation auch mit anderen zivilgesellschaftlichen Projek-ten So zieht das Projekt nicht nur politische Aktivisten an sondern vor allem Paumldagogen Linguisten und Stu-denten die die Kurse vorbereiten und durchfuumlhren Der Aufbau von kreativen Zirkeln gehoumlrt genauso zur Arbeit von raquoDeti Peterburgalaquo wie die Koordination von Ausfluuml-gen in die Umgebung Museen oder Theatern Das Pro-jekt ist abhaumlngig von seinen Teilnehmern Die fehlen-den Sprachkenntnisse der Eltern fuumlhren oft zu groszligen Kommunikationsproblemen Aber auch die wechselnden und meist aumluszligerst schwierigen Arbeitszeiten der Eltern erschweren die Durchfuumlhrung des Projekts Die staumldti-sche Buumlrokratie versucht den Elan der Mitarbeiter zu bremsen Auch deshalb bleibt das Projekt nichtstaatlich

fazitMisstrauen gegenuumlber der Regierung soziale Probleme und Alltagsrassismus bewegen immer mehr Menschen dazu sich eigenstaumlndig mit der negativen Entwicklung beim Umgang mit Migranten zu beschaumlftigen Aus Inter-views mit den Mitarbeitern der verschiedenen Organisa-tion laumlsst sich schlieszligen dass eine russische Zivilgesell-schaft entstanden ist die die Migrationsfrage einerseits als Arbeit mit der Mehrheits- also russischen Bevoumllkerung betrachtet um diese zu sensibilisieren Anderseits gibt es Initiativen die vor allem konkrete Hilfe fuumlr Migranten leisten um deren alltaumlgliche Probleme zu minimieren

Die Zivilgesellschaft bemuumlht sich Vorurteile abzu-bauen die Migrationspolitik realistischer zu machen und Migranten wie Fluumlchtlingen konkrete Hilfestellung zu geben Die Behoumlrden sabotieren diese Arbeit In den Groszligstaumldten wird der Zuzug von Migranten restriktiv gehandhabt Arbeitgeber wissen um den oft schwierigen Status der Migranten und nutzen die Situation aus um die Migranten weiter auszubeuten Die Arbeit der Zivil-gesellschaft zur Sensibilisierung der russischen Bevoumllke-rung wird durch die offizielle Politik oft konterkariert

Uumlber die AutorenIm Rahmen des Projektkurses raquoZiviler Ungehorsam Gesellschaft und Staat in Osteuropalaquo reisten die Studierenden des Osteuropa-Instituts der Freien Universitaumlt Berlin Michael Bellmann und Kristina Arisov nach Moskau sowie Marina Grinfeld und Christina Huthmann nach St Petersburg um mit Aktivisten und Organisationen die sich fuumlr die Integration von Migranten in Russland einsetzen Interviews zu fuumlhren und die Position der Zivilgesellschaft zur Migrationsproblematik zu analysieren

Lesetippsbull Judah Ben Russiarsquos Migration Crisis in Survival 552013 Nr 6 S 123ndash131

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bull Malakhov Vladimir S Russia as a New Immigration Country Policy Response and Public Debate in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1062ndash1079

bull Schenk Caress Controlling Immigration Manually Lessons from Moscow (Russia) in Europe-Asia Studies 652013 Nr 7 S 1444ndash1465

bull Spahn Susanne Die gelenkte Xenophobie Migration und nationale Frage in Russland Russland nur fuumlr Russen in Osteuropa 642014 Nr 7 S 55ndash67

bull Tipaldou Sofia Katrin Uba The Russian Radical Right Movement and Immigration Policy Do They Just Make Noise or Have an Impact as Well in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1080ndash1101

UmFRAGE

Uumlber die zivilgesellschaft in russland

zur zivilgesellschaftlichen und politischen Aktivitaumlt der russen

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 15 stellen sie sich vor ihre nachbarn schlagen eine gemeinsame muumlllsammelaktion in der nahegelege-nen Parkzone vor Was waumlren sie bereit zu uumlbernehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator der Aktionwerden

An der Aktionmitwirken

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 16 haben sie im vergangenen halbjahrJahr hellip

0 20 40 60 80 100

hellip an den Aktivitaumlten einer non-profit Organisation teilgenommen als Freiwilliger gearbeitet

hellip sich mit gesellschaftlichen Problemen an ihrem Wohnort beschaumlftigt

hellip an Groszligveranstaltungen Demonstrationen Streiks Kundgebungen Umzuumlgen teilgenommen

Ja Keine Antwort Nein

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 23

grafik 17 stellen sie sich vor dass es an ihrem Wohnort zu massenhaften Wahlfaumllschungen kommt irgend-jemand ruft zur Durchfuumlhrung von Protestaktionen gegen die Wahlfaumllschungen auf Was wuumlrden sie unternehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator dieser Aktionwerden

An dieser Protestaktionteilnehmen

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 18 Waren sie haben sie sich in den vergangenen einndashzwei Jahren hellip

0 20 40 60 80 100

hellip Mitglied einer politischen Partei

hellip Wahlbeobachter

hellip an der Arbeit einer Menschenrechtsorganisation beteiligt

hellip sich im Internet (in sozialen Netzwerken auf Foren) zu politischen Themen geaumluszligert

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

zur gesellschaftlichen Aktivitaumlt

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

grafik 19 haben sie persoumlnlich in den vergangenen zweindashdrei Jahren an der taumltigkeit einer gesellschaftlichen organisation teilgenommen Wenn ja wie genau (beliebige zahl an Antworten)

6

6

5

2

2

84

1

050

Habe an gesellschaftliche Organisationen gespendetoder andere materielle Hilfe geleistet

Habe an Wohltaumltigkeitsveranstaltungen teilgenommen(Konzerte Ausstellungen Wohltaumltigkeitslotterie Auktionen)

Habe Freiwilligenarbeit geleistet (kostenlos)

Habe gegen Entgelt in einer gesellschaftlichenOrganisation gearbeitet

Habe Informationen zu den Taumltigkeitenvon gesellschaftlichen Organisationen verteilt

Nicht teilgenommen

Anderes

Keine Antwort

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 24

grafik 20 haben ihnen irgendwann einmal gesellschaftliche organisationen geholfen

0 20 40 60 80 100

Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja mit Geld geholfen Ja auf andere Weise geholfen Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

Die oumlffentliche meinung zu ngos mit auslaumlndischer finanzierung (April 2013)

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 21 mit welcher meinung zur taumltigkeit russischer ngos stimmen sie am ehesten uumlberein

Sie bringen einen groszligen Nutzen

4

Sie bringen mehr Nutzen als Schaden

15Sie bringen ebenso viel

Nutzen wie Schaden23

Sie bringen mehr Schaden als Nutzen

18

Sie bringen weder Nutzen noch Schaden

13

Keine Antwort27

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 22 ist es fuumlr sie wichtig ob eine russische menschenrechtsorganisation aus einheimischen oder auslaumln-dischen mitteln finanziert wird

Sehr wichtig10

Eher wichtig34

Nicht besonders wichtig24

Vollkommen unwichtig18

Keine Antwort14

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 25

grafik 23 Welche ziele verfolgen westliche laumlnder und organisationen die russische ngos mit mitteln aus-statten

Einen verstaumlrkten Einfluss auf die russische

Innenpolitik42

Einen Kampf gegen den russischen Staat

19Eine Unterstuumltzung der

russischen Zivilgesellschaft

8

Kein besonderes Ziel russische NGOs werden wie andere aus standardisierten

internationalen Programmen unterstuumltzt

12

Keine Antwort19

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 24 Duumlrfen organisationen die sich mit dem schutz der Buumlrgerrechte beschaumlftigen und den staat kriti-sieren das recht haben mittel aus dem Ausland zu beziehen

Ja20

Nein56

Keine Antwort24

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 25 Unterstuumltzen sie harte sanktionen gegen ngos die einer politischen taumltigkeit nachgehen und gelder aus dem Ausland erhalten sich aber nicht nach dem gesetz als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren

Auf jeden Fall20

Eher ja32

Eher nein15

Auf keinen Fall5

Keine Antwort28

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 26

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luumlgen des fernsehkanals ntV und Beanstandungen des Justizministeriums erklaumlrung des menschenrechtszentrums memoriAl und der russischen gesellschaft

memoriAl

Die Behauptung bei NTV das russische Justizministerium habe die Liquidierung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL eingeleitet fuumlhrte heute zu etlichen Irritationen Das Menschenrechtszentrum und die Russische Gesell-schaft MEMORIAL (die Dachorganisation der russischen Memorial-Verbaumlnde) haben aus diesem Anlass nachste-hende Erklaumlrung abgegeben

Am 10 Oktober strahlte NTV unter dem Titel raquoAuszligergewoumlhnliches Ereignislaquo eine Sendung aus die aus boumlswil-ligen Luumlgen aber auch aus Fehlinformationen in Folge von Unkenntnis bestand

Die Arbeit des Menschenrechtszentrums MEMORIAL als Unterstuumltzung von Extremisten und Terroristen dar-zustellen ist eine infame Luumlge Auf Unkenntnis basiert hingegen die Behauptung das Justizministerium habe des-halb den Antrag gestellt das Menschenrechtszentrum MEMORIAL zu liquidieren

In Wirklichkeit hat das Justizministerium beim Obersten Gericht der Russischen Foumlderation nicht die Aufloumlsung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL beantragt Es geht hier vielmehr um eine andere Organisation naumlmlich die Russische Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIAL

Die russische Gesellschaft MEMORIAL wurde vom Justizministerium bereits 1992 registriert Bis heute befinden sich unter ihrem Dach verschiedene Memorial-Verbaumlnde die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen

Im Jahre 2012 20 Jahre nach der ersten Registrierung tauchten beim Justizministerium ploumltzlich Zweifel hin-sichtlich des russischen Rechtsstatus von Memorial auf obwohl der Gesellschaft praktisch dieselben regionalen Ver-baumlnde angehoumlren wie zuvor und sich die Gesetzeslage in dieser Frage in keinem Punkt geaumlndert hatte

Geaumlndert hat sich allerdings die Position des Justizministeriums das erneut einen raquodemokratischen Zentralismuslaquo anstrebt der nach der Abschaffung der fuumlhrenden Rolle der KPdSU nicht mehr aktuell schien Heute erklaumlrt das Jus-tizministerium nur jene gesellschaftlichen Vereinigungen koumlnnten der Russischen Gesellschaft MEMORIAL ange-houmlren die in ihrer Bezeichnung die Worte raquoVerband (otdelenie) der Russischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklauml-rung Sozialarbeit und Menschenrechte MEMORIALlaquo tragen

Die gesetzliche Vorschrift dass eine Organisation nur dann einen gesamtrussischen Status haben kann wenn sie in uumlber der Haumllfte der Foumlderationssubjekte Verbaumlnde unterhaumllt legt das Justizministerium jetzt dahingehend aus dass diese Verbaumlnde zwangslaumlufig einen Status als Regionalverbaumlnde haben muumlssten Das Vorhandensein von Stadt- und Bezirksverbaumlnden einer Organisation reicht die Beamten als Beleg dafuumlr nicht aus dass die Organisation in der betreffenden Region taumltig ist

Die Vorbehalte des Justizministeriums entbehren jeglicher Grundlage Nicht zufaumlllig erhielten wir auf Anfragen keine Hinweise auf eine Gesetzesnorm Es ist fuumlr uns inakzeptabel dass das Justizministerium das von der Verfas-sung garantierte Recht von Buumlrgern eine Vereinigung zu bilden gesetzwidrig einschraumlnken will Deshalb hat sich die Russische Gesellschaft MEMORIAL bereits 2012 entschlossen vor Gericht zu gehen

Einen Hinweis auf ein Gesetz haben wir auch nicht erhalten als wir 2013 die Forderungen des Justizministeriums im Moskauer Zamoskvorezki-Bezirksgericht und danach im Stadtgericht angefochten haben Beide Instanzen gaben wie nicht anders zu erwarten dem Justizministerium Recht Deshalb wird die Russische Gesellschaft MEMORIAL in Kuumlrze Klage beim Verfassungsgericht einreichen

Was den Antrag des Justizministeriums betrifft so hoffen wir dass das Oberste Gericht bei Behandlung dieses Antrags dem Gesetz und der Verfassung mehr Respekt entgegenbringen wird als die untergeordneten Gerichtsinstanzen

10 Oktober 2014Quelle Website von Memorial Deutschland lthttpwwwmemorialdeindexphpid=42amptx_ttnews[tt_news]=546amptx_ttnews[backPid]=3ampcHash=5bbe9b235a03fe09cba52ed5c8786b99gt

DOkUmENtAtION

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 28

NOtIzEN AUS mOSkAU

Petersburger DialogJens Siegert Moskau

Auf den ersten Blick sieht es so aus als ob ein (egal ob nun willentlich oder nicht) an die Oumlffentlich-

keit gelangter Brief einiger regelmaumlszligiger Teilnehmer des Petersburger Dialogs (PD) aus den Reihen deutscher NGOs an Bundeskanzlerin Merkel und Auszligenminis-ter Steinmeier die Verschiebung des fuumlr Ende Oktober in Sotschi geplanten groszligen Jahrestreffens verursacht haumltte In dem Brief bekraumlftigten die Autoren ihre nicht neue Kritik am PD und erklaumlrten warum sie dieses Jahr nicht teilnehmen wuumlrden Sie betonen dass die Absage kein Boykott sei und bieten ihrerseits einen Dialog zur Reform des Dialogs an Auf den zweiten Blick war der Brief selbstverstaumlndlich nur Anstoszlig aber nicht Grund fuumlr die Verschiebung Doch der Reihe nach

Die in dem Brief geaumluszligerte Kritik am PD ist wie gesagt nicht neu sie hat sie den PD von Anfang an begleitet Das liegt sicher auch an einem bis heute nicht korrigierten Geburtsfehler Ein durch Staats- und Regie-rungschefs initiierter raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo ist schon etwas verquer Das heiszligt nicht dass das nicht gehen koumlnnte Doch dazu haumltten sich die hochgestell-ten Initiatoren (der damalige russische Praumlsident und der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schrouml-der) und ihre (Interims-)Nachfolger spaumlter zuruumlckziehen muumlssen Das haben sie nicht Daran sind sie nicht (allein) Schuld Es war der PD der durch seine Lenkungsor-gane die enge zeitliche und oumlrtliche Verbindung mit den deutsch-russischen Regierungskonsultationen und die zeitweilige Anwesenheit von Praumlsident und Kanzlerin zum Grundstein seiner Wirkungsmaumlchtigkeit erklaumlrte

Auf deutscher Seite wurde versucht dieses Problem organisatorisch sozusagen oumlffentlich-rechtlich zu loumlsen indem moumlglichst alle interessierten politischen Spektren und gesellschaftlichen Gruppen am sogenannten Len-kungsausschuss beteiligt wurden Das gelang zumindest so gut dass es soweit mir bekannt bis heute keine grouml-szligeren Klagen uumlber Nichtberuumlcksichtigung oder Nicht-beteiligung gab Aber die Bundesregierung behielt weit-gehenden Einfluss nicht zuletzt uumlber den alljaumlhrlich sechsstelligen Zuschuss fuumlr die Durchfuumlhrung der Jah-restreffen Auszligerdem wurde der jeweilige Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses zwar nach Abstim-mungen mit den Beteiligten aber letztlich durch den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin bestimmt

In Russlands ist die Sache einfacher Von Anfang an wurde und wird gemacht wird was der Kreml will Schon der erste Vorsitzende des russischen Lenkungs-ausschusses Michail Gorbatschow (immerhin selbst ein ehemaliger Praumlsident) war wie er selbst einmal bekannte

nicht mehr als ein ndash schoumlne Ruumlckuumlbertragung aus dem Russischen ndash raquoSitz-Praumlsidentlaquo Der jetzige Vorsitzende Wiktor Subkow war Datschennachbar von Putin ers-ter stellvertretender Ministerpraumlsident und ist nun Auf-sichtsratsvorsitzender von Gazprom

Die Kritik dass nur eine Simulation eines raquozivilge-sellschaftlichen Dialogslaquo stattfinde wurde von einigen deutschen Teilnehmern bereits auf dem ersten Jahres-treffen des PD im April 2001 in St Petersburg geaumluszligert Es fehlten auf russischer Seite (in der seinerzeit noch ver-einigten Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo) Vertreter russischer NGOs Die Kritik kam an In Russ-land fuumlhrte sie (ohne dass ich hier jetzt ausfuumlhren kann wie) zum ersten Versuch des Kremls auch unabhaumln-gige NGOs in das korporative System der gelenkten Demokratie zu zwingen Der Versuch misslang weitge-hend und muumlndete in einer Art Waffenstillstand und der Gruumlndung eines raquoMenschenrechtsrats beim Praumlsi-dentenlaquo unter Einbeziehung von Vertretern unabhaumlngi-ger NGOs Beim PD wurde die Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo in ihre zwei Namensbestandteile geteilt und es gelang uumlber die Jahre in immer wieder unternommenen Anstrengungen auch die Teilnahme unabhaumlngiger russischer NGO-Vertreter durchzuset-zen Etwas spaumlter wurde diese Teilnahme sogar vor-sichtig institutionell abgesichert indem erst Ella Pam-filowa und spaumlter ihr Nachfolger Michail Fedotow als Vorsitzende des inzwischen zum raquoZivilgesellschaftsratlaquo umbenannten raquoMenschenrechtsratslaquo zu den russischen Koordinatoren der Arbeitsgruppe raquoZivilgesellschaftlaquo mit Einladungsrecht wurden (wobei die Einladungen selbst-verstaumlndlich mit der Praumlsidentenadministration abge-stimmt werden muumlssen) Das ist bis heute so

Die Verfasser des Briefes (zu denen ich bekenne mich auch ich gehoumlre) allesamt langjaumlhrige Teilneh-mer der Jahrestreffen des PD haben all die Jahre immer wieder auch oumlffentlich uumlber den Sinn und Unsinn ihrer Teilnahme und Unterstuumltzung diskutiert Letztendlich uumlberwogen die ganze Zeit uumlber zwei Uumlberlegungen Ers-tens ist ein Dialog auch und gerade auf offizieller Ebe-nen und mit offiziellen Vertretern des russischen Staates (wie auch mit Wissenschaftlern Unternehmern Journa-listen Priestern usw welcher politischen Couleur auch immer sie sein moumlgen) erst einmal besser als kein Dia-log Zweitens gingen wir all die Jahre davon aus dass die nicht ohne Muumlhen erreichte Teilnahme unabhaumln-giger russischen NGO-Vertreter fuumlr sie ihre Organisa-tionen aber auch die russische NGO-Szene insgesamt zumindest einen kleinen zusaumltzlichen Schutz gegen die

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seit Putins Amtsantritt immer wieder uumlber das Land gehenden Repressionswellen bietet1 Was hat sich dieses Jahr geaumlndert Erst einmal nicht

so viel gegenuumlber dem Vorjahr Es war schon immer siehe oben eine schwierige Abwaumlgung ob die Teil-nahme am PD sich lohnt oder nicht vielmehr dazu beitraumlgt so zu tun als gaumlbe es in Russland die unein-geschraumlnkte und ungefaumlhrdete Moumlglichkeit sich zivilgesellschaftlich auch dort zu engagieren wo es dem Staat weh tut Zwei Ereignisse haben nun aber zumindest fuumlr die Autoren des Briefes das Pen-del zur anderen Seite ausschlagen lassen Die Kon-frontation zwischen dem Westen (ich weiszlig um die Bedingtheit des Begriffs verwende in der Kuumlrze hal-ber aber trotzdem) und Russland im Konflikt in der und um die Ukraine ist nicht einfach die Fortset-zung schon laumlnger existierender raquoMeinungsverschie-denheitenlaquo Sie ist tiefer und prinzipieller Es geht eben im Kern nicht in erster Linie um Geopolitik sondern wieder einmal um ich fuumlrchte hier weder den Pathos noch historische Analogien Freiheit und Demokratie in Europa

2 Die Repressionen gegen russische NGOs unsere prinzipiellen Partner in der Verteidigung von Demo-kratie und Freiheit haben mit dem sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo eine neue Qualitaumlt erreicht 15 NGOs sind inzwischen zwangsweise zu raquoauslaumln-dischen Agentenlaquo erklaumlrt worden anderen droht die Schlieszligung aufgrund anderer Gesetze Einige von ihnen waren sogar zum nun verschobenen Treffen in Sotschi eingeladen Sie mussten sich Gedanken machen ob eine Zusage oder eine Absage ihnen nicht schaden koumlnnte

Unter diesen Umstaumlnden halten die Verfasser des Brie-fes ihre Teilnahme am PD fuumlr nicht mehr moumlglich Sie fordern keinen Boykott wohl aber ein Nachdenken uumlber eine tiefgreifende Reform

Der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses Lothar de Maiziere hat in einem eigenen offenen Brief geantwortet und den Verfassern vorgeworfen den Dia-log verweigern und politisieren zu wollen Diese (Gegen-)Klage scheint mir angesichts der vielfaumlltigen Verbindun-gen und Dialogformen die die Organisationen hinter den Unterzeichnern des Briefes seit vielen Jahren und oft laumlnger als der PD organisieren an denen sie teil-nehmen und die sie foumlrdern nicht sonderlich stichhal-tig Doch die Auseinandersetzung geht tiefer De Mai-ziere behauptet in seinem Brief der PD mache bereits all das was die Kritiker fordern Genau das bezweifeln diese aber Die Auseinandersetzung geht also und vor allem darum was ein fruchtbarer Dialog zu leisten im Stande sein kann und leisten sollte Sie geht aber auch darum ob dieser Dialog zwischen zwei Gesellschaf-

ten stattfindet nach dem Motto hier die eine dort die andere oder ob sich die Seiten bei diesem Dialog inei-nander verschraumlnken

Die Verfasser des Briefes sind ganz offensichtlich mit ihrer Kritik nicht allein Schon bevor der Brief oumlffent-lich bekannt wurde hatten die Bundestagsabgeordne-ten Andreas Schockenhoff (CDUCSU) und Marieluise Beck (Buumlndnis 90 Die Gruumlnen) in oumlffentlichen Stel-lungnahmen Aumlhnliches gefordert und auch ihre Nicht-Teilnahme erklaumlrt Etwas spaumlter wurde bekannt dass auch der Russland-Beauftragte der Bundesregierung Gernot Erler nicht nach Sotschi fahren wollte Mehr noch Bereits seit dem Fruumlhsommer gab es Gespraumlche zwischen Kanzleramt und Auswaumlrtigem Amt mit dem Ziel den PD sowohl personell als auch strukturell zu reformieren Allerdings setze sich augenscheinlich die Sichtweise des Auswaumlrtigen Amtes durch alles vorerst beim Alten zu belassen da es auch so schon genug Pro-bleme im deutsch-russischen Verhaumlltnis gebe und man diesen Kanal nicht auch noch belasten oder gar gefaumlhr-den solle

Doch zum Herbst hat sich die Situation noch ein-mal veraumlndert Die Hoffnung die russische Fuumlhrung um Praumlsident Putin werde im Krieg in der Ostukraine ein-lenken ist selbst im Auswaumlrtigen Amt bis in die Spitze kaum noch zu finden Im Sommer bekam das russische Justizministerium zudem per erneuter Gesetzesaumlnde-rung das Recht NGOs zwangsweise zu raquoAgentenlaquo zu erklaumlren und macht seither rege Gebrauch davon Eine ganze Reihe russischer NGOs steht vor der Schlieszligung oder loumlst sich auf weil ihnen die vom Gesetz geforderte Selbstetikettierung als raquoauslaumlndische Agentenlaquo ethisch rechtlich und praktisch unmoumlglich ist

Es sieht so aus als haumltten die Verfasser des Briefes nur eine Tuumlr geoumlffnet hinter der andere darunter die Kanzlerin nur darauf gewartet haben durch sie hin-durch gehen zu koumlnnen ohne selbst der Tuumlroumlffnung geziehen zu werden

Ein wenig verwundert die erstaunlich milde russi-sche Reaktion Nach der kurzen Drohung eine Verschie-bung bedeute das Ende des PD lenkte Putin im Telefo-nat mit Merkel ein und fand tags darauf sogar oumlffentlich verstaumlndnisvolle Worte fuumlr die raquoProbleme der deutschen Seitelaquo Das duumlrfte zwei Gruumlnde haben Der eine ist dass trotz des haumlufiger gewordenen Deutschland-Bashings im russischen Staatsfernsehen (mit dem Ergebnis dass in Umfragen Deutschland aus der Kategorie raquoFreundlaquo in die Kategorie raquoFeindlaquo abgerutscht ist) Deutschland im Kreml immer noch als wichtigster raquostrategischerlaquo Part-ner im Westen und vor allem in der EU gilt Zudem ist Deutschland zweifellos ein Land dessen oumlffentliche Meinung (und damit Politik) aus russischer Sicht durch-aus beeinflussbar ist (was z B die kolportierten rund

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140 Millionen US-Dollar zum Aufbau eines deutsch-sprachigen Programms des staatlichen Auslandsfernse-hens raquoRussia Todaylaquo zeigen)

Der andere liegt in einem erneuten Strategiewech-sel (oder weniger ambitioniert Wechsel der Taktik) im Ukraine-Konflikt Die Sanktionen beiszligen inzwi-schen kraumlftig Die Rhetorik wurde daher gemildert Der Kreml ist ganz auf Frieden und dieser Ausdruck aus dem Sport sei erlaubt Ergebnissicherung bedacht (was uumlbrigens Putins grundsaumltzlicher Taktik auch im Inne-ren Russlands entspricht erst hart zuzuschlagen dann eine Schritt zuruumlck zu gehen und einen Kompromiss zu suchen nach dem es fuumlr seine Gegner nachher schlech-ter steht als vorher) Neues Ziel scheint nun also zu sein die raquoErrungenschaftenlaquo Krim (als Teil Russlands) und raquoNeurusslandlaquo (als neuen raquoFrozen Conflictlaquo) zu fixieren und trotzdem mit dem Westen wenn schon nicht gut-freund zu werden so doch zumindest erneut zu einem einigermaszligen vertraumlglichen Modus Vivendi zu gelan-gen Das Gas duumlrfte nach den Mailaumlnder Gespraumlchen

und bei allem Geknurre im Winter stroumlmen und auch im Nahen Osten stellt Moskau weniger Widerspenstig-keit in Aussicht

Was heiszligt das fuumlr die Zukunft des PD Erstmal ist sie offen Zuerst muss sich die deutsche Seite neu ord-nen (hier hat Putin sogar Recht) Nachdem sich Angela Merkel persoumlnlich um eine russische Akzeptanz fuumlr die Verschiebung von Sotschi bemuumlht hat kann ich mir allerdings nicht vorstellen dass es in einigen Wochen oder Monaten ein Zuruumlck zum status quo ante gibt Ob und wie sich ein neu aufgestellter deutscher Lenkungs-ausschuss mit einem neuen Konzept mit der russischen Seite verstaumlndigen kann laumlsst sich momentan kaum voraussagen Es ist zwar einen Versuch wert haumlngt aber wohl sehr von der dann herrschenden politischen Groszlig-wetterlage ab

Diesen und andere Texte finden Sie auf Jens Siegerts Russ-landblog lthttprusslandboellblogorggt

Lesetippbull Poumlrzgen Gemma Dringend reformbeduumlrftig Der Petersburger Dialog auf dem Pruumlfstand in Osteuropa 602010

Nr 10 S 59ndash81

DOkUmENtAtION

Briefwechsel uumlber die zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo

schreiben von nichtregierungsorganisationen und einzelpersonen an die Bundeskanzlerin und den Auszligenminister zum raquoPetersburger Dialoglaquo 2 oktober 2014 [nachtraumlglich veroumlffentlicht]

Berlin 02 Oktober 2014Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerals Personen die sich seit vielen Jahren intensiv im zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland engagieren wenden wir uns mit diesem Schreiben an Sie um zu erlaumlutern warum wir uns in diesem Jahr nicht am Petersburger Dialog beteiligen koumlnnen Zugleich moumlchten wir fuumlr eine Erneuerung des Petersburger Dialogs werben

In Reaktion auf die politische Wende in der Ukraine die durch eine breite gesellschaftliche Protestbewegung hervor-gerufen wurde hat die russische Fuumlhrung voumllkerrechtswidrig die Krim annektiert und einen unerklaumlrten Krieg neuen Typs im Osten der Ukraine begonnen Zugleich betreibt die Regierung unter Praumlsident Putin die systematische Ausschal-tung der letzten unabhaumlngigen Medien in Russland die Kriminalisierung aller Formen politischer Opposition und die Diskreditierung unabhaumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen als raquoauslaumlndische Agentenlaquo Mittlerweile wurden 12 russische Nichtregierungsorganisationen vom russischen Justizministerium zwangsweise auf die Liste raquoauslaumlndischer Agentenlaquo gesetzt und sind daher zukuumlnftig verpflichtet sich bei jeder oumlffentlichen Aumluszligerung wahrheitswidrig selbst als solche zu bezichtigen Zehn dieser Organisationen spielen in der deutschrussischen zivilgesellschaftlichen Zusammen-arbeit seit Jahren eine wichtige Rolle einige von ihnen haben mehrfach am Petersburger Dialog teilgenommen Gegen einige von ihnen sind bereits existenzbedrohende Strafgelder wegen Verstoszliges gegen das sog Agentengesetz verhaumlngt

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worden Es drohen Organisationsschlieszligungen und die Kriminalisierung der Vorstaumlnde Unter diesen inneren und aumluszlige-ren Bedingungen koumlnnen wir uns nicht an einer Neuauflage des Petersburger Dialogs in der bisherigen Form beteiligen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerder seinerzeit von Bundeskanzler Schroumlder und Praumlsident Putin initiierte Petersburger Dialog konnte die ihm zuge-

dachte Aufgabe zu einer Vertiefung und Verbreiterung der gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland beizutragen auch in den vergangenen Jahren nur sehr bedingt erfuumlllen Dies lag vor allem an der starken Naumlhe des Fuumlhrungspersonals auf der russischen Seite zum politischen Machtzentrum im Kreml die von Beginn an den Eindruck einer raquovon obenlaquo inszenierten und kontrollierten Veranstaltung naumlhrte Doch auch auf deutscher Seite wird der Petersburger Dialog bis heute von Personen dominiert die aus politischer und oumlkonomischer Opportunitaumlt dazu neigen Kritik am Kurs der russischen Fuumlhrung als Stoumlrung der raquodeutsch-russischen Freundschaftlaquo zu betrachten Zeit-weise kam es zu der paradoxen Situation dass kritische Aumluszligerungen zu Menschenrechtsverletzungen in Russland oder zum Vorgehen des Kremls gegenuumlber Georgien aus den Reihen der deutschen Delegation als raquoKalte-Kriegs-Rhetoriklaquo verteufelt wurden Nuumlchtern betrachtet waren die kritischen Stimmen aus der russischen und deutschen Zivilgesell-schaft in den letzten Jahren nur eine geduldete Minderheit die dem Petersburger Dialog den Anschein von Pluralis-mus und offener Diskussion verschaffte Ungeachtet dieser Kritik haben wir uns in der Vergangenheit am Petersburger Dialog beteiligt da wir grundsaumltzlich jedes Dialogpotenzial nutzen wollen und uns von der gemeinsamen Beteiligung mit unseren Partnern aus der russischen Zivilgesellschaft eine politische Absicherung dieser Zusammenarbeit erhofften

Diese ohnehin schwachen Hoffnungen wurden durch die Entwicklungen in diesem Jahr zerstoumlrt Vertreter unab-haumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen die auf der russischen Seite zum Petersburger Dialog eingeladen wer-den sind angesichts der politischen und juristischen Bedrohung der sie ausgesetzt sind in ihrer Entscheidung uumlber ihre Teilnahme nicht mehr frei Wenn sie der Einladung nicht folgen muumlssen sie weitere Repressalien befuumlrchten Uns denen die Freiheit der Entscheidung gegeben ist ist es nicht moumlglich durch Teilnahme am Petersburger Dialog in Sot-schi an der Aufstellung einer Potemkinschen Fassade namens raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo mitzuwirken waumlhrend die kritischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Russland als raquoAgentenlaquo diskreditiert und vielfach drangsaliert werden

Zugleich moumlchten wir unsere Bereitschaft unterstreichen an einer Reform des Petersburger Dialogs in organisa-torischer inhaltlicher und personeller Hinsicht mitzuwirken Eine solche Reform sollte darauf ausgerichtet sein uumlber die Auswahl der Formate Themen und Teilnehmer die tatsaumlchliche Lage der russischen Zivilgesellschaft in den Mit-telpunkt der Diskussion zu ruumlcken und einen offenen Dialog zu ermoumlglichen Wir sind ganz damit einverstanden dass gerade in kritischen Zeiten die Zusammenarbeit zwischen der russischen und deutschen Zivilgesellschaft gestaumlrkt wer-den muss Sofern der Petersburger Dialog in Zukunft dafuumlr ein Forum bietet werden wir uns gern daran beteiligen[Unterzeichner nicht veroumlffentlicht]Quelle Website der Boumlll-Stiftung lthttpwwwboelldede20141013reform-petersburger-dialog-ueberfaelliggt

offener Brief an den Vorsitzenden des Petersburger Dialogs lothar de maiziegravere vom 10 oktober 2014

- Offener Brief -HerrnDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des VorstandsPetersburger Dialog eVSchillerstraszlige 5910627 Berlin

Berlin 10 Oktober 2014Petersburger Dialog 2014 in SotschiSehr geehrter Herr de Maiziegravereals Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher zivilgesellschaftlicher Organisationen die seit der Gruumlndung des Petersburger Dialogs 2001 uumlber viele Jahre hinweg an dieser Veranstaltung teilgenommen haben moumlchten wir Ihnen gegenuumlber folgende Erklaumlrung abgeben

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Wir haben uns entschieden am 14 Petersburger Dialog in Sotschi nicht teilzunehmen der fuumlr den 29ndash31 Okto-ber angekuumlndigt worden ist Fuumlr diese Entscheidung die wir sorgfaumlltig diskutiert und abgewogen haben moumlchten wir drei Gruumlnde anfuumlhren1 Der Petersburger Dialog in seiner jetzigen Form steckt in einer Krise Von Jahr zu Jahr wird er seinem eigenem

Anspruch weniger gerecht Die Veranstaltung soll dem zivilgesellschaftlichen Dialog dienen Tatsaumlchlich sind Struktur Nominierungsverfahren und Programm des Petersburger Dialogs maszliggeblich von Akteuren aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert Unter diesen Voraussetzungen erfuumlllt der Petersburger Dialog leider nicht sein in seiner Satzung formuliertes Ziel ein raquooffenes Diskussionsforumlaquo zu sein das die raquoVerstaumlndigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Laumlnderlaquo foumlrdert Der Petersburger Dialog bedarf dringend einer grundlegenden Reform wie sie auch CDUCSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 eingefordert haben Gerne wuumlrden wir uns aktiv an einem Prozess zur Reformierung des Petersburger Dialogs beteiligen der auf eine pluralistische Zusam-mensetzung beider Lenkungsausschuumlsse und eine deutlich staumlrkere Ausrichtung auf unabhaumlngige zivilgesellschaft-liche Akteure zielt ohne den interdisziplinaumlren Ansatz der Veranstaltung aufzugeben

2 Die Situation in der sich Teile der Zivilgesellschaft in Russland befinden erfuumlllt uns mit groszliger Sorge Das betrifft auch Partnerorganisationen und Personen mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten Diese Organisa-tionen uumlben fuumlr Russland und daruumlber hinaus wichtige gesellschaftliche Funktionen aus Die Behinderung ihrer Arbeit durch buumlrokratische Huumlrden aber auch durch willkuumlrliche rechtliche Restriktionen und politische Diffa-mierung sind inakzeptabel Daruumlber koumlnnen wir nicht zur Tagesordnung uumlbergehen Wir wollen nicht zu Kron-zeugen fuumlr einen vorgeblich freien Austausch werden waumlhrend zugleich die kritische Zivilgesellschaft in Russland massiv und systematisch unter Druck gesetzt wird

3 In Teilen der Ukraine herrscht ein Kriegszustand fuumlr den die russische Fuumlhrung eine maszliggebliche Verantwor-tung traumlgt Wichtige Vertreter dieser Fuumlhrung spielen eine Schluumlsselrolle im Petersburger Dialog einschlieszliglich des fruumlheren Ersten Stellvertretenden Ministerpraumlsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden von Gazprom Wiktor Subkow der der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs ist Vor diesem Hin-tergrund moumlchten wir nicht durch unsere Teilnahme dazu beitragen dass eine Normalitaumlt in den deutsch-russi-schen Beziehungen simuliert wird die es derzeit wegen des Angriffs auf die politische Souveraumlnitaumlt und territo-riale Integritaumlt der Ukraine nicht geben kann

Wir waren und sind weiter sehr an einem offenen Dialog uumlber deutsch-russische Belange in einem gesamteuropaumli-schen Kontext interessiert und halten ihn fuumlr eine Bedingung guter Nachbarschaft und Kooperation Ein solcher Dia-log muss aber auch von beiden Seiten gewollt und ermoumlglicht werden Er darf zugleich nicht zum Nachteil Dritter gefuumlhrt werden Angesichts der aktuellen Lage und der bereits bekannt gewordenen Programmvorschlaumlge fuumlr Sotschi sehen wir auch diese Voraussetzung gefaumlhrdet

Dessen ungeachtet werden wir jede Moumlglichkeit nutzen unsere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Grup-pen und anderen Akteuren in Russland zu vertiefen und dieses Potential in einen bilateralen und europaumlischen Dia-log einzubringenMit freundlichen GruumlszligenRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter Politik Greenpeace eVQuelle lthttpwwwaustauschorgaktuelle-meldungennewsdetailarticle1offener-brie-1htmlno_cache=1ampcHash=0428c5bffdgt

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offener Brief des Vorsitzenden des Petersburger Dialogs vom 13 oktober 2014

AnRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich-Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace eVBerlin 13 Oktober 2014Ihr Schreiben vom 10 Oktober 2014Sehr geehrte Damen und HerrenIhren offenen Brief habe ich erhalten Dass Sie einen Brief aumlhnlichen Inhalts zunaumlchst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Auszligenminister verschickt haben verwundert mich Sie geben damit fuumlr die zivilgesell-schaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung die Sie fuumlr die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren

Ihre Nichtbeteiligung am Petersburger Dialog bedaure ich Denn es entspricht der Uumlberzeugung der meisten Mit-glieder des Vorstandes und des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs dass gerade angesichts zweifellos vorhan-dener Probleme fuumlr die Zivilgesellschaft die Sie teilweise benennen die offensive Auseinandersetzung zu solchen The-men gesucht werden muss Indem man sich solchen Gespraumlchen entzieht schadet man den Interessen der Betroffenen

Sie schreiben der Petersburger Dialog sei im Inneren zu reformieren da er von Vertretern aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert sei Diese Feststellung ist falsch und Sie wissen das Das auch in der Satzung des Petersbur-ger Dialogs beschriebene Konzept des Dialogs beruht auf einem breiten Gedankenaustausch aller gesellschaftlichen Kraumlfte Dazu gehoumlren die Bereiche Kultur Medien Bildung Wissenschaft und Kirchen genauso wie zahlreiche im Bereich der politischen sowie der sozialen Menschenrechte engagierte Einrichtungen die in ihrer Gesamtheit das deutsch-russische Verhaumlltnis beleben

Sie versuchen in Ihrem Brief den Petersburger Dialog auf das enge Feld einiger Vertreter der Zivilgesellschaft zu reduzieren die jenseits der korporierten Zivilgesellschaft angesiedelt sind und deren Interessenspektrum nur einen Teil des gesamten zivilgesellschaftlichen Engagements abdeckt

Ich verkenne nicht die ndash auch aber nicht nur ndash in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu Tage getretenen Probleme sowie die unterschiedlichen Folgen die sich aus einer raquogelenkten Demokratielaquo die in vielem nicht westli-chen Standards entspricht ergeben Dennoch Gemessen an weiten Bereichen der russischen Geschichte ist die Ent-wicklung seit 1991 ein Fortschritt Das daraus resultierende wenn auch im letzten Jahr stark eingetruumlbte Vertrauens-potential muss fuumlr die auf vielen Ebenen notwendigen Gespraumlchsforen genutzt und ausgebaut werden

Derartige Gespraumlche bedingen genauso Realismus wie intellektuelle Disziplin wozu auch gehoumlrt zu verstehen wie Russland die Probleme versteht Dies ndash und nicht Gespraumlchsverweigerung ndash ist die Voraussetzung um auf allen demokratischen gesellschaftlichen Ebenen ndash vom politischen Machtzentrum bis in die Randgruppen hinein ndash pro-blemorientierte Gespraumlche fuumlhren zu koumlnnen Dabei darf keine Seite fuumlr sich in Anspruch nehmen legitimere Inte-ressen zu vertreten als die andere

Das heiszligt Ein Gespraumlch raquoauf Augenhoumlhelaquo nicht von oben herab nicht moralisch belehrend aber mit klaren und ehrlichen Argumenten Dabei duumlrfen wir nicht verschweigen welche gesetzgeberischen aber auch politisch-morali-schen Standards wir fuumlr eine demokratische Gesellschaft im europaumlischen Kontext fuumlr unabdingbar halten

Der Petersburger Dialog wurde aus guten Gruumlnden als deutsch-russische Gemeinschaftseinrichtung konzipiert Da ist eine ndash oft muumlhsame ndash Kompromissfindung unausweichlich Dies ist Teil des Wertes auch der Tiefe aber auch der moralischen Qualitaumlt des Dialogs Das Ringen um kompromissfaumlhige Konzepte muss unser Anliegen bleiben nicht Vorverurteilung und GespraumlchsablehnungMit freundlichem GruszligDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des Vorstands Petersburger Dialog e VQuelle Website des Petersburger Dialogs lthttpwwwpetersburger-dialogcomoffener-brief-vom-13-oktober-2014gt

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offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

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9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

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14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

Abdruck und sonstige publizistische Nutzung sind nach Ruumlcksprache mit der Redaktion gestattetVerantwortlicher Redakteur Hans-Henning Schroumlder

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

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                              • Dokumentation
                                • Luumlgen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des JustizministeriumsErklaumlrung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL
                                  • Notizen aus Moskau
                                    • Petersburger Dialog
                                      • Jens Siegert Moskau
                                      • Dokumentation
                                        • Briefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo
                                          • Chronik
                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
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RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 2

ANALYSE

eine neue Phase der russland- und ostpolitik hat begonnenKarsten D Voigt Berlin

zusammenfassungDie deutsche Russland- und Ostpolitik war nach dem Ende des Kalten Krieges von einem Nebeneinander von Integration und Kooperation gepraumlgt Integration in die EU und NATO dort wo gewuumlnscht und moumlg-lich Kooperation dort wo keine Integration moumlglich oder gewuumlnscht war Langfristiges Ziel war eine euro-paumlische Friedensordnung unter Einbeziehung Russlands Auch wenn dieses Ziel nicht aufgegeben wird ist es jetzt aufgrund des russischen Verhaltens waumlhrend der Ukraine-Krise weit in den Hintergrund geruumlckt In der jetzt beginnenden neuen Phase geht es um ein Nebeneinander von Kooperation und Konflikt nach dem Motto raquoZusammenarbeit wo moumlglich Risikovorsorge und Gefahrenabwehr wo noumltiglaquo

Langfristiges Ziel sollte nach wie vor eine gesamteuropaumlische Friedensordnung unter Einbindung Russ-lands bleiben Allerdings haben sich mit den autoritaumlren Entwicklungen in der russischen Innenpolitik der Abwendung der russischen Fuumlhrung von Europa der Annexion der Krim und dem kriegsaumlhnlichen Kon-flikt in der Ostukraine die Rahmenbedingungen fuumlr diese Politik geaumlndert Wir stehen daher am Beginn einer neuen Phase der deutschen Ost- und Russlandpolitik

Die gesamteuropaumlische friedensordnung in der zeit der BlockkonfrontationDie wesentlich von Willy Brandt und Egon Bahr gepraumlgte entspannungspolitische Phase der Ostpolitik hatte den Macht- und Systemkonflikt zwischen Ost und West als Hintergrund Der Machtkonflikt wurde durch zahlrei-che Vereinbarungen eingehegt seine Folgen durch die Vereinbarung menschlicher Erleichterungen abgemil-dert Der Systemkonflikt wurde nicht geleugnet Im Gegenteil Parallel zum Beginn der Entspannungspoli-tik wurden innerhalb der DDR die Abgrenzung gegen-uumlber dem raquoSozialdemokratismuslaquo und innerhalb der Bundesrepublik Deutschland mit dem Radikalenerlass die Abgrenzung gegenuumlber dem Kommunismus betont

Mit dem KSZE-Prozess trat ein neues Element hinzu In der KSZE-Schlussakte von 1975 ging es nicht nur um die gemeinsame Definition der Prinzipien einer kooperativen Sicherheit in Europa sondern auch um die Achtung der Menschenrechte und der Informations-freiheit Diese gemeinsamen Prinzipien wurden in Ost und West unterschiedlich interpretiert und praktiziert Ihrem Wesen nach aber gefaumlhrdeten die in der KSZE-Schlussakte definierten Menschen- und Freiheitsrechte die ideologischen Grundlagen der kommunistischen Systeme Aus diesem Grunde brauchte die Schlussakte auch nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes nicht ersetzt sondern nur durch zusaumltzliche Vereinbarungen wie die Charta von Paris ergaumlnzt zu werden

Die Entspannungspolitik der 1970er und 1980er Jahre hat den Macht- und Systemkonflikt zwischen Ost und West nicht beendet Das aumlnderte sich mit Gorba-tschow und Jelzin Gorbatschows Ziel war eine grund-legende Reform des sowjetischen Systems Jelzin wollte das sowjetische System beenden und eine kapitalistische Ordnung einfuumlhren Die russische Fuumlhrung unter Jelzin

strebte nach einer raquoVerwestlichunglaquo Russlands Durch diese Politik wurde dem Systemkonflikt zwischen Ost und West der die Geschichte der Sowjetunion seit ihrer Gruumlndung gepraumlgt hatte die Grundlage entzogen Ziel der ausgehenden Sowjetunion und spaumlter Russlands waren jetzt gemeinsame rechtsstaatliche und demokra-tische Prinzipien aller europaumlischen Staaten Symbol fuumlr diese neue russische Politik war der Beitritt Russlands zum Europarat im Jahre 1996 und die Ratifizierung der Europaumlischen Menschenrechtskonvention im Jahre 1998 Durch den Beitritt Russlands und anderer fruumlhe-rer Mitgliedsstaaten des Warschauer Paktes wurden aus urspruumlnglich auf Westeuropa beschraumlnkten Institutio-nen und Normen wichtige Instrumente der gesamteu-ropaumlischen Werte- und Rechtsgemeinschaft

Mit dem Fall der Mauer und dem Abzug der sowje-tischenrussischen Truppen aus Osteuropa wurden auch dem Machtkonflikt mit der Sowjetunion ndash und spaumlter Russland ndash die Grundlage entzogen Russland akzep-tierte Vereinbarungen uumlber die konventionelle Abruumls-tung und die militaumlrische Vertrauensbildung und das auszligen- und sicherheitspolitische Selbstbestimmungs-recht aller Staaten Derartige Vereinbarungen waumlren waumlhrend des Kalten Krieges undenkbar gewesen Mit dem erfolgreichen Ende der Entspannungspolitik schien eine Periode der groszligen Schritte in Richtung auf eine gesamteuropaumlische Friedensordnung unter Einbindung Russlands zu beginnen Die Rahmenbedingungen fuumlr die deutsche Ost- und Russlandpolitik veraumlnderten sich in eine grundlegend positive Richtung

russland und die osterweiterung von eU und nAtoDiese neue Phase der Ostpolitik war von einem Neben-einander von Integration und Kooperation gepraumlgt Inte-

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gration dort wo gewuumlnscht und moumlglich Kooperation dort wo keine Integration moumlglich oder gewuumlnscht war Die baltischen Staaten die Staaten Ostmittel-Europas und Suumldosteuropas wurden zum ersten Male in ihrer Geschichte zu einer Zone der sicherheitspolitischen und ndash mit Einschraumlnkungen ndash auch der demokrati-schen Stabilitaumlt Die gemeinsame Integration in euro-paumlische und transatlantische Institutionen verband jetzt die oumlstlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands Ein Teil der Ostpolitik gestaltete sich nun institutionell wirtschaftlich und politisch wie die fruumlhere Westpolitik

Die Ost-Erweiterung der EU und der NATO lieszligen eine neue gesamteuropaumlische Realitaumlt entstehen Die Ziele der deutschen Politik aber reichten weiter Sie wollten Russ-land uumlber seine Mitgliedschaft im Europarat und der OSZE hinaus moumlglichst eng mit den uumlbrigen Staaten und Insti-tutionen Europas verbinden Diese Politik schien anfangs mit den Zielen der russischen Politik uumlberein zu stimmen

Anfangs wurde die Ost-Erweiterung der EU von Russ-land durchaus positiv gesehen insbesondere da sie durch Kooperationsvertraumlge zwischen der EU und Russland ergaumlnzt werden sollte Der Widerstand Russlands gegen die Assoziationsvertraumlge der EU mit der Ukraine Molda-wien und Georgien sind erst neueren Datums Anfangs hatte Russland selbst nach aumlhnlichen Vertraumlgen mit der EU gestrebt Dies deckte sich mit den Absichten der EU

Die Ost-Erweiterung der NATO dagegen wurde von Russland von Anfang an negativ bewertet Trotzdem gelang es die negativen Wirkungen der Ost-Erweiterung auf das Verhaumlltnis der NATO zu Russland 1997 durch die raquoGrundakte uumlber die gegenseitigen Beziehungen Zusam-menarbeit und Sicherheitlaquo und 2002 durch die Schaffung des NATO-Russland-Rates zu begrenzen Der Inhalt die-ser Vereinbarungen beruumlcksichtigte russische Interessen entsprach aber in entscheidenden Punkten nicht den rus-sischen Wuumlnschen naumlmlich denen nach einer gleichbe-rechtigten Mitsprache innerhalb der NATO bis hin zu einem faktischen Vetorecht bei deren Entscheidungen

Die Mitglieder der NATO und EU waren auch nicht bereit Russland eine Einflusssphaumlre im postsowjetischen Raum zu garantieren Dies konnten sie auch nicht tun ohne das auszligen- und innenpolitische Recht auf Souverauml-nitaumlt und Selbstbestimmung eines jeden einzelnen euro-paumlischen Staates zu missachten Erst recht wollten die USA und groumlszligere europaumlische Staaten nicht ndash wie im 19 und 20 Jahrhundert ndash in einem raquoKonzert der Maumlchtelaquo uumlber die Koumlpfe kleinerer Staaten hinweg Vereinbarungen uumlber deren auszligenpolitische Orientierung deren Sicher-heit oder sogar uumlber deren Grenzen treffen Eine Politik eines raquoKonzerts der Maumlchtelaquo haumltte die in Europa guumlltigen Prinzipien und Vertraumlge verletzt Sie wuumlrde die Grund-lagen der Zusammenarbeit prinzipiell gleichberechtig-ter Staaten innerhalb der EU und NATO infrage stellen

Die Mitgliedsstaaten der EU strebten eine enge Zusammenarbeit mit Russland an jedoch nicht zu Lasten der oumlstlichen und suumldoumlstlichen Staaten Europas Wenn die EU sich der Zusammenarbeit mit Russland wegen uumlber die Interessen der kleineren osteuropaumlischen und suumldosteuropaumlischen Staaten hinweg gesetzt haumltte wuumlrde in diesem Teil des Kontinents erneut Unsicherheit und Misstrauen herrschen Sorgen vor einem neuen raquoJaltalaquo koumlnnten um sich greifen Russland ist das wichtigste Land oumlstlich der Grenzen von EU und NATO Aber deut-sche Ostpolitik ist ndash anders als zu Zeiten Bismarcks und zu Zeiten des Ost-West-Konfliktes ndash nicht immer vorran-gig und erst recht nicht ausschlieszliglich Russlandpolitik

Waumlhrend der Zeit des Kalten Krieges und in den Jahr-zehnten der Entspannungspolitik musste die Ostpolitik EU haumlufig zuerst nach Moskau blicken wenn Vertraumlge mit Warschau Prag oder Budapest angestrebt wurden Heute sitzen die Staaten Mittelost- und Suumldosteuropas mit am Tisch der EU und der NATO wenn dort uumlber Russland-politik beraten wird Dass die Rahmenbedingungen fuumlr die deutsche und europaumlische Ostpolitik sich seit Anfang der 1990er Jahre grundlegend veraumlndert haben haben Viele in Moskau und Manche in Bruumlssel noch nicht begriffen

Defizite russischer WestpolitikRusslands Politik gegenuumlber seinen westlichen Nach-barn wird heute positiv wie negativ durch eine Fixierung auf die USA gepraumlgt Russland strebt heute eine Rolle als gleichberechtigter und gleichmaumlchtiger Machtpol neben den USA an und weiszlig zugleich dass eine derar-tige Rolle als Weltmacht seine eigenen politischen und wirtschaftlichen Moumlglichkeiten bei weitem uumlbersteigt Russland hat es nicht vermocht nach dem Kalten Krieg zu seinen kleineren westlichen Nachbarn ein wechselsei-tiges Vertrauen und ein kooperatives Verhaumlltnis aufzu-bauen In diesem Defizit sehe ich die wichtigste auszligen-politische Ursache fuumlr die zunehmende Entfremdung zwischen Russland und den Mitgliedern der EU und der NATO Russland seinerseits sieht in der Politik der USA die wichtigste Ursache fuumlr die negativen interna-tionalen Entwicklungen der letzten Jahre

Ich leugne die auszligenpolitischen Ursachen der zuneh-menden Entfremdung zu Russland nicht Mir scheinen aber die Entwicklungen in der russischen Innenpolitik mindestens ebenso bedeutend wenn nicht sogar bedeut-samer zu sein Mit seiner zunehmend autoritaumlren Ent-wicklung dem Ruumlckgriff auf Symbole und Politik der Zaren-Zeit und der nachlassenden Bereitschaft die sow-jetische Periode kritisch aufzuarbeiten entfremdet sich Russland immer mehr von den demokratischen Staa-ten Europas Mit seiner Berufung auf raquoeurasischelaquo und raquotraditionellelaquo Werte entfernt sich die russische Fuumlhrung von den gemeinsamen europaumlischen Werten

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Der Ruumlckgriff auf vor-demokratische Werte und die Kritik an der EU finden den Beifall der europaumlischen Rechten wie der UKIP in Groszligbritannien dem raquoFront Nationallaquo in Frankreich der raquoLega Nordlaquo in Italien der raquoJobbiklaquo in Ungarn der AfD in Deutschland jedoch auch von groszligen Teilen der Partei raquoDie Linkelaquo in Deutschland Gleichzeitig nimmt die Kritik an der russischen Politik in der demokratischen Linken Europas zu Die Ursache hierfuumlr sind Russlands schwere Verstoumlszlige gegen europaumli-sche Vereinbarungen und internationales Recht

Mit dem Einsatz der Energieversorgung als politi-sches Druckmittel untergraumlbt Russland das Vertrauen das seit Anfang der 1970er Jahre eine wichtige Grund-lage der Zusammenarbeit zwischen Russland und West-europa gebildet hatte Die Annexion der Krim missach-tet die in der KSZE-Schlussakte von 1975 vereinbarten Grundsaumltze der Unverletzlichkeit der Grenzen und der friedlichen Loumlsung von Konflikten Die Annexion der Krim verstoumlszligt auszligerdem gegen einen bilateralen Vertrag in dem Russland die Grenzen der Ukraine anerkannt hat Und schlimmer noch Sie verstoumlszligt gegen den auch von Frankreich Groszligbritannien und den USA unter-schriebenen Vertrag mit dem die Ukraine auf Nukle-arwaffen verzichtet Sie untergraumlbt damit den Vertrag gegen die Nichtweiterverbreitung von Nuklearwaffen

Doch damit nicht genug Erklaumlrtes Ziel russischer Politik ist es ndash auch uumlber die Krim und die Ostukraine hinaus ndash Russen und russischsprachige Buumlrger in ande-ren Staaten zu raquoschuumltzenlaquo Meiner Ansicht nach hat es auf der Krim und in der Ostukraine keine Diskriminie-rung russischsprachiger Buumlrger gegeben Wenn es der russischen Fuumlhrung wirklich darum gegangen waumlre eine angebliche Diskriminierung russischsprachiger Buumlrger zu beheben dann haumltte sie sich in Verhandlungen mit der ukrainischen Regierung darum bemuumlhen koumlnnen diese zu beseitigen Das hat Moskau nicht versucht Und das verstaumlrkt bei den Nachbarn Russlands die Befuumlrch-tung dass es der Fuumlhrung Russlands nicht wirklich um den Schutz von raquorussischen Minderheitenlaquo geht sondern dass diese als Instrument russischer Machtpolitik die-nen sollen Dies bedeutet nicht notwendigerweise dass Russland militaumlrische Mittel anwendet um den Schutz raquorussischer Minderheitenlaquo zu gewaumlhrleisten (wobei in der Ukraine sich die meisten russisch-sprachigen Buumlrger als Ukrainer empfinden) Aber die Anwendung militaumlrischer Mittel wird auch nicht ausdruumlcklich ausgeschlossen

russlandpolitik in einer zeit des VertrauensverlustesAufgrund der Zielsetzungen russischer Politik und auf-grund der Erfahrungen mit der Praxis russischer Politik gegenuumlber der Krim und der Ostukraine fuumlhlen sich ndash verstaumlndlicherweise ndash mehrere Nachbarstaaten bedroht

Russlands Verhalten gegenuumlber der Ukraine ndash und vor-her schon bei den Konflikten in Georgien und Trans-nistrien ndash begruumlnden Zweifel ob es den Status quo sei-ner Auszligengrenzen akzeptiert Viele Nachbarn Russlands nehmen es heute als revisionistische Macht wahr Alle Mitglieder der EU und der NATO muumlssen sich ange-sichts dieser Gefahren auf die Solidaritaumlt ihrer Partner und Verbuumlndeten verlassen koumlnnen

Das Vertrauen in die russische Politik ist schwer erschuumlttert worden Eine uumlberwiegend positive Phase der Russlandpolitik geht zu Ende Es steht uns kein neuer Kalter Krieg bevor Aber es wird eine laumlngere Zeit brau-chen ehe sich neues Vertrauen entwickeln kann Grund-voraussetzung hierfuumlr ist eine Aumlnderung der Politik der russischen Fuumlhrung Unser Verhaumlltnis zu Russland wird auf absehbare Zeit nicht mehr von dem Grund-satz raquoZusammenarbeit wo moumlglichlaquo beherrscht werden Stattdessen wird es wohl in Zukunft heiszligen muumlssen raquoZusammenarbeit wo moumlglich und sinnvoll Risiko-vorsorge und Gefahrenabwehr soweit wie noumltiglaquo Die-ses spannungsreiche Nebeneinander einer auf Koopera-tion und einer auf Risikovorsorge und Gefahrenabwehr angelegten Politik stellt einen Ruumlckschritt gegenuumlber den letzten Jahren und Jahrzehnten dar

Die Einsicht dass eine europaumlische Friedensordnung erst dann dauerhaft stabil ist wenn Russland Teil dieser Ordnung ist bleibt richtig Wenn Russland in wichtigen Punkten gegen die vereinbarten Normen einer europaumli-schen Friedensordnung verstoumlszligt so ist dies kein Grund diese Prinzipien preiszugeben Im Gegenteil Es geht darum Russland zu einer Ruumlckkehr zu diesen Prinzipien und Normen zu bewegen damit es gleichberechtigter Teil einer europaumlischen Friedensordnung werden kann

Wir sollten uns weiterhin um einen regen Dialog mit der russischen Fuumlhrung und der russischen Gesell-schaft bemuumlhen Sich um ein Verstaumlndnis der russischen Politik zu bemuumlhen bedeutet nicht unbedingt mit ihr einverstanden zu sein Im Gegenteil Gerade waumlhrend einer Krise ist die intensive Kommunikation eine unver-zichtbare Voraussetzung fuumlr die friedliche Beilegung von Konflikten Die Bereitschaft weiterhin mit Russ-land zusammenzuarbeiten wo dies moumlglich und sinn-voll ist ist Ausdruck unseres Realismus Russland bleibt trotz seiner gegenwaumlrtigen Politik das wichtigste Land oumlstlich der Grenzen der EU und der NATO

Anders als in den vergangenen Jahren werden wir wohl bedauerlicherweise davon ausgehen muumlssen dass die EU und NATO dort Vorsorge treffen muumlssen wo die Poli-tik der russischen Fuumlhrung Risiken und Gefahren fuumlr die Nachbarn Russlands fuumlr die Mitgliedsstaaten der EU oder fuumlr die NATO und fuumlr die europaumlische Sicher-heit insgesamt beinhaltet Die veraumlnderte Lage macht das Bemuumlhen um eine friedliche Beilegung von Konflikten

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 5

wie im Falle der Ostukraine Georgiens Moldawiens und Armeniens sowie das Draumlngen auf Ruumlstungskon-trolle Abruumlstung und Vertrauensbildung noch wichti-ger Beim Problem des iranischen Atomprogramms beim Kampf gegen den internationalen Terrorismus in Bezug auf Afghanistan war Russland ein Partner Es war an der Loumlsung von Konflikten beteiligt Derartige Felder der Zusammenarbeit sollten erhalten und ndash soweit moumlglich und sinnvoll ndash ausgebaut werden Bei anderen Konflikten wie beim Bemuumlhen um eine Stabilisierung der Wirtschaft und Demokratie in der Ukraine wird Russland in der nahen Zukunft bedauerlicherweise wohl eher Widerpart als Partner bleiben Trotzdem sollten wir uns in Absprache

und gemeinsam mit der Regierung in Kiew um konflikt-mindernde Absprachen und Vereinbarungen bemuumlhen

Es steht uns kein neuer Kalter Krieg mit Russland bevor wohl aber eine Zeit der begrenzten Kooperation und des begrenzten Konfliktes Aufgabe Deutschlands ist es in dieser neuen Phase der Ostpolitik Meinungs- und Interessengegensaumltze realistisch zu analysieren gleichzei-tig aber auf der Grundlage der eigenen Werte und Prin-zipien kooperative Politikansaumltze zu foumlrdern und Kon-flikte einer friedlichen Loumlsung zuzufuumlhren Vielleicht kann auf diese Weise ndash wenn wahrscheinlich wohl erst nach laumlngerer Zeit ndash wieder die Chance fuumlr eine positi-vere Phase der Russland- und Ostpolitik eroumlffnet werden

Uumlber den AutorKarsten D Voigt war von 1976 bis 1998 Mitglied des Bundestags seit 1983 als auszligenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion und bis 1998 Vorsitzender der deutsch-russischen Parlamentariergruppe Von 1999 bis 2010 war er Koordi-nator der Bundesregierung fuumlr die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit Karten Voigt ist Mitglied des Praumlsidiums der Deutschen Gesellschaft fuumlr Auswaumlrtige Politik

UmFRAGE

Die russland-Ukraine-krise in russischen Umfragen

zum Waffenstillstand in der Ukraine Umfragen der raquostiftung Oumlffentliche meinunglaquo (fom)

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 13ndash14 September 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 22 September 2014 unter lthttpfomruMir11731gt

grafik 1 Verfolgen sie die ereignisse in der Ukraine

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100

InsgesamtFreunde etc in der Ukraine

Keine Freunde in der UkraineMann

Frau18-30 Jahre

31-45 Jahre45-60 Jahre

Uumlber 60 JahreMittelschule

Technikum u aumlHochschulbildung

Bis 4000 Rubel4001- 9000 Rubel

9001 ndash 20000 Rubel Mehr als 20000 Rubel

MoskauUumlber 1 Mio Einwohner

250000 ndash 1 Mio Einwohner50000 ndash 250000 Einwohner

Unter 50000 EinwohnernDorf

Taumlgliche Internetnutzer

Aufmerksam staumlndig Nicht sehr aufmerksam von Fall zu Fall Nein Keine Antwort

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 6

grafik 2 Aus welchen informationsquellen erfahren sie von den ereignissen in der Ukraine (frage an jene die die ereignisse in der Ukraine verfolgen ndash 89 Beliebige zahl an Antworten)

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387

151119

258

28 01

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 13ndash14 September 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 22 September 2014 unter lthttpfomruMir11731gt

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 13ndash14 September 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 22 September 2014 unter lthttpfomruMir11731gt

grafik 3 Berichten die russischen fernsehsender ihrer meinung nach objektiv uumlber die ereignisse in der Ukraine

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InsgesamtFreunde etc in der Ukraine

Keine Freunde in der UkraineMann

Frau18-30 Jahre

31-45 Jahre45-60 Jahre

Uumlber 60 JahreMittelschule

Technikum u aumlHochschulbildung

Bis 4000 Rubel4001- 9000 Rubel

9001 ndash 20000 Rubel Mehr als 20000 Rubel

MoskauUumlber 1 Mio Einwohner

250000 ndash 1 Mio Einwohner50000 ndash 250000 Einwohner

Unter 50000 EinwohnernDorf

Taumlgliche Internetnutzer

Objektiv Keine Antwort Voreingenommen

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grafik 4 Wird die Waffenruhe zu einem stabilen frieden fuumlhren

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 13ndash14 September 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 22 September 2014 unter lthttpfomruMir11731gt

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InsgesamtFreunde etc in der Ukraine

Keine Freunde in der UkraineMann

Frau18-30 Jahre

31-45 Jahre45-60 Jahre

Uumlber 60 JahreMittelschule

Technikum u aumlHochschulbildung

Bis 4000 Rubel4001- 9000 Rubel

9001 ndash 20000 Rubel Mehr als 20000 Rubel

MoskauUumlber 1 Mio Einwohner

250000 ndash 1 Mio Einwohner50000 ndash 250000 Einwohner

Unter 50000 EinwohnernDorf

Taumlgliche Internetnutzer

Die Waffenruhe fuumlhrt zu einem stabilen FriedenKeine AntwortDie Kampfhandlungen werden wieder aufgenommen

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 13ndash14 September 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 22 September 2014 unter lthttpfomruMir11731gt

grafik 5 Werden die republiken Donezk und lugansk am ende teil der Ukraine bleiben unabhaumlngige staa-ten werden oder teil russlands werden

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InsgesamtFreunde etc in der Ukraine

Keine Freunde in der UkraineMann

Frau18-30 Jahre

31-45 Jahre45-60 Jahre

Uumlber 60 JahreMittelschule

Technikum u aumlHochschulbildung

Bis 4000 Rubel4001- 9000 Rubel

9001 ndash 20000 Rubel Mehr als 20000 Rubel

MoskauUumlber 1 Mio Einwohner

250000 ndash 1 Mio Einwohner50000 ndash 250000 Einwohner

Unter 50000 EinwohnernDorf

Taumlgliche Internetnutzer

Teil der Ukraine bleiben Keine Antwort Anderes Unabhaumlngige Staaten werden Teil Russlands werden

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 8

Umfragen des lewada-zentrums

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 6 Welches sind die wesentliche kraumlfte auf seiten der kiewer seite bei den kaumlmpfen in den gebieten Donezk und lugansk

0 20 40 60 80 100

Jun2014

Sep2014

Regulaumlre Einheiten der ukrainischen ArmeeKeine AntwortBewaffnete Formationen ukrainischer Rechtsradikaler

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 7 Welches sind die wesentlichen kraumlfte bei den kaumlmpfen in den gebieten Donezk und lugansk auf der anderen seite [separatistenneurussland]

0 20 40 60 80 100

Jun 2014

Sep2014

Buumlrgerwehren der Staumldte in den Gebieten Donezk und LuganskKeine AntwortBewaffnete Einheiten prorussischer Radikaler die von Russland unterstuumltzt werden

grafik 8 Befinden sich gegenwaumlrtig in der Ukraine russische streitkraumlfte

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

Ja29

Nein48Keine Antwort

23

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 9

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 9 Wie stehen sie dazu dass in den reihen der Buumlrgerwehr der ostukraine russische freiwillige kaumlmpfen

0 20 40 60 80 100

1 Mai 2014

1 Juni 2014

19-22 Sept2014

26-29 Sept2014

Absolut positiv Eher positiv Keine Antwort Eher negativ Absolut negativ

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 10 Wie endet die gegenwaumlrtige Waffenruhe

Die Unterzeichnung eines Friedensabkommens und

dem Prozess einer friedlichen Regulierung

des Konfliktes27

Wiederaufnahme des bewaffneten Konflikts

46

Keine Antwort27

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 11 sollten im falle eines Wiederaufnahme der kampfhandlungen in der ostukraine russische truppen entsandt werden

Auf jeden Fall5

Eher ja16

Eher nein36

Auf keinen Fall27

Keine Antwort16

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 10

grafik 12 Unterstuumltzen sie die massenproteste (raquofriedensmaumlrschelaquo) gegen die russische einmischung in innere Angelegenheiten der Ukraine

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 September 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 25 September 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint25-09-2014marshi-miragt

0 20 40 60 80 100

Mrz2014

Sep2014

Auf jeden Fall Eher ja Keine Antwort Eher nein Auf keinen Fall

Die haltung gegenuumlber den fluumlchtlingen aus der Ukraine

Quelle Umfragen des WZIOM vom 20ndash21 September 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 26 September 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=114994gt

grafik 13 gibt es in ihrer stadt siedlung fluumlchtlinge aus der Ukraine

0 20 40 60 80 100

Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja viele ukrainische Fluumlchtlinge Ja wenige ukrainische Fluumlchtlinge Keine Antwort Nein keine ukrainischen Fluumlchtlinge

Quelle Umfragen des WZIOM vom 20ndash21 September 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 26 September 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=114994gt

grafik 14 leistet russland den ukrainischen fluumlchtlingen ausreichende hilfe

Russland leistet den Fluumlchtlingen

ausreichende Hilfe67

Russland leistet den Fluumlchtlingen zu geringe

Hilfe4

Russland leistet den Fluumlchtlingen zu viel Hilfe

24

Keine Antwort5

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 11

AUS RUSSISchEN BLOGS

nawalnyj krim nasch1

Seit Maumlrz 2014 steht Alexej Nawalnyj wegen des sogennanten raquoYves-Rocher-Fallslaquo unter Hausarrest Dem opposi-tionellen Politiker wurde per Gerichtsbeschluss verboten seine Wohnung zu verlassen sowie mit jeglichen Perso-

nen auszliger dem engen Familienkreis zu sprechen Interviews zu geben und das Internet zu nutzen Seitdem fuumlhrt das Team der raquoStiftung fuumlr die Korruptionsbekaumlmpfunglaquo (russ raquoFBKlaquo) seinen Blog und seine Frau seinen Twitter-Account Anfang Oktober milderte das Gericht des Moskauer Basmannyj-Rayons (Basmannyj-Gericht) uumlberraschenderweise die Bedingungen des Hausarrests in Bezug auf Kontakte mit der Auszligenwelt was nach mehreren Monaten Journalis-ten wieder einen Zugang zur Schluumlsselfigur der russischen Protestbewegung ermoumlglichte

Das Interview fuumlr Echo Moskwy vom 15 Oktober in dem Nawalnyj sich unzweideutig zur Annexion der Krim aumluszligerte erregte in Russland uumlberaus groszlige Aufmerksamkeit Wie im Nachhinein aus der Redaktion von Echo Moskwy verlautet wollte Michail Lesen Chef der Holding Gazprom-Media die zwei Drittel der Aktien des Radiosenders besitzt die Veroumlffentlichung dieses Interviews auf alle erdenkliche Weise verhindern er habe der stellvertretenden Chefre-dakteurin Olesja Rjabzewa per Telefon mit groszligen Problemen gedroht wie diese in ihrem Blog berichtet Das Inter-view schlug in der liberalen Oumlffentlichkeit wie eine Bombe ein da Nawalnyj die Ruumlckgabe der Krim an die Ukraine eindeutig ausschloss Auf die Frage des Chefredakteurs des Radiosenders Alexej Wenediktow raquoKrim naschlaquo (Ist die Krim unser) sagte der Oppositionelle Folgendes raquoIch finde dass obwohl die Krim unter eklatanten Verstoumlszligen gegen alle voumllkerrechtlichen Normen erobert wurde die Realien derart sind dass die Krim jetzt ein Teil der Russischen Foumlderation ist Machen wir uns doch nichts vor Den Ukrainern rate ich ebenfalls ausdruumlcklich sich nichts vorzu-machen Sie [die Krim Anm d Red] bleibt Teil Russlands und wird in absehbarer Zukunft kein Teil der Ukraine werdenlaquo Diese Aussage loumlste auf Twitter einen massiven raquoShitstormlaquo aus Kurz nach dem Interview schloss sich auch Michail Chodorkowskij der Position Nawalnyjs an und sagte raquoDie Krim gebe ich nicht zuruumlcklaquo (lthttpgraniruPol iticsRussiaPartiesm234009htmlgt) Im Zuge heftiger Debatten in den Blogs teilte sich die liberale Oumlffentlichkeit Russlands in Nawalnyj-Versteher und harsche Kritiker der Krim-Annexion es meldeten sich unter anderem zu Wort Grigorij Golosow Professor an der Europaumlischen Universitaumlt St Petersburg Sergey Davidis Buumlrgerrechtler und enger Verbuumlndeter Nawalnyjs in der Protestbewegung Alexander Osowzow Projektdirektor der Stiftung von Michail Cho-dorkowskij raquoOffenes Russlandlaquo Wladislaw Naganow Mitglied der Nawalnyj-Partei raquoPartei des Fortschrittslaquo der Jour-nalist und Publizist Alexander Sotnik der russischsprachige Kiewer Journalist Mustafa Nayyem und der Kriegskor-respondent Arkadij Babtschenko

eine situation ohne guten AuswegraquoNawalnyj stellt alles richtig dar zu vielen Fragen laumlsst sich derzeit kaum etwas Besseres sagen Er ist ein begabter Mensch ein geborener Politiker Das Schlimme ist dass Russland ihn unter Hausarrest haumllt Alle gehen ihn hier an mit der Krim Man muss aber dabei im Kopf behalten dass es Putin war der die ukrainischen Probleme fuumlr Russland geschaffen hat und Nawalnyj nach einem guten Ausweg aus einer schlechten Lage zu fragen ist nicht besonders fair Die Krim bedeutet eine Situation ohne guten Ausweg Fuumlr den Besitz der Krim werden wir ndash alle zusammen oder jeder einzelne aus eigener Tasche ein Vielfaches von dem zahlen muumlssen was es gekostet haumltte jeden Quadratmeter auf der Halbinsel zu kommerziellen Preisen als Eigentum zu erwerben und alle Bewohner die dann nicht bleiben wollen an die Cocircte drsquoAzur umzusiedeln Putin hat das Geschaumlft bereits abgeschlossen Selbst Nawalnyj kann es nicht stornierenlaquoGrigorij Golosow via Snobru 16102014 lthttpslonrurussiapochemu_navalnyy_prav-1172360xhtmlgt

raquoAlle haben sich auf nawalnyj gestuumlrzthelliplaquoraquoIch habe in seinen Worten keinen Imperialismus erkennen koumlnnen er stimmt der Besetzung und Annexion der Krim nicht zu weist im Gegenteil auf deren krasse Rechtswidrigkeit hin Er hat gesagt dass Krim jetzt de facto zu Russ-land gehoumlrt [hellip] Er sagt dass man sie nicht wie ein Butterbrot zuruumlckgeben kann dass das die Bevoumllkerung entschei-den sollte was gibt es da zu bestreiten Selbst bei der Annexion gab es ein Schein-Referendum Und wenn man nicht autoritaumlr und rechtswidrig vorgeht sondern fair und demokratisch wer anders als die Bevoumllkerung sollte dann ent-scheiden [hellip]

Was ich in der Aumluszligerungen Alexejs nicht gutheiszligen wuumlrde ist der Stil Man sollte jetzt auf Ratschlaumlge fuumlr die Ukrainer lieber verzichten insbesondere bei einer solchen Frage Man sollte nicht davon reden dass Krim rsaquoin absehba-

1 dt Die Krim ist unser

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rer Zukunft kein Teil der Ukraine werdenlsaquo wird auch wenn es scheint als ob die Ergebnisse eines jeden Referendums vorhersehbar sind Schlieszliglich tragen wir alle selbst diejenigen die dagegen waren zu einem gewissen Grad eine Ver-antwortung bei der Aggression des Kreml gegen die Ukraine und trotz allem stehen wir in den Augen der Ukrainer vollkommen zurecht als Buumlrger eines Aggressorstaates da Etwas mehr Ruumlcksicht und Fairness waumlre nicht verkehrtlaquoSergej Davidis auf Facebook 15102014 lthttpswwwfacebookcomsergeidavidisposts800840943304969gt

raquoDer Drache gewinnt in jedem falllaquoraquoBezuumlglich der Krim bin ich mit Nawalnyj kategorisch nicht einverstanden und finde dass gerade Russland der Ukraine die annektierte Krim zuruumlckgeben sollte vor allem weil niemand auch kein Land ein normales Leben fuumlh-ren kann ohne zu versuchen die Folgen eines von ihm begangenen Verbrechens nach Moumlglichkeit zu korrigieren Das waumlre genauso als wenn Alexejs rsaquoLieblingsfigurenlsaquo ndash Timtschenko Jakunin die Rotenbergs usw ndash eines schoumlnen Tages sagen wuumlrden rsaquoWir klauen jetzt nicht mehr wir sind jetzt ehrliche Leute Aber was wir vorher zusammenge-klaut haben das gehoumlrt bereits uns und das behalten wirlsaquo Eine solche Idee wuumlrde Nawalnyj kaum zufriedenstellen

Die Diskussion um Nawalnyjs Position die jetzt stattfindet zeigt aber aus meiner Sicht sehr ernst zu nehmende moralische und ethische Probleme innerhalb eines Teils der russischer Opposition auf Die einen die gestern noch mit harten Worten die rsaquoKrimnaschistenlsaquo beschimpft haben und so schien es bereit waren rsaquoWatniki und Koloradylsaquo2 in Stuumlcke zu zerreiszligen sind nun durch der rsaquoHetze der liberalen Presse gegen Nawalnyjlsaquo empoumlrt [hellip]

Ich moumlchte denjenigen fuumlr die jedweder Meinungsunterschied zu Nawalnyj ein Anschlag auf das Allerheiligste ist Folgendes sagen Beruhigt euch versucht zu verstehen dass es dumm und aussichtslos fuumlr das Land waumlre rsaquoPuti-noidelsaquo durch rsaquoNawalnoidelsaquo auszutauschen So wie in dem alten vietnamesischen Maumlrchen uumlber den Drachen und das Schwert aus grauem Stahl Es gewinnt immer der DrachelaquoAlexander Osowzow auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcomosovtsovaaposts1568393260047754gt

raquoman darf sie nicht hin und her zuruumlckgebenlaquoraquoAlle die Nawalnyj fuumlr seine Worte rsaquoIst die Krim etwa ein Wurstbrot dass man es hin und her zuruumlckgeben koumlnntelsaquo kritisieren moumlchte ich fragen Wie stellt ihr das uumlberhaupt vor

Der Praumlsident Russlands unterschreibt einen Erlass uumlber die Ruumlckgabe der Krim und Sewastopols an die Ukraine Uumlber die Entziehung der russischen Staatsbuumlrgerschaft bei allen Bewohnern der Krim und Sewastopols Oder kann man den Menschen die russische Staatsbuumlrgerschaft belassen und nur das Territorium ndash mit ihnen ndash uumlbergeben Fragt irgendjemand die Menschen was sie wollen bevor man etwas mit ihnen macht Oder werden die Einwohner der Krim und Sewastopols nicht fuumlr Menschen gehalten sondern fuumlr Vieh fuumlr eine Schafherde die zwischen verschie-denen Staaten hin und her rsaquouumlbergebenlsaquo werden kann Der eine Praumlsident hatte Lust und nahm es sich der andere hat sich anders uumlberlegt und gibt es wieder zuruumlckt So etwa

Sollte man nicht doch besser die Menschen fragen Hat Nawalnyj das etwa nicht selbst gesagt als er von einem rsaquonormalenlsaquo Referendum auf der Krim sprach Ich verstehe unter einem rsaquonormalenlsaquo Referendum eines das nicht nur 15ndash20 Tage vorbereitet wird sondern mindestens drei Monate Und bei dem es keine Einschraumlnkungen fuumlr die Kam-pagne gibt Die Anhaumlnger einer Zugehoumlrigkeit der Krim und Sewastopols zur Ukraine wollen hierfuumlr agitieren mit Plakaten Flugblaumlttern Werbevideos ukrainischen Fahnen ndash bitte schoumln Ohne Einschraumlnkungen Und dass alle moumlg-lichen Wahlbeobachter zum Referendum kommen koumlnnen von der OSZE von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates von der GUS aus der Ukraine der EU und den USA von uumlberall her Und dass ein transparenter Ablauf der Stimmenzaumlhlung gewaumlhrleistet werde Und wenn jemand von den Wahlbeobachtern ein Nachzaumlhlen der Stimmen per Hand verlangt ndash bitte schoumln mehrmals so oft wie gewuumlnscht Und uumlberhaupt Lasst so viele Wahlbe-obachter in jedes Wahllokal wie dort Platz ist Und keinerlei bewaffnete Menschen mit Maschinenpistolen in kei-nem einzigen Wahllokal oder dessen UmgebunglaquoWladislaw Naganow auf Livejournal 16102014 lthttpnaganofflivejournalcom142862htmlgt

liebe raquonawalnistenlaquoraquoAlso Fuumlr die verehrten rsaquoNawalnistenlsaquo die sich wegen Alexej so aufregenhellip

2 raquoWatnikilaquo (Wattejacken) ndash abfaumlllige Bezeichnung fuumlr russische sbquoHurrapatriotenlsquo (ein raquoWatniklaquo ist eine Wattejacke die mit der Armee aber auch mit Straumlflingen assoziiert wird) raquoKoloradylaquo (von raquo koloradskij shuklaquo ndash Kartoffelkaumlfer) ndash abfaumlllige Bezeichnung fuumlr prorussische Akti-visten in der Ukraine (die Faumlrbung des Kaumlfers ist schwarz-gelb oder schwarz-orange gestreift aumlhnlich den Farben des St Georgs-Bandes das von prorussischen Kraumlften in der Ukraine und von politisch rechtsstehenden Russen als Abzeichen verwendet wird)

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Ja eurer rsaquoFuumlhrerlsaquo ist Imperier Daraus hat er kein Geheimnis gemacht Er ist bei der Krim-Frage ein absoluter Putin Weil er wenn er einer anderen Ansicht waumlre Wenediktow Folgendes gefragt haumltte rsaquoVon welcher Krim reden Sie denn Von der die zur Ukraine gehoumlrt womit Russland einverstanden war als es das Budapester Abkommen unterschrieben hat Sie fragen mich uumlber die territoriale Integritaumlt eines Staates dem Russland Garantien gegeben hat wonach die Ukraine zum atomwaffenfreien Land geworden ist Haumltte Russland seinerzeit diese Garantien nicht gegeben haumltte die Ukraine jetzt Atomraketen und wir wuumlrden es niemals riskieren uns dort einzumischenhellip Sie fragen also nach Quatsch und zwar provokantem Quatschlsaquo

Wenn er also auf diese Weise geantwortet haumltte dann ja Dann waumlre er als Politiker geboren worden Er hat sich aber ausgenullt Wie seinerzeit Udalzow

Und noch etwa Verehrte rsaquoNawalnistenlsaquo houmlrt auf euch Goumltzen zu schaffen Viele von euch waren auf dem rsaquoFrie-densmarschlsaquo zur Unterstuumltzung der territorialen Integritaumlt der Ukraine Verliert das Gesicht nicht Trefft eine Wahl ohne Bindung des Herzens Und all die Argumente rsaquoer habe es nicht so gesagt er habe etwas anderes gemeintlsaquo das ist im Stil von rsaquoPutinistenlsaquo und zwar rsaquoUnser Fuumlhrer hat alle ausgetrickst Das eine gesagt was anderes getan Sie haben seinen Weisheiten schlecht zugehoumlrtlsaquohellip

Seid keine Kinder Werdet erwachsenlaquoAlexander Sotnik auf Facebook 15102014 lthttpswwwfacebookcomsashasotnikposts646414272138108gt

raquorandfigur russischer PolitiklaquoDa Alexej Nawalnyj recht offen seine Meinung zur Krim geaumluszligert hat [hellip] waumlre es auch fuumlr den Oppositionellen selbst sinnvoll das Geheimnis uumlber seine Lage zu luumlften Ich finde dass abgesehen davon dass die Rechte von Ale-xej Nawalnyj lange Jahre verletzt wurden und er nach himmelschreiender Verletzung aller Gesetzesnormen der Rus-sischen Foumlderation verurteilt wurde die Realitaumlt so aussieht dass Herr Nawalnyj eine Randfigur der russischen Poli-tik ist Ich rate ihm und seinen Anhaumlngern eindringlich sich nichts vorzumachen ndash sie haben in absehbarer Zukunft keine Chance bedeutende Figuren in der groszligen Politik zu werden Das waumlre ebenfalls ehrlichMustafa Nayyem auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcomMustafanayyemposts10203171638717866gt

raquoWas wollen sie Pardon zuruumlckgebenlaquoraquoWas fuumlr spannende Eskapaden nun zu dieser Krimhellip rsaquoDie Krim ist kein Wurstbrotlsaquo meint Nawalnyj rsaquoWenn ich Prauml-sident werde gebe ich Krim nicht zuruumlcklsaquo schreibt Michail Chodorkowskij auf Twitter [hellip]

Russland hat einen Teil eines souveraumlnen Staates okkupiert Diese Okkupation ist von keinem anderen Staat in der Weltgemeinschaft anerkannt worden In der ganzen Welt hat sich die ukrainische Grenze nicht um einen Zen-timeter veraumlndert Die Welt kennt keinen anderen Staat rsaquoUkrainelsaquo auszliger diesen ndash mit der Krim Die Welt kennt kei-nen anderen Staat rsaquoRusslandlsaquo auszliger diesen ndash ohne die Krim Es hat keine Vertraumlge zur Anerkennung und Bestaumltigung neuer Grenzen gegeben

Was also wollen Sie Verzeihen Sie die Frage rsaquozuruumlckgebenlsaquo [hellip]Und zweitens Das wichtigsteWenn du Praumlsident wirst ndash eben Praumlsident ndash waumlre in diesem Koordinatensystem schon eine solche Fragestellung

rsaquoabgeben oder nichtlsaquo per definitionem undenkbar Denn der Praumlsident ist ein gewaumlhltes Amt Ein Amt das im Rah-men fairer und freier Wahlen besetzt wird die in einem demokratischen Land nach internationalen Regeln Konven-tionen Rechten und Gesetzen die durch die Weltgemeinschaft als korrekt anerkannt werden [hellip] In dieser Situa-tion wuumlrde sich die Frage rsaquozuruumlckgeben oder besser nochmal uumlberlegenlsaquo a priori nicht stellen Weil nicht du es bist der uumlber zuruumlckgeben oder nicht entscheidet Du bist kein Lenker des Schicksals von Staaten Laumlndern und Voumllkern Du bist bloszlig Garant der Ausfuumlhrung von Gesetzen Einschlieszliglich internationaler Gesetze Fuumlr alle die daruumlber anders dachten ist die Moumlglichkeit geschaffen worden uumlber ihre Fehler nachzudenken ndash in den schoumlnen Staumldten Nuumlrnberg und Den HaaglaquoArkadij Babtschenko auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcombabchenkoaposts555934824506755fref=nfgt

Ausgewaumlhlt und zusammengefasst von Sergey Medvedev Berlin (Die Blogs auf die verwiesen wird sind in russischer Sprache verfasst)

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ANALYSE

zivilgesellschaft und staat in russlandPavel Chikov Moskau

zusammenfassungDie Zivilgesellschaft befindet sich heute in Russland in einem schlechten Zustand Sie entwickelte sich Ende der 1980er Jahre und genoss bis Ende der 1990er Jahre weitgehende Freiheiten 1999 gab es erste staatliche Eingriffe und 2004 kennzeichnete Praumlsident Putin aus dem Ausland finanzierte NGOs direkt als raquoFeindelaquo In den folgenden Jahren wurde die Gesetzgebung verschaumlrft die Registrierung von NGOs erschwert den-noch gab es bis zur Ruumlckkehr Putins in das Praumlsidentenamt im Jahre 2012 kein ernstliches Vorgehen der Behoumlrden gegen die NGOler Mit der ultrakonservativen Wende des Jahres 2012 begann der Staat auch verstaumlrkt gegen die NGOs vorzugehen Heute auch nach den Ereignissen in der Ukraine ist weithin klar geworden dass Wladimir Putin bei seiner Orientierung auf einen extremen Konservatismus auch vor Re-pressionen gegen Nichtregierungsorganisationen nicht zuruumlckscheut

Die entstehung der zivilgesellschaft ende der 1980er JahreDer Zustand der Zivilgesellschaft in Russland laumlsst sich heute mit nur einem Wort charakterisieren schlecht Mehr noch Er ist schlechter denn je in der neuesten Geschichte Russlands wenn man davon ausgeht dass es zu sowjetischer Zeit keine nennenswerte Zivilgesell-schaft gegeben hat Die vereinzelten sowjetischen Buumlr-gerrechts- und Dissidentengruppen deren Mitglieder von den Geheimdiensten aufs engste uumlberwacht wurden lassen sich naumlmlich nur mit groumlszligter Muumlhe als Zivilge-sellschaft bezeichnen

Eine legale Existenz vom Staat unabhaumlngiger Nicht-regierungsorganisationen begann in Russland ungefaumlhr in jener Zeit als West- und Ostdeutschland wiederver-eint wurden Ende der 1980er und in der ersten Haumllfte der 1990er Jahre wurden zum einen die bereits erwaumlhn-ten sowjetischen Dissidentengruppen dann aber auch jene Initiativgruppen die auf der Welle der Perestroika unter Gorbatschow entstanden waren und nun als Orga-nisationen auftraten zur Basis der kuumlnftigen Zivilgesell-schaft Diese Gruppen erreichten dass Kuibyschew in Samara und Gorkij in Nishnij Nowgorod umbenennt wurde und sie beteiligten sich engagiert an den Wahlen der Volksdeputierten beseitigten verschiedenste Relikte der sowjetischen Vergangenheit wurden zu Meinungs-fuumlhrern der Gesellschaft organisierten erstmals recht-liche Hilfe fuumlr die schwaumlchsten Bevoumllkerungsgruppen

Die ersten Gesetze die die Taumltigkeit von NGOs sys-tematisch regulierten entstanden in den Jahren 1995 und 1996 Sie wurden auf der Houmlhe der allgemeinen Demokratisierung verabschiedet schrieben die grundle-genden buumlrgerlichen Freiheiten fest sahen eine Registrie-rung per Anmeldung keinerlei Rechenschaftspflichten sowie die Moumlglichkeit vor ohne Registrierung als juristi-sche Person taumltig sein zu koumlnnen Hierbei konnten rund zwei Dutzend verschiedener Rechtsformen genutzt wer-den Eine gesellschaftliche Organisation (NGO) regis-

trieren zu lassen bedeutete keine Muumlhe und die staat-lichen Gebuumlhren hierfuumlr waren minimal Gleichzeitig gab es jedoch keinerlei System fuumlr eine finanzielle Foumlrde-rung von nichtkommerziellen Organisationen (NGOs) durch den Staat

erste eingriffe des staatesDie ersten Zeichen die von kuumlnftigen Problemen fuumlr NGOs kuumlndeten erfolgten im Jahr 1999 als das Justiz-ministerium eine Neuregistrierung aller aktiven nicht-kommerziellen Organisationen (NGOs) verlangte Damals sahen sich einige Menschenrechtsorganisatio-nen erstaunlichen Beanstandungen durch die Behoumlrden gegenuumlber Wie sich herausstellte sollte es nicht moumlg-lich sein den Schutz der Menschenrechte und buumlrgerli-chen Freiheiten zu den satzungsgemaumlszligen Zielen zu zaumlh-len Die Fachleute des Justizministeriums behaupteten Da der Schutz der Menschenrechte gemaumlszlig der Verfas-sung die Pflicht des Staates ist koumlnnten NGOs diesen darin allenfalls sbquounterstuumltzenlsquo Das ist die Erklaumlrung dafuumlr dass die meisten Moskauer Organisationen bei ihren Namen und in ihren Satzungen bis heute diese Formulierung verwenden die offensichtlich eine klare paternalistische Botschaft an die Gesellschaft darstellt Zivilgesellschaftliche Organisationen koumlnnen ndash so die Haltung der russischen Regierung seit 1999 und bis jetzt ndash nichts selber machen Sie koumlnnen lediglich den Staat unterstuumltzen Folglich stoszligen NGOs wenn sie sich gegen die Politik des Staates wenden auf unweiger-lichen vaumlterlichen Zorn Die 15 Jahre nach 1999 illus-trieren diese Haltung sehr deutlich

nichtregierungsorganisationen als raquofeindelaquo2004 hat Praumlsident Putin in seiner jaumlhrlichen Parla-mentsansprache Nichtregierungsorganisationen die auch nur irgendwelche Gelder aus dem Ausland erhalten direkt seine Feinde genannt 200405 wurde eine spe-zielle staatliche Struktur der raquoFoumlderale Dienst fuumlr Regis-

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trierunglaquo (raquoRosregistrazijalaquo) geschaffen ndash eine Polizei fuumlr NGOs Es wurden fuumlr NGOs Rechenschaftspflich-ten uumlber ihre Taumltigkeit eingefuumlhrt die fuumlr zwei Drit-tel der Organisationen nicht zu stemmen waren Von 2006 bis 2008 hat diese dem Justizministerium nach-geordnete Behoumlrde die Aufloumlsung Zehntausender zivil-gesellschaftlicher Organisationen per Gerichtsbeschluss erwirkt Weitere 50000 erhielten Verwarnungen Ins-gesamt befanden sich beim Amtsantritt des Zwischen-praumlsidenten Medwedew achtzig Prozent der in Russland existierenden Organisationen (ungefaumlhr 150ndash180000) nur einen Schritt von ihrer moumlglichen Aufloumlsung (aus formalen Gruumlnden) durch das Justizministerium ent-fernt Staatsfreundliche Strukturen (wie etwa die Gesell-schaftskammer) haben beharrlich die Vorstellung trans-portiert dass es in Russland tatsaumlchlich nicht mehr als 30000 gesellschaftliche Organisationen (NGOs) gebe Das Anhalten der repressiven Maschine gegen NGOs war eine der wenigen liberalen Zugestaumlndnisse Dmitrij Medwedews als Praumlsident raquoRosregistrazijalaquo wurde 2008 selbst aufgeloumlst und seine Funktionen zur Kontrolle der Nichtregistrierungsorganisationen direkt dem Justiz-ministerium uumlbertragen Viele ehemalige Mitarbeiter von raquoRosregistrazijalaquo einschlieszliglich des Behoumlrdenlei-ters wechselten zur Staatsanwaltschaft

2009 und 2010 ritten die Behoumlrden nur vereinzelte Angriffe auf Nichtregistrierungsorganisationen Ein besonders bekannter Fall war die blitzartige staatsan-waltschaftliche Uumlberpruumlfung von 40 Menschenrechtsor-ganisationen im September 2010 die auf Anweisung der Praumlsidialadministration erfolgte diese wollte vor dem Treffen der Leiter der Kommission von Wladislaw Sur-kow und Michael MacFaul kompromittierende Mate-rialien uumlber aus dem Ausland finanzierte Organisatio-nen praumlsentieren Insgesamt aber hat bis zur Ruumlckkehr Putins in das Praumlsidentenamt kein ernstliches Vorgehen der Behoumlrden gegen die NGOler gegeben

Die situation der zivilgesellschaft nach dem mai 2012Die Situation aumlnderte sich grundlegend im Mai 2012 nach der dritten Inauguration Putins die von Mas-senprotesten auf dem Bolotnaja-Platz begleitet wurde denen die bis heute andauernden sogenannten Bolot-naja-Verfahren folgten naumlmlich die strafrechtliche Ver-folgung und Verurteilung zu Gefaumlngnisstrafen von Teil-nehmern der regierungskritischen Demonstration vom 6 Mai 2012 Die Praumlsidialadministration wappnete sich mit der ultrakonservativen Politik einer demonstrativen Absage an liberale Werte fuumlr den Praumlsidenten wurde das Image eines Verteidigers traditioneller Werte aufgebaut die den Menschenrechten und buumlrgerlichen Freiheiten gegenuumlbergestellt werden

Die weitgehenden Beschraumlnkungen der Versamm-lungsfreiheit die Verfolgung von Schwulen und Les-ben die Angriffe auf die Redefreiheit im Internet die Herstellung staatlicher Kontrolle uumlber die Medien die Diskreditierung des Instituts der Wahlen wurden durch eine Kampagne zur Verfolgung von Nichtregierungsor-ganisation ergaumlnzt Diese Welle wurde unter der Losung losgetreten dem Einfluss aus dem Ausland entgegenzu-wirken Sie erfolgte durch Aumlnderungen im Gesetz uumlber nichtkommerzielle Organisationen (NGOs) das Aumlnde-rungsgesetz wurde als raquoGesetz uumlber auslaumlndische Agen-tenlaquo bekannt Praumlsident Putin persoumlnlich ist bekann-termaszligen dessen geistiger Vater Im Verlauf des Jahres 2013 organisierte die Staatsanwaltschaft die vom Jus-tizministerium die Funktion der Kontrolle uumlber Nicht-regierungsorganisationen uumlbernommen hatte die Uumlber-pruumlfung von rund tausend NGOs und lieszlig sich dabei lediglich von einem Kriterium leiten naumlmlich der Frage ob eine Organisation in irgend einer Art Gelder aus irgendeiner Art auslaumlndischer Quelle erhaumllt die Ver-einten Nationen den Europarat und private Nichtre-gierungsstrukturen eingeschlossen Auch eine Reihe deutscher Stiftungen und Organisationen waren Atta-cken ausgesetzt naumlmlich die Friedrich-Ebert-Stiftung die Konrad-Adenauer-Stiftung und der Deutsch-Rus-sische Austausch

Ziel der von Generalstaatsanwalt Jurij Tschajka ini-tiierten Kampagne war es moumlglichst viele Organisa-tionen dazu zu noumltigen sich als auslaumlndischer Agent registrieren zu lassen Die Reaktion der russischen Zivil-gesellschaft laumlsst sich wohl als deutlichsten Beweis ihrer Existenz bezeichnen Nach dieser halbjaumlhrigen Kam-pagne in allen Regionen des Landes hatte sich keine einzige Organisation im Verzeichnis der raquoauslaumlndi-schen Agentenlaquo registrieren lassen Die Zivilgesellschaft hatte ndash ohne sich zu verabreden ndash die Anwendung die-ses Gesetzes sabotiert und Dutzende Organisationen zogen mit Beschwerden gegen das Vorgehen der Staats-anwaumllte vor Gericht Diese ewig langen Gerichtspro-zesse dauern bis heute an Involviert sind mittlerweile auch das Oberste Gericht das Verfassungsgericht der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte die Vene-dig-Kommission des Europarates der Menschenrechts-kommissar des Europarates und die Regierungschefs aller groszligen westlichen Staaten

Heute nach den diesjaumlhrigen Ereignissen in der Ukraine ist weithin klar gewonnen dass Wladimir Putin bei seiner Hingabe an extremen Konservatismus und bei seiner Attacke gegen liberale Werte die die Grundlage der Nachkriegsordnung dargestellt haben bei Repressionen gegen Nichtregierungsorganisationen nicht halt macht Heute in einer Situation da von jenem Moment wo im Kopf des Praumlsidenten oder von irgend

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jemandem in dessen engster Umgebung die naumlchste Idee zur Beschraumlnkung der Menschenrechte entsteht bis zur Verabschiedung und dem Inkrafttreten eines entsprechenden Foumlderalen Gesetzes nur eine Woche vergehen kann koumlnnen jene die Menschenrechtsar-

beit machen solche Schritte der Regierung weder aus-zuschlieszligen noch sie vorhersehen Es bleibt einem nur auf wirklich alle Szenarien gefasst zu sein auch auf die schlimmsten

Uumlbersetzung Hartmut Schroumlder

Uumlber den AutorPawel Chikow Vorsitzender der Interregionalen Assoziation der Buumlrgerrechtsorganisationen raquoAGORAlaquo Mitglied des Rats fuumlr die Entwicklung der Zivilgesellschaft und fuumlr Menschenrechte beim Praumlsidenten der Russischen Foumlderation

ANALYSE

ngos in russlandJens Siegert Moskau

zusammenfassungUnabhaumlngige russische NGOs sind seit Praumlsident Putins Amtsantritt Ziel staatlichen Drucks Die Auseinan-dersetzung mit diesem Druck hat bei den NGOs zu einer schrittweisen und beindruckenden Professionali-sierung beigetragen die wiederum geholfen hat trotz dieses Drucks nicht nur zu uumlberleben sondern auch ihre Arbeit weiter machen zu koumlnnen Das vor knapp zwei Jahren in Kraft getretene sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo stellt die NGOs vor eine neue harte Probe Zudem versucht der Staat erneut NGOs auch institutionell in raquogutelaquo und raquoboumlselaquo einzuteilen Dieser neue Versuch NGOs unter direkte staatliche Kontrol-le zu bringen gefaumlhrdet die Existenz unabhaumlngiger und staatskritischer NGOs in Russland

Putin und die ngosSeit Wladimir Putin vor nun schon fast 15 Jahren rus-sischer Praumlsident wurde versucht er sehr erfolgreich alle autonomen politischen Subjekte in Russland der direkten Kontrolle des Staates besser noch des Kremls zu unterwerfen In Wirtschaft und Politik ist das wei-testgehend gelungen Bei den Massenmedien sehr weit-gehend Blieben und bleiben die NGOs Sie haben sich als am widerstaumlndigsten erwiesen Das hat unterschied-liche Gruumlnde

Erstens galten NGOs im Kreml lange nicht als son-derlich gefaumlhrliche politische Bedrohung Das aumlnderte sich kurzzeitig 20042005 als der Kreml vor allem bei der sogenannten Orangenen Revolution in der Ukraine aus dem Ausland finanzierte NGOs als wichtige trei-bende Kraft der politischen Veraumlnderungen betrachtete Doch hielt diese seinerzeit stark uumlbertriebene Angst vor der Moumlglichkeit aumlhnlich raquoumstuumlrzlerischer Machen-schaftenlaquo in Russland nur recht kurz an Danach etwa ab Ende 2006 und bis zur Protestwelle gegen Wahlfaumll-schungen und die Wiederwahl von Wladimir Putin zum russischen Praumlsidenten im Winter 20112012 periodisch blieben die Aufmerksamkeit den NGOs gegenuumlber und das Verhaumlltnis zwischen Staat und NGOs ambivalent

Dieses Verhaumlltnis schwankt seit Putins Machtan-tritt zwischen dem Misstrauen des Staates allen auto-nomen potentiell eigenstaumlndigen politischen Subjekten gegenuumlber (die aus seiner Sicht streng kontrolliert gehouml-ren) und der Erkenntnis dass NGOs eine ganze Reihe wichtiger sozialer und politischer Funktionen ausfuumll-len die der Staat nicht oder nicht mehr zu gewaumlhrleis-ten in der Lage ist Auszligerdem erwiesen sich die NGOs nach weitgehender Abschaffung der Pressefreiheit und Gleichschaltung der (ohnehin schwachen und in vielen Bereichen dysfunktionalen) politischen Parteien fuumlr den Kreml als nuumltzlicher ja mitunter notwendiger Kommu-nikationskanal in die Gesellschaft

Die Uumlberlebensfaumlhigkeit der russischen ngosDas Uumlberleben unabhaumlngiger NGOs wurde bis heute auszligerdem durch ihre groszlige politische und institutio-nelle Lernfaumlhigkeit gewaumlhrleistet Unter dem staatli-chen Druck der vergangenen 15 Jahre ist die NGO-Arbeit in Russland in fast allen Bereichen professioneller geworden Das gilt insbesondere fuumlr die Einhaltung der in vielem widerspruumlchlichen oft geaumlnderten und uumlber Verwaltungsakte zu wahren buumlrokratischen Monstern

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aufgeblaumlhten die NGOs betreffenden Gesetze Kurz gesagt Vor allem Juristen Buchhalter Geschaumlftsfuumlh-rer die NGOs beraten oder in ihnen arbeiten aber auch viele Aktivisten sind schlicht besser schneller und pro-fessioneller als die staatliche Finanz- Justiz- oder sons-tige Verwaltung Einem in vielem legalistischen Staat gegenuumlber kostet diese staumlndige Professionalisierung (auch im Sinn einer Art raquolebenslangen Lernenslaquo) zwar viel Kraft und es muumlssen dafuumlr nicht geringe Ressour-cen eingesetzt werden aber sie verschafft solange es sich nicht um frontale Angriffe handelt immer wieder Raum und Zeit zum Weitermachen

Damit komme ich zum dritten Grund fuumlr die beson-dere Widerstaumlndigkeit von NGOs in Russland Es ist fuumlr einen Staat (und seine Staatsmaumlnner und -frauen) fuumlr den der Eigensinn der Menschen nur schwer vorstell-bar ist und der vom eigenen Zynismus geleitet hin-ter jedem und allem irgendwelchen raquofremden Maumlchtelaquo Verschwoumlrungen und politischen Utilitarismus vermutet ganz offenbar schwer vorstellbar dass zivilgesellschaftli-ches Engagement sozusagen aus sich selbst heraus oder aus einer bestimmten Situation oder einem bestimmten Ereignis einem Erlebnis oder einer Erfahrung heraus entsteht Administrative auch strafrechtliche Maszlig-nahmen gegen dieses Engagement laufen eben deshalb immer wieder zwar nicht voumlllig ins Leere (sie erschwe-ren dieses Engagement mitunter enorm) aber sie koumln-nen es nicht verhindern Es verlagert sich immer wieder und findet immer neue Formen und Foren

Die Verstaumlrkung der staatlichen kontrolleBis heute gab es unter Putin drei groumlszligere Versuche unab-haumlngige NGOs unter mehr oder weniger direkte staatli-che Kontrolle zu bringen und diejenigen die sich dagegen wehrten entweder zu marginalisieren oder auch zu schlie-szligen Der erste im Jahr 2001 endete mit einem oben schon angedeuteten Kompromiss der das Verhaumlltnis Kreml-NGOs in einem (allerdings jederzeit prekaumlren) Gleich-gewicht zwischen Konfrontation und Kooperation hielt

Der zweite Versuch endete in der Verabschiedung des raquoNGO-Gesetzeslaquo Ende 2005Anfang 2006 das den NGOs weitergehende Berichtspflichten auferlegte in der Praxis also Ressourcen band und bindet aber ebenfalls in der Praxis und entgegen anderslautenden Befuumlrchtungen nicht zu wesentlichen Einschraumlnkun-gen in der Arbeit russische NGOs fuumlhrte Die groumlszligte negative Wirkung dieses Versuches duumlrfte von zahlrei-chen oumlffentlichen Aumluszligerungen hochgestellter Politiker bis hin zu Putin ausgegangen sein NGOs seien raquoFeindelaquo raquoSchakale die um auslaumlndische Vertretungen streunenlaquo Dadurch wurde die Einstellung von Teilen der Gesell-schaft vor allem aber von weiten Teilen der Verwaltung zu NGOs grundsaumltzlich negativ gepraumlgt

Der dritte Versuch begann als Teil der staatlichen Reaktionen auf den Protestwinter 20112012 und haumllt bis heute an Sein wichtigster Bestandteil ist das soge-nannte raquoNGO-Agentengesetzlaquo das eigentlich kein eigenes Gesetz ist sondern aus einer Reihe dem NGO-Gesetz neu hinzugefuumlgter oder geaumlnderter Paragraphen besteht Diese Vorschriften verpflichten NGOs die raquosich politisch betaumltigenlaquo und Geld oder andere Zuwendun-gen aus dem Ausland erhalten sich beim Justizminis-terium als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren zu lassen Danach muumlssen sie jede oumlffentliche Aumluszligerung mit dem Zusatz raquoauslaumlndischer Agentlaquo versehen

Die Durchsetzung des AgentengesetzesTrotz erheblichen staatlichen raquoPressingslaquo der raquoUumlber-pruumlfunglaquo von mehr als 700 NGOs in ganz Russland durch Staatsanwaltschaft Justizministerium Finanz-amt und eine Reihe anderer Behoumlrden ab dem Fruumlhjahr 2013 hatte sich im Fruumlhjahr 2014 erst eine NGO als raquoauslaumlndischer Agentlaquo im entsprechenden Register des Justizministeriums eintragen lassen (lthttpunromin justruNKOForeignAgentaspxgt) Alle anderen selbst diejenigen NGOs die von den Behoumlrden als raquoAgentenlaquo eingestuft und teilweise mit empfindlichen Geldstra-fen belegt worden waren weigerten sich und weigern sich bis heute Viele NGOs klagten und klagen sowohl gegen das Gesetz als auch gegen die raquoUumlberpruumlfungenlaquo und die aus ihnen von den Justizbehoumlrden abgeleite-ten Bescheide und Anweisungen vor russischen Gerich-ten aber auch vor dem Europaumlischen Gerichtshof fuumlr Menschenrechte (EGMR) Eine Entscheidung des rus-sischen Verfassungsgerichts hat die raquoAgentenparagra-phenlaquo fuumlr verfassungskonform erklaumlrt wenn auch einige Einzelbestimmungen darunter die zu Mindeststrafen aufgehoben

Im Juni 2014 beschloss die Staatsduma eine Verschaumlr-fung der raquoAgentenlaquo-Paragraphen des NGO-Gesetzes Seither hat das Justizministerium das Recht NGOs auch ohne deren Zustimmung in das raquoAgentenlaquo-Register ein-zutragen Bis heute (21102014) hat es 15 NGOs getrof-fen Es ist damit zu rechnen das weitere folgen werden Justizminister Jurij Tschajka hat bereits 2013 im Foumlde-rationsrat von 24 NGOs gesprochen die nach Ansicht des Ministeriums raquoAgentenlaquo seien Auszligerdem wurden 2013 und 2014 mehr als 40 NGOs von der Staatsanwalt-schaft aufgefordert sich vorsorglich als raquoAgentenlaquo regis-trieren zu lassen da sie Geld aus dem Ausland bekaumlmen und Gefahr liefen sich raquopolitisch zu betaumltigenlaquo

Die reaktionen der ngos auf das AgentengesetzDie praktischen Reaktionen der NGOs auf diesen staat-lichen Druck sind unterschiedlich Einige NGOs wie

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die Wahlbeobachter von raquoGoloslaquo haben sich als juris-tische Personen aufgeloumlst oder sind wie die raquoJuristen fuumlr Verfassungsrechte und Freiheitlaquo dabei sich aufzu-loumlsen (ein juristisch und administrativ nicht ganz ein-facher und langwieriger Vorgang) Fast alle NGOs die sich aufloumlsen haben aber erklaumlrt ihre Arbeit auch ohne juristischen Status fortsetzen zu wollen Rechtlich ist das moumlglich Praktisch werden diese NGOs auf zahlreiche neue Probleme treffen wohl bis hin zur moumlglichen Kri-minalisierung einzelner Personen

Einige andere NGOs darunter das Menschenrechts-zentrum Memorial machen weiter wie bisher Sie fech-ten meist die Eintragung in das raquoAgentenregisterlaquo vor Gericht an (in der Regel ohne besonderen Erfolg) Das Menschenrechtszentrum Memorial aber auch einige andere NGOs wollen bis zum EGMR gehen unter ande-rem weil sie das Gesetz insgesamt fuumlr unmoralisch und verfassungswidrig haumllt

Eine weitere Reaktion ist eine Art Hase-und-Igel-Spiel mit den Behoumlrden Das kann sich in einem Geflecht von unterschiedlichen NGOs ausdruumlcken die unter-schiedliche Funktionen wahrnehmen Eine NGO macht politische Erklaumlrungen und betreibt Lobbying Ihre Aktivistinnen arbeiten ausschlieszliglich ehrenamt-lich Eine andere bekommt auslaumlndische Finanzierung fuumlr Projekte die auch nach der Definition von Staatsan-waltschaft und Justizministerium nicht raquopolitischlaquo sind Wieder andere NGOs weichen auf Organisationsformen (juristische Personen) jenseits des NGO-Gesetzes aus die dann nicht den raquoAgentenparagraphenlaquo unterliegen

Der Vorstoszlig gegen memorialAllerdings beschraumlnkt sich die staatliche Behinderung und Bedrohung von NGOs nicht auf das relativ neue Agentengesetz Alle anderen laumlnger erprobten adminis-trativen bis strafrechtlichen Instrumente bleiben eben-falls im Einsatz Juumlngstes und bekanntestes aber bei weitem nicht einziges Beispiel ist der Schlieszligungsan-trag des Justizministeriums vor dem Obersten Gericht gegen raquoMemorial Russlandlaquo raquoMemorial Russlandlaquo ist ein Netzwerk aus rund 50 regionalen und thematischen Memorial-Organisationen und selbst eine von mehr als 60 Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Internatio-nallaquo (Zum Memorial-Netzwerk siehe lthttprusslandboellblogorg20141011wie-funktioniert-memorial-ein-kleiner-wegweiser-durch-eine-zugegeben-kompli zierte-strukturgt) Bei einer der regelmaumlszligigen Pruumlfun-

gen stellte das Justizministerium Anfang 2012 also vor Beginn der jetzigen Repressionswelle gegen NGOs fest dass die seit Gruumlndung der Organisation geltende konfouml-derative Struktur von raquoMemorial Russlandlaquo raquonicht dem Gesetz entsprechelaquo und geaumlndert werden muumlsse Insbe-sondere behagt dem Justizministerium nicht dass die Mehrzahl der Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Russlandlaquo ihrerseits eigenstaumlndige juristische Personen sind raquoMemorial Russlandlaquo muumlsse sich zentralistisch organisieren und die regionalen Memorial-Organisa-tionen zu Filialen werden Ohne hier ins Detail gehen zu koumlnnen wuumlrde das aber zu weiteren Problemen fuumlh-ren die wiederum die Schlieszligung von Memorial durch das Justizministerium zum Ergebnis haumltten Memorial sucht einen Ausweg das Justizministerium betreibt die Schlieszligung Viele NGOs haben Probleme mit der Feu-erwehr dem Gesundheitsamt oder der Arbeitsschutzbe-houmlrde Beliebt ist in juumlngster Zeit auch die Kuumlndigung von Mietvertraumlgen (so unlaumlngst geschehen bei raquoGoloslaquo und der raquoBewegung fuumlr Menschenrechtelaquo)

soziale und politische ngosSeit dem Fruumlhjahr zeichnet sich noch ein weiterer Angriff auf unabhaumlngige und staatskritische NGOs ab Der von Michail Fedotow geleitete Zivilgesellschaftsrat beim Praumlsidenten beraumlt seit einiger Zeit eine erneute Aumlnde-rung des NGO-Gesetzes Er schlaumlgt vor die Agenten-paragraphen abzuschaffen und dafuumlr um den Befuumlrch-tungen des Kremls auf politische Einflussnahme (nicht nur aus dem Ausland) Rechnung zu tragen kuumlnftig eine Einteilung von NGOs in raquosozialelaquo und raquopolitischelaquo vor-zunehmen raquoSozialelaquo NGOs sollen diesen Vorschlaumlgen nach kuumlnftig steuerlich beguumlnstigt sein und staatliche Zuwendungen erhalten koumlnnen raquoPolitischelaquo NGOs wer-den hingegen von staatlicher Foumlrderung ausgeschlossen und sollen auf alle Zuwendungen insbesondere aber auf Zuwendungen aus dem Ausland einen noch fest-zulegenden Steuersatz zahlen Die Befuumlrworter dieser im Uumlbrigen im Zivilgesellschaftsrat nicht unumstrit-tenen Initiative verweisen darauf dass so die heute als raquoAgentenlaquo verfolgten NGOs eventuell noch gerettet wer-den koumlnnten waumlhrend staatliche Foumlrderung aller ande-ren verstaumlrkt wuumlrde Ein Gewinn also fuumlr alle Betei-ligten Tatsaumlchlich verbirgt sich hinter dem Vorschlag aber eine gefaumlhrliche Tendenz zur Entsolidarisierung in der NGO-Szene wie sie auch anderswo schon laumln-ger zu beobachten ist

Uumlber den AutorJens Siegert ist Diplompolitologe und leitet seit 1999 das Laumlnderbuumlro Russland der Heinrich Boumlll Stiftung in Mos-kau Davor arbeitete er in Moskau als Korrespondent fuumlr Radiostationen Zeitschriften und Zeitungen im deutsch-sprachigen Raum

Lesetipps finden Sie auf der naumlchsten Seite

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Lesetippsbull Siegert Jens Putin und die Zivilgesellschaft in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 12 06 2013

lthttprusslandboellblogorg20130612putin-und-die-zivilgesellschaftgtbull Siegert Jens Uumlber ein Jahr raquoNGO-Agentenlaquo-Jagd ndash eine Art Zwischenbericht in Russland-Blog (Hein-

rich-Boumlll-Stiftung Moskau) 4 Juni 2014 lthttprusslandboellblogorg20140604ueber-ein -jahr-agenten-jagd-eine-art-zwischenberichtgt

bull Siegert Jens Russische raquoNGO-Agentenjagdlaquo ndash eine Zwischenbilanz in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 7 Juni 2013 lthttprusslandboellblogorg20130607russische-ngo-agentenjagd-eine-zwischenbilanzgt

bull Siegert Jens Erklaumlrung Permer NGOs warum sie sich unter keinen Umstaumlnden als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren lassen in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 26 Mai 2013 lthttprusslandboellblogorg20130526erklarung-permer-ngos-warum-sie-sich-unter-keinen-umstanden-als-auslandische-agenten-registrieren-lassengt

bull Siegert Jens Memorial raquoNGO-Agentengesetzlaquo ist ungesetzlich und unmoralisch Keine freiwillige Registrierung als raquoauslaumlndischer Agentlaquo in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 22 September 2013 lthttpruss landboellblogorg20120922memorial-ngo-agentengesetz-ist-ungesetzlich-und-unmoralisch-keine-freiwillige-registrierung-als-auslandischer-agentgt

bull Siegert Jens Sozialer Wandel und politische Dynamik in Russland 201112 in Russland-Analysen Nr 245 19 Oktober 2012 lthttpwwwlaender-analysenderusslandpdfRusslandanalysen245pdfgt

ANALYSE

ein kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen engagements zur Unterstuumltzung und integration von migranten in russlandMarina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin

zusammenfassungObwohl die Wirtschaft Russlands aufgrund der ruumlcklaumlufigen Bevoumllkerungszahl auf Migranten angewiesen ist ist der Groszligteil der Bevoumllkerung des Landes Migranten gegenuumlber skeptisch und oft geradezu fremden-feindlich eingestellt Durch eine schlecht koordinierte staatliche Migrationspolitik ist die Lage der Arbeits-migranten meist prekaumlr Initiativen aus der Zivilgesellschaft versuchen die Situation der Migranten zu ver-bessern und leisten Aufklaumlrungsarbeit in der Bevoumllkerung sowie konkrete Hilfestellungen fuumlr Migranten Die Arbeit solcher Aktivisten wird jedoch oftmals durch staatliche Einmischung erschwert

immigration nach russland als gesellschaftliches ProblemDie widerspruumlchliche Migrationspolitik der russischen Regierung und die aufgeheizte Stimmung in der Bevoumll-kerung haben 2013 zu vermehrten xenophoben Uumlbergrif-fen auf Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien gefuumlhrt (siehe beispielsweise die Unruhen in Birjuljowo im Oktober 2013) Diese Entwicklung wirft die Frage auf welche Haltung die russische Zivilgesellschaft hierzu einnimmt Gibt es zivilgesellschaftliche Initiativen die dieser fremdenfeindlichen Stimmung entgegenwirken

In der russischen Oumlffentlichkeit ist oft von einer Flut von Arbeitsmigranten aus den GUS-Staaten die Rede doch in Wirklichkeit ist die Immigration nach Russ-land im internationalen Vergleich gering Zudem zeigen Zahlen der Staatlichen Statistikbehoumlrde raquoRosstatlaquo dass

die russische Wirtschaft aufgrund der demographischen Entwicklung in zunehmendem Maszlige Arbeitskraumlfte aus dem Ausland benoumltigt (bis 2030 ndash so die Prognose ndash soll die russische arbeitsfaumlhige Bevoumllkerung um 103 Mil-lionen Menschen abnehmen)

Trotzdem gibt es starke fremdenfeindliche Stimmun-gen die sich gegen Immigranten aus Zentralasien und dem Kaukasus richten Diese Ablehnung von Migran-ten hat zugenommen und schafft den Naumlhrboden fuumlr Pogrome wie 2006 in Kondopoga 2010 auf dem Mos-kauer Manegenplatz sowie 2013 in der Stadt Pugat-schow und dem Moskauer Vorort Birjuljowo Angst und Verachtung gegenuumlber Fremden ziehen sich durch alle Gesellschaftsschichten Sie werden als Kriminelle und Illegale stigmatisiert und nicht nur Nationalisten ver-wenden die Losung raquoRussland den Russenlaquo um Ras-

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sismus zu schuumlren und die Stimmung gegen Migranten weiter anzuheizen

es gibt keine migrationspolitikDiese interethnischen Konflikte spiegeln sich auch im russischen Alltag wieder Der durch den Foumlderalen Migrationsdienst praktizierte administrative und poli-zeiliche Umgang mit Migration ist nicht effektiv Eine Stigmatisierung der Migranten als potenzielle Krimi-nelle und eventuelle Uumlberlegungen zur Verschaumlrfung des Migrationsgesetzes koumlnnen die Probleme nicht loumlsen die gerade auch auf kommunaler Ebene anfallen Die nur situativen politischen Maszlignahmen fuumlhren mitunter zu einer Verschaumlrfung des Problems Eine uumlbergreifende Strategie existiert nicht die Politik weiszlig auf die Migra-tionsfrage keine Antwort Ein autoritaumlres zentralisier-tes System ist nicht im Stande die regionalen Probleme dieses riesigen Landes zu loumlsen deshalb liegt es vor allem an der Zivilgesellschaft sich diesen Themen zu widmen

zivilgesellschaftliche Projekte AufklaumlrungsarbeitIn Moskau und Sankt Petersburg gibt es verschiedene nichtstaatliche Projekte die sich sowohl fuumlr mehr Tole-ranz als auch fuumlr die Integration der Migranten einsetzen

Einige von ihnen bestehen schon mehrere Jahre Boris Romanow ist einer der Gruumlndervaumlter eines zivil-gesellschaftlichen Netzwerks zur Unterstuumltzung von Menschen mit Migrationshintergrund in Sankt Peters-burg Er arbeitet mit den unterschiedlichsten NGOs zusammen die zu Themen wie Toleranz Antirassis-mus Homophobie Antiziganismus und Antisemitis-mus arbeiten Finanziert durch das Goethe-Institut rief er 2012 raquoRespektlaquo ins Leben ein Comic-Projekt inter-nationaler Kuumlnstler mit dessen Hilfe Schuumller ihr Den-ken uumlber Fremde reflektieren und selbst in Frage stel-len koumlnnen Laut Romanow scheitern solche Projekte oft an der Buumlrokratie der Kommunen Durch das neue NGO-Gesetz gebe es kaum noch Kontaktmoumlglichkei-ten zu staatlichen Schulen erlaumlutert Romanow so dass eine Zusammenarbeit houmlchstens uumlber einzelne Lehrer nicht jedoch uumlber die Schuldirektion moumlglich sei Dies widerspreche dem Konzept zivilgesellschaftlicher Arbeit die vor allem jedermann offen stehen will Durch das geschlossene staatliche Schulsystem komme es selten zu einer Kooperation mit interessierten Lehrern Die Zusammenarbeit von Staat und Zivilgesellschaft ist unabdingbar macht aber die Finanzierung der Projekte schwierig da sie im Falle einer Unterstuumltzung auslaumln-discher Sponsoren unter das neue NGO-Gesetz fallen

Im Zuge der neuen NGO-Gesetzgebung wurde das Antidiskriminierungszentrum raquoMemoriallaquo in Sankt Petersburg geschlossen Dessen ehemaliger Mitarbei-

ter Andrej Jakimow ist Anthropologe Seine langjaumlh-rige Arbeit mit ethnischen Minderheiten wie Sinti und Roma Arbeitsmigranten und Staatenlosen macht ihn zu einem erfahrenen Koordinator der raquoStiftung zur Unter-stuumltzung und Entwicklung von Bildungs- und Sozial-projektenlaquo (raquoPSP-Fondlaquo) in Sankt Petersburg Auch fuumlr ihn zaumlhlt die aktive Aufklaumlrungsarbeit zu den wichtigs-ten Punkten seines zivilgesellschaftlichen Engagements Die juristische und psychologische Betreuung von Mig-ranten stehen neben der Sensibilisierung der russischen Bevoumllkerung im Zentrum seiner Arbeit Seiner Erfah-rung nach interessieren sich die OSZE und die UNO nur marginal fuumlr diese Themen also muumlssen die Pro-bleme der Arbeitsmigranten auf nationaler Ebene geloumlst werden Seine Kontakte zu verschiedenen Netzwerken in den Auswanderungslaumlndern helfen den Migranten sich schon vor der Einreise nach Russland auf den Aufenthalt vorzubereiten In der Zusammenarbeit von Staat und Experten sieht Jakimow eine Moumlglichkeit eine effek-tive Migrationspolitik zu entwickeln

fuumlr die Verbesserung der migrationspolitikAumlhnlich denken auch Wjatscheslaw Postawnin und Natalja Wlasowa die die Stiftung raquoMigrazija XXI weklaquo (raquoMigration im 21 Jahrhundertlaquo) gegruumlndet haben Sie selbst sind ehemalige Mitarbeiter des Foumlderalen Migra-tionsdienstes und kennen die staatliche Migrationspoli-tik von innen Die Regierung unter Putin scheint keiner-lei Loumlsungsansaumltze fuumlr die immer staumlrker zunehmende Xenophobie in Russland zu erarbeiten In den fuumlnf Jah-ren ihrer Existenz hat sich die Organisation in Mos-kau zu einem unabhaumlngigen intellektuellen und wissen-schaftlichen Zentrum entwickelt das Vorschlaumlge fuumlr die Verbesserung der staatlichen Migrationspolitik ausarbei-tet Diese Vorschlaumlge werden oft von der Administration des Praumlsidenten beruumlcksichtigt jedoch nicht sofort und ohne Nennung der Urheberschaft In Zusammenarbeit mit der Weltbank und dem Netzwerk raquoMirpallaquo (raquoMigra-tion and Remittance Peer-Assisted Learninglaquo) erstellt die Organisation Statistiken zu den Migrationsstroumlmen aus den GUS Staaten die oftmals stark von den offiziellen Zahlen des Foumlderalen Migrationsdienstes abweichen

fluumlchtlingsarbeitDie von Swetlana Gannuschkina einer wichtigen Men-schenrechtlerin in Russland 1990 mitbegruumlndete Orga-nisation raquoGrashdanskoje sodejstwijelaquo (raquoBuumlrgerhilfelaquo) beschaumlftigt sich nicht nur mit Arbeitsmigration sondern zu vier Fuumlnfteln mit Fluumlchtlingen Es war die erste Orga-nisation dieser Art in Moskau und wurde im Zusam-menhang mit dem Konflikt um Berg-Karabach und dem Krieg in Tschetschenien gegruumlndet um den Fluumlchtlin-gen aus diesen Regionen zu helfen Die Unterstuumltzung

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der Arbeitsmigranten umfasst juristische Konsultation und die Loumlsung administrativer Fragen z B bei nicht ausgezahlten Gehaumlltern Deportationen Einreisever-boten Die Organisation stellt juristischen Beistand bei unbegruumlndeten Klagen gegen Migranten hilft bei Kla-gen gegen Arbeitgeber wegen nicht ausgezahlter Loumlhne fuumlhrt ein Projekt gegen Hate Crimes durch und veran-staltet Spendenaktionen auf ihrer Webseite Besonders die aumlrztliche Versorgung ist wichtig da der staatliche Notdienst Migranten oft seine Hilfe verwehrt raquoGrash-danskoje sodejstwijelaquo arbeitet eng mit dem Fluumlchtlings-hilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) der Inter-nationalen Organisation fuumlr Migration (IOM) und mit dem Netzwerk raquoMigrazija i prawolaquo (raquoMigration und Rechtlaquo) einem Programm des Menschenrechtszentrums raquoMemoriallaquo zusammen Obwohl in der offiziellen Rhe-torik die Bedeutung der Migration fuumlr Russland unter-strichen wird (wie zum Beispiel in der raquoKonzeption der staatlichen Migrationspolitik 2025laquo) beobachtet man in der Praxis meist die stumme Hinnahme der Uumlber-griffe auf Arbeitsmigranten Nach dem Inkrafttreten des NGO-Gesetzes fand bei der Organisation eine Uumlberpruuml-fung durch die Staatsanwaltschaft statt Ob und wenn ja wie dieses Projekt weiterlaufen wird ist bis heute unklar

Arbeit mit fluumlchtlingskindernIm Rahmen der Organisation raquoBuumlrgerhilfelaquo gibt es zudem ein raquoZentrum fuumlr Integration und Unterricht fuumlr Fluumlchtlingskinderlaquo da das staatliche Programm mit dem Kinder mit Migrationshintergrund Russisch lernen nicht ausreichend ist

Aumlhnlich wie ihre Kollegen aus Moskau arbeiten die Freiwilligen des zivilgesellschaftlichen Projekts raquoDeti Peterburgalaquo (raquoKinder von Petersburglaquo) mit Kindern des-sen Eltern aus den unterschiedlichsten Gruumlnden nach Russland immigriert sind Zwei Projektkoordinatoren der Organisation raquo[Wahl]Beobachterlaquo Daniil Ljubarow und Irina Beljaewa haben 2012 raquoDeti Peterburgalaquo gegruumlndet Angefangen mit einem Angebot von Russisch-Grundkur-sen fuumlr Vorschuumller mit Migrationshintergrund hat sich dieses Programm mittlerweile so weit entwickelt dass Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre an sechs verschie-

denen Standorten in Sankt Petersburg an Russischkursen teilnehmen koumlnnen Bis 2014 hatte es noch nicht einmal feste Raumlumlichkeiten gegeben die Mitarbeiter der raquoDeti Peterburgalaquo organisierten sich ausschlieszliglich uumlber soziale Netzwerke Der virtuelle Raum verbindet diese Organi-sation auch mit anderen zivilgesellschaftlichen Projek-ten So zieht das Projekt nicht nur politische Aktivisten an sondern vor allem Paumldagogen Linguisten und Stu-denten die die Kurse vorbereiten und durchfuumlhren Der Aufbau von kreativen Zirkeln gehoumlrt genauso zur Arbeit von raquoDeti Peterburgalaquo wie die Koordination von Ausfluuml-gen in die Umgebung Museen oder Theatern Das Pro-jekt ist abhaumlngig von seinen Teilnehmern Die fehlen-den Sprachkenntnisse der Eltern fuumlhren oft zu groszligen Kommunikationsproblemen Aber auch die wechselnden und meist aumluszligerst schwierigen Arbeitszeiten der Eltern erschweren die Durchfuumlhrung des Projekts Die staumldti-sche Buumlrokratie versucht den Elan der Mitarbeiter zu bremsen Auch deshalb bleibt das Projekt nichtstaatlich

fazitMisstrauen gegenuumlber der Regierung soziale Probleme und Alltagsrassismus bewegen immer mehr Menschen dazu sich eigenstaumlndig mit der negativen Entwicklung beim Umgang mit Migranten zu beschaumlftigen Aus Inter-views mit den Mitarbeitern der verschiedenen Organisa-tion laumlsst sich schlieszligen dass eine russische Zivilgesell-schaft entstanden ist die die Migrationsfrage einerseits als Arbeit mit der Mehrheits- also russischen Bevoumllkerung betrachtet um diese zu sensibilisieren Anderseits gibt es Initiativen die vor allem konkrete Hilfe fuumlr Migranten leisten um deren alltaumlgliche Probleme zu minimieren

Die Zivilgesellschaft bemuumlht sich Vorurteile abzu-bauen die Migrationspolitik realistischer zu machen und Migranten wie Fluumlchtlingen konkrete Hilfestellung zu geben Die Behoumlrden sabotieren diese Arbeit In den Groszligstaumldten wird der Zuzug von Migranten restriktiv gehandhabt Arbeitgeber wissen um den oft schwierigen Status der Migranten und nutzen die Situation aus um die Migranten weiter auszubeuten Die Arbeit der Zivil-gesellschaft zur Sensibilisierung der russischen Bevoumllke-rung wird durch die offizielle Politik oft konterkariert

Uumlber die AutorenIm Rahmen des Projektkurses raquoZiviler Ungehorsam Gesellschaft und Staat in Osteuropalaquo reisten die Studierenden des Osteuropa-Instituts der Freien Universitaumlt Berlin Michael Bellmann und Kristina Arisov nach Moskau sowie Marina Grinfeld und Christina Huthmann nach St Petersburg um mit Aktivisten und Organisationen die sich fuumlr die Integration von Migranten in Russland einsetzen Interviews zu fuumlhren und die Position der Zivilgesellschaft zur Migrationsproblematik zu analysieren

Lesetippsbull Judah Ben Russiarsquos Migration Crisis in Survival 552013 Nr 6 S 123ndash131

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bull Malakhov Vladimir S Russia as a New Immigration Country Policy Response and Public Debate in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1062ndash1079

bull Schenk Caress Controlling Immigration Manually Lessons from Moscow (Russia) in Europe-Asia Studies 652013 Nr 7 S 1444ndash1465

bull Spahn Susanne Die gelenkte Xenophobie Migration und nationale Frage in Russland Russland nur fuumlr Russen in Osteuropa 642014 Nr 7 S 55ndash67

bull Tipaldou Sofia Katrin Uba The Russian Radical Right Movement and Immigration Policy Do They Just Make Noise or Have an Impact as Well in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1080ndash1101

UmFRAGE

Uumlber die zivilgesellschaft in russland

zur zivilgesellschaftlichen und politischen Aktivitaumlt der russen

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 15 stellen sie sich vor ihre nachbarn schlagen eine gemeinsame muumlllsammelaktion in der nahegelege-nen Parkzone vor Was waumlren sie bereit zu uumlbernehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator der Aktionwerden

An der Aktionmitwirken

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 16 haben sie im vergangenen halbjahrJahr hellip

0 20 40 60 80 100

hellip an den Aktivitaumlten einer non-profit Organisation teilgenommen als Freiwilliger gearbeitet

hellip sich mit gesellschaftlichen Problemen an ihrem Wohnort beschaumlftigt

hellip an Groszligveranstaltungen Demonstrationen Streiks Kundgebungen Umzuumlgen teilgenommen

Ja Keine Antwort Nein

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 23

grafik 17 stellen sie sich vor dass es an ihrem Wohnort zu massenhaften Wahlfaumllschungen kommt irgend-jemand ruft zur Durchfuumlhrung von Protestaktionen gegen die Wahlfaumllschungen auf Was wuumlrden sie unternehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator dieser Aktionwerden

An dieser Protestaktionteilnehmen

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 18 Waren sie haben sie sich in den vergangenen einndashzwei Jahren hellip

0 20 40 60 80 100

hellip Mitglied einer politischen Partei

hellip Wahlbeobachter

hellip an der Arbeit einer Menschenrechtsorganisation beteiligt

hellip sich im Internet (in sozialen Netzwerken auf Foren) zu politischen Themen geaumluszligert

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

zur gesellschaftlichen Aktivitaumlt

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

grafik 19 haben sie persoumlnlich in den vergangenen zweindashdrei Jahren an der taumltigkeit einer gesellschaftlichen organisation teilgenommen Wenn ja wie genau (beliebige zahl an Antworten)

6

6

5

2

2

84

1

050

Habe an gesellschaftliche Organisationen gespendetoder andere materielle Hilfe geleistet

Habe an Wohltaumltigkeitsveranstaltungen teilgenommen(Konzerte Ausstellungen Wohltaumltigkeitslotterie Auktionen)

Habe Freiwilligenarbeit geleistet (kostenlos)

Habe gegen Entgelt in einer gesellschaftlichenOrganisation gearbeitet

Habe Informationen zu den Taumltigkeitenvon gesellschaftlichen Organisationen verteilt

Nicht teilgenommen

Anderes

Keine Antwort

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 24

grafik 20 haben ihnen irgendwann einmal gesellschaftliche organisationen geholfen

0 20 40 60 80 100

Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja mit Geld geholfen Ja auf andere Weise geholfen Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

Die oumlffentliche meinung zu ngos mit auslaumlndischer finanzierung (April 2013)

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 21 mit welcher meinung zur taumltigkeit russischer ngos stimmen sie am ehesten uumlberein

Sie bringen einen groszligen Nutzen

4

Sie bringen mehr Nutzen als Schaden

15Sie bringen ebenso viel

Nutzen wie Schaden23

Sie bringen mehr Schaden als Nutzen

18

Sie bringen weder Nutzen noch Schaden

13

Keine Antwort27

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 22 ist es fuumlr sie wichtig ob eine russische menschenrechtsorganisation aus einheimischen oder auslaumln-dischen mitteln finanziert wird

Sehr wichtig10

Eher wichtig34

Nicht besonders wichtig24

Vollkommen unwichtig18

Keine Antwort14

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 25

grafik 23 Welche ziele verfolgen westliche laumlnder und organisationen die russische ngos mit mitteln aus-statten

Einen verstaumlrkten Einfluss auf die russische

Innenpolitik42

Einen Kampf gegen den russischen Staat

19Eine Unterstuumltzung der

russischen Zivilgesellschaft

8

Kein besonderes Ziel russische NGOs werden wie andere aus standardisierten

internationalen Programmen unterstuumltzt

12

Keine Antwort19

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 24 Duumlrfen organisationen die sich mit dem schutz der Buumlrgerrechte beschaumlftigen und den staat kriti-sieren das recht haben mittel aus dem Ausland zu beziehen

Ja20

Nein56

Keine Antwort24

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 25 Unterstuumltzen sie harte sanktionen gegen ngos die einer politischen taumltigkeit nachgehen und gelder aus dem Ausland erhalten sich aber nicht nach dem gesetz als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren

Auf jeden Fall20

Eher ja32

Eher nein15

Auf keinen Fall5

Keine Antwort28

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 26

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luumlgen des fernsehkanals ntV und Beanstandungen des Justizministeriums erklaumlrung des menschenrechtszentrums memoriAl und der russischen gesellschaft

memoriAl

Die Behauptung bei NTV das russische Justizministerium habe die Liquidierung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL eingeleitet fuumlhrte heute zu etlichen Irritationen Das Menschenrechtszentrum und die Russische Gesell-schaft MEMORIAL (die Dachorganisation der russischen Memorial-Verbaumlnde) haben aus diesem Anlass nachste-hende Erklaumlrung abgegeben

Am 10 Oktober strahlte NTV unter dem Titel raquoAuszligergewoumlhnliches Ereignislaquo eine Sendung aus die aus boumlswil-ligen Luumlgen aber auch aus Fehlinformationen in Folge von Unkenntnis bestand

Die Arbeit des Menschenrechtszentrums MEMORIAL als Unterstuumltzung von Extremisten und Terroristen dar-zustellen ist eine infame Luumlge Auf Unkenntnis basiert hingegen die Behauptung das Justizministerium habe des-halb den Antrag gestellt das Menschenrechtszentrum MEMORIAL zu liquidieren

In Wirklichkeit hat das Justizministerium beim Obersten Gericht der Russischen Foumlderation nicht die Aufloumlsung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL beantragt Es geht hier vielmehr um eine andere Organisation naumlmlich die Russische Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIAL

Die russische Gesellschaft MEMORIAL wurde vom Justizministerium bereits 1992 registriert Bis heute befinden sich unter ihrem Dach verschiedene Memorial-Verbaumlnde die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen

Im Jahre 2012 20 Jahre nach der ersten Registrierung tauchten beim Justizministerium ploumltzlich Zweifel hin-sichtlich des russischen Rechtsstatus von Memorial auf obwohl der Gesellschaft praktisch dieselben regionalen Ver-baumlnde angehoumlren wie zuvor und sich die Gesetzeslage in dieser Frage in keinem Punkt geaumlndert hatte

Geaumlndert hat sich allerdings die Position des Justizministeriums das erneut einen raquodemokratischen Zentralismuslaquo anstrebt der nach der Abschaffung der fuumlhrenden Rolle der KPdSU nicht mehr aktuell schien Heute erklaumlrt das Jus-tizministerium nur jene gesellschaftlichen Vereinigungen koumlnnten der Russischen Gesellschaft MEMORIAL ange-houmlren die in ihrer Bezeichnung die Worte raquoVerband (otdelenie) der Russischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklauml-rung Sozialarbeit und Menschenrechte MEMORIALlaquo tragen

Die gesetzliche Vorschrift dass eine Organisation nur dann einen gesamtrussischen Status haben kann wenn sie in uumlber der Haumllfte der Foumlderationssubjekte Verbaumlnde unterhaumllt legt das Justizministerium jetzt dahingehend aus dass diese Verbaumlnde zwangslaumlufig einen Status als Regionalverbaumlnde haben muumlssten Das Vorhandensein von Stadt- und Bezirksverbaumlnden einer Organisation reicht die Beamten als Beleg dafuumlr nicht aus dass die Organisation in der betreffenden Region taumltig ist

Die Vorbehalte des Justizministeriums entbehren jeglicher Grundlage Nicht zufaumlllig erhielten wir auf Anfragen keine Hinweise auf eine Gesetzesnorm Es ist fuumlr uns inakzeptabel dass das Justizministerium das von der Verfas-sung garantierte Recht von Buumlrgern eine Vereinigung zu bilden gesetzwidrig einschraumlnken will Deshalb hat sich die Russische Gesellschaft MEMORIAL bereits 2012 entschlossen vor Gericht zu gehen

Einen Hinweis auf ein Gesetz haben wir auch nicht erhalten als wir 2013 die Forderungen des Justizministeriums im Moskauer Zamoskvorezki-Bezirksgericht und danach im Stadtgericht angefochten haben Beide Instanzen gaben wie nicht anders zu erwarten dem Justizministerium Recht Deshalb wird die Russische Gesellschaft MEMORIAL in Kuumlrze Klage beim Verfassungsgericht einreichen

Was den Antrag des Justizministeriums betrifft so hoffen wir dass das Oberste Gericht bei Behandlung dieses Antrags dem Gesetz und der Verfassung mehr Respekt entgegenbringen wird als die untergeordneten Gerichtsinstanzen

10 Oktober 2014Quelle Website von Memorial Deutschland lthttpwwwmemorialdeindexphpid=42amptx_ttnews[tt_news]=546amptx_ttnews[backPid]=3ampcHash=5bbe9b235a03fe09cba52ed5c8786b99gt

DOkUmENtAtION

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 28

NOtIzEN AUS mOSkAU

Petersburger DialogJens Siegert Moskau

Auf den ersten Blick sieht es so aus als ob ein (egal ob nun willentlich oder nicht) an die Oumlffentlich-

keit gelangter Brief einiger regelmaumlszligiger Teilnehmer des Petersburger Dialogs (PD) aus den Reihen deutscher NGOs an Bundeskanzlerin Merkel und Auszligenminis-ter Steinmeier die Verschiebung des fuumlr Ende Oktober in Sotschi geplanten groszligen Jahrestreffens verursacht haumltte In dem Brief bekraumlftigten die Autoren ihre nicht neue Kritik am PD und erklaumlrten warum sie dieses Jahr nicht teilnehmen wuumlrden Sie betonen dass die Absage kein Boykott sei und bieten ihrerseits einen Dialog zur Reform des Dialogs an Auf den zweiten Blick war der Brief selbstverstaumlndlich nur Anstoszlig aber nicht Grund fuumlr die Verschiebung Doch der Reihe nach

Die in dem Brief geaumluszligerte Kritik am PD ist wie gesagt nicht neu sie hat sie den PD von Anfang an begleitet Das liegt sicher auch an einem bis heute nicht korrigierten Geburtsfehler Ein durch Staats- und Regie-rungschefs initiierter raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo ist schon etwas verquer Das heiszligt nicht dass das nicht gehen koumlnnte Doch dazu haumltten sich die hochgestell-ten Initiatoren (der damalige russische Praumlsident und der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schrouml-der) und ihre (Interims-)Nachfolger spaumlter zuruumlckziehen muumlssen Das haben sie nicht Daran sind sie nicht (allein) Schuld Es war der PD der durch seine Lenkungsor-gane die enge zeitliche und oumlrtliche Verbindung mit den deutsch-russischen Regierungskonsultationen und die zeitweilige Anwesenheit von Praumlsident und Kanzlerin zum Grundstein seiner Wirkungsmaumlchtigkeit erklaumlrte

Auf deutscher Seite wurde versucht dieses Problem organisatorisch sozusagen oumlffentlich-rechtlich zu loumlsen indem moumlglichst alle interessierten politischen Spektren und gesellschaftlichen Gruppen am sogenannten Len-kungsausschuss beteiligt wurden Das gelang zumindest so gut dass es soweit mir bekannt bis heute keine grouml-szligeren Klagen uumlber Nichtberuumlcksichtigung oder Nicht-beteiligung gab Aber die Bundesregierung behielt weit-gehenden Einfluss nicht zuletzt uumlber den alljaumlhrlich sechsstelligen Zuschuss fuumlr die Durchfuumlhrung der Jah-restreffen Auszligerdem wurde der jeweilige Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses zwar nach Abstim-mungen mit den Beteiligten aber letztlich durch den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin bestimmt

In Russlands ist die Sache einfacher Von Anfang an wurde und wird gemacht wird was der Kreml will Schon der erste Vorsitzende des russischen Lenkungs-ausschusses Michail Gorbatschow (immerhin selbst ein ehemaliger Praumlsident) war wie er selbst einmal bekannte

nicht mehr als ein ndash schoumlne Ruumlckuumlbertragung aus dem Russischen ndash raquoSitz-Praumlsidentlaquo Der jetzige Vorsitzende Wiktor Subkow war Datschennachbar von Putin ers-ter stellvertretender Ministerpraumlsident und ist nun Auf-sichtsratsvorsitzender von Gazprom

Die Kritik dass nur eine Simulation eines raquozivilge-sellschaftlichen Dialogslaquo stattfinde wurde von einigen deutschen Teilnehmern bereits auf dem ersten Jahres-treffen des PD im April 2001 in St Petersburg geaumluszligert Es fehlten auf russischer Seite (in der seinerzeit noch ver-einigten Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo) Vertreter russischer NGOs Die Kritik kam an In Russ-land fuumlhrte sie (ohne dass ich hier jetzt ausfuumlhren kann wie) zum ersten Versuch des Kremls auch unabhaumln-gige NGOs in das korporative System der gelenkten Demokratie zu zwingen Der Versuch misslang weitge-hend und muumlndete in einer Art Waffenstillstand und der Gruumlndung eines raquoMenschenrechtsrats beim Praumlsi-dentenlaquo unter Einbeziehung von Vertretern unabhaumlngi-ger NGOs Beim PD wurde die Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo in ihre zwei Namensbestandteile geteilt und es gelang uumlber die Jahre in immer wieder unternommenen Anstrengungen auch die Teilnahme unabhaumlngiger russischer NGO-Vertreter durchzuset-zen Etwas spaumlter wurde diese Teilnahme sogar vor-sichtig institutionell abgesichert indem erst Ella Pam-filowa und spaumlter ihr Nachfolger Michail Fedotow als Vorsitzende des inzwischen zum raquoZivilgesellschaftsratlaquo umbenannten raquoMenschenrechtsratslaquo zu den russischen Koordinatoren der Arbeitsgruppe raquoZivilgesellschaftlaquo mit Einladungsrecht wurden (wobei die Einladungen selbst-verstaumlndlich mit der Praumlsidentenadministration abge-stimmt werden muumlssen) Das ist bis heute so

Die Verfasser des Briefes (zu denen ich bekenne mich auch ich gehoumlre) allesamt langjaumlhrige Teilneh-mer der Jahrestreffen des PD haben all die Jahre immer wieder auch oumlffentlich uumlber den Sinn und Unsinn ihrer Teilnahme und Unterstuumltzung diskutiert Letztendlich uumlberwogen die ganze Zeit uumlber zwei Uumlberlegungen Ers-tens ist ein Dialog auch und gerade auf offizieller Ebe-nen und mit offiziellen Vertretern des russischen Staates (wie auch mit Wissenschaftlern Unternehmern Journa-listen Priestern usw welcher politischen Couleur auch immer sie sein moumlgen) erst einmal besser als kein Dia-log Zweitens gingen wir all die Jahre davon aus dass die nicht ohne Muumlhen erreichte Teilnahme unabhaumln-giger russischen NGO-Vertreter fuumlr sie ihre Organisa-tionen aber auch die russische NGO-Szene insgesamt zumindest einen kleinen zusaumltzlichen Schutz gegen die

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seit Putins Amtsantritt immer wieder uumlber das Land gehenden Repressionswellen bietet1 Was hat sich dieses Jahr geaumlndert Erst einmal nicht

so viel gegenuumlber dem Vorjahr Es war schon immer siehe oben eine schwierige Abwaumlgung ob die Teil-nahme am PD sich lohnt oder nicht vielmehr dazu beitraumlgt so zu tun als gaumlbe es in Russland die unein-geschraumlnkte und ungefaumlhrdete Moumlglichkeit sich zivilgesellschaftlich auch dort zu engagieren wo es dem Staat weh tut Zwei Ereignisse haben nun aber zumindest fuumlr die Autoren des Briefes das Pen-del zur anderen Seite ausschlagen lassen Die Kon-frontation zwischen dem Westen (ich weiszlig um die Bedingtheit des Begriffs verwende in der Kuumlrze hal-ber aber trotzdem) und Russland im Konflikt in der und um die Ukraine ist nicht einfach die Fortset-zung schon laumlnger existierender raquoMeinungsverschie-denheitenlaquo Sie ist tiefer und prinzipieller Es geht eben im Kern nicht in erster Linie um Geopolitik sondern wieder einmal um ich fuumlrchte hier weder den Pathos noch historische Analogien Freiheit und Demokratie in Europa

2 Die Repressionen gegen russische NGOs unsere prinzipiellen Partner in der Verteidigung von Demo-kratie und Freiheit haben mit dem sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo eine neue Qualitaumlt erreicht 15 NGOs sind inzwischen zwangsweise zu raquoauslaumln-dischen Agentenlaquo erklaumlrt worden anderen droht die Schlieszligung aufgrund anderer Gesetze Einige von ihnen waren sogar zum nun verschobenen Treffen in Sotschi eingeladen Sie mussten sich Gedanken machen ob eine Zusage oder eine Absage ihnen nicht schaden koumlnnte

Unter diesen Umstaumlnden halten die Verfasser des Brie-fes ihre Teilnahme am PD fuumlr nicht mehr moumlglich Sie fordern keinen Boykott wohl aber ein Nachdenken uumlber eine tiefgreifende Reform

Der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses Lothar de Maiziere hat in einem eigenen offenen Brief geantwortet und den Verfassern vorgeworfen den Dia-log verweigern und politisieren zu wollen Diese (Gegen-)Klage scheint mir angesichts der vielfaumlltigen Verbindun-gen und Dialogformen die die Organisationen hinter den Unterzeichnern des Briefes seit vielen Jahren und oft laumlnger als der PD organisieren an denen sie teil-nehmen und die sie foumlrdern nicht sonderlich stichhal-tig Doch die Auseinandersetzung geht tiefer De Mai-ziere behauptet in seinem Brief der PD mache bereits all das was die Kritiker fordern Genau das bezweifeln diese aber Die Auseinandersetzung geht also und vor allem darum was ein fruchtbarer Dialog zu leisten im Stande sein kann und leisten sollte Sie geht aber auch darum ob dieser Dialog zwischen zwei Gesellschaf-

ten stattfindet nach dem Motto hier die eine dort die andere oder ob sich die Seiten bei diesem Dialog inei-nander verschraumlnken

Die Verfasser des Briefes sind ganz offensichtlich mit ihrer Kritik nicht allein Schon bevor der Brief oumlffent-lich bekannt wurde hatten die Bundestagsabgeordne-ten Andreas Schockenhoff (CDUCSU) und Marieluise Beck (Buumlndnis 90 Die Gruumlnen) in oumlffentlichen Stel-lungnahmen Aumlhnliches gefordert und auch ihre Nicht-Teilnahme erklaumlrt Etwas spaumlter wurde bekannt dass auch der Russland-Beauftragte der Bundesregierung Gernot Erler nicht nach Sotschi fahren wollte Mehr noch Bereits seit dem Fruumlhsommer gab es Gespraumlche zwischen Kanzleramt und Auswaumlrtigem Amt mit dem Ziel den PD sowohl personell als auch strukturell zu reformieren Allerdings setze sich augenscheinlich die Sichtweise des Auswaumlrtigen Amtes durch alles vorerst beim Alten zu belassen da es auch so schon genug Pro-bleme im deutsch-russischen Verhaumlltnis gebe und man diesen Kanal nicht auch noch belasten oder gar gefaumlhr-den solle

Doch zum Herbst hat sich die Situation noch ein-mal veraumlndert Die Hoffnung die russische Fuumlhrung um Praumlsident Putin werde im Krieg in der Ostukraine ein-lenken ist selbst im Auswaumlrtigen Amt bis in die Spitze kaum noch zu finden Im Sommer bekam das russische Justizministerium zudem per erneuter Gesetzesaumlnde-rung das Recht NGOs zwangsweise zu raquoAgentenlaquo zu erklaumlren und macht seither rege Gebrauch davon Eine ganze Reihe russischer NGOs steht vor der Schlieszligung oder loumlst sich auf weil ihnen die vom Gesetz geforderte Selbstetikettierung als raquoauslaumlndische Agentenlaquo ethisch rechtlich und praktisch unmoumlglich ist

Es sieht so aus als haumltten die Verfasser des Briefes nur eine Tuumlr geoumlffnet hinter der andere darunter die Kanzlerin nur darauf gewartet haben durch sie hin-durch gehen zu koumlnnen ohne selbst der Tuumlroumlffnung geziehen zu werden

Ein wenig verwundert die erstaunlich milde russi-sche Reaktion Nach der kurzen Drohung eine Verschie-bung bedeute das Ende des PD lenkte Putin im Telefo-nat mit Merkel ein und fand tags darauf sogar oumlffentlich verstaumlndnisvolle Worte fuumlr die raquoProbleme der deutschen Seitelaquo Das duumlrfte zwei Gruumlnde haben Der eine ist dass trotz des haumlufiger gewordenen Deutschland-Bashings im russischen Staatsfernsehen (mit dem Ergebnis dass in Umfragen Deutschland aus der Kategorie raquoFreundlaquo in die Kategorie raquoFeindlaquo abgerutscht ist) Deutschland im Kreml immer noch als wichtigster raquostrategischerlaquo Part-ner im Westen und vor allem in der EU gilt Zudem ist Deutschland zweifellos ein Land dessen oumlffentliche Meinung (und damit Politik) aus russischer Sicht durch-aus beeinflussbar ist (was z B die kolportierten rund

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140 Millionen US-Dollar zum Aufbau eines deutsch-sprachigen Programms des staatlichen Auslandsfernse-hens raquoRussia Todaylaquo zeigen)

Der andere liegt in einem erneuten Strategiewech-sel (oder weniger ambitioniert Wechsel der Taktik) im Ukraine-Konflikt Die Sanktionen beiszligen inzwi-schen kraumlftig Die Rhetorik wurde daher gemildert Der Kreml ist ganz auf Frieden und dieser Ausdruck aus dem Sport sei erlaubt Ergebnissicherung bedacht (was uumlbrigens Putins grundsaumltzlicher Taktik auch im Inne-ren Russlands entspricht erst hart zuzuschlagen dann eine Schritt zuruumlck zu gehen und einen Kompromiss zu suchen nach dem es fuumlr seine Gegner nachher schlech-ter steht als vorher) Neues Ziel scheint nun also zu sein die raquoErrungenschaftenlaquo Krim (als Teil Russlands) und raquoNeurusslandlaquo (als neuen raquoFrozen Conflictlaquo) zu fixieren und trotzdem mit dem Westen wenn schon nicht gut-freund zu werden so doch zumindest erneut zu einem einigermaszligen vertraumlglichen Modus Vivendi zu gelan-gen Das Gas duumlrfte nach den Mailaumlnder Gespraumlchen

und bei allem Geknurre im Winter stroumlmen und auch im Nahen Osten stellt Moskau weniger Widerspenstig-keit in Aussicht

Was heiszligt das fuumlr die Zukunft des PD Erstmal ist sie offen Zuerst muss sich die deutsche Seite neu ord-nen (hier hat Putin sogar Recht) Nachdem sich Angela Merkel persoumlnlich um eine russische Akzeptanz fuumlr die Verschiebung von Sotschi bemuumlht hat kann ich mir allerdings nicht vorstellen dass es in einigen Wochen oder Monaten ein Zuruumlck zum status quo ante gibt Ob und wie sich ein neu aufgestellter deutscher Lenkungs-ausschuss mit einem neuen Konzept mit der russischen Seite verstaumlndigen kann laumlsst sich momentan kaum voraussagen Es ist zwar einen Versuch wert haumlngt aber wohl sehr von der dann herrschenden politischen Groszlig-wetterlage ab

Diesen und andere Texte finden Sie auf Jens Siegerts Russ-landblog lthttprusslandboellblogorggt

Lesetippbull Poumlrzgen Gemma Dringend reformbeduumlrftig Der Petersburger Dialog auf dem Pruumlfstand in Osteuropa 602010

Nr 10 S 59ndash81

DOkUmENtAtION

Briefwechsel uumlber die zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo

schreiben von nichtregierungsorganisationen und einzelpersonen an die Bundeskanzlerin und den Auszligenminister zum raquoPetersburger Dialoglaquo 2 oktober 2014 [nachtraumlglich veroumlffentlicht]

Berlin 02 Oktober 2014Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerals Personen die sich seit vielen Jahren intensiv im zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland engagieren wenden wir uns mit diesem Schreiben an Sie um zu erlaumlutern warum wir uns in diesem Jahr nicht am Petersburger Dialog beteiligen koumlnnen Zugleich moumlchten wir fuumlr eine Erneuerung des Petersburger Dialogs werben

In Reaktion auf die politische Wende in der Ukraine die durch eine breite gesellschaftliche Protestbewegung hervor-gerufen wurde hat die russische Fuumlhrung voumllkerrechtswidrig die Krim annektiert und einen unerklaumlrten Krieg neuen Typs im Osten der Ukraine begonnen Zugleich betreibt die Regierung unter Praumlsident Putin die systematische Ausschal-tung der letzten unabhaumlngigen Medien in Russland die Kriminalisierung aller Formen politischer Opposition und die Diskreditierung unabhaumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen als raquoauslaumlndische Agentenlaquo Mittlerweile wurden 12 russische Nichtregierungsorganisationen vom russischen Justizministerium zwangsweise auf die Liste raquoauslaumlndischer Agentenlaquo gesetzt und sind daher zukuumlnftig verpflichtet sich bei jeder oumlffentlichen Aumluszligerung wahrheitswidrig selbst als solche zu bezichtigen Zehn dieser Organisationen spielen in der deutschrussischen zivilgesellschaftlichen Zusammen-arbeit seit Jahren eine wichtige Rolle einige von ihnen haben mehrfach am Petersburger Dialog teilgenommen Gegen einige von ihnen sind bereits existenzbedrohende Strafgelder wegen Verstoszliges gegen das sog Agentengesetz verhaumlngt

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worden Es drohen Organisationsschlieszligungen und die Kriminalisierung der Vorstaumlnde Unter diesen inneren und aumluszlige-ren Bedingungen koumlnnen wir uns nicht an einer Neuauflage des Petersburger Dialogs in der bisherigen Form beteiligen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerder seinerzeit von Bundeskanzler Schroumlder und Praumlsident Putin initiierte Petersburger Dialog konnte die ihm zuge-

dachte Aufgabe zu einer Vertiefung und Verbreiterung der gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland beizutragen auch in den vergangenen Jahren nur sehr bedingt erfuumlllen Dies lag vor allem an der starken Naumlhe des Fuumlhrungspersonals auf der russischen Seite zum politischen Machtzentrum im Kreml die von Beginn an den Eindruck einer raquovon obenlaquo inszenierten und kontrollierten Veranstaltung naumlhrte Doch auch auf deutscher Seite wird der Petersburger Dialog bis heute von Personen dominiert die aus politischer und oumlkonomischer Opportunitaumlt dazu neigen Kritik am Kurs der russischen Fuumlhrung als Stoumlrung der raquodeutsch-russischen Freundschaftlaquo zu betrachten Zeit-weise kam es zu der paradoxen Situation dass kritische Aumluszligerungen zu Menschenrechtsverletzungen in Russland oder zum Vorgehen des Kremls gegenuumlber Georgien aus den Reihen der deutschen Delegation als raquoKalte-Kriegs-Rhetoriklaquo verteufelt wurden Nuumlchtern betrachtet waren die kritischen Stimmen aus der russischen und deutschen Zivilgesell-schaft in den letzten Jahren nur eine geduldete Minderheit die dem Petersburger Dialog den Anschein von Pluralis-mus und offener Diskussion verschaffte Ungeachtet dieser Kritik haben wir uns in der Vergangenheit am Petersburger Dialog beteiligt da wir grundsaumltzlich jedes Dialogpotenzial nutzen wollen und uns von der gemeinsamen Beteiligung mit unseren Partnern aus der russischen Zivilgesellschaft eine politische Absicherung dieser Zusammenarbeit erhofften

Diese ohnehin schwachen Hoffnungen wurden durch die Entwicklungen in diesem Jahr zerstoumlrt Vertreter unab-haumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen die auf der russischen Seite zum Petersburger Dialog eingeladen wer-den sind angesichts der politischen und juristischen Bedrohung der sie ausgesetzt sind in ihrer Entscheidung uumlber ihre Teilnahme nicht mehr frei Wenn sie der Einladung nicht folgen muumlssen sie weitere Repressalien befuumlrchten Uns denen die Freiheit der Entscheidung gegeben ist ist es nicht moumlglich durch Teilnahme am Petersburger Dialog in Sot-schi an der Aufstellung einer Potemkinschen Fassade namens raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo mitzuwirken waumlhrend die kritischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Russland als raquoAgentenlaquo diskreditiert und vielfach drangsaliert werden

Zugleich moumlchten wir unsere Bereitschaft unterstreichen an einer Reform des Petersburger Dialogs in organisa-torischer inhaltlicher und personeller Hinsicht mitzuwirken Eine solche Reform sollte darauf ausgerichtet sein uumlber die Auswahl der Formate Themen und Teilnehmer die tatsaumlchliche Lage der russischen Zivilgesellschaft in den Mit-telpunkt der Diskussion zu ruumlcken und einen offenen Dialog zu ermoumlglichen Wir sind ganz damit einverstanden dass gerade in kritischen Zeiten die Zusammenarbeit zwischen der russischen und deutschen Zivilgesellschaft gestaumlrkt wer-den muss Sofern der Petersburger Dialog in Zukunft dafuumlr ein Forum bietet werden wir uns gern daran beteiligen[Unterzeichner nicht veroumlffentlicht]Quelle Website der Boumlll-Stiftung lthttpwwwboelldede20141013reform-petersburger-dialog-ueberfaelliggt

offener Brief an den Vorsitzenden des Petersburger Dialogs lothar de maiziegravere vom 10 oktober 2014

- Offener Brief -HerrnDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des VorstandsPetersburger Dialog eVSchillerstraszlige 5910627 Berlin

Berlin 10 Oktober 2014Petersburger Dialog 2014 in SotschiSehr geehrter Herr de Maiziegravereals Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher zivilgesellschaftlicher Organisationen die seit der Gruumlndung des Petersburger Dialogs 2001 uumlber viele Jahre hinweg an dieser Veranstaltung teilgenommen haben moumlchten wir Ihnen gegenuumlber folgende Erklaumlrung abgeben

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Wir haben uns entschieden am 14 Petersburger Dialog in Sotschi nicht teilzunehmen der fuumlr den 29ndash31 Okto-ber angekuumlndigt worden ist Fuumlr diese Entscheidung die wir sorgfaumlltig diskutiert und abgewogen haben moumlchten wir drei Gruumlnde anfuumlhren1 Der Petersburger Dialog in seiner jetzigen Form steckt in einer Krise Von Jahr zu Jahr wird er seinem eigenem

Anspruch weniger gerecht Die Veranstaltung soll dem zivilgesellschaftlichen Dialog dienen Tatsaumlchlich sind Struktur Nominierungsverfahren und Programm des Petersburger Dialogs maszliggeblich von Akteuren aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert Unter diesen Voraussetzungen erfuumlllt der Petersburger Dialog leider nicht sein in seiner Satzung formuliertes Ziel ein raquooffenes Diskussionsforumlaquo zu sein das die raquoVerstaumlndigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Laumlnderlaquo foumlrdert Der Petersburger Dialog bedarf dringend einer grundlegenden Reform wie sie auch CDUCSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 eingefordert haben Gerne wuumlrden wir uns aktiv an einem Prozess zur Reformierung des Petersburger Dialogs beteiligen der auf eine pluralistische Zusam-mensetzung beider Lenkungsausschuumlsse und eine deutlich staumlrkere Ausrichtung auf unabhaumlngige zivilgesellschaft-liche Akteure zielt ohne den interdisziplinaumlren Ansatz der Veranstaltung aufzugeben

2 Die Situation in der sich Teile der Zivilgesellschaft in Russland befinden erfuumlllt uns mit groszliger Sorge Das betrifft auch Partnerorganisationen und Personen mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten Diese Organisa-tionen uumlben fuumlr Russland und daruumlber hinaus wichtige gesellschaftliche Funktionen aus Die Behinderung ihrer Arbeit durch buumlrokratische Huumlrden aber auch durch willkuumlrliche rechtliche Restriktionen und politische Diffa-mierung sind inakzeptabel Daruumlber koumlnnen wir nicht zur Tagesordnung uumlbergehen Wir wollen nicht zu Kron-zeugen fuumlr einen vorgeblich freien Austausch werden waumlhrend zugleich die kritische Zivilgesellschaft in Russland massiv und systematisch unter Druck gesetzt wird

3 In Teilen der Ukraine herrscht ein Kriegszustand fuumlr den die russische Fuumlhrung eine maszliggebliche Verantwor-tung traumlgt Wichtige Vertreter dieser Fuumlhrung spielen eine Schluumlsselrolle im Petersburger Dialog einschlieszliglich des fruumlheren Ersten Stellvertretenden Ministerpraumlsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden von Gazprom Wiktor Subkow der der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs ist Vor diesem Hin-tergrund moumlchten wir nicht durch unsere Teilnahme dazu beitragen dass eine Normalitaumlt in den deutsch-russi-schen Beziehungen simuliert wird die es derzeit wegen des Angriffs auf die politische Souveraumlnitaumlt und territo-riale Integritaumlt der Ukraine nicht geben kann

Wir waren und sind weiter sehr an einem offenen Dialog uumlber deutsch-russische Belange in einem gesamteuropaumli-schen Kontext interessiert und halten ihn fuumlr eine Bedingung guter Nachbarschaft und Kooperation Ein solcher Dia-log muss aber auch von beiden Seiten gewollt und ermoumlglicht werden Er darf zugleich nicht zum Nachteil Dritter gefuumlhrt werden Angesichts der aktuellen Lage und der bereits bekannt gewordenen Programmvorschlaumlge fuumlr Sotschi sehen wir auch diese Voraussetzung gefaumlhrdet

Dessen ungeachtet werden wir jede Moumlglichkeit nutzen unsere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Grup-pen und anderen Akteuren in Russland zu vertiefen und dieses Potential in einen bilateralen und europaumlischen Dia-log einzubringenMit freundlichen GruumlszligenRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter Politik Greenpeace eVQuelle lthttpwwwaustauschorgaktuelle-meldungennewsdetailarticle1offener-brie-1htmlno_cache=1ampcHash=0428c5bffdgt

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offener Brief des Vorsitzenden des Petersburger Dialogs vom 13 oktober 2014

AnRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich-Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace eVBerlin 13 Oktober 2014Ihr Schreiben vom 10 Oktober 2014Sehr geehrte Damen und HerrenIhren offenen Brief habe ich erhalten Dass Sie einen Brief aumlhnlichen Inhalts zunaumlchst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Auszligenminister verschickt haben verwundert mich Sie geben damit fuumlr die zivilgesell-schaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung die Sie fuumlr die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren

Ihre Nichtbeteiligung am Petersburger Dialog bedaure ich Denn es entspricht der Uumlberzeugung der meisten Mit-glieder des Vorstandes und des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs dass gerade angesichts zweifellos vorhan-dener Probleme fuumlr die Zivilgesellschaft die Sie teilweise benennen die offensive Auseinandersetzung zu solchen The-men gesucht werden muss Indem man sich solchen Gespraumlchen entzieht schadet man den Interessen der Betroffenen

Sie schreiben der Petersburger Dialog sei im Inneren zu reformieren da er von Vertretern aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert sei Diese Feststellung ist falsch und Sie wissen das Das auch in der Satzung des Petersbur-ger Dialogs beschriebene Konzept des Dialogs beruht auf einem breiten Gedankenaustausch aller gesellschaftlichen Kraumlfte Dazu gehoumlren die Bereiche Kultur Medien Bildung Wissenschaft und Kirchen genauso wie zahlreiche im Bereich der politischen sowie der sozialen Menschenrechte engagierte Einrichtungen die in ihrer Gesamtheit das deutsch-russische Verhaumlltnis beleben

Sie versuchen in Ihrem Brief den Petersburger Dialog auf das enge Feld einiger Vertreter der Zivilgesellschaft zu reduzieren die jenseits der korporierten Zivilgesellschaft angesiedelt sind und deren Interessenspektrum nur einen Teil des gesamten zivilgesellschaftlichen Engagements abdeckt

Ich verkenne nicht die ndash auch aber nicht nur ndash in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu Tage getretenen Probleme sowie die unterschiedlichen Folgen die sich aus einer raquogelenkten Demokratielaquo die in vielem nicht westli-chen Standards entspricht ergeben Dennoch Gemessen an weiten Bereichen der russischen Geschichte ist die Ent-wicklung seit 1991 ein Fortschritt Das daraus resultierende wenn auch im letzten Jahr stark eingetruumlbte Vertrauens-potential muss fuumlr die auf vielen Ebenen notwendigen Gespraumlchsforen genutzt und ausgebaut werden

Derartige Gespraumlche bedingen genauso Realismus wie intellektuelle Disziplin wozu auch gehoumlrt zu verstehen wie Russland die Probleme versteht Dies ndash und nicht Gespraumlchsverweigerung ndash ist die Voraussetzung um auf allen demokratischen gesellschaftlichen Ebenen ndash vom politischen Machtzentrum bis in die Randgruppen hinein ndash pro-blemorientierte Gespraumlche fuumlhren zu koumlnnen Dabei darf keine Seite fuumlr sich in Anspruch nehmen legitimere Inte-ressen zu vertreten als die andere

Das heiszligt Ein Gespraumlch raquoauf Augenhoumlhelaquo nicht von oben herab nicht moralisch belehrend aber mit klaren und ehrlichen Argumenten Dabei duumlrfen wir nicht verschweigen welche gesetzgeberischen aber auch politisch-morali-schen Standards wir fuumlr eine demokratische Gesellschaft im europaumlischen Kontext fuumlr unabdingbar halten

Der Petersburger Dialog wurde aus guten Gruumlnden als deutsch-russische Gemeinschaftseinrichtung konzipiert Da ist eine ndash oft muumlhsame ndash Kompromissfindung unausweichlich Dies ist Teil des Wertes auch der Tiefe aber auch der moralischen Qualitaumlt des Dialogs Das Ringen um kompromissfaumlhige Konzepte muss unser Anliegen bleiben nicht Vorverurteilung und GespraumlchsablehnungMit freundlichem GruszligDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des Vorstands Petersburger Dialog e VQuelle Website des Petersburger Dialogs lthttpwwwpetersburger-dialogcomoffener-brief-vom-13-oktober-2014gt

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offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

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9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

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14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

Abdruck und sonstige publizistische Nutzung sind nach Ruumlcksprache mit der Redaktion gestattetVerantwortlicher Redakteur Hans-Henning Schroumlder

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

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                              • Dokumentation
                                • Luumlgen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des JustizministeriumsErklaumlrung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL
                                  • Notizen aus Moskau
                                    • Petersburger Dialog
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                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 3: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 3

gration dort wo gewuumlnscht und moumlglich Kooperation dort wo keine Integration moumlglich oder gewuumlnscht war Die baltischen Staaten die Staaten Ostmittel-Europas und Suumldosteuropas wurden zum ersten Male in ihrer Geschichte zu einer Zone der sicherheitspolitischen und ndash mit Einschraumlnkungen ndash auch der demokrati-schen Stabilitaumlt Die gemeinsame Integration in euro-paumlische und transatlantische Institutionen verband jetzt die oumlstlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands Ein Teil der Ostpolitik gestaltete sich nun institutionell wirtschaftlich und politisch wie die fruumlhere Westpolitik

Die Ost-Erweiterung der EU und der NATO lieszligen eine neue gesamteuropaumlische Realitaumlt entstehen Die Ziele der deutschen Politik aber reichten weiter Sie wollten Russ-land uumlber seine Mitgliedschaft im Europarat und der OSZE hinaus moumlglichst eng mit den uumlbrigen Staaten und Insti-tutionen Europas verbinden Diese Politik schien anfangs mit den Zielen der russischen Politik uumlberein zu stimmen

Anfangs wurde die Ost-Erweiterung der EU von Russ-land durchaus positiv gesehen insbesondere da sie durch Kooperationsvertraumlge zwischen der EU und Russland ergaumlnzt werden sollte Der Widerstand Russlands gegen die Assoziationsvertraumlge der EU mit der Ukraine Molda-wien und Georgien sind erst neueren Datums Anfangs hatte Russland selbst nach aumlhnlichen Vertraumlgen mit der EU gestrebt Dies deckte sich mit den Absichten der EU

Die Ost-Erweiterung der NATO dagegen wurde von Russland von Anfang an negativ bewertet Trotzdem gelang es die negativen Wirkungen der Ost-Erweiterung auf das Verhaumlltnis der NATO zu Russland 1997 durch die raquoGrundakte uumlber die gegenseitigen Beziehungen Zusam-menarbeit und Sicherheitlaquo und 2002 durch die Schaffung des NATO-Russland-Rates zu begrenzen Der Inhalt die-ser Vereinbarungen beruumlcksichtigte russische Interessen entsprach aber in entscheidenden Punkten nicht den rus-sischen Wuumlnschen naumlmlich denen nach einer gleichbe-rechtigten Mitsprache innerhalb der NATO bis hin zu einem faktischen Vetorecht bei deren Entscheidungen

Die Mitglieder der NATO und EU waren auch nicht bereit Russland eine Einflusssphaumlre im postsowjetischen Raum zu garantieren Dies konnten sie auch nicht tun ohne das auszligen- und innenpolitische Recht auf Souverauml-nitaumlt und Selbstbestimmung eines jeden einzelnen euro-paumlischen Staates zu missachten Erst recht wollten die USA und groumlszligere europaumlische Staaten nicht ndash wie im 19 und 20 Jahrhundert ndash in einem raquoKonzert der Maumlchtelaquo uumlber die Koumlpfe kleinerer Staaten hinweg Vereinbarungen uumlber deren auszligenpolitische Orientierung deren Sicher-heit oder sogar uumlber deren Grenzen treffen Eine Politik eines raquoKonzerts der Maumlchtelaquo haumltte die in Europa guumlltigen Prinzipien und Vertraumlge verletzt Sie wuumlrde die Grund-lagen der Zusammenarbeit prinzipiell gleichberechtig-ter Staaten innerhalb der EU und NATO infrage stellen

Die Mitgliedsstaaten der EU strebten eine enge Zusammenarbeit mit Russland an jedoch nicht zu Lasten der oumlstlichen und suumldoumlstlichen Staaten Europas Wenn die EU sich der Zusammenarbeit mit Russland wegen uumlber die Interessen der kleineren osteuropaumlischen und suumldosteuropaumlischen Staaten hinweg gesetzt haumltte wuumlrde in diesem Teil des Kontinents erneut Unsicherheit und Misstrauen herrschen Sorgen vor einem neuen raquoJaltalaquo koumlnnten um sich greifen Russland ist das wichtigste Land oumlstlich der Grenzen von EU und NATO Aber deut-sche Ostpolitik ist ndash anders als zu Zeiten Bismarcks und zu Zeiten des Ost-West-Konfliktes ndash nicht immer vorran-gig und erst recht nicht ausschlieszliglich Russlandpolitik

Waumlhrend der Zeit des Kalten Krieges und in den Jahr-zehnten der Entspannungspolitik musste die Ostpolitik EU haumlufig zuerst nach Moskau blicken wenn Vertraumlge mit Warschau Prag oder Budapest angestrebt wurden Heute sitzen die Staaten Mittelost- und Suumldosteuropas mit am Tisch der EU und der NATO wenn dort uumlber Russland-politik beraten wird Dass die Rahmenbedingungen fuumlr die deutsche und europaumlische Ostpolitik sich seit Anfang der 1990er Jahre grundlegend veraumlndert haben haben Viele in Moskau und Manche in Bruumlssel noch nicht begriffen

Defizite russischer WestpolitikRusslands Politik gegenuumlber seinen westlichen Nach-barn wird heute positiv wie negativ durch eine Fixierung auf die USA gepraumlgt Russland strebt heute eine Rolle als gleichberechtigter und gleichmaumlchtiger Machtpol neben den USA an und weiszlig zugleich dass eine derar-tige Rolle als Weltmacht seine eigenen politischen und wirtschaftlichen Moumlglichkeiten bei weitem uumlbersteigt Russland hat es nicht vermocht nach dem Kalten Krieg zu seinen kleineren westlichen Nachbarn ein wechselsei-tiges Vertrauen und ein kooperatives Verhaumlltnis aufzu-bauen In diesem Defizit sehe ich die wichtigste auszligen-politische Ursache fuumlr die zunehmende Entfremdung zwischen Russland und den Mitgliedern der EU und der NATO Russland seinerseits sieht in der Politik der USA die wichtigste Ursache fuumlr die negativen interna-tionalen Entwicklungen der letzten Jahre

Ich leugne die auszligenpolitischen Ursachen der zuneh-menden Entfremdung zu Russland nicht Mir scheinen aber die Entwicklungen in der russischen Innenpolitik mindestens ebenso bedeutend wenn nicht sogar bedeut-samer zu sein Mit seiner zunehmend autoritaumlren Ent-wicklung dem Ruumlckgriff auf Symbole und Politik der Zaren-Zeit und der nachlassenden Bereitschaft die sow-jetische Periode kritisch aufzuarbeiten entfremdet sich Russland immer mehr von den demokratischen Staa-ten Europas Mit seiner Berufung auf raquoeurasischelaquo und raquotraditionellelaquo Werte entfernt sich die russische Fuumlhrung von den gemeinsamen europaumlischen Werten

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 4

Der Ruumlckgriff auf vor-demokratische Werte und die Kritik an der EU finden den Beifall der europaumlischen Rechten wie der UKIP in Groszligbritannien dem raquoFront Nationallaquo in Frankreich der raquoLega Nordlaquo in Italien der raquoJobbiklaquo in Ungarn der AfD in Deutschland jedoch auch von groszligen Teilen der Partei raquoDie Linkelaquo in Deutschland Gleichzeitig nimmt die Kritik an der russischen Politik in der demokratischen Linken Europas zu Die Ursache hierfuumlr sind Russlands schwere Verstoumlszlige gegen europaumli-sche Vereinbarungen und internationales Recht

Mit dem Einsatz der Energieversorgung als politi-sches Druckmittel untergraumlbt Russland das Vertrauen das seit Anfang der 1970er Jahre eine wichtige Grund-lage der Zusammenarbeit zwischen Russland und West-europa gebildet hatte Die Annexion der Krim missach-tet die in der KSZE-Schlussakte von 1975 vereinbarten Grundsaumltze der Unverletzlichkeit der Grenzen und der friedlichen Loumlsung von Konflikten Die Annexion der Krim verstoumlszligt auszligerdem gegen einen bilateralen Vertrag in dem Russland die Grenzen der Ukraine anerkannt hat Und schlimmer noch Sie verstoumlszligt gegen den auch von Frankreich Groszligbritannien und den USA unter-schriebenen Vertrag mit dem die Ukraine auf Nukle-arwaffen verzichtet Sie untergraumlbt damit den Vertrag gegen die Nichtweiterverbreitung von Nuklearwaffen

Doch damit nicht genug Erklaumlrtes Ziel russischer Politik ist es ndash auch uumlber die Krim und die Ostukraine hinaus ndash Russen und russischsprachige Buumlrger in ande-ren Staaten zu raquoschuumltzenlaquo Meiner Ansicht nach hat es auf der Krim und in der Ostukraine keine Diskriminie-rung russischsprachiger Buumlrger gegeben Wenn es der russischen Fuumlhrung wirklich darum gegangen waumlre eine angebliche Diskriminierung russischsprachiger Buumlrger zu beheben dann haumltte sie sich in Verhandlungen mit der ukrainischen Regierung darum bemuumlhen koumlnnen diese zu beseitigen Das hat Moskau nicht versucht Und das verstaumlrkt bei den Nachbarn Russlands die Befuumlrch-tung dass es der Fuumlhrung Russlands nicht wirklich um den Schutz von raquorussischen Minderheitenlaquo geht sondern dass diese als Instrument russischer Machtpolitik die-nen sollen Dies bedeutet nicht notwendigerweise dass Russland militaumlrische Mittel anwendet um den Schutz raquorussischer Minderheitenlaquo zu gewaumlhrleisten (wobei in der Ukraine sich die meisten russisch-sprachigen Buumlrger als Ukrainer empfinden) Aber die Anwendung militaumlrischer Mittel wird auch nicht ausdruumlcklich ausgeschlossen

russlandpolitik in einer zeit des VertrauensverlustesAufgrund der Zielsetzungen russischer Politik und auf-grund der Erfahrungen mit der Praxis russischer Politik gegenuumlber der Krim und der Ostukraine fuumlhlen sich ndash verstaumlndlicherweise ndash mehrere Nachbarstaaten bedroht

Russlands Verhalten gegenuumlber der Ukraine ndash und vor-her schon bei den Konflikten in Georgien und Trans-nistrien ndash begruumlnden Zweifel ob es den Status quo sei-ner Auszligengrenzen akzeptiert Viele Nachbarn Russlands nehmen es heute als revisionistische Macht wahr Alle Mitglieder der EU und der NATO muumlssen sich ange-sichts dieser Gefahren auf die Solidaritaumlt ihrer Partner und Verbuumlndeten verlassen koumlnnen

Das Vertrauen in die russische Politik ist schwer erschuumlttert worden Eine uumlberwiegend positive Phase der Russlandpolitik geht zu Ende Es steht uns kein neuer Kalter Krieg bevor Aber es wird eine laumlngere Zeit brau-chen ehe sich neues Vertrauen entwickeln kann Grund-voraussetzung hierfuumlr ist eine Aumlnderung der Politik der russischen Fuumlhrung Unser Verhaumlltnis zu Russland wird auf absehbare Zeit nicht mehr von dem Grund-satz raquoZusammenarbeit wo moumlglichlaquo beherrscht werden Stattdessen wird es wohl in Zukunft heiszligen muumlssen raquoZusammenarbeit wo moumlglich und sinnvoll Risiko-vorsorge und Gefahrenabwehr soweit wie noumltiglaquo Die-ses spannungsreiche Nebeneinander einer auf Koopera-tion und einer auf Risikovorsorge und Gefahrenabwehr angelegten Politik stellt einen Ruumlckschritt gegenuumlber den letzten Jahren und Jahrzehnten dar

Die Einsicht dass eine europaumlische Friedensordnung erst dann dauerhaft stabil ist wenn Russland Teil dieser Ordnung ist bleibt richtig Wenn Russland in wichtigen Punkten gegen die vereinbarten Normen einer europaumli-schen Friedensordnung verstoumlszligt so ist dies kein Grund diese Prinzipien preiszugeben Im Gegenteil Es geht darum Russland zu einer Ruumlckkehr zu diesen Prinzipien und Normen zu bewegen damit es gleichberechtigter Teil einer europaumlischen Friedensordnung werden kann

Wir sollten uns weiterhin um einen regen Dialog mit der russischen Fuumlhrung und der russischen Gesell-schaft bemuumlhen Sich um ein Verstaumlndnis der russischen Politik zu bemuumlhen bedeutet nicht unbedingt mit ihr einverstanden zu sein Im Gegenteil Gerade waumlhrend einer Krise ist die intensive Kommunikation eine unver-zichtbare Voraussetzung fuumlr die friedliche Beilegung von Konflikten Die Bereitschaft weiterhin mit Russ-land zusammenzuarbeiten wo dies moumlglich und sinn-voll ist ist Ausdruck unseres Realismus Russland bleibt trotz seiner gegenwaumlrtigen Politik das wichtigste Land oumlstlich der Grenzen der EU und der NATO

Anders als in den vergangenen Jahren werden wir wohl bedauerlicherweise davon ausgehen muumlssen dass die EU und NATO dort Vorsorge treffen muumlssen wo die Poli-tik der russischen Fuumlhrung Risiken und Gefahren fuumlr die Nachbarn Russlands fuumlr die Mitgliedsstaaten der EU oder fuumlr die NATO und fuumlr die europaumlische Sicher-heit insgesamt beinhaltet Die veraumlnderte Lage macht das Bemuumlhen um eine friedliche Beilegung von Konflikten

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 5

wie im Falle der Ostukraine Georgiens Moldawiens und Armeniens sowie das Draumlngen auf Ruumlstungskon-trolle Abruumlstung und Vertrauensbildung noch wichti-ger Beim Problem des iranischen Atomprogramms beim Kampf gegen den internationalen Terrorismus in Bezug auf Afghanistan war Russland ein Partner Es war an der Loumlsung von Konflikten beteiligt Derartige Felder der Zusammenarbeit sollten erhalten und ndash soweit moumlglich und sinnvoll ndash ausgebaut werden Bei anderen Konflikten wie beim Bemuumlhen um eine Stabilisierung der Wirtschaft und Demokratie in der Ukraine wird Russland in der nahen Zukunft bedauerlicherweise wohl eher Widerpart als Partner bleiben Trotzdem sollten wir uns in Absprache

und gemeinsam mit der Regierung in Kiew um konflikt-mindernde Absprachen und Vereinbarungen bemuumlhen

Es steht uns kein neuer Kalter Krieg mit Russland bevor wohl aber eine Zeit der begrenzten Kooperation und des begrenzten Konfliktes Aufgabe Deutschlands ist es in dieser neuen Phase der Ostpolitik Meinungs- und Interessengegensaumltze realistisch zu analysieren gleichzei-tig aber auf der Grundlage der eigenen Werte und Prin-zipien kooperative Politikansaumltze zu foumlrdern und Kon-flikte einer friedlichen Loumlsung zuzufuumlhren Vielleicht kann auf diese Weise ndash wenn wahrscheinlich wohl erst nach laumlngerer Zeit ndash wieder die Chance fuumlr eine positi-vere Phase der Russland- und Ostpolitik eroumlffnet werden

Uumlber den AutorKarsten D Voigt war von 1976 bis 1998 Mitglied des Bundestags seit 1983 als auszligenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion und bis 1998 Vorsitzender der deutsch-russischen Parlamentariergruppe Von 1999 bis 2010 war er Koordi-nator der Bundesregierung fuumlr die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit Karten Voigt ist Mitglied des Praumlsidiums der Deutschen Gesellschaft fuumlr Auswaumlrtige Politik

UmFRAGE

Die russland-Ukraine-krise in russischen Umfragen

zum Waffenstillstand in der Ukraine Umfragen der raquostiftung Oumlffentliche meinunglaquo (fom)

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 13ndash14 September 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 22 September 2014 unter lthttpfomruMir11731gt

grafik 1 Verfolgen sie die ereignisse in der Ukraine

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100

InsgesamtFreunde etc in der Ukraine

Keine Freunde in der UkraineMann

Frau18-30 Jahre

31-45 Jahre45-60 Jahre

Uumlber 60 JahreMittelschule

Technikum u aumlHochschulbildung

Bis 4000 Rubel4001- 9000 Rubel

9001 ndash 20000 Rubel Mehr als 20000 Rubel

MoskauUumlber 1 Mio Einwohner

250000 ndash 1 Mio Einwohner50000 ndash 250000 Einwohner

Unter 50000 EinwohnernDorf

Taumlgliche Internetnutzer

Aufmerksam staumlndig Nicht sehr aufmerksam von Fall zu Fall Nein Keine Antwort

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 6

grafik 2 Aus welchen informationsquellen erfahren sie von den ereignissen in der Ukraine (frage an jene die die ereignisse in der Ukraine verfolgen ndash 89 Beliebige zahl an Antworten)

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90 815

387

151119

258

28 01

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 13ndash14 September 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 22 September 2014 unter lthttpfomruMir11731gt

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 13ndash14 September 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 22 September 2014 unter lthttpfomruMir11731gt

grafik 3 Berichten die russischen fernsehsender ihrer meinung nach objektiv uumlber die ereignisse in der Ukraine

0 20 40 60 80 100

InsgesamtFreunde etc in der Ukraine

Keine Freunde in der UkraineMann

Frau18-30 Jahre

31-45 Jahre45-60 Jahre

Uumlber 60 JahreMittelschule

Technikum u aumlHochschulbildung

Bis 4000 Rubel4001- 9000 Rubel

9001 ndash 20000 Rubel Mehr als 20000 Rubel

MoskauUumlber 1 Mio Einwohner

250000 ndash 1 Mio Einwohner50000 ndash 250000 Einwohner

Unter 50000 EinwohnernDorf

Taumlgliche Internetnutzer

Objektiv Keine Antwort Voreingenommen

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grafik 4 Wird die Waffenruhe zu einem stabilen frieden fuumlhren

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 13ndash14 September 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 22 September 2014 unter lthttpfomruMir11731gt

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InsgesamtFreunde etc in der Ukraine

Keine Freunde in der UkraineMann

Frau18-30 Jahre

31-45 Jahre45-60 Jahre

Uumlber 60 JahreMittelschule

Technikum u aumlHochschulbildung

Bis 4000 Rubel4001- 9000 Rubel

9001 ndash 20000 Rubel Mehr als 20000 Rubel

MoskauUumlber 1 Mio Einwohner

250000 ndash 1 Mio Einwohner50000 ndash 250000 Einwohner

Unter 50000 EinwohnernDorf

Taumlgliche Internetnutzer

Die Waffenruhe fuumlhrt zu einem stabilen FriedenKeine AntwortDie Kampfhandlungen werden wieder aufgenommen

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 13ndash14 September 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 22 September 2014 unter lthttpfomruMir11731gt

grafik 5 Werden die republiken Donezk und lugansk am ende teil der Ukraine bleiben unabhaumlngige staa-ten werden oder teil russlands werden

0 20 40 60 80 100

InsgesamtFreunde etc in der Ukraine

Keine Freunde in der UkraineMann

Frau18-30 Jahre

31-45 Jahre45-60 Jahre

Uumlber 60 JahreMittelschule

Technikum u aumlHochschulbildung

Bis 4000 Rubel4001- 9000 Rubel

9001 ndash 20000 Rubel Mehr als 20000 Rubel

MoskauUumlber 1 Mio Einwohner

250000 ndash 1 Mio Einwohner50000 ndash 250000 Einwohner

Unter 50000 EinwohnernDorf

Taumlgliche Internetnutzer

Teil der Ukraine bleiben Keine Antwort Anderes Unabhaumlngige Staaten werden Teil Russlands werden

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 8

Umfragen des lewada-zentrums

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 6 Welches sind die wesentliche kraumlfte auf seiten der kiewer seite bei den kaumlmpfen in den gebieten Donezk und lugansk

0 20 40 60 80 100

Jun2014

Sep2014

Regulaumlre Einheiten der ukrainischen ArmeeKeine AntwortBewaffnete Formationen ukrainischer Rechtsradikaler

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 7 Welches sind die wesentlichen kraumlfte bei den kaumlmpfen in den gebieten Donezk und lugansk auf der anderen seite [separatistenneurussland]

0 20 40 60 80 100

Jun 2014

Sep2014

Buumlrgerwehren der Staumldte in den Gebieten Donezk und LuganskKeine AntwortBewaffnete Einheiten prorussischer Radikaler die von Russland unterstuumltzt werden

grafik 8 Befinden sich gegenwaumlrtig in der Ukraine russische streitkraumlfte

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

Ja29

Nein48Keine Antwort

23

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 9

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 9 Wie stehen sie dazu dass in den reihen der Buumlrgerwehr der ostukraine russische freiwillige kaumlmpfen

0 20 40 60 80 100

1 Mai 2014

1 Juni 2014

19-22 Sept2014

26-29 Sept2014

Absolut positiv Eher positiv Keine Antwort Eher negativ Absolut negativ

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 10 Wie endet die gegenwaumlrtige Waffenruhe

Die Unterzeichnung eines Friedensabkommens und

dem Prozess einer friedlichen Regulierung

des Konfliktes27

Wiederaufnahme des bewaffneten Konflikts

46

Keine Antwort27

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 11 sollten im falle eines Wiederaufnahme der kampfhandlungen in der ostukraine russische truppen entsandt werden

Auf jeden Fall5

Eher ja16

Eher nein36

Auf keinen Fall27

Keine Antwort16

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 10

grafik 12 Unterstuumltzen sie die massenproteste (raquofriedensmaumlrschelaquo) gegen die russische einmischung in innere Angelegenheiten der Ukraine

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 September 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 25 September 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint25-09-2014marshi-miragt

0 20 40 60 80 100

Mrz2014

Sep2014

Auf jeden Fall Eher ja Keine Antwort Eher nein Auf keinen Fall

Die haltung gegenuumlber den fluumlchtlingen aus der Ukraine

Quelle Umfragen des WZIOM vom 20ndash21 September 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 26 September 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=114994gt

grafik 13 gibt es in ihrer stadt siedlung fluumlchtlinge aus der Ukraine

0 20 40 60 80 100

Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja viele ukrainische Fluumlchtlinge Ja wenige ukrainische Fluumlchtlinge Keine Antwort Nein keine ukrainischen Fluumlchtlinge

Quelle Umfragen des WZIOM vom 20ndash21 September 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 26 September 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=114994gt

grafik 14 leistet russland den ukrainischen fluumlchtlingen ausreichende hilfe

Russland leistet den Fluumlchtlingen

ausreichende Hilfe67

Russland leistet den Fluumlchtlingen zu geringe

Hilfe4

Russland leistet den Fluumlchtlingen zu viel Hilfe

24

Keine Antwort5

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 11

AUS RUSSISchEN BLOGS

nawalnyj krim nasch1

Seit Maumlrz 2014 steht Alexej Nawalnyj wegen des sogennanten raquoYves-Rocher-Fallslaquo unter Hausarrest Dem opposi-tionellen Politiker wurde per Gerichtsbeschluss verboten seine Wohnung zu verlassen sowie mit jeglichen Perso-

nen auszliger dem engen Familienkreis zu sprechen Interviews zu geben und das Internet zu nutzen Seitdem fuumlhrt das Team der raquoStiftung fuumlr die Korruptionsbekaumlmpfunglaquo (russ raquoFBKlaquo) seinen Blog und seine Frau seinen Twitter-Account Anfang Oktober milderte das Gericht des Moskauer Basmannyj-Rayons (Basmannyj-Gericht) uumlberraschenderweise die Bedingungen des Hausarrests in Bezug auf Kontakte mit der Auszligenwelt was nach mehreren Monaten Journalis-ten wieder einen Zugang zur Schluumlsselfigur der russischen Protestbewegung ermoumlglichte

Das Interview fuumlr Echo Moskwy vom 15 Oktober in dem Nawalnyj sich unzweideutig zur Annexion der Krim aumluszligerte erregte in Russland uumlberaus groszlige Aufmerksamkeit Wie im Nachhinein aus der Redaktion von Echo Moskwy verlautet wollte Michail Lesen Chef der Holding Gazprom-Media die zwei Drittel der Aktien des Radiosenders besitzt die Veroumlffentlichung dieses Interviews auf alle erdenkliche Weise verhindern er habe der stellvertretenden Chefre-dakteurin Olesja Rjabzewa per Telefon mit groszligen Problemen gedroht wie diese in ihrem Blog berichtet Das Inter-view schlug in der liberalen Oumlffentlichkeit wie eine Bombe ein da Nawalnyj die Ruumlckgabe der Krim an die Ukraine eindeutig ausschloss Auf die Frage des Chefredakteurs des Radiosenders Alexej Wenediktow raquoKrim naschlaquo (Ist die Krim unser) sagte der Oppositionelle Folgendes raquoIch finde dass obwohl die Krim unter eklatanten Verstoumlszligen gegen alle voumllkerrechtlichen Normen erobert wurde die Realien derart sind dass die Krim jetzt ein Teil der Russischen Foumlderation ist Machen wir uns doch nichts vor Den Ukrainern rate ich ebenfalls ausdruumlcklich sich nichts vorzu-machen Sie [die Krim Anm d Red] bleibt Teil Russlands und wird in absehbarer Zukunft kein Teil der Ukraine werdenlaquo Diese Aussage loumlste auf Twitter einen massiven raquoShitstormlaquo aus Kurz nach dem Interview schloss sich auch Michail Chodorkowskij der Position Nawalnyjs an und sagte raquoDie Krim gebe ich nicht zuruumlcklaquo (lthttpgraniruPol iticsRussiaPartiesm234009htmlgt) Im Zuge heftiger Debatten in den Blogs teilte sich die liberale Oumlffentlichkeit Russlands in Nawalnyj-Versteher und harsche Kritiker der Krim-Annexion es meldeten sich unter anderem zu Wort Grigorij Golosow Professor an der Europaumlischen Universitaumlt St Petersburg Sergey Davidis Buumlrgerrechtler und enger Verbuumlndeter Nawalnyjs in der Protestbewegung Alexander Osowzow Projektdirektor der Stiftung von Michail Cho-dorkowskij raquoOffenes Russlandlaquo Wladislaw Naganow Mitglied der Nawalnyj-Partei raquoPartei des Fortschrittslaquo der Jour-nalist und Publizist Alexander Sotnik der russischsprachige Kiewer Journalist Mustafa Nayyem und der Kriegskor-respondent Arkadij Babtschenko

eine situation ohne guten AuswegraquoNawalnyj stellt alles richtig dar zu vielen Fragen laumlsst sich derzeit kaum etwas Besseres sagen Er ist ein begabter Mensch ein geborener Politiker Das Schlimme ist dass Russland ihn unter Hausarrest haumllt Alle gehen ihn hier an mit der Krim Man muss aber dabei im Kopf behalten dass es Putin war der die ukrainischen Probleme fuumlr Russland geschaffen hat und Nawalnyj nach einem guten Ausweg aus einer schlechten Lage zu fragen ist nicht besonders fair Die Krim bedeutet eine Situation ohne guten Ausweg Fuumlr den Besitz der Krim werden wir ndash alle zusammen oder jeder einzelne aus eigener Tasche ein Vielfaches von dem zahlen muumlssen was es gekostet haumltte jeden Quadratmeter auf der Halbinsel zu kommerziellen Preisen als Eigentum zu erwerben und alle Bewohner die dann nicht bleiben wollen an die Cocircte drsquoAzur umzusiedeln Putin hat das Geschaumlft bereits abgeschlossen Selbst Nawalnyj kann es nicht stornierenlaquoGrigorij Golosow via Snobru 16102014 lthttpslonrurussiapochemu_navalnyy_prav-1172360xhtmlgt

raquoAlle haben sich auf nawalnyj gestuumlrzthelliplaquoraquoIch habe in seinen Worten keinen Imperialismus erkennen koumlnnen er stimmt der Besetzung und Annexion der Krim nicht zu weist im Gegenteil auf deren krasse Rechtswidrigkeit hin Er hat gesagt dass Krim jetzt de facto zu Russ-land gehoumlrt [hellip] Er sagt dass man sie nicht wie ein Butterbrot zuruumlckgeben kann dass das die Bevoumllkerung entschei-den sollte was gibt es da zu bestreiten Selbst bei der Annexion gab es ein Schein-Referendum Und wenn man nicht autoritaumlr und rechtswidrig vorgeht sondern fair und demokratisch wer anders als die Bevoumllkerung sollte dann ent-scheiden [hellip]

Was ich in der Aumluszligerungen Alexejs nicht gutheiszligen wuumlrde ist der Stil Man sollte jetzt auf Ratschlaumlge fuumlr die Ukrainer lieber verzichten insbesondere bei einer solchen Frage Man sollte nicht davon reden dass Krim rsaquoin absehba-

1 dt Die Krim ist unser

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rer Zukunft kein Teil der Ukraine werdenlsaquo wird auch wenn es scheint als ob die Ergebnisse eines jeden Referendums vorhersehbar sind Schlieszliglich tragen wir alle selbst diejenigen die dagegen waren zu einem gewissen Grad eine Ver-antwortung bei der Aggression des Kreml gegen die Ukraine und trotz allem stehen wir in den Augen der Ukrainer vollkommen zurecht als Buumlrger eines Aggressorstaates da Etwas mehr Ruumlcksicht und Fairness waumlre nicht verkehrtlaquoSergej Davidis auf Facebook 15102014 lthttpswwwfacebookcomsergeidavidisposts800840943304969gt

raquoDer Drache gewinnt in jedem falllaquoraquoBezuumlglich der Krim bin ich mit Nawalnyj kategorisch nicht einverstanden und finde dass gerade Russland der Ukraine die annektierte Krim zuruumlckgeben sollte vor allem weil niemand auch kein Land ein normales Leben fuumlh-ren kann ohne zu versuchen die Folgen eines von ihm begangenen Verbrechens nach Moumlglichkeit zu korrigieren Das waumlre genauso als wenn Alexejs rsaquoLieblingsfigurenlsaquo ndash Timtschenko Jakunin die Rotenbergs usw ndash eines schoumlnen Tages sagen wuumlrden rsaquoWir klauen jetzt nicht mehr wir sind jetzt ehrliche Leute Aber was wir vorher zusammenge-klaut haben das gehoumlrt bereits uns und das behalten wirlsaquo Eine solche Idee wuumlrde Nawalnyj kaum zufriedenstellen

Die Diskussion um Nawalnyjs Position die jetzt stattfindet zeigt aber aus meiner Sicht sehr ernst zu nehmende moralische und ethische Probleme innerhalb eines Teils der russischer Opposition auf Die einen die gestern noch mit harten Worten die rsaquoKrimnaschistenlsaquo beschimpft haben und so schien es bereit waren rsaquoWatniki und Koloradylsaquo2 in Stuumlcke zu zerreiszligen sind nun durch der rsaquoHetze der liberalen Presse gegen Nawalnyjlsaquo empoumlrt [hellip]

Ich moumlchte denjenigen fuumlr die jedweder Meinungsunterschied zu Nawalnyj ein Anschlag auf das Allerheiligste ist Folgendes sagen Beruhigt euch versucht zu verstehen dass es dumm und aussichtslos fuumlr das Land waumlre rsaquoPuti-noidelsaquo durch rsaquoNawalnoidelsaquo auszutauschen So wie in dem alten vietnamesischen Maumlrchen uumlber den Drachen und das Schwert aus grauem Stahl Es gewinnt immer der DrachelaquoAlexander Osowzow auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcomosovtsovaaposts1568393260047754gt

raquoman darf sie nicht hin und her zuruumlckgebenlaquoraquoAlle die Nawalnyj fuumlr seine Worte rsaquoIst die Krim etwa ein Wurstbrot dass man es hin und her zuruumlckgeben koumlnntelsaquo kritisieren moumlchte ich fragen Wie stellt ihr das uumlberhaupt vor

Der Praumlsident Russlands unterschreibt einen Erlass uumlber die Ruumlckgabe der Krim und Sewastopols an die Ukraine Uumlber die Entziehung der russischen Staatsbuumlrgerschaft bei allen Bewohnern der Krim und Sewastopols Oder kann man den Menschen die russische Staatsbuumlrgerschaft belassen und nur das Territorium ndash mit ihnen ndash uumlbergeben Fragt irgendjemand die Menschen was sie wollen bevor man etwas mit ihnen macht Oder werden die Einwohner der Krim und Sewastopols nicht fuumlr Menschen gehalten sondern fuumlr Vieh fuumlr eine Schafherde die zwischen verschie-denen Staaten hin und her rsaquouumlbergebenlsaquo werden kann Der eine Praumlsident hatte Lust und nahm es sich der andere hat sich anders uumlberlegt und gibt es wieder zuruumlckt So etwa

Sollte man nicht doch besser die Menschen fragen Hat Nawalnyj das etwa nicht selbst gesagt als er von einem rsaquonormalenlsaquo Referendum auf der Krim sprach Ich verstehe unter einem rsaquonormalenlsaquo Referendum eines das nicht nur 15ndash20 Tage vorbereitet wird sondern mindestens drei Monate Und bei dem es keine Einschraumlnkungen fuumlr die Kam-pagne gibt Die Anhaumlnger einer Zugehoumlrigkeit der Krim und Sewastopols zur Ukraine wollen hierfuumlr agitieren mit Plakaten Flugblaumlttern Werbevideos ukrainischen Fahnen ndash bitte schoumln Ohne Einschraumlnkungen Und dass alle moumlg-lichen Wahlbeobachter zum Referendum kommen koumlnnen von der OSZE von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates von der GUS aus der Ukraine der EU und den USA von uumlberall her Und dass ein transparenter Ablauf der Stimmenzaumlhlung gewaumlhrleistet werde Und wenn jemand von den Wahlbeobachtern ein Nachzaumlhlen der Stimmen per Hand verlangt ndash bitte schoumln mehrmals so oft wie gewuumlnscht Und uumlberhaupt Lasst so viele Wahlbe-obachter in jedes Wahllokal wie dort Platz ist Und keinerlei bewaffnete Menschen mit Maschinenpistolen in kei-nem einzigen Wahllokal oder dessen UmgebunglaquoWladislaw Naganow auf Livejournal 16102014 lthttpnaganofflivejournalcom142862htmlgt

liebe raquonawalnistenlaquoraquoAlso Fuumlr die verehrten rsaquoNawalnistenlsaquo die sich wegen Alexej so aufregenhellip

2 raquoWatnikilaquo (Wattejacken) ndash abfaumlllige Bezeichnung fuumlr russische sbquoHurrapatriotenlsquo (ein raquoWatniklaquo ist eine Wattejacke die mit der Armee aber auch mit Straumlflingen assoziiert wird) raquoKoloradylaquo (von raquo koloradskij shuklaquo ndash Kartoffelkaumlfer) ndash abfaumlllige Bezeichnung fuumlr prorussische Akti-visten in der Ukraine (die Faumlrbung des Kaumlfers ist schwarz-gelb oder schwarz-orange gestreift aumlhnlich den Farben des St Georgs-Bandes das von prorussischen Kraumlften in der Ukraine und von politisch rechtsstehenden Russen als Abzeichen verwendet wird)

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Ja eurer rsaquoFuumlhrerlsaquo ist Imperier Daraus hat er kein Geheimnis gemacht Er ist bei der Krim-Frage ein absoluter Putin Weil er wenn er einer anderen Ansicht waumlre Wenediktow Folgendes gefragt haumltte rsaquoVon welcher Krim reden Sie denn Von der die zur Ukraine gehoumlrt womit Russland einverstanden war als es das Budapester Abkommen unterschrieben hat Sie fragen mich uumlber die territoriale Integritaumlt eines Staates dem Russland Garantien gegeben hat wonach die Ukraine zum atomwaffenfreien Land geworden ist Haumltte Russland seinerzeit diese Garantien nicht gegeben haumltte die Ukraine jetzt Atomraketen und wir wuumlrden es niemals riskieren uns dort einzumischenhellip Sie fragen also nach Quatsch und zwar provokantem Quatschlsaquo

Wenn er also auf diese Weise geantwortet haumltte dann ja Dann waumlre er als Politiker geboren worden Er hat sich aber ausgenullt Wie seinerzeit Udalzow

Und noch etwa Verehrte rsaquoNawalnistenlsaquo houmlrt auf euch Goumltzen zu schaffen Viele von euch waren auf dem rsaquoFrie-densmarschlsaquo zur Unterstuumltzung der territorialen Integritaumlt der Ukraine Verliert das Gesicht nicht Trefft eine Wahl ohne Bindung des Herzens Und all die Argumente rsaquoer habe es nicht so gesagt er habe etwas anderes gemeintlsaquo das ist im Stil von rsaquoPutinistenlsaquo und zwar rsaquoUnser Fuumlhrer hat alle ausgetrickst Das eine gesagt was anderes getan Sie haben seinen Weisheiten schlecht zugehoumlrtlsaquohellip

Seid keine Kinder Werdet erwachsenlaquoAlexander Sotnik auf Facebook 15102014 lthttpswwwfacebookcomsashasotnikposts646414272138108gt

raquorandfigur russischer PolitiklaquoDa Alexej Nawalnyj recht offen seine Meinung zur Krim geaumluszligert hat [hellip] waumlre es auch fuumlr den Oppositionellen selbst sinnvoll das Geheimnis uumlber seine Lage zu luumlften Ich finde dass abgesehen davon dass die Rechte von Ale-xej Nawalnyj lange Jahre verletzt wurden und er nach himmelschreiender Verletzung aller Gesetzesnormen der Rus-sischen Foumlderation verurteilt wurde die Realitaumlt so aussieht dass Herr Nawalnyj eine Randfigur der russischen Poli-tik ist Ich rate ihm und seinen Anhaumlngern eindringlich sich nichts vorzumachen ndash sie haben in absehbarer Zukunft keine Chance bedeutende Figuren in der groszligen Politik zu werden Das waumlre ebenfalls ehrlichMustafa Nayyem auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcomMustafanayyemposts10203171638717866gt

raquoWas wollen sie Pardon zuruumlckgebenlaquoraquoWas fuumlr spannende Eskapaden nun zu dieser Krimhellip rsaquoDie Krim ist kein Wurstbrotlsaquo meint Nawalnyj rsaquoWenn ich Prauml-sident werde gebe ich Krim nicht zuruumlcklsaquo schreibt Michail Chodorkowskij auf Twitter [hellip]

Russland hat einen Teil eines souveraumlnen Staates okkupiert Diese Okkupation ist von keinem anderen Staat in der Weltgemeinschaft anerkannt worden In der ganzen Welt hat sich die ukrainische Grenze nicht um einen Zen-timeter veraumlndert Die Welt kennt keinen anderen Staat rsaquoUkrainelsaquo auszliger diesen ndash mit der Krim Die Welt kennt kei-nen anderen Staat rsaquoRusslandlsaquo auszliger diesen ndash ohne die Krim Es hat keine Vertraumlge zur Anerkennung und Bestaumltigung neuer Grenzen gegeben

Was also wollen Sie Verzeihen Sie die Frage rsaquozuruumlckgebenlsaquo [hellip]Und zweitens Das wichtigsteWenn du Praumlsident wirst ndash eben Praumlsident ndash waumlre in diesem Koordinatensystem schon eine solche Fragestellung

rsaquoabgeben oder nichtlsaquo per definitionem undenkbar Denn der Praumlsident ist ein gewaumlhltes Amt Ein Amt das im Rah-men fairer und freier Wahlen besetzt wird die in einem demokratischen Land nach internationalen Regeln Konven-tionen Rechten und Gesetzen die durch die Weltgemeinschaft als korrekt anerkannt werden [hellip] In dieser Situa-tion wuumlrde sich die Frage rsaquozuruumlckgeben oder besser nochmal uumlberlegenlsaquo a priori nicht stellen Weil nicht du es bist der uumlber zuruumlckgeben oder nicht entscheidet Du bist kein Lenker des Schicksals von Staaten Laumlndern und Voumllkern Du bist bloszlig Garant der Ausfuumlhrung von Gesetzen Einschlieszliglich internationaler Gesetze Fuumlr alle die daruumlber anders dachten ist die Moumlglichkeit geschaffen worden uumlber ihre Fehler nachzudenken ndash in den schoumlnen Staumldten Nuumlrnberg und Den HaaglaquoArkadij Babtschenko auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcombabchenkoaposts555934824506755fref=nfgt

Ausgewaumlhlt und zusammengefasst von Sergey Medvedev Berlin (Die Blogs auf die verwiesen wird sind in russischer Sprache verfasst)

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ANALYSE

zivilgesellschaft und staat in russlandPavel Chikov Moskau

zusammenfassungDie Zivilgesellschaft befindet sich heute in Russland in einem schlechten Zustand Sie entwickelte sich Ende der 1980er Jahre und genoss bis Ende der 1990er Jahre weitgehende Freiheiten 1999 gab es erste staatliche Eingriffe und 2004 kennzeichnete Praumlsident Putin aus dem Ausland finanzierte NGOs direkt als raquoFeindelaquo In den folgenden Jahren wurde die Gesetzgebung verschaumlrft die Registrierung von NGOs erschwert den-noch gab es bis zur Ruumlckkehr Putins in das Praumlsidentenamt im Jahre 2012 kein ernstliches Vorgehen der Behoumlrden gegen die NGOler Mit der ultrakonservativen Wende des Jahres 2012 begann der Staat auch verstaumlrkt gegen die NGOs vorzugehen Heute auch nach den Ereignissen in der Ukraine ist weithin klar geworden dass Wladimir Putin bei seiner Orientierung auf einen extremen Konservatismus auch vor Re-pressionen gegen Nichtregierungsorganisationen nicht zuruumlckscheut

Die entstehung der zivilgesellschaft ende der 1980er JahreDer Zustand der Zivilgesellschaft in Russland laumlsst sich heute mit nur einem Wort charakterisieren schlecht Mehr noch Er ist schlechter denn je in der neuesten Geschichte Russlands wenn man davon ausgeht dass es zu sowjetischer Zeit keine nennenswerte Zivilgesell-schaft gegeben hat Die vereinzelten sowjetischen Buumlr-gerrechts- und Dissidentengruppen deren Mitglieder von den Geheimdiensten aufs engste uumlberwacht wurden lassen sich naumlmlich nur mit groumlszligter Muumlhe als Zivilge-sellschaft bezeichnen

Eine legale Existenz vom Staat unabhaumlngiger Nicht-regierungsorganisationen begann in Russland ungefaumlhr in jener Zeit als West- und Ostdeutschland wiederver-eint wurden Ende der 1980er und in der ersten Haumllfte der 1990er Jahre wurden zum einen die bereits erwaumlhn-ten sowjetischen Dissidentengruppen dann aber auch jene Initiativgruppen die auf der Welle der Perestroika unter Gorbatschow entstanden waren und nun als Orga-nisationen auftraten zur Basis der kuumlnftigen Zivilgesell-schaft Diese Gruppen erreichten dass Kuibyschew in Samara und Gorkij in Nishnij Nowgorod umbenennt wurde und sie beteiligten sich engagiert an den Wahlen der Volksdeputierten beseitigten verschiedenste Relikte der sowjetischen Vergangenheit wurden zu Meinungs-fuumlhrern der Gesellschaft organisierten erstmals recht-liche Hilfe fuumlr die schwaumlchsten Bevoumllkerungsgruppen

Die ersten Gesetze die die Taumltigkeit von NGOs sys-tematisch regulierten entstanden in den Jahren 1995 und 1996 Sie wurden auf der Houmlhe der allgemeinen Demokratisierung verabschiedet schrieben die grundle-genden buumlrgerlichen Freiheiten fest sahen eine Registrie-rung per Anmeldung keinerlei Rechenschaftspflichten sowie die Moumlglichkeit vor ohne Registrierung als juristi-sche Person taumltig sein zu koumlnnen Hierbei konnten rund zwei Dutzend verschiedener Rechtsformen genutzt wer-den Eine gesellschaftliche Organisation (NGO) regis-

trieren zu lassen bedeutete keine Muumlhe und die staat-lichen Gebuumlhren hierfuumlr waren minimal Gleichzeitig gab es jedoch keinerlei System fuumlr eine finanzielle Foumlrde-rung von nichtkommerziellen Organisationen (NGOs) durch den Staat

erste eingriffe des staatesDie ersten Zeichen die von kuumlnftigen Problemen fuumlr NGOs kuumlndeten erfolgten im Jahr 1999 als das Justiz-ministerium eine Neuregistrierung aller aktiven nicht-kommerziellen Organisationen (NGOs) verlangte Damals sahen sich einige Menschenrechtsorganisatio-nen erstaunlichen Beanstandungen durch die Behoumlrden gegenuumlber Wie sich herausstellte sollte es nicht moumlg-lich sein den Schutz der Menschenrechte und buumlrgerli-chen Freiheiten zu den satzungsgemaumlszligen Zielen zu zaumlh-len Die Fachleute des Justizministeriums behaupteten Da der Schutz der Menschenrechte gemaumlszlig der Verfas-sung die Pflicht des Staates ist koumlnnten NGOs diesen darin allenfalls sbquounterstuumltzenlsquo Das ist die Erklaumlrung dafuumlr dass die meisten Moskauer Organisationen bei ihren Namen und in ihren Satzungen bis heute diese Formulierung verwenden die offensichtlich eine klare paternalistische Botschaft an die Gesellschaft darstellt Zivilgesellschaftliche Organisationen koumlnnen ndash so die Haltung der russischen Regierung seit 1999 und bis jetzt ndash nichts selber machen Sie koumlnnen lediglich den Staat unterstuumltzen Folglich stoszligen NGOs wenn sie sich gegen die Politik des Staates wenden auf unweiger-lichen vaumlterlichen Zorn Die 15 Jahre nach 1999 illus-trieren diese Haltung sehr deutlich

nichtregierungsorganisationen als raquofeindelaquo2004 hat Praumlsident Putin in seiner jaumlhrlichen Parla-mentsansprache Nichtregierungsorganisationen die auch nur irgendwelche Gelder aus dem Ausland erhalten direkt seine Feinde genannt 200405 wurde eine spe-zielle staatliche Struktur der raquoFoumlderale Dienst fuumlr Regis-

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trierunglaquo (raquoRosregistrazijalaquo) geschaffen ndash eine Polizei fuumlr NGOs Es wurden fuumlr NGOs Rechenschaftspflich-ten uumlber ihre Taumltigkeit eingefuumlhrt die fuumlr zwei Drit-tel der Organisationen nicht zu stemmen waren Von 2006 bis 2008 hat diese dem Justizministerium nach-geordnete Behoumlrde die Aufloumlsung Zehntausender zivil-gesellschaftlicher Organisationen per Gerichtsbeschluss erwirkt Weitere 50000 erhielten Verwarnungen Ins-gesamt befanden sich beim Amtsantritt des Zwischen-praumlsidenten Medwedew achtzig Prozent der in Russland existierenden Organisationen (ungefaumlhr 150ndash180000) nur einen Schritt von ihrer moumlglichen Aufloumlsung (aus formalen Gruumlnden) durch das Justizministerium ent-fernt Staatsfreundliche Strukturen (wie etwa die Gesell-schaftskammer) haben beharrlich die Vorstellung trans-portiert dass es in Russland tatsaumlchlich nicht mehr als 30000 gesellschaftliche Organisationen (NGOs) gebe Das Anhalten der repressiven Maschine gegen NGOs war eine der wenigen liberalen Zugestaumlndnisse Dmitrij Medwedews als Praumlsident raquoRosregistrazijalaquo wurde 2008 selbst aufgeloumlst und seine Funktionen zur Kontrolle der Nichtregistrierungsorganisationen direkt dem Justiz-ministerium uumlbertragen Viele ehemalige Mitarbeiter von raquoRosregistrazijalaquo einschlieszliglich des Behoumlrdenlei-ters wechselten zur Staatsanwaltschaft

2009 und 2010 ritten die Behoumlrden nur vereinzelte Angriffe auf Nichtregistrierungsorganisationen Ein besonders bekannter Fall war die blitzartige staatsan-waltschaftliche Uumlberpruumlfung von 40 Menschenrechtsor-ganisationen im September 2010 die auf Anweisung der Praumlsidialadministration erfolgte diese wollte vor dem Treffen der Leiter der Kommission von Wladislaw Sur-kow und Michael MacFaul kompromittierende Mate-rialien uumlber aus dem Ausland finanzierte Organisatio-nen praumlsentieren Insgesamt aber hat bis zur Ruumlckkehr Putins in das Praumlsidentenamt kein ernstliches Vorgehen der Behoumlrden gegen die NGOler gegeben

Die situation der zivilgesellschaft nach dem mai 2012Die Situation aumlnderte sich grundlegend im Mai 2012 nach der dritten Inauguration Putins die von Mas-senprotesten auf dem Bolotnaja-Platz begleitet wurde denen die bis heute andauernden sogenannten Bolot-naja-Verfahren folgten naumlmlich die strafrechtliche Ver-folgung und Verurteilung zu Gefaumlngnisstrafen von Teil-nehmern der regierungskritischen Demonstration vom 6 Mai 2012 Die Praumlsidialadministration wappnete sich mit der ultrakonservativen Politik einer demonstrativen Absage an liberale Werte fuumlr den Praumlsidenten wurde das Image eines Verteidigers traditioneller Werte aufgebaut die den Menschenrechten und buumlrgerlichen Freiheiten gegenuumlbergestellt werden

Die weitgehenden Beschraumlnkungen der Versamm-lungsfreiheit die Verfolgung von Schwulen und Les-ben die Angriffe auf die Redefreiheit im Internet die Herstellung staatlicher Kontrolle uumlber die Medien die Diskreditierung des Instituts der Wahlen wurden durch eine Kampagne zur Verfolgung von Nichtregierungsor-ganisation ergaumlnzt Diese Welle wurde unter der Losung losgetreten dem Einfluss aus dem Ausland entgegenzu-wirken Sie erfolgte durch Aumlnderungen im Gesetz uumlber nichtkommerzielle Organisationen (NGOs) das Aumlnde-rungsgesetz wurde als raquoGesetz uumlber auslaumlndische Agen-tenlaquo bekannt Praumlsident Putin persoumlnlich ist bekann-termaszligen dessen geistiger Vater Im Verlauf des Jahres 2013 organisierte die Staatsanwaltschaft die vom Jus-tizministerium die Funktion der Kontrolle uumlber Nicht-regierungsorganisationen uumlbernommen hatte die Uumlber-pruumlfung von rund tausend NGOs und lieszlig sich dabei lediglich von einem Kriterium leiten naumlmlich der Frage ob eine Organisation in irgend einer Art Gelder aus irgendeiner Art auslaumlndischer Quelle erhaumllt die Ver-einten Nationen den Europarat und private Nichtre-gierungsstrukturen eingeschlossen Auch eine Reihe deutscher Stiftungen und Organisationen waren Atta-cken ausgesetzt naumlmlich die Friedrich-Ebert-Stiftung die Konrad-Adenauer-Stiftung und der Deutsch-Rus-sische Austausch

Ziel der von Generalstaatsanwalt Jurij Tschajka ini-tiierten Kampagne war es moumlglichst viele Organisa-tionen dazu zu noumltigen sich als auslaumlndischer Agent registrieren zu lassen Die Reaktion der russischen Zivil-gesellschaft laumlsst sich wohl als deutlichsten Beweis ihrer Existenz bezeichnen Nach dieser halbjaumlhrigen Kam-pagne in allen Regionen des Landes hatte sich keine einzige Organisation im Verzeichnis der raquoauslaumlndi-schen Agentenlaquo registrieren lassen Die Zivilgesellschaft hatte ndash ohne sich zu verabreden ndash die Anwendung die-ses Gesetzes sabotiert und Dutzende Organisationen zogen mit Beschwerden gegen das Vorgehen der Staats-anwaumllte vor Gericht Diese ewig langen Gerichtspro-zesse dauern bis heute an Involviert sind mittlerweile auch das Oberste Gericht das Verfassungsgericht der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte die Vene-dig-Kommission des Europarates der Menschenrechts-kommissar des Europarates und die Regierungschefs aller groszligen westlichen Staaten

Heute nach den diesjaumlhrigen Ereignissen in der Ukraine ist weithin klar gewonnen dass Wladimir Putin bei seiner Hingabe an extremen Konservatismus und bei seiner Attacke gegen liberale Werte die die Grundlage der Nachkriegsordnung dargestellt haben bei Repressionen gegen Nichtregierungsorganisationen nicht halt macht Heute in einer Situation da von jenem Moment wo im Kopf des Praumlsidenten oder von irgend

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jemandem in dessen engster Umgebung die naumlchste Idee zur Beschraumlnkung der Menschenrechte entsteht bis zur Verabschiedung und dem Inkrafttreten eines entsprechenden Foumlderalen Gesetzes nur eine Woche vergehen kann koumlnnen jene die Menschenrechtsar-

beit machen solche Schritte der Regierung weder aus-zuschlieszligen noch sie vorhersehen Es bleibt einem nur auf wirklich alle Szenarien gefasst zu sein auch auf die schlimmsten

Uumlbersetzung Hartmut Schroumlder

Uumlber den AutorPawel Chikow Vorsitzender der Interregionalen Assoziation der Buumlrgerrechtsorganisationen raquoAGORAlaquo Mitglied des Rats fuumlr die Entwicklung der Zivilgesellschaft und fuumlr Menschenrechte beim Praumlsidenten der Russischen Foumlderation

ANALYSE

ngos in russlandJens Siegert Moskau

zusammenfassungUnabhaumlngige russische NGOs sind seit Praumlsident Putins Amtsantritt Ziel staatlichen Drucks Die Auseinan-dersetzung mit diesem Druck hat bei den NGOs zu einer schrittweisen und beindruckenden Professionali-sierung beigetragen die wiederum geholfen hat trotz dieses Drucks nicht nur zu uumlberleben sondern auch ihre Arbeit weiter machen zu koumlnnen Das vor knapp zwei Jahren in Kraft getretene sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo stellt die NGOs vor eine neue harte Probe Zudem versucht der Staat erneut NGOs auch institutionell in raquogutelaquo und raquoboumlselaquo einzuteilen Dieser neue Versuch NGOs unter direkte staatliche Kontrol-le zu bringen gefaumlhrdet die Existenz unabhaumlngiger und staatskritischer NGOs in Russland

Putin und die ngosSeit Wladimir Putin vor nun schon fast 15 Jahren rus-sischer Praumlsident wurde versucht er sehr erfolgreich alle autonomen politischen Subjekte in Russland der direkten Kontrolle des Staates besser noch des Kremls zu unterwerfen In Wirtschaft und Politik ist das wei-testgehend gelungen Bei den Massenmedien sehr weit-gehend Blieben und bleiben die NGOs Sie haben sich als am widerstaumlndigsten erwiesen Das hat unterschied-liche Gruumlnde

Erstens galten NGOs im Kreml lange nicht als son-derlich gefaumlhrliche politische Bedrohung Das aumlnderte sich kurzzeitig 20042005 als der Kreml vor allem bei der sogenannten Orangenen Revolution in der Ukraine aus dem Ausland finanzierte NGOs als wichtige trei-bende Kraft der politischen Veraumlnderungen betrachtete Doch hielt diese seinerzeit stark uumlbertriebene Angst vor der Moumlglichkeit aumlhnlich raquoumstuumlrzlerischer Machen-schaftenlaquo in Russland nur recht kurz an Danach etwa ab Ende 2006 und bis zur Protestwelle gegen Wahlfaumll-schungen und die Wiederwahl von Wladimir Putin zum russischen Praumlsidenten im Winter 20112012 periodisch blieben die Aufmerksamkeit den NGOs gegenuumlber und das Verhaumlltnis zwischen Staat und NGOs ambivalent

Dieses Verhaumlltnis schwankt seit Putins Machtan-tritt zwischen dem Misstrauen des Staates allen auto-nomen potentiell eigenstaumlndigen politischen Subjekten gegenuumlber (die aus seiner Sicht streng kontrolliert gehouml-ren) und der Erkenntnis dass NGOs eine ganze Reihe wichtiger sozialer und politischer Funktionen ausfuumll-len die der Staat nicht oder nicht mehr zu gewaumlhrleis-ten in der Lage ist Auszligerdem erwiesen sich die NGOs nach weitgehender Abschaffung der Pressefreiheit und Gleichschaltung der (ohnehin schwachen und in vielen Bereichen dysfunktionalen) politischen Parteien fuumlr den Kreml als nuumltzlicher ja mitunter notwendiger Kommu-nikationskanal in die Gesellschaft

Die Uumlberlebensfaumlhigkeit der russischen ngosDas Uumlberleben unabhaumlngiger NGOs wurde bis heute auszligerdem durch ihre groszlige politische und institutio-nelle Lernfaumlhigkeit gewaumlhrleistet Unter dem staatli-chen Druck der vergangenen 15 Jahre ist die NGO-Arbeit in Russland in fast allen Bereichen professioneller geworden Das gilt insbesondere fuumlr die Einhaltung der in vielem widerspruumlchlichen oft geaumlnderten und uumlber Verwaltungsakte zu wahren buumlrokratischen Monstern

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aufgeblaumlhten die NGOs betreffenden Gesetze Kurz gesagt Vor allem Juristen Buchhalter Geschaumlftsfuumlh-rer die NGOs beraten oder in ihnen arbeiten aber auch viele Aktivisten sind schlicht besser schneller und pro-fessioneller als die staatliche Finanz- Justiz- oder sons-tige Verwaltung Einem in vielem legalistischen Staat gegenuumlber kostet diese staumlndige Professionalisierung (auch im Sinn einer Art raquolebenslangen Lernenslaquo) zwar viel Kraft und es muumlssen dafuumlr nicht geringe Ressour-cen eingesetzt werden aber sie verschafft solange es sich nicht um frontale Angriffe handelt immer wieder Raum und Zeit zum Weitermachen

Damit komme ich zum dritten Grund fuumlr die beson-dere Widerstaumlndigkeit von NGOs in Russland Es ist fuumlr einen Staat (und seine Staatsmaumlnner und -frauen) fuumlr den der Eigensinn der Menschen nur schwer vorstell-bar ist und der vom eigenen Zynismus geleitet hin-ter jedem und allem irgendwelchen raquofremden Maumlchtelaquo Verschwoumlrungen und politischen Utilitarismus vermutet ganz offenbar schwer vorstellbar dass zivilgesellschaftli-ches Engagement sozusagen aus sich selbst heraus oder aus einer bestimmten Situation oder einem bestimmten Ereignis einem Erlebnis oder einer Erfahrung heraus entsteht Administrative auch strafrechtliche Maszlig-nahmen gegen dieses Engagement laufen eben deshalb immer wieder zwar nicht voumlllig ins Leere (sie erschwe-ren dieses Engagement mitunter enorm) aber sie koumln-nen es nicht verhindern Es verlagert sich immer wieder und findet immer neue Formen und Foren

Die Verstaumlrkung der staatlichen kontrolleBis heute gab es unter Putin drei groumlszligere Versuche unab-haumlngige NGOs unter mehr oder weniger direkte staatli-che Kontrolle zu bringen und diejenigen die sich dagegen wehrten entweder zu marginalisieren oder auch zu schlie-szligen Der erste im Jahr 2001 endete mit einem oben schon angedeuteten Kompromiss der das Verhaumlltnis Kreml-NGOs in einem (allerdings jederzeit prekaumlren) Gleich-gewicht zwischen Konfrontation und Kooperation hielt

Der zweite Versuch endete in der Verabschiedung des raquoNGO-Gesetzeslaquo Ende 2005Anfang 2006 das den NGOs weitergehende Berichtspflichten auferlegte in der Praxis also Ressourcen band und bindet aber ebenfalls in der Praxis und entgegen anderslautenden Befuumlrchtungen nicht zu wesentlichen Einschraumlnkun-gen in der Arbeit russische NGOs fuumlhrte Die groumlszligte negative Wirkung dieses Versuches duumlrfte von zahlrei-chen oumlffentlichen Aumluszligerungen hochgestellter Politiker bis hin zu Putin ausgegangen sein NGOs seien raquoFeindelaquo raquoSchakale die um auslaumlndische Vertretungen streunenlaquo Dadurch wurde die Einstellung von Teilen der Gesell-schaft vor allem aber von weiten Teilen der Verwaltung zu NGOs grundsaumltzlich negativ gepraumlgt

Der dritte Versuch begann als Teil der staatlichen Reaktionen auf den Protestwinter 20112012 und haumllt bis heute an Sein wichtigster Bestandteil ist das soge-nannte raquoNGO-Agentengesetzlaquo das eigentlich kein eigenes Gesetz ist sondern aus einer Reihe dem NGO-Gesetz neu hinzugefuumlgter oder geaumlnderter Paragraphen besteht Diese Vorschriften verpflichten NGOs die raquosich politisch betaumltigenlaquo und Geld oder andere Zuwendun-gen aus dem Ausland erhalten sich beim Justizminis-terium als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren zu lassen Danach muumlssen sie jede oumlffentliche Aumluszligerung mit dem Zusatz raquoauslaumlndischer Agentlaquo versehen

Die Durchsetzung des AgentengesetzesTrotz erheblichen staatlichen raquoPressingslaquo der raquoUumlber-pruumlfunglaquo von mehr als 700 NGOs in ganz Russland durch Staatsanwaltschaft Justizministerium Finanz-amt und eine Reihe anderer Behoumlrden ab dem Fruumlhjahr 2013 hatte sich im Fruumlhjahr 2014 erst eine NGO als raquoauslaumlndischer Agentlaquo im entsprechenden Register des Justizministeriums eintragen lassen (lthttpunromin justruNKOForeignAgentaspxgt) Alle anderen selbst diejenigen NGOs die von den Behoumlrden als raquoAgentenlaquo eingestuft und teilweise mit empfindlichen Geldstra-fen belegt worden waren weigerten sich und weigern sich bis heute Viele NGOs klagten und klagen sowohl gegen das Gesetz als auch gegen die raquoUumlberpruumlfungenlaquo und die aus ihnen von den Justizbehoumlrden abgeleite-ten Bescheide und Anweisungen vor russischen Gerich-ten aber auch vor dem Europaumlischen Gerichtshof fuumlr Menschenrechte (EGMR) Eine Entscheidung des rus-sischen Verfassungsgerichts hat die raquoAgentenparagra-phenlaquo fuumlr verfassungskonform erklaumlrt wenn auch einige Einzelbestimmungen darunter die zu Mindeststrafen aufgehoben

Im Juni 2014 beschloss die Staatsduma eine Verschaumlr-fung der raquoAgentenlaquo-Paragraphen des NGO-Gesetzes Seither hat das Justizministerium das Recht NGOs auch ohne deren Zustimmung in das raquoAgentenlaquo-Register ein-zutragen Bis heute (21102014) hat es 15 NGOs getrof-fen Es ist damit zu rechnen das weitere folgen werden Justizminister Jurij Tschajka hat bereits 2013 im Foumlde-rationsrat von 24 NGOs gesprochen die nach Ansicht des Ministeriums raquoAgentenlaquo seien Auszligerdem wurden 2013 und 2014 mehr als 40 NGOs von der Staatsanwalt-schaft aufgefordert sich vorsorglich als raquoAgentenlaquo regis-trieren zu lassen da sie Geld aus dem Ausland bekaumlmen und Gefahr liefen sich raquopolitisch zu betaumltigenlaquo

Die reaktionen der ngos auf das AgentengesetzDie praktischen Reaktionen der NGOs auf diesen staat-lichen Druck sind unterschiedlich Einige NGOs wie

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die Wahlbeobachter von raquoGoloslaquo haben sich als juris-tische Personen aufgeloumlst oder sind wie die raquoJuristen fuumlr Verfassungsrechte und Freiheitlaquo dabei sich aufzu-loumlsen (ein juristisch und administrativ nicht ganz ein-facher und langwieriger Vorgang) Fast alle NGOs die sich aufloumlsen haben aber erklaumlrt ihre Arbeit auch ohne juristischen Status fortsetzen zu wollen Rechtlich ist das moumlglich Praktisch werden diese NGOs auf zahlreiche neue Probleme treffen wohl bis hin zur moumlglichen Kri-minalisierung einzelner Personen

Einige andere NGOs darunter das Menschenrechts-zentrum Memorial machen weiter wie bisher Sie fech-ten meist die Eintragung in das raquoAgentenregisterlaquo vor Gericht an (in der Regel ohne besonderen Erfolg) Das Menschenrechtszentrum Memorial aber auch einige andere NGOs wollen bis zum EGMR gehen unter ande-rem weil sie das Gesetz insgesamt fuumlr unmoralisch und verfassungswidrig haumllt

Eine weitere Reaktion ist eine Art Hase-und-Igel-Spiel mit den Behoumlrden Das kann sich in einem Geflecht von unterschiedlichen NGOs ausdruumlcken die unter-schiedliche Funktionen wahrnehmen Eine NGO macht politische Erklaumlrungen und betreibt Lobbying Ihre Aktivistinnen arbeiten ausschlieszliglich ehrenamt-lich Eine andere bekommt auslaumlndische Finanzierung fuumlr Projekte die auch nach der Definition von Staatsan-waltschaft und Justizministerium nicht raquopolitischlaquo sind Wieder andere NGOs weichen auf Organisationsformen (juristische Personen) jenseits des NGO-Gesetzes aus die dann nicht den raquoAgentenparagraphenlaquo unterliegen

Der Vorstoszlig gegen memorialAllerdings beschraumlnkt sich die staatliche Behinderung und Bedrohung von NGOs nicht auf das relativ neue Agentengesetz Alle anderen laumlnger erprobten adminis-trativen bis strafrechtlichen Instrumente bleiben eben-falls im Einsatz Juumlngstes und bekanntestes aber bei weitem nicht einziges Beispiel ist der Schlieszligungsan-trag des Justizministeriums vor dem Obersten Gericht gegen raquoMemorial Russlandlaquo raquoMemorial Russlandlaquo ist ein Netzwerk aus rund 50 regionalen und thematischen Memorial-Organisationen und selbst eine von mehr als 60 Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Internatio-nallaquo (Zum Memorial-Netzwerk siehe lthttprusslandboellblogorg20141011wie-funktioniert-memorial-ein-kleiner-wegweiser-durch-eine-zugegeben-kompli zierte-strukturgt) Bei einer der regelmaumlszligigen Pruumlfun-

gen stellte das Justizministerium Anfang 2012 also vor Beginn der jetzigen Repressionswelle gegen NGOs fest dass die seit Gruumlndung der Organisation geltende konfouml-derative Struktur von raquoMemorial Russlandlaquo raquonicht dem Gesetz entsprechelaquo und geaumlndert werden muumlsse Insbe-sondere behagt dem Justizministerium nicht dass die Mehrzahl der Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Russlandlaquo ihrerseits eigenstaumlndige juristische Personen sind raquoMemorial Russlandlaquo muumlsse sich zentralistisch organisieren und die regionalen Memorial-Organisa-tionen zu Filialen werden Ohne hier ins Detail gehen zu koumlnnen wuumlrde das aber zu weiteren Problemen fuumlh-ren die wiederum die Schlieszligung von Memorial durch das Justizministerium zum Ergebnis haumltten Memorial sucht einen Ausweg das Justizministerium betreibt die Schlieszligung Viele NGOs haben Probleme mit der Feu-erwehr dem Gesundheitsamt oder der Arbeitsschutzbe-houmlrde Beliebt ist in juumlngster Zeit auch die Kuumlndigung von Mietvertraumlgen (so unlaumlngst geschehen bei raquoGoloslaquo und der raquoBewegung fuumlr Menschenrechtelaquo)

soziale und politische ngosSeit dem Fruumlhjahr zeichnet sich noch ein weiterer Angriff auf unabhaumlngige und staatskritische NGOs ab Der von Michail Fedotow geleitete Zivilgesellschaftsrat beim Praumlsidenten beraumlt seit einiger Zeit eine erneute Aumlnde-rung des NGO-Gesetzes Er schlaumlgt vor die Agenten-paragraphen abzuschaffen und dafuumlr um den Befuumlrch-tungen des Kremls auf politische Einflussnahme (nicht nur aus dem Ausland) Rechnung zu tragen kuumlnftig eine Einteilung von NGOs in raquosozialelaquo und raquopolitischelaquo vor-zunehmen raquoSozialelaquo NGOs sollen diesen Vorschlaumlgen nach kuumlnftig steuerlich beguumlnstigt sein und staatliche Zuwendungen erhalten koumlnnen raquoPolitischelaquo NGOs wer-den hingegen von staatlicher Foumlrderung ausgeschlossen und sollen auf alle Zuwendungen insbesondere aber auf Zuwendungen aus dem Ausland einen noch fest-zulegenden Steuersatz zahlen Die Befuumlrworter dieser im Uumlbrigen im Zivilgesellschaftsrat nicht unumstrit-tenen Initiative verweisen darauf dass so die heute als raquoAgentenlaquo verfolgten NGOs eventuell noch gerettet wer-den koumlnnten waumlhrend staatliche Foumlrderung aller ande-ren verstaumlrkt wuumlrde Ein Gewinn also fuumlr alle Betei-ligten Tatsaumlchlich verbirgt sich hinter dem Vorschlag aber eine gefaumlhrliche Tendenz zur Entsolidarisierung in der NGO-Szene wie sie auch anderswo schon laumln-ger zu beobachten ist

Uumlber den AutorJens Siegert ist Diplompolitologe und leitet seit 1999 das Laumlnderbuumlro Russland der Heinrich Boumlll Stiftung in Mos-kau Davor arbeitete er in Moskau als Korrespondent fuumlr Radiostationen Zeitschriften und Zeitungen im deutsch-sprachigen Raum

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Lesetippsbull Siegert Jens Putin und die Zivilgesellschaft in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 12 06 2013

lthttprusslandboellblogorg20130612putin-und-die-zivilgesellschaftgtbull Siegert Jens Uumlber ein Jahr raquoNGO-Agentenlaquo-Jagd ndash eine Art Zwischenbericht in Russland-Blog (Hein-

rich-Boumlll-Stiftung Moskau) 4 Juni 2014 lthttprusslandboellblogorg20140604ueber-ein -jahr-agenten-jagd-eine-art-zwischenberichtgt

bull Siegert Jens Russische raquoNGO-Agentenjagdlaquo ndash eine Zwischenbilanz in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 7 Juni 2013 lthttprusslandboellblogorg20130607russische-ngo-agentenjagd-eine-zwischenbilanzgt

bull Siegert Jens Erklaumlrung Permer NGOs warum sie sich unter keinen Umstaumlnden als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren lassen in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 26 Mai 2013 lthttprusslandboellblogorg20130526erklarung-permer-ngos-warum-sie-sich-unter-keinen-umstanden-als-auslandische-agenten-registrieren-lassengt

bull Siegert Jens Memorial raquoNGO-Agentengesetzlaquo ist ungesetzlich und unmoralisch Keine freiwillige Registrierung als raquoauslaumlndischer Agentlaquo in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 22 September 2013 lthttpruss landboellblogorg20120922memorial-ngo-agentengesetz-ist-ungesetzlich-und-unmoralisch-keine-freiwillige-registrierung-als-auslandischer-agentgt

bull Siegert Jens Sozialer Wandel und politische Dynamik in Russland 201112 in Russland-Analysen Nr 245 19 Oktober 2012 lthttpwwwlaender-analysenderusslandpdfRusslandanalysen245pdfgt

ANALYSE

ein kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen engagements zur Unterstuumltzung und integration von migranten in russlandMarina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin

zusammenfassungObwohl die Wirtschaft Russlands aufgrund der ruumlcklaumlufigen Bevoumllkerungszahl auf Migranten angewiesen ist ist der Groszligteil der Bevoumllkerung des Landes Migranten gegenuumlber skeptisch und oft geradezu fremden-feindlich eingestellt Durch eine schlecht koordinierte staatliche Migrationspolitik ist die Lage der Arbeits-migranten meist prekaumlr Initiativen aus der Zivilgesellschaft versuchen die Situation der Migranten zu ver-bessern und leisten Aufklaumlrungsarbeit in der Bevoumllkerung sowie konkrete Hilfestellungen fuumlr Migranten Die Arbeit solcher Aktivisten wird jedoch oftmals durch staatliche Einmischung erschwert

immigration nach russland als gesellschaftliches ProblemDie widerspruumlchliche Migrationspolitik der russischen Regierung und die aufgeheizte Stimmung in der Bevoumll-kerung haben 2013 zu vermehrten xenophoben Uumlbergrif-fen auf Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien gefuumlhrt (siehe beispielsweise die Unruhen in Birjuljowo im Oktober 2013) Diese Entwicklung wirft die Frage auf welche Haltung die russische Zivilgesellschaft hierzu einnimmt Gibt es zivilgesellschaftliche Initiativen die dieser fremdenfeindlichen Stimmung entgegenwirken

In der russischen Oumlffentlichkeit ist oft von einer Flut von Arbeitsmigranten aus den GUS-Staaten die Rede doch in Wirklichkeit ist die Immigration nach Russ-land im internationalen Vergleich gering Zudem zeigen Zahlen der Staatlichen Statistikbehoumlrde raquoRosstatlaquo dass

die russische Wirtschaft aufgrund der demographischen Entwicklung in zunehmendem Maszlige Arbeitskraumlfte aus dem Ausland benoumltigt (bis 2030 ndash so die Prognose ndash soll die russische arbeitsfaumlhige Bevoumllkerung um 103 Mil-lionen Menschen abnehmen)

Trotzdem gibt es starke fremdenfeindliche Stimmun-gen die sich gegen Immigranten aus Zentralasien und dem Kaukasus richten Diese Ablehnung von Migran-ten hat zugenommen und schafft den Naumlhrboden fuumlr Pogrome wie 2006 in Kondopoga 2010 auf dem Mos-kauer Manegenplatz sowie 2013 in der Stadt Pugat-schow und dem Moskauer Vorort Birjuljowo Angst und Verachtung gegenuumlber Fremden ziehen sich durch alle Gesellschaftsschichten Sie werden als Kriminelle und Illegale stigmatisiert und nicht nur Nationalisten ver-wenden die Losung raquoRussland den Russenlaquo um Ras-

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 20

sismus zu schuumlren und die Stimmung gegen Migranten weiter anzuheizen

es gibt keine migrationspolitikDiese interethnischen Konflikte spiegeln sich auch im russischen Alltag wieder Der durch den Foumlderalen Migrationsdienst praktizierte administrative und poli-zeiliche Umgang mit Migration ist nicht effektiv Eine Stigmatisierung der Migranten als potenzielle Krimi-nelle und eventuelle Uumlberlegungen zur Verschaumlrfung des Migrationsgesetzes koumlnnen die Probleme nicht loumlsen die gerade auch auf kommunaler Ebene anfallen Die nur situativen politischen Maszlignahmen fuumlhren mitunter zu einer Verschaumlrfung des Problems Eine uumlbergreifende Strategie existiert nicht die Politik weiszlig auf die Migra-tionsfrage keine Antwort Ein autoritaumlres zentralisier-tes System ist nicht im Stande die regionalen Probleme dieses riesigen Landes zu loumlsen deshalb liegt es vor allem an der Zivilgesellschaft sich diesen Themen zu widmen

zivilgesellschaftliche Projekte AufklaumlrungsarbeitIn Moskau und Sankt Petersburg gibt es verschiedene nichtstaatliche Projekte die sich sowohl fuumlr mehr Tole-ranz als auch fuumlr die Integration der Migranten einsetzen

Einige von ihnen bestehen schon mehrere Jahre Boris Romanow ist einer der Gruumlndervaumlter eines zivil-gesellschaftlichen Netzwerks zur Unterstuumltzung von Menschen mit Migrationshintergrund in Sankt Peters-burg Er arbeitet mit den unterschiedlichsten NGOs zusammen die zu Themen wie Toleranz Antirassis-mus Homophobie Antiziganismus und Antisemitis-mus arbeiten Finanziert durch das Goethe-Institut rief er 2012 raquoRespektlaquo ins Leben ein Comic-Projekt inter-nationaler Kuumlnstler mit dessen Hilfe Schuumller ihr Den-ken uumlber Fremde reflektieren und selbst in Frage stel-len koumlnnen Laut Romanow scheitern solche Projekte oft an der Buumlrokratie der Kommunen Durch das neue NGO-Gesetz gebe es kaum noch Kontaktmoumlglichkei-ten zu staatlichen Schulen erlaumlutert Romanow so dass eine Zusammenarbeit houmlchstens uumlber einzelne Lehrer nicht jedoch uumlber die Schuldirektion moumlglich sei Dies widerspreche dem Konzept zivilgesellschaftlicher Arbeit die vor allem jedermann offen stehen will Durch das geschlossene staatliche Schulsystem komme es selten zu einer Kooperation mit interessierten Lehrern Die Zusammenarbeit von Staat und Zivilgesellschaft ist unabdingbar macht aber die Finanzierung der Projekte schwierig da sie im Falle einer Unterstuumltzung auslaumln-discher Sponsoren unter das neue NGO-Gesetz fallen

Im Zuge der neuen NGO-Gesetzgebung wurde das Antidiskriminierungszentrum raquoMemoriallaquo in Sankt Petersburg geschlossen Dessen ehemaliger Mitarbei-

ter Andrej Jakimow ist Anthropologe Seine langjaumlh-rige Arbeit mit ethnischen Minderheiten wie Sinti und Roma Arbeitsmigranten und Staatenlosen macht ihn zu einem erfahrenen Koordinator der raquoStiftung zur Unter-stuumltzung und Entwicklung von Bildungs- und Sozial-projektenlaquo (raquoPSP-Fondlaquo) in Sankt Petersburg Auch fuumlr ihn zaumlhlt die aktive Aufklaumlrungsarbeit zu den wichtigs-ten Punkten seines zivilgesellschaftlichen Engagements Die juristische und psychologische Betreuung von Mig-ranten stehen neben der Sensibilisierung der russischen Bevoumllkerung im Zentrum seiner Arbeit Seiner Erfah-rung nach interessieren sich die OSZE und die UNO nur marginal fuumlr diese Themen also muumlssen die Pro-bleme der Arbeitsmigranten auf nationaler Ebene geloumlst werden Seine Kontakte zu verschiedenen Netzwerken in den Auswanderungslaumlndern helfen den Migranten sich schon vor der Einreise nach Russland auf den Aufenthalt vorzubereiten In der Zusammenarbeit von Staat und Experten sieht Jakimow eine Moumlglichkeit eine effek-tive Migrationspolitik zu entwickeln

fuumlr die Verbesserung der migrationspolitikAumlhnlich denken auch Wjatscheslaw Postawnin und Natalja Wlasowa die die Stiftung raquoMigrazija XXI weklaquo (raquoMigration im 21 Jahrhundertlaquo) gegruumlndet haben Sie selbst sind ehemalige Mitarbeiter des Foumlderalen Migra-tionsdienstes und kennen die staatliche Migrationspoli-tik von innen Die Regierung unter Putin scheint keiner-lei Loumlsungsansaumltze fuumlr die immer staumlrker zunehmende Xenophobie in Russland zu erarbeiten In den fuumlnf Jah-ren ihrer Existenz hat sich die Organisation in Mos-kau zu einem unabhaumlngigen intellektuellen und wissen-schaftlichen Zentrum entwickelt das Vorschlaumlge fuumlr die Verbesserung der staatlichen Migrationspolitik ausarbei-tet Diese Vorschlaumlge werden oft von der Administration des Praumlsidenten beruumlcksichtigt jedoch nicht sofort und ohne Nennung der Urheberschaft In Zusammenarbeit mit der Weltbank und dem Netzwerk raquoMirpallaquo (raquoMigra-tion and Remittance Peer-Assisted Learninglaquo) erstellt die Organisation Statistiken zu den Migrationsstroumlmen aus den GUS Staaten die oftmals stark von den offiziellen Zahlen des Foumlderalen Migrationsdienstes abweichen

fluumlchtlingsarbeitDie von Swetlana Gannuschkina einer wichtigen Men-schenrechtlerin in Russland 1990 mitbegruumlndete Orga-nisation raquoGrashdanskoje sodejstwijelaquo (raquoBuumlrgerhilfelaquo) beschaumlftigt sich nicht nur mit Arbeitsmigration sondern zu vier Fuumlnfteln mit Fluumlchtlingen Es war die erste Orga-nisation dieser Art in Moskau und wurde im Zusam-menhang mit dem Konflikt um Berg-Karabach und dem Krieg in Tschetschenien gegruumlndet um den Fluumlchtlin-gen aus diesen Regionen zu helfen Die Unterstuumltzung

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 21

der Arbeitsmigranten umfasst juristische Konsultation und die Loumlsung administrativer Fragen z B bei nicht ausgezahlten Gehaumlltern Deportationen Einreisever-boten Die Organisation stellt juristischen Beistand bei unbegruumlndeten Klagen gegen Migranten hilft bei Kla-gen gegen Arbeitgeber wegen nicht ausgezahlter Loumlhne fuumlhrt ein Projekt gegen Hate Crimes durch und veran-staltet Spendenaktionen auf ihrer Webseite Besonders die aumlrztliche Versorgung ist wichtig da der staatliche Notdienst Migranten oft seine Hilfe verwehrt raquoGrash-danskoje sodejstwijelaquo arbeitet eng mit dem Fluumlchtlings-hilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) der Inter-nationalen Organisation fuumlr Migration (IOM) und mit dem Netzwerk raquoMigrazija i prawolaquo (raquoMigration und Rechtlaquo) einem Programm des Menschenrechtszentrums raquoMemoriallaquo zusammen Obwohl in der offiziellen Rhe-torik die Bedeutung der Migration fuumlr Russland unter-strichen wird (wie zum Beispiel in der raquoKonzeption der staatlichen Migrationspolitik 2025laquo) beobachtet man in der Praxis meist die stumme Hinnahme der Uumlber-griffe auf Arbeitsmigranten Nach dem Inkrafttreten des NGO-Gesetzes fand bei der Organisation eine Uumlberpruuml-fung durch die Staatsanwaltschaft statt Ob und wenn ja wie dieses Projekt weiterlaufen wird ist bis heute unklar

Arbeit mit fluumlchtlingskindernIm Rahmen der Organisation raquoBuumlrgerhilfelaquo gibt es zudem ein raquoZentrum fuumlr Integration und Unterricht fuumlr Fluumlchtlingskinderlaquo da das staatliche Programm mit dem Kinder mit Migrationshintergrund Russisch lernen nicht ausreichend ist

Aumlhnlich wie ihre Kollegen aus Moskau arbeiten die Freiwilligen des zivilgesellschaftlichen Projekts raquoDeti Peterburgalaquo (raquoKinder von Petersburglaquo) mit Kindern des-sen Eltern aus den unterschiedlichsten Gruumlnden nach Russland immigriert sind Zwei Projektkoordinatoren der Organisation raquo[Wahl]Beobachterlaquo Daniil Ljubarow und Irina Beljaewa haben 2012 raquoDeti Peterburgalaquo gegruumlndet Angefangen mit einem Angebot von Russisch-Grundkur-sen fuumlr Vorschuumller mit Migrationshintergrund hat sich dieses Programm mittlerweile so weit entwickelt dass Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre an sechs verschie-

denen Standorten in Sankt Petersburg an Russischkursen teilnehmen koumlnnen Bis 2014 hatte es noch nicht einmal feste Raumlumlichkeiten gegeben die Mitarbeiter der raquoDeti Peterburgalaquo organisierten sich ausschlieszliglich uumlber soziale Netzwerke Der virtuelle Raum verbindet diese Organi-sation auch mit anderen zivilgesellschaftlichen Projek-ten So zieht das Projekt nicht nur politische Aktivisten an sondern vor allem Paumldagogen Linguisten und Stu-denten die die Kurse vorbereiten und durchfuumlhren Der Aufbau von kreativen Zirkeln gehoumlrt genauso zur Arbeit von raquoDeti Peterburgalaquo wie die Koordination von Ausfluuml-gen in die Umgebung Museen oder Theatern Das Pro-jekt ist abhaumlngig von seinen Teilnehmern Die fehlen-den Sprachkenntnisse der Eltern fuumlhren oft zu groszligen Kommunikationsproblemen Aber auch die wechselnden und meist aumluszligerst schwierigen Arbeitszeiten der Eltern erschweren die Durchfuumlhrung des Projekts Die staumldti-sche Buumlrokratie versucht den Elan der Mitarbeiter zu bremsen Auch deshalb bleibt das Projekt nichtstaatlich

fazitMisstrauen gegenuumlber der Regierung soziale Probleme und Alltagsrassismus bewegen immer mehr Menschen dazu sich eigenstaumlndig mit der negativen Entwicklung beim Umgang mit Migranten zu beschaumlftigen Aus Inter-views mit den Mitarbeitern der verschiedenen Organisa-tion laumlsst sich schlieszligen dass eine russische Zivilgesell-schaft entstanden ist die die Migrationsfrage einerseits als Arbeit mit der Mehrheits- also russischen Bevoumllkerung betrachtet um diese zu sensibilisieren Anderseits gibt es Initiativen die vor allem konkrete Hilfe fuumlr Migranten leisten um deren alltaumlgliche Probleme zu minimieren

Die Zivilgesellschaft bemuumlht sich Vorurteile abzu-bauen die Migrationspolitik realistischer zu machen und Migranten wie Fluumlchtlingen konkrete Hilfestellung zu geben Die Behoumlrden sabotieren diese Arbeit In den Groszligstaumldten wird der Zuzug von Migranten restriktiv gehandhabt Arbeitgeber wissen um den oft schwierigen Status der Migranten und nutzen die Situation aus um die Migranten weiter auszubeuten Die Arbeit der Zivil-gesellschaft zur Sensibilisierung der russischen Bevoumllke-rung wird durch die offizielle Politik oft konterkariert

Uumlber die AutorenIm Rahmen des Projektkurses raquoZiviler Ungehorsam Gesellschaft und Staat in Osteuropalaquo reisten die Studierenden des Osteuropa-Instituts der Freien Universitaumlt Berlin Michael Bellmann und Kristina Arisov nach Moskau sowie Marina Grinfeld und Christina Huthmann nach St Petersburg um mit Aktivisten und Organisationen die sich fuumlr die Integration von Migranten in Russland einsetzen Interviews zu fuumlhren und die Position der Zivilgesellschaft zur Migrationsproblematik zu analysieren

Lesetippsbull Judah Ben Russiarsquos Migration Crisis in Survival 552013 Nr 6 S 123ndash131

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bull Malakhov Vladimir S Russia as a New Immigration Country Policy Response and Public Debate in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1062ndash1079

bull Schenk Caress Controlling Immigration Manually Lessons from Moscow (Russia) in Europe-Asia Studies 652013 Nr 7 S 1444ndash1465

bull Spahn Susanne Die gelenkte Xenophobie Migration und nationale Frage in Russland Russland nur fuumlr Russen in Osteuropa 642014 Nr 7 S 55ndash67

bull Tipaldou Sofia Katrin Uba The Russian Radical Right Movement and Immigration Policy Do They Just Make Noise or Have an Impact as Well in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1080ndash1101

UmFRAGE

Uumlber die zivilgesellschaft in russland

zur zivilgesellschaftlichen und politischen Aktivitaumlt der russen

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 15 stellen sie sich vor ihre nachbarn schlagen eine gemeinsame muumlllsammelaktion in der nahegelege-nen Parkzone vor Was waumlren sie bereit zu uumlbernehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator der Aktionwerden

An der Aktionmitwirken

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 16 haben sie im vergangenen halbjahrJahr hellip

0 20 40 60 80 100

hellip an den Aktivitaumlten einer non-profit Organisation teilgenommen als Freiwilliger gearbeitet

hellip sich mit gesellschaftlichen Problemen an ihrem Wohnort beschaumlftigt

hellip an Groszligveranstaltungen Demonstrationen Streiks Kundgebungen Umzuumlgen teilgenommen

Ja Keine Antwort Nein

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 23

grafik 17 stellen sie sich vor dass es an ihrem Wohnort zu massenhaften Wahlfaumllschungen kommt irgend-jemand ruft zur Durchfuumlhrung von Protestaktionen gegen die Wahlfaumllschungen auf Was wuumlrden sie unternehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator dieser Aktionwerden

An dieser Protestaktionteilnehmen

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 18 Waren sie haben sie sich in den vergangenen einndashzwei Jahren hellip

0 20 40 60 80 100

hellip Mitglied einer politischen Partei

hellip Wahlbeobachter

hellip an der Arbeit einer Menschenrechtsorganisation beteiligt

hellip sich im Internet (in sozialen Netzwerken auf Foren) zu politischen Themen geaumluszligert

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

zur gesellschaftlichen Aktivitaumlt

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

grafik 19 haben sie persoumlnlich in den vergangenen zweindashdrei Jahren an der taumltigkeit einer gesellschaftlichen organisation teilgenommen Wenn ja wie genau (beliebige zahl an Antworten)

6

6

5

2

2

84

1

050

Habe an gesellschaftliche Organisationen gespendetoder andere materielle Hilfe geleistet

Habe an Wohltaumltigkeitsveranstaltungen teilgenommen(Konzerte Ausstellungen Wohltaumltigkeitslotterie Auktionen)

Habe Freiwilligenarbeit geleistet (kostenlos)

Habe gegen Entgelt in einer gesellschaftlichenOrganisation gearbeitet

Habe Informationen zu den Taumltigkeitenvon gesellschaftlichen Organisationen verteilt

Nicht teilgenommen

Anderes

Keine Antwort

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 24

grafik 20 haben ihnen irgendwann einmal gesellschaftliche organisationen geholfen

0 20 40 60 80 100

Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja mit Geld geholfen Ja auf andere Weise geholfen Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

Die oumlffentliche meinung zu ngos mit auslaumlndischer finanzierung (April 2013)

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 21 mit welcher meinung zur taumltigkeit russischer ngos stimmen sie am ehesten uumlberein

Sie bringen einen groszligen Nutzen

4

Sie bringen mehr Nutzen als Schaden

15Sie bringen ebenso viel

Nutzen wie Schaden23

Sie bringen mehr Schaden als Nutzen

18

Sie bringen weder Nutzen noch Schaden

13

Keine Antwort27

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 22 ist es fuumlr sie wichtig ob eine russische menschenrechtsorganisation aus einheimischen oder auslaumln-dischen mitteln finanziert wird

Sehr wichtig10

Eher wichtig34

Nicht besonders wichtig24

Vollkommen unwichtig18

Keine Antwort14

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 25

grafik 23 Welche ziele verfolgen westliche laumlnder und organisationen die russische ngos mit mitteln aus-statten

Einen verstaumlrkten Einfluss auf die russische

Innenpolitik42

Einen Kampf gegen den russischen Staat

19Eine Unterstuumltzung der

russischen Zivilgesellschaft

8

Kein besonderes Ziel russische NGOs werden wie andere aus standardisierten

internationalen Programmen unterstuumltzt

12

Keine Antwort19

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 24 Duumlrfen organisationen die sich mit dem schutz der Buumlrgerrechte beschaumlftigen und den staat kriti-sieren das recht haben mittel aus dem Ausland zu beziehen

Ja20

Nein56

Keine Antwort24

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 25 Unterstuumltzen sie harte sanktionen gegen ngos die einer politischen taumltigkeit nachgehen und gelder aus dem Ausland erhalten sich aber nicht nach dem gesetz als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren

Auf jeden Fall20

Eher ja32

Eher nein15

Auf keinen Fall5

Keine Antwort28

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 26

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RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 27

luumlgen des fernsehkanals ntV und Beanstandungen des Justizministeriums erklaumlrung des menschenrechtszentrums memoriAl und der russischen gesellschaft

memoriAl

Die Behauptung bei NTV das russische Justizministerium habe die Liquidierung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL eingeleitet fuumlhrte heute zu etlichen Irritationen Das Menschenrechtszentrum und die Russische Gesell-schaft MEMORIAL (die Dachorganisation der russischen Memorial-Verbaumlnde) haben aus diesem Anlass nachste-hende Erklaumlrung abgegeben

Am 10 Oktober strahlte NTV unter dem Titel raquoAuszligergewoumlhnliches Ereignislaquo eine Sendung aus die aus boumlswil-ligen Luumlgen aber auch aus Fehlinformationen in Folge von Unkenntnis bestand

Die Arbeit des Menschenrechtszentrums MEMORIAL als Unterstuumltzung von Extremisten und Terroristen dar-zustellen ist eine infame Luumlge Auf Unkenntnis basiert hingegen die Behauptung das Justizministerium habe des-halb den Antrag gestellt das Menschenrechtszentrum MEMORIAL zu liquidieren

In Wirklichkeit hat das Justizministerium beim Obersten Gericht der Russischen Foumlderation nicht die Aufloumlsung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL beantragt Es geht hier vielmehr um eine andere Organisation naumlmlich die Russische Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIAL

Die russische Gesellschaft MEMORIAL wurde vom Justizministerium bereits 1992 registriert Bis heute befinden sich unter ihrem Dach verschiedene Memorial-Verbaumlnde die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen

Im Jahre 2012 20 Jahre nach der ersten Registrierung tauchten beim Justizministerium ploumltzlich Zweifel hin-sichtlich des russischen Rechtsstatus von Memorial auf obwohl der Gesellschaft praktisch dieselben regionalen Ver-baumlnde angehoumlren wie zuvor und sich die Gesetzeslage in dieser Frage in keinem Punkt geaumlndert hatte

Geaumlndert hat sich allerdings die Position des Justizministeriums das erneut einen raquodemokratischen Zentralismuslaquo anstrebt der nach der Abschaffung der fuumlhrenden Rolle der KPdSU nicht mehr aktuell schien Heute erklaumlrt das Jus-tizministerium nur jene gesellschaftlichen Vereinigungen koumlnnten der Russischen Gesellschaft MEMORIAL ange-houmlren die in ihrer Bezeichnung die Worte raquoVerband (otdelenie) der Russischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklauml-rung Sozialarbeit und Menschenrechte MEMORIALlaquo tragen

Die gesetzliche Vorschrift dass eine Organisation nur dann einen gesamtrussischen Status haben kann wenn sie in uumlber der Haumllfte der Foumlderationssubjekte Verbaumlnde unterhaumllt legt das Justizministerium jetzt dahingehend aus dass diese Verbaumlnde zwangslaumlufig einen Status als Regionalverbaumlnde haben muumlssten Das Vorhandensein von Stadt- und Bezirksverbaumlnden einer Organisation reicht die Beamten als Beleg dafuumlr nicht aus dass die Organisation in der betreffenden Region taumltig ist

Die Vorbehalte des Justizministeriums entbehren jeglicher Grundlage Nicht zufaumlllig erhielten wir auf Anfragen keine Hinweise auf eine Gesetzesnorm Es ist fuumlr uns inakzeptabel dass das Justizministerium das von der Verfas-sung garantierte Recht von Buumlrgern eine Vereinigung zu bilden gesetzwidrig einschraumlnken will Deshalb hat sich die Russische Gesellschaft MEMORIAL bereits 2012 entschlossen vor Gericht zu gehen

Einen Hinweis auf ein Gesetz haben wir auch nicht erhalten als wir 2013 die Forderungen des Justizministeriums im Moskauer Zamoskvorezki-Bezirksgericht und danach im Stadtgericht angefochten haben Beide Instanzen gaben wie nicht anders zu erwarten dem Justizministerium Recht Deshalb wird die Russische Gesellschaft MEMORIAL in Kuumlrze Klage beim Verfassungsgericht einreichen

Was den Antrag des Justizministeriums betrifft so hoffen wir dass das Oberste Gericht bei Behandlung dieses Antrags dem Gesetz und der Verfassung mehr Respekt entgegenbringen wird als die untergeordneten Gerichtsinstanzen

10 Oktober 2014Quelle Website von Memorial Deutschland lthttpwwwmemorialdeindexphpid=42amptx_ttnews[tt_news]=546amptx_ttnews[backPid]=3ampcHash=5bbe9b235a03fe09cba52ed5c8786b99gt

DOkUmENtAtION

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NOtIzEN AUS mOSkAU

Petersburger DialogJens Siegert Moskau

Auf den ersten Blick sieht es so aus als ob ein (egal ob nun willentlich oder nicht) an die Oumlffentlich-

keit gelangter Brief einiger regelmaumlszligiger Teilnehmer des Petersburger Dialogs (PD) aus den Reihen deutscher NGOs an Bundeskanzlerin Merkel und Auszligenminis-ter Steinmeier die Verschiebung des fuumlr Ende Oktober in Sotschi geplanten groszligen Jahrestreffens verursacht haumltte In dem Brief bekraumlftigten die Autoren ihre nicht neue Kritik am PD und erklaumlrten warum sie dieses Jahr nicht teilnehmen wuumlrden Sie betonen dass die Absage kein Boykott sei und bieten ihrerseits einen Dialog zur Reform des Dialogs an Auf den zweiten Blick war der Brief selbstverstaumlndlich nur Anstoszlig aber nicht Grund fuumlr die Verschiebung Doch der Reihe nach

Die in dem Brief geaumluszligerte Kritik am PD ist wie gesagt nicht neu sie hat sie den PD von Anfang an begleitet Das liegt sicher auch an einem bis heute nicht korrigierten Geburtsfehler Ein durch Staats- und Regie-rungschefs initiierter raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo ist schon etwas verquer Das heiszligt nicht dass das nicht gehen koumlnnte Doch dazu haumltten sich die hochgestell-ten Initiatoren (der damalige russische Praumlsident und der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schrouml-der) und ihre (Interims-)Nachfolger spaumlter zuruumlckziehen muumlssen Das haben sie nicht Daran sind sie nicht (allein) Schuld Es war der PD der durch seine Lenkungsor-gane die enge zeitliche und oumlrtliche Verbindung mit den deutsch-russischen Regierungskonsultationen und die zeitweilige Anwesenheit von Praumlsident und Kanzlerin zum Grundstein seiner Wirkungsmaumlchtigkeit erklaumlrte

Auf deutscher Seite wurde versucht dieses Problem organisatorisch sozusagen oumlffentlich-rechtlich zu loumlsen indem moumlglichst alle interessierten politischen Spektren und gesellschaftlichen Gruppen am sogenannten Len-kungsausschuss beteiligt wurden Das gelang zumindest so gut dass es soweit mir bekannt bis heute keine grouml-szligeren Klagen uumlber Nichtberuumlcksichtigung oder Nicht-beteiligung gab Aber die Bundesregierung behielt weit-gehenden Einfluss nicht zuletzt uumlber den alljaumlhrlich sechsstelligen Zuschuss fuumlr die Durchfuumlhrung der Jah-restreffen Auszligerdem wurde der jeweilige Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses zwar nach Abstim-mungen mit den Beteiligten aber letztlich durch den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin bestimmt

In Russlands ist die Sache einfacher Von Anfang an wurde und wird gemacht wird was der Kreml will Schon der erste Vorsitzende des russischen Lenkungs-ausschusses Michail Gorbatschow (immerhin selbst ein ehemaliger Praumlsident) war wie er selbst einmal bekannte

nicht mehr als ein ndash schoumlne Ruumlckuumlbertragung aus dem Russischen ndash raquoSitz-Praumlsidentlaquo Der jetzige Vorsitzende Wiktor Subkow war Datschennachbar von Putin ers-ter stellvertretender Ministerpraumlsident und ist nun Auf-sichtsratsvorsitzender von Gazprom

Die Kritik dass nur eine Simulation eines raquozivilge-sellschaftlichen Dialogslaquo stattfinde wurde von einigen deutschen Teilnehmern bereits auf dem ersten Jahres-treffen des PD im April 2001 in St Petersburg geaumluszligert Es fehlten auf russischer Seite (in der seinerzeit noch ver-einigten Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo) Vertreter russischer NGOs Die Kritik kam an In Russ-land fuumlhrte sie (ohne dass ich hier jetzt ausfuumlhren kann wie) zum ersten Versuch des Kremls auch unabhaumln-gige NGOs in das korporative System der gelenkten Demokratie zu zwingen Der Versuch misslang weitge-hend und muumlndete in einer Art Waffenstillstand und der Gruumlndung eines raquoMenschenrechtsrats beim Praumlsi-dentenlaquo unter Einbeziehung von Vertretern unabhaumlngi-ger NGOs Beim PD wurde die Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo in ihre zwei Namensbestandteile geteilt und es gelang uumlber die Jahre in immer wieder unternommenen Anstrengungen auch die Teilnahme unabhaumlngiger russischer NGO-Vertreter durchzuset-zen Etwas spaumlter wurde diese Teilnahme sogar vor-sichtig institutionell abgesichert indem erst Ella Pam-filowa und spaumlter ihr Nachfolger Michail Fedotow als Vorsitzende des inzwischen zum raquoZivilgesellschaftsratlaquo umbenannten raquoMenschenrechtsratslaquo zu den russischen Koordinatoren der Arbeitsgruppe raquoZivilgesellschaftlaquo mit Einladungsrecht wurden (wobei die Einladungen selbst-verstaumlndlich mit der Praumlsidentenadministration abge-stimmt werden muumlssen) Das ist bis heute so

Die Verfasser des Briefes (zu denen ich bekenne mich auch ich gehoumlre) allesamt langjaumlhrige Teilneh-mer der Jahrestreffen des PD haben all die Jahre immer wieder auch oumlffentlich uumlber den Sinn und Unsinn ihrer Teilnahme und Unterstuumltzung diskutiert Letztendlich uumlberwogen die ganze Zeit uumlber zwei Uumlberlegungen Ers-tens ist ein Dialog auch und gerade auf offizieller Ebe-nen und mit offiziellen Vertretern des russischen Staates (wie auch mit Wissenschaftlern Unternehmern Journa-listen Priestern usw welcher politischen Couleur auch immer sie sein moumlgen) erst einmal besser als kein Dia-log Zweitens gingen wir all die Jahre davon aus dass die nicht ohne Muumlhen erreichte Teilnahme unabhaumln-giger russischen NGO-Vertreter fuumlr sie ihre Organisa-tionen aber auch die russische NGO-Szene insgesamt zumindest einen kleinen zusaumltzlichen Schutz gegen die

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seit Putins Amtsantritt immer wieder uumlber das Land gehenden Repressionswellen bietet1 Was hat sich dieses Jahr geaumlndert Erst einmal nicht

so viel gegenuumlber dem Vorjahr Es war schon immer siehe oben eine schwierige Abwaumlgung ob die Teil-nahme am PD sich lohnt oder nicht vielmehr dazu beitraumlgt so zu tun als gaumlbe es in Russland die unein-geschraumlnkte und ungefaumlhrdete Moumlglichkeit sich zivilgesellschaftlich auch dort zu engagieren wo es dem Staat weh tut Zwei Ereignisse haben nun aber zumindest fuumlr die Autoren des Briefes das Pen-del zur anderen Seite ausschlagen lassen Die Kon-frontation zwischen dem Westen (ich weiszlig um die Bedingtheit des Begriffs verwende in der Kuumlrze hal-ber aber trotzdem) und Russland im Konflikt in der und um die Ukraine ist nicht einfach die Fortset-zung schon laumlnger existierender raquoMeinungsverschie-denheitenlaquo Sie ist tiefer und prinzipieller Es geht eben im Kern nicht in erster Linie um Geopolitik sondern wieder einmal um ich fuumlrchte hier weder den Pathos noch historische Analogien Freiheit und Demokratie in Europa

2 Die Repressionen gegen russische NGOs unsere prinzipiellen Partner in der Verteidigung von Demo-kratie und Freiheit haben mit dem sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo eine neue Qualitaumlt erreicht 15 NGOs sind inzwischen zwangsweise zu raquoauslaumln-dischen Agentenlaquo erklaumlrt worden anderen droht die Schlieszligung aufgrund anderer Gesetze Einige von ihnen waren sogar zum nun verschobenen Treffen in Sotschi eingeladen Sie mussten sich Gedanken machen ob eine Zusage oder eine Absage ihnen nicht schaden koumlnnte

Unter diesen Umstaumlnden halten die Verfasser des Brie-fes ihre Teilnahme am PD fuumlr nicht mehr moumlglich Sie fordern keinen Boykott wohl aber ein Nachdenken uumlber eine tiefgreifende Reform

Der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses Lothar de Maiziere hat in einem eigenen offenen Brief geantwortet und den Verfassern vorgeworfen den Dia-log verweigern und politisieren zu wollen Diese (Gegen-)Klage scheint mir angesichts der vielfaumlltigen Verbindun-gen und Dialogformen die die Organisationen hinter den Unterzeichnern des Briefes seit vielen Jahren und oft laumlnger als der PD organisieren an denen sie teil-nehmen und die sie foumlrdern nicht sonderlich stichhal-tig Doch die Auseinandersetzung geht tiefer De Mai-ziere behauptet in seinem Brief der PD mache bereits all das was die Kritiker fordern Genau das bezweifeln diese aber Die Auseinandersetzung geht also und vor allem darum was ein fruchtbarer Dialog zu leisten im Stande sein kann und leisten sollte Sie geht aber auch darum ob dieser Dialog zwischen zwei Gesellschaf-

ten stattfindet nach dem Motto hier die eine dort die andere oder ob sich die Seiten bei diesem Dialog inei-nander verschraumlnken

Die Verfasser des Briefes sind ganz offensichtlich mit ihrer Kritik nicht allein Schon bevor der Brief oumlffent-lich bekannt wurde hatten die Bundestagsabgeordne-ten Andreas Schockenhoff (CDUCSU) und Marieluise Beck (Buumlndnis 90 Die Gruumlnen) in oumlffentlichen Stel-lungnahmen Aumlhnliches gefordert und auch ihre Nicht-Teilnahme erklaumlrt Etwas spaumlter wurde bekannt dass auch der Russland-Beauftragte der Bundesregierung Gernot Erler nicht nach Sotschi fahren wollte Mehr noch Bereits seit dem Fruumlhsommer gab es Gespraumlche zwischen Kanzleramt und Auswaumlrtigem Amt mit dem Ziel den PD sowohl personell als auch strukturell zu reformieren Allerdings setze sich augenscheinlich die Sichtweise des Auswaumlrtigen Amtes durch alles vorerst beim Alten zu belassen da es auch so schon genug Pro-bleme im deutsch-russischen Verhaumlltnis gebe und man diesen Kanal nicht auch noch belasten oder gar gefaumlhr-den solle

Doch zum Herbst hat sich die Situation noch ein-mal veraumlndert Die Hoffnung die russische Fuumlhrung um Praumlsident Putin werde im Krieg in der Ostukraine ein-lenken ist selbst im Auswaumlrtigen Amt bis in die Spitze kaum noch zu finden Im Sommer bekam das russische Justizministerium zudem per erneuter Gesetzesaumlnde-rung das Recht NGOs zwangsweise zu raquoAgentenlaquo zu erklaumlren und macht seither rege Gebrauch davon Eine ganze Reihe russischer NGOs steht vor der Schlieszligung oder loumlst sich auf weil ihnen die vom Gesetz geforderte Selbstetikettierung als raquoauslaumlndische Agentenlaquo ethisch rechtlich und praktisch unmoumlglich ist

Es sieht so aus als haumltten die Verfasser des Briefes nur eine Tuumlr geoumlffnet hinter der andere darunter die Kanzlerin nur darauf gewartet haben durch sie hin-durch gehen zu koumlnnen ohne selbst der Tuumlroumlffnung geziehen zu werden

Ein wenig verwundert die erstaunlich milde russi-sche Reaktion Nach der kurzen Drohung eine Verschie-bung bedeute das Ende des PD lenkte Putin im Telefo-nat mit Merkel ein und fand tags darauf sogar oumlffentlich verstaumlndnisvolle Worte fuumlr die raquoProbleme der deutschen Seitelaquo Das duumlrfte zwei Gruumlnde haben Der eine ist dass trotz des haumlufiger gewordenen Deutschland-Bashings im russischen Staatsfernsehen (mit dem Ergebnis dass in Umfragen Deutschland aus der Kategorie raquoFreundlaquo in die Kategorie raquoFeindlaquo abgerutscht ist) Deutschland im Kreml immer noch als wichtigster raquostrategischerlaquo Part-ner im Westen und vor allem in der EU gilt Zudem ist Deutschland zweifellos ein Land dessen oumlffentliche Meinung (und damit Politik) aus russischer Sicht durch-aus beeinflussbar ist (was z B die kolportierten rund

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140 Millionen US-Dollar zum Aufbau eines deutsch-sprachigen Programms des staatlichen Auslandsfernse-hens raquoRussia Todaylaquo zeigen)

Der andere liegt in einem erneuten Strategiewech-sel (oder weniger ambitioniert Wechsel der Taktik) im Ukraine-Konflikt Die Sanktionen beiszligen inzwi-schen kraumlftig Die Rhetorik wurde daher gemildert Der Kreml ist ganz auf Frieden und dieser Ausdruck aus dem Sport sei erlaubt Ergebnissicherung bedacht (was uumlbrigens Putins grundsaumltzlicher Taktik auch im Inne-ren Russlands entspricht erst hart zuzuschlagen dann eine Schritt zuruumlck zu gehen und einen Kompromiss zu suchen nach dem es fuumlr seine Gegner nachher schlech-ter steht als vorher) Neues Ziel scheint nun also zu sein die raquoErrungenschaftenlaquo Krim (als Teil Russlands) und raquoNeurusslandlaquo (als neuen raquoFrozen Conflictlaquo) zu fixieren und trotzdem mit dem Westen wenn schon nicht gut-freund zu werden so doch zumindest erneut zu einem einigermaszligen vertraumlglichen Modus Vivendi zu gelan-gen Das Gas duumlrfte nach den Mailaumlnder Gespraumlchen

und bei allem Geknurre im Winter stroumlmen und auch im Nahen Osten stellt Moskau weniger Widerspenstig-keit in Aussicht

Was heiszligt das fuumlr die Zukunft des PD Erstmal ist sie offen Zuerst muss sich die deutsche Seite neu ord-nen (hier hat Putin sogar Recht) Nachdem sich Angela Merkel persoumlnlich um eine russische Akzeptanz fuumlr die Verschiebung von Sotschi bemuumlht hat kann ich mir allerdings nicht vorstellen dass es in einigen Wochen oder Monaten ein Zuruumlck zum status quo ante gibt Ob und wie sich ein neu aufgestellter deutscher Lenkungs-ausschuss mit einem neuen Konzept mit der russischen Seite verstaumlndigen kann laumlsst sich momentan kaum voraussagen Es ist zwar einen Versuch wert haumlngt aber wohl sehr von der dann herrschenden politischen Groszlig-wetterlage ab

Diesen und andere Texte finden Sie auf Jens Siegerts Russ-landblog lthttprusslandboellblogorggt

Lesetippbull Poumlrzgen Gemma Dringend reformbeduumlrftig Der Petersburger Dialog auf dem Pruumlfstand in Osteuropa 602010

Nr 10 S 59ndash81

DOkUmENtAtION

Briefwechsel uumlber die zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo

schreiben von nichtregierungsorganisationen und einzelpersonen an die Bundeskanzlerin und den Auszligenminister zum raquoPetersburger Dialoglaquo 2 oktober 2014 [nachtraumlglich veroumlffentlicht]

Berlin 02 Oktober 2014Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerals Personen die sich seit vielen Jahren intensiv im zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland engagieren wenden wir uns mit diesem Schreiben an Sie um zu erlaumlutern warum wir uns in diesem Jahr nicht am Petersburger Dialog beteiligen koumlnnen Zugleich moumlchten wir fuumlr eine Erneuerung des Petersburger Dialogs werben

In Reaktion auf die politische Wende in der Ukraine die durch eine breite gesellschaftliche Protestbewegung hervor-gerufen wurde hat die russische Fuumlhrung voumllkerrechtswidrig die Krim annektiert und einen unerklaumlrten Krieg neuen Typs im Osten der Ukraine begonnen Zugleich betreibt die Regierung unter Praumlsident Putin die systematische Ausschal-tung der letzten unabhaumlngigen Medien in Russland die Kriminalisierung aller Formen politischer Opposition und die Diskreditierung unabhaumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen als raquoauslaumlndische Agentenlaquo Mittlerweile wurden 12 russische Nichtregierungsorganisationen vom russischen Justizministerium zwangsweise auf die Liste raquoauslaumlndischer Agentenlaquo gesetzt und sind daher zukuumlnftig verpflichtet sich bei jeder oumlffentlichen Aumluszligerung wahrheitswidrig selbst als solche zu bezichtigen Zehn dieser Organisationen spielen in der deutschrussischen zivilgesellschaftlichen Zusammen-arbeit seit Jahren eine wichtige Rolle einige von ihnen haben mehrfach am Petersburger Dialog teilgenommen Gegen einige von ihnen sind bereits existenzbedrohende Strafgelder wegen Verstoszliges gegen das sog Agentengesetz verhaumlngt

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worden Es drohen Organisationsschlieszligungen und die Kriminalisierung der Vorstaumlnde Unter diesen inneren und aumluszlige-ren Bedingungen koumlnnen wir uns nicht an einer Neuauflage des Petersburger Dialogs in der bisherigen Form beteiligen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerder seinerzeit von Bundeskanzler Schroumlder und Praumlsident Putin initiierte Petersburger Dialog konnte die ihm zuge-

dachte Aufgabe zu einer Vertiefung und Verbreiterung der gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland beizutragen auch in den vergangenen Jahren nur sehr bedingt erfuumlllen Dies lag vor allem an der starken Naumlhe des Fuumlhrungspersonals auf der russischen Seite zum politischen Machtzentrum im Kreml die von Beginn an den Eindruck einer raquovon obenlaquo inszenierten und kontrollierten Veranstaltung naumlhrte Doch auch auf deutscher Seite wird der Petersburger Dialog bis heute von Personen dominiert die aus politischer und oumlkonomischer Opportunitaumlt dazu neigen Kritik am Kurs der russischen Fuumlhrung als Stoumlrung der raquodeutsch-russischen Freundschaftlaquo zu betrachten Zeit-weise kam es zu der paradoxen Situation dass kritische Aumluszligerungen zu Menschenrechtsverletzungen in Russland oder zum Vorgehen des Kremls gegenuumlber Georgien aus den Reihen der deutschen Delegation als raquoKalte-Kriegs-Rhetoriklaquo verteufelt wurden Nuumlchtern betrachtet waren die kritischen Stimmen aus der russischen und deutschen Zivilgesell-schaft in den letzten Jahren nur eine geduldete Minderheit die dem Petersburger Dialog den Anschein von Pluralis-mus und offener Diskussion verschaffte Ungeachtet dieser Kritik haben wir uns in der Vergangenheit am Petersburger Dialog beteiligt da wir grundsaumltzlich jedes Dialogpotenzial nutzen wollen und uns von der gemeinsamen Beteiligung mit unseren Partnern aus der russischen Zivilgesellschaft eine politische Absicherung dieser Zusammenarbeit erhofften

Diese ohnehin schwachen Hoffnungen wurden durch die Entwicklungen in diesem Jahr zerstoumlrt Vertreter unab-haumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen die auf der russischen Seite zum Petersburger Dialog eingeladen wer-den sind angesichts der politischen und juristischen Bedrohung der sie ausgesetzt sind in ihrer Entscheidung uumlber ihre Teilnahme nicht mehr frei Wenn sie der Einladung nicht folgen muumlssen sie weitere Repressalien befuumlrchten Uns denen die Freiheit der Entscheidung gegeben ist ist es nicht moumlglich durch Teilnahme am Petersburger Dialog in Sot-schi an der Aufstellung einer Potemkinschen Fassade namens raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo mitzuwirken waumlhrend die kritischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Russland als raquoAgentenlaquo diskreditiert und vielfach drangsaliert werden

Zugleich moumlchten wir unsere Bereitschaft unterstreichen an einer Reform des Petersburger Dialogs in organisa-torischer inhaltlicher und personeller Hinsicht mitzuwirken Eine solche Reform sollte darauf ausgerichtet sein uumlber die Auswahl der Formate Themen und Teilnehmer die tatsaumlchliche Lage der russischen Zivilgesellschaft in den Mit-telpunkt der Diskussion zu ruumlcken und einen offenen Dialog zu ermoumlglichen Wir sind ganz damit einverstanden dass gerade in kritischen Zeiten die Zusammenarbeit zwischen der russischen und deutschen Zivilgesellschaft gestaumlrkt wer-den muss Sofern der Petersburger Dialog in Zukunft dafuumlr ein Forum bietet werden wir uns gern daran beteiligen[Unterzeichner nicht veroumlffentlicht]Quelle Website der Boumlll-Stiftung lthttpwwwboelldede20141013reform-petersburger-dialog-ueberfaelliggt

offener Brief an den Vorsitzenden des Petersburger Dialogs lothar de maiziegravere vom 10 oktober 2014

- Offener Brief -HerrnDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des VorstandsPetersburger Dialog eVSchillerstraszlige 5910627 Berlin

Berlin 10 Oktober 2014Petersburger Dialog 2014 in SotschiSehr geehrter Herr de Maiziegravereals Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher zivilgesellschaftlicher Organisationen die seit der Gruumlndung des Petersburger Dialogs 2001 uumlber viele Jahre hinweg an dieser Veranstaltung teilgenommen haben moumlchten wir Ihnen gegenuumlber folgende Erklaumlrung abgeben

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Wir haben uns entschieden am 14 Petersburger Dialog in Sotschi nicht teilzunehmen der fuumlr den 29ndash31 Okto-ber angekuumlndigt worden ist Fuumlr diese Entscheidung die wir sorgfaumlltig diskutiert und abgewogen haben moumlchten wir drei Gruumlnde anfuumlhren1 Der Petersburger Dialog in seiner jetzigen Form steckt in einer Krise Von Jahr zu Jahr wird er seinem eigenem

Anspruch weniger gerecht Die Veranstaltung soll dem zivilgesellschaftlichen Dialog dienen Tatsaumlchlich sind Struktur Nominierungsverfahren und Programm des Petersburger Dialogs maszliggeblich von Akteuren aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert Unter diesen Voraussetzungen erfuumlllt der Petersburger Dialog leider nicht sein in seiner Satzung formuliertes Ziel ein raquooffenes Diskussionsforumlaquo zu sein das die raquoVerstaumlndigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Laumlnderlaquo foumlrdert Der Petersburger Dialog bedarf dringend einer grundlegenden Reform wie sie auch CDUCSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 eingefordert haben Gerne wuumlrden wir uns aktiv an einem Prozess zur Reformierung des Petersburger Dialogs beteiligen der auf eine pluralistische Zusam-mensetzung beider Lenkungsausschuumlsse und eine deutlich staumlrkere Ausrichtung auf unabhaumlngige zivilgesellschaft-liche Akteure zielt ohne den interdisziplinaumlren Ansatz der Veranstaltung aufzugeben

2 Die Situation in der sich Teile der Zivilgesellschaft in Russland befinden erfuumlllt uns mit groszliger Sorge Das betrifft auch Partnerorganisationen und Personen mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten Diese Organisa-tionen uumlben fuumlr Russland und daruumlber hinaus wichtige gesellschaftliche Funktionen aus Die Behinderung ihrer Arbeit durch buumlrokratische Huumlrden aber auch durch willkuumlrliche rechtliche Restriktionen und politische Diffa-mierung sind inakzeptabel Daruumlber koumlnnen wir nicht zur Tagesordnung uumlbergehen Wir wollen nicht zu Kron-zeugen fuumlr einen vorgeblich freien Austausch werden waumlhrend zugleich die kritische Zivilgesellschaft in Russland massiv und systematisch unter Druck gesetzt wird

3 In Teilen der Ukraine herrscht ein Kriegszustand fuumlr den die russische Fuumlhrung eine maszliggebliche Verantwor-tung traumlgt Wichtige Vertreter dieser Fuumlhrung spielen eine Schluumlsselrolle im Petersburger Dialog einschlieszliglich des fruumlheren Ersten Stellvertretenden Ministerpraumlsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden von Gazprom Wiktor Subkow der der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs ist Vor diesem Hin-tergrund moumlchten wir nicht durch unsere Teilnahme dazu beitragen dass eine Normalitaumlt in den deutsch-russi-schen Beziehungen simuliert wird die es derzeit wegen des Angriffs auf die politische Souveraumlnitaumlt und territo-riale Integritaumlt der Ukraine nicht geben kann

Wir waren und sind weiter sehr an einem offenen Dialog uumlber deutsch-russische Belange in einem gesamteuropaumli-schen Kontext interessiert und halten ihn fuumlr eine Bedingung guter Nachbarschaft und Kooperation Ein solcher Dia-log muss aber auch von beiden Seiten gewollt und ermoumlglicht werden Er darf zugleich nicht zum Nachteil Dritter gefuumlhrt werden Angesichts der aktuellen Lage und der bereits bekannt gewordenen Programmvorschlaumlge fuumlr Sotschi sehen wir auch diese Voraussetzung gefaumlhrdet

Dessen ungeachtet werden wir jede Moumlglichkeit nutzen unsere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Grup-pen und anderen Akteuren in Russland zu vertiefen und dieses Potential in einen bilateralen und europaumlischen Dia-log einzubringenMit freundlichen GruumlszligenRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter Politik Greenpeace eVQuelle lthttpwwwaustauschorgaktuelle-meldungennewsdetailarticle1offener-brie-1htmlno_cache=1ampcHash=0428c5bffdgt

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offener Brief des Vorsitzenden des Petersburger Dialogs vom 13 oktober 2014

AnRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich-Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace eVBerlin 13 Oktober 2014Ihr Schreiben vom 10 Oktober 2014Sehr geehrte Damen und HerrenIhren offenen Brief habe ich erhalten Dass Sie einen Brief aumlhnlichen Inhalts zunaumlchst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Auszligenminister verschickt haben verwundert mich Sie geben damit fuumlr die zivilgesell-schaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung die Sie fuumlr die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren

Ihre Nichtbeteiligung am Petersburger Dialog bedaure ich Denn es entspricht der Uumlberzeugung der meisten Mit-glieder des Vorstandes und des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs dass gerade angesichts zweifellos vorhan-dener Probleme fuumlr die Zivilgesellschaft die Sie teilweise benennen die offensive Auseinandersetzung zu solchen The-men gesucht werden muss Indem man sich solchen Gespraumlchen entzieht schadet man den Interessen der Betroffenen

Sie schreiben der Petersburger Dialog sei im Inneren zu reformieren da er von Vertretern aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert sei Diese Feststellung ist falsch und Sie wissen das Das auch in der Satzung des Petersbur-ger Dialogs beschriebene Konzept des Dialogs beruht auf einem breiten Gedankenaustausch aller gesellschaftlichen Kraumlfte Dazu gehoumlren die Bereiche Kultur Medien Bildung Wissenschaft und Kirchen genauso wie zahlreiche im Bereich der politischen sowie der sozialen Menschenrechte engagierte Einrichtungen die in ihrer Gesamtheit das deutsch-russische Verhaumlltnis beleben

Sie versuchen in Ihrem Brief den Petersburger Dialog auf das enge Feld einiger Vertreter der Zivilgesellschaft zu reduzieren die jenseits der korporierten Zivilgesellschaft angesiedelt sind und deren Interessenspektrum nur einen Teil des gesamten zivilgesellschaftlichen Engagements abdeckt

Ich verkenne nicht die ndash auch aber nicht nur ndash in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu Tage getretenen Probleme sowie die unterschiedlichen Folgen die sich aus einer raquogelenkten Demokratielaquo die in vielem nicht westli-chen Standards entspricht ergeben Dennoch Gemessen an weiten Bereichen der russischen Geschichte ist die Ent-wicklung seit 1991 ein Fortschritt Das daraus resultierende wenn auch im letzten Jahr stark eingetruumlbte Vertrauens-potential muss fuumlr die auf vielen Ebenen notwendigen Gespraumlchsforen genutzt und ausgebaut werden

Derartige Gespraumlche bedingen genauso Realismus wie intellektuelle Disziplin wozu auch gehoumlrt zu verstehen wie Russland die Probleme versteht Dies ndash und nicht Gespraumlchsverweigerung ndash ist die Voraussetzung um auf allen demokratischen gesellschaftlichen Ebenen ndash vom politischen Machtzentrum bis in die Randgruppen hinein ndash pro-blemorientierte Gespraumlche fuumlhren zu koumlnnen Dabei darf keine Seite fuumlr sich in Anspruch nehmen legitimere Inte-ressen zu vertreten als die andere

Das heiszligt Ein Gespraumlch raquoauf Augenhoumlhelaquo nicht von oben herab nicht moralisch belehrend aber mit klaren und ehrlichen Argumenten Dabei duumlrfen wir nicht verschweigen welche gesetzgeberischen aber auch politisch-morali-schen Standards wir fuumlr eine demokratische Gesellschaft im europaumlischen Kontext fuumlr unabdingbar halten

Der Petersburger Dialog wurde aus guten Gruumlnden als deutsch-russische Gemeinschaftseinrichtung konzipiert Da ist eine ndash oft muumlhsame ndash Kompromissfindung unausweichlich Dies ist Teil des Wertes auch der Tiefe aber auch der moralischen Qualitaumlt des Dialogs Das Ringen um kompromissfaumlhige Konzepte muss unser Anliegen bleiben nicht Vorverurteilung und GespraumlchsablehnungMit freundlichem GruszligDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des Vorstands Petersburger Dialog e VQuelle Website des Petersburger Dialogs lthttpwwwpetersburger-dialogcomoffener-brief-vom-13-oktober-2014gt

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offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

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9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

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14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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Die Russland-Analysen werden von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und von Mangold Consulting GmbH unterstuumltzt

Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

Abdruck und sonstige publizistische Nutzung sind nach Ruumlcksprache mit der Redaktion gestattetVerantwortlicher Redakteur Hans-Henning Schroumlder

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

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Die einzelnen Laumlnder-Analysen werden von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und der Deutschen Gesellschaft fuumlr Osteuropakunde jeweils mit unterschiedlichen Partnern und Sponsoren herausgegeben

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                          • Umfrage
                            • Uumlber die Zivilgesellschaft in Russland
                              • Dokumentation
                                • Luumlgen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des JustizministeriumsErklaumlrung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL
                                  • Notizen aus Moskau
                                    • Petersburger Dialog
                                      • Jens Siegert Moskau
                                      • Dokumentation
                                        • Briefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo
                                          • Chronik
                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 4: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 4

Der Ruumlckgriff auf vor-demokratische Werte und die Kritik an der EU finden den Beifall der europaumlischen Rechten wie der UKIP in Groszligbritannien dem raquoFront Nationallaquo in Frankreich der raquoLega Nordlaquo in Italien der raquoJobbiklaquo in Ungarn der AfD in Deutschland jedoch auch von groszligen Teilen der Partei raquoDie Linkelaquo in Deutschland Gleichzeitig nimmt die Kritik an der russischen Politik in der demokratischen Linken Europas zu Die Ursache hierfuumlr sind Russlands schwere Verstoumlszlige gegen europaumli-sche Vereinbarungen und internationales Recht

Mit dem Einsatz der Energieversorgung als politi-sches Druckmittel untergraumlbt Russland das Vertrauen das seit Anfang der 1970er Jahre eine wichtige Grund-lage der Zusammenarbeit zwischen Russland und West-europa gebildet hatte Die Annexion der Krim missach-tet die in der KSZE-Schlussakte von 1975 vereinbarten Grundsaumltze der Unverletzlichkeit der Grenzen und der friedlichen Loumlsung von Konflikten Die Annexion der Krim verstoumlszligt auszligerdem gegen einen bilateralen Vertrag in dem Russland die Grenzen der Ukraine anerkannt hat Und schlimmer noch Sie verstoumlszligt gegen den auch von Frankreich Groszligbritannien und den USA unter-schriebenen Vertrag mit dem die Ukraine auf Nukle-arwaffen verzichtet Sie untergraumlbt damit den Vertrag gegen die Nichtweiterverbreitung von Nuklearwaffen

Doch damit nicht genug Erklaumlrtes Ziel russischer Politik ist es ndash auch uumlber die Krim und die Ostukraine hinaus ndash Russen und russischsprachige Buumlrger in ande-ren Staaten zu raquoschuumltzenlaquo Meiner Ansicht nach hat es auf der Krim und in der Ostukraine keine Diskriminie-rung russischsprachiger Buumlrger gegeben Wenn es der russischen Fuumlhrung wirklich darum gegangen waumlre eine angebliche Diskriminierung russischsprachiger Buumlrger zu beheben dann haumltte sie sich in Verhandlungen mit der ukrainischen Regierung darum bemuumlhen koumlnnen diese zu beseitigen Das hat Moskau nicht versucht Und das verstaumlrkt bei den Nachbarn Russlands die Befuumlrch-tung dass es der Fuumlhrung Russlands nicht wirklich um den Schutz von raquorussischen Minderheitenlaquo geht sondern dass diese als Instrument russischer Machtpolitik die-nen sollen Dies bedeutet nicht notwendigerweise dass Russland militaumlrische Mittel anwendet um den Schutz raquorussischer Minderheitenlaquo zu gewaumlhrleisten (wobei in der Ukraine sich die meisten russisch-sprachigen Buumlrger als Ukrainer empfinden) Aber die Anwendung militaumlrischer Mittel wird auch nicht ausdruumlcklich ausgeschlossen

russlandpolitik in einer zeit des VertrauensverlustesAufgrund der Zielsetzungen russischer Politik und auf-grund der Erfahrungen mit der Praxis russischer Politik gegenuumlber der Krim und der Ostukraine fuumlhlen sich ndash verstaumlndlicherweise ndash mehrere Nachbarstaaten bedroht

Russlands Verhalten gegenuumlber der Ukraine ndash und vor-her schon bei den Konflikten in Georgien und Trans-nistrien ndash begruumlnden Zweifel ob es den Status quo sei-ner Auszligengrenzen akzeptiert Viele Nachbarn Russlands nehmen es heute als revisionistische Macht wahr Alle Mitglieder der EU und der NATO muumlssen sich ange-sichts dieser Gefahren auf die Solidaritaumlt ihrer Partner und Verbuumlndeten verlassen koumlnnen

Das Vertrauen in die russische Politik ist schwer erschuumlttert worden Eine uumlberwiegend positive Phase der Russlandpolitik geht zu Ende Es steht uns kein neuer Kalter Krieg bevor Aber es wird eine laumlngere Zeit brau-chen ehe sich neues Vertrauen entwickeln kann Grund-voraussetzung hierfuumlr ist eine Aumlnderung der Politik der russischen Fuumlhrung Unser Verhaumlltnis zu Russland wird auf absehbare Zeit nicht mehr von dem Grund-satz raquoZusammenarbeit wo moumlglichlaquo beherrscht werden Stattdessen wird es wohl in Zukunft heiszligen muumlssen raquoZusammenarbeit wo moumlglich und sinnvoll Risiko-vorsorge und Gefahrenabwehr soweit wie noumltiglaquo Die-ses spannungsreiche Nebeneinander einer auf Koopera-tion und einer auf Risikovorsorge und Gefahrenabwehr angelegten Politik stellt einen Ruumlckschritt gegenuumlber den letzten Jahren und Jahrzehnten dar

Die Einsicht dass eine europaumlische Friedensordnung erst dann dauerhaft stabil ist wenn Russland Teil dieser Ordnung ist bleibt richtig Wenn Russland in wichtigen Punkten gegen die vereinbarten Normen einer europaumli-schen Friedensordnung verstoumlszligt so ist dies kein Grund diese Prinzipien preiszugeben Im Gegenteil Es geht darum Russland zu einer Ruumlckkehr zu diesen Prinzipien und Normen zu bewegen damit es gleichberechtigter Teil einer europaumlischen Friedensordnung werden kann

Wir sollten uns weiterhin um einen regen Dialog mit der russischen Fuumlhrung und der russischen Gesell-schaft bemuumlhen Sich um ein Verstaumlndnis der russischen Politik zu bemuumlhen bedeutet nicht unbedingt mit ihr einverstanden zu sein Im Gegenteil Gerade waumlhrend einer Krise ist die intensive Kommunikation eine unver-zichtbare Voraussetzung fuumlr die friedliche Beilegung von Konflikten Die Bereitschaft weiterhin mit Russ-land zusammenzuarbeiten wo dies moumlglich und sinn-voll ist ist Ausdruck unseres Realismus Russland bleibt trotz seiner gegenwaumlrtigen Politik das wichtigste Land oumlstlich der Grenzen der EU und der NATO

Anders als in den vergangenen Jahren werden wir wohl bedauerlicherweise davon ausgehen muumlssen dass die EU und NATO dort Vorsorge treffen muumlssen wo die Poli-tik der russischen Fuumlhrung Risiken und Gefahren fuumlr die Nachbarn Russlands fuumlr die Mitgliedsstaaten der EU oder fuumlr die NATO und fuumlr die europaumlische Sicher-heit insgesamt beinhaltet Die veraumlnderte Lage macht das Bemuumlhen um eine friedliche Beilegung von Konflikten

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 5

wie im Falle der Ostukraine Georgiens Moldawiens und Armeniens sowie das Draumlngen auf Ruumlstungskon-trolle Abruumlstung und Vertrauensbildung noch wichti-ger Beim Problem des iranischen Atomprogramms beim Kampf gegen den internationalen Terrorismus in Bezug auf Afghanistan war Russland ein Partner Es war an der Loumlsung von Konflikten beteiligt Derartige Felder der Zusammenarbeit sollten erhalten und ndash soweit moumlglich und sinnvoll ndash ausgebaut werden Bei anderen Konflikten wie beim Bemuumlhen um eine Stabilisierung der Wirtschaft und Demokratie in der Ukraine wird Russland in der nahen Zukunft bedauerlicherweise wohl eher Widerpart als Partner bleiben Trotzdem sollten wir uns in Absprache

und gemeinsam mit der Regierung in Kiew um konflikt-mindernde Absprachen und Vereinbarungen bemuumlhen

Es steht uns kein neuer Kalter Krieg mit Russland bevor wohl aber eine Zeit der begrenzten Kooperation und des begrenzten Konfliktes Aufgabe Deutschlands ist es in dieser neuen Phase der Ostpolitik Meinungs- und Interessengegensaumltze realistisch zu analysieren gleichzei-tig aber auf der Grundlage der eigenen Werte und Prin-zipien kooperative Politikansaumltze zu foumlrdern und Kon-flikte einer friedlichen Loumlsung zuzufuumlhren Vielleicht kann auf diese Weise ndash wenn wahrscheinlich wohl erst nach laumlngerer Zeit ndash wieder die Chance fuumlr eine positi-vere Phase der Russland- und Ostpolitik eroumlffnet werden

Uumlber den AutorKarsten D Voigt war von 1976 bis 1998 Mitglied des Bundestags seit 1983 als auszligenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion und bis 1998 Vorsitzender der deutsch-russischen Parlamentariergruppe Von 1999 bis 2010 war er Koordi-nator der Bundesregierung fuumlr die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit Karten Voigt ist Mitglied des Praumlsidiums der Deutschen Gesellschaft fuumlr Auswaumlrtige Politik

UmFRAGE

Die russland-Ukraine-krise in russischen Umfragen

zum Waffenstillstand in der Ukraine Umfragen der raquostiftung Oumlffentliche meinunglaquo (fom)

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 13ndash14 September 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 22 September 2014 unter lthttpfomruMir11731gt

grafik 1 Verfolgen sie die ereignisse in der Ukraine

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100

InsgesamtFreunde etc in der Ukraine

Keine Freunde in der UkraineMann

Frau18-30 Jahre

31-45 Jahre45-60 Jahre

Uumlber 60 JahreMittelschule

Technikum u aumlHochschulbildung

Bis 4000 Rubel4001- 9000 Rubel

9001 ndash 20000 Rubel Mehr als 20000 Rubel

MoskauUumlber 1 Mio Einwohner

250000 ndash 1 Mio Einwohner50000 ndash 250000 Einwohner

Unter 50000 EinwohnernDorf

Taumlgliche Internetnutzer

Aufmerksam staumlndig Nicht sehr aufmerksam von Fall zu Fall Nein Keine Antwort

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 6

grafik 2 Aus welchen informationsquellen erfahren sie von den ereignissen in der Ukraine (frage an jene die die ereignisse in der Ukraine verfolgen ndash 89 Beliebige zahl an Antworten)

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90 815

387

151119

258

28 01

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 13ndash14 September 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 22 September 2014 unter lthttpfomruMir11731gt

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 13ndash14 September 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 22 September 2014 unter lthttpfomruMir11731gt

grafik 3 Berichten die russischen fernsehsender ihrer meinung nach objektiv uumlber die ereignisse in der Ukraine

0 20 40 60 80 100

InsgesamtFreunde etc in der Ukraine

Keine Freunde in der UkraineMann

Frau18-30 Jahre

31-45 Jahre45-60 Jahre

Uumlber 60 JahreMittelschule

Technikum u aumlHochschulbildung

Bis 4000 Rubel4001- 9000 Rubel

9001 ndash 20000 Rubel Mehr als 20000 Rubel

MoskauUumlber 1 Mio Einwohner

250000 ndash 1 Mio Einwohner50000 ndash 250000 Einwohner

Unter 50000 EinwohnernDorf

Taumlgliche Internetnutzer

Objektiv Keine Antwort Voreingenommen

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grafik 4 Wird die Waffenruhe zu einem stabilen frieden fuumlhren

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 13ndash14 September 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 22 September 2014 unter lthttpfomruMir11731gt

0 20 40 60 80 100

InsgesamtFreunde etc in der Ukraine

Keine Freunde in der UkraineMann

Frau18-30 Jahre

31-45 Jahre45-60 Jahre

Uumlber 60 JahreMittelschule

Technikum u aumlHochschulbildung

Bis 4000 Rubel4001- 9000 Rubel

9001 ndash 20000 Rubel Mehr als 20000 Rubel

MoskauUumlber 1 Mio Einwohner

250000 ndash 1 Mio Einwohner50000 ndash 250000 Einwohner

Unter 50000 EinwohnernDorf

Taumlgliche Internetnutzer

Die Waffenruhe fuumlhrt zu einem stabilen FriedenKeine AntwortDie Kampfhandlungen werden wieder aufgenommen

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 13ndash14 September 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 22 September 2014 unter lthttpfomruMir11731gt

grafik 5 Werden die republiken Donezk und lugansk am ende teil der Ukraine bleiben unabhaumlngige staa-ten werden oder teil russlands werden

0 20 40 60 80 100

InsgesamtFreunde etc in der Ukraine

Keine Freunde in der UkraineMann

Frau18-30 Jahre

31-45 Jahre45-60 Jahre

Uumlber 60 JahreMittelschule

Technikum u aumlHochschulbildung

Bis 4000 Rubel4001- 9000 Rubel

9001 ndash 20000 Rubel Mehr als 20000 Rubel

MoskauUumlber 1 Mio Einwohner

250000 ndash 1 Mio Einwohner50000 ndash 250000 Einwohner

Unter 50000 EinwohnernDorf

Taumlgliche Internetnutzer

Teil der Ukraine bleiben Keine Antwort Anderes Unabhaumlngige Staaten werden Teil Russlands werden

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 8

Umfragen des lewada-zentrums

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 6 Welches sind die wesentliche kraumlfte auf seiten der kiewer seite bei den kaumlmpfen in den gebieten Donezk und lugansk

0 20 40 60 80 100

Jun2014

Sep2014

Regulaumlre Einheiten der ukrainischen ArmeeKeine AntwortBewaffnete Formationen ukrainischer Rechtsradikaler

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 7 Welches sind die wesentlichen kraumlfte bei den kaumlmpfen in den gebieten Donezk und lugansk auf der anderen seite [separatistenneurussland]

0 20 40 60 80 100

Jun 2014

Sep2014

Buumlrgerwehren der Staumldte in den Gebieten Donezk und LuganskKeine AntwortBewaffnete Einheiten prorussischer Radikaler die von Russland unterstuumltzt werden

grafik 8 Befinden sich gegenwaumlrtig in der Ukraine russische streitkraumlfte

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

Ja29

Nein48Keine Antwort

23

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 9

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 9 Wie stehen sie dazu dass in den reihen der Buumlrgerwehr der ostukraine russische freiwillige kaumlmpfen

0 20 40 60 80 100

1 Mai 2014

1 Juni 2014

19-22 Sept2014

26-29 Sept2014

Absolut positiv Eher positiv Keine Antwort Eher negativ Absolut negativ

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 10 Wie endet die gegenwaumlrtige Waffenruhe

Die Unterzeichnung eines Friedensabkommens und

dem Prozess einer friedlichen Regulierung

des Konfliktes27

Wiederaufnahme des bewaffneten Konflikts

46

Keine Antwort27

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 11 sollten im falle eines Wiederaufnahme der kampfhandlungen in der ostukraine russische truppen entsandt werden

Auf jeden Fall5

Eher ja16

Eher nein36

Auf keinen Fall27

Keine Antwort16

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 10

grafik 12 Unterstuumltzen sie die massenproteste (raquofriedensmaumlrschelaquo) gegen die russische einmischung in innere Angelegenheiten der Ukraine

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 September 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 25 September 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint25-09-2014marshi-miragt

0 20 40 60 80 100

Mrz2014

Sep2014

Auf jeden Fall Eher ja Keine Antwort Eher nein Auf keinen Fall

Die haltung gegenuumlber den fluumlchtlingen aus der Ukraine

Quelle Umfragen des WZIOM vom 20ndash21 September 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 26 September 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=114994gt

grafik 13 gibt es in ihrer stadt siedlung fluumlchtlinge aus der Ukraine

0 20 40 60 80 100

Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja viele ukrainische Fluumlchtlinge Ja wenige ukrainische Fluumlchtlinge Keine Antwort Nein keine ukrainischen Fluumlchtlinge

Quelle Umfragen des WZIOM vom 20ndash21 September 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 26 September 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=114994gt

grafik 14 leistet russland den ukrainischen fluumlchtlingen ausreichende hilfe

Russland leistet den Fluumlchtlingen

ausreichende Hilfe67

Russland leistet den Fluumlchtlingen zu geringe

Hilfe4

Russland leistet den Fluumlchtlingen zu viel Hilfe

24

Keine Antwort5

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 11

AUS RUSSISchEN BLOGS

nawalnyj krim nasch1

Seit Maumlrz 2014 steht Alexej Nawalnyj wegen des sogennanten raquoYves-Rocher-Fallslaquo unter Hausarrest Dem opposi-tionellen Politiker wurde per Gerichtsbeschluss verboten seine Wohnung zu verlassen sowie mit jeglichen Perso-

nen auszliger dem engen Familienkreis zu sprechen Interviews zu geben und das Internet zu nutzen Seitdem fuumlhrt das Team der raquoStiftung fuumlr die Korruptionsbekaumlmpfunglaquo (russ raquoFBKlaquo) seinen Blog und seine Frau seinen Twitter-Account Anfang Oktober milderte das Gericht des Moskauer Basmannyj-Rayons (Basmannyj-Gericht) uumlberraschenderweise die Bedingungen des Hausarrests in Bezug auf Kontakte mit der Auszligenwelt was nach mehreren Monaten Journalis-ten wieder einen Zugang zur Schluumlsselfigur der russischen Protestbewegung ermoumlglichte

Das Interview fuumlr Echo Moskwy vom 15 Oktober in dem Nawalnyj sich unzweideutig zur Annexion der Krim aumluszligerte erregte in Russland uumlberaus groszlige Aufmerksamkeit Wie im Nachhinein aus der Redaktion von Echo Moskwy verlautet wollte Michail Lesen Chef der Holding Gazprom-Media die zwei Drittel der Aktien des Radiosenders besitzt die Veroumlffentlichung dieses Interviews auf alle erdenkliche Weise verhindern er habe der stellvertretenden Chefre-dakteurin Olesja Rjabzewa per Telefon mit groszligen Problemen gedroht wie diese in ihrem Blog berichtet Das Inter-view schlug in der liberalen Oumlffentlichkeit wie eine Bombe ein da Nawalnyj die Ruumlckgabe der Krim an die Ukraine eindeutig ausschloss Auf die Frage des Chefredakteurs des Radiosenders Alexej Wenediktow raquoKrim naschlaquo (Ist die Krim unser) sagte der Oppositionelle Folgendes raquoIch finde dass obwohl die Krim unter eklatanten Verstoumlszligen gegen alle voumllkerrechtlichen Normen erobert wurde die Realien derart sind dass die Krim jetzt ein Teil der Russischen Foumlderation ist Machen wir uns doch nichts vor Den Ukrainern rate ich ebenfalls ausdruumlcklich sich nichts vorzu-machen Sie [die Krim Anm d Red] bleibt Teil Russlands und wird in absehbarer Zukunft kein Teil der Ukraine werdenlaquo Diese Aussage loumlste auf Twitter einen massiven raquoShitstormlaquo aus Kurz nach dem Interview schloss sich auch Michail Chodorkowskij der Position Nawalnyjs an und sagte raquoDie Krim gebe ich nicht zuruumlcklaquo (lthttpgraniruPol iticsRussiaPartiesm234009htmlgt) Im Zuge heftiger Debatten in den Blogs teilte sich die liberale Oumlffentlichkeit Russlands in Nawalnyj-Versteher und harsche Kritiker der Krim-Annexion es meldeten sich unter anderem zu Wort Grigorij Golosow Professor an der Europaumlischen Universitaumlt St Petersburg Sergey Davidis Buumlrgerrechtler und enger Verbuumlndeter Nawalnyjs in der Protestbewegung Alexander Osowzow Projektdirektor der Stiftung von Michail Cho-dorkowskij raquoOffenes Russlandlaquo Wladislaw Naganow Mitglied der Nawalnyj-Partei raquoPartei des Fortschrittslaquo der Jour-nalist und Publizist Alexander Sotnik der russischsprachige Kiewer Journalist Mustafa Nayyem und der Kriegskor-respondent Arkadij Babtschenko

eine situation ohne guten AuswegraquoNawalnyj stellt alles richtig dar zu vielen Fragen laumlsst sich derzeit kaum etwas Besseres sagen Er ist ein begabter Mensch ein geborener Politiker Das Schlimme ist dass Russland ihn unter Hausarrest haumllt Alle gehen ihn hier an mit der Krim Man muss aber dabei im Kopf behalten dass es Putin war der die ukrainischen Probleme fuumlr Russland geschaffen hat und Nawalnyj nach einem guten Ausweg aus einer schlechten Lage zu fragen ist nicht besonders fair Die Krim bedeutet eine Situation ohne guten Ausweg Fuumlr den Besitz der Krim werden wir ndash alle zusammen oder jeder einzelne aus eigener Tasche ein Vielfaches von dem zahlen muumlssen was es gekostet haumltte jeden Quadratmeter auf der Halbinsel zu kommerziellen Preisen als Eigentum zu erwerben und alle Bewohner die dann nicht bleiben wollen an die Cocircte drsquoAzur umzusiedeln Putin hat das Geschaumlft bereits abgeschlossen Selbst Nawalnyj kann es nicht stornierenlaquoGrigorij Golosow via Snobru 16102014 lthttpslonrurussiapochemu_navalnyy_prav-1172360xhtmlgt

raquoAlle haben sich auf nawalnyj gestuumlrzthelliplaquoraquoIch habe in seinen Worten keinen Imperialismus erkennen koumlnnen er stimmt der Besetzung und Annexion der Krim nicht zu weist im Gegenteil auf deren krasse Rechtswidrigkeit hin Er hat gesagt dass Krim jetzt de facto zu Russ-land gehoumlrt [hellip] Er sagt dass man sie nicht wie ein Butterbrot zuruumlckgeben kann dass das die Bevoumllkerung entschei-den sollte was gibt es da zu bestreiten Selbst bei der Annexion gab es ein Schein-Referendum Und wenn man nicht autoritaumlr und rechtswidrig vorgeht sondern fair und demokratisch wer anders als die Bevoumllkerung sollte dann ent-scheiden [hellip]

Was ich in der Aumluszligerungen Alexejs nicht gutheiszligen wuumlrde ist der Stil Man sollte jetzt auf Ratschlaumlge fuumlr die Ukrainer lieber verzichten insbesondere bei einer solchen Frage Man sollte nicht davon reden dass Krim rsaquoin absehba-

1 dt Die Krim ist unser

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 12

rer Zukunft kein Teil der Ukraine werdenlsaquo wird auch wenn es scheint als ob die Ergebnisse eines jeden Referendums vorhersehbar sind Schlieszliglich tragen wir alle selbst diejenigen die dagegen waren zu einem gewissen Grad eine Ver-antwortung bei der Aggression des Kreml gegen die Ukraine und trotz allem stehen wir in den Augen der Ukrainer vollkommen zurecht als Buumlrger eines Aggressorstaates da Etwas mehr Ruumlcksicht und Fairness waumlre nicht verkehrtlaquoSergej Davidis auf Facebook 15102014 lthttpswwwfacebookcomsergeidavidisposts800840943304969gt

raquoDer Drache gewinnt in jedem falllaquoraquoBezuumlglich der Krim bin ich mit Nawalnyj kategorisch nicht einverstanden und finde dass gerade Russland der Ukraine die annektierte Krim zuruumlckgeben sollte vor allem weil niemand auch kein Land ein normales Leben fuumlh-ren kann ohne zu versuchen die Folgen eines von ihm begangenen Verbrechens nach Moumlglichkeit zu korrigieren Das waumlre genauso als wenn Alexejs rsaquoLieblingsfigurenlsaquo ndash Timtschenko Jakunin die Rotenbergs usw ndash eines schoumlnen Tages sagen wuumlrden rsaquoWir klauen jetzt nicht mehr wir sind jetzt ehrliche Leute Aber was wir vorher zusammenge-klaut haben das gehoumlrt bereits uns und das behalten wirlsaquo Eine solche Idee wuumlrde Nawalnyj kaum zufriedenstellen

Die Diskussion um Nawalnyjs Position die jetzt stattfindet zeigt aber aus meiner Sicht sehr ernst zu nehmende moralische und ethische Probleme innerhalb eines Teils der russischer Opposition auf Die einen die gestern noch mit harten Worten die rsaquoKrimnaschistenlsaquo beschimpft haben und so schien es bereit waren rsaquoWatniki und Koloradylsaquo2 in Stuumlcke zu zerreiszligen sind nun durch der rsaquoHetze der liberalen Presse gegen Nawalnyjlsaquo empoumlrt [hellip]

Ich moumlchte denjenigen fuumlr die jedweder Meinungsunterschied zu Nawalnyj ein Anschlag auf das Allerheiligste ist Folgendes sagen Beruhigt euch versucht zu verstehen dass es dumm und aussichtslos fuumlr das Land waumlre rsaquoPuti-noidelsaquo durch rsaquoNawalnoidelsaquo auszutauschen So wie in dem alten vietnamesischen Maumlrchen uumlber den Drachen und das Schwert aus grauem Stahl Es gewinnt immer der DrachelaquoAlexander Osowzow auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcomosovtsovaaposts1568393260047754gt

raquoman darf sie nicht hin und her zuruumlckgebenlaquoraquoAlle die Nawalnyj fuumlr seine Worte rsaquoIst die Krim etwa ein Wurstbrot dass man es hin und her zuruumlckgeben koumlnntelsaquo kritisieren moumlchte ich fragen Wie stellt ihr das uumlberhaupt vor

Der Praumlsident Russlands unterschreibt einen Erlass uumlber die Ruumlckgabe der Krim und Sewastopols an die Ukraine Uumlber die Entziehung der russischen Staatsbuumlrgerschaft bei allen Bewohnern der Krim und Sewastopols Oder kann man den Menschen die russische Staatsbuumlrgerschaft belassen und nur das Territorium ndash mit ihnen ndash uumlbergeben Fragt irgendjemand die Menschen was sie wollen bevor man etwas mit ihnen macht Oder werden die Einwohner der Krim und Sewastopols nicht fuumlr Menschen gehalten sondern fuumlr Vieh fuumlr eine Schafherde die zwischen verschie-denen Staaten hin und her rsaquouumlbergebenlsaquo werden kann Der eine Praumlsident hatte Lust und nahm es sich der andere hat sich anders uumlberlegt und gibt es wieder zuruumlckt So etwa

Sollte man nicht doch besser die Menschen fragen Hat Nawalnyj das etwa nicht selbst gesagt als er von einem rsaquonormalenlsaquo Referendum auf der Krim sprach Ich verstehe unter einem rsaquonormalenlsaquo Referendum eines das nicht nur 15ndash20 Tage vorbereitet wird sondern mindestens drei Monate Und bei dem es keine Einschraumlnkungen fuumlr die Kam-pagne gibt Die Anhaumlnger einer Zugehoumlrigkeit der Krim und Sewastopols zur Ukraine wollen hierfuumlr agitieren mit Plakaten Flugblaumlttern Werbevideos ukrainischen Fahnen ndash bitte schoumln Ohne Einschraumlnkungen Und dass alle moumlg-lichen Wahlbeobachter zum Referendum kommen koumlnnen von der OSZE von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates von der GUS aus der Ukraine der EU und den USA von uumlberall her Und dass ein transparenter Ablauf der Stimmenzaumlhlung gewaumlhrleistet werde Und wenn jemand von den Wahlbeobachtern ein Nachzaumlhlen der Stimmen per Hand verlangt ndash bitte schoumln mehrmals so oft wie gewuumlnscht Und uumlberhaupt Lasst so viele Wahlbe-obachter in jedes Wahllokal wie dort Platz ist Und keinerlei bewaffnete Menschen mit Maschinenpistolen in kei-nem einzigen Wahllokal oder dessen UmgebunglaquoWladislaw Naganow auf Livejournal 16102014 lthttpnaganofflivejournalcom142862htmlgt

liebe raquonawalnistenlaquoraquoAlso Fuumlr die verehrten rsaquoNawalnistenlsaquo die sich wegen Alexej so aufregenhellip

2 raquoWatnikilaquo (Wattejacken) ndash abfaumlllige Bezeichnung fuumlr russische sbquoHurrapatriotenlsquo (ein raquoWatniklaquo ist eine Wattejacke die mit der Armee aber auch mit Straumlflingen assoziiert wird) raquoKoloradylaquo (von raquo koloradskij shuklaquo ndash Kartoffelkaumlfer) ndash abfaumlllige Bezeichnung fuumlr prorussische Akti-visten in der Ukraine (die Faumlrbung des Kaumlfers ist schwarz-gelb oder schwarz-orange gestreift aumlhnlich den Farben des St Georgs-Bandes das von prorussischen Kraumlften in der Ukraine und von politisch rechtsstehenden Russen als Abzeichen verwendet wird)

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Ja eurer rsaquoFuumlhrerlsaquo ist Imperier Daraus hat er kein Geheimnis gemacht Er ist bei der Krim-Frage ein absoluter Putin Weil er wenn er einer anderen Ansicht waumlre Wenediktow Folgendes gefragt haumltte rsaquoVon welcher Krim reden Sie denn Von der die zur Ukraine gehoumlrt womit Russland einverstanden war als es das Budapester Abkommen unterschrieben hat Sie fragen mich uumlber die territoriale Integritaumlt eines Staates dem Russland Garantien gegeben hat wonach die Ukraine zum atomwaffenfreien Land geworden ist Haumltte Russland seinerzeit diese Garantien nicht gegeben haumltte die Ukraine jetzt Atomraketen und wir wuumlrden es niemals riskieren uns dort einzumischenhellip Sie fragen also nach Quatsch und zwar provokantem Quatschlsaquo

Wenn er also auf diese Weise geantwortet haumltte dann ja Dann waumlre er als Politiker geboren worden Er hat sich aber ausgenullt Wie seinerzeit Udalzow

Und noch etwa Verehrte rsaquoNawalnistenlsaquo houmlrt auf euch Goumltzen zu schaffen Viele von euch waren auf dem rsaquoFrie-densmarschlsaquo zur Unterstuumltzung der territorialen Integritaumlt der Ukraine Verliert das Gesicht nicht Trefft eine Wahl ohne Bindung des Herzens Und all die Argumente rsaquoer habe es nicht so gesagt er habe etwas anderes gemeintlsaquo das ist im Stil von rsaquoPutinistenlsaquo und zwar rsaquoUnser Fuumlhrer hat alle ausgetrickst Das eine gesagt was anderes getan Sie haben seinen Weisheiten schlecht zugehoumlrtlsaquohellip

Seid keine Kinder Werdet erwachsenlaquoAlexander Sotnik auf Facebook 15102014 lthttpswwwfacebookcomsashasotnikposts646414272138108gt

raquorandfigur russischer PolitiklaquoDa Alexej Nawalnyj recht offen seine Meinung zur Krim geaumluszligert hat [hellip] waumlre es auch fuumlr den Oppositionellen selbst sinnvoll das Geheimnis uumlber seine Lage zu luumlften Ich finde dass abgesehen davon dass die Rechte von Ale-xej Nawalnyj lange Jahre verletzt wurden und er nach himmelschreiender Verletzung aller Gesetzesnormen der Rus-sischen Foumlderation verurteilt wurde die Realitaumlt so aussieht dass Herr Nawalnyj eine Randfigur der russischen Poli-tik ist Ich rate ihm und seinen Anhaumlngern eindringlich sich nichts vorzumachen ndash sie haben in absehbarer Zukunft keine Chance bedeutende Figuren in der groszligen Politik zu werden Das waumlre ebenfalls ehrlichMustafa Nayyem auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcomMustafanayyemposts10203171638717866gt

raquoWas wollen sie Pardon zuruumlckgebenlaquoraquoWas fuumlr spannende Eskapaden nun zu dieser Krimhellip rsaquoDie Krim ist kein Wurstbrotlsaquo meint Nawalnyj rsaquoWenn ich Prauml-sident werde gebe ich Krim nicht zuruumlcklsaquo schreibt Michail Chodorkowskij auf Twitter [hellip]

Russland hat einen Teil eines souveraumlnen Staates okkupiert Diese Okkupation ist von keinem anderen Staat in der Weltgemeinschaft anerkannt worden In der ganzen Welt hat sich die ukrainische Grenze nicht um einen Zen-timeter veraumlndert Die Welt kennt keinen anderen Staat rsaquoUkrainelsaquo auszliger diesen ndash mit der Krim Die Welt kennt kei-nen anderen Staat rsaquoRusslandlsaquo auszliger diesen ndash ohne die Krim Es hat keine Vertraumlge zur Anerkennung und Bestaumltigung neuer Grenzen gegeben

Was also wollen Sie Verzeihen Sie die Frage rsaquozuruumlckgebenlsaquo [hellip]Und zweitens Das wichtigsteWenn du Praumlsident wirst ndash eben Praumlsident ndash waumlre in diesem Koordinatensystem schon eine solche Fragestellung

rsaquoabgeben oder nichtlsaquo per definitionem undenkbar Denn der Praumlsident ist ein gewaumlhltes Amt Ein Amt das im Rah-men fairer und freier Wahlen besetzt wird die in einem demokratischen Land nach internationalen Regeln Konven-tionen Rechten und Gesetzen die durch die Weltgemeinschaft als korrekt anerkannt werden [hellip] In dieser Situa-tion wuumlrde sich die Frage rsaquozuruumlckgeben oder besser nochmal uumlberlegenlsaquo a priori nicht stellen Weil nicht du es bist der uumlber zuruumlckgeben oder nicht entscheidet Du bist kein Lenker des Schicksals von Staaten Laumlndern und Voumllkern Du bist bloszlig Garant der Ausfuumlhrung von Gesetzen Einschlieszliglich internationaler Gesetze Fuumlr alle die daruumlber anders dachten ist die Moumlglichkeit geschaffen worden uumlber ihre Fehler nachzudenken ndash in den schoumlnen Staumldten Nuumlrnberg und Den HaaglaquoArkadij Babtschenko auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcombabchenkoaposts555934824506755fref=nfgt

Ausgewaumlhlt und zusammengefasst von Sergey Medvedev Berlin (Die Blogs auf die verwiesen wird sind in russischer Sprache verfasst)

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ANALYSE

zivilgesellschaft und staat in russlandPavel Chikov Moskau

zusammenfassungDie Zivilgesellschaft befindet sich heute in Russland in einem schlechten Zustand Sie entwickelte sich Ende der 1980er Jahre und genoss bis Ende der 1990er Jahre weitgehende Freiheiten 1999 gab es erste staatliche Eingriffe und 2004 kennzeichnete Praumlsident Putin aus dem Ausland finanzierte NGOs direkt als raquoFeindelaquo In den folgenden Jahren wurde die Gesetzgebung verschaumlrft die Registrierung von NGOs erschwert den-noch gab es bis zur Ruumlckkehr Putins in das Praumlsidentenamt im Jahre 2012 kein ernstliches Vorgehen der Behoumlrden gegen die NGOler Mit der ultrakonservativen Wende des Jahres 2012 begann der Staat auch verstaumlrkt gegen die NGOs vorzugehen Heute auch nach den Ereignissen in der Ukraine ist weithin klar geworden dass Wladimir Putin bei seiner Orientierung auf einen extremen Konservatismus auch vor Re-pressionen gegen Nichtregierungsorganisationen nicht zuruumlckscheut

Die entstehung der zivilgesellschaft ende der 1980er JahreDer Zustand der Zivilgesellschaft in Russland laumlsst sich heute mit nur einem Wort charakterisieren schlecht Mehr noch Er ist schlechter denn je in der neuesten Geschichte Russlands wenn man davon ausgeht dass es zu sowjetischer Zeit keine nennenswerte Zivilgesell-schaft gegeben hat Die vereinzelten sowjetischen Buumlr-gerrechts- und Dissidentengruppen deren Mitglieder von den Geheimdiensten aufs engste uumlberwacht wurden lassen sich naumlmlich nur mit groumlszligter Muumlhe als Zivilge-sellschaft bezeichnen

Eine legale Existenz vom Staat unabhaumlngiger Nicht-regierungsorganisationen begann in Russland ungefaumlhr in jener Zeit als West- und Ostdeutschland wiederver-eint wurden Ende der 1980er und in der ersten Haumllfte der 1990er Jahre wurden zum einen die bereits erwaumlhn-ten sowjetischen Dissidentengruppen dann aber auch jene Initiativgruppen die auf der Welle der Perestroika unter Gorbatschow entstanden waren und nun als Orga-nisationen auftraten zur Basis der kuumlnftigen Zivilgesell-schaft Diese Gruppen erreichten dass Kuibyschew in Samara und Gorkij in Nishnij Nowgorod umbenennt wurde und sie beteiligten sich engagiert an den Wahlen der Volksdeputierten beseitigten verschiedenste Relikte der sowjetischen Vergangenheit wurden zu Meinungs-fuumlhrern der Gesellschaft organisierten erstmals recht-liche Hilfe fuumlr die schwaumlchsten Bevoumllkerungsgruppen

Die ersten Gesetze die die Taumltigkeit von NGOs sys-tematisch regulierten entstanden in den Jahren 1995 und 1996 Sie wurden auf der Houmlhe der allgemeinen Demokratisierung verabschiedet schrieben die grundle-genden buumlrgerlichen Freiheiten fest sahen eine Registrie-rung per Anmeldung keinerlei Rechenschaftspflichten sowie die Moumlglichkeit vor ohne Registrierung als juristi-sche Person taumltig sein zu koumlnnen Hierbei konnten rund zwei Dutzend verschiedener Rechtsformen genutzt wer-den Eine gesellschaftliche Organisation (NGO) regis-

trieren zu lassen bedeutete keine Muumlhe und die staat-lichen Gebuumlhren hierfuumlr waren minimal Gleichzeitig gab es jedoch keinerlei System fuumlr eine finanzielle Foumlrde-rung von nichtkommerziellen Organisationen (NGOs) durch den Staat

erste eingriffe des staatesDie ersten Zeichen die von kuumlnftigen Problemen fuumlr NGOs kuumlndeten erfolgten im Jahr 1999 als das Justiz-ministerium eine Neuregistrierung aller aktiven nicht-kommerziellen Organisationen (NGOs) verlangte Damals sahen sich einige Menschenrechtsorganisatio-nen erstaunlichen Beanstandungen durch die Behoumlrden gegenuumlber Wie sich herausstellte sollte es nicht moumlg-lich sein den Schutz der Menschenrechte und buumlrgerli-chen Freiheiten zu den satzungsgemaumlszligen Zielen zu zaumlh-len Die Fachleute des Justizministeriums behaupteten Da der Schutz der Menschenrechte gemaumlszlig der Verfas-sung die Pflicht des Staates ist koumlnnten NGOs diesen darin allenfalls sbquounterstuumltzenlsquo Das ist die Erklaumlrung dafuumlr dass die meisten Moskauer Organisationen bei ihren Namen und in ihren Satzungen bis heute diese Formulierung verwenden die offensichtlich eine klare paternalistische Botschaft an die Gesellschaft darstellt Zivilgesellschaftliche Organisationen koumlnnen ndash so die Haltung der russischen Regierung seit 1999 und bis jetzt ndash nichts selber machen Sie koumlnnen lediglich den Staat unterstuumltzen Folglich stoszligen NGOs wenn sie sich gegen die Politik des Staates wenden auf unweiger-lichen vaumlterlichen Zorn Die 15 Jahre nach 1999 illus-trieren diese Haltung sehr deutlich

nichtregierungsorganisationen als raquofeindelaquo2004 hat Praumlsident Putin in seiner jaumlhrlichen Parla-mentsansprache Nichtregierungsorganisationen die auch nur irgendwelche Gelder aus dem Ausland erhalten direkt seine Feinde genannt 200405 wurde eine spe-zielle staatliche Struktur der raquoFoumlderale Dienst fuumlr Regis-

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trierunglaquo (raquoRosregistrazijalaquo) geschaffen ndash eine Polizei fuumlr NGOs Es wurden fuumlr NGOs Rechenschaftspflich-ten uumlber ihre Taumltigkeit eingefuumlhrt die fuumlr zwei Drit-tel der Organisationen nicht zu stemmen waren Von 2006 bis 2008 hat diese dem Justizministerium nach-geordnete Behoumlrde die Aufloumlsung Zehntausender zivil-gesellschaftlicher Organisationen per Gerichtsbeschluss erwirkt Weitere 50000 erhielten Verwarnungen Ins-gesamt befanden sich beim Amtsantritt des Zwischen-praumlsidenten Medwedew achtzig Prozent der in Russland existierenden Organisationen (ungefaumlhr 150ndash180000) nur einen Schritt von ihrer moumlglichen Aufloumlsung (aus formalen Gruumlnden) durch das Justizministerium ent-fernt Staatsfreundliche Strukturen (wie etwa die Gesell-schaftskammer) haben beharrlich die Vorstellung trans-portiert dass es in Russland tatsaumlchlich nicht mehr als 30000 gesellschaftliche Organisationen (NGOs) gebe Das Anhalten der repressiven Maschine gegen NGOs war eine der wenigen liberalen Zugestaumlndnisse Dmitrij Medwedews als Praumlsident raquoRosregistrazijalaquo wurde 2008 selbst aufgeloumlst und seine Funktionen zur Kontrolle der Nichtregistrierungsorganisationen direkt dem Justiz-ministerium uumlbertragen Viele ehemalige Mitarbeiter von raquoRosregistrazijalaquo einschlieszliglich des Behoumlrdenlei-ters wechselten zur Staatsanwaltschaft

2009 und 2010 ritten die Behoumlrden nur vereinzelte Angriffe auf Nichtregistrierungsorganisationen Ein besonders bekannter Fall war die blitzartige staatsan-waltschaftliche Uumlberpruumlfung von 40 Menschenrechtsor-ganisationen im September 2010 die auf Anweisung der Praumlsidialadministration erfolgte diese wollte vor dem Treffen der Leiter der Kommission von Wladislaw Sur-kow und Michael MacFaul kompromittierende Mate-rialien uumlber aus dem Ausland finanzierte Organisatio-nen praumlsentieren Insgesamt aber hat bis zur Ruumlckkehr Putins in das Praumlsidentenamt kein ernstliches Vorgehen der Behoumlrden gegen die NGOler gegeben

Die situation der zivilgesellschaft nach dem mai 2012Die Situation aumlnderte sich grundlegend im Mai 2012 nach der dritten Inauguration Putins die von Mas-senprotesten auf dem Bolotnaja-Platz begleitet wurde denen die bis heute andauernden sogenannten Bolot-naja-Verfahren folgten naumlmlich die strafrechtliche Ver-folgung und Verurteilung zu Gefaumlngnisstrafen von Teil-nehmern der regierungskritischen Demonstration vom 6 Mai 2012 Die Praumlsidialadministration wappnete sich mit der ultrakonservativen Politik einer demonstrativen Absage an liberale Werte fuumlr den Praumlsidenten wurde das Image eines Verteidigers traditioneller Werte aufgebaut die den Menschenrechten und buumlrgerlichen Freiheiten gegenuumlbergestellt werden

Die weitgehenden Beschraumlnkungen der Versamm-lungsfreiheit die Verfolgung von Schwulen und Les-ben die Angriffe auf die Redefreiheit im Internet die Herstellung staatlicher Kontrolle uumlber die Medien die Diskreditierung des Instituts der Wahlen wurden durch eine Kampagne zur Verfolgung von Nichtregierungsor-ganisation ergaumlnzt Diese Welle wurde unter der Losung losgetreten dem Einfluss aus dem Ausland entgegenzu-wirken Sie erfolgte durch Aumlnderungen im Gesetz uumlber nichtkommerzielle Organisationen (NGOs) das Aumlnde-rungsgesetz wurde als raquoGesetz uumlber auslaumlndische Agen-tenlaquo bekannt Praumlsident Putin persoumlnlich ist bekann-termaszligen dessen geistiger Vater Im Verlauf des Jahres 2013 organisierte die Staatsanwaltschaft die vom Jus-tizministerium die Funktion der Kontrolle uumlber Nicht-regierungsorganisationen uumlbernommen hatte die Uumlber-pruumlfung von rund tausend NGOs und lieszlig sich dabei lediglich von einem Kriterium leiten naumlmlich der Frage ob eine Organisation in irgend einer Art Gelder aus irgendeiner Art auslaumlndischer Quelle erhaumllt die Ver-einten Nationen den Europarat und private Nichtre-gierungsstrukturen eingeschlossen Auch eine Reihe deutscher Stiftungen und Organisationen waren Atta-cken ausgesetzt naumlmlich die Friedrich-Ebert-Stiftung die Konrad-Adenauer-Stiftung und der Deutsch-Rus-sische Austausch

Ziel der von Generalstaatsanwalt Jurij Tschajka ini-tiierten Kampagne war es moumlglichst viele Organisa-tionen dazu zu noumltigen sich als auslaumlndischer Agent registrieren zu lassen Die Reaktion der russischen Zivil-gesellschaft laumlsst sich wohl als deutlichsten Beweis ihrer Existenz bezeichnen Nach dieser halbjaumlhrigen Kam-pagne in allen Regionen des Landes hatte sich keine einzige Organisation im Verzeichnis der raquoauslaumlndi-schen Agentenlaquo registrieren lassen Die Zivilgesellschaft hatte ndash ohne sich zu verabreden ndash die Anwendung die-ses Gesetzes sabotiert und Dutzende Organisationen zogen mit Beschwerden gegen das Vorgehen der Staats-anwaumllte vor Gericht Diese ewig langen Gerichtspro-zesse dauern bis heute an Involviert sind mittlerweile auch das Oberste Gericht das Verfassungsgericht der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte die Vene-dig-Kommission des Europarates der Menschenrechts-kommissar des Europarates und die Regierungschefs aller groszligen westlichen Staaten

Heute nach den diesjaumlhrigen Ereignissen in der Ukraine ist weithin klar gewonnen dass Wladimir Putin bei seiner Hingabe an extremen Konservatismus und bei seiner Attacke gegen liberale Werte die die Grundlage der Nachkriegsordnung dargestellt haben bei Repressionen gegen Nichtregierungsorganisationen nicht halt macht Heute in einer Situation da von jenem Moment wo im Kopf des Praumlsidenten oder von irgend

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jemandem in dessen engster Umgebung die naumlchste Idee zur Beschraumlnkung der Menschenrechte entsteht bis zur Verabschiedung und dem Inkrafttreten eines entsprechenden Foumlderalen Gesetzes nur eine Woche vergehen kann koumlnnen jene die Menschenrechtsar-

beit machen solche Schritte der Regierung weder aus-zuschlieszligen noch sie vorhersehen Es bleibt einem nur auf wirklich alle Szenarien gefasst zu sein auch auf die schlimmsten

Uumlbersetzung Hartmut Schroumlder

Uumlber den AutorPawel Chikow Vorsitzender der Interregionalen Assoziation der Buumlrgerrechtsorganisationen raquoAGORAlaquo Mitglied des Rats fuumlr die Entwicklung der Zivilgesellschaft und fuumlr Menschenrechte beim Praumlsidenten der Russischen Foumlderation

ANALYSE

ngos in russlandJens Siegert Moskau

zusammenfassungUnabhaumlngige russische NGOs sind seit Praumlsident Putins Amtsantritt Ziel staatlichen Drucks Die Auseinan-dersetzung mit diesem Druck hat bei den NGOs zu einer schrittweisen und beindruckenden Professionali-sierung beigetragen die wiederum geholfen hat trotz dieses Drucks nicht nur zu uumlberleben sondern auch ihre Arbeit weiter machen zu koumlnnen Das vor knapp zwei Jahren in Kraft getretene sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo stellt die NGOs vor eine neue harte Probe Zudem versucht der Staat erneut NGOs auch institutionell in raquogutelaquo und raquoboumlselaquo einzuteilen Dieser neue Versuch NGOs unter direkte staatliche Kontrol-le zu bringen gefaumlhrdet die Existenz unabhaumlngiger und staatskritischer NGOs in Russland

Putin und die ngosSeit Wladimir Putin vor nun schon fast 15 Jahren rus-sischer Praumlsident wurde versucht er sehr erfolgreich alle autonomen politischen Subjekte in Russland der direkten Kontrolle des Staates besser noch des Kremls zu unterwerfen In Wirtschaft und Politik ist das wei-testgehend gelungen Bei den Massenmedien sehr weit-gehend Blieben und bleiben die NGOs Sie haben sich als am widerstaumlndigsten erwiesen Das hat unterschied-liche Gruumlnde

Erstens galten NGOs im Kreml lange nicht als son-derlich gefaumlhrliche politische Bedrohung Das aumlnderte sich kurzzeitig 20042005 als der Kreml vor allem bei der sogenannten Orangenen Revolution in der Ukraine aus dem Ausland finanzierte NGOs als wichtige trei-bende Kraft der politischen Veraumlnderungen betrachtete Doch hielt diese seinerzeit stark uumlbertriebene Angst vor der Moumlglichkeit aumlhnlich raquoumstuumlrzlerischer Machen-schaftenlaquo in Russland nur recht kurz an Danach etwa ab Ende 2006 und bis zur Protestwelle gegen Wahlfaumll-schungen und die Wiederwahl von Wladimir Putin zum russischen Praumlsidenten im Winter 20112012 periodisch blieben die Aufmerksamkeit den NGOs gegenuumlber und das Verhaumlltnis zwischen Staat und NGOs ambivalent

Dieses Verhaumlltnis schwankt seit Putins Machtan-tritt zwischen dem Misstrauen des Staates allen auto-nomen potentiell eigenstaumlndigen politischen Subjekten gegenuumlber (die aus seiner Sicht streng kontrolliert gehouml-ren) und der Erkenntnis dass NGOs eine ganze Reihe wichtiger sozialer und politischer Funktionen ausfuumll-len die der Staat nicht oder nicht mehr zu gewaumlhrleis-ten in der Lage ist Auszligerdem erwiesen sich die NGOs nach weitgehender Abschaffung der Pressefreiheit und Gleichschaltung der (ohnehin schwachen und in vielen Bereichen dysfunktionalen) politischen Parteien fuumlr den Kreml als nuumltzlicher ja mitunter notwendiger Kommu-nikationskanal in die Gesellschaft

Die Uumlberlebensfaumlhigkeit der russischen ngosDas Uumlberleben unabhaumlngiger NGOs wurde bis heute auszligerdem durch ihre groszlige politische und institutio-nelle Lernfaumlhigkeit gewaumlhrleistet Unter dem staatli-chen Druck der vergangenen 15 Jahre ist die NGO-Arbeit in Russland in fast allen Bereichen professioneller geworden Das gilt insbesondere fuumlr die Einhaltung der in vielem widerspruumlchlichen oft geaumlnderten und uumlber Verwaltungsakte zu wahren buumlrokratischen Monstern

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aufgeblaumlhten die NGOs betreffenden Gesetze Kurz gesagt Vor allem Juristen Buchhalter Geschaumlftsfuumlh-rer die NGOs beraten oder in ihnen arbeiten aber auch viele Aktivisten sind schlicht besser schneller und pro-fessioneller als die staatliche Finanz- Justiz- oder sons-tige Verwaltung Einem in vielem legalistischen Staat gegenuumlber kostet diese staumlndige Professionalisierung (auch im Sinn einer Art raquolebenslangen Lernenslaquo) zwar viel Kraft und es muumlssen dafuumlr nicht geringe Ressour-cen eingesetzt werden aber sie verschafft solange es sich nicht um frontale Angriffe handelt immer wieder Raum und Zeit zum Weitermachen

Damit komme ich zum dritten Grund fuumlr die beson-dere Widerstaumlndigkeit von NGOs in Russland Es ist fuumlr einen Staat (und seine Staatsmaumlnner und -frauen) fuumlr den der Eigensinn der Menschen nur schwer vorstell-bar ist und der vom eigenen Zynismus geleitet hin-ter jedem und allem irgendwelchen raquofremden Maumlchtelaquo Verschwoumlrungen und politischen Utilitarismus vermutet ganz offenbar schwer vorstellbar dass zivilgesellschaftli-ches Engagement sozusagen aus sich selbst heraus oder aus einer bestimmten Situation oder einem bestimmten Ereignis einem Erlebnis oder einer Erfahrung heraus entsteht Administrative auch strafrechtliche Maszlig-nahmen gegen dieses Engagement laufen eben deshalb immer wieder zwar nicht voumlllig ins Leere (sie erschwe-ren dieses Engagement mitunter enorm) aber sie koumln-nen es nicht verhindern Es verlagert sich immer wieder und findet immer neue Formen und Foren

Die Verstaumlrkung der staatlichen kontrolleBis heute gab es unter Putin drei groumlszligere Versuche unab-haumlngige NGOs unter mehr oder weniger direkte staatli-che Kontrolle zu bringen und diejenigen die sich dagegen wehrten entweder zu marginalisieren oder auch zu schlie-szligen Der erste im Jahr 2001 endete mit einem oben schon angedeuteten Kompromiss der das Verhaumlltnis Kreml-NGOs in einem (allerdings jederzeit prekaumlren) Gleich-gewicht zwischen Konfrontation und Kooperation hielt

Der zweite Versuch endete in der Verabschiedung des raquoNGO-Gesetzeslaquo Ende 2005Anfang 2006 das den NGOs weitergehende Berichtspflichten auferlegte in der Praxis also Ressourcen band und bindet aber ebenfalls in der Praxis und entgegen anderslautenden Befuumlrchtungen nicht zu wesentlichen Einschraumlnkun-gen in der Arbeit russische NGOs fuumlhrte Die groumlszligte negative Wirkung dieses Versuches duumlrfte von zahlrei-chen oumlffentlichen Aumluszligerungen hochgestellter Politiker bis hin zu Putin ausgegangen sein NGOs seien raquoFeindelaquo raquoSchakale die um auslaumlndische Vertretungen streunenlaquo Dadurch wurde die Einstellung von Teilen der Gesell-schaft vor allem aber von weiten Teilen der Verwaltung zu NGOs grundsaumltzlich negativ gepraumlgt

Der dritte Versuch begann als Teil der staatlichen Reaktionen auf den Protestwinter 20112012 und haumllt bis heute an Sein wichtigster Bestandteil ist das soge-nannte raquoNGO-Agentengesetzlaquo das eigentlich kein eigenes Gesetz ist sondern aus einer Reihe dem NGO-Gesetz neu hinzugefuumlgter oder geaumlnderter Paragraphen besteht Diese Vorschriften verpflichten NGOs die raquosich politisch betaumltigenlaquo und Geld oder andere Zuwendun-gen aus dem Ausland erhalten sich beim Justizminis-terium als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren zu lassen Danach muumlssen sie jede oumlffentliche Aumluszligerung mit dem Zusatz raquoauslaumlndischer Agentlaquo versehen

Die Durchsetzung des AgentengesetzesTrotz erheblichen staatlichen raquoPressingslaquo der raquoUumlber-pruumlfunglaquo von mehr als 700 NGOs in ganz Russland durch Staatsanwaltschaft Justizministerium Finanz-amt und eine Reihe anderer Behoumlrden ab dem Fruumlhjahr 2013 hatte sich im Fruumlhjahr 2014 erst eine NGO als raquoauslaumlndischer Agentlaquo im entsprechenden Register des Justizministeriums eintragen lassen (lthttpunromin justruNKOForeignAgentaspxgt) Alle anderen selbst diejenigen NGOs die von den Behoumlrden als raquoAgentenlaquo eingestuft und teilweise mit empfindlichen Geldstra-fen belegt worden waren weigerten sich und weigern sich bis heute Viele NGOs klagten und klagen sowohl gegen das Gesetz als auch gegen die raquoUumlberpruumlfungenlaquo und die aus ihnen von den Justizbehoumlrden abgeleite-ten Bescheide und Anweisungen vor russischen Gerich-ten aber auch vor dem Europaumlischen Gerichtshof fuumlr Menschenrechte (EGMR) Eine Entscheidung des rus-sischen Verfassungsgerichts hat die raquoAgentenparagra-phenlaquo fuumlr verfassungskonform erklaumlrt wenn auch einige Einzelbestimmungen darunter die zu Mindeststrafen aufgehoben

Im Juni 2014 beschloss die Staatsduma eine Verschaumlr-fung der raquoAgentenlaquo-Paragraphen des NGO-Gesetzes Seither hat das Justizministerium das Recht NGOs auch ohne deren Zustimmung in das raquoAgentenlaquo-Register ein-zutragen Bis heute (21102014) hat es 15 NGOs getrof-fen Es ist damit zu rechnen das weitere folgen werden Justizminister Jurij Tschajka hat bereits 2013 im Foumlde-rationsrat von 24 NGOs gesprochen die nach Ansicht des Ministeriums raquoAgentenlaquo seien Auszligerdem wurden 2013 und 2014 mehr als 40 NGOs von der Staatsanwalt-schaft aufgefordert sich vorsorglich als raquoAgentenlaquo regis-trieren zu lassen da sie Geld aus dem Ausland bekaumlmen und Gefahr liefen sich raquopolitisch zu betaumltigenlaquo

Die reaktionen der ngos auf das AgentengesetzDie praktischen Reaktionen der NGOs auf diesen staat-lichen Druck sind unterschiedlich Einige NGOs wie

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die Wahlbeobachter von raquoGoloslaquo haben sich als juris-tische Personen aufgeloumlst oder sind wie die raquoJuristen fuumlr Verfassungsrechte und Freiheitlaquo dabei sich aufzu-loumlsen (ein juristisch und administrativ nicht ganz ein-facher und langwieriger Vorgang) Fast alle NGOs die sich aufloumlsen haben aber erklaumlrt ihre Arbeit auch ohne juristischen Status fortsetzen zu wollen Rechtlich ist das moumlglich Praktisch werden diese NGOs auf zahlreiche neue Probleme treffen wohl bis hin zur moumlglichen Kri-minalisierung einzelner Personen

Einige andere NGOs darunter das Menschenrechts-zentrum Memorial machen weiter wie bisher Sie fech-ten meist die Eintragung in das raquoAgentenregisterlaquo vor Gericht an (in der Regel ohne besonderen Erfolg) Das Menschenrechtszentrum Memorial aber auch einige andere NGOs wollen bis zum EGMR gehen unter ande-rem weil sie das Gesetz insgesamt fuumlr unmoralisch und verfassungswidrig haumllt

Eine weitere Reaktion ist eine Art Hase-und-Igel-Spiel mit den Behoumlrden Das kann sich in einem Geflecht von unterschiedlichen NGOs ausdruumlcken die unter-schiedliche Funktionen wahrnehmen Eine NGO macht politische Erklaumlrungen und betreibt Lobbying Ihre Aktivistinnen arbeiten ausschlieszliglich ehrenamt-lich Eine andere bekommt auslaumlndische Finanzierung fuumlr Projekte die auch nach der Definition von Staatsan-waltschaft und Justizministerium nicht raquopolitischlaquo sind Wieder andere NGOs weichen auf Organisationsformen (juristische Personen) jenseits des NGO-Gesetzes aus die dann nicht den raquoAgentenparagraphenlaquo unterliegen

Der Vorstoszlig gegen memorialAllerdings beschraumlnkt sich die staatliche Behinderung und Bedrohung von NGOs nicht auf das relativ neue Agentengesetz Alle anderen laumlnger erprobten adminis-trativen bis strafrechtlichen Instrumente bleiben eben-falls im Einsatz Juumlngstes und bekanntestes aber bei weitem nicht einziges Beispiel ist der Schlieszligungsan-trag des Justizministeriums vor dem Obersten Gericht gegen raquoMemorial Russlandlaquo raquoMemorial Russlandlaquo ist ein Netzwerk aus rund 50 regionalen und thematischen Memorial-Organisationen und selbst eine von mehr als 60 Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Internatio-nallaquo (Zum Memorial-Netzwerk siehe lthttprusslandboellblogorg20141011wie-funktioniert-memorial-ein-kleiner-wegweiser-durch-eine-zugegeben-kompli zierte-strukturgt) Bei einer der regelmaumlszligigen Pruumlfun-

gen stellte das Justizministerium Anfang 2012 also vor Beginn der jetzigen Repressionswelle gegen NGOs fest dass die seit Gruumlndung der Organisation geltende konfouml-derative Struktur von raquoMemorial Russlandlaquo raquonicht dem Gesetz entsprechelaquo und geaumlndert werden muumlsse Insbe-sondere behagt dem Justizministerium nicht dass die Mehrzahl der Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Russlandlaquo ihrerseits eigenstaumlndige juristische Personen sind raquoMemorial Russlandlaquo muumlsse sich zentralistisch organisieren und die regionalen Memorial-Organisa-tionen zu Filialen werden Ohne hier ins Detail gehen zu koumlnnen wuumlrde das aber zu weiteren Problemen fuumlh-ren die wiederum die Schlieszligung von Memorial durch das Justizministerium zum Ergebnis haumltten Memorial sucht einen Ausweg das Justizministerium betreibt die Schlieszligung Viele NGOs haben Probleme mit der Feu-erwehr dem Gesundheitsamt oder der Arbeitsschutzbe-houmlrde Beliebt ist in juumlngster Zeit auch die Kuumlndigung von Mietvertraumlgen (so unlaumlngst geschehen bei raquoGoloslaquo und der raquoBewegung fuumlr Menschenrechtelaquo)

soziale und politische ngosSeit dem Fruumlhjahr zeichnet sich noch ein weiterer Angriff auf unabhaumlngige und staatskritische NGOs ab Der von Michail Fedotow geleitete Zivilgesellschaftsrat beim Praumlsidenten beraumlt seit einiger Zeit eine erneute Aumlnde-rung des NGO-Gesetzes Er schlaumlgt vor die Agenten-paragraphen abzuschaffen und dafuumlr um den Befuumlrch-tungen des Kremls auf politische Einflussnahme (nicht nur aus dem Ausland) Rechnung zu tragen kuumlnftig eine Einteilung von NGOs in raquosozialelaquo und raquopolitischelaquo vor-zunehmen raquoSozialelaquo NGOs sollen diesen Vorschlaumlgen nach kuumlnftig steuerlich beguumlnstigt sein und staatliche Zuwendungen erhalten koumlnnen raquoPolitischelaquo NGOs wer-den hingegen von staatlicher Foumlrderung ausgeschlossen und sollen auf alle Zuwendungen insbesondere aber auf Zuwendungen aus dem Ausland einen noch fest-zulegenden Steuersatz zahlen Die Befuumlrworter dieser im Uumlbrigen im Zivilgesellschaftsrat nicht unumstrit-tenen Initiative verweisen darauf dass so die heute als raquoAgentenlaquo verfolgten NGOs eventuell noch gerettet wer-den koumlnnten waumlhrend staatliche Foumlrderung aller ande-ren verstaumlrkt wuumlrde Ein Gewinn also fuumlr alle Betei-ligten Tatsaumlchlich verbirgt sich hinter dem Vorschlag aber eine gefaumlhrliche Tendenz zur Entsolidarisierung in der NGO-Szene wie sie auch anderswo schon laumln-ger zu beobachten ist

Uumlber den AutorJens Siegert ist Diplompolitologe und leitet seit 1999 das Laumlnderbuumlro Russland der Heinrich Boumlll Stiftung in Mos-kau Davor arbeitete er in Moskau als Korrespondent fuumlr Radiostationen Zeitschriften und Zeitungen im deutsch-sprachigen Raum

Lesetipps finden Sie auf der naumlchsten Seite

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Lesetippsbull Siegert Jens Putin und die Zivilgesellschaft in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 12 06 2013

lthttprusslandboellblogorg20130612putin-und-die-zivilgesellschaftgtbull Siegert Jens Uumlber ein Jahr raquoNGO-Agentenlaquo-Jagd ndash eine Art Zwischenbericht in Russland-Blog (Hein-

rich-Boumlll-Stiftung Moskau) 4 Juni 2014 lthttprusslandboellblogorg20140604ueber-ein -jahr-agenten-jagd-eine-art-zwischenberichtgt

bull Siegert Jens Russische raquoNGO-Agentenjagdlaquo ndash eine Zwischenbilanz in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 7 Juni 2013 lthttprusslandboellblogorg20130607russische-ngo-agentenjagd-eine-zwischenbilanzgt

bull Siegert Jens Erklaumlrung Permer NGOs warum sie sich unter keinen Umstaumlnden als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren lassen in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 26 Mai 2013 lthttprusslandboellblogorg20130526erklarung-permer-ngos-warum-sie-sich-unter-keinen-umstanden-als-auslandische-agenten-registrieren-lassengt

bull Siegert Jens Memorial raquoNGO-Agentengesetzlaquo ist ungesetzlich und unmoralisch Keine freiwillige Registrierung als raquoauslaumlndischer Agentlaquo in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 22 September 2013 lthttpruss landboellblogorg20120922memorial-ngo-agentengesetz-ist-ungesetzlich-und-unmoralisch-keine-freiwillige-registrierung-als-auslandischer-agentgt

bull Siegert Jens Sozialer Wandel und politische Dynamik in Russland 201112 in Russland-Analysen Nr 245 19 Oktober 2012 lthttpwwwlaender-analysenderusslandpdfRusslandanalysen245pdfgt

ANALYSE

ein kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen engagements zur Unterstuumltzung und integration von migranten in russlandMarina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin

zusammenfassungObwohl die Wirtschaft Russlands aufgrund der ruumlcklaumlufigen Bevoumllkerungszahl auf Migranten angewiesen ist ist der Groszligteil der Bevoumllkerung des Landes Migranten gegenuumlber skeptisch und oft geradezu fremden-feindlich eingestellt Durch eine schlecht koordinierte staatliche Migrationspolitik ist die Lage der Arbeits-migranten meist prekaumlr Initiativen aus der Zivilgesellschaft versuchen die Situation der Migranten zu ver-bessern und leisten Aufklaumlrungsarbeit in der Bevoumllkerung sowie konkrete Hilfestellungen fuumlr Migranten Die Arbeit solcher Aktivisten wird jedoch oftmals durch staatliche Einmischung erschwert

immigration nach russland als gesellschaftliches ProblemDie widerspruumlchliche Migrationspolitik der russischen Regierung und die aufgeheizte Stimmung in der Bevoumll-kerung haben 2013 zu vermehrten xenophoben Uumlbergrif-fen auf Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien gefuumlhrt (siehe beispielsweise die Unruhen in Birjuljowo im Oktober 2013) Diese Entwicklung wirft die Frage auf welche Haltung die russische Zivilgesellschaft hierzu einnimmt Gibt es zivilgesellschaftliche Initiativen die dieser fremdenfeindlichen Stimmung entgegenwirken

In der russischen Oumlffentlichkeit ist oft von einer Flut von Arbeitsmigranten aus den GUS-Staaten die Rede doch in Wirklichkeit ist die Immigration nach Russ-land im internationalen Vergleich gering Zudem zeigen Zahlen der Staatlichen Statistikbehoumlrde raquoRosstatlaquo dass

die russische Wirtschaft aufgrund der demographischen Entwicklung in zunehmendem Maszlige Arbeitskraumlfte aus dem Ausland benoumltigt (bis 2030 ndash so die Prognose ndash soll die russische arbeitsfaumlhige Bevoumllkerung um 103 Mil-lionen Menschen abnehmen)

Trotzdem gibt es starke fremdenfeindliche Stimmun-gen die sich gegen Immigranten aus Zentralasien und dem Kaukasus richten Diese Ablehnung von Migran-ten hat zugenommen und schafft den Naumlhrboden fuumlr Pogrome wie 2006 in Kondopoga 2010 auf dem Mos-kauer Manegenplatz sowie 2013 in der Stadt Pugat-schow und dem Moskauer Vorort Birjuljowo Angst und Verachtung gegenuumlber Fremden ziehen sich durch alle Gesellschaftsschichten Sie werden als Kriminelle und Illegale stigmatisiert und nicht nur Nationalisten ver-wenden die Losung raquoRussland den Russenlaquo um Ras-

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sismus zu schuumlren und die Stimmung gegen Migranten weiter anzuheizen

es gibt keine migrationspolitikDiese interethnischen Konflikte spiegeln sich auch im russischen Alltag wieder Der durch den Foumlderalen Migrationsdienst praktizierte administrative und poli-zeiliche Umgang mit Migration ist nicht effektiv Eine Stigmatisierung der Migranten als potenzielle Krimi-nelle und eventuelle Uumlberlegungen zur Verschaumlrfung des Migrationsgesetzes koumlnnen die Probleme nicht loumlsen die gerade auch auf kommunaler Ebene anfallen Die nur situativen politischen Maszlignahmen fuumlhren mitunter zu einer Verschaumlrfung des Problems Eine uumlbergreifende Strategie existiert nicht die Politik weiszlig auf die Migra-tionsfrage keine Antwort Ein autoritaumlres zentralisier-tes System ist nicht im Stande die regionalen Probleme dieses riesigen Landes zu loumlsen deshalb liegt es vor allem an der Zivilgesellschaft sich diesen Themen zu widmen

zivilgesellschaftliche Projekte AufklaumlrungsarbeitIn Moskau und Sankt Petersburg gibt es verschiedene nichtstaatliche Projekte die sich sowohl fuumlr mehr Tole-ranz als auch fuumlr die Integration der Migranten einsetzen

Einige von ihnen bestehen schon mehrere Jahre Boris Romanow ist einer der Gruumlndervaumlter eines zivil-gesellschaftlichen Netzwerks zur Unterstuumltzung von Menschen mit Migrationshintergrund in Sankt Peters-burg Er arbeitet mit den unterschiedlichsten NGOs zusammen die zu Themen wie Toleranz Antirassis-mus Homophobie Antiziganismus und Antisemitis-mus arbeiten Finanziert durch das Goethe-Institut rief er 2012 raquoRespektlaquo ins Leben ein Comic-Projekt inter-nationaler Kuumlnstler mit dessen Hilfe Schuumller ihr Den-ken uumlber Fremde reflektieren und selbst in Frage stel-len koumlnnen Laut Romanow scheitern solche Projekte oft an der Buumlrokratie der Kommunen Durch das neue NGO-Gesetz gebe es kaum noch Kontaktmoumlglichkei-ten zu staatlichen Schulen erlaumlutert Romanow so dass eine Zusammenarbeit houmlchstens uumlber einzelne Lehrer nicht jedoch uumlber die Schuldirektion moumlglich sei Dies widerspreche dem Konzept zivilgesellschaftlicher Arbeit die vor allem jedermann offen stehen will Durch das geschlossene staatliche Schulsystem komme es selten zu einer Kooperation mit interessierten Lehrern Die Zusammenarbeit von Staat und Zivilgesellschaft ist unabdingbar macht aber die Finanzierung der Projekte schwierig da sie im Falle einer Unterstuumltzung auslaumln-discher Sponsoren unter das neue NGO-Gesetz fallen

Im Zuge der neuen NGO-Gesetzgebung wurde das Antidiskriminierungszentrum raquoMemoriallaquo in Sankt Petersburg geschlossen Dessen ehemaliger Mitarbei-

ter Andrej Jakimow ist Anthropologe Seine langjaumlh-rige Arbeit mit ethnischen Minderheiten wie Sinti und Roma Arbeitsmigranten und Staatenlosen macht ihn zu einem erfahrenen Koordinator der raquoStiftung zur Unter-stuumltzung und Entwicklung von Bildungs- und Sozial-projektenlaquo (raquoPSP-Fondlaquo) in Sankt Petersburg Auch fuumlr ihn zaumlhlt die aktive Aufklaumlrungsarbeit zu den wichtigs-ten Punkten seines zivilgesellschaftlichen Engagements Die juristische und psychologische Betreuung von Mig-ranten stehen neben der Sensibilisierung der russischen Bevoumllkerung im Zentrum seiner Arbeit Seiner Erfah-rung nach interessieren sich die OSZE und die UNO nur marginal fuumlr diese Themen also muumlssen die Pro-bleme der Arbeitsmigranten auf nationaler Ebene geloumlst werden Seine Kontakte zu verschiedenen Netzwerken in den Auswanderungslaumlndern helfen den Migranten sich schon vor der Einreise nach Russland auf den Aufenthalt vorzubereiten In der Zusammenarbeit von Staat und Experten sieht Jakimow eine Moumlglichkeit eine effek-tive Migrationspolitik zu entwickeln

fuumlr die Verbesserung der migrationspolitikAumlhnlich denken auch Wjatscheslaw Postawnin und Natalja Wlasowa die die Stiftung raquoMigrazija XXI weklaquo (raquoMigration im 21 Jahrhundertlaquo) gegruumlndet haben Sie selbst sind ehemalige Mitarbeiter des Foumlderalen Migra-tionsdienstes und kennen die staatliche Migrationspoli-tik von innen Die Regierung unter Putin scheint keiner-lei Loumlsungsansaumltze fuumlr die immer staumlrker zunehmende Xenophobie in Russland zu erarbeiten In den fuumlnf Jah-ren ihrer Existenz hat sich die Organisation in Mos-kau zu einem unabhaumlngigen intellektuellen und wissen-schaftlichen Zentrum entwickelt das Vorschlaumlge fuumlr die Verbesserung der staatlichen Migrationspolitik ausarbei-tet Diese Vorschlaumlge werden oft von der Administration des Praumlsidenten beruumlcksichtigt jedoch nicht sofort und ohne Nennung der Urheberschaft In Zusammenarbeit mit der Weltbank und dem Netzwerk raquoMirpallaquo (raquoMigra-tion and Remittance Peer-Assisted Learninglaquo) erstellt die Organisation Statistiken zu den Migrationsstroumlmen aus den GUS Staaten die oftmals stark von den offiziellen Zahlen des Foumlderalen Migrationsdienstes abweichen

fluumlchtlingsarbeitDie von Swetlana Gannuschkina einer wichtigen Men-schenrechtlerin in Russland 1990 mitbegruumlndete Orga-nisation raquoGrashdanskoje sodejstwijelaquo (raquoBuumlrgerhilfelaquo) beschaumlftigt sich nicht nur mit Arbeitsmigration sondern zu vier Fuumlnfteln mit Fluumlchtlingen Es war die erste Orga-nisation dieser Art in Moskau und wurde im Zusam-menhang mit dem Konflikt um Berg-Karabach und dem Krieg in Tschetschenien gegruumlndet um den Fluumlchtlin-gen aus diesen Regionen zu helfen Die Unterstuumltzung

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der Arbeitsmigranten umfasst juristische Konsultation und die Loumlsung administrativer Fragen z B bei nicht ausgezahlten Gehaumlltern Deportationen Einreisever-boten Die Organisation stellt juristischen Beistand bei unbegruumlndeten Klagen gegen Migranten hilft bei Kla-gen gegen Arbeitgeber wegen nicht ausgezahlter Loumlhne fuumlhrt ein Projekt gegen Hate Crimes durch und veran-staltet Spendenaktionen auf ihrer Webseite Besonders die aumlrztliche Versorgung ist wichtig da der staatliche Notdienst Migranten oft seine Hilfe verwehrt raquoGrash-danskoje sodejstwijelaquo arbeitet eng mit dem Fluumlchtlings-hilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) der Inter-nationalen Organisation fuumlr Migration (IOM) und mit dem Netzwerk raquoMigrazija i prawolaquo (raquoMigration und Rechtlaquo) einem Programm des Menschenrechtszentrums raquoMemoriallaquo zusammen Obwohl in der offiziellen Rhe-torik die Bedeutung der Migration fuumlr Russland unter-strichen wird (wie zum Beispiel in der raquoKonzeption der staatlichen Migrationspolitik 2025laquo) beobachtet man in der Praxis meist die stumme Hinnahme der Uumlber-griffe auf Arbeitsmigranten Nach dem Inkrafttreten des NGO-Gesetzes fand bei der Organisation eine Uumlberpruuml-fung durch die Staatsanwaltschaft statt Ob und wenn ja wie dieses Projekt weiterlaufen wird ist bis heute unklar

Arbeit mit fluumlchtlingskindernIm Rahmen der Organisation raquoBuumlrgerhilfelaquo gibt es zudem ein raquoZentrum fuumlr Integration und Unterricht fuumlr Fluumlchtlingskinderlaquo da das staatliche Programm mit dem Kinder mit Migrationshintergrund Russisch lernen nicht ausreichend ist

Aumlhnlich wie ihre Kollegen aus Moskau arbeiten die Freiwilligen des zivilgesellschaftlichen Projekts raquoDeti Peterburgalaquo (raquoKinder von Petersburglaquo) mit Kindern des-sen Eltern aus den unterschiedlichsten Gruumlnden nach Russland immigriert sind Zwei Projektkoordinatoren der Organisation raquo[Wahl]Beobachterlaquo Daniil Ljubarow und Irina Beljaewa haben 2012 raquoDeti Peterburgalaquo gegruumlndet Angefangen mit einem Angebot von Russisch-Grundkur-sen fuumlr Vorschuumller mit Migrationshintergrund hat sich dieses Programm mittlerweile so weit entwickelt dass Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre an sechs verschie-

denen Standorten in Sankt Petersburg an Russischkursen teilnehmen koumlnnen Bis 2014 hatte es noch nicht einmal feste Raumlumlichkeiten gegeben die Mitarbeiter der raquoDeti Peterburgalaquo organisierten sich ausschlieszliglich uumlber soziale Netzwerke Der virtuelle Raum verbindet diese Organi-sation auch mit anderen zivilgesellschaftlichen Projek-ten So zieht das Projekt nicht nur politische Aktivisten an sondern vor allem Paumldagogen Linguisten und Stu-denten die die Kurse vorbereiten und durchfuumlhren Der Aufbau von kreativen Zirkeln gehoumlrt genauso zur Arbeit von raquoDeti Peterburgalaquo wie die Koordination von Ausfluuml-gen in die Umgebung Museen oder Theatern Das Pro-jekt ist abhaumlngig von seinen Teilnehmern Die fehlen-den Sprachkenntnisse der Eltern fuumlhren oft zu groszligen Kommunikationsproblemen Aber auch die wechselnden und meist aumluszligerst schwierigen Arbeitszeiten der Eltern erschweren die Durchfuumlhrung des Projekts Die staumldti-sche Buumlrokratie versucht den Elan der Mitarbeiter zu bremsen Auch deshalb bleibt das Projekt nichtstaatlich

fazitMisstrauen gegenuumlber der Regierung soziale Probleme und Alltagsrassismus bewegen immer mehr Menschen dazu sich eigenstaumlndig mit der negativen Entwicklung beim Umgang mit Migranten zu beschaumlftigen Aus Inter-views mit den Mitarbeitern der verschiedenen Organisa-tion laumlsst sich schlieszligen dass eine russische Zivilgesell-schaft entstanden ist die die Migrationsfrage einerseits als Arbeit mit der Mehrheits- also russischen Bevoumllkerung betrachtet um diese zu sensibilisieren Anderseits gibt es Initiativen die vor allem konkrete Hilfe fuumlr Migranten leisten um deren alltaumlgliche Probleme zu minimieren

Die Zivilgesellschaft bemuumlht sich Vorurteile abzu-bauen die Migrationspolitik realistischer zu machen und Migranten wie Fluumlchtlingen konkrete Hilfestellung zu geben Die Behoumlrden sabotieren diese Arbeit In den Groszligstaumldten wird der Zuzug von Migranten restriktiv gehandhabt Arbeitgeber wissen um den oft schwierigen Status der Migranten und nutzen die Situation aus um die Migranten weiter auszubeuten Die Arbeit der Zivil-gesellschaft zur Sensibilisierung der russischen Bevoumllke-rung wird durch die offizielle Politik oft konterkariert

Uumlber die AutorenIm Rahmen des Projektkurses raquoZiviler Ungehorsam Gesellschaft und Staat in Osteuropalaquo reisten die Studierenden des Osteuropa-Instituts der Freien Universitaumlt Berlin Michael Bellmann und Kristina Arisov nach Moskau sowie Marina Grinfeld und Christina Huthmann nach St Petersburg um mit Aktivisten und Organisationen die sich fuumlr die Integration von Migranten in Russland einsetzen Interviews zu fuumlhren und die Position der Zivilgesellschaft zur Migrationsproblematik zu analysieren

Lesetippsbull Judah Ben Russiarsquos Migration Crisis in Survival 552013 Nr 6 S 123ndash131

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bull Malakhov Vladimir S Russia as a New Immigration Country Policy Response and Public Debate in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1062ndash1079

bull Schenk Caress Controlling Immigration Manually Lessons from Moscow (Russia) in Europe-Asia Studies 652013 Nr 7 S 1444ndash1465

bull Spahn Susanne Die gelenkte Xenophobie Migration und nationale Frage in Russland Russland nur fuumlr Russen in Osteuropa 642014 Nr 7 S 55ndash67

bull Tipaldou Sofia Katrin Uba The Russian Radical Right Movement and Immigration Policy Do They Just Make Noise or Have an Impact as Well in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1080ndash1101

UmFRAGE

Uumlber die zivilgesellschaft in russland

zur zivilgesellschaftlichen und politischen Aktivitaumlt der russen

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 15 stellen sie sich vor ihre nachbarn schlagen eine gemeinsame muumlllsammelaktion in der nahegelege-nen Parkzone vor Was waumlren sie bereit zu uumlbernehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator der Aktionwerden

An der Aktionmitwirken

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 16 haben sie im vergangenen halbjahrJahr hellip

0 20 40 60 80 100

hellip an den Aktivitaumlten einer non-profit Organisation teilgenommen als Freiwilliger gearbeitet

hellip sich mit gesellschaftlichen Problemen an ihrem Wohnort beschaumlftigt

hellip an Groszligveranstaltungen Demonstrationen Streiks Kundgebungen Umzuumlgen teilgenommen

Ja Keine Antwort Nein

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grafik 17 stellen sie sich vor dass es an ihrem Wohnort zu massenhaften Wahlfaumllschungen kommt irgend-jemand ruft zur Durchfuumlhrung von Protestaktionen gegen die Wahlfaumllschungen auf Was wuumlrden sie unternehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator dieser Aktionwerden

An dieser Protestaktionteilnehmen

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 18 Waren sie haben sie sich in den vergangenen einndashzwei Jahren hellip

0 20 40 60 80 100

hellip Mitglied einer politischen Partei

hellip Wahlbeobachter

hellip an der Arbeit einer Menschenrechtsorganisation beteiligt

hellip sich im Internet (in sozialen Netzwerken auf Foren) zu politischen Themen geaumluszligert

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

zur gesellschaftlichen Aktivitaumlt

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

grafik 19 haben sie persoumlnlich in den vergangenen zweindashdrei Jahren an der taumltigkeit einer gesellschaftlichen organisation teilgenommen Wenn ja wie genau (beliebige zahl an Antworten)

6

6

5

2

2

84

1

050

Habe an gesellschaftliche Organisationen gespendetoder andere materielle Hilfe geleistet

Habe an Wohltaumltigkeitsveranstaltungen teilgenommen(Konzerte Ausstellungen Wohltaumltigkeitslotterie Auktionen)

Habe Freiwilligenarbeit geleistet (kostenlos)

Habe gegen Entgelt in einer gesellschaftlichenOrganisation gearbeitet

Habe Informationen zu den Taumltigkeitenvon gesellschaftlichen Organisationen verteilt

Nicht teilgenommen

Anderes

Keine Antwort

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grafik 20 haben ihnen irgendwann einmal gesellschaftliche organisationen geholfen

0 20 40 60 80 100

Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja mit Geld geholfen Ja auf andere Weise geholfen Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

Die oumlffentliche meinung zu ngos mit auslaumlndischer finanzierung (April 2013)

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 21 mit welcher meinung zur taumltigkeit russischer ngos stimmen sie am ehesten uumlberein

Sie bringen einen groszligen Nutzen

4

Sie bringen mehr Nutzen als Schaden

15Sie bringen ebenso viel

Nutzen wie Schaden23

Sie bringen mehr Schaden als Nutzen

18

Sie bringen weder Nutzen noch Schaden

13

Keine Antwort27

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 22 ist es fuumlr sie wichtig ob eine russische menschenrechtsorganisation aus einheimischen oder auslaumln-dischen mitteln finanziert wird

Sehr wichtig10

Eher wichtig34

Nicht besonders wichtig24

Vollkommen unwichtig18

Keine Antwort14

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 25

grafik 23 Welche ziele verfolgen westliche laumlnder und organisationen die russische ngos mit mitteln aus-statten

Einen verstaumlrkten Einfluss auf die russische

Innenpolitik42

Einen Kampf gegen den russischen Staat

19Eine Unterstuumltzung der

russischen Zivilgesellschaft

8

Kein besonderes Ziel russische NGOs werden wie andere aus standardisierten

internationalen Programmen unterstuumltzt

12

Keine Antwort19

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 24 Duumlrfen organisationen die sich mit dem schutz der Buumlrgerrechte beschaumlftigen und den staat kriti-sieren das recht haben mittel aus dem Ausland zu beziehen

Ja20

Nein56

Keine Antwort24

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 25 Unterstuumltzen sie harte sanktionen gegen ngos die einer politischen taumltigkeit nachgehen und gelder aus dem Ausland erhalten sich aber nicht nach dem gesetz als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren

Auf jeden Fall20

Eher ja32

Eher nein15

Auf keinen Fall5

Keine Antwort28

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 26

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RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 27

luumlgen des fernsehkanals ntV und Beanstandungen des Justizministeriums erklaumlrung des menschenrechtszentrums memoriAl und der russischen gesellschaft

memoriAl

Die Behauptung bei NTV das russische Justizministerium habe die Liquidierung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL eingeleitet fuumlhrte heute zu etlichen Irritationen Das Menschenrechtszentrum und die Russische Gesell-schaft MEMORIAL (die Dachorganisation der russischen Memorial-Verbaumlnde) haben aus diesem Anlass nachste-hende Erklaumlrung abgegeben

Am 10 Oktober strahlte NTV unter dem Titel raquoAuszligergewoumlhnliches Ereignislaquo eine Sendung aus die aus boumlswil-ligen Luumlgen aber auch aus Fehlinformationen in Folge von Unkenntnis bestand

Die Arbeit des Menschenrechtszentrums MEMORIAL als Unterstuumltzung von Extremisten und Terroristen dar-zustellen ist eine infame Luumlge Auf Unkenntnis basiert hingegen die Behauptung das Justizministerium habe des-halb den Antrag gestellt das Menschenrechtszentrum MEMORIAL zu liquidieren

In Wirklichkeit hat das Justizministerium beim Obersten Gericht der Russischen Foumlderation nicht die Aufloumlsung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL beantragt Es geht hier vielmehr um eine andere Organisation naumlmlich die Russische Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIAL

Die russische Gesellschaft MEMORIAL wurde vom Justizministerium bereits 1992 registriert Bis heute befinden sich unter ihrem Dach verschiedene Memorial-Verbaumlnde die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen

Im Jahre 2012 20 Jahre nach der ersten Registrierung tauchten beim Justizministerium ploumltzlich Zweifel hin-sichtlich des russischen Rechtsstatus von Memorial auf obwohl der Gesellschaft praktisch dieselben regionalen Ver-baumlnde angehoumlren wie zuvor und sich die Gesetzeslage in dieser Frage in keinem Punkt geaumlndert hatte

Geaumlndert hat sich allerdings die Position des Justizministeriums das erneut einen raquodemokratischen Zentralismuslaquo anstrebt der nach der Abschaffung der fuumlhrenden Rolle der KPdSU nicht mehr aktuell schien Heute erklaumlrt das Jus-tizministerium nur jene gesellschaftlichen Vereinigungen koumlnnten der Russischen Gesellschaft MEMORIAL ange-houmlren die in ihrer Bezeichnung die Worte raquoVerband (otdelenie) der Russischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklauml-rung Sozialarbeit und Menschenrechte MEMORIALlaquo tragen

Die gesetzliche Vorschrift dass eine Organisation nur dann einen gesamtrussischen Status haben kann wenn sie in uumlber der Haumllfte der Foumlderationssubjekte Verbaumlnde unterhaumllt legt das Justizministerium jetzt dahingehend aus dass diese Verbaumlnde zwangslaumlufig einen Status als Regionalverbaumlnde haben muumlssten Das Vorhandensein von Stadt- und Bezirksverbaumlnden einer Organisation reicht die Beamten als Beleg dafuumlr nicht aus dass die Organisation in der betreffenden Region taumltig ist

Die Vorbehalte des Justizministeriums entbehren jeglicher Grundlage Nicht zufaumlllig erhielten wir auf Anfragen keine Hinweise auf eine Gesetzesnorm Es ist fuumlr uns inakzeptabel dass das Justizministerium das von der Verfas-sung garantierte Recht von Buumlrgern eine Vereinigung zu bilden gesetzwidrig einschraumlnken will Deshalb hat sich die Russische Gesellschaft MEMORIAL bereits 2012 entschlossen vor Gericht zu gehen

Einen Hinweis auf ein Gesetz haben wir auch nicht erhalten als wir 2013 die Forderungen des Justizministeriums im Moskauer Zamoskvorezki-Bezirksgericht und danach im Stadtgericht angefochten haben Beide Instanzen gaben wie nicht anders zu erwarten dem Justizministerium Recht Deshalb wird die Russische Gesellschaft MEMORIAL in Kuumlrze Klage beim Verfassungsgericht einreichen

Was den Antrag des Justizministeriums betrifft so hoffen wir dass das Oberste Gericht bei Behandlung dieses Antrags dem Gesetz und der Verfassung mehr Respekt entgegenbringen wird als die untergeordneten Gerichtsinstanzen

10 Oktober 2014Quelle Website von Memorial Deutschland lthttpwwwmemorialdeindexphpid=42amptx_ttnews[tt_news]=546amptx_ttnews[backPid]=3ampcHash=5bbe9b235a03fe09cba52ed5c8786b99gt

DOkUmENtAtION

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NOtIzEN AUS mOSkAU

Petersburger DialogJens Siegert Moskau

Auf den ersten Blick sieht es so aus als ob ein (egal ob nun willentlich oder nicht) an die Oumlffentlich-

keit gelangter Brief einiger regelmaumlszligiger Teilnehmer des Petersburger Dialogs (PD) aus den Reihen deutscher NGOs an Bundeskanzlerin Merkel und Auszligenminis-ter Steinmeier die Verschiebung des fuumlr Ende Oktober in Sotschi geplanten groszligen Jahrestreffens verursacht haumltte In dem Brief bekraumlftigten die Autoren ihre nicht neue Kritik am PD und erklaumlrten warum sie dieses Jahr nicht teilnehmen wuumlrden Sie betonen dass die Absage kein Boykott sei und bieten ihrerseits einen Dialog zur Reform des Dialogs an Auf den zweiten Blick war der Brief selbstverstaumlndlich nur Anstoszlig aber nicht Grund fuumlr die Verschiebung Doch der Reihe nach

Die in dem Brief geaumluszligerte Kritik am PD ist wie gesagt nicht neu sie hat sie den PD von Anfang an begleitet Das liegt sicher auch an einem bis heute nicht korrigierten Geburtsfehler Ein durch Staats- und Regie-rungschefs initiierter raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo ist schon etwas verquer Das heiszligt nicht dass das nicht gehen koumlnnte Doch dazu haumltten sich die hochgestell-ten Initiatoren (der damalige russische Praumlsident und der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schrouml-der) und ihre (Interims-)Nachfolger spaumlter zuruumlckziehen muumlssen Das haben sie nicht Daran sind sie nicht (allein) Schuld Es war der PD der durch seine Lenkungsor-gane die enge zeitliche und oumlrtliche Verbindung mit den deutsch-russischen Regierungskonsultationen und die zeitweilige Anwesenheit von Praumlsident und Kanzlerin zum Grundstein seiner Wirkungsmaumlchtigkeit erklaumlrte

Auf deutscher Seite wurde versucht dieses Problem organisatorisch sozusagen oumlffentlich-rechtlich zu loumlsen indem moumlglichst alle interessierten politischen Spektren und gesellschaftlichen Gruppen am sogenannten Len-kungsausschuss beteiligt wurden Das gelang zumindest so gut dass es soweit mir bekannt bis heute keine grouml-szligeren Klagen uumlber Nichtberuumlcksichtigung oder Nicht-beteiligung gab Aber die Bundesregierung behielt weit-gehenden Einfluss nicht zuletzt uumlber den alljaumlhrlich sechsstelligen Zuschuss fuumlr die Durchfuumlhrung der Jah-restreffen Auszligerdem wurde der jeweilige Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses zwar nach Abstim-mungen mit den Beteiligten aber letztlich durch den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin bestimmt

In Russlands ist die Sache einfacher Von Anfang an wurde und wird gemacht wird was der Kreml will Schon der erste Vorsitzende des russischen Lenkungs-ausschusses Michail Gorbatschow (immerhin selbst ein ehemaliger Praumlsident) war wie er selbst einmal bekannte

nicht mehr als ein ndash schoumlne Ruumlckuumlbertragung aus dem Russischen ndash raquoSitz-Praumlsidentlaquo Der jetzige Vorsitzende Wiktor Subkow war Datschennachbar von Putin ers-ter stellvertretender Ministerpraumlsident und ist nun Auf-sichtsratsvorsitzender von Gazprom

Die Kritik dass nur eine Simulation eines raquozivilge-sellschaftlichen Dialogslaquo stattfinde wurde von einigen deutschen Teilnehmern bereits auf dem ersten Jahres-treffen des PD im April 2001 in St Petersburg geaumluszligert Es fehlten auf russischer Seite (in der seinerzeit noch ver-einigten Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo) Vertreter russischer NGOs Die Kritik kam an In Russ-land fuumlhrte sie (ohne dass ich hier jetzt ausfuumlhren kann wie) zum ersten Versuch des Kremls auch unabhaumln-gige NGOs in das korporative System der gelenkten Demokratie zu zwingen Der Versuch misslang weitge-hend und muumlndete in einer Art Waffenstillstand und der Gruumlndung eines raquoMenschenrechtsrats beim Praumlsi-dentenlaquo unter Einbeziehung von Vertretern unabhaumlngi-ger NGOs Beim PD wurde die Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo in ihre zwei Namensbestandteile geteilt und es gelang uumlber die Jahre in immer wieder unternommenen Anstrengungen auch die Teilnahme unabhaumlngiger russischer NGO-Vertreter durchzuset-zen Etwas spaumlter wurde diese Teilnahme sogar vor-sichtig institutionell abgesichert indem erst Ella Pam-filowa und spaumlter ihr Nachfolger Michail Fedotow als Vorsitzende des inzwischen zum raquoZivilgesellschaftsratlaquo umbenannten raquoMenschenrechtsratslaquo zu den russischen Koordinatoren der Arbeitsgruppe raquoZivilgesellschaftlaquo mit Einladungsrecht wurden (wobei die Einladungen selbst-verstaumlndlich mit der Praumlsidentenadministration abge-stimmt werden muumlssen) Das ist bis heute so

Die Verfasser des Briefes (zu denen ich bekenne mich auch ich gehoumlre) allesamt langjaumlhrige Teilneh-mer der Jahrestreffen des PD haben all die Jahre immer wieder auch oumlffentlich uumlber den Sinn und Unsinn ihrer Teilnahme und Unterstuumltzung diskutiert Letztendlich uumlberwogen die ganze Zeit uumlber zwei Uumlberlegungen Ers-tens ist ein Dialog auch und gerade auf offizieller Ebe-nen und mit offiziellen Vertretern des russischen Staates (wie auch mit Wissenschaftlern Unternehmern Journa-listen Priestern usw welcher politischen Couleur auch immer sie sein moumlgen) erst einmal besser als kein Dia-log Zweitens gingen wir all die Jahre davon aus dass die nicht ohne Muumlhen erreichte Teilnahme unabhaumln-giger russischen NGO-Vertreter fuumlr sie ihre Organisa-tionen aber auch die russische NGO-Szene insgesamt zumindest einen kleinen zusaumltzlichen Schutz gegen die

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seit Putins Amtsantritt immer wieder uumlber das Land gehenden Repressionswellen bietet1 Was hat sich dieses Jahr geaumlndert Erst einmal nicht

so viel gegenuumlber dem Vorjahr Es war schon immer siehe oben eine schwierige Abwaumlgung ob die Teil-nahme am PD sich lohnt oder nicht vielmehr dazu beitraumlgt so zu tun als gaumlbe es in Russland die unein-geschraumlnkte und ungefaumlhrdete Moumlglichkeit sich zivilgesellschaftlich auch dort zu engagieren wo es dem Staat weh tut Zwei Ereignisse haben nun aber zumindest fuumlr die Autoren des Briefes das Pen-del zur anderen Seite ausschlagen lassen Die Kon-frontation zwischen dem Westen (ich weiszlig um die Bedingtheit des Begriffs verwende in der Kuumlrze hal-ber aber trotzdem) und Russland im Konflikt in der und um die Ukraine ist nicht einfach die Fortset-zung schon laumlnger existierender raquoMeinungsverschie-denheitenlaquo Sie ist tiefer und prinzipieller Es geht eben im Kern nicht in erster Linie um Geopolitik sondern wieder einmal um ich fuumlrchte hier weder den Pathos noch historische Analogien Freiheit und Demokratie in Europa

2 Die Repressionen gegen russische NGOs unsere prinzipiellen Partner in der Verteidigung von Demo-kratie und Freiheit haben mit dem sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo eine neue Qualitaumlt erreicht 15 NGOs sind inzwischen zwangsweise zu raquoauslaumln-dischen Agentenlaquo erklaumlrt worden anderen droht die Schlieszligung aufgrund anderer Gesetze Einige von ihnen waren sogar zum nun verschobenen Treffen in Sotschi eingeladen Sie mussten sich Gedanken machen ob eine Zusage oder eine Absage ihnen nicht schaden koumlnnte

Unter diesen Umstaumlnden halten die Verfasser des Brie-fes ihre Teilnahme am PD fuumlr nicht mehr moumlglich Sie fordern keinen Boykott wohl aber ein Nachdenken uumlber eine tiefgreifende Reform

Der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses Lothar de Maiziere hat in einem eigenen offenen Brief geantwortet und den Verfassern vorgeworfen den Dia-log verweigern und politisieren zu wollen Diese (Gegen-)Klage scheint mir angesichts der vielfaumlltigen Verbindun-gen und Dialogformen die die Organisationen hinter den Unterzeichnern des Briefes seit vielen Jahren und oft laumlnger als der PD organisieren an denen sie teil-nehmen und die sie foumlrdern nicht sonderlich stichhal-tig Doch die Auseinandersetzung geht tiefer De Mai-ziere behauptet in seinem Brief der PD mache bereits all das was die Kritiker fordern Genau das bezweifeln diese aber Die Auseinandersetzung geht also und vor allem darum was ein fruchtbarer Dialog zu leisten im Stande sein kann und leisten sollte Sie geht aber auch darum ob dieser Dialog zwischen zwei Gesellschaf-

ten stattfindet nach dem Motto hier die eine dort die andere oder ob sich die Seiten bei diesem Dialog inei-nander verschraumlnken

Die Verfasser des Briefes sind ganz offensichtlich mit ihrer Kritik nicht allein Schon bevor der Brief oumlffent-lich bekannt wurde hatten die Bundestagsabgeordne-ten Andreas Schockenhoff (CDUCSU) und Marieluise Beck (Buumlndnis 90 Die Gruumlnen) in oumlffentlichen Stel-lungnahmen Aumlhnliches gefordert und auch ihre Nicht-Teilnahme erklaumlrt Etwas spaumlter wurde bekannt dass auch der Russland-Beauftragte der Bundesregierung Gernot Erler nicht nach Sotschi fahren wollte Mehr noch Bereits seit dem Fruumlhsommer gab es Gespraumlche zwischen Kanzleramt und Auswaumlrtigem Amt mit dem Ziel den PD sowohl personell als auch strukturell zu reformieren Allerdings setze sich augenscheinlich die Sichtweise des Auswaumlrtigen Amtes durch alles vorerst beim Alten zu belassen da es auch so schon genug Pro-bleme im deutsch-russischen Verhaumlltnis gebe und man diesen Kanal nicht auch noch belasten oder gar gefaumlhr-den solle

Doch zum Herbst hat sich die Situation noch ein-mal veraumlndert Die Hoffnung die russische Fuumlhrung um Praumlsident Putin werde im Krieg in der Ostukraine ein-lenken ist selbst im Auswaumlrtigen Amt bis in die Spitze kaum noch zu finden Im Sommer bekam das russische Justizministerium zudem per erneuter Gesetzesaumlnde-rung das Recht NGOs zwangsweise zu raquoAgentenlaquo zu erklaumlren und macht seither rege Gebrauch davon Eine ganze Reihe russischer NGOs steht vor der Schlieszligung oder loumlst sich auf weil ihnen die vom Gesetz geforderte Selbstetikettierung als raquoauslaumlndische Agentenlaquo ethisch rechtlich und praktisch unmoumlglich ist

Es sieht so aus als haumltten die Verfasser des Briefes nur eine Tuumlr geoumlffnet hinter der andere darunter die Kanzlerin nur darauf gewartet haben durch sie hin-durch gehen zu koumlnnen ohne selbst der Tuumlroumlffnung geziehen zu werden

Ein wenig verwundert die erstaunlich milde russi-sche Reaktion Nach der kurzen Drohung eine Verschie-bung bedeute das Ende des PD lenkte Putin im Telefo-nat mit Merkel ein und fand tags darauf sogar oumlffentlich verstaumlndnisvolle Worte fuumlr die raquoProbleme der deutschen Seitelaquo Das duumlrfte zwei Gruumlnde haben Der eine ist dass trotz des haumlufiger gewordenen Deutschland-Bashings im russischen Staatsfernsehen (mit dem Ergebnis dass in Umfragen Deutschland aus der Kategorie raquoFreundlaquo in die Kategorie raquoFeindlaquo abgerutscht ist) Deutschland im Kreml immer noch als wichtigster raquostrategischerlaquo Part-ner im Westen und vor allem in der EU gilt Zudem ist Deutschland zweifellos ein Land dessen oumlffentliche Meinung (und damit Politik) aus russischer Sicht durch-aus beeinflussbar ist (was z B die kolportierten rund

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140 Millionen US-Dollar zum Aufbau eines deutsch-sprachigen Programms des staatlichen Auslandsfernse-hens raquoRussia Todaylaquo zeigen)

Der andere liegt in einem erneuten Strategiewech-sel (oder weniger ambitioniert Wechsel der Taktik) im Ukraine-Konflikt Die Sanktionen beiszligen inzwi-schen kraumlftig Die Rhetorik wurde daher gemildert Der Kreml ist ganz auf Frieden und dieser Ausdruck aus dem Sport sei erlaubt Ergebnissicherung bedacht (was uumlbrigens Putins grundsaumltzlicher Taktik auch im Inne-ren Russlands entspricht erst hart zuzuschlagen dann eine Schritt zuruumlck zu gehen und einen Kompromiss zu suchen nach dem es fuumlr seine Gegner nachher schlech-ter steht als vorher) Neues Ziel scheint nun also zu sein die raquoErrungenschaftenlaquo Krim (als Teil Russlands) und raquoNeurusslandlaquo (als neuen raquoFrozen Conflictlaquo) zu fixieren und trotzdem mit dem Westen wenn schon nicht gut-freund zu werden so doch zumindest erneut zu einem einigermaszligen vertraumlglichen Modus Vivendi zu gelan-gen Das Gas duumlrfte nach den Mailaumlnder Gespraumlchen

und bei allem Geknurre im Winter stroumlmen und auch im Nahen Osten stellt Moskau weniger Widerspenstig-keit in Aussicht

Was heiszligt das fuumlr die Zukunft des PD Erstmal ist sie offen Zuerst muss sich die deutsche Seite neu ord-nen (hier hat Putin sogar Recht) Nachdem sich Angela Merkel persoumlnlich um eine russische Akzeptanz fuumlr die Verschiebung von Sotschi bemuumlht hat kann ich mir allerdings nicht vorstellen dass es in einigen Wochen oder Monaten ein Zuruumlck zum status quo ante gibt Ob und wie sich ein neu aufgestellter deutscher Lenkungs-ausschuss mit einem neuen Konzept mit der russischen Seite verstaumlndigen kann laumlsst sich momentan kaum voraussagen Es ist zwar einen Versuch wert haumlngt aber wohl sehr von der dann herrschenden politischen Groszlig-wetterlage ab

Diesen und andere Texte finden Sie auf Jens Siegerts Russ-landblog lthttprusslandboellblogorggt

Lesetippbull Poumlrzgen Gemma Dringend reformbeduumlrftig Der Petersburger Dialog auf dem Pruumlfstand in Osteuropa 602010

Nr 10 S 59ndash81

DOkUmENtAtION

Briefwechsel uumlber die zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo

schreiben von nichtregierungsorganisationen und einzelpersonen an die Bundeskanzlerin und den Auszligenminister zum raquoPetersburger Dialoglaquo 2 oktober 2014 [nachtraumlglich veroumlffentlicht]

Berlin 02 Oktober 2014Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerals Personen die sich seit vielen Jahren intensiv im zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland engagieren wenden wir uns mit diesem Schreiben an Sie um zu erlaumlutern warum wir uns in diesem Jahr nicht am Petersburger Dialog beteiligen koumlnnen Zugleich moumlchten wir fuumlr eine Erneuerung des Petersburger Dialogs werben

In Reaktion auf die politische Wende in der Ukraine die durch eine breite gesellschaftliche Protestbewegung hervor-gerufen wurde hat die russische Fuumlhrung voumllkerrechtswidrig die Krim annektiert und einen unerklaumlrten Krieg neuen Typs im Osten der Ukraine begonnen Zugleich betreibt die Regierung unter Praumlsident Putin die systematische Ausschal-tung der letzten unabhaumlngigen Medien in Russland die Kriminalisierung aller Formen politischer Opposition und die Diskreditierung unabhaumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen als raquoauslaumlndische Agentenlaquo Mittlerweile wurden 12 russische Nichtregierungsorganisationen vom russischen Justizministerium zwangsweise auf die Liste raquoauslaumlndischer Agentenlaquo gesetzt und sind daher zukuumlnftig verpflichtet sich bei jeder oumlffentlichen Aumluszligerung wahrheitswidrig selbst als solche zu bezichtigen Zehn dieser Organisationen spielen in der deutschrussischen zivilgesellschaftlichen Zusammen-arbeit seit Jahren eine wichtige Rolle einige von ihnen haben mehrfach am Petersburger Dialog teilgenommen Gegen einige von ihnen sind bereits existenzbedrohende Strafgelder wegen Verstoszliges gegen das sog Agentengesetz verhaumlngt

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worden Es drohen Organisationsschlieszligungen und die Kriminalisierung der Vorstaumlnde Unter diesen inneren und aumluszlige-ren Bedingungen koumlnnen wir uns nicht an einer Neuauflage des Petersburger Dialogs in der bisherigen Form beteiligen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerder seinerzeit von Bundeskanzler Schroumlder und Praumlsident Putin initiierte Petersburger Dialog konnte die ihm zuge-

dachte Aufgabe zu einer Vertiefung und Verbreiterung der gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland beizutragen auch in den vergangenen Jahren nur sehr bedingt erfuumlllen Dies lag vor allem an der starken Naumlhe des Fuumlhrungspersonals auf der russischen Seite zum politischen Machtzentrum im Kreml die von Beginn an den Eindruck einer raquovon obenlaquo inszenierten und kontrollierten Veranstaltung naumlhrte Doch auch auf deutscher Seite wird der Petersburger Dialog bis heute von Personen dominiert die aus politischer und oumlkonomischer Opportunitaumlt dazu neigen Kritik am Kurs der russischen Fuumlhrung als Stoumlrung der raquodeutsch-russischen Freundschaftlaquo zu betrachten Zeit-weise kam es zu der paradoxen Situation dass kritische Aumluszligerungen zu Menschenrechtsverletzungen in Russland oder zum Vorgehen des Kremls gegenuumlber Georgien aus den Reihen der deutschen Delegation als raquoKalte-Kriegs-Rhetoriklaquo verteufelt wurden Nuumlchtern betrachtet waren die kritischen Stimmen aus der russischen und deutschen Zivilgesell-schaft in den letzten Jahren nur eine geduldete Minderheit die dem Petersburger Dialog den Anschein von Pluralis-mus und offener Diskussion verschaffte Ungeachtet dieser Kritik haben wir uns in der Vergangenheit am Petersburger Dialog beteiligt da wir grundsaumltzlich jedes Dialogpotenzial nutzen wollen und uns von der gemeinsamen Beteiligung mit unseren Partnern aus der russischen Zivilgesellschaft eine politische Absicherung dieser Zusammenarbeit erhofften

Diese ohnehin schwachen Hoffnungen wurden durch die Entwicklungen in diesem Jahr zerstoumlrt Vertreter unab-haumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen die auf der russischen Seite zum Petersburger Dialog eingeladen wer-den sind angesichts der politischen und juristischen Bedrohung der sie ausgesetzt sind in ihrer Entscheidung uumlber ihre Teilnahme nicht mehr frei Wenn sie der Einladung nicht folgen muumlssen sie weitere Repressalien befuumlrchten Uns denen die Freiheit der Entscheidung gegeben ist ist es nicht moumlglich durch Teilnahme am Petersburger Dialog in Sot-schi an der Aufstellung einer Potemkinschen Fassade namens raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo mitzuwirken waumlhrend die kritischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Russland als raquoAgentenlaquo diskreditiert und vielfach drangsaliert werden

Zugleich moumlchten wir unsere Bereitschaft unterstreichen an einer Reform des Petersburger Dialogs in organisa-torischer inhaltlicher und personeller Hinsicht mitzuwirken Eine solche Reform sollte darauf ausgerichtet sein uumlber die Auswahl der Formate Themen und Teilnehmer die tatsaumlchliche Lage der russischen Zivilgesellschaft in den Mit-telpunkt der Diskussion zu ruumlcken und einen offenen Dialog zu ermoumlglichen Wir sind ganz damit einverstanden dass gerade in kritischen Zeiten die Zusammenarbeit zwischen der russischen und deutschen Zivilgesellschaft gestaumlrkt wer-den muss Sofern der Petersburger Dialog in Zukunft dafuumlr ein Forum bietet werden wir uns gern daran beteiligen[Unterzeichner nicht veroumlffentlicht]Quelle Website der Boumlll-Stiftung lthttpwwwboelldede20141013reform-petersburger-dialog-ueberfaelliggt

offener Brief an den Vorsitzenden des Petersburger Dialogs lothar de maiziegravere vom 10 oktober 2014

- Offener Brief -HerrnDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des VorstandsPetersburger Dialog eVSchillerstraszlige 5910627 Berlin

Berlin 10 Oktober 2014Petersburger Dialog 2014 in SotschiSehr geehrter Herr de Maiziegravereals Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher zivilgesellschaftlicher Organisationen die seit der Gruumlndung des Petersburger Dialogs 2001 uumlber viele Jahre hinweg an dieser Veranstaltung teilgenommen haben moumlchten wir Ihnen gegenuumlber folgende Erklaumlrung abgeben

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Wir haben uns entschieden am 14 Petersburger Dialog in Sotschi nicht teilzunehmen der fuumlr den 29ndash31 Okto-ber angekuumlndigt worden ist Fuumlr diese Entscheidung die wir sorgfaumlltig diskutiert und abgewogen haben moumlchten wir drei Gruumlnde anfuumlhren1 Der Petersburger Dialog in seiner jetzigen Form steckt in einer Krise Von Jahr zu Jahr wird er seinem eigenem

Anspruch weniger gerecht Die Veranstaltung soll dem zivilgesellschaftlichen Dialog dienen Tatsaumlchlich sind Struktur Nominierungsverfahren und Programm des Petersburger Dialogs maszliggeblich von Akteuren aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert Unter diesen Voraussetzungen erfuumlllt der Petersburger Dialog leider nicht sein in seiner Satzung formuliertes Ziel ein raquooffenes Diskussionsforumlaquo zu sein das die raquoVerstaumlndigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Laumlnderlaquo foumlrdert Der Petersburger Dialog bedarf dringend einer grundlegenden Reform wie sie auch CDUCSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 eingefordert haben Gerne wuumlrden wir uns aktiv an einem Prozess zur Reformierung des Petersburger Dialogs beteiligen der auf eine pluralistische Zusam-mensetzung beider Lenkungsausschuumlsse und eine deutlich staumlrkere Ausrichtung auf unabhaumlngige zivilgesellschaft-liche Akteure zielt ohne den interdisziplinaumlren Ansatz der Veranstaltung aufzugeben

2 Die Situation in der sich Teile der Zivilgesellschaft in Russland befinden erfuumlllt uns mit groszliger Sorge Das betrifft auch Partnerorganisationen und Personen mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten Diese Organisa-tionen uumlben fuumlr Russland und daruumlber hinaus wichtige gesellschaftliche Funktionen aus Die Behinderung ihrer Arbeit durch buumlrokratische Huumlrden aber auch durch willkuumlrliche rechtliche Restriktionen und politische Diffa-mierung sind inakzeptabel Daruumlber koumlnnen wir nicht zur Tagesordnung uumlbergehen Wir wollen nicht zu Kron-zeugen fuumlr einen vorgeblich freien Austausch werden waumlhrend zugleich die kritische Zivilgesellschaft in Russland massiv und systematisch unter Druck gesetzt wird

3 In Teilen der Ukraine herrscht ein Kriegszustand fuumlr den die russische Fuumlhrung eine maszliggebliche Verantwor-tung traumlgt Wichtige Vertreter dieser Fuumlhrung spielen eine Schluumlsselrolle im Petersburger Dialog einschlieszliglich des fruumlheren Ersten Stellvertretenden Ministerpraumlsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden von Gazprom Wiktor Subkow der der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs ist Vor diesem Hin-tergrund moumlchten wir nicht durch unsere Teilnahme dazu beitragen dass eine Normalitaumlt in den deutsch-russi-schen Beziehungen simuliert wird die es derzeit wegen des Angriffs auf die politische Souveraumlnitaumlt und territo-riale Integritaumlt der Ukraine nicht geben kann

Wir waren und sind weiter sehr an einem offenen Dialog uumlber deutsch-russische Belange in einem gesamteuropaumli-schen Kontext interessiert und halten ihn fuumlr eine Bedingung guter Nachbarschaft und Kooperation Ein solcher Dia-log muss aber auch von beiden Seiten gewollt und ermoumlglicht werden Er darf zugleich nicht zum Nachteil Dritter gefuumlhrt werden Angesichts der aktuellen Lage und der bereits bekannt gewordenen Programmvorschlaumlge fuumlr Sotschi sehen wir auch diese Voraussetzung gefaumlhrdet

Dessen ungeachtet werden wir jede Moumlglichkeit nutzen unsere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Grup-pen und anderen Akteuren in Russland zu vertiefen und dieses Potential in einen bilateralen und europaumlischen Dia-log einzubringenMit freundlichen GruumlszligenRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter Politik Greenpeace eVQuelle lthttpwwwaustauschorgaktuelle-meldungennewsdetailarticle1offener-brie-1htmlno_cache=1ampcHash=0428c5bffdgt

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offener Brief des Vorsitzenden des Petersburger Dialogs vom 13 oktober 2014

AnRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich-Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace eVBerlin 13 Oktober 2014Ihr Schreiben vom 10 Oktober 2014Sehr geehrte Damen und HerrenIhren offenen Brief habe ich erhalten Dass Sie einen Brief aumlhnlichen Inhalts zunaumlchst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Auszligenminister verschickt haben verwundert mich Sie geben damit fuumlr die zivilgesell-schaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung die Sie fuumlr die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren

Ihre Nichtbeteiligung am Petersburger Dialog bedaure ich Denn es entspricht der Uumlberzeugung der meisten Mit-glieder des Vorstandes und des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs dass gerade angesichts zweifellos vorhan-dener Probleme fuumlr die Zivilgesellschaft die Sie teilweise benennen die offensive Auseinandersetzung zu solchen The-men gesucht werden muss Indem man sich solchen Gespraumlchen entzieht schadet man den Interessen der Betroffenen

Sie schreiben der Petersburger Dialog sei im Inneren zu reformieren da er von Vertretern aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert sei Diese Feststellung ist falsch und Sie wissen das Das auch in der Satzung des Petersbur-ger Dialogs beschriebene Konzept des Dialogs beruht auf einem breiten Gedankenaustausch aller gesellschaftlichen Kraumlfte Dazu gehoumlren die Bereiche Kultur Medien Bildung Wissenschaft und Kirchen genauso wie zahlreiche im Bereich der politischen sowie der sozialen Menschenrechte engagierte Einrichtungen die in ihrer Gesamtheit das deutsch-russische Verhaumlltnis beleben

Sie versuchen in Ihrem Brief den Petersburger Dialog auf das enge Feld einiger Vertreter der Zivilgesellschaft zu reduzieren die jenseits der korporierten Zivilgesellschaft angesiedelt sind und deren Interessenspektrum nur einen Teil des gesamten zivilgesellschaftlichen Engagements abdeckt

Ich verkenne nicht die ndash auch aber nicht nur ndash in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu Tage getretenen Probleme sowie die unterschiedlichen Folgen die sich aus einer raquogelenkten Demokratielaquo die in vielem nicht westli-chen Standards entspricht ergeben Dennoch Gemessen an weiten Bereichen der russischen Geschichte ist die Ent-wicklung seit 1991 ein Fortschritt Das daraus resultierende wenn auch im letzten Jahr stark eingetruumlbte Vertrauens-potential muss fuumlr die auf vielen Ebenen notwendigen Gespraumlchsforen genutzt und ausgebaut werden

Derartige Gespraumlche bedingen genauso Realismus wie intellektuelle Disziplin wozu auch gehoumlrt zu verstehen wie Russland die Probleme versteht Dies ndash und nicht Gespraumlchsverweigerung ndash ist die Voraussetzung um auf allen demokratischen gesellschaftlichen Ebenen ndash vom politischen Machtzentrum bis in die Randgruppen hinein ndash pro-blemorientierte Gespraumlche fuumlhren zu koumlnnen Dabei darf keine Seite fuumlr sich in Anspruch nehmen legitimere Inte-ressen zu vertreten als die andere

Das heiszligt Ein Gespraumlch raquoauf Augenhoumlhelaquo nicht von oben herab nicht moralisch belehrend aber mit klaren und ehrlichen Argumenten Dabei duumlrfen wir nicht verschweigen welche gesetzgeberischen aber auch politisch-morali-schen Standards wir fuumlr eine demokratische Gesellschaft im europaumlischen Kontext fuumlr unabdingbar halten

Der Petersburger Dialog wurde aus guten Gruumlnden als deutsch-russische Gemeinschaftseinrichtung konzipiert Da ist eine ndash oft muumlhsame ndash Kompromissfindung unausweichlich Dies ist Teil des Wertes auch der Tiefe aber auch der moralischen Qualitaumlt des Dialogs Das Ringen um kompromissfaumlhige Konzepte muss unser Anliegen bleiben nicht Vorverurteilung und GespraumlchsablehnungMit freundlichem GruszligDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des Vorstands Petersburger Dialog e VQuelle Website des Petersburger Dialogs lthttpwwwpetersburger-dialogcomoffener-brief-vom-13-oktober-2014gt

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offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 37

9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 38

14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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Die Russland-Analysen werden von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und von Mangold Consulting GmbH unterstuumltzt

Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

Abdruck und sonstige publizistische Nutzung sind nach Ruumlcksprache mit der Redaktion gestattetVerantwortlicher Redakteur Hans-Henning Schroumlder

Recherche Uumlbersetzungen und Sprachredaktion Christoph Laug Hartmut SchroumlderSatz Matthias Neumann

Russland-Analysen-Layout Cengiz Kibaroglu Matthias Neumann und Michael ClemensAlle Ausgaben der Russland-Analysen sind mit Themen- und Autorenindex archiviert unter wwwlaender-analysende

Die Russland-Analysen werden im Rahmen eines Lizenzvertrages in das Internetangebot der Bundeszentrale fuumlr politische Bildung (wwwbpbde) aufgenommenDie Russland-Analysen werden im Rahmen der Datenbank World Affairs Online (WAO) ausgewertet und sind im Portal IREON wwwireon-portalde recherchierbar

ISSN 1613-3390 copy 2014 by Forschungsstelle Osteuropa BremenForschungsstelle Osteuropa bull Publikationsreferat bull Klagenfurter Str 3 bull 28359 Bremen bull Telefon +49 421-218-69600 bull Telefax +49 421-218-69607

e-mail publikationsreferatosteuropauni-bremende bull Internet-Adresse httpwwwlaender-analysenderussland

22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

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Die Laumlnder-Analysen bieten regelmaumlszligig kompetente Einschaumltzungen aktueller politischer wirtschaftlicher sozialer und kultureller Entwicklungen in Ostmitteleuropa und der GUS Sie machen das Wissen uumlber das die wissenschaft-liche Forschung in reichem Maszlige verfuumlgt fuumlr Politik Wirtschaft Medien und die interessierte Oumlffentlichkeit ver-fuumlgbar Autoren sind internationale Fachwissenschaftler und Experten

Die einzelnen Laumlnder-Analysen werden von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und der Deutschen Gesellschaft fuumlr Osteuropakunde jeweils mit unterschiedlichen Partnern und Sponsoren herausgegeben

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  • Analyse
    • Eine neue Phase der Russland- und Ostpolitik hat begonnen
      • Karsten D Voigt Berlin
      • Umfrage
        • Die Russland-Ukraine-Krise in russischen Umfragen
          • Aus russischen Blogs
            • Nawalnyj Krim nasch
              • Analyse
                • Zivilgesellschaft und Staat in Russland
                  • Pavel Chikov Moskau
                  • Analyse
                    • NGOs in Russland
                      • Jens Siegert Moskau
                      • Analyse
                        • Ein Kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen Engagements zur Unterstuumltzung und Integration von Migranten in Russland
                          • Marina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin
                          • Umfrage
                            • Uumlber die Zivilgesellschaft in Russland
                              • Dokumentation
                                • Luumlgen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des JustizministeriumsErklaumlrung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL
                                  • Notizen aus Moskau
                                    • Petersburger Dialog
                                      • Jens Siegert Moskau
                                      • Dokumentation
                                        • Briefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo
                                          • Chronik
                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 5: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 5

wie im Falle der Ostukraine Georgiens Moldawiens und Armeniens sowie das Draumlngen auf Ruumlstungskon-trolle Abruumlstung und Vertrauensbildung noch wichti-ger Beim Problem des iranischen Atomprogramms beim Kampf gegen den internationalen Terrorismus in Bezug auf Afghanistan war Russland ein Partner Es war an der Loumlsung von Konflikten beteiligt Derartige Felder der Zusammenarbeit sollten erhalten und ndash soweit moumlglich und sinnvoll ndash ausgebaut werden Bei anderen Konflikten wie beim Bemuumlhen um eine Stabilisierung der Wirtschaft und Demokratie in der Ukraine wird Russland in der nahen Zukunft bedauerlicherweise wohl eher Widerpart als Partner bleiben Trotzdem sollten wir uns in Absprache

und gemeinsam mit der Regierung in Kiew um konflikt-mindernde Absprachen und Vereinbarungen bemuumlhen

Es steht uns kein neuer Kalter Krieg mit Russland bevor wohl aber eine Zeit der begrenzten Kooperation und des begrenzten Konfliktes Aufgabe Deutschlands ist es in dieser neuen Phase der Ostpolitik Meinungs- und Interessengegensaumltze realistisch zu analysieren gleichzei-tig aber auf der Grundlage der eigenen Werte und Prin-zipien kooperative Politikansaumltze zu foumlrdern und Kon-flikte einer friedlichen Loumlsung zuzufuumlhren Vielleicht kann auf diese Weise ndash wenn wahrscheinlich wohl erst nach laumlngerer Zeit ndash wieder die Chance fuumlr eine positi-vere Phase der Russland- und Ostpolitik eroumlffnet werden

Uumlber den AutorKarsten D Voigt war von 1976 bis 1998 Mitglied des Bundestags seit 1983 als auszligenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion und bis 1998 Vorsitzender der deutsch-russischen Parlamentariergruppe Von 1999 bis 2010 war er Koordi-nator der Bundesregierung fuumlr die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit Karten Voigt ist Mitglied des Praumlsidiums der Deutschen Gesellschaft fuumlr Auswaumlrtige Politik

UmFRAGE

Die russland-Ukraine-krise in russischen Umfragen

zum Waffenstillstand in der Ukraine Umfragen der raquostiftung Oumlffentliche meinunglaquo (fom)

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 13ndash14 September 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 22 September 2014 unter lthttpfomruMir11731gt

grafik 1 Verfolgen sie die ereignisse in der Ukraine

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InsgesamtFreunde etc in der Ukraine

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Uumlber 60 JahreMittelschule

Technikum u aumlHochschulbildung

Bis 4000 Rubel4001- 9000 Rubel

9001 ndash 20000 Rubel Mehr als 20000 Rubel

MoskauUumlber 1 Mio Einwohner

250000 ndash 1 Mio Einwohner50000 ndash 250000 Einwohner

Unter 50000 EinwohnernDorf

Taumlgliche Internetnutzer

Aufmerksam staumlndig Nicht sehr aufmerksam von Fall zu Fall Nein Keine Antwort

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 6

grafik 2 Aus welchen informationsquellen erfahren sie von den ereignissen in der Ukraine (frage an jene die die ereignisse in der Ukraine verfolgen ndash 89 Beliebige zahl an Antworten)

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Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 13ndash14 September 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 22 September 2014 unter lthttpfomruMir11731gt

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 13ndash14 September 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 22 September 2014 unter lthttpfomruMir11731gt

grafik 3 Berichten die russischen fernsehsender ihrer meinung nach objektiv uumlber die ereignisse in der Ukraine

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InsgesamtFreunde etc in der Ukraine

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Uumlber 60 JahreMittelschule

Technikum u aumlHochschulbildung

Bis 4000 Rubel4001- 9000 Rubel

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MoskauUumlber 1 Mio Einwohner

250000 ndash 1 Mio Einwohner50000 ndash 250000 Einwohner

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Taumlgliche Internetnutzer

Objektiv Keine Antwort Voreingenommen

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grafik 4 Wird die Waffenruhe zu einem stabilen frieden fuumlhren

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 13ndash14 September 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 22 September 2014 unter lthttpfomruMir11731gt

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InsgesamtFreunde etc in der Ukraine

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Uumlber 60 JahreMittelschule

Technikum u aumlHochschulbildung

Bis 4000 Rubel4001- 9000 Rubel

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MoskauUumlber 1 Mio Einwohner

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Taumlgliche Internetnutzer

Die Waffenruhe fuumlhrt zu einem stabilen FriedenKeine AntwortDie Kampfhandlungen werden wieder aufgenommen

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 13ndash14 September 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 22 September 2014 unter lthttpfomruMir11731gt

grafik 5 Werden die republiken Donezk und lugansk am ende teil der Ukraine bleiben unabhaumlngige staa-ten werden oder teil russlands werden

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Bis 4000 Rubel4001- 9000 Rubel

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MoskauUumlber 1 Mio Einwohner

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Teil der Ukraine bleiben Keine Antwort Anderes Unabhaumlngige Staaten werden Teil Russlands werden

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Umfragen des lewada-zentrums

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 6 Welches sind die wesentliche kraumlfte auf seiten der kiewer seite bei den kaumlmpfen in den gebieten Donezk und lugansk

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Jun2014

Sep2014

Regulaumlre Einheiten der ukrainischen ArmeeKeine AntwortBewaffnete Formationen ukrainischer Rechtsradikaler

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 7 Welches sind die wesentlichen kraumlfte bei den kaumlmpfen in den gebieten Donezk und lugansk auf der anderen seite [separatistenneurussland]

0 20 40 60 80 100

Jun 2014

Sep2014

Buumlrgerwehren der Staumldte in den Gebieten Donezk und LuganskKeine AntwortBewaffnete Einheiten prorussischer Radikaler die von Russland unterstuumltzt werden

grafik 8 Befinden sich gegenwaumlrtig in der Ukraine russische streitkraumlfte

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

Ja29

Nein48Keine Antwort

23

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 9

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 9 Wie stehen sie dazu dass in den reihen der Buumlrgerwehr der ostukraine russische freiwillige kaumlmpfen

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1 Mai 2014

1 Juni 2014

19-22 Sept2014

26-29 Sept2014

Absolut positiv Eher positiv Keine Antwort Eher negativ Absolut negativ

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 10 Wie endet die gegenwaumlrtige Waffenruhe

Die Unterzeichnung eines Friedensabkommens und

dem Prozess einer friedlichen Regulierung

des Konfliktes27

Wiederaufnahme des bewaffneten Konflikts

46

Keine Antwort27

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 11 sollten im falle eines Wiederaufnahme der kampfhandlungen in der ostukraine russische truppen entsandt werden

Auf jeden Fall5

Eher ja16

Eher nein36

Auf keinen Fall27

Keine Antwort16

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 10

grafik 12 Unterstuumltzen sie die massenproteste (raquofriedensmaumlrschelaquo) gegen die russische einmischung in innere Angelegenheiten der Ukraine

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 September 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 25 September 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint25-09-2014marshi-miragt

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Mrz2014

Sep2014

Auf jeden Fall Eher ja Keine Antwort Eher nein Auf keinen Fall

Die haltung gegenuumlber den fluumlchtlingen aus der Ukraine

Quelle Umfragen des WZIOM vom 20ndash21 September 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 26 September 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=114994gt

grafik 13 gibt es in ihrer stadt siedlung fluumlchtlinge aus der Ukraine

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Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja viele ukrainische Fluumlchtlinge Ja wenige ukrainische Fluumlchtlinge Keine Antwort Nein keine ukrainischen Fluumlchtlinge

Quelle Umfragen des WZIOM vom 20ndash21 September 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 26 September 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=114994gt

grafik 14 leistet russland den ukrainischen fluumlchtlingen ausreichende hilfe

Russland leistet den Fluumlchtlingen

ausreichende Hilfe67

Russland leistet den Fluumlchtlingen zu geringe

Hilfe4

Russland leistet den Fluumlchtlingen zu viel Hilfe

24

Keine Antwort5

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 11

AUS RUSSISchEN BLOGS

nawalnyj krim nasch1

Seit Maumlrz 2014 steht Alexej Nawalnyj wegen des sogennanten raquoYves-Rocher-Fallslaquo unter Hausarrest Dem opposi-tionellen Politiker wurde per Gerichtsbeschluss verboten seine Wohnung zu verlassen sowie mit jeglichen Perso-

nen auszliger dem engen Familienkreis zu sprechen Interviews zu geben und das Internet zu nutzen Seitdem fuumlhrt das Team der raquoStiftung fuumlr die Korruptionsbekaumlmpfunglaquo (russ raquoFBKlaquo) seinen Blog und seine Frau seinen Twitter-Account Anfang Oktober milderte das Gericht des Moskauer Basmannyj-Rayons (Basmannyj-Gericht) uumlberraschenderweise die Bedingungen des Hausarrests in Bezug auf Kontakte mit der Auszligenwelt was nach mehreren Monaten Journalis-ten wieder einen Zugang zur Schluumlsselfigur der russischen Protestbewegung ermoumlglichte

Das Interview fuumlr Echo Moskwy vom 15 Oktober in dem Nawalnyj sich unzweideutig zur Annexion der Krim aumluszligerte erregte in Russland uumlberaus groszlige Aufmerksamkeit Wie im Nachhinein aus der Redaktion von Echo Moskwy verlautet wollte Michail Lesen Chef der Holding Gazprom-Media die zwei Drittel der Aktien des Radiosenders besitzt die Veroumlffentlichung dieses Interviews auf alle erdenkliche Weise verhindern er habe der stellvertretenden Chefre-dakteurin Olesja Rjabzewa per Telefon mit groszligen Problemen gedroht wie diese in ihrem Blog berichtet Das Inter-view schlug in der liberalen Oumlffentlichkeit wie eine Bombe ein da Nawalnyj die Ruumlckgabe der Krim an die Ukraine eindeutig ausschloss Auf die Frage des Chefredakteurs des Radiosenders Alexej Wenediktow raquoKrim naschlaquo (Ist die Krim unser) sagte der Oppositionelle Folgendes raquoIch finde dass obwohl die Krim unter eklatanten Verstoumlszligen gegen alle voumllkerrechtlichen Normen erobert wurde die Realien derart sind dass die Krim jetzt ein Teil der Russischen Foumlderation ist Machen wir uns doch nichts vor Den Ukrainern rate ich ebenfalls ausdruumlcklich sich nichts vorzu-machen Sie [die Krim Anm d Red] bleibt Teil Russlands und wird in absehbarer Zukunft kein Teil der Ukraine werdenlaquo Diese Aussage loumlste auf Twitter einen massiven raquoShitstormlaquo aus Kurz nach dem Interview schloss sich auch Michail Chodorkowskij der Position Nawalnyjs an und sagte raquoDie Krim gebe ich nicht zuruumlcklaquo (lthttpgraniruPol iticsRussiaPartiesm234009htmlgt) Im Zuge heftiger Debatten in den Blogs teilte sich die liberale Oumlffentlichkeit Russlands in Nawalnyj-Versteher und harsche Kritiker der Krim-Annexion es meldeten sich unter anderem zu Wort Grigorij Golosow Professor an der Europaumlischen Universitaumlt St Petersburg Sergey Davidis Buumlrgerrechtler und enger Verbuumlndeter Nawalnyjs in der Protestbewegung Alexander Osowzow Projektdirektor der Stiftung von Michail Cho-dorkowskij raquoOffenes Russlandlaquo Wladislaw Naganow Mitglied der Nawalnyj-Partei raquoPartei des Fortschrittslaquo der Jour-nalist und Publizist Alexander Sotnik der russischsprachige Kiewer Journalist Mustafa Nayyem und der Kriegskor-respondent Arkadij Babtschenko

eine situation ohne guten AuswegraquoNawalnyj stellt alles richtig dar zu vielen Fragen laumlsst sich derzeit kaum etwas Besseres sagen Er ist ein begabter Mensch ein geborener Politiker Das Schlimme ist dass Russland ihn unter Hausarrest haumllt Alle gehen ihn hier an mit der Krim Man muss aber dabei im Kopf behalten dass es Putin war der die ukrainischen Probleme fuumlr Russland geschaffen hat und Nawalnyj nach einem guten Ausweg aus einer schlechten Lage zu fragen ist nicht besonders fair Die Krim bedeutet eine Situation ohne guten Ausweg Fuumlr den Besitz der Krim werden wir ndash alle zusammen oder jeder einzelne aus eigener Tasche ein Vielfaches von dem zahlen muumlssen was es gekostet haumltte jeden Quadratmeter auf der Halbinsel zu kommerziellen Preisen als Eigentum zu erwerben und alle Bewohner die dann nicht bleiben wollen an die Cocircte drsquoAzur umzusiedeln Putin hat das Geschaumlft bereits abgeschlossen Selbst Nawalnyj kann es nicht stornierenlaquoGrigorij Golosow via Snobru 16102014 lthttpslonrurussiapochemu_navalnyy_prav-1172360xhtmlgt

raquoAlle haben sich auf nawalnyj gestuumlrzthelliplaquoraquoIch habe in seinen Worten keinen Imperialismus erkennen koumlnnen er stimmt der Besetzung und Annexion der Krim nicht zu weist im Gegenteil auf deren krasse Rechtswidrigkeit hin Er hat gesagt dass Krim jetzt de facto zu Russ-land gehoumlrt [hellip] Er sagt dass man sie nicht wie ein Butterbrot zuruumlckgeben kann dass das die Bevoumllkerung entschei-den sollte was gibt es da zu bestreiten Selbst bei der Annexion gab es ein Schein-Referendum Und wenn man nicht autoritaumlr und rechtswidrig vorgeht sondern fair und demokratisch wer anders als die Bevoumllkerung sollte dann ent-scheiden [hellip]

Was ich in der Aumluszligerungen Alexejs nicht gutheiszligen wuumlrde ist der Stil Man sollte jetzt auf Ratschlaumlge fuumlr die Ukrainer lieber verzichten insbesondere bei einer solchen Frage Man sollte nicht davon reden dass Krim rsaquoin absehba-

1 dt Die Krim ist unser

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 12

rer Zukunft kein Teil der Ukraine werdenlsaquo wird auch wenn es scheint als ob die Ergebnisse eines jeden Referendums vorhersehbar sind Schlieszliglich tragen wir alle selbst diejenigen die dagegen waren zu einem gewissen Grad eine Ver-antwortung bei der Aggression des Kreml gegen die Ukraine und trotz allem stehen wir in den Augen der Ukrainer vollkommen zurecht als Buumlrger eines Aggressorstaates da Etwas mehr Ruumlcksicht und Fairness waumlre nicht verkehrtlaquoSergej Davidis auf Facebook 15102014 lthttpswwwfacebookcomsergeidavidisposts800840943304969gt

raquoDer Drache gewinnt in jedem falllaquoraquoBezuumlglich der Krim bin ich mit Nawalnyj kategorisch nicht einverstanden und finde dass gerade Russland der Ukraine die annektierte Krim zuruumlckgeben sollte vor allem weil niemand auch kein Land ein normales Leben fuumlh-ren kann ohne zu versuchen die Folgen eines von ihm begangenen Verbrechens nach Moumlglichkeit zu korrigieren Das waumlre genauso als wenn Alexejs rsaquoLieblingsfigurenlsaquo ndash Timtschenko Jakunin die Rotenbergs usw ndash eines schoumlnen Tages sagen wuumlrden rsaquoWir klauen jetzt nicht mehr wir sind jetzt ehrliche Leute Aber was wir vorher zusammenge-klaut haben das gehoumlrt bereits uns und das behalten wirlsaquo Eine solche Idee wuumlrde Nawalnyj kaum zufriedenstellen

Die Diskussion um Nawalnyjs Position die jetzt stattfindet zeigt aber aus meiner Sicht sehr ernst zu nehmende moralische und ethische Probleme innerhalb eines Teils der russischer Opposition auf Die einen die gestern noch mit harten Worten die rsaquoKrimnaschistenlsaquo beschimpft haben und so schien es bereit waren rsaquoWatniki und Koloradylsaquo2 in Stuumlcke zu zerreiszligen sind nun durch der rsaquoHetze der liberalen Presse gegen Nawalnyjlsaquo empoumlrt [hellip]

Ich moumlchte denjenigen fuumlr die jedweder Meinungsunterschied zu Nawalnyj ein Anschlag auf das Allerheiligste ist Folgendes sagen Beruhigt euch versucht zu verstehen dass es dumm und aussichtslos fuumlr das Land waumlre rsaquoPuti-noidelsaquo durch rsaquoNawalnoidelsaquo auszutauschen So wie in dem alten vietnamesischen Maumlrchen uumlber den Drachen und das Schwert aus grauem Stahl Es gewinnt immer der DrachelaquoAlexander Osowzow auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcomosovtsovaaposts1568393260047754gt

raquoman darf sie nicht hin und her zuruumlckgebenlaquoraquoAlle die Nawalnyj fuumlr seine Worte rsaquoIst die Krim etwa ein Wurstbrot dass man es hin und her zuruumlckgeben koumlnntelsaquo kritisieren moumlchte ich fragen Wie stellt ihr das uumlberhaupt vor

Der Praumlsident Russlands unterschreibt einen Erlass uumlber die Ruumlckgabe der Krim und Sewastopols an die Ukraine Uumlber die Entziehung der russischen Staatsbuumlrgerschaft bei allen Bewohnern der Krim und Sewastopols Oder kann man den Menschen die russische Staatsbuumlrgerschaft belassen und nur das Territorium ndash mit ihnen ndash uumlbergeben Fragt irgendjemand die Menschen was sie wollen bevor man etwas mit ihnen macht Oder werden die Einwohner der Krim und Sewastopols nicht fuumlr Menschen gehalten sondern fuumlr Vieh fuumlr eine Schafherde die zwischen verschie-denen Staaten hin und her rsaquouumlbergebenlsaquo werden kann Der eine Praumlsident hatte Lust und nahm es sich der andere hat sich anders uumlberlegt und gibt es wieder zuruumlckt So etwa

Sollte man nicht doch besser die Menschen fragen Hat Nawalnyj das etwa nicht selbst gesagt als er von einem rsaquonormalenlsaquo Referendum auf der Krim sprach Ich verstehe unter einem rsaquonormalenlsaquo Referendum eines das nicht nur 15ndash20 Tage vorbereitet wird sondern mindestens drei Monate Und bei dem es keine Einschraumlnkungen fuumlr die Kam-pagne gibt Die Anhaumlnger einer Zugehoumlrigkeit der Krim und Sewastopols zur Ukraine wollen hierfuumlr agitieren mit Plakaten Flugblaumlttern Werbevideos ukrainischen Fahnen ndash bitte schoumln Ohne Einschraumlnkungen Und dass alle moumlg-lichen Wahlbeobachter zum Referendum kommen koumlnnen von der OSZE von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates von der GUS aus der Ukraine der EU und den USA von uumlberall her Und dass ein transparenter Ablauf der Stimmenzaumlhlung gewaumlhrleistet werde Und wenn jemand von den Wahlbeobachtern ein Nachzaumlhlen der Stimmen per Hand verlangt ndash bitte schoumln mehrmals so oft wie gewuumlnscht Und uumlberhaupt Lasst so viele Wahlbe-obachter in jedes Wahllokal wie dort Platz ist Und keinerlei bewaffnete Menschen mit Maschinenpistolen in kei-nem einzigen Wahllokal oder dessen UmgebunglaquoWladislaw Naganow auf Livejournal 16102014 lthttpnaganofflivejournalcom142862htmlgt

liebe raquonawalnistenlaquoraquoAlso Fuumlr die verehrten rsaquoNawalnistenlsaquo die sich wegen Alexej so aufregenhellip

2 raquoWatnikilaquo (Wattejacken) ndash abfaumlllige Bezeichnung fuumlr russische sbquoHurrapatriotenlsquo (ein raquoWatniklaquo ist eine Wattejacke die mit der Armee aber auch mit Straumlflingen assoziiert wird) raquoKoloradylaquo (von raquo koloradskij shuklaquo ndash Kartoffelkaumlfer) ndash abfaumlllige Bezeichnung fuumlr prorussische Akti-visten in der Ukraine (die Faumlrbung des Kaumlfers ist schwarz-gelb oder schwarz-orange gestreift aumlhnlich den Farben des St Georgs-Bandes das von prorussischen Kraumlften in der Ukraine und von politisch rechtsstehenden Russen als Abzeichen verwendet wird)

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Ja eurer rsaquoFuumlhrerlsaquo ist Imperier Daraus hat er kein Geheimnis gemacht Er ist bei der Krim-Frage ein absoluter Putin Weil er wenn er einer anderen Ansicht waumlre Wenediktow Folgendes gefragt haumltte rsaquoVon welcher Krim reden Sie denn Von der die zur Ukraine gehoumlrt womit Russland einverstanden war als es das Budapester Abkommen unterschrieben hat Sie fragen mich uumlber die territoriale Integritaumlt eines Staates dem Russland Garantien gegeben hat wonach die Ukraine zum atomwaffenfreien Land geworden ist Haumltte Russland seinerzeit diese Garantien nicht gegeben haumltte die Ukraine jetzt Atomraketen und wir wuumlrden es niemals riskieren uns dort einzumischenhellip Sie fragen also nach Quatsch und zwar provokantem Quatschlsaquo

Wenn er also auf diese Weise geantwortet haumltte dann ja Dann waumlre er als Politiker geboren worden Er hat sich aber ausgenullt Wie seinerzeit Udalzow

Und noch etwa Verehrte rsaquoNawalnistenlsaquo houmlrt auf euch Goumltzen zu schaffen Viele von euch waren auf dem rsaquoFrie-densmarschlsaquo zur Unterstuumltzung der territorialen Integritaumlt der Ukraine Verliert das Gesicht nicht Trefft eine Wahl ohne Bindung des Herzens Und all die Argumente rsaquoer habe es nicht so gesagt er habe etwas anderes gemeintlsaquo das ist im Stil von rsaquoPutinistenlsaquo und zwar rsaquoUnser Fuumlhrer hat alle ausgetrickst Das eine gesagt was anderes getan Sie haben seinen Weisheiten schlecht zugehoumlrtlsaquohellip

Seid keine Kinder Werdet erwachsenlaquoAlexander Sotnik auf Facebook 15102014 lthttpswwwfacebookcomsashasotnikposts646414272138108gt

raquorandfigur russischer PolitiklaquoDa Alexej Nawalnyj recht offen seine Meinung zur Krim geaumluszligert hat [hellip] waumlre es auch fuumlr den Oppositionellen selbst sinnvoll das Geheimnis uumlber seine Lage zu luumlften Ich finde dass abgesehen davon dass die Rechte von Ale-xej Nawalnyj lange Jahre verletzt wurden und er nach himmelschreiender Verletzung aller Gesetzesnormen der Rus-sischen Foumlderation verurteilt wurde die Realitaumlt so aussieht dass Herr Nawalnyj eine Randfigur der russischen Poli-tik ist Ich rate ihm und seinen Anhaumlngern eindringlich sich nichts vorzumachen ndash sie haben in absehbarer Zukunft keine Chance bedeutende Figuren in der groszligen Politik zu werden Das waumlre ebenfalls ehrlichMustafa Nayyem auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcomMustafanayyemposts10203171638717866gt

raquoWas wollen sie Pardon zuruumlckgebenlaquoraquoWas fuumlr spannende Eskapaden nun zu dieser Krimhellip rsaquoDie Krim ist kein Wurstbrotlsaquo meint Nawalnyj rsaquoWenn ich Prauml-sident werde gebe ich Krim nicht zuruumlcklsaquo schreibt Michail Chodorkowskij auf Twitter [hellip]

Russland hat einen Teil eines souveraumlnen Staates okkupiert Diese Okkupation ist von keinem anderen Staat in der Weltgemeinschaft anerkannt worden In der ganzen Welt hat sich die ukrainische Grenze nicht um einen Zen-timeter veraumlndert Die Welt kennt keinen anderen Staat rsaquoUkrainelsaquo auszliger diesen ndash mit der Krim Die Welt kennt kei-nen anderen Staat rsaquoRusslandlsaquo auszliger diesen ndash ohne die Krim Es hat keine Vertraumlge zur Anerkennung und Bestaumltigung neuer Grenzen gegeben

Was also wollen Sie Verzeihen Sie die Frage rsaquozuruumlckgebenlsaquo [hellip]Und zweitens Das wichtigsteWenn du Praumlsident wirst ndash eben Praumlsident ndash waumlre in diesem Koordinatensystem schon eine solche Fragestellung

rsaquoabgeben oder nichtlsaquo per definitionem undenkbar Denn der Praumlsident ist ein gewaumlhltes Amt Ein Amt das im Rah-men fairer und freier Wahlen besetzt wird die in einem demokratischen Land nach internationalen Regeln Konven-tionen Rechten und Gesetzen die durch die Weltgemeinschaft als korrekt anerkannt werden [hellip] In dieser Situa-tion wuumlrde sich die Frage rsaquozuruumlckgeben oder besser nochmal uumlberlegenlsaquo a priori nicht stellen Weil nicht du es bist der uumlber zuruumlckgeben oder nicht entscheidet Du bist kein Lenker des Schicksals von Staaten Laumlndern und Voumllkern Du bist bloszlig Garant der Ausfuumlhrung von Gesetzen Einschlieszliglich internationaler Gesetze Fuumlr alle die daruumlber anders dachten ist die Moumlglichkeit geschaffen worden uumlber ihre Fehler nachzudenken ndash in den schoumlnen Staumldten Nuumlrnberg und Den HaaglaquoArkadij Babtschenko auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcombabchenkoaposts555934824506755fref=nfgt

Ausgewaumlhlt und zusammengefasst von Sergey Medvedev Berlin (Die Blogs auf die verwiesen wird sind in russischer Sprache verfasst)

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ANALYSE

zivilgesellschaft und staat in russlandPavel Chikov Moskau

zusammenfassungDie Zivilgesellschaft befindet sich heute in Russland in einem schlechten Zustand Sie entwickelte sich Ende der 1980er Jahre und genoss bis Ende der 1990er Jahre weitgehende Freiheiten 1999 gab es erste staatliche Eingriffe und 2004 kennzeichnete Praumlsident Putin aus dem Ausland finanzierte NGOs direkt als raquoFeindelaquo In den folgenden Jahren wurde die Gesetzgebung verschaumlrft die Registrierung von NGOs erschwert den-noch gab es bis zur Ruumlckkehr Putins in das Praumlsidentenamt im Jahre 2012 kein ernstliches Vorgehen der Behoumlrden gegen die NGOler Mit der ultrakonservativen Wende des Jahres 2012 begann der Staat auch verstaumlrkt gegen die NGOs vorzugehen Heute auch nach den Ereignissen in der Ukraine ist weithin klar geworden dass Wladimir Putin bei seiner Orientierung auf einen extremen Konservatismus auch vor Re-pressionen gegen Nichtregierungsorganisationen nicht zuruumlckscheut

Die entstehung der zivilgesellschaft ende der 1980er JahreDer Zustand der Zivilgesellschaft in Russland laumlsst sich heute mit nur einem Wort charakterisieren schlecht Mehr noch Er ist schlechter denn je in der neuesten Geschichte Russlands wenn man davon ausgeht dass es zu sowjetischer Zeit keine nennenswerte Zivilgesell-schaft gegeben hat Die vereinzelten sowjetischen Buumlr-gerrechts- und Dissidentengruppen deren Mitglieder von den Geheimdiensten aufs engste uumlberwacht wurden lassen sich naumlmlich nur mit groumlszligter Muumlhe als Zivilge-sellschaft bezeichnen

Eine legale Existenz vom Staat unabhaumlngiger Nicht-regierungsorganisationen begann in Russland ungefaumlhr in jener Zeit als West- und Ostdeutschland wiederver-eint wurden Ende der 1980er und in der ersten Haumllfte der 1990er Jahre wurden zum einen die bereits erwaumlhn-ten sowjetischen Dissidentengruppen dann aber auch jene Initiativgruppen die auf der Welle der Perestroika unter Gorbatschow entstanden waren und nun als Orga-nisationen auftraten zur Basis der kuumlnftigen Zivilgesell-schaft Diese Gruppen erreichten dass Kuibyschew in Samara und Gorkij in Nishnij Nowgorod umbenennt wurde und sie beteiligten sich engagiert an den Wahlen der Volksdeputierten beseitigten verschiedenste Relikte der sowjetischen Vergangenheit wurden zu Meinungs-fuumlhrern der Gesellschaft organisierten erstmals recht-liche Hilfe fuumlr die schwaumlchsten Bevoumllkerungsgruppen

Die ersten Gesetze die die Taumltigkeit von NGOs sys-tematisch regulierten entstanden in den Jahren 1995 und 1996 Sie wurden auf der Houmlhe der allgemeinen Demokratisierung verabschiedet schrieben die grundle-genden buumlrgerlichen Freiheiten fest sahen eine Registrie-rung per Anmeldung keinerlei Rechenschaftspflichten sowie die Moumlglichkeit vor ohne Registrierung als juristi-sche Person taumltig sein zu koumlnnen Hierbei konnten rund zwei Dutzend verschiedener Rechtsformen genutzt wer-den Eine gesellschaftliche Organisation (NGO) regis-

trieren zu lassen bedeutete keine Muumlhe und die staat-lichen Gebuumlhren hierfuumlr waren minimal Gleichzeitig gab es jedoch keinerlei System fuumlr eine finanzielle Foumlrde-rung von nichtkommerziellen Organisationen (NGOs) durch den Staat

erste eingriffe des staatesDie ersten Zeichen die von kuumlnftigen Problemen fuumlr NGOs kuumlndeten erfolgten im Jahr 1999 als das Justiz-ministerium eine Neuregistrierung aller aktiven nicht-kommerziellen Organisationen (NGOs) verlangte Damals sahen sich einige Menschenrechtsorganisatio-nen erstaunlichen Beanstandungen durch die Behoumlrden gegenuumlber Wie sich herausstellte sollte es nicht moumlg-lich sein den Schutz der Menschenrechte und buumlrgerli-chen Freiheiten zu den satzungsgemaumlszligen Zielen zu zaumlh-len Die Fachleute des Justizministeriums behaupteten Da der Schutz der Menschenrechte gemaumlszlig der Verfas-sung die Pflicht des Staates ist koumlnnten NGOs diesen darin allenfalls sbquounterstuumltzenlsquo Das ist die Erklaumlrung dafuumlr dass die meisten Moskauer Organisationen bei ihren Namen und in ihren Satzungen bis heute diese Formulierung verwenden die offensichtlich eine klare paternalistische Botschaft an die Gesellschaft darstellt Zivilgesellschaftliche Organisationen koumlnnen ndash so die Haltung der russischen Regierung seit 1999 und bis jetzt ndash nichts selber machen Sie koumlnnen lediglich den Staat unterstuumltzen Folglich stoszligen NGOs wenn sie sich gegen die Politik des Staates wenden auf unweiger-lichen vaumlterlichen Zorn Die 15 Jahre nach 1999 illus-trieren diese Haltung sehr deutlich

nichtregierungsorganisationen als raquofeindelaquo2004 hat Praumlsident Putin in seiner jaumlhrlichen Parla-mentsansprache Nichtregierungsorganisationen die auch nur irgendwelche Gelder aus dem Ausland erhalten direkt seine Feinde genannt 200405 wurde eine spe-zielle staatliche Struktur der raquoFoumlderale Dienst fuumlr Regis-

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trierunglaquo (raquoRosregistrazijalaquo) geschaffen ndash eine Polizei fuumlr NGOs Es wurden fuumlr NGOs Rechenschaftspflich-ten uumlber ihre Taumltigkeit eingefuumlhrt die fuumlr zwei Drit-tel der Organisationen nicht zu stemmen waren Von 2006 bis 2008 hat diese dem Justizministerium nach-geordnete Behoumlrde die Aufloumlsung Zehntausender zivil-gesellschaftlicher Organisationen per Gerichtsbeschluss erwirkt Weitere 50000 erhielten Verwarnungen Ins-gesamt befanden sich beim Amtsantritt des Zwischen-praumlsidenten Medwedew achtzig Prozent der in Russland existierenden Organisationen (ungefaumlhr 150ndash180000) nur einen Schritt von ihrer moumlglichen Aufloumlsung (aus formalen Gruumlnden) durch das Justizministerium ent-fernt Staatsfreundliche Strukturen (wie etwa die Gesell-schaftskammer) haben beharrlich die Vorstellung trans-portiert dass es in Russland tatsaumlchlich nicht mehr als 30000 gesellschaftliche Organisationen (NGOs) gebe Das Anhalten der repressiven Maschine gegen NGOs war eine der wenigen liberalen Zugestaumlndnisse Dmitrij Medwedews als Praumlsident raquoRosregistrazijalaquo wurde 2008 selbst aufgeloumlst und seine Funktionen zur Kontrolle der Nichtregistrierungsorganisationen direkt dem Justiz-ministerium uumlbertragen Viele ehemalige Mitarbeiter von raquoRosregistrazijalaquo einschlieszliglich des Behoumlrdenlei-ters wechselten zur Staatsanwaltschaft

2009 und 2010 ritten die Behoumlrden nur vereinzelte Angriffe auf Nichtregistrierungsorganisationen Ein besonders bekannter Fall war die blitzartige staatsan-waltschaftliche Uumlberpruumlfung von 40 Menschenrechtsor-ganisationen im September 2010 die auf Anweisung der Praumlsidialadministration erfolgte diese wollte vor dem Treffen der Leiter der Kommission von Wladislaw Sur-kow und Michael MacFaul kompromittierende Mate-rialien uumlber aus dem Ausland finanzierte Organisatio-nen praumlsentieren Insgesamt aber hat bis zur Ruumlckkehr Putins in das Praumlsidentenamt kein ernstliches Vorgehen der Behoumlrden gegen die NGOler gegeben

Die situation der zivilgesellschaft nach dem mai 2012Die Situation aumlnderte sich grundlegend im Mai 2012 nach der dritten Inauguration Putins die von Mas-senprotesten auf dem Bolotnaja-Platz begleitet wurde denen die bis heute andauernden sogenannten Bolot-naja-Verfahren folgten naumlmlich die strafrechtliche Ver-folgung und Verurteilung zu Gefaumlngnisstrafen von Teil-nehmern der regierungskritischen Demonstration vom 6 Mai 2012 Die Praumlsidialadministration wappnete sich mit der ultrakonservativen Politik einer demonstrativen Absage an liberale Werte fuumlr den Praumlsidenten wurde das Image eines Verteidigers traditioneller Werte aufgebaut die den Menschenrechten und buumlrgerlichen Freiheiten gegenuumlbergestellt werden

Die weitgehenden Beschraumlnkungen der Versamm-lungsfreiheit die Verfolgung von Schwulen und Les-ben die Angriffe auf die Redefreiheit im Internet die Herstellung staatlicher Kontrolle uumlber die Medien die Diskreditierung des Instituts der Wahlen wurden durch eine Kampagne zur Verfolgung von Nichtregierungsor-ganisation ergaumlnzt Diese Welle wurde unter der Losung losgetreten dem Einfluss aus dem Ausland entgegenzu-wirken Sie erfolgte durch Aumlnderungen im Gesetz uumlber nichtkommerzielle Organisationen (NGOs) das Aumlnde-rungsgesetz wurde als raquoGesetz uumlber auslaumlndische Agen-tenlaquo bekannt Praumlsident Putin persoumlnlich ist bekann-termaszligen dessen geistiger Vater Im Verlauf des Jahres 2013 organisierte die Staatsanwaltschaft die vom Jus-tizministerium die Funktion der Kontrolle uumlber Nicht-regierungsorganisationen uumlbernommen hatte die Uumlber-pruumlfung von rund tausend NGOs und lieszlig sich dabei lediglich von einem Kriterium leiten naumlmlich der Frage ob eine Organisation in irgend einer Art Gelder aus irgendeiner Art auslaumlndischer Quelle erhaumllt die Ver-einten Nationen den Europarat und private Nichtre-gierungsstrukturen eingeschlossen Auch eine Reihe deutscher Stiftungen und Organisationen waren Atta-cken ausgesetzt naumlmlich die Friedrich-Ebert-Stiftung die Konrad-Adenauer-Stiftung und der Deutsch-Rus-sische Austausch

Ziel der von Generalstaatsanwalt Jurij Tschajka ini-tiierten Kampagne war es moumlglichst viele Organisa-tionen dazu zu noumltigen sich als auslaumlndischer Agent registrieren zu lassen Die Reaktion der russischen Zivil-gesellschaft laumlsst sich wohl als deutlichsten Beweis ihrer Existenz bezeichnen Nach dieser halbjaumlhrigen Kam-pagne in allen Regionen des Landes hatte sich keine einzige Organisation im Verzeichnis der raquoauslaumlndi-schen Agentenlaquo registrieren lassen Die Zivilgesellschaft hatte ndash ohne sich zu verabreden ndash die Anwendung die-ses Gesetzes sabotiert und Dutzende Organisationen zogen mit Beschwerden gegen das Vorgehen der Staats-anwaumllte vor Gericht Diese ewig langen Gerichtspro-zesse dauern bis heute an Involviert sind mittlerweile auch das Oberste Gericht das Verfassungsgericht der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte die Vene-dig-Kommission des Europarates der Menschenrechts-kommissar des Europarates und die Regierungschefs aller groszligen westlichen Staaten

Heute nach den diesjaumlhrigen Ereignissen in der Ukraine ist weithin klar gewonnen dass Wladimir Putin bei seiner Hingabe an extremen Konservatismus und bei seiner Attacke gegen liberale Werte die die Grundlage der Nachkriegsordnung dargestellt haben bei Repressionen gegen Nichtregierungsorganisationen nicht halt macht Heute in einer Situation da von jenem Moment wo im Kopf des Praumlsidenten oder von irgend

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 16

jemandem in dessen engster Umgebung die naumlchste Idee zur Beschraumlnkung der Menschenrechte entsteht bis zur Verabschiedung und dem Inkrafttreten eines entsprechenden Foumlderalen Gesetzes nur eine Woche vergehen kann koumlnnen jene die Menschenrechtsar-

beit machen solche Schritte der Regierung weder aus-zuschlieszligen noch sie vorhersehen Es bleibt einem nur auf wirklich alle Szenarien gefasst zu sein auch auf die schlimmsten

Uumlbersetzung Hartmut Schroumlder

Uumlber den AutorPawel Chikow Vorsitzender der Interregionalen Assoziation der Buumlrgerrechtsorganisationen raquoAGORAlaquo Mitglied des Rats fuumlr die Entwicklung der Zivilgesellschaft und fuumlr Menschenrechte beim Praumlsidenten der Russischen Foumlderation

ANALYSE

ngos in russlandJens Siegert Moskau

zusammenfassungUnabhaumlngige russische NGOs sind seit Praumlsident Putins Amtsantritt Ziel staatlichen Drucks Die Auseinan-dersetzung mit diesem Druck hat bei den NGOs zu einer schrittweisen und beindruckenden Professionali-sierung beigetragen die wiederum geholfen hat trotz dieses Drucks nicht nur zu uumlberleben sondern auch ihre Arbeit weiter machen zu koumlnnen Das vor knapp zwei Jahren in Kraft getretene sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo stellt die NGOs vor eine neue harte Probe Zudem versucht der Staat erneut NGOs auch institutionell in raquogutelaquo und raquoboumlselaquo einzuteilen Dieser neue Versuch NGOs unter direkte staatliche Kontrol-le zu bringen gefaumlhrdet die Existenz unabhaumlngiger und staatskritischer NGOs in Russland

Putin und die ngosSeit Wladimir Putin vor nun schon fast 15 Jahren rus-sischer Praumlsident wurde versucht er sehr erfolgreich alle autonomen politischen Subjekte in Russland der direkten Kontrolle des Staates besser noch des Kremls zu unterwerfen In Wirtschaft und Politik ist das wei-testgehend gelungen Bei den Massenmedien sehr weit-gehend Blieben und bleiben die NGOs Sie haben sich als am widerstaumlndigsten erwiesen Das hat unterschied-liche Gruumlnde

Erstens galten NGOs im Kreml lange nicht als son-derlich gefaumlhrliche politische Bedrohung Das aumlnderte sich kurzzeitig 20042005 als der Kreml vor allem bei der sogenannten Orangenen Revolution in der Ukraine aus dem Ausland finanzierte NGOs als wichtige trei-bende Kraft der politischen Veraumlnderungen betrachtete Doch hielt diese seinerzeit stark uumlbertriebene Angst vor der Moumlglichkeit aumlhnlich raquoumstuumlrzlerischer Machen-schaftenlaquo in Russland nur recht kurz an Danach etwa ab Ende 2006 und bis zur Protestwelle gegen Wahlfaumll-schungen und die Wiederwahl von Wladimir Putin zum russischen Praumlsidenten im Winter 20112012 periodisch blieben die Aufmerksamkeit den NGOs gegenuumlber und das Verhaumlltnis zwischen Staat und NGOs ambivalent

Dieses Verhaumlltnis schwankt seit Putins Machtan-tritt zwischen dem Misstrauen des Staates allen auto-nomen potentiell eigenstaumlndigen politischen Subjekten gegenuumlber (die aus seiner Sicht streng kontrolliert gehouml-ren) und der Erkenntnis dass NGOs eine ganze Reihe wichtiger sozialer und politischer Funktionen ausfuumll-len die der Staat nicht oder nicht mehr zu gewaumlhrleis-ten in der Lage ist Auszligerdem erwiesen sich die NGOs nach weitgehender Abschaffung der Pressefreiheit und Gleichschaltung der (ohnehin schwachen und in vielen Bereichen dysfunktionalen) politischen Parteien fuumlr den Kreml als nuumltzlicher ja mitunter notwendiger Kommu-nikationskanal in die Gesellschaft

Die Uumlberlebensfaumlhigkeit der russischen ngosDas Uumlberleben unabhaumlngiger NGOs wurde bis heute auszligerdem durch ihre groszlige politische und institutio-nelle Lernfaumlhigkeit gewaumlhrleistet Unter dem staatli-chen Druck der vergangenen 15 Jahre ist die NGO-Arbeit in Russland in fast allen Bereichen professioneller geworden Das gilt insbesondere fuumlr die Einhaltung der in vielem widerspruumlchlichen oft geaumlnderten und uumlber Verwaltungsakte zu wahren buumlrokratischen Monstern

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aufgeblaumlhten die NGOs betreffenden Gesetze Kurz gesagt Vor allem Juristen Buchhalter Geschaumlftsfuumlh-rer die NGOs beraten oder in ihnen arbeiten aber auch viele Aktivisten sind schlicht besser schneller und pro-fessioneller als die staatliche Finanz- Justiz- oder sons-tige Verwaltung Einem in vielem legalistischen Staat gegenuumlber kostet diese staumlndige Professionalisierung (auch im Sinn einer Art raquolebenslangen Lernenslaquo) zwar viel Kraft und es muumlssen dafuumlr nicht geringe Ressour-cen eingesetzt werden aber sie verschafft solange es sich nicht um frontale Angriffe handelt immer wieder Raum und Zeit zum Weitermachen

Damit komme ich zum dritten Grund fuumlr die beson-dere Widerstaumlndigkeit von NGOs in Russland Es ist fuumlr einen Staat (und seine Staatsmaumlnner und -frauen) fuumlr den der Eigensinn der Menschen nur schwer vorstell-bar ist und der vom eigenen Zynismus geleitet hin-ter jedem und allem irgendwelchen raquofremden Maumlchtelaquo Verschwoumlrungen und politischen Utilitarismus vermutet ganz offenbar schwer vorstellbar dass zivilgesellschaftli-ches Engagement sozusagen aus sich selbst heraus oder aus einer bestimmten Situation oder einem bestimmten Ereignis einem Erlebnis oder einer Erfahrung heraus entsteht Administrative auch strafrechtliche Maszlig-nahmen gegen dieses Engagement laufen eben deshalb immer wieder zwar nicht voumlllig ins Leere (sie erschwe-ren dieses Engagement mitunter enorm) aber sie koumln-nen es nicht verhindern Es verlagert sich immer wieder und findet immer neue Formen und Foren

Die Verstaumlrkung der staatlichen kontrolleBis heute gab es unter Putin drei groumlszligere Versuche unab-haumlngige NGOs unter mehr oder weniger direkte staatli-che Kontrolle zu bringen und diejenigen die sich dagegen wehrten entweder zu marginalisieren oder auch zu schlie-szligen Der erste im Jahr 2001 endete mit einem oben schon angedeuteten Kompromiss der das Verhaumlltnis Kreml-NGOs in einem (allerdings jederzeit prekaumlren) Gleich-gewicht zwischen Konfrontation und Kooperation hielt

Der zweite Versuch endete in der Verabschiedung des raquoNGO-Gesetzeslaquo Ende 2005Anfang 2006 das den NGOs weitergehende Berichtspflichten auferlegte in der Praxis also Ressourcen band und bindet aber ebenfalls in der Praxis und entgegen anderslautenden Befuumlrchtungen nicht zu wesentlichen Einschraumlnkun-gen in der Arbeit russische NGOs fuumlhrte Die groumlszligte negative Wirkung dieses Versuches duumlrfte von zahlrei-chen oumlffentlichen Aumluszligerungen hochgestellter Politiker bis hin zu Putin ausgegangen sein NGOs seien raquoFeindelaquo raquoSchakale die um auslaumlndische Vertretungen streunenlaquo Dadurch wurde die Einstellung von Teilen der Gesell-schaft vor allem aber von weiten Teilen der Verwaltung zu NGOs grundsaumltzlich negativ gepraumlgt

Der dritte Versuch begann als Teil der staatlichen Reaktionen auf den Protestwinter 20112012 und haumllt bis heute an Sein wichtigster Bestandteil ist das soge-nannte raquoNGO-Agentengesetzlaquo das eigentlich kein eigenes Gesetz ist sondern aus einer Reihe dem NGO-Gesetz neu hinzugefuumlgter oder geaumlnderter Paragraphen besteht Diese Vorschriften verpflichten NGOs die raquosich politisch betaumltigenlaquo und Geld oder andere Zuwendun-gen aus dem Ausland erhalten sich beim Justizminis-terium als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren zu lassen Danach muumlssen sie jede oumlffentliche Aumluszligerung mit dem Zusatz raquoauslaumlndischer Agentlaquo versehen

Die Durchsetzung des AgentengesetzesTrotz erheblichen staatlichen raquoPressingslaquo der raquoUumlber-pruumlfunglaquo von mehr als 700 NGOs in ganz Russland durch Staatsanwaltschaft Justizministerium Finanz-amt und eine Reihe anderer Behoumlrden ab dem Fruumlhjahr 2013 hatte sich im Fruumlhjahr 2014 erst eine NGO als raquoauslaumlndischer Agentlaquo im entsprechenden Register des Justizministeriums eintragen lassen (lthttpunromin justruNKOForeignAgentaspxgt) Alle anderen selbst diejenigen NGOs die von den Behoumlrden als raquoAgentenlaquo eingestuft und teilweise mit empfindlichen Geldstra-fen belegt worden waren weigerten sich und weigern sich bis heute Viele NGOs klagten und klagen sowohl gegen das Gesetz als auch gegen die raquoUumlberpruumlfungenlaquo und die aus ihnen von den Justizbehoumlrden abgeleite-ten Bescheide und Anweisungen vor russischen Gerich-ten aber auch vor dem Europaumlischen Gerichtshof fuumlr Menschenrechte (EGMR) Eine Entscheidung des rus-sischen Verfassungsgerichts hat die raquoAgentenparagra-phenlaquo fuumlr verfassungskonform erklaumlrt wenn auch einige Einzelbestimmungen darunter die zu Mindeststrafen aufgehoben

Im Juni 2014 beschloss die Staatsduma eine Verschaumlr-fung der raquoAgentenlaquo-Paragraphen des NGO-Gesetzes Seither hat das Justizministerium das Recht NGOs auch ohne deren Zustimmung in das raquoAgentenlaquo-Register ein-zutragen Bis heute (21102014) hat es 15 NGOs getrof-fen Es ist damit zu rechnen das weitere folgen werden Justizminister Jurij Tschajka hat bereits 2013 im Foumlde-rationsrat von 24 NGOs gesprochen die nach Ansicht des Ministeriums raquoAgentenlaquo seien Auszligerdem wurden 2013 und 2014 mehr als 40 NGOs von der Staatsanwalt-schaft aufgefordert sich vorsorglich als raquoAgentenlaquo regis-trieren zu lassen da sie Geld aus dem Ausland bekaumlmen und Gefahr liefen sich raquopolitisch zu betaumltigenlaquo

Die reaktionen der ngos auf das AgentengesetzDie praktischen Reaktionen der NGOs auf diesen staat-lichen Druck sind unterschiedlich Einige NGOs wie

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die Wahlbeobachter von raquoGoloslaquo haben sich als juris-tische Personen aufgeloumlst oder sind wie die raquoJuristen fuumlr Verfassungsrechte und Freiheitlaquo dabei sich aufzu-loumlsen (ein juristisch und administrativ nicht ganz ein-facher und langwieriger Vorgang) Fast alle NGOs die sich aufloumlsen haben aber erklaumlrt ihre Arbeit auch ohne juristischen Status fortsetzen zu wollen Rechtlich ist das moumlglich Praktisch werden diese NGOs auf zahlreiche neue Probleme treffen wohl bis hin zur moumlglichen Kri-minalisierung einzelner Personen

Einige andere NGOs darunter das Menschenrechts-zentrum Memorial machen weiter wie bisher Sie fech-ten meist die Eintragung in das raquoAgentenregisterlaquo vor Gericht an (in der Regel ohne besonderen Erfolg) Das Menschenrechtszentrum Memorial aber auch einige andere NGOs wollen bis zum EGMR gehen unter ande-rem weil sie das Gesetz insgesamt fuumlr unmoralisch und verfassungswidrig haumllt

Eine weitere Reaktion ist eine Art Hase-und-Igel-Spiel mit den Behoumlrden Das kann sich in einem Geflecht von unterschiedlichen NGOs ausdruumlcken die unter-schiedliche Funktionen wahrnehmen Eine NGO macht politische Erklaumlrungen und betreibt Lobbying Ihre Aktivistinnen arbeiten ausschlieszliglich ehrenamt-lich Eine andere bekommt auslaumlndische Finanzierung fuumlr Projekte die auch nach der Definition von Staatsan-waltschaft und Justizministerium nicht raquopolitischlaquo sind Wieder andere NGOs weichen auf Organisationsformen (juristische Personen) jenseits des NGO-Gesetzes aus die dann nicht den raquoAgentenparagraphenlaquo unterliegen

Der Vorstoszlig gegen memorialAllerdings beschraumlnkt sich die staatliche Behinderung und Bedrohung von NGOs nicht auf das relativ neue Agentengesetz Alle anderen laumlnger erprobten adminis-trativen bis strafrechtlichen Instrumente bleiben eben-falls im Einsatz Juumlngstes und bekanntestes aber bei weitem nicht einziges Beispiel ist der Schlieszligungsan-trag des Justizministeriums vor dem Obersten Gericht gegen raquoMemorial Russlandlaquo raquoMemorial Russlandlaquo ist ein Netzwerk aus rund 50 regionalen und thematischen Memorial-Organisationen und selbst eine von mehr als 60 Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Internatio-nallaquo (Zum Memorial-Netzwerk siehe lthttprusslandboellblogorg20141011wie-funktioniert-memorial-ein-kleiner-wegweiser-durch-eine-zugegeben-kompli zierte-strukturgt) Bei einer der regelmaumlszligigen Pruumlfun-

gen stellte das Justizministerium Anfang 2012 also vor Beginn der jetzigen Repressionswelle gegen NGOs fest dass die seit Gruumlndung der Organisation geltende konfouml-derative Struktur von raquoMemorial Russlandlaquo raquonicht dem Gesetz entsprechelaquo und geaumlndert werden muumlsse Insbe-sondere behagt dem Justizministerium nicht dass die Mehrzahl der Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Russlandlaquo ihrerseits eigenstaumlndige juristische Personen sind raquoMemorial Russlandlaquo muumlsse sich zentralistisch organisieren und die regionalen Memorial-Organisa-tionen zu Filialen werden Ohne hier ins Detail gehen zu koumlnnen wuumlrde das aber zu weiteren Problemen fuumlh-ren die wiederum die Schlieszligung von Memorial durch das Justizministerium zum Ergebnis haumltten Memorial sucht einen Ausweg das Justizministerium betreibt die Schlieszligung Viele NGOs haben Probleme mit der Feu-erwehr dem Gesundheitsamt oder der Arbeitsschutzbe-houmlrde Beliebt ist in juumlngster Zeit auch die Kuumlndigung von Mietvertraumlgen (so unlaumlngst geschehen bei raquoGoloslaquo und der raquoBewegung fuumlr Menschenrechtelaquo)

soziale und politische ngosSeit dem Fruumlhjahr zeichnet sich noch ein weiterer Angriff auf unabhaumlngige und staatskritische NGOs ab Der von Michail Fedotow geleitete Zivilgesellschaftsrat beim Praumlsidenten beraumlt seit einiger Zeit eine erneute Aumlnde-rung des NGO-Gesetzes Er schlaumlgt vor die Agenten-paragraphen abzuschaffen und dafuumlr um den Befuumlrch-tungen des Kremls auf politische Einflussnahme (nicht nur aus dem Ausland) Rechnung zu tragen kuumlnftig eine Einteilung von NGOs in raquosozialelaquo und raquopolitischelaquo vor-zunehmen raquoSozialelaquo NGOs sollen diesen Vorschlaumlgen nach kuumlnftig steuerlich beguumlnstigt sein und staatliche Zuwendungen erhalten koumlnnen raquoPolitischelaquo NGOs wer-den hingegen von staatlicher Foumlrderung ausgeschlossen und sollen auf alle Zuwendungen insbesondere aber auf Zuwendungen aus dem Ausland einen noch fest-zulegenden Steuersatz zahlen Die Befuumlrworter dieser im Uumlbrigen im Zivilgesellschaftsrat nicht unumstrit-tenen Initiative verweisen darauf dass so die heute als raquoAgentenlaquo verfolgten NGOs eventuell noch gerettet wer-den koumlnnten waumlhrend staatliche Foumlrderung aller ande-ren verstaumlrkt wuumlrde Ein Gewinn also fuumlr alle Betei-ligten Tatsaumlchlich verbirgt sich hinter dem Vorschlag aber eine gefaumlhrliche Tendenz zur Entsolidarisierung in der NGO-Szene wie sie auch anderswo schon laumln-ger zu beobachten ist

Uumlber den AutorJens Siegert ist Diplompolitologe und leitet seit 1999 das Laumlnderbuumlro Russland der Heinrich Boumlll Stiftung in Mos-kau Davor arbeitete er in Moskau als Korrespondent fuumlr Radiostationen Zeitschriften und Zeitungen im deutsch-sprachigen Raum

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Lesetippsbull Siegert Jens Putin und die Zivilgesellschaft in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 12 06 2013

lthttprusslandboellblogorg20130612putin-und-die-zivilgesellschaftgtbull Siegert Jens Uumlber ein Jahr raquoNGO-Agentenlaquo-Jagd ndash eine Art Zwischenbericht in Russland-Blog (Hein-

rich-Boumlll-Stiftung Moskau) 4 Juni 2014 lthttprusslandboellblogorg20140604ueber-ein -jahr-agenten-jagd-eine-art-zwischenberichtgt

bull Siegert Jens Russische raquoNGO-Agentenjagdlaquo ndash eine Zwischenbilanz in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 7 Juni 2013 lthttprusslandboellblogorg20130607russische-ngo-agentenjagd-eine-zwischenbilanzgt

bull Siegert Jens Erklaumlrung Permer NGOs warum sie sich unter keinen Umstaumlnden als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren lassen in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 26 Mai 2013 lthttprusslandboellblogorg20130526erklarung-permer-ngos-warum-sie-sich-unter-keinen-umstanden-als-auslandische-agenten-registrieren-lassengt

bull Siegert Jens Memorial raquoNGO-Agentengesetzlaquo ist ungesetzlich und unmoralisch Keine freiwillige Registrierung als raquoauslaumlndischer Agentlaquo in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 22 September 2013 lthttpruss landboellblogorg20120922memorial-ngo-agentengesetz-ist-ungesetzlich-und-unmoralisch-keine-freiwillige-registrierung-als-auslandischer-agentgt

bull Siegert Jens Sozialer Wandel und politische Dynamik in Russland 201112 in Russland-Analysen Nr 245 19 Oktober 2012 lthttpwwwlaender-analysenderusslandpdfRusslandanalysen245pdfgt

ANALYSE

ein kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen engagements zur Unterstuumltzung und integration von migranten in russlandMarina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin

zusammenfassungObwohl die Wirtschaft Russlands aufgrund der ruumlcklaumlufigen Bevoumllkerungszahl auf Migranten angewiesen ist ist der Groszligteil der Bevoumllkerung des Landes Migranten gegenuumlber skeptisch und oft geradezu fremden-feindlich eingestellt Durch eine schlecht koordinierte staatliche Migrationspolitik ist die Lage der Arbeits-migranten meist prekaumlr Initiativen aus der Zivilgesellschaft versuchen die Situation der Migranten zu ver-bessern und leisten Aufklaumlrungsarbeit in der Bevoumllkerung sowie konkrete Hilfestellungen fuumlr Migranten Die Arbeit solcher Aktivisten wird jedoch oftmals durch staatliche Einmischung erschwert

immigration nach russland als gesellschaftliches ProblemDie widerspruumlchliche Migrationspolitik der russischen Regierung und die aufgeheizte Stimmung in der Bevoumll-kerung haben 2013 zu vermehrten xenophoben Uumlbergrif-fen auf Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien gefuumlhrt (siehe beispielsweise die Unruhen in Birjuljowo im Oktober 2013) Diese Entwicklung wirft die Frage auf welche Haltung die russische Zivilgesellschaft hierzu einnimmt Gibt es zivilgesellschaftliche Initiativen die dieser fremdenfeindlichen Stimmung entgegenwirken

In der russischen Oumlffentlichkeit ist oft von einer Flut von Arbeitsmigranten aus den GUS-Staaten die Rede doch in Wirklichkeit ist die Immigration nach Russ-land im internationalen Vergleich gering Zudem zeigen Zahlen der Staatlichen Statistikbehoumlrde raquoRosstatlaquo dass

die russische Wirtschaft aufgrund der demographischen Entwicklung in zunehmendem Maszlige Arbeitskraumlfte aus dem Ausland benoumltigt (bis 2030 ndash so die Prognose ndash soll die russische arbeitsfaumlhige Bevoumllkerung um 103 Mil-lionen Menschen abnehmen)

Trotzdem gibt es starke fremdenfeindliche Stimmun-gen die sich gegen Immigranten aus Zentralasien und dem Kaukasus richten Diese Ablehnung von Migran-ten hat zugenommen und schafft den Naumlhrboden fuumlr Pogrome wie 2006 in Kondopoga 2010 auf dem Mos-kauer Manegenplatz sowie 2013 in der Stadt Pugat-schow und dem Moskauer Vorort Birjuljowo Angst und Verachtung gegenuumlber Fremden ziehen sich durch alle Gesellschaftsschichten Sie werden als Kriminelle und Illegale stigmatisiert und nicht nur Nationalisten ver-wenden die Losung raquoRussland den Russenlaquo um Ras-

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sismus zu schuumlren und die Stimmung gegen Migranten weiter anzuheizen

es gibt keine migrationspolitikDiese interethnischen Konflikte spiegeln sich auch im russischen Alltag wieder Der durch den Foumlderalen Migrationsdienst praktizierte administrative und poli-zeiliche Umgang mit Migration ist nicht effektiv Eine Stigmatisierung der Migranten als potenzielle Krimi-nelle und eventuelle Uumlberlegungen zur Verschaumlrfung des Migrationsgesetzes koumlnnen die Probleme nicht loumlsen die gerade auch auf kommunaler Ebene anfallen Die nur situativen politischen Maszlignahmen fuumlhren mitunter zu einer Verschaumlrfung des Problems Eine uumlbergreifende Strategie existiert nicht die Politik weiszlig auf die Migra-tionsfrage keine Antwort Ein autoritaumlres zentralisier-tes System ist nicht im Stande die regionalen Probleme dieses riesigen Landes zu loumlsen deshalb liegt es vor allem an der Zivilgesellschaft sich diesen Themen zu widmen

zivilgesellschaftliche Projekte AufklaumlrungsarbeitIn Moskau und Sankt Petersburg gibt es verschiedene nichtstaatliche Projekte die sich sowohl fuumlr mehr Tole-ranz als auch fuumlr die Integration der Migranten einsetzen

Einige von ihnen bestehen schon mehrere Jahre Boris Romanow ist einer der Gruumlndervaumlter eines zivil-gesellschaftlichen Netzwerks zur Unterstuumltzung von Menschen mit Migrationshintergrund in Sankt Peters-burg Er arbeitet mit den unterschiedlichsten NGOs zusammen die zu Themen wie Toleranz Antirassis-mus Homophobie Antiziganismus und Antisemitis-mus arbeiten Finanziert durch das Goethe-Institut rief er 2012 raquoRespektlaquo ins Leben ein Comic-Projekt inter-nationaler Kuumlnstler mit dessen Hilfe Schuumller ihr Den-ken uumlber Fremde reflektieren und selbst in Frage stel-len koumlnnen Laut Romanow scheitern solche Projekte oft an der Buumlrokratie der Kommunen Durch das neue NGO-Gesetz gebe es kaum noch Kontaktmoumlglichkei-ten zu staatlichen Schulen erlaumlutert Romanow so dass eine Zusammenarbeit houmlchstens uumlber einzelne Lehrer nicht jedoch uumlber die Schuldirektion moumlglich sei Dies widerspreche dem Konzept zivilgesellschaftlicher Arbeit die vor allem jedermann offen stehen will Durch das geschlossene staatliche Schulsystem komme es selten zu einer Kooperation mit interessierten Lehrern Die Zusammenarbeit von Staat und Zivilgesellschaft ist unabdingbar macht aber die Finanzierung der Projekte schwierig da sie im Falle einer Unterstuumltzung auslaumln-discher Sponsoren unter das neue NGO-Gesetz fallen

Im Zuge der neuen NGO-Gesetzgebung wurde das Antidiskriminierungszentrum raquoMemoriallaquo in Sankt Petersburg geschlossen Dessen ehemaliger Mitarbei-

ter Andrej Jakimow ist Anthropologe Seine langjaumlh-rige Arbeit mit ethnischen Minderheiten wie Sinti und Roma Arbeitsmigranten und Staatenlosen macht ihn zu einem erfahrenen Koordinator der raquoStiftung zur Unter-stuumltzung und Entwicklung von Bildungs- und Sozial-projektenlaquo (raquoPSP-Fondlaquo) in Sankt Petersburg Auch fuumlr ihn zaumlhlt die aktive Aufklaumlrungsarbeit zu den wichtigs-ten Punkten seines zivilgesellschaftlichen Engagements Die juristische und psychologische Betreuung von Mig-ranten stehen neben der Sensibilisierung der russischen Bevoumllkerung im Zentrum seiner Arbeit Seiner Erfah-rung nach interessieren sich die OSZE und die UNO nur marginal fuumlr diese Themen also muumlssen die Pro-bleme der Arbeitsmigranten auf nationaler Ebene geloumlst werden Seine Kontakte zu verschiedenen Netzwerken in den Auswanderungslaumlndern helfen den Migranten sich schon vor der Einreise nach Russland auf den Aufenthalt vorzubereiten In der Zusammenarbeit von Staat und Experten sieht Jakimow eine Moumlglichkeit eine effek-tive Migrationspolitik zu entwickeln

fuumlr die Verbesserung der migrationspolitikAumlhnlich denken auch Wjatscheslaw Postawnin und Natalja Wlasowa die die Stiftung raquoMigrazija XXI weklaquo (raquoMigration im 21 Jahrhundertlaquo) gegruumlndet haben Sie selbst sind ehemalige Mitarbeiter des Foumlderalen Migra-tionsdienstes und kennen die staatliche Migrationspoli-tik von innen Die Regierung unter Putin scheint keiner-lei Loumlsungsansaumltze fuumlr die immer staumlrker zunehmende Xenophobie in Russland zu erarbeiten In den fuumlnf Jah-ren ihrer Existenz hat sich die Organisation in Mos-kau zu einem unabhaumlngigen intellektuellen und wissen-schaftlichen Zentrum entwickelt das Vorschlaumlge fuumlr die Verbesserung der staatlichen Migrationspolitik ausarbei-tet Diese Vorschlaumlge werden oft von der Administration des Praumlsidenten beruumlcksichtigt jedoch nicht sofort und ohne Nennung der Urheberschaft In Zusammenarbeit mit der Weltbank und dem Netzwerk raquoMirpallaquo (raquoMigra-tion and Remittance Peer-Assisted Learninglaquo) erstellt die Organisation Statistiken zu den Migrationsstroumlmen aus den GUS Staaten die oftmals stark von den offiziellen Zahlen des Foumlderalen Migrationsdienstes abweichen

fluumlchtlingsarbeitDie von Swetlana Gannuschkina einer wichtigen Men-schenrechtlerin in Russland 1990 mitbegruumlndete Orga-nisation raquoGrashdanskoje sodejstwijelaquo (raquoBuumlrgerhilfelaquo) beschaumlftigt sich nicht nur mit Arbeitsmigration sondern zu vier Fuumlnfteln mit Fluumlchtlingen Es war die erste Orga-nisation dieser Art in Moskau und wurde im Zusam-menhang mit dem Konflikt um Berg-Karabach und dem Krieg in Tschetschenien gegruumlndet um den Fluumlchtlin-gen aus diesen Regionen zu helfen Die Unterstuumltzung

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der Arbeitsmigranten umfasst juristische Konsultation und die Loumlsung administrativer Fragen z B bei nicht ausgezahlten Gehaumlltern Deportationen Einreisever-boten Die Organisation stellt juristischen Beistand bei unbegruumlndeten Klagen gegen Migranten hilft bei Kla-gen gegen Arbeitgeber wegen nicht ausgezahlter Loumlhne fuumlhrt ein Projekt gegen Hate Crimes durch und veran-staltet Spendenaktionen auf ihrer Webseite Besonders die aumlrztliche Versorgung ist wichtig da der staatliche Notdienst Migranten oft seine Hilfe verwehrt raquoGrash-danskoje sodejstwijelaquo arbeitet eng mit dem Fluumlchtlings-hilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) der Inter-nationalen Organisation fuumlr Migration (IOM) und mit dem Netzwerk raquoMigrazija i prawolaquo (raquoMigration und Rechtlaquo) einem Programm des Menschenrechtszentrums raquoMemoriallaquo zusammen Obwohl in der offiziellen Rhe-torik die Bedeutung der Migration fuumlr Russland unter-strichen wird (wie zum Beispiel in der raquoKonzeption der staatlichen Migrationspolitik 2025laquo) beobachtet man in der Praxis meist die stumme Hinnahme der Uumlber-griffe auf Arbeitsmigranten Nach dem Inkrafttreten des NGO-Gesetzes fand bei der Organisation eine Uumlberpruuml-fung durch die Staatsanwaltschaft statt Ob und wenn ja wie dieses Projekt weiterlaufen wird ist bis heute unklar

Arbeit mit fluumlchtlingskindernIm Rahmen der Organisation raquoBuumlrgerhilfelaquo gibt es zudem ein raquoZentrum fuumlr Integration und Unterricht fuumlr Fluumlchtlingskinderlaquo da das staatliche Programm mit dem Kinder mit Migrationshintergrund Russisch lernen nicht ausreichend ist

Aumlhnlich wie ihre Kollegen aus Moskau arbeiten die Freiwilligen des zivilgesellschaftlichen Projekts raquoDeti Peterburgalaquo (raquoKinder von Petersburglaquo) mit Kindern des-sen Eltern aus den unterschiedlichsten Gruumlnden nach Russland immigriert sind Zwei Projektkoordinatoren der Organisation raquo[Wahl]Beobachterlaquo Daniil Ljubarow und Irina Beljaewa haben 2012 raquoDeti Peterburgalaquo gegruumlndet Angefangen mit einem Angebot von Russisch-Grundkur-sen fuumlr Vorschuumller mit Migrationshintergrund hat sich dieses Programm mittlerweile so weit entwickelt dass Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre an sechs verschie-

denen Standorten in Sankt Petersburg an Russischkursen teilnehmen koumlnnen Bis 2014 hatte es noch nicht einmal feste Raumlumlichkeiten gegeben die Mitarbeiter der raquoDeti Peterburgalaquo organisierten sich ausschlieszliglich uumlber soziale Netzwerke Der virtuelle Raum verbindet diese Organi-sation auch mit anderen zivilgesellschaftlichen Projek-ten So zieht das Projekt nicht nur politische Aktivisten an sondern vor allem Paumldagogen Linguisten und Stu-denten die die Kurse vorbereiten und durchfuumlhren Der Aufbau von kreativen Zirkeln gehoumlrt genauso zur Arbeit von raquoDeti Peterburgalaquo wie die Koordination von Ausfluuml-gen in die Umgebung Museen oder Theatern Das Pro-jekt ist abhaumlngig von seinen Teilnehmern Die fehlen-den Sprachkenntnisse der Eltern fuumlhren oft zu groszligen Kommunikationsproblemen Aber auch die wechselnden und meist aumluszligerst schwierigen Arbeitszeiten der Eltern erschweren die Durchfuumlhrung des Projekts Die staumldti-sche Buumlrokratie versucht den Elan der Mitarbeiter zu bremsen Auch deshalb bleibt das Projekt nichtstaatlich

fazitMisstrauen gegenuumlber der Regierung soziale Probleme und Alltagsrassismus bewegen immer mehr Menschen dazu sich eigenstaumlndig mit der negativen Entwicklung beim Umgang mit Migranten zu beschaumlftigen Aus Inter-views mit den Mitarbeitern der verschiedenen Organisa-tion laumlsst sich schlieszligen dass eine russische Zivilgesell-schaft entstanden ist die die Migrationsfrage einerseits als Arbeit mit der Mehrheits- also russischen Bevoumllkerung betrachtet um diese zu sensibilisieren Anderseits gibt es Initiativen die vor allem konkrete Hilfe fuumlr Migranten leisten um deren alltaumlgliche Probleme zu minimieren

Die Zivilgesellschaft bemuumlht sich Vorurteile abzu-bauen die Migrationspolitik realistischer zu machen und Migranten wie Fluumlchtlingen konkrete Hilfestellung zu geben Die Behoumlrden sabotieren diese Arbeit In den Groszligstaumldten wird der Zuzug von Migranten restriktiv gehandhabt Arbeitgeber wissen um den oft schwierigen Status der Migranten und nutzen die Situation aus um die Migranten weiter auszubeuten Die Arbeit der Zivil-gesellschaft zur Sensibilisierung der russischen Bevoumllke-rung wird durch die offizielle Politik oft konterkariert

Uumlber die AutorenIm Rahmen des Projektkurses raquoZiviler Ungehorsam Gesellschaft und Staat in Osteuropalaquo reisten die Studierenden des Osteuropa-Instituts der Freien Universitaumlt Berlin Michael Bellmann und Kristina Arisov nach Moskau sowie Marina Grinfeld und Christina Huthmann nach St Petersburg um mit Aktivisten und Organisationen die sich fuumlr die Integration von Migranten in Russland einsetzen Interviews zu fuumlhren und die Position der Zivilgesellschaft zur Migrationsproblematik zu analysieren

Lesetippsbull Judah Ben Russiarsquos Migration Crisis in Survival 552013 Nr 6 S 123ndash131

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bull Malakhov Vladimir S Russia as a New Immigration Country Policy Response and Public Debate in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1062ndash1079

bull Schenk Caress Controlling Immigration Manually Lessons from Moscow (Russia) in Europe-Asia Studies 652013 Nr 7 S 1444ndash1465

bull Spahn Susanne Die gelenkte Xenophobie Migration und nationale Frage in Russland Russland nur fuumlr Russen in Osteuropa 642014 Nr 7 S 55ndash67

bull Tipaldou Sofia Katrin Uba The Russian Radical Right Movement and Immigration Policy Do They Just Make Noise or Have an Impact as Well in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1080ndash1101

UmFRAGE

Uumlber die zivilgesellschaft in russland

zur zivilgesellschaftlichen und politischen Aktivitaumlt der russen

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 15 stellen sie sich vor ihre nachbarn schlagen eine gemeinsame muumlllsammelaktion in der nahegelege-nen Parkzone vor Was waumlren sie bereit zu uumlbernehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator der Aktionwerden

An der Aktionmitwirken

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 16 haben sie im vergangenen halbjahrJahr hellip

0 20 40 60 80 100

hellip an den Aktivitaumlten einer non-profit Organisation teilgenommen als Freiwilliger gearbeitet

hellip sich mit gesellschaftlichen Problemen an ihrem Wohnort beschaumlftigt

hellip an Groszligveranstaltungen Demonstrationen Streiks Kundgebungen Umzuumlgen teilgenommen

Ja Keine Antwort Nein

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grafik 17 stellen sie sich vor dass es an ihrem Wohnort zu massenhaften Wahlfaumllschungen kommt irgend-jemand ruft zur Durchfuumlhrung von Protestaktionen gegen die Wahlfaumllschungen auf Was wuumlrden sie unternehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator dieser Aktionwerden

An dieser Protestaktionteilnehmen

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 18 Waren sie haben sie sich in den vergangenen einndashzwei Jahren hellip

0 20 40 60 80 100

hellip Mitglied einer politischen Partei

hellip Wahlbeobachter

hellip an der Arbeit einer Menschenrechtsorganisation beteiligt

hellip sich im Internet (in sozialen Netzwerken auf Foren) zu politischen Themen geaumluszligert

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

zur gesellschaftlichen Aktivitaumlt

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

grafik 19 haben sie persoumlnlich in den vergangenen zweindashdrei Jahren an der taumltigkeit einer gesellschaftlichen organisation teilgenommen Wenn ja wie genau (beliebige zahl an Antworten)

6

6

5

2

2

84

1

050

Habe an gesellschaftliche Organisationen gespendetoder andere materielle Hilfe geleistet

Habe an Wohltaumltigkeitsveranstaltungen teilgenommen(Konzerte Ausstellungen Wohltaumltigkeitslotterie Auktionen)

Habe Freiwilligenarbeit geleistet (kostenlos)

Habe gegen Entgelt in einer gesellschaftlichenOrganisation gearbeitet

Habe Informationen zu den Taumltigkeitenvon gesellschaftlichen Organisationen verteilt

Nicht teilgenommen

Anderes

Keine Antwort

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grafik 20 haben ihnen irgendwann einmal gesellschaftliche organisationen geholfen

0 20 40 60 80 100

Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja mit Geld geholfen Ja auf andere Weise geholfen Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

Die oumlffentliche meinung zu ngos mit auslaumlndischer finanzierung (April 2013)

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 21 mit welcher meinung zur taumltigkeit russischer ngos stimmen sie am ehesten uumlberein

Sie bringen einen groszligen Nutzen

4

Sie bringen mehr Nutzen als Schaden

15Sie bringen ebenso viel

Nutzen wie Schaden23

Sie bringen mehr Schaden als Nutzen

18

Sie bringen weder Nutzen noch Schaden

13

Keine Antwort27

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 22 ist es fuumlr sie wichtig ob eine russische menschenrechtsorganisation aus einheimischen oder auslaumln-dischen mitteln finanziert wird

Sehr wichtig10

Eher wichtig34

Nicht besonders wichtig24

Vollkommen unwichtig18

Keine Antwort14

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 25

grafik 23 Welche ziele verfolgen westliche laumlnder und organisationen die russische ngos mit mitteln aus-statten

Einen verstaumlrkten Einfluss auf die russische

Innenpolitik42

Einen Kampf gegen den russischen Staat

19Eine Unterstuumltzung der

russischen Zivilgesellschaft

8

Kein besonderes Ziel russische NGOs werden wie andere aus standardisierten

internationalen Programmen unterstuumltzt

12

Keine Antwort19

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 24 Duumlrfen organisationen die sich mit dem schutz der Buumlrgerrechte beschaumlftigen und den staat kriti-sieren das recht haben mittel aus dem Ausland zu beziehen

Ja20

Nein56

Keine Antwort24

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 25 Unterstuumltzen sie harte sanktionen gegen ngos die einer politischen taumltigkeit nachgehen und gelder aus dem Ausland erhalten sich aber nicht nach dem gesetz als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren

Auf jeden Fall20

Eher ja32

Eher nein15

Auf keinen Fall5

Keine Antwort28

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 26

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luumlgen des fernsehkanals ntV und Beanstandungen des Justizministeriums erklaumlrung des menschenrechtszentrums memoriAl und der russischen gesellschaft

memoriAl

Die Behauptung bei NTV das russische Justizministerium habe die Liquidierung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL eingeleitet fuumlhrte heute zu etlichen Irritationen Das Menschenrechtszentrum und die Russische Gesell-schaft MEMORIAL (die Dachorganisation der russischen Memorial-Verbaumlnde) haben aus diesem Anlass nachste-hende Erklaumlrung abgegeben

Am 10 Oktober strahlte NTV unter dem Titel raquoAuszligergewoumlhnliches Ereignislaquo eine Sendung aus die aus boumlswil-ligen Luumlgen aber auch aus Fehlinformationen in Folge von Unkenntnis bestand

Die Arbeit des Menschenrechtszentrums MEMORIAL als Unterstuumltzung von Extremisten und Terroristen dar-zustellen ist eine infame Luumlge Auf Unkenntnis basiert hingegen die Behauptung das Justizministerium habe des-halb den Antrag gestellt das Menschenrechtszentrum MEMORIAL zu liquidieren

In Wirklichkeit hat das Justizministerium beim Obersten Gericht der Russischen Foumlderation nicht die Aufloumlsung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL beantragt Es geht hier vielmehr um eine andere Organisation naumlmlich die Russische Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIAL

Die russische Gesellschaft MEMORIAL wurde vom Justizministerium bereits 1992 registriert Bis heute befinden sich unter ihrem Dach verschiedene Memorial-Verbaumlnde die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen

Im Jahre 2012 20 Jahre nach der ersten Registrierung tauchten beim Justizministerium ploumltzlich Zweifel hin-sichtlich des russischen Rechtsstatus von Memorial auf obwohl der Gesellschaft praktisch dieselben regionalen Ver-baumlnde angehoumlren wie zuvor und sich die Gesetzeslage in dieser Frage in keinem Punkt geaumlndert hatte

Geaumlndert hat sich allerdings die Position des Justizministeriums das erneut einen raquodemokratischen Zentralismuslaquo anstrebt der nach der Abschaffung der fuumlhrenden Rolle der KPdSU nicht mehr aktuell schien Heute erklaumlrt das Jus-tizministerium nur jene gesellschaftlichen Vereinigungen koumlnnten der Russischen Gesellschaft MEMORIAL ange-houmlren die in ihrer Bezeichnung die Worte raquoVerband (otdelenie) der Russischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklauml-rung Sozialarbeit und Menschenrechte MEMORIALlaquo tragen

Die gesetzliche Vorschrift dass eine Organisation nur dann einen gesamtrussischen Status haben kann wenn sie in uumlber der Haumllfte der Foumlderationssubjekte Verbaumlnde unterhaumllt legt das Justizministerium jetzt dahingehend aus dass diese Verbaumlnde zwangslaumlufig einen Status als Regionalverbaumlnde haben muumlssten Das Vorhandensein von Stadt- und Bezirksverbaumlnden einer Organisation reicht die Beamten als Beleg dafuumlr nicht aus dass die Organisation in der betreffenden Region taumltig ist

Die Vorbehalte des Justizministeriums entbehren jeglicher Grundlage Nicht zufaumlllig erhielten wir auf Anfragen keine Hinweise auf eine Gesetzesnorm Es ist fuumlr uns inakzeptabel dass das Justizministerium das von der Verfas-sung garantierte Recht von Buumlrgern eine Vereinigung zu bilden gesetzwidrig einschraumlnken will Deshalb hat sich die Russische Gesellschaft MEMORIAL bereits 2012 entschlossen vor Gericht zu gehen

Einen Hinweis auf ein Gesetz haben wir auch nicht erhalten als wir 2013 die Forderungen des Justizministeriums im Moskauer Zamoskvorezki-Bezirksgericht und danach im Stadtgericht angefochten haben Beide Instanzen gaben wie nicht anders zu erwarten dem Justizministerium Recht Deshalb wird die Russische Gesellschaft MEMORIAL in Kuumlrze Klage beim Verfassungsgericht einreichen

Was den Antrag des Justizministeriums betrifft so hoffen wir dass das Oberste Gericht bei Behandlung dieses Antrags dem Gesetz und der Verfassung mehr Respekt entgegenbringen wird als die untergeordneten Gerichtsinstanzen

10 Oktober 2014Quelle Website von Memorial Deutschland lthttpwwwmemorialdeindexphpid=42amptx_ttnews[tt_news]=546amptx_ttnews[backPid]=3ampcHash=5bbe9b235a03fe09cba52ed5c8786b99gt

DOkUmENtAtION

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 28

NOtIzEN AUS mOSkAU

Petersburger DialogJens Siegert Moskau

Auf den ersten Blick sieht es so aus als ob ein (egal ob nun willentlich oder nicht) an die Oumlffentlich-

keit gelangter Brief einiger regelmaumlszligiger Teilnehmer des Petersburger Dialogs (PD) aus den Reihen deutscher NGOs an Bundeskanzlerin Merkel und Auszligenminis-ter Steinmeier die Verschiebung des fuumlr Ende Oktober in Sotschi geplanten groszligen Jahrestreffens verursacht haumltte In dem Brief bekraumlftigten die Autoren ihre nicht neue Kritik am PD und erklaumlrten warum sie dieses Jahr nicht teilnehmen wuumlrden Sie betonen dass die Absage kein Boykott sei und bieten ihrerseits einen Dialog zur Reform des Dialogs an Auf den zweiten Blick war der Brief selbstverstaumlndlich nur Anstoszlig aber nicht Grund fuumlr die Verschiebung Doch der Reihe nach

Die in dem Brief geaumluszligerte Kritik am PD ist wie gesagt nicht neu sie hat sie den PD von Anfang an begleitet Das liegt sicher auch an einem bis heute nicht korrigierten Geburtsfehler Ein durch Staats- und Regie-rungschefs initiierter raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo ist schon etwas verquer Das heiszligt nicht dass das nicht gehen koumlnnte Doch dazu haumltten sich die hochgestell-ten Initiatoren (der damalige russische Praumlsident und der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schrouml-der) und ihre (Interims-)Nachfolger spaumlter zuruumlckziehen muumlssen Das haben sie nicht Daran sind sie nicht (allein) Schuld Es war der PD der durch seine Lenkungsor-gane die enge zeitliche und oumlrtliche Verbindung mit den deutsch-russischen Regierungskonsultationen und die zeitweilige Anwesenheit von Praumlsident und Kanzlerin zum Grundstein seiner Wirkungsmaumlchtigkeit erklaumlrte

Auf deutscher Seite wurde versucht dieses Problem organisatorisch sozusagen oumlffentlich-rechtlich zu loumlsen indem moumlglichst alle interessierten politischen Spektren und gesellschaftlichen Gruppen am sogenannten Len-kungsausschuss beteiligt wurden Das gelang zumindest so gut dass es soweit mir bekannt bis heute keine grouml-szligeren Klagen uumlber Nichtberuumlcksichtigung oder Nicht-beteiligung gab Aber die Bundesregierung behielt weit-gehenden Einfluss nicht zuletzt uumlber den alljaumlhrlich sechsstelligen Zuschuss fuumlr die Durchfuumlhrung der Jah-restreffen Auszligerdem wurde der jeweilige Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses zwar nach Abstim-mungen mit den Beteiligten aber letztlich durch den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin bestimmt

In Russlands ist die Sache einfacher Von Anfang an wurde und wird gemacht wird was der Kreml will Schon der erste Vorsitzende des russischen Lenkungs-ausschusses Michail Gorbatschow (immerhin selbst ein ehemaliger Praumlsident) war wie er selbst einmal bekannte

nicht mehr als ein ndash schoumlne Ruumlckuumlbertragung aus dem Russischen ndash raquoSitz-Praumlsidentlaquo Der jetzige Vorsitzende Wiktor Subkow war Datschennachbar von Putin ers-ter stellvertretender Ministerpraumlsident und ist nun Auf-sichtsratsvorsitzender von Gazprom

Die Kritik dass nur eine Simulation eines raquozivilge-sellschaftlichen Dialogslaquo stattfinde wurde von einigen deutschen Teilnehmern bereits auf dem ersten Jahres-treffen des PD im April 2001 in St Petersburg geaumluszligert Es fehlten auf russischer Seite (in der seinerzeit noch ver-einigten Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo) Vertreter russischer NGOs Die Kritik kam an In Russ-land fuumlhrte sie (ohne dass ich hier jetzt ausfuumlhren kann wie) zum ersten Versuch des Kremls auch unabhaumln-gige NGOs in das korporative System der gelenkten Demokratie zu zwingen Der Versuch misslang weitge-hend und muumlndete in einer Art Waffenstillstand und der Gruumlndung eines raquoMenschenrechtsrats beim Praumlsi-dentenlaquo unter Einbeziehung von Vertretern unabhaumlngi-ger NGOs Beim PD wurde die Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo in ihre zwei Namensbestandteile geteilt und es gelang uumlber die Jahre in immer wieder unternommenen Anstrengungen auch die Teilnahme unabhaumlngiger russischer NGO-Vertreter durchzuset-zen Etwas spaumlter wurde diese Teilnahme sogar vor-sichtig institutionell abgesichert indem erst Ella Pam-filowa und spaumlter ihr Nachfolger Michail Fedotow als Vorsitzende des inzwischen zum raquoZivilgesellschaftsratlaquo umbenannten raquoMenschenrechtsratslaquo zu den russischen Koordinatoren der Arbeitsgruppe raquoZivilgesellschaftlaquo mit Einladungsrecht wurden (wobei die Einladungen selbst-verstaumlndlich mit der Praumlsidentenadministration abge-stimmt werden muumlssen) Das ist bis heute so

Die Verfasser des Briefes (zu denen ich bekenne mich auch ich gehoumlre) allesamt langjaumlhrige Teilneh-mer der Jahrestreffen des PD haben all die Jahre immer wieder auch oumlffentlich uumlber den Sinn und Unsinn ihrer Teilnahme und Unterstuumltzung diskutiert Letztendlich uumlberwogen die ganze Zeit uumlber zwei Uumlberlegungen Ers-tens ist ein Dialog auch und gerade auf offizieller Ebe-nen und mit offiziellen Vertretern des russischen Staates (wie auch mit Wissenschaftlern Unternehmern Journa-listen Priestern usw welcher politischen Couleur auch immer sie sein moumlgen) erst einmal besser als kein Dia-log Zweitens gingen wir all die Jahre davon aus dass die nicht ohne Muumlhen erreichte Teilnahme unabhaumln-giger russischen NGO-Vertreter fuumlr sie ihre Organisa-tionen aber auch die russische NGO-Szene insgesamt zumindest einen kleinen zusaumltzlichen Schutz gegen die

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seit Putins Amtsantritt immer wieder uumlber das Land gehenden Repressionswellen bietet1 Was hat sich dieses Jahr geaumlndert Erst einmal nicht

so viel gegenuumlber dem Vorjahr Es war schon immer siehe oben eine schwierige Abwaumlgung ob die Teil-nahme am PD sich lohnt oder nicht vielmehr dazu beitraumlgt so zu tun als gaumlbe es in Russland die unein-geschraumlnkte und ungefaumlhrdete Moumlglichkeit sich zivilgesellschaftlich auch dort zu engagieren wo es dem Staat weh tut Zwei Ereignisse haben nun aber zumindest fuumlr die Autoren des Briefes das Pen-del zur anderen Seite ausschlagen lassen Die Kon-frontation zwischen dem Westen (ich weiszlig um die Bedingtheit des Begriffs verwende in der Kuumlrze hal-ber aber trotzdem) und Russland im Konflikt in der und um die Ukraine ist nicht einfach die Fortset-zung schon laumlnger existierender raquoMeinungsverschie-denheitenlaquo Sie ist tiefer und prinzipieller Es geht eben im Kern nicht in erster Linie um Geopolitik sondern wieder einmal um ich fuumlrchte hier weder den Pathos noch historische Analogien Freiheit und Demokratie in Europa

2 Die Repressionen gegen russische NGOs unsere prinzipiellen Partner in der Verteidigung von Demo-kratie und Freiheit haben mit dem sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo eine neue Qualitaumlt erreicht 15 NGOs sind inzwischen zwangsweise zu raquoauslaumln-dischen Agentenlaquo erklaumlrt worden anderen droht die Schlieszligung aufgrund anderer Gesetze Einige von ihnen waren sogar zum nun verschobenen Treffen in Sotschi eingeladen Sie mussten sich Gedanken machen ob eine Zusage oder eine Absage ihnen nicht schaden koumlnnte

Unter diesen Umstaumlnden halten die Verfasser des Brie-fes ihre Teilnahme am PD fuumlr nicht mehr moumlglich Sie fordern keinen Boykott wohl aber ein Nachdenken uumlber eine tiefgreifende Reform

Der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses Lothar de Maiziere hat in einem eigenen offenen Brief geantwortet und den Verfassern vorgeworfen den Dia-log verweigern und politisieren zu wollen Diese (Gegen-)Klage scheint mir angesichts der vielfaumlltigen Verbindun-gen und Dialogformen die die Organisationen hinter den Unterzeichnern des Briefes seit vielen Jahren und oft laumlnger als der PD organisieren an denen sie teil-nehmen und die sie foumlrdern nicht sonderlich stichhal-tig Doch die Auseinandersetzung geht tiefer De Mai-ziere behauptet in seinem Brief der PD mache bereits all das was die Kritiker fordern Genau das bezweifeln diese aber Die Auseinandersetzung geht also und vor allem darum was ein fruchtbarer Dialog zu leisten im Stande sein kann und leisten sollte Sie geht aber auch darum ob dieser Dialog zwischen zwei Gesellschaf-

ten stattfindet nach dem Motto hier die eine dort die andere oder ob sich die Seiten bei diesem Dialog inei-nander verschraumlnken

Die Verfasser des Briefes sind ganz offensichtlich mit ihrer Kritik nicht allein Schon bevor der Brief oumlffent-lich bekannt wurde hatten die Bundestagsabgeordne-ten Andreas Schockenhoff (CDUCSU) und Marieluise Beck (Buumlndnis 90 Die Gruumlnen) in oumlffentlichen Stel-lungnahmen Aumlhnliches gefordert und auch ihre Nicht-Teilnahme erklaumlrt Etwas spaumlter wurde bekannt dass auch der Russland-Beauftragte der Bundesregierung Gernot Erler nicht nach Sotschi fahren wollte Mehr noch Bereits seit dem Fruumlhsommer gab es Gespraumlche zwischen Kanzleramt und Auswaumlrtigem Amt mit dem Ziel den PD sowohl personell als auch strukturell zu reformieren Allerdings setze sich augenscheinlich die Sichtweise des Auswaumlrtigen Amtes durch alles vorerst beim Alten zu belassen da es auch so schon genug Pro-bleme im deutsch-russischen Verhaumlltnis gebe und man diesen Kanal nicht auch noch belasten oder gar gefaumlhr-den solle

Doch zum Herbst hat sich die Situation noch ein-mal veraumlndert Die Hoffnung die russische Fuumlhrung um Praumlsident Putin werde im Krieg in der Ostukraine ein-lenken ist selbst im Auswaumlrtigen Amt bis in die Spitze kaum noch zu finden Im Sommer bekam das russische Justizministerium zudem per erneuter Gesetzesaumlnde-rung das Recht NGOs zwangsweise zu raquoAgentenlaquo zu erklaumlren und macht seither rege Gebrauch davon Eine ganze Reihe russischer NGOs steht vor der Schlieszligung oder loumlst sich auf weil ihnen die vom Gesetz geforderte Selbstetikettierung als raquoauslaumlndische Agentenlaquo ethisch rechtlich und praktisch unmoumlglich ist

Es sieht so aus als haumltten die Verfasser des Briefes nur eine Tuumlr geoumlffnet hinter der andere darunter die Kanzlerin nur darauf gewartet haben durch sie hin-durch gehen zu koumlnnen ohne selbst der Tuumlroumlffnung geziehen zu werden

Ein wenig verwundert die erstaunlich milde russi-sche Reaktion Nach der kurzen Drohung eine Verschie-bung bedeute das Ende des PD lenkte Putin im Telefo-nat mit Merkel ein und fand tags darauf sogar oumlffentlich verstaumlndnisvolle Worte fuumlr die raquoProbleme der deutschen Seitelaquo Das duumlrfte zwei Gruumlnde haben Der eine ist dass trotz des haumlufiger gewordenen Deutschland-Bashings im russischen Staatsfernsehen (mit dem Ergebnis dass in Umfragen Deutschland aus der Kategorie raquoFreundlaquo in die Kategorie raquoFeindlaquo abgerutscht ist) Deutschland im Kreml immer noch als wichtigster raquostrategischerlaquo Part-ner im Westen und vor allem in der EU gilt Zudem ist Deutschland zweifellos ein Land dessen oumlffentliche Meinung (und damit Politik) aus russischer Sicht durch-aus beeinflussbar ist (was z B die kolportierten rund

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140 Millionen US-Dollar zum Aufbau eines deutsch-sprachigen Programms des staatlichen Auslandsfernse-hens raquoRussia Todaylaquo zeigen)

Der andere liegt in einem erneuten Strategiewech-sel (oder weniger ambitioniert Wechsel der Taktik) im Ukraine-Konflikt Die Sanktionen beiszligen inzwi-schen kraumlftig Die Rhetorik wurde daher gemildert Der Kreml ist ganz auf Frieden und dieser Ausdruck aus dem Sport sei erlaubt Ergebnissicherung bedacht (was uumlbrigens Putins grundsaumltzlicher Taktik auch im Inne-ren Russlands entspricht erst hart zuzuschlagen dann eine Schritt zuruumlck zu gehen und einen Kompromiss zu suchen nach dem es fuumlr seine Gegner nachher schlech-ter steht als vorher) Neues Ziel scheint nun also zu sein die raquoErrungenschaftenlaquo Krim (als Teil Russlands) und raquoNeurusslandlaquo (als neuen raquoFrozen Conflictlaquo) zu fixieren und trotzdem mit dem Westen wenn schon nicht gut-freund zu werden so doch zumindest erneut zu einem einigermaszligen vertraumlglichen Modus Vivendi zu gelan-gen Das Gas duumlrfte nach den Mailaumlnder Gespraumlchen

und bei allem Geknurre im Winter stroumlmen und auch im Nahen Osten stellt Moskau weniger Widerspenstig-keit in Aussicht

Was heiszligt das fuumlr die Zukunft des PD Erstmal ist sie offen Zuerst muss sich die deutsche Seite neu ord-nen (hier hat Putin sogar Recht) Nachdem sich Angela Merkel persoumlnlich um eine russische Akzeptanz fuumlr die Verschiebung von Sotschi bemuumlht hat kann ich mir allerdings nicht vorstellen dass es in einigen Wochen oder Monaten ein Zuruumlck zum status quo ante gibt Ob und wie sich ein neu aufgestellter deutscher Lenkungs-ausschuss mit einem neuen Konzept mit der russischen Seite verstaumlndigen kann laumlsst sich momentan kaum voraussagen Es ist zwar einen Versuch wert haumlngt aber wohl sehr von der dann herrschenden politischen Groszlig-wetterlage ab

Diesen und andere Texte finden Sie auf Jens Siegerts Russ-landblog lthttprusslandboellblogorggt

Lesetippbull Poumlrzgen Gemma Dringend reformbeduumlrftig Der Petersburger Dialog auf dem Pruumlfstand in Osteuropa 602010

Nr 10 S 59ndash81

DOkUmENtAtION

Briefwechsel uumlber die zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo

schreiben von nichtregierungsorganisationen und einzelpersonen an die Bundeskanzlerin und den Auszligenminister zum raquoPetersburger Dialoglaquo 2 oktober 2014 [nachtraumlglich veroumlffentlicht]

Berlin 02 Oktober 2014Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerals Personen die sich seit vielen Jahren intensiv im zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland engagieren wenden wir uns mit diesem Schreiben an Sie um zu erlaumlutern warum wir uns in diesem Jahr nicht am Petersburger Dialog beteiligen koumlnnen Zugleich moumlchten wir fuumlr eine Erneuerung des Petersburger Dialogs werben

In Reaktion auf die politische Wende in der Ukraine die durch eine breite gesellschaftliche Protestbewegung hervor-gerufen wurde hat die russische Fuumlhrung voumllkerrechtswidrig die Krim annektiert und einen unerklaumlrten Krieg neuen Typs im Osten der Ukraine begonnen Zugleich betreibt die Regierung unter Praumlsident Putin die systematische Ausschal-tung der letzten unabhaumlngigen Medien in Russland die Kriminalisierung aller Formen politischer Opposition und die Diskreditierung unabhaumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen als raquoauslaumlndische Agentenlaquo Mittlerweile wurden 12 russische Nichtregierungsorganisationen vom russischen Justizministerium zwangsweise auf die Liste raquoauslaumlndischer Agentenlaquo gesetzt und sind daher zukuumlnftig verpflichtet sich bei jeder oumlffentlichen Aumluszligerung wahrheitswidrig selbst als solche zu bezichtigen Zehn dieser Organisationen spielen in der deutschrussischen zivilgesellschaftlichen Zusammen-arbeit seit Jahren eine wichtige Rolle einige von ihnen haben mehrfach am Petersburger Dialog teilgenommen Gegen einige von ihnen sind bereits existenzbedrohende Strafgelder wegen Verstoszliges gegen das sog Agentengesetz verhaumlngt

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worden Es drohen Organisationsschlieszligungen und die Kriminalisierung der Vorstaumlnde Unter diesen inneren und aumluszlige-ren Bedingungen koumlnnen wir uns nicht an einer Neuauflage des Petersburger Dialogs in der bisherigen Form beteiligen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerder seinerzeit von Bundeskanzler Schroumlder und Praumlsident Putin initiierte Petersburger Dialog konnte die ihm zuge-

dachte Aufgabe zu einer Vertiefung und Verbreiterung der gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland beizutragen auch in den vergangenen Jahren nur sehr bedingt erfuumlllen Dies lag vor allem an der starken Naumlhe des Fuumlhrungspersonals auf der russischen Seite zum politischen Machtzentrum im Kreml die von Beginn an den Eindruck einer raquovon obenlaquo inszenierten und kontrollierten Veranstaltung naumlhrte Doch auch auf deutscher Seite wird der Petersburger Dialog bis heute von Personen dominiert die aus politischer und oumlkonomischer Opportunitaumlt dazu neigen Kritik am Kurs der russischen Fuumlhrung als Stoumlrung der raquodeutsch-russischen Freundschaftlaquo zu betrachten Zeit-weise kam es zu der paradoxen Situation dass kritische Aumluszligerungen zu Menschenrechtsverletzungen in Russland oder zum Vorgehen des Kremls gegenuumlber Georgien aus den Reihen der deutschen Delegation als raquoKalte-Kriegs-Rhetoriklaquo verteufelt wurden Nuumlchtern betrachtet waren die kritischen Stimmen aus der russischen und deutschen Zivilgesell-schaft in den letzten Jahren nur eine geduldete Minderheit die dem Petersburger Dialog den Anschein von Pluralis-mus und offener Diskussion verschaffte Ungeachtet dieser Kritik haben wir uns in der Vergangenheit am Petersburger Dialog beteiligt da wir grundsaumltzlich jedes Dialogpotenzial nutzen wollen und uns von der gemeinsamen Beteiligung mit unseren Partnern aus der russischen Zivilgesellschaft eine politische Absicherung dieser Zusammenarbeit erhofften

Diese ohnehin schwachen Hoffnungen wurden durch die Entwicklungen in diesem Jahr zerstoumlrt Vertreter unab-haumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen die auf der russischen Seite zum Petersburger Dialog eingeladen wer-den sind angesichts der politischen und juristischen Bedrohung der sie ausgesetzt sind in ihrer Entscheidung uumlber ihre Teilnahme nicht mehr frei Wenn sie der Einladung nicht folgen muumlssen sie weitere Repressalien befuumlrchten Uns denen die Freiheit der Entscheidung gegeben ist ist es nicht moumlglich durch Teilnahme am Petersburger Dialog in Sot-schi an der Aufstellung einer Potemkinschen Fassade namens raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo mitzuwirken waumlhrend die kritischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Russland als raquoAgentenlaquo diskreditiert und vielfach drangsaliert werden

Zugleich moumlchten wir unsere Bereitschaft unterstreichen an einer Reform des Petersburger Dialogs in organisa-torischer inhaltlicher und personeller Hinsicht mitzuwirken Eine solche Reform sollte darauf ausgerichtet sein uumlber die Auswahl der Formate Themen und Teilnehmer die tatsaumlchliche Lage der russischen Zivilgesellschaft in den Mit-telpunkt der Diskussion zu ruumlcken und einen offenen Dialog zu ermoumlglichen Wir sind ganz damit einverstanden dass gerade in kritischen Zeiten die Zusammenarbeit zwischen der russischen und deutschen Zivilgesellschaft gestaumlrkt wer-den muss Sofern der Petersburger Dialog in Zukunft dafuumlr ein Forum bietet werden wir uns gern daran beteiligen[Unterzeichner nicht veroumlffentlicht]Quelle Website der Boumlll-Stiftung lthttpwwwboelldede20141013reform-petersburger-dialog-ueberfaelliggt

offener Brief an den Vorsitzenden des Petersburger Dialogs lothar de maiziegravere vom 10 oktober 2014

- Offener Brief -HerrnDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des VorstandsPetersburger Dialog eVSchillerstraszlige 5910627 Berlin

Berlin 10 Oktober 2014Petersburger Dialog 2014 in SotschiSehr geehrter Herr de Maiziegravereals Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher zivilgesellschaftlicher Organisationen die seit der Gruumlndung des Petersburger Dialogs 2001 uumlber viele Jahre hinweg an dieser Veranstaltung teilgenommen haben moumlchten wir Ihnen gegenuumlber folgende Erklaumlrung abgeben

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 32

Wir haben uns entschieden am 14 Petersburger Dialog in Sotschi nicht teilzunehmen der fuumlr den 29ndash31 Okto-ber angekuumlndigt worden ist Fuumlr diese Entscheidung die wir sorgfaumlltig diskutiert und abgewogen haben moumlchten wir drei Gruumlnde anfuumlhren1 Der Petersburger Dialog in seiner jetzigen Form steckt in einer Krise Von Jahr zu Jahr wird er seinem eigenem

Anspruch weniger gerecht Die Veranstaltung soll dem zivilgesellschaftlichen Dialog dienen Tatsaumlchlich sind Struktur Nominierungsverfahren und Programm des Petersburger Dialogs maszliggeblich von Akteuren aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert Unter diesen Voraussetzungen erfuumlllt der Petersburger Dialog leider nicht sein in seiner Satzung formuliertes Ziel ein raquooffenes Diskussionsforumlaquo zu sein das die raquoVerstaumlndigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Laumlnderlaquo foumlrdert Der Petersburger Dialog bedarf dringend einer grundlegenden Reform wie sie auch CDUCSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 eingefordert haben Gerne wuumlrden wir uns aktiv an einem Prozess zur Reformierung des Petersburger Dialogs beteiligen der auf eine pluralistische Zusam-mensetzung beider Lenkungsausschuumlsse und eine deutlich staumlrkere Ausrichtung auf unabhaumlngige zivilgesellschaft-liche Akteure zielt ohne den interdisziplinaumlren Ansatz der Veranstaltung aufzugeben

2 Die Situation in der sich Teile der Zivilgesellschaft in Russland befinden erfuumlllt uns mit groszliger Sorge Das betrifft auch Partnerorganisationen und Personen mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten Diese Organisa-tionen uumlben fuumlr Russland und daruumlber hinaus wichtige gesellschaftliche Funktionen aus Die Behinderung ihrer Arbeit durch buumlrokratische Huumlrden aber auch durch willkuumlrliche rechtliche Restriktionen und politische Diffa-mierung sind inakzeptabel Daruumlber koumlnnen wir nicht zur Tagesordnung uumlbergehen Wir wollen nicht zu Kron-zeugen fuumlr einen vorgeblich freien Austausch werden waumlhrend zugleich die kritische Zivilgesellschaft in Russland massiv und systematisch unter Druck gesetzt wird

3 In Teilen der Ukraine herrscht ein Kriegszustand fuumlr den die russische Fuumlhrung eine maszliggebliche Verantwor-tung traumlgt Wichtige Vertreter dieser Fuumlhrung spielen eine Schluumlsselrolle im Petersburger Dialog einschlieszliglich des fruumlheren Ersten Stellvertretenden Ministerpraumlsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden von Gazprom Wiktor Subkow der der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs ist Vor diesem Hin-tergrund moumlchten wir nicht durch unsere Teilnahme dazu beitragen dass eine Normalitaumlt in den deutsch-russi-schen Beziehungen simuliert wird die es derzeit wegen des Angriffs auf die politische Souveraumlnitaumlt und territo-riale Integritaumlt der Ukraine nicht geben kann

Wir waren und sind weiter sehr an einem offenen Dialog uumlber deutsch-russische Belange in einem gesamteuropaumli-schen Kontext interessiert und halten ihn fuumlr eine Bedingung guter Nachbarschaft und Kooperation Ein solcher Dia-log muss aber auch von beiden Seiten gewollt und ermoumlglicht werden Er darf zugleich nicht zum Nachteil Dritter gefuumlhrt werden Angesichts der aktuellen Lage und der bereits bekannt gewordenen Programmvorschlaumlge fuumlr Sotschi sehen wir auch diese Voraussetzung gefaumlhrdet

Dessen ungeachtet werden wir jede Moumlglichkeit nutzen unsere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Grup-pen und anderen Akteuren in Russland zu vertiefen und dieses Potential in einen bilateralen und europaumlischen Dia-log einzubringenMit freundlichen GruumlszligenRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter Politik Greenpeace eVQuelle lthttpwwwaustauschorgaktuelle-meldungennewsdetailarticle1offener-brie-1htmlno_cache=1ampcHash=0428c5bffdgt

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offener Brief des Vorsitzenden des Petersburger Dialogs vom 13 oktober 2014

AnRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich-Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace eVBerlin 13 Oktober 2014Ihr Schreiben vom 10 Oktober 2014Sehr geehrte Damen und HerrenIhren offenen Brief habe ich erhalten Dass Sie einen Brief aumlhnlichen Inhalts zunaumlchst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Auszligenminister verschickt haben verwundert mich Sie geben damit fuumlr die zivilgesell-schaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung die Sie fuumlr die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren

Ihre Nichtbeteiligung am Petersburger Dialog bedaure ich Denn es entspricht der Uumlberzeugung der meisten Mit-glieder des Vorstandes und des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs dass gerade angesichts zweifellos vorhan-dener Probleme fuumlr die Zivilgesellschaft die Sie teilweise benennen die offensive Auseinandersetzung zu solchen The-men gesucht werden muss Indem man sich solchen Gespraumlchen entzieht schadet man den Interessen der Betroffenen

Sie schreiben der Petersburger Dialog sei im Inneren zu reformieren da er von Vertretern aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert sei Diese Feststellung ist falsch und Sie wissen das Das auch in der Satzung des Petersbur-ger Dialogs beschriebene Konzept des Dialogs beruht auf einem breiten Gedankenaustausch aller gesellschaftlichen Kraumlfte Dazu gehoumlren die Bereiche Kultur Medien Bildung Wissenschaft und Kirchen genauso wie zahlreiche im Bereich der politischen sowie der sozialen Menschenrechte engagierte Einrichtungen die in ihrer Gesamtheit das deutsch-russische Verhaumlltnis beleben

Sie versuchen in Ihrem Brief den Petersburger Dialog auf das enge Feld einiger Vertreter der Zivilgesellschaft zu reduzieren die jenseits der korporierten Zivilgesellschaft angesiedelt sind und deren Interessenspektrum nur einen Teil des gesamten zivilgesellschaftlichen Engagements abdeckt

Ich verkenne nicht die ndash auch aber nicht nur ndash in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu Tage getretenen Probleme sowie die unterschiedlichen Folgen die sich aus einer raquogelenkten Demokratielaquo die in vielem nicht westli-chen Standards entspricht ergeben Dennoch Gemessen an weiten Bereichen der russischen Geschichte ist die Ent-wicklung seit 1991 ein Fortschritt Das daraus resultierende wenn auch im letzten Jahr stark eingetruumlbte Vertrauens-potential muss fuumlr die auf vielen Ebenen notwendigen Gespraumlchsforen genutzt und ausgebaut werden

Derartige Gespraumlche bedingen genauso Realismus wie intellektuelle Disziplin wozu auch gehoumlrt zu verstehen wie Russland die Probleme versteht Dies ndash und nicht Gespraumlchsverweigerung ndash ist die Voraussetzung um auf allen demokratischen gesellschaftlichen Ebenen ndash vom politischen Machtzentrum bis in die Randgruppen hinein ndash pro-blemorientierte Gespraumlche fuumlhren zu koumlnnen Dabei darf keine Seite fuumlr sich in Anspruch nehmen legitimere Inte-ressen zu vertreten als die andere

Das heiszligt Ein Gespraumlch raquoauf Augenhoumlhelaquo nicht von oben herab nicht moralisch belehrend aber mit klaren und ehrlichen Argumenten Dabei duumlrfen wir nicht verschweigen welche gesetzgeberischen aber auch politisch-morali-schen Standards wir fuumlr eine demokratische Gesellschaft im europaumlischen Kontext fuumlr unabdingbar halten

Der Petersburger Dialog wurde aus guten Gruumlnden als deutsch-russische Gemeinschaftseinrichtung konzipiert Da ist eine ndash oft muumlhsame ndash Kompromissfindung unausweichlich Dies ist Teil des Wertes auch der Tiefe aber auch der moralischen Qualitaumlt des Dialogs Das Ringen um kompromissfaumlhige Konzepte muss unser Anliegen bleiben nicht Vorverurteilung und GespraumlchsablehnungMit freundlichem GruszligDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des Vorstands Petersburger Dialog e VQuelle Website des Petersburger Dialogs lthttpwwwpetersburger-dialogcomoffener-brief-vom-13-oktober-2014gt

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offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

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9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

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14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 40

LESEhINwEIS

kostenlose e-mail-Dienste der forschungsstelle osteuropa und ihrer Partner auf wwwlaender-analysende

Die Laumlnder-Analysen bieten regelmaumlszligig kompetente Einschaumltzungen aktueller politischer wirtschaftlicher sozialer und kultureller Entwicklungen in Ostmitteleuropa und der GUS Sie machen das Wissen uumlber das die wissenschaft-liche Forschung in reichem Maszlige verfuumlgt fuumlr Politik Wirtschaft Medien und die interessierte Oumlffentlichkeit ver-fuumlgbar Autoren sind internationale Fachwissenschaftler und Experten

Die einzelnen Laumlnder-Analysen werden von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und der Deutschen Gesellschaft fuumlr Osteuropakunde jeweils mit unterschiedlichen Partnern und Sponsoren herausgegeben

Die Laumlnder-Analysen bieten regelmaumlszligig Kurzanalysen zu aktuellen Themen ergaumlnzt um Grafiken und Tabellen sowie Dokumentationen Zusaumltzlich gibt es eine Chronik aktueller Ereignisse

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Bibliographische Dienste Die Bibliographien informieren uumlber englisch- und deutschsprachige Neuerscheinungen zu Belarus Polen Russ-land Tschechischer und Slowakischer Republik Ukraine sowie zu den zentralasiatischen und kaukasischen Staaten Erfasst werden jeweils die Themenbereiche Politik Auszligenpolitik Wirtschaft und Soziales Erscheinungsweise viermal jaumlhrlichAbonnement unter fsopruni-bremende

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  • Analyse
    • Eine neue Phase der Russland- und Ostpolitik hat begonnen
      • Karsten D Voigt Berlin
      • Umfrage
        • Die Russland-Ukraine-Krise in russischen Umfragen
          • Aus russischen Blogs
            • Nawalnyj Krim nasch
              • Analyse
                • Zivilgesellschaft und Staat in Russland
                  • Pavel Chikov Moskau
                  • Analyse
                    • NGOs in Russland
                      • Jens Siegert Moskau
                      • Analyse
                        • Ein Kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen Engagements zur Unterstuumltzung und Integration von Migranten in Russland
                          • Marina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin
                          • Umfrage
                            • Uumlber die Zivilgesellschaft in Russland
                              • Dokumentation
                                • Luumlgen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des JustizministeriumsErklaumlrung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL
                                  • Notizen aus Moskau
                                    • Petersburger Dialog
                                      • Jens Siegert Moskau
                                      • Dokumentation
                                        • Briefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo
                                          • Chronik
                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 6: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 6

grafik 2 Aus welchen informationsquellen erfahren sie von den ereignissen in der Ukraine (frage an jene die die ereignisse in der Ukraine verfolgen ndash 89 Beliebige zahl an Antworten)

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90 815

387

151119

258

28 01

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 13ndash14 September 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 22 September 2014 unter lthttpfomruMir11731gt

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 13ndash14 September 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 22 September 2014 unter lthttpfomruMir11731gt

grafik 3 Berichten die russischen fernsehsender ihrer meinung nach objektiv uumlber die ereignisse in der Ukraine

0 20 40 60 80 100

InsgesamtFreunde etc in der Ukraine

Keine Freunde in der UkraineMann

Frau18-30 Jahre

31-45 Jahre45-60 Jahre

Uumlber 60 JahreMittelschule

Technikum u aumlHochschulbildung

Bis 4000 Rubel4001- 9000 Rubel

9001 ndash 20000 Rubel Mehr als 20000 Rubel

MoskauUumlber 1 Mio Einwohner

250000 ndash 1 Mio Einwohner50000 ndash 250000 Einwohner

Unter 50000 EinwohnernDorf

Taumlgliche Internetnutzer

Objektiv Keine Antwort Voreingenommen

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 7

grafik 4 Wird die Waffenruhe zu einem stabilen frieden fuumlhren

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 13ndash14 September 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 22 September 2014 unter lthttpfomruMir11731gt

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InsgesamtFreunde etc in der Ukraine

Keine Freunde in der UkraineMann

Frau18-30 Jahre

31-45 Jahre45-60 Jahre

Uumlber 60 JahreMittelschule

Technikum u aumlHochschulbildung

Bis 4000 Rubel4001- 9000 Rubel

9001 ndash 20000 Rubel Mehr als 20000 Rubel

MoskauUumlber 1 Mio Einwohner

250000 ndash 1 Mio Einwohner50000 ndash 250000 Einwohner

Unter 50000 EinwohnernDorf

Taumlgliche Internetnutzer

Die Waffenruhe fuumlhrt zu einem stabilen FriedenKeine AntwortDie Kampfhandlungen werden wieder aufgenommen

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 13ndash14 September 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 22 September 2014 unter lthttpfomruMir11731gt

grafik 5 Werden die republiken Donezk und lugansk am ende teil der Ukraine bleiben unabhaumlngige staa-ten werden oder teil russlands werden

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InsgesamtFreunde etc in der Ukraine

Keine Freunde in der UkraineMann

Frau18-30 Jahre

31-45 Jahre45-60 Jahre

Uumlber 60 JahreMittelschule

Technikum u aumlHochschulbildung

Bis 4000 Rubel4001- 9000 Rubel

9001 ndash 20000 Rubel Mehr als 20000 Rubel

MoskauUumlber 1 Mio Einwohner

250000 ndash 1 Mio Einwohner50000 ndash 250000 Einwohner

Unter 50000 EinwohnernDorf

Taumlgliche Internetnutzer

Teil der Ukraine bleiben Keine Antwort Anderes Unabhaumlngige Staaten werden Teil Russlands werden

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 8

Umfragen des lewada-zentrums

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 6 Welches sind die wesentliche kraumlfte auf seiten der kiewer seite bei den kaumlmpfen in den gebieten Donezk und lugansk

0 20 40 60 80 100

Jun2014

Sep2014

Regulaumlre Einheiten der ukrainischen ArmeeKeine AntwortBewaffnete Formationen ukrainischer Rechtsradikaler

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 7 Welches sind die wesentlichen kraumlfte bei den kaumlmpfen in den gebieten Donezk und lugansk auf der anderen seite [separatistenneurussland]

0 20 40 60 80 100

Jun 2014

Sep2014

Buumlrgerwehren der Staumldte in den Gebieten Donezk und LuganskKeine AntwortBewaffnete Einheiten prorussischer Radikaler die von Russland unterstuumltzt werden

grafik 8 Befinden sich gegenwaumlrtig in der Ukraine russische streitkraumlfte

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

Ja29

Nein48Keine Antwort

23

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 9

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 9 Wie stehen sie dazu dass in den reihen der Buumlrgerwehr der ostukraine russische freiwillige kaumlmpfen

0 20 40 60 80 100

1 Mai 2014

1 Juni 2014

19-22 Sept2014

26-29 Sept2014

Absolut positiv Eher positiv Keine Antwort Eher negativ Absolut negativ

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 10 Wie endet die gegenwaumlrtige Waffenruhe

Die Unterzeichnung eines Friedensabkommens und

dem Prozess einer friedlichen Regulierung

des Konfliktes27

Wiederaufnahme des bewaffneten Konflikts

46

Keine Antwort27

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 11 sollten im falle eines Wiederaufnahme der kampfhandlungen in der ostukraine russische truppen entsandt werden

Auf jeden Fall5

Eher ja16

Eher nein36

Auf keinen Fall27

Keine Antwort16

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 10

grafik 12 Unterstuumltzen sie die massenproteste (raquofriedensmaumlrschelaquo) gegen die russische einmischung in innere Angelegenheiten der Ukraine

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 September 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 25 September 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint25-09-2014marshi-miragt

0 20 40 60 80 100

Mrz2014

Sep2014

Auf jeden Fall Eher ja Keine Antwort Eher nein Auf keinen Fall

Die haltung gegenuumlber den fluumlchtlingen aus der Ukraine

Quelle Umfragen des WZIOM vom 20ndash21 September 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 26 September 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=114994gt

grafik 13 gibt es in ihrer stadt siedlung fluumlchtlinge aus der Ukraine

0 20 40 60 80 100

Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja viele ukrainische Fluumlchtlinge Ja wenige ukrainische Fluumlchtlinge Keine Antwort Nein keine ukrainischen Fluumlchtlinge

Quelle Umfragen des WZIOM vom 20ndash21 September 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 26 September 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=114994gt

grafik 14 leistet russland den ukrainischen fluumlchtlingen ausreichende hilfe

Russland leistet den Fluumlchtlingen

ausreichende Hilfe67

Russland leistet den Fluumlchtlingen zu geringe

Hilfe4

Russland leistet den Fluumlchtlingen zu viel Hilfe

24

Keine Antwort5

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 11

AUS RUSSISchEN BLOGS

nawalnyj krim nasch1

Seit Maumlrz 2014 steht Alexej Nawalnyj wegen des sogennanten raquoYves-Rocher-Fallslaquo unter Hausarrest Dem opposi-tionellen Politiker wurde per Gerichtsbeschluss verboten seine Wohnung zu verlassen sowie mit jeglichen Perso-

nen auszliger dem engen Familienkreis zu sprechen Interviews zu geben und das Internet zu nutzen Seitdem fuumlhrt das Team der raquoStiftung fuumlr die Korruptionsbekaumlmpfunglaquo (russ raquoFBKlaquo) seinen Blog und seine Frau seinen Twitter-Account Anfang Oktober milderte das Gericht des Moskauer Basmannyj-Rayons (Basmannyj-Gericht) uumlberraschenderweise die Bedingungen des Hausarrests in Bezug auf Kontakte mit der Auszligenwelt was nach mehreren Monaten Journalis-ten wieder einen Zugang zur Schluumlsselfigur der russischen Protestbewegung ermoumlglichte

Das Interview fuumlr Echo Moskwy vom 15 Oktober in dem Nawalnyj sich unzweideutig zur Annexion der Krim aumluszligerte erregte in Russland uumlberaus groszlige Aufmerksamkeit Wie im Nachhinein aus der Redaktion von Echo Moskwy verlautet wollte Michail Lesen Chef der Holding Gazprom-Media die zwei Drittel der Aktien des Radiosenders besitzt die Veroumlffentlichung dieses Interviews auf alle erdenkliche Weise verhindern er habe der stellvertretenden Chefre-dakteurin Olesja Rjabzewa per Telefon mit groszligen Problemen gedroht wie diese in ihrem Blog berichtet Das Inter-view schlug in der liberalen Oumlffentlichkeit wie eine Bombe ein da Nawalnyj die Ruumlckgabe der Krim an die Ukraine eindeutig ausschloss Auf die Frage des Chefredakteurs des Radiosenders Alexej Wenediktow raquoKrim naschlaquo (Ist die Krim unser) sagte der Oppositionelle Folgendes raquoIch finde dass obwohl die Krim unter eklatanten Verstoumlszligen gegen alle voumllkerrechtlichen Normen erobert wurde die Realien derart sind dass die Krim jetzt ein Teil der Russischen Foumlderation ist Machen wir uns doch nichts vor Den Ukrainern rate ich ebenfalls ausdruumlcklich sich nichts vorzu-machen Sie [die Krim Anm d Red] bleibt Teil Russlands und wird in absehbarer Zukunft kein Teil der Ukraine werdenlaquo Diese Aussage loumlste auf Twitter einen massiven raquoShitstormlaquo aus Kurz nach dem Interview schloss sich auch Michail Chodorkowskij der Position Nawalnyjs an und sagte raquoDie Krim gebe ich nicht zuruumlcklaquo (lthttpgraniruPol iticsRussiaPartiesm234009htmlgt) Im Zuge heftiger Debatten in den Blogs teilte sich die liberale Oumlffentlichkeit Russlands in Nawalnyj-Versteher und harsche Kritiker der Krim-Annexion es meldeten sich unter anderem zu Wort Grigorij Golosow Professor an der Europaumlischen Universitaumlt St Petersburg Sergey Davidis Buumlrgerrechtler und enger Verbuumlndeter Nawalnyjs in der Protestbewegung Alexander Osowzow Projektdirektor der Stiftung von Michail Cho-dorkowskij raquoOffenes Russlandlaquo Wladislaw Naganow Mitglied der Nawalnyj-Partei raquoPartei des Fortschrittslaquo der Jour-nalist und Publizist Alexander Sotnik der russischsprachige Kiewer Journalist Mustafa Nayyem und der Kriegskor-respondent Arkadij Babtschenko

eine situation ohne guten AuswegraquoNawalnyj stellt alles richtig dar zu vielen Fragen laumlsst sich derzeit kaum etwas Besseres sagen Er ist ein begabter Mensch ein geborener Politiker Das Schlimme ist dass Russland ihn unter Hausarrest haumllt Alle gehen ihn hier an mit der Krim Man muss aber dabei im Kopf behalten dass es Putin war der die ukrainischen Probleme fuumlr Russland geschaffen hat und Nawalnyj nach einem guten Ausweg aus einer schlechten Lage zu fragen ist nicht besonders fair Die Krim bedeutet eine Situation ohne guten Ausweg Fuumlr den Besitz der Krim werden wir ndash alle zusammen oder jeder einzelne aus eigener Tasche ein Vielfaches von dem zahlen muumlssen was es gekostet haumltte jeden Quadratmeter auf der Halbinsel zu kommerziellen Preisen als Eigentum zu erwerben und alle Bewohner die dann nicht bleiben wollen an die Cocircte drsquoAzur umzusiedeln Putin hat das Geschaumlft bereits abgeschlossen Selbst Nawalnyj kann es nicht stornierenlaquoGrigorij Golosow via Snobru 16102014 lthttpslonrurussiapochemu_navalnyy_prav-1172360xhtmlgt

raquoAlle haben sich auf nawalnyj gestuumlrzthelliplaquoraquoIch habe in seinen Worten keinen Imperialismus erkennen koumlnnen er stimmt der Besetzung und Annexion der Krim nicht zu weist im Gegenteil auf deren krasse Rechtswidrigkeit hin Er hat gesagt dass Krim jetzt de facto zu Russ-land gehoumlrt [hellip] Er sagt dass man sie nicht wie ein Butterbrot zuruumlckgeben kann dass das die Bevoumllkerung entschei-den sollte was gibt es da zu bestreiten Selbst bei der Annexion gab es ein Schein-Referendum Und wenn man nicht autoritaumlr und rechtswidrig vorgeht sondern fair und demokratisch wer anders als die Bevoumllkerung sollte dann ent-scheiden [hellip]

Was ich in der Aumluszligerungen Alexejs nicht gutheiszligen wuumlrde ist der Stil Man sollte jetzt auf Ratschlaumlge fuumlr die Ukrainer lieber verzichten insbesondere bei einer solchen Frage Man sollte nicht davon reden dass Krim rsaquoin absehba-

1 dt Die Krim ist unser

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 12

rer Zukunft kein Teil der Ukraine werdenlsaquo wird auch wenn es scheint als ob die Ergebnisse eines jeden Referendums vorhersehbar sind Schlieszliglich tragen wir alle selbst diejenigen die dagegen waren zu einem gewissen Grad eine Ver-antwortung bei der Aggression des Kreml gegen die Ukraine und trotz allem stehen wir in den Augen der Ukrainer vollkommen zurecht als Buumlrger eines Aggressorstaates da Etwas mehr Ruumlcksicht und Fairness waumlre nicht verkehrtlaquoSergej Davidis auf Facebook 15102014 lthttpswwwfacebookcomsergeidavidisposts800840943304969gt

raquoDer Drache gewinnt in jedem falllaquoraquoBezuumlglich der Krim bin ich mit Nawalnyj kategorisch nicht einverstanden und finde dass gerade Russland der Ukraine die annektierte Krim zuruumlckgeben sollte vor allem weil niemand auch kein Land ein normales Leben fuumlh-ren kann ohne zu versuchen die Folgen eines von ihm begangenen Verbrechens nach Moumlglichkeit zu korrigieren Das waumlre genauso als wenn Alexejs rsaquoLieblingsfigurenlsaquo ndash Timtschenko Jakunin die Rotenbergs usw ndash eines schoumlnen Tages sagen wuumlrden rsaquoWir klauen jetzt nicht mehr wir sind jetzt ehrliche Leute Aber was wir vorher zusammenge-klaut haben das gehoumlrt bereits uns und das behalten wirlsaquo Eine solche Idee wuumlrde Nawalnyj kaum zufriedenstellen

Die Diskussion um Nawalnyjs Position die jetzt stattfindet zeigt aber aus meiner Sicht sehr ernst zu nehmende moralische und ethische Probleme innerhalb eines Teils der russischer Opposition auf Die einen die gestern noch mit harten Worten die rsaquoKrimnaschistenlsaquo beschimpft haben und so schien es bereit waren rsaquoWatniki und Koloradylsaquo2 in Stuumlcke zu zerreiszligen sind nun durch der rsaquoHetze der liberalen Presse gegen Nawalnyjlsaquo empoumlrt [hellip]

Ich moumlchte denjenigen fuumlr die jedweder Meinungsunterschied zu Nawalnyj ein Anschlag auf das Allerheiligste ist Folgendes sagen Beruhigt euch versucht zu verstehen dass es dumm und aussichtslos fuumlr das Land waumlre rsaquoPuti-noidelsaquo durch rsaquoNawalnoidelsaquo auszutauschen So wie in dem alten vietnamesischen Maumlrchen uumlber den Drachen und das Schwert aus grauem Stahl Es gewinnt immer der DrachelaquoAlexander Osowzow auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcomosovtsovaaposts1568393260047754gt

raquoman darf sie nicht hin und her zuruumlckgebenlaquoraquoAlle die Nawalnyj fuumlr seine Worte rsaquoIst die Krim etwa ein Wurstbrot dass man es hin und her zuruumlckgeben koumlnntelsaquo kritisieren moumlchte ich fragen Wie stellt ihr das uumlberhaupt vor

Der Praumlsident Russlands unterschreibt einen Erlass uumlber die Ruumlckgabe der Krim und Sewastopols an die Ukraine Uumlber die Entziehung der russischen Staatsbuumlrgerschaft bei allen Bewohnern der Krim und Sewastopols Oder kann man den Menschen die russische Staatsbuumlrgerschaft belassen und nur das Territorium ndash mit ihnen ndash uumlbergeben Fragt irgendjemand die Menschen was sie wollen bevor man etwas mit ihnen macht Oder werden die Einwohner der Krim und Sewastopols nicht fuumlr Menschen gehalten sondern fuumlr Vieh fuumlr eine Schafherde die zwischen verschie-denen Staaten hin und her rsaquouumlbergebenlsaquo werden kann Der eine Praumlsident hatte Lust und nahm es sich der andere hat sich anders uumlberlegt und gibt es wieder zuruumlckt So etwa

Sollte man nicht doch besser die Menschen fragen Hat Nawalnyj das etwa nicht selbst gesagt als er von einem rsaquonormalenlsaquo Referendum auf der Krim sprach Ich verstehe unter einem rsaquonormalenlsaquo Referendum eines das nicht nur 15ndash20 Tage vorbereitet wird sondern mindestens drei Monate Und bei dem es keine Einschraumlnkungen fuumlr die Kam-pagne gibt Die Anhaumlnger einer Zugehoumlrigkeit der Krim und Sewastopols zur Ukraine wollen hierfuumlr agitieren mit Plakaten Flugblaumlttern Werbevideos ukrainischen Fahnen ndash bitte schoumln Ohne Einschraumlnkungen Und dass alle moumlg-lichen Wahlbeobachter zum Referendum kommen koumlnnen von der OSZE von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates von der GUS aus der Ukraine der EU und den USA von uumlberall her Und dass ein transparenter Ablauf der Stimmenzaumlhlung gewaumlhrleistet werde Und wenn jemand von den Wahlbeobachtern ein Nachzaumlhlen der Stimmen per Hand verlangt ndash bitte schoumln mehrmals so oft wie gewuumlnscht Und uumlberhaupt Lasst so viele Wahlbe-obachter in jedes Wahllokal wie dort Platz ist Und keinerlei bewaffnete Menschen mit Maschinenpistolen in kei-nem einzigen Wahllokal oder dessen UmgebunglaquoWladislaw Naganow auf Livejournal 16102014 lthttpnaganofflivejournalcom142862htmlgt

liebe raquonawalnistenlaquoraquoAlso Fuumlr die verehrten rsaquoNawalnistenlsaquo die sich wegen Alexej so aufregenhellip

2 raquoWatnikilaquo (Wattejacken) ndash abfaumlllige Bezeichnung fuumlr russische sbquoHurrapatriotenlsquo (ein raquoWatniklaquo ist eine Wattejacke die mit der Armee aber auch mit Straumlflingen assoziiert wird) raquoKoloradylaquo (von raquo koloradskij shuklaquo ndash Kartoffelkaumlfer) ndash abfaumlllige Bezeichnung fuumlr prorussische Akti-visten in der Ukraine (die Faumlrbung des Kaumlfers ist schwarz-gelb oder schwarz-orange gestreift aumlhnlich den Farben des St Georgs-Bandes das von prorussischen Kraumlften in der Ukraine und von politisch rechtsstehenden Russen als Abzeichen verwendet wird)

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 13

Ja eurer rsaquoFuumlhrerlsaquo ist Imperier Daraus hat er kein Geheimnis gemacht Er ist bei der Krim-Frage ein absoluter Putin Weil er wenn er einer anderen Ansicht waumlre Wenediktow Folgendes gefragt haumltte rsaquoVon welcher Krim reden Sie denn Von der die zur Ukraine gehoumlrt womit Russland einverstanden war als es das Budapester Abkommen unterschrieben hat Sie fragen mich uumlber die territoriale Integritaumlt eines Staates dem Russland Garantien gegeben hat wonach die Ukraine zum atomwaffenfreien Land geworden ist Haumltte Russland seinerzeit diese Garantien nicht gegeben haumltte die Ukraine jetzt Atomraketen und wir wuumlrden es niemals riskieren uns dort einzumischenhellip Sie fragen also nach Quatsch und zwar provokantem Quatschlsaquo

Wenn er also auf diese Weise geantwortet haumltte dann ja Dann waumlre er als Politiker geboren worden Er hat sich aber ausgenullt Wie seinerzeit Udalzow

Und noch etwa Verehrte rsaquoNawalnistenlsaquo houmlrt auf euch Goumltzen zu schaffen Viele von euch waren auf dem rsaquoFrie-densmarschlsaquo zur Unterstuumltzung der territorialen Integritaumlt der Ukraine Verliert das Gesicht nicht Trefft eine Wahl ohne Bindung des Herzens Und all die Argumente rsaquoer habe es nicht so gesagt er habe etwas anderes gemeintlsaquo das ist im Stil von rsaquoPutinistenlsaquo und zwar rsaquoUnser Fuumlhrer hat alle ausgetrickst Das eine gesagt was anderes getan Sie haben seinen Weisheiten schlecht zugehoumlrtlsaquohellip

Seid keine Kinder Werdet erwachsenlaquoAlexander Sotnik auf Facebook 15102014 lthttpswwwfacebookcomsashasotnikposts646414272138108gt

raquorandfigur russischer PolitiklaquoDa Alexej Nawalnyj recht offen seine Meinung zur Krim geaumluszligert hat [hellip] waumlre es auch fuumlr den Oppositionellen selbst sinnvoll das Geheimnis uumlber seine Lage zu luumlften Ich finde dass abgesehen davon dass die Rechte von Ale-xej Nawalnyj lange Jahre verletzt wurden und er nach himmelschreiender Verletzung aller Gesetzesnormen der Rus-sischen Foumlderation verurteilt wurde die Realitaumlt so aussieht dass Herr Nawalnyj eine Randfigur der russischen Poli-tik ist Ich rate ihm und seinen Anhaumlngern eindringlich sich nichts vorzumachen ndash sie haben in absehbarer Zukunft keine Chance bedeutende Figuren in der groszligen Politik zu werden Das waumlre ebenfalls ehrlichMustafa Nayyem auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcomMustafanayyemposts10203171638717866gt

raquoWas wollen sie Pardon zuruumlckgebenlaquoraquoWas fuumlr spannende Eskapaden nun zu dieser Krimhellip rsaquoDie Krim ist kein Wurstbrotlsaquo meint Nawalnyj rsaquoWenn ich Prauml-sident werde gebe ich Krim nicht zuruumlcklsaquo schreibt Michail Chodorkowskij auf Twitter [hellip]

Russland hat einen Teil eines souveraumlnen Staates okkupiert Diese Okkupation ist von keinem anderen Staat in der Weltgemeinschaft anerkannt worden In der ganzen Welt hat sich die ukrainische Grenze nicht um einen Zen-timeter veraumlndert Die Welt kennt keinen anderen Staat rsaquoUkrainelsaquo auszliger diesen ndash mit der Krim Die Welt kennt kei-nen anderen Staat rsaquoRusslandlsaquo auszliger diesen ndash ohne die Krim Es hat keine Vertraumlge zur Anerkennung und Bestaumltigung neuer Grenzen gegeben

Was also wollen Sie Verzeihen Sie die Frage rsaquozuruumlckgebenlsaquo [hellip]Und zweitens Das wichtigsteWenn du Praumlsident wirst ndash eben Praumlsident ndash waumlre in diesem Koordinatensystem schon eine solche Fragestellung

rsaquoabgeben oder nichtlsaquo per definitionem undenkbar Denn der Praumlsident ist ein gewaumlhltes Amt Ein Amt das im Rah-men fairer und freier Wahlen besetzt wird die in einem demokratischen Land nach internationalen Regeln Konven-tionen Rechten und Gesetzen die durch die Weltgemeinschaft als korrekt anerkannt werden [hellip] In dieser Situa-tion wuumlrde sich die Frage rsaquozuruumlckgeben oder besser nochmal uumlberlegenlsaquo a priori nicht stellen Weil nicht du es bist der uumlber zuruumlckgeben oder nicht entscheidet Du bist kein Lenker des Schicksals von Staaten Laumlndern und Voumllkern Du bist bloszlig Garant der Ausfuumlhrung von Gesetzen Einschlieszliglich internationaler Gesetze Fuumlr alle die daruumlber anders dachten ist die Moumlglichkeit geschaffen worden uumlber ihre Fehler nachzudenken ndash in den schoumlnen Staumldten Nuumlrnberg und Den HaaglaquoArkadij Babtschenko auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcombabchenkoaposts555934824506755fref=nfgt

Ausgewaumlhlt und zusammengefasst von Sergey Medvedev Berlin (Die Blogs auf die verwiesen wird sind in russischer Sprache verfasst)

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ANALYSE

zivilgesellschaft und staat in russlandPavel Chikov Moskau

zusammenfassungDie Zivilgesellschaft befindet sich heute in Russland in einem schlechten Zustand Sie entwickelte sich Ende der 1980er Jahre und genoss bis Ende der 1990er Jahre weitgehende Freiheiten 1999 gab es erste staatliche Eingriffe und 2004 kennzeichnete Praumlsident Putin aus dem Ausland finanzierte NGOs direkt als raquoFeindelaquo In den folgenden Jahren wurde die Gesetzgebung verschaumlrft die Registrierung von NGOs erschwert den-noch gab es bis zur Ruumlckkehr Putins in das Praumlsidentenamt im Jahre 2012 kein ernstliches Vorgehen der Behoumlrden gegen die NGOler Mit der ultrakonservativen Wende des Jahres 2012 begann der Staat auch verstaumlrkt gegen die NGOs vorzugehen Heute auch nach den Ereignissen in der Ukraine ist weithin klar geworden dass Wladimir Putin bei seiner Orientierung auf einen extremen Konservatismus auch vor Re-pressionen gegen Nichtregierungsorganisationen nicht zuruumlckscheut

Die entstehung der zivilgesellschaft ende der 1980er JahreDer Zustand der Zivilgesellschaft in Russland laumlsst sich heute mit nur einem Wort charakterisieren schlecht Mehr noch Er ist schlechter denn je in der neuesten Geschichte Russlands wenn man davon ausgeht dass es zu sowjetischer Zeit keine nennenswerte Zivilgesell-schaft gegeben hat Die vereinzelten sowjetischen Buumlr-gerrechts- und Dissidentengruppen deren Mitglieder von den Geheimdiensten aufs engste uumlberwacht wurden lassen sich naumlmlich nur mit groumlszligter Muumlhe als Zivilge-sellschaft bezeichnen

Eine legale Existenz vom Staat unabhaumlngiger Nicht-regierungsorganisationen begann in Russland ungefaumlhr in jener Zeit als West- und Ostdeutschland wiederver-eint wurden Ende der 1980er und in der ersten Haumllfte der 1990er Jahre wurden zum einen die bereits erwaumlhn-ten sowjetischen Dissidentengruppen dann aber auch jene Initiativgruppen die auf der Welle der Perestroika unter Gorbatschow entstanden waren und nun als Orga-nisationen auftraten zur Basis der kuumlnftigen Zivilgesell-schaft Diese Gruppen erreichten dass Kuibyschew in Samara und Gorkij in Nishnij Nowgorod umbenennt wurde und sie beteiligten sich engagiert an den Wahlen der Volksdeputierten beseitigten verschiedenste Relikte der sowjetischen Vergangenheit wurden zu Meinungs-fuumlhrern der Gesellschaft organisierten erstmals recht-liche Hilfe fuumlr die schwaumlchsten Bevoumllkerungsgruppen

Die ersten Gesetze die die Taumltigkeit von NGOs sys-tematisch regulierten entstanden in den Jahren 1995 und 1996 Sie wurden auf der Houmlhe der allgemeinen Demokratisierung verabschiedet schrieben die grundle-genden buumlrgerlichen Freiheiten fest sahen eine Registrie-rung per Anmeldung keinerlei Rechenschaftspflichten sowie die Moumlglichkeit vor ohne Registrierung als juristi-sche Person taumltig sein zu koumlnnen Hierbei konnten rund zwei Dutzend verschiedener Rechtsformen genutzt wer-den Eine gesellschaftliche Organisation (NGO) regis-

trieren zu lassen bedeutete keine Muumlhe und die staat-lichen Gebuumlhren hierfuumlr waren minimal Gleichzeitig gab es jedoch keinerlei System fuumlr eine finanzielle Foumlrde-rung von nichtkommerziellen Organisationen (NGOs) durch den Staat

erste eingriffe des staatesDie ersten Zeichen die von kuumlnftigen Problemen fuumlr NGOs kuumlndeten erfolgten im Jahr 1999 als das Justiz-ministerium eine Neuregistrierung aller aktiven nicht-kommerziellen Organisationen (NGOs) verlangte Damals sahen sich einige Menschenrechtsorganisatio-nen erstaunlichen Beanstandungen durch die Behoumlrden gegenuumlber Wie sich herausstellte sollte es nicht moumlg-lich sein den Schutz der Menschenrechte und buumlrgerli-chen Freiheiten zu den satzungsgemaumlszligen Zielen zu zaumlh-len Die Fachleute des Justizministeriums behaupteten Da der Schutz der Menschenrechte gemaumlszlig der Verfas-sung die Pflicht des Staates ist koumlnnten NGOs diesen darin allenfalls sbquounterstuumltzenlsquo Das ist die Erklaumlrung dafuumlr dass die meisten Moskauer Organisationen bei ihren Namen und in ihren Satzungen bis heute diese Formulierung verwenden die offensichtlich eine klare paternalistische Botschaft an die Gesellschaft darstellt Zivilgesellschaftliche Organisationen koumlnnen ndash so die Haltung der russischen Regierung seit 1999 und bis jetzt ndash nichts selber machen Sie koumlnnen lediglich den Staat unterstuumltzen Folglich stoszligen NGOs wenn sie sich gegen die Politik des Staates wenden auf unweiger-lichen vaumlterlichen Zorn Die 15 Jahre nach 1999 illus-trieren diese Haltung sehr deutlich

nichtregierungsorganisationen als raquofeindelaquo2004 hat Praumlsident Putin in seiner jaumlhrlichen Parla-mentsansprache Nichtregierungsorganisationen die auch nur irgendwelche Gelder aus dem Ausland erhalten direkt seine Feinde genannt 200405 wurde eine spe-zielle staatliche Struktur der raquoFoumlderale Dienst fuumlr Regis-

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trierunglaquo (raquoRosregistrazijalaquo) geschaffen ndash eine Polizei fuumlr NGOs Es wurden fuumlr NGOs Rechenschaftspflich-ten uumlber ihre Taumltigkeit eingefuumlhrt die fuumlr zwei Drit-tel der Organisationen nicht zu stemmen waren Von 2006 bis 2008 hat diese dem Justizministerium nach-geordnete Behoumlrde die Aufloumlsung Zehntausender zivil-gesellschaftlicher Organisationen per Gerichtsbeschluss erwirkt Weitere 50000 erhielten Verwarnungen Ins-gesamt befanden sich beim Amtsantritt des Zwischen-praumlsidenten Medwedew achtzig Prozent der in Russland existierenden Organisationen (ungefaumlhr 150ndash180000) nur einen Schritt von ihrer moumlglichen Aufloumlsung (aus formalen Gruumlnden) durch das Justizministerium ent-fernt Staatsfreundliche Strukturen (wie etwa die Gesell-schaftskammer) haben beharrlich die Vorstellung trans-portiert dass es in Russland tatsaumlchlich nicht mehr als 30000 gesellschaftliche Organisationen (NGOs) gebe Das Anhalten der repressiven Maschine gegen NGOs war eine der wenigen liberalen Zugestaumlndnisse Dmitrij Medwedews als Praumlsident raquoRosregistrazijalaquo wurde 2008 selbst aufgeloumlst und seine Funktionen zur Kontrolle der Nichtregistrierungsorganisationen direkt dem Justiz-ministerium uumlbertragen Viele ehemalige Mitarbeiter von raquoRosregistrazijalaquo einschlieszliglich des Behoumlrdenlei-ters wechselten zur Staatsanwaltschaft

2009 und 2010 ritten die Behoumlrden nur vereinzelte Angriffe auf Nichtregistrierungsorganisationen Ein besonders bekannter Fall war die blitzartige staatsan-waltschaftliche Uumlberpruumlfung von 40 Menschenrechtsor-ganisationen im September 2010 die auf Anweisung der Praumlsidialadministration erfolgte diese wollte vor dem Treffen der Leiter der Kommission von Wladislaw Sur-kow und Michael MacFaul kompromittierende Mate-rialien uumlber aus dem Ausland finanzierte Organisatio-nen praumlsentieren Insgesamt aber hat bis zur Ruumlckkehr Putins in das Praumlsidentenamt kein ernstliches Vorgehen der Behoumlrden gegen die NGOler gegeben

Die situation der zivilgesellschaft nach dem mai 2012Die Situation aumlnderte sich grundlegend im Mai 2012 nach der dritten Inauguration Putins die von Mas-senprotesten auf dem Bolotnaja-Platz begleitet wurde denen die bis heute andauernden sogenannten Bolot-naja-Verfahren folgten naumlmlich die strafrechtliche Ver-folgung und Verurteilung zu Gefaumlngnisstrafen von Teil-nehmern der regierungskritischen Demonstration vom 6 Mai 2012 Die Praumlsidialadministration wappnete sich mit der ultrakonservativen Politik einer demonstrativen Absage an liberale Werte fuumlr den Praumlsidenten wurde das Image eines Verteidigers traditioneller Werte aufgebaut die den Menschenrechten und buumlrgerlichen Freiheiten gegenuumlbergestellt werden

Die weitgehenden Beschraumlnkungen der Versamm-lungsfreiheit die Verfolgung von Schwulen und Les-ben die Angriffe auf die Redefreiheit im Internet die Herstellung staatlicher Kontrolle uumlber die Medien die Diskreditierung des Instituts der Wahlen wurden durch eine Kampagne zur Verfolgung von Nichtregierungsor-ganisation ergaumlnzt Diese Welle wurde unter der Losung losgetreten dem Einfluss aus dem Ausland entgegenzu-wirken Sie erfolgte durch Aumlnderungen im Gesetz uumlber nichtkommerzielle Organisationen (NGOs) das Aumlnde-rungsgesetz wurde als raquoGesetz uumlber auslaumlndische Agen-tenlaquo bekannt Praumlsident Putin persoumlnlich ist bekann-termaszligen dessen geistiger Vater Im Verlauf des Jahres 2013 organisierte die Staatsanwaltschaft die vom Jus-tizministerium die Funktion der Kontrolle uumlber Nicht-regierungsorganisationen uumlbernommen hatte die Uumlber-pruumlfung von rund tausend NGOs und lieszlig sich dabei lediglich von einem Kriterium leiten naumlmlich der Frage ob eine Organisation in irgend einer Art Gelder aus irgendeiner Art auslaumlndischer Quelle erhaumllt die Ver-einten Nationen den Europarat und private Nichtre-gierungsstrukturen eingeschlossen Auch eine Reihe deutscher Stiftungen und Organisationen waren Atta-cken ausgesetzt naumlmlich die Friedrich-Ebert-Stiftung die Konrad-Adenauer-Stiftung und der Deutsch-Rus-sische Austausch

Ziel der von Generalstaatsanwalt Jurij Tschajka ini-tiierten Kampagne war es moumlglichst viele Organisa-tionen dazu zu noumltigen sich als auslaumlndischer Agent registrieren zu lassen Die Reaktion der russischen Zivil-gesellschaft laumlsst sich wohl als deutlichsten Beweis ihrer Existenz bezeichnen Nach dieser halbjaumlhrigen Kam-pagne in allen Regionen des Landes hatte sich keine einzige Organisation im Verzeichnis der raquoauslaumlndi-schen Agentenlaquo registrieren lassen Die Zivilgesellschaft hatte ndash ohne sich zu verabreden ndash die Anwendung die-ses Gesetzes sabotiert und Dutzende Organisationen zogen mit Beschwerden gegen das Vorgehen der Staats-anwaumllte vor Gericht Diese ewig langen Gerichtspro-zesse dauern bis heute an Involviert sind mittlerweile auch das Oberste Gericht das Verfassungsgericht der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte die Vene-dig-Kommission des Europarates der Menschenrechts-kommissar des Europarates und die Regierungschefs aller groszligen westlichen Staaten

Heute nach den diesjaumlhrigen Ereignissen in der Ukraine ist weithin klar gewonnen dass Wladimir Putin bei seiner Hingabe an extremen Konservatismus und bei seiner Attacke gegen liberale Werte die die Grundlage der Nachkriegsordnung dargestellt haben bei Repressionen gegen Nichtregierungsorganisationen nicht halt macht Heute in einer Situation da von jenem Moment wo im Kopf des Praumlsidenten oder von irgend

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jemandem in dessen engster Umgebung die naumlchste Idee zur Beschraumlnkung der Menschenrechte entsteht bis zur Verabschiedung und dem Inkrafttreten eines entsprechenden Foumlderalen Gesetzes nur eine Woche vergehen kann koumlnnen jene die Menschenrechtsar-

beit machen solche Schritte der Regierung weder aus-zuschlieszligen noch sie vorhersehen Es bleibt einem nur auf wirklich alle Szenarien gefasst zu sein auch auf die schlimmsten

Uumlbersetzung Hartmut Schroumlder

Uumlber den AutorPawel Chikow Vorsitzender der Interregionalen Assoziation der Buumlrgerrechtsorganisationen raquoAGORAlaquo Mitglied des Rats fuumlr die Entwicklung der Zivilgesellschaft und fuumlr Menschenrechte beim Praumlsidenten der Russischen Foumlderation

ANALYSE

ngos in russlandJens Siegert Moskau

zusammenfassungUnabhaumlngige russische NGOs sind seit Praumlsident Putins Amtsantritt Ziel staatlichen Drucks Die Auseinan-dersetzung mit diesem Druck hat bei den NGOs zu einer schrittweisen und beindruckenden Professionali-sierung beigetragen die wiederum geholfen hat trotz dieses Drucks nicht nur zu uumlberleben sondern auch ihre Arbeit weiter machen zu koumlnnen Das vor knapp zwei Jahren in Kraft getretene sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo stellt die NGOs vor eine neue harte Probe Zudem versucht der Staat erneut NGOs auch institutionell in raquogutelaquo und raquoboumlselaquo einzuteilen Dieser neue Versuch NGOs unter direkte staatliche Kontrol-le zu bringen gefaumlhrdet die Existenz unabhaumlngiger und staatskritischer NGOs in Russland

Putin und die ngosSeit Wladimir Putin vor nun schon fast 15 Jahren rus-sischer Praumlsident wurde versucht er sehr erfolgreich alle autonomen politischen Subjekte in Russland der direkten Kontrolle des Staates besser noch des Kremls zu unterwerfen In Wirtschaft und Politik ist das wei-testgehend gelungen Bei den Massenmedien sehr weit-gehend Blieben und bleiben die NGOs Sie haben sich als am widerstaumlndigsten erwiesen Das hat unterschied-liche Gruumlnde

Erstens galten NGOs im Kreml lange nicht als son-derlich gefaumlhrliche politische Bedrohung Das aumlnderte sich kurzzeitig 20042005 als der Kreml vor allem bei der sogenannten Orangenen Revolution in der Ukraine aus dem Ausland finanzierte NGOs als wichtige trei-bende Kraft der politischen Veraumlnderungen betrachtete Doch hielt diese seinerzeit stark uumlbertriebene Angst vor der Moumlglichkeit aumlhnlich raquoumstuumlrzlerischer Machen-schaftenlaquo in Russland nur recht kurz an Danach etwa ab Ende 2006 und bis zur Protestwelle gegen Wahlfaumll-schungen und die Wiederwahl von Wladimir Putin zum russischen Praumlsidenten im Winter 20112012 periodisch blieben die Aufmerksamkeit den NGOs gegenuumlber und das Verhaumlltnis zwischen Staat und NGOs ambivalent

Dieses Verhaumlltnis schwankt seit Putins Machtan-tritt zwischen dem Misstrauen des Staates allen auto-nomen potentiell eigenstaumlndigen politischen Subjekten gegenuumlber (die aus seiner Sicht streng kontrolliert gehouml-ren) und der Erkenntnis dass NGOs eine ganze Reihe wichtiger sozialer und politischer Funktionen ausfuumll-len die der Staat nicht oder nicht mehr zu gewaumlhrleis-ten in der Lage ist Auszligerdem erwiesen sich die NGOs nach weitgehender Abschaffung der Pressefreiheit und Gleichschaltung der (ohnehin schwachen und in vielen Bereichen dysfunktionalen) politischen Parteien fuumlr den Kreml als nuumltzlicher ja mitunter notwendiger Kommu-nikationskanal in die Gesellschaft

Die Uumlberlebensfaumlhigkeit der russischen ngosDas Uumlberleben unabhaumlngiger NGOs wurde bis heute auszligerdem durch ihre groszlige politische und institutio-nelle Lernfaumlhigkeit gewaumlhrleistet Unter dem staatli-chen Druck der vergangenen 15 Jahre ist die NGO-Arbeit in Russland in fast allen Bereichen professioneller geworden Das gilt insbesondere fuumlr die Einhaltung der in vielem widerspruumlchlichen oft geaumlnderten und uumlber Verwaltungsakte zu wahren buumlrokratischen Monstern

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aufgeblaumlhten die NGOs betreffenden Gesetze Kurz gesagt Vor allem Juristen Buchhalter Geschaumlftsfuumlh-rer die NGOs beraten oder in ihnen arbeiten aber auch viele Aktivisten sind schlicht besser schneller und pro-fessioneller als die staatliche Finanz- Justiz- oder sons-tige Verwaltung Einem in vielem legalistischen Staat gegenuumlber kostet diese staumlndige Professionalisierung (auch im Sinn einer Art raquolebenslangen Lernenslaquo) zwar viel Kraft und es muumlssen dafuumlr nicht geringe Ressour-cen eingesetzt werden aber sie verschafft solange es sich nicht um frontale Angriffe handelt immer wieder Raum und Zeit zum Weitermachen

Damit komme ich zum dritten Grund fuumlr die beson-dere Widerstaumlndigkeit von NGOs in Russland Es ist fuumlr einen Staat (und seine Staatsmaumlnner und -frauen) fuumlr den der Eigensinn der Menschen nur schwer vorstell-bar ist und der vom eigenen Zynismus geleitet hin-ter jedem und allem irgendwelchen raquofremden Maumlchtelaquo Verschwoumlrungen und politischen Utilitarismus vermutet ganz offenbar schwer vorstellbar dass zivilgesellschaftli-ches Engagement sozusagen aus sich selbst heraus oder aus einer bestimmten Situation oder einem bestimmten Ereignis einem Erlebnis oder einer Erfahrung heraus entsteht Administrative auch strafrechtliche Maszlig-nahmen gegen dieses Engagement laufen eben deshalb immer wieder zwar nicht voumlllig ins Leere (sie erschwe-ren dieses Engagement mitunter enorm) aber sie koumln-nen es nicht verhindern Es verlagert sich immer wieder und findet immer neue Formen und Foren

Die Verstaumlrkung der staatlichen kontrolleBis heute gab es unter Putin drei groumlszligere Versuche unab-haumlngige NGOs unter mehr oder weniger direkte staatli-che Kontrolle zu bringen und diejenigen die sich dagegen wehrten entweder zu marginalisieren oder auch zu schlie-szligen Der erste im Jahr 2001 endete mit einem oben schon angedeuteten Kompromiss der das Verhaumlltnis Kreml-NGOs in einem (allerdings jederzeit prekaumlren) Gleich-gewicht zwischen Konfrontation und Kooperation hielt

Der zweite Versuch endete in der Verabschiedung des raquoNGO-Gesetzeslaquo Ende 2005Anfang 2006 das den NGOs weitergehende Berichtspflichten auferlegte in der Praxis also Ressourcen band und bindet aber ebenfalls in der Praxis und entgegen anderslautenden Befuumlrchtungen nicht zu wesentlichen Einschraumlnkun-gen in der Arbeit russische NGOs fuumlhrte Die groumlszligte negative Wirkung dieses Versuches duumlrfte von zahlrei-chen oumlffentlichen Aumluszligerungen hochgestellter Politiker bis hin zu Putin ausgegangen sein NGOs seien raquoFeindelaquo raquoSchakale die um auslaumlndische Vertretungen streunenlaquo Dadurch wurde die Einstellung von Teilen der Gesell-schaft vor allem aber von weiten Teilen der Verwaltung zu NGOs grundsaumltzlich negativ gepraumlgt

Der dritte Versuch begann als Teil der staatlichen Reaktionen auf den Protestwinter 20112012 und haumllt bis heute an Sein wichtigster Bestandteil ist das soge-nannte raquoNGO-Agentengesetzlaquo das eigentlich kein eigenes Gesetz ist sondern aus einer Reihe dem NGO-Gesetz neu hinzugefuumlgter oder geaumlnderter Paragraphen besteht Diese Vorschriften verpflichten NGOs die raquosich politisch betaumltigenlaquo und Geld oder andere Zuwendun-gen aus dem Ausland erhalten sich beim Justizminis-terium als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren zu lassen Danach muumlssen sie jede oumlffentliche Aumluszligerung mit dem Zusatz raquoauslaumlndischer Agentlaquo versehen

Die Durchsetzung des AgentengesetzesTrotz erheblichen staatlichen raquoPressingslaquo der raquoUumlber-pruumlfunglaquo von mehr als 700 NGOs in ganz Russland durch Staatsanwaltschaft Justizministerium Finanz-amt und eine Reihe anderer Behoumlrden ab dem Fruumlhjahr 2013 hatte sich im Fruumlhjahr 2014 erst eine NGO als raquoauslaumlndischer Agentlaquo im entsprechenden Register des Justizministeriums eintragen lassen (lthttpunromin justruNKOForeignAgentaspxgt) Alle anderen selbst diejenigen NGOs die von den Behoumlrden als raquoAgentenlaquo eingestuft und teilweise mit empfindlichen Geldstra-fen belegt worden waren weigerten sich und weigern sich bis heute Viele NGOs klagten und klagen sowohl gegen das Gesetz als auch gegen die raquoUumlberpruumlfungenlaquo und die aus ihnen von den Justizbehoumlrden abgeleite-ten Bescheide und Anweisungen vor russischen Gerich-ten aber auch vor dem Europaumlischen Gerichtshof fuumlr Menschenrechte (EGMR) Eine Entscheidung des rus-sischen Verfassungsgerichts hat die raquoAgentenparagra-phenlaquo fuumlr verfassungskonform erklaumlrt wenn auch einige Einzelbestimmungen darunter die zu Mindeststrafen aufgehoben

Im Juni 2014 beschloss die Staatsduma eine Verschaumlr-fung der raquoAgentenlaquo-Paragraphen des NGO-Gesetzes Seither hat das Justizministerium das Recht NGOs auch ohne deren Zustimmung in das raquoAgentenlaquo-Register ein-zutragen Bis heute (21102014) hat es 15 NGOs getrof-fen Es ist damit zu rechnen das weitere folgen werden Justizminister Jurij Tschajka hat bereits 2013 im Foumlde-rationsrat von 24 NGOs gesprochen die nach Ansicht des Ministeriums raquoAgentenlaquo seien Auszligerdem wurden 2013 und 2014 mehr als 40 NGOs von der Staatsanwalt-schaft aufgefordert sich vorsorglich als raquoAgentenlaquo regis-trieren zu lassen da sie Geld aus dem Ausland bekaumlmen und Gefahr liefen sich raquopolitisch zu betaumltigenlaquo

Die reaktionen der ngos auf das AgentengesetzDie praktischen Reaktionen der NGOs auf diesen staat-lichen Druck sind unterschiedlich Einige NGOs wie

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die Wahlbeobachter von raquoGoloslaquo haben sich als juris-tische Personen aufgeloumlst oder sind wie die raquoJuristen fuumlr Verfassungsrechte und Freiheitlaquo dabei sich aufzu-loumlsen (ein juristisch und administrativ nicht ganz ein-facher und langwieriger Vorgang) Fast alle NGOs die sich aufloumlsen haben aber erklaumlrt ihre Arbeit auch ohne juristischen Status fortsetzen zu wollen Rechtlich ist das moumlglich Praktisch werden diese NGOs auf zahlreiche neue Probleme treffen wohl bis hin zur moumlglichen Kri-minalisierung einzelner Personen

Einige andere NGOs darunter das Menschenrechts-zentrum Memorial machen weiter wie bisher Sie fech-ten meist die Eintragung in das raquoAgentenregisterlaquo vor Gericht an (in der Regel ohne besonderen Erfolg) Das Menschenrechtszentrum Memorial aber auch einige andere NGOs wollen bis zum EGMR gehen unter ande-rem weil sie das Gesetz insgesamt fuumlr unmoralisch und verfassungswidrig haumllt

Eine weitere Reaktion ist eine Art Hase-und-Igel-Spiel mit den Behoumlrden Das kann sich in einem Geflecht von unterschiedlichen NGOs ausdruumlcken die unter-schiedliche Funktionen wahrnehmen Eine NGO macht politische Erklaumlrungen und betreibt Lobbying Ihre Aktivistinnen arbeiten ausschlieszliglich ehrenamt-lich Eine andere bekommt auslaumlndische Finanzierung fuumlr Projekte die auch nach der Definition von Staatsan-waltschaft und Justizministerium nicht raquopolitischlaquo sind Wieder andere NGOs weichen auf Organisationsformen (juristische Personen) jenseits des NGO-Gesetzes aus die dann nicht den raquoAgentenparagraphenlaquo unterliegen

Der Vorstoszlig gegen memorialAllerdings beschraumlnkt sich die staatliche Behinderung und Bedrohung von NGOs nicht auf das relativ neue Agentengesetz Alle anderen laumlnger erprobten adminis-trativen bis strafrechtlichen Instrumente bleiben eben-falls im Einsatz Juumlngstes und bekanntestes aber bei weitem nicht einziges Beispiel ist der Schlieszligungsan-trag des Justizministeriums vor dem Obersten Gericht gegen raquoMemorial Russlandlaquo raquoMemorial Russlandlaquo ist ein Netzwerk aus rund 50 regionalen und thematischen Memorial-Organisationen und selbst eine von mehr als 60 Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Internatio-nallaquo (Zum Memorial-Netzwerk siehe lthttprusslandboellblogorg20141011wie-funktioniert-memorial-ein-kleiner-wegweiser-durch-eine-zugegeben-kompli zierte-strukturgt) Bei einer der regelmaumlszligigen Pruumlfun-

gen stellte das Justizministerium Anfang 2012 also vor Beginn der jetzigen Repressionswelle gegen NGOs fest dass die seit Gruumlndung der Organisation geltende konfouml-derative Struktur von raquoMemorial Russlandlaquo raquonicht dem Gesetz entsprechelaquo und geaumlndert werden muumlsse Insbe-sondere behagt dem Justizministerium nicht dass die Mehrzahl der Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Russlandlaquo ihrerseits eigenstaumlndige juristische Personen sind raquoMemorial Russlandlaquo muumlsse sich zentralistisch organisieren und die regionalen Memorial-Organisa-tionen zu Filialen werden Ohne hier ins Detail gehen zu koumlnnen wuumlrde das aber zu weiteren Problemen fuumlh-ren die wiederum die Schlieszligung von Memorial durch das Justizministerium zum Ergebnis haumltten Memorial sucht einen Ausweg das Justizministerium betreibt die Schlieszligung Viele NGOs haben Probleme mit der Feu-erwehr dem Gesundheitsamt oder der Arbeitsschutzbe-houmlrde Beliebt ist in juumlngster Zeit auch die Kuumlndigung von Mietvertraumlgen (so unlaumlngst geschehen bei raquoGoloslaquo und der raquoBewegung fuumlr Menschenrechtelaquo)

soziale und politische ngosSeit dem Fruumlhjahr zeichnet sich noch ein weiterer Angriff auf unabhaumlngige und staatskritische NGOs ab Der von Michail Fedotow geleitete Zivilgesellschaftsrat beim Praumlsidenten beraumlt seit einiger Zeit eine erneute Aumlnde-rung des NGO-Gesetzes Er schlaumlgt vor die Agenten-paragraphen abzuschaffen und dafuumlr um den Befuumlrch-tungen des Kremls auf politische Einflussnahme (nicht nur aus dem Ausland) Rechnung zu tragen kuumlnftig eine Einteilung von NGOs in raquosozialelaquo und raquopolitischelaquo vor-zunehmen raquoSozialelaquo NGOs sollen diesen Vorschlaumlgen nach kuumlnftig steuerlich beguumlnstigt sein und staatliche Zuwendungen erhalten koumlnnen raquoPolitischelaquo NGOs wer-den hingegen von staatlicher Foumlrderung ausgeschlossen und sollen auf alle Zuwendungen insbesondere aber auf Zuwendungen aus dem Ausland einen noch fest-zulegenden Steuersatz zahlen Die Befuumlrworter dieser im Uumlbrigen im Zivilgesellschaftsrat nicht unumstrit-tenen Initiative verweisen darauf dass so die heute als raquoAgentenlaquo verfolgten NGOs eventuell noch gerettet wer-den koumlnnten waumlhrend staatliche Foumlrderung aller ande-ren verstaumlrkt wuumlrde Ein Gewinn also fuumlr alle Betei-ligten Tatsaumlchlich verbirgt sich hinter dem Vorschlag aber eine gefaumlhrliche Tendenz zur Entsolidarisierung in der NGO-Szene wie sie auch anderswo schon laumln-ger zu beobachten ist

Uumlber den AutorJens Siegert ist Diplompolitologe und leitet seit 1999 das Laumlnderbuumlro Russland der Heinrich Boumlll Stiftung in Mos-kau Davor arbeitete er in Moskau als Korrespondent fuumlr Radiostationen Zeitschriften und Zeitungen im deutsch-sprachigen Raum

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Lesetippsbull Siegert Jens Putin und die Zivilgesellschaft in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 12 06 2013

lthttprusslandboellblogorg20130612putin-und-die-zivilgesellschaftgtbull Siegert Jens Uumlber ein Jahr raquoNGO-Agentenlaquo-Jagd ndash eine Art Zwischenbericht in Russland-Blog (Hein-

rich-Boumlll-Stiftung Moskau) 4 Juni 2014 lthttprusslandboellblogorg20140604ueber-ein -jahr-agenten-jagd-eine-art-zwischenberichtgt

bull Siegert Jens Russische raquoNGO-Agentenjagdlaquo ndash eine Zwischenbilanz in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 7 Juni 2013 lthttprusslandboellblogorg20130607russische-ngo-agentenjagd-eine-zwischenbilanzgt

bull Siegert Jens Erklaumlrung Permer NGOs warum sie sich unter keinen Umstaumlnden als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren lassen in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 26 Mai 2013 lthttprusslandboellblogorg20130526erklarung-permer-ngos-warum-sie-sich-unter-keinen-umstanden-als-auslandische-agenten-registrieren-lassengt

bull Siegert Jens Memorial raquoNGO-Agentengesetzlaquo ist ungesetzlich und unmoralisch Keine freiwillige Registrierung als raquoauslaumlndischer Agentlaquo in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 22 September 2013 lthttpruss landboellblogorg20120922memorial-ngo-agentengesetz-ist-ungesetzlich-und-unmoralisch-keine-freiwillige-registrierung-als-auslandischer-agentgt

bull Siegert Jens Sozialer Wandel und politische Dynamik in Russland 201112 in Russland-Analysen Nr 245 19 Oktober 2012 lthttpwwwlaender-analysenderusslandpdfRusslandanalysen245pdfgt

ANALYSE

ein kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen engagements zur Unterstuumltzung und integration von migranten in russlandMarina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin

zusammenfassungObwohl die Wirtschaft Russlands aufgrund der ruumlcklaumlufigen Bevoumllkerungszahl auf Migranten angewiesen ist ist der Groszligteil der Bevoumllkerung des Landes Migranten gegenuumlber skeptisch und oft geradezu fremden-feindlich eingestellt Durch eine schlecht koordinierte staatliche Migrationspolitik ist die Lage der Arbeits-migranten meist prekaumlr Initiativen aus der Zivilgesellschaft versuchen die Situation der Migranten zu ver-bessern und leisten Aufklaumlrungsarbeit in der Bevoumllkerung sowie konkrete Hilfestellungen fuumlr Migranten Die Arbeit solcher Aktivisten wird jedoch oftmals durch staatliche Einmischung erschwert

immigration nach russland als gesellschaftliches ProblemDie widerspruumlchliche Migrationspolitik der russischen Regierung und die aufgeheizte Stimmung in der Bevoumll-kerung haben 2013 zu vermehrten xenophoben Uumlbergrif-fen auf Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien gefuumlhrt (siehe beispielsweise die Unruhen in Birjuljowo im Oktober 2013) Diese Entwicklung wirft die Frage auf welche Haltung die russische Zivilgesellschaft hierzu einnimmt Gibt es zivilgesellschaftliche Initiativen die dieser fremdenfeindlichen Stimmung entgegenwirken

In der russischen Oumlffentlichkeit ist oft von einer Flut von Arbeitsmigranten aus den GUS-Staaten die Rede doch in Wirklichkeit ist die Immigration nach Russ-land im internationalen Vergleich gering Zudem zeigen Zahlen der Staatlichen Statistikbehoumlrde raquoRosstatlaquo dass

die russische Wirtschaft aufgrund der demographischen Entwicklung in zunehmendem Maszlige Arbeitskraumlfte aus dem Ausland benoumltigt (bis 2030 ndash so die Prognose ndash soll die russische arbeitsfaumlhige Bevoumllkerung um 103 Mil-lionen Menschen abnehmen)

Trotzdem gibt es starke fremdenfeindliche Stimmun-gen die sich gegen Immigranten aus Zentralasien und dem Kaukasus richten Diese Ablehnung von Migran-ten hat zugenommen und schafft den Naumlhrboden fuumlr Pogrome wie 2006 in Kondopoga 2010 auf dem Mos-kauer Manegenplatz sowie 2013 in der Stadt Pugat-schow und dem Moskauer Vorort Birjuljowo Angst und Verachtung gegenuumlber Fremden ziehen sich durch alle Gesellschaftsschichten Sie werden als Kriminelle und Illegale stigmatisiert und nicht nur Nationalisten ver-wenden die Losung raquoRussland den Russenlaquo um Ras-

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sismus zu schuumlren und die Stimmung gegen Migranten weiter anzuheizen

es gibt keine migrationspolitikDiese interethnischen Konflikte spiegeln sich auch im russischen Alltag wieder Der durch den Foumlderalen Migrationsdienst praktizierte administrative und poli-zeiliche Umgang mit Migration ist nicht effektiv Eine Stigmatisierung der Migranten als potenzielle Krimi-nelle und eventuelle Uumlberlegungen zur Verschaumlrfung des Migrationsgesetzes koumlnnen die Probleme nicht loumlsen die gerade auch auf kommunaler Ebene anfallen Die nur situativen politischen Maszlignahmen fuumlhren mitunter zu einer Verschaumlrfung des Problems Eine uumlbergreifende Strategie existiert nicht die Politik weiszlig auf die Migra-tionsfrage keine Antwort Ein autoritaumlres zentralisier-tes System ist nicht im Stande die regionalen Probleme dieses riesigen Landes zu loumlsen deshalb liegt es vor allem an der Zivilgesellschaft sich diesen Themen zu widmen

zivilgesellschaftliche Projekte AufklaumlrungsarbeitIn Moskau und Sankt Petersburg gibt es verschiedene nichtstaatliche Projekte die sich sowohl fuumlr mehr Tole-ranz als auch fuumlr die Integration der Migranten einsetzen

Einige von ihnen bestehen schon mehrere Jahre Boris Romanow ist einer der Gruumlndervaumlter eines zivil-gesellschaftlichen Netzwerks zur Unterstuumltzung von Menschen mit Migrationshintergrund in Sankt Peters-burg Er arbeitet mit den unterschiedlichsten NGOs zusammen die zu Themen wie Toleranz Antirassis-mus Homophobie Antiziganismus und Antisemitis-mus arbeiten Finanziert durch das Goethe-Institut rief er 2012 raquoRespektlaquo ins Leben ein Comic-Projekt inter-nationaler Kuumlnstler mit dessen Hilfe Schuumller ihr Den-ken uumlber Fremde reflektieren und selbst in Frage stel-len koumlnnen Laut Romanow scheitern solche Projekte oft an der Buumlrokratie der Kommunen Durch das neue NGO-Gesetz gebe es kaum noch Kontaktmoumlglichkei-ten zu staatlichen Schulen erlaumlutert Romanow so dass eine Zusammenarbeit houmlchstens uumlber einzelne Lehrer nicht jedoch uumlber die Schuldirektion moumlglich sei Dies widerspreche dem Konzept zivilgesellschaftlicher Arbeit die vor allem jedermann offen stehen will Durch das geschlossene staatliche Schulsystem komme es selten zu einer Kooperation mit interessierten Lehrern Die Zusammenarbeit von Staat und Zivilgesellschaft ist unabdingbar macht aber die Finanzierung der Projekte schwierig da sie im Falle einer Unterstuumltzung auslaumln-discher Sponsoren unter das neue NGO-Gesetz fallen

Im Zuge der neuen NGO-Gesetzgebung wurde das Antidiskriminierungszentrum raquoMemoriallaquo in Sankt Petersburg geschlossen Dessen ehemaliger Mitarbei-

ter Andrej Jakimow ist Anthropologe Seine langjaumlh-rige Arbeit mit ethnischen Minderheiten wie Sinti und Roma Arbeitsmigranten und Staatenlosen macht ihn zu einem erfahrenen Koordinator der raquoStiftung zur Unter-stuumltzung und Entwicklung von Bildungs- und Sozial-projektenlaquo (raquoPSP-Fondlaquo) in Sankt Petersburg Auch fuumlr ihn zaumlhlt die aktive Aufklaumlrungsarbeit zu den wichtigs-ten Punkten seines zivilgesellschaftlichen Engagements Die juristische und psychologische Betreuung von Mig-ranten stehen neben der Sensibilisierung der russischen Bevoumllkerung im Zentrum seiner Arbeit Seiner Erfah-rung nach interessieren sich die OSZE und die UNO nur marginal fuumlr diese Themen also muumlssen die Pro-bleme der Arbeitsmigranten auf nationaler Ebene geloumlst werden Seine Kontakte zu verschiedenen Netzwerken in den Auswanderungslaumlndern helfen den Migranten sich schon vor der Einreise nach Russland auf den Aufenthalt vorzubereiten In der Zusammenarbeit von Staat und Experten sieht Jakimow eine Moumlglichkeit eine effek-tive Migrationspolitik zu entwickeln

fuumlr die Verbesserung der migrationspolitikAumlhnlich denken auch Wjatscheslaw Postawnin und Natalja Wlasowa die die Stiftung raquoMigrazija XXI weklaquo (raquoMigration im 21 Jahrhundertlaquo) gegruumlndet haben Sie selbst sind ehemalige Mitarbeiter des Foumlderalen Migra-tionsdienstes und kennen die staatliche Migrationspoli-tik von innen Die Regierung unter Putin scheint keiner-lei Loumlsungsansaumltze fuumlr die immer staumlrker zunehmende Xenophobie in Russland zu erarbeiten In den fuumlnf Jah-ren ihrer Existenz hat sich die Organisation in Mos-kau zu einem unabhaumlngigen intellektuellen und wissen-schaftlichen Zentrum entwickelt das Vorschlaumlge fuumlr die Verbesserung der staatlichen Migrationspolitik ausarbei-tet Diese Vorschlaumlge werden oft von der Administration des Praumlsidenten beruumlcksichtigt jedoch nicht sofort und ohne Nennung der Urheberschaft In Zusammenarbeit mit der Weltbank und dem Netzwerk raquoMirpallaquo (raquoMigra-tion and Remittance Peer-Assisted Learninglaquo) erstellt die Organisation Statistiken zu den Migrationsstroumlmen aus den GUS Staaten die oftmals stark von den offiziellen Zahlen des Foumlderalen Migrationsdienstes abweichen

fluumlchtlingsarbeitDie von Swetlana Gannuschkina einer wichtigen Men-schenrechtlerin in Russland 1990 mitbegruumlndete Orga-nisation raquoGrashdanskoje sodejstwijelaquo (raquoBuumlrgerhilfelaquo) beschaumlftigt sich nicht nur mit Arbeitsmigration sondern zu vier Fuumlnfteln mit Fluumlchtlingen Es war die erste Orga-nisation dieser Art in Moskau und wurde im Zusam-menhang mit dem Konflikt um Berg-Karabach und dem Krieg in Tschetschenien gegruumlndet um den Fluumlchtlin-gen aus diesen Regionen zu helfen Die Unterstuumltzung

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der Arbeitsmigranten umfasst juristische Konsultation und die Loumlsung administrativer Fragen z B bei nicht ausgezahlten Gehaumlltern Deportationen Einreisever-boten Die Organisation stellt juristischen Beistand bei unbegruumlndeten Klagen gegen Migranten hilft bei Kla-gen gegen Arbeitgeber wegen nicht ausgezahlter Loumlhne fuumlhrt ein Projekt gegen Hate Crimes durch und veran-staltet Spendenaktionen auf ihrer Webseite Besonders die aumlrztliche Versorgung ist wichtig da der staatliche Notdienst Migranten oft seine Hilfe verwehrt raquoGrash-danskoje sodejstwijelaquo arbeitet eng mit dem Fluumlchtlings-hilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) der Inter-nationalen Organisation fuumlr Migration (IOM) und mit dem Netzwerk raquoMigrazija i prawolaquo (raquoMigration und Rechtlaquo) einem Programm des Menschenrechtszentrums raquoMemoriallaquo zusammen Obwohl in der offiziellen Rhe-torik die Bedeutung der Migration fuumlr Russland unter-strichen wird (wie zum Beispiel in der raquoKonzeption der staatlichen Migrationspolitik 2025laquo) beobachtet man in der Praxis meist die stumme Hinnahme der Uumlber-griffe auf Arbeitsmigranten Nach dem Inkrafttreten des NGO-Gesetzes fand bei der Organisation eine Uumlberpruuml-fung durch die Staatsanwaltschaft statt Ob und wenn ja wie dieses Projekt weiterlaufen wird ist bis heute unklar

Arbeit mit fluumlchtlingskindernIm Rahmen der Organisation raquoBuumlrgerhilfelaquo gibt es zudem ein raquoZentrum fuumlr Integration und Unterricht fuumlr Fluumlchtlingskinderlaquo da das staatliche Programm mit dem Kinder mit Migrationshintergrund Russisch lernen nicht ausreichend ist

Aumlhnlich wie ihre Kollegen aus Moskau arbeiten die Freiwilligen des zivilgesellschaftlichen Projekts raquoDeti Peterburgalaquo (raquoKinder von Petersburglaquo) mit Kindern des-sen Eltern aus den unterschiedlichsten Gruumlnden nach Russland immigriert sind Zwei Projektkoordinatoren der Organisation raquo[Wahl]Beobachterlaquo Daniil Ljubarow und Irina Beljaewa haben 2012 raquoDeti Peterburgalaquo gegruumlndet Angefangen mit einem Angebot von Russisch-Grundkur-sen fuumlr Vorschuumller mit Migrationshintergrund hat sich dieses Programm mittlerweile so weit entwickelt dass Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre an sechs verschie-

denen Standorten in Sankt Petersburg an Russischkursen teilnehmen koumlnnen Bis 2014 hatte es noch nicht einmal feste Raumlumlichkeiten gegeben die Mitarbeiter der raquoDeti Peterburgalaquo organisierten sich ausschlieszliglich uumlber soziale Netzwerke Der virtuelle Raum verbindet diese Organi-sation auch mit anderen zivilgesellschaftlichen Projek-ten So zieht das Projekt nicht nur politische Aktivisten an sondern vor allem Paumldagogen Linguisten und Stu-denten die die Kurse vorbereiten und durchfuumlhren Der Aufbau von kreativen Zirkeln gehoumlrt genauso zur Arbeit von raquoDeti Peterburgalaquo wie die Koordination von Ausfluuml-gen in die Umgebung Museen oder Theatern Das Pro-jekt ist abhaumlngig von seinen Teilnehmern Die fehlen-den Sprachkenntnisse der Eltern fuumlhren oft zu groszligen Kommunikationsproblemen Aber auch die wechselnden und meist aumluszligerst schwierigen Arbeitszeiten der Eltern erschweren die Durchfuumlhrung des Projekts Die staumldti-sche Buumlrokratie versucht den Elan der Mitarbeiter zu bremsen Auch deshalb bleibt das Projekt nichtstaatlich

fazitMisstrauen gegenuumlber der Regierung soziale Probleme und Alltagsrassismus bewegen immer mehr Menschen dazu sich eigenstaumlndig mit der negativen Entwicklung beim Umgang mit Migranten zu beschaumlftigen Aus Inter-views mit den Mitarbeitern der verschiedenen Organisa-tion laumlsst sich schlieszligen dass eine russische Zivilgesell-schaft entstanden ist die die Migrationsfrage einerseits als Arbeit mit der Mehrheits- also russischen Bevoumllkerung betrachtet um diese zu sensibilisieren Anderseits gibt es Initiativen die vor allem konkrete Hilfe fuumlr Migranten leisten um deren alltaumlgliche Probleme zu minimieren

Die Zivilgesellschaft bemuumlht sich Vorurteile abzu-bauen die Migrationspolitik realistischer zu machen und Migranten wie Fluumlchtlingen konkrete Hilfestellung zu geben Die Behoumlrden sabotieren diese Arbeit In den Groszligstaumldten wird der Zuzug von Migranten restriktiv gehandhabt Arbeitgeber wissen um den oft schwierigen Status der Migranten und nutzen die Situation aus um die Migranten weiter auszubeuten Die Arbeit der Zivil-gesellschaft zur Sensibilisierung der russischen Bevoumllke-rung wird durch die offizielle Politik oft konterkariert

Uumlber die AutorenIm Rahmen des Projektkurses raquoZiviler Ungehorsam Gesellschaft und Staat in Osteuropalaquo reisten die Studierenden des Osteuropa-Instituts der Freien Universitaumlt Berlin Michael Bellmann und Kristina Arisov nach Moskau sowie Marina Grinfeld und Christina Huthmann nach St Petersburg um mit Aktivisten und Organisationen die sich fuumlr die Integration von Migranten in Russland einsetzen Interviews zu fuumlhren und die Position der Zivilgesellschaft zur Migrationsproblematik zu analysieren

Lesetippsbull Judah Ben Russiarsquos Migration Crisis in Survival 552013 Nr 6 S 123ndash131

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bull Malakhov Vladimir S Russia as a New Immigration Country Policy Response and Public Debate in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1062ndash1079

bull Schenk Caress Controlling Immigration Manually Lessons from Moscow (Russia) in Europe-Asia Studies 652013 Nr 7 S 1444ndash1465

bull Spahn Susanne Die gelenkte Xenophobie Migration und nationale Frage in Russland Russland nur fuumlr Russen in Osteuropa 642014 Nr 7 S 55ndash67

bull Tipaldou Sofia Katrin Uba The Russian Radical Right Movement and Immigration Policy Do They Just Make Noise or Have an Impact as Well in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1080ndash1101

UmFRAGE

Uumlber die zivilgesellschaft in russland

zur zivilgesellschaftlichen und politischen Aktivitaumlt der russen

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 15 stellen sie sich vor ihre nachbarn schlagen eine gemeinsame muumlllsammelaktion in der nahegelege-nen Parkzone vor Was waumlren sie bereit zu uumlbernehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator der Aktionwerden

An der Aktionmitwirken

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 16 haben sie im vergangenen halbjahrJahr hellip

0 20 40 60 80 100

hellip an den Aktivitaumlten einer non-profit Organisation teilgenommen als Freiwilliger gearbeitet

hellip sich mit gesellschaftlichen Problemen an ihrem Wohnort beschaumlftigt

hellip an Groszligveranstaltungen Demonstrationen Streiks Kundgebungen Umzuumlgen teilgenommen

Ja Keine Antwort Nein

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grafik 17 stellen sie sich vor dass es an ihrem Wohnort zu massenhaften Wahlfaumllschungen kommt irgend-jemand ruft zur Durchfuumlhrung von Protestaktionen gegen die Wahlfaumllschungen auf Was wuumlrden sie unternehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator dieser Aktionwerden

An dieser Protestaktionteilnehmen

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 18 Waren sie haben sie sich in den vergangenen einndashzwei Jahren hellip

0 20 40 60 80 100

hellip Mitglied einer politischen Partei

hellip Wahlbeobachter

hellip an der Arbeit einer Menschenrechtsorganisation beteiligt

hellip sich im Internet (in sozialen Netzwerken auf Foren) zu politischen Themen geaumluszligert

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

zur gesellschaftlichen Aktivitaumlt

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

grafik 19 haben sie persoumlnlich in den vergangenen zweindashdrei Jahren an der taumltigkeit einer gesellschaftlichen organisation teilgenommen Wenn ja wie genau (beliebige zahl an Antworten)

6

6

5

2

2

84

1

050

Habe an gesellschaftliche Organisationen gespendetoder andere materielle Hilfe geleistet

Habe an Wohltaumltigkeitsveranstaltungen teilgenommen(Konzerte Ausstellungen Wohltaumltigkeitslotterie Auktionen)

Habe Freiwilligenarbeit geleistet (kostenlos)

Habe gegen Entgelt in einer gesellschaftlichenOrganisation gearbeitet

Habe Informationen zu den Taumltigkeitenvon gesellschaftlichen Organisationen verteilt

Nicht teilgenommen

Anderes

Keine Antwort

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grafik 20 haben ihnen irgendwann einmal gesellschaftliche organisationen geholfen

0 20 40 60 80 100

Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja mit Geld geholfen Ja auf andere Weise geholfen Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

Die oumlffentliche meinung zu ngos mit auslaumlndischer finanzierung (April 2013)

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 21 mit welcher meinung zur taumltigkeit russischer ngos stimmen sie am ehesten uumlberein

Sie bringen einen groszligen Nutzen

4

Sie bringen mehr Nutzen als Schaden

15Sie bringen ebenso viel

Nutzen wie Schaden23

Sie bringen mehr Schaden als Nutzen

18

Sie bringen weder Nutzen noch Schaden

13

Keine Antwort27

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 22 ist es fuumlr sie wichtig ob eine russische menschenrechtsorganisation aus einheimischen oder auslaumln-dischen mitteln finanziert wird

Sehr wichtig10

Eher wichtig34

Nicht besonders wichtig24

Vollkommen unwichtig18

Keine Antwort14

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 25

grafik 23 Welche ziele verfolgen westliche laumlnder und organisationen die russische ngos mit mitteln aus-statten

Einen verstaumlrkten Einfluss auf die russische

Innenpolitik42

Einen Kampf gegen den russischen Staat

19Eine Unterstuumltzung der

russischen Zivilgesellschaft

8

Kein besonderes Ziel russische NGOs werden wie andere aus standardisierten

internationalen Programmen unterstuumltzt

12

Keine Antwort19

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 24 Duumlrfen organisationen die sich mit dem schutz der Buumlrgerrechte beschaumlftigen und den staat kriti-sieren das recht haben mittel aus dem Ausland zu beziehen

Ja20

Nein56

Keine Antwort24

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 25 Unterstuumltzen sie harte sanktionen gegen ngos die einer politischen taumltigkeit nachgehen und gelder aus dem Ausland erhalten sich aber nicht nach dem gesetz als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren

Auf jeden Fall20

Eher ja32

Eher nein15

Auf keinen Fall5

Keine Antwort28

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

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luumlgen des fernsehkanals ntV und Beanstandungen des Justizministeriums erklaumlrung des menschenrechtszentrums memoriAl und der russischen gesellschaft

memoriAl

Die Behauptung bei NTV das russische Justizministerium habe die Liquidierung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL eingeleitet fuumlhrte heute zu etlichen Irritationen Das Menschenrechtszentrum und die Russische Gesell-schaft MEMORIAL (die Dachorganisation der russischen Memorial-Verbaumlnde) haben aus diesem Anlass nachste-hende Erklaumlrung abgegeben

Am 10 Oktober strahlte NTV unter dem Titel raquoAuszligergewoumlhnliches Ereignislaquo eine Sendung aus die aus boumlswil-ligen Luumlgen aber auch aus Fehlinformationen in Folge von Unkenntnis bestand

Die Arbeit des Menschenrechtszentrums MEMORIAL als Unterstuumltzung von Extremisten und Terroristen dar-zustellen ist eine infame Luumlge Auf Unkenntnis basiert hingegen die Behauptung das Justizministerium habe des-halb den Antrag gestellt das Menschenrechtszentrum MEMORIAL zu liquidieren

In Wirklichkeit hat das Justizministerium beim Obersten Gericht der Russischen Foumlderation nicht die Aufloumlsung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL beantragt Es geht hier vielmehr um eine andere Organisation naumlmlich die Russische Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIAL

Die russische Gesellschaft MEMORIAL wurde vom Justizministerium bereits 1992 registriert Bis heute befinden sich unter ihrem Dach verschiedene Memorial-Verbaumlnde die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen

Im Jahre 2012 20 Jahre nach der ersten Registrierung tauchten beim Justizministerium ploumltzlich Zweifel hin-sichtlich des russischen Rechtsstatus von Memorial auf obwohl der Gesellschaft praktisch dieselben regionalen Ver-baumlnde angehoumlren wie zuvor und sich die Gesetzeslage in dieser Frage in keinem Punkt geaumlndert hatte

Geaumlndert hat sich allerdings die Position des Justizministeriums das erneut einen raquodemokratischen Zentralismuslaquo anstrebt der nach der Abschaffung der fuumlhrenden Rolle der KPdSU nicht mehr aktuell schien Heute erklaumlrt das Jus-tizministerium nur jene gesellschaftlichen Vereinigungen koumlnnten der Russischen Gesellschaft MEMORIAL ange-houmlren die in ihrer Bezeichnung die Worte raquoVerband (otdelenie) der Russischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklauml-rung Sozialarbeit und Menschenrechte MEMORIALlaquo tragen

Die gesetzliche Vorschrift dass eine Organisation nur dann einen gesamtrussischen Status haben kann wenn sie in uumlber der Haumllfte der Foumlderationssubjekte Verbaumlnde unterhaumllt legt das Justizministerium jetzt dahingehend aus dass diese Verbaumlnde zwangslaumlufig einen Status als Regionalverbaumlnde haben muumlssten Das Vorhandensein von Stadt- und Bezirksverbaumlnden einer Organisation reicht die Beamten als Beleg dafuumlr nicht aus dass die Organisation in der betreffenden Region taumltig ist

Die Vorbehalte des Justizministeriums entbehren jeglicher Grundlage Nicht zufaumlllig erhielten wir auf Anfragen keine Hinweise auf eine Gesetzesnorm Es ist fuumlr uns inakzeptabel dass das Justizministerium das von der Verfas-sung garantierte Recht von Buumlrgern eine Vereinigung zu bilden gesetzwidrig einschraumlnken will Deshalb hat sich die Russische Gesellschaft MEMORIAL bereits 2012 entschlossen vor Gericht zu gehen

Einen Hinweis auf ein Gesetz haben wir auch nicht erhalten als wir 2013 die Forderungen des Justizministeriums im Moskauer Zamoskvorezki-Bezirksgericht und danach im Stadtgericht angefochten haben Beide Instanzen gaben wie nicht anders zu erwarten dem Justizministerium Recht Deshalb wird die Russische Gesellschaft MEMORIAL in Kuumlrze Klage beim Verfassungsgericht einreichen

Was den Antrag des Justizministeriums betrifft so hoffen wir dass das Oberste Gericht bei Behandlung dieses Antrags dem Gesetz und der Verfassung mehr Respekt entgegenbringen wird als die untergeordneten Gerichtsinstanzen

10 Oktober 2014Quelle Website von Memorial Deutschland lthttpwwwmemorialdeindexphpid=42amptx_ttnews[tt_news]=546amptx_ttnews[backPid]=3ampcHash=5bbe9b235a03fe09cba52ed5c8786b99gt

DOkUmENtAtION

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NOtIzEN AUS mOSkAU

Petersburger DialogJens Siegert Moskau

Auf den ersten Blick sieht es so aus als ob ein (egal ob nun willentlich oder nicht) an die Oumlffentlich-

keit gelangter Brief einiger regelmaumlszligiger Teilnehmer des Petersburger Dialogs (PD) aus den Reihen deutscher NGOs an Bundeskanzlerin Merkel und Auszligenminis-ter Steinmeier die Verschiebung des fuumlr Ende Oktober in Sotschi geplanten groszligen Jahrestreffens verursacht haumltte In dem Brief bekraumlftigten die Autoren ihre nicht neue Kritik am PD und erklaumlrten warum sie dieses Jahr nicht teilnehmen wuumlrden Sie betonen dass die Absage kein Boykott sei und bieten ihrerseits einen Dialog zur Reform des Dialogs an Auf den zweiten Blick war der Brief selbstverstaumlndlich nur Anstoszlig aber nicht Grund fuumlr die Verschiebung Doch der Reihe nach

Die in dem Brief geaumluszligerte Kritik am PD ist wie gesagt nicht neu sie hat sie den PD von Anfang an begleitet Das liegt sicher auch an einem bis heute nicht korrigierten Geburtsfehler Ein durch Staats- und Regie-rungschefs initiierter raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo ist schon etwas verquer Das heiszligt nicht dass das nicht gehen koumlnnte Doch dazu haumltten sich die hochgestell-ten Initiatoren (der damalige russische Praumlsident und der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schrouml-der) und ihre (Interims-)Nachfolger spaumlter zuruumlckziehen muumlssen Das haben sie nicht Daran sind sie nicht (allein) Schuld Es war der PD der durch seine Lenkungsor-gane die enge zeitliche und oumlrtliche Verbindung mit den deutsch-russischen Regierungskonsultationen und die zeitweilige Anwesenheit von Praumlsident und Kanzlerin zum Grundstein seiner Wirkungsmaumlchtigkeit erklaumlrte

Auf deutscher Seite wurde versucht dieses Problem organisatorisch sozusagen oumlffentlich-rechtlich zu loumlsen indem moumlglichst alle interessierten politischen Spektren und gesellschaftlichen Gruppen am sogenannten Len-kungsausschuss beteiligt wurden Das gelang zumindest so gut dass es soweit mir bekannt bis heute keine grouml-szligeren Klagen uumlber Nichtberuumlcksichtigung oder Nicht-beteiligung gab Aber die Bundesregierung behielt weit-gehenden Einfluss nicht zuletzt uumlber den alljaumlhrlich sechsstelligen Zuschuss fuumlr die Durchfuumlhrung der Jah-restreffen Auszligerdem wurde der jeweilige Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses zwar nach Abstim-mungen mit den Beteiligten aber letztlich durch den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin bestimmt

In Russlands ist die Sache einfacher Von Anfang an wurde und wird gemacht wird was der Kreml will Schon der erste Vorsitzende des russischen Lenkungs-ausschusses Michail Gorbatschow (immerhin selbst ein ehemaliger Praumlsident) war wie er selbst einmal bekannte

nicht mehr als ein ndash schoumlne Ruumlckuumlbertragung aus dem Russischen ndash raquoSitz-Praumlsidentlaquo Der jetzige Vorsitzende Wiktor Subkow war Datschennachbar von Putin ers-ter stellvertretender Ministerpraumlsident und ist nun Auf-sichtsratsvorsitzender von Gazprom

Die Kritik dass nur eine Simulation eines raquozivilge-sellschaftlichen Dialogslaquo stattfinde wurde von einigen deutschen Teilnehmern bereits auf dem ersten Jahres-treffen des PD im April 2001 in St Petersburg geaumluszligert Es fehlten auf russischer Seite (in der seinerzeit noch ver-einigten Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo) Vertreter russischer NGOs Die Kritik kam an In Russ-land fuumlhrte sie (ohne dass ich hier jetzt ausfuumlhren kann wie) zum ersten Versuch des Kremls auch unabhaumln-gige NGOs in das korporative System der gelenkten Demokratie zu zwingen Der Versuch misslang weitge-hend und muumlndete in einer Art Waffenstillstand und der Gruumlndung eines raquoMenschenrechtsrats beim Praumlsi-dentenlaquo unter Einbeziehung von Vertretern unabhaumlngi-ger NGOs Beim PD wurde die Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo in ihre zwei Namensbestandteile geteilt und es gelang uumlber die Jahre in immer wieder unternommenen Anstrengungen auch die Teilnahme unabhaumlngiger russischer NGO-Vertreter durchzuset-zen Etwas spaumlter wurde diese Teilnahme sogar vor-sichtig institutionell abgesichert indem erst Ella Pam-filowa und spaumlter ihr Nachfolger Michail Fedotow als Vorsitzende des inzwischen zum raquoZivilgesellschaftsratlaquo umbenannten raquoMenschenrechtsratslaquo zu den russischen Koordinatoren der Arbeitsgruppe raquoZivilgesellschaftlaquo mit Einladungsrecht wurden (wobei die Einladungen selbst-verstaumlndlich mit der Praumlsidentenadministration abge-stimmt werden muumlssen) Das ist bis heute so

Die Verfasser des Briefes (zu denen ich bekenne mich auch ich gehoumlre) allesamt langjaumlhrige Teilneh-mer der Jahrestreffen des PD haben all die Jahre immer wieder auch oumlffentlich uumlber den Sinn und Unsinn ihrer Teilnahme und Unterstuumltzung diskutiert Letztendlich uumlberwogen die ganze Zeit uumlber zwei Uumlberlegungen Ers-tens ist ein Dialog auch und gerade auf offizieller Ebe-nen und mit offiziellen Vertretern des russischen Staates (wie auch mit Wissenschaftlern Unternehmern Journa-listen Priestern usw welcher politischen Couleur auch immer sie sein moumlgen) erst einmal besser als kein Dia-log Zweitens gingen wir all die Jahre davon aus dass die nicht ohne Muumlhen erreichte Teilnahme unabhaumln-giger russischen NGO-Vertreter fuumlr sie ihre Organisa-tionen aber auch die russische NGO-Szene insgesamt zumindest einen kleinen zusaumltzlichen Schutz gegen die

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seit Putins Amtsantritt immer wieder uumlber das Land gehenden Repressionswellen bietet1 Was hat sich dieses Jahr geaumlndert Erst einmal nicht

so viel gegenuumlber dem Vorjahr Es war schon immer siehe oben eine schwierige Abwaumlgung ob die Teil-nahme am PD sich lohnt oder nicht vielmehr dazu beitraumlgt so zu tun als gaumlbe es in Russland die unein-geschraumlnkte und ungefaumlhrdete Moumlglichkeit sich zivilgesellschaftlich auch dort zu engagieren wo es dem Staat weh tut Zwei Ereignisse haben nun aber zumindest fuumlr die Autoren des Briefes das Pen-del zur anderen Seite ausschlagen lassen Die Kon-frontation zwischen dem Westen (ich weiszlig um die Bedingtheit des Begriffs verwende in der Kuumlrze hal-ber aber trotzdem) und Russland im Konflikt in der und um die Ukraine ist nicht einfach die Fortset-zung schon laumlnger existierender raquoMeinungsverschie-denheitenlaquo Sie ist tiefer und prinzipieller Es geht eben im Kern nicht in erster Linie um Geopolitik sondern wieder einmal um ich fuumlrchte hier weder den Pathos noch historische Analogien Freiheit und Demokratie in Europa

2 Die Repressionen gegen russische NGOs unsere prinzipiellen Partner in der Verteidigung von Demo-kratie und Freiheit haben mit dem sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo eine neue Qualitaumlt erreicht 15 NGOs sind inzwischen zwangsweise zu raquoauslaumln-dischen Agentenlaquo erklaumlrt worden anderen droht die Schlieszligung aufgrund anderer Gesetze Einige von ihnen waren sogar zum nun verschobenen Treffen in Sotschi eingeladen Sie mussten sich Gedanken machen ob eine Zusage oder eine Absage ihnen nicht schaden koumlnnte

Unter diesen Umstaumlnden halten die Verfasser des Brie-fes ihre Teilnahme am PD fuumlr nicht mehr moumlglich Sie fordern keinen Boykott wohl aber ein Nachdenken uumlber eine tiefgreifende Reform

Der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses Lothar de Maiziere hat in einem eigenen offenen Brief geantwortet und den Verfassern vorgeworfen den Dia-log verweigern und politisieren zu wollen Diese (Gegen-)Klage scheint mir angesichts der vielfaumlltigen Verbindun-gen und Dialogformen die die Organisationen hinter den Unterzeichnern des Briefes seit vielen Jahren und oft laumlnger als der PD organisieren an denen sie teil-nehmen und die sie foumlrdern nicht sonderlich stichhal-tig Doch die Auseinandersetzung geht tiefer De Mai-ziere behauptet in seinem Brief der PD mache bereits all das was die Kritiker fordern Genau das bezweifeln diese aber Die Auseinandersetzung geht also und vor allem darum was ein fruchtbarer Dialog zu leisten im Stande sein kann und leisten sollte Sie geht aber auch darum ob dieser Dialog zwischen zwei Gesellschaf-

ten stattfindet nach dem Motto hier die eine dort die andere oder ob sich die Seiten bei diesem Dialog inei-nander verschraumlnken

Die Verfasser des Briefes sind ganz offensichtlich mit ihrer Kritik nicht allein Schon bevor der Brief oumlffent-lich bekannt wurde hatten die Bundestagsabgeordne-ten Andreas Schockenhoff (CDUCSU) und Marieluise Beck (Buumlndnis 90 Die Gruumlnen) in oumlffentlichen Stel-lungnahmen Aumlhnliches gefordert und auch ihre Nicht-Teilnahme erklaumlrt Etwas spaumlter wurde bekannt dass auch der Russland-Beauftragte der Bundesregierung Gernot Erler nicht nach Sotschi fahren wollte Mehr noch Bereits seit dem Fruumlhsommer gab es Gespraumlche zwischen Kanzleramt und Auswaumlrtigem Amt mit dem Ziel den PD sowohl personell als auch strukturell zu reformieren Allerdings setze sich augenscheinlich die Sichtweise des Auswaumlrtigen Amtes durch alles vorerst beim Alten zu belassen da es auch so schon genug Pro-bleme im deutsch-russischen Verhaumlltnis gebe und man diesen Kanal nicht auch noch belasten oder gar gefaumlhr-den solle

Doch zum Herbst hat sich die Situation noch ein-mal veraumlndert Die Hoffnung die russische Fuumlhrung um Praumlsident Putin werde im Krieg in der Ostukraine ein-lenken ist selbst im Auswaumlrtigen Amt bis in die Spitze kaum noch zu finden Im Sommer bekam das russische Justizministerium zudem per erneuter Gesetzesaumlnde-rung das Recht NGOs zwangsweise zu raquoAgentenlaquo zu erklaumlren und macht seither rege Gebrauch davon Eine ganze Reihe russischer NGOs steht vor der Schlieszligung oder loumlst sich auf weil ihnen die vom Gesetz geforderte Selbstetikettierung als raquoauslaumlndische Agentenlaquo ethisch rechtlich und praktisch unmoumlglich ist

Es sieht so aus als haumltten die Verfasser des Briefes nur eine Tuumlr geoumlffnet hinter der andere darunter die Kanzlerin nur darauf gewartet haben durch sie hin-durch gehen zu koumlnnen ohne selbst der Tuumlroumlffnung geziehen zu werden

Ein wenig verwundert die erstaunlich milde russi-sche Reaktion Nach der kurzen Drohung eine Verschie-bung bedeute das Ende des PD lenkte Putin im Telefo-nat mit Merkel ein und fand tags darauf sogar oumlffentlich verstaumlndnisvolle Worte fuumlr die raquoProbleme der deutschen Seitelaquo Das duumlrfte zwei Gruumlnde haben Der eine ist dass trotz des haumlufiger gewordenen Deutschland-Bashings im russischen Staatsfernsehen (mit dem Ergebnis dass in Umfragen Deutschland aus der Kategorie raquoFreundlaquo in die Kategorie raquoFeindlaquo abgerutscht ist) Deutschland im Kreml immer noch als wichtigster raquostrategischerlaquo Part-ner im Westen und vor allem in der EU gilt Zudem ist Deutschland zweifellos ein Land dessen oumlffentliche Meinung (und damit Politik) aus russischer Sicht durch-aus beeinflussbar ist (was z B die kolportierten rund

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140 Millionen US-Dollar zum Aufbau eines deutsch-sprachigen Programms des staatlichen Auslandsfernse-hens raquoRussia Todaylaquo zeigen)

Der andere liegt in einem erneuten Strategiewech-sel (oder weniger ambitioniert Wechsel der Taktik) im Ukraine-Konflikt Die Sanktionen beiszligen inzwi-schen kraumlftig Die Rhetorik wurde daher gemildert Der Kreml ist ganz auf Frieden und dieser Ausdruck aus dem Sport sei erlaubt Ergebnissicherung bedacht (was uumlbrigens Putins grundsaumltzlicher Taktik auch im Inne-ren Russlands entspricht erst hart zuzuschlagen dann eine Schritt zuruumlck zu gehen und einen Kompromiss zu suchen nach dem es fuumlr seine Gegner nachher schlech-ter steht als vorher) Neues Ziel scheint nun also zu sein die raquoErrungenschaftenlaquo Krim (als Teil Russlands) und raquoNeurusslandlaquo (als neuen raquoFrozen Conflictlaquo) zu fixieren und trotzdem mit dem Westen wenn schon nicht gut-freund zu werden so doch zumindest erneut zu einem einigermaszligen vertraumlglichen Modus Vivendi zu gelan-gen Das Gas duumlrfte nach den Mailaumlnder Gespraumlchen

und bei allem Geknurre im Winter stroumlmen und auch im Nahen Osten stellt Moskau weniger Widerspenstig-keit in Aussicht

Was heiszligt das fuumlr die Zukunft des PD Erstmal ist sie offen Zuerst muss sich die deutsche Seite neu ord-nen (hier hat Putin sogar Recht) Nachdem sich Angela Merkel persoumlnlich um eine russische Akzeptanz fuumlr die Verschiebung von Sotschi bemuumlht hat kann ich mir allerdings nicht vorstellen dass es in einigen Wochen oder Monaten ein Zuruumlck zum status quo ante gibt Ob und wie sich ein neu aufgestellter deutscher Lenkungs-ausschuss mit einem neuen Konzept mit der russischen Seite verstaumlndigen kann laumlsst sich momentan kaum voraussagen Es ist zwar einen Versuch wert haumlngt aber wohl sehr von der dann herrschenden politischen Groszlig-wetterlage ab

Diesen und andere Texte finden Sie auf Jens Siegerts Russ-landblog lthttprusslandboellblogorggt

Lesetippbull Poumlrzgen Gemma Dringend reformbeduumlrftig Der Petersburger Dialog auf dem Pruumlfstand in Osteuropa 602010

Nr 10 S 59ndash81

DOkUmENtAtION

Briefwechsel uumlber die zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo

schreiben von nichtregierungsorganisationen und einzelpersonen an die Bundeskanzlerin und den Auszligenminister zum raquoPetersburger Dialoglaquo 2 oktober 2014 [nachtraumlglich veroumlffentlicht]

Berlin 02 Oktober 2014Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerals Personen die sich seit vielen Jahren intensiv im zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland engagieren wenden wir uns mit diesem Schreiben an Sie um zu erlaumlutern warum wir uns in diesem Jahr nicht am Petersburger Dialog beteiligen koumlnnen Zugleich moumlchten wir fuumlr eine Erneuerung des Petersburger Dialogs werben

In Reaktion auf die politische Wende in der Ukraine die durch eine breite gesellschaftliche Protestbewegung hervor-gerufen wurde hat die russische Fuumlhrung voumllkerrechtswidrig die Krim annektiert und einen unerklaumlrten Krieg neuen Typs im Osten der Ukraine begonnen Zugleich betreibt die Regierung unter Praumlsident Putin die systematische Ausschal-tung der letzten unabhaumlngigen Medien in Russland die Kriminalisierung aller Formen politischer Opposition und die Diskreditierung unabhaumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen als raquoauslaumlndische Agentenlaquo Mittlerweile wurden 12 russische Nichtregierungsorganisationen vom russischen Justizministerium zwangsweise auf die Liste raquoauslaumlndischer Agentenlaquo gesetzt und sind daher zukuumlnftig verpflichtet sich bei jeder oumlffentlichen Aumluszligerung wahrheitswidrig selbst als solche zu bezichtigen Zehn dieser Organisationen spielen in der deutschrussischen zivilgesellschaftlichen Zusammen-arbeit seit Jahren eine wichtige Rolle einige von ihnen haben mehrfach am Petersburger Dialog teilgenommen Gegen einige von ihnen sind bereits existenzbedrohende Strafgelder wegen Verstoszliges gegen das sog Agentengesetz verhaumlngt

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worden Es drohen Organisationsschlieszligungen und die Kriminalisierung der Vorstaumlnde Unter diesen inneren und aumluszlige-ren Bedingungen koumlnnen wir uns nicht an einer Neuauflage des Petersburger Dialogs in der bisherigen Form beteiligen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerder seinerzeit von Bundeskanzler Schroumlder und Praumlsident Putin initiierte Petersburger Dialog konnte die ihm zuge-

dachte Aufgabe zu einer Vertiefung und Verbreiterung der gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland beizutragen auch in den vergangenen Jahren nur sehr bedingt erfuumlllen Dies lag vor allem an der starken Naumlhe des Fuumlhrungspersonals auf der russischen Seite zum politischen Machtzentrum im Kreml die von Beginn an den Eindruck einer raquovon obenlaquo inszenierten und kontrollierten Veranstaltung naumlhrte Doch auch auf deutscher Seite wird der Petersburger Dialog bis heute von Personen dominiert die aus politischer und oumlkonomischer Opportunitaumlt dazu neigen Kritik am Kurs der russischen Fuumlhrung als Stoumlrung der raquodeutsch-russischen Freundschaftlaquo zu betrachten Zeit-weise kam es zu der paradoxen Situation dass kritische Aumluszligerungen zu Menschenrechtsverletzungen in Russland oder zum Vorgehen des Kremls gegenuumlber Georgien aus den Reihen der deutschen Delegation als raquoKalte-Kriegs-Rhetoriklaquo verteufelt wurden Nuumlchtern betrachtet waren die kritischen Stimmen aus der russischen und deutschen Zivilgesell-schaft in den letzten Jahren nur eine geduldete Minderheit die dem Petersburger Dialog den Anschein von Pluralis-mus und offener Diskussion verschaffte Ungeachtet dieser Kritik haben wir uns in der Vergangenheit am Petersburger Dialog beteiligt da wir grundsaumltzlich jedes Dialogpotenzial nutzen wollen und uns von der gemeinsamen Beteiligung mit unseren Partnern aus der russischen Zivilgesellschaft eine politische Absicherung dieser Zusammenarbeit erhofften

Diese ohnehin schwachen Hoffnungen wurden durch die Entwicklungen in diesem Jahr zerstoumlrt Vertreter unab-haumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen die auf der russischen Seite zum Petersburger Dialog eingeladen wer-den sind angesichts der politischen und juristischen Bedrohung der sie ausgesetzt sind in ihrer Entscheidung uumlber ihre Teilnahme nicht mehr frei Wenn sie der Einladung nicht folgen muumlssen sie weitere Repressalien befuumlrchten Uns denen die Freiheit der Entscheidung gegeben ist ist es nicht moumlglich durch Teilnahme am Petersburger Dialog in Sot-schi an der Aufstellung einer Potemkinschen Fassade namens raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo mitzuwirken waumlhrend die kritischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Russland als raquoAgentenlaquo diskreditiert und vielfach drangsaliert werden

Zugleich moumlchten wir unsere Bereitschaft unterstreichen an einer Reform des Petersburger Dialogs in organisa-torischer inhaltlicher und personeller Hinsicht mitzuwirken Eine solche Reform sollte darauf ausgerichtet sein uumlber die Auswahl der Formate Themen und Teilnehmer die tatsaumlchliche Lage der russischen Zivilgesellschaft in den Mit-telpunkt der Diskussion zu ruumlcken und einen offenen Dialog zu ermoumlglichen Wir sind ganz damit einverstanden dass gerade in kritischen Zeiten die Zusammenarbeit zwischen der russischen und deutschen Zivilgesellschaft gestaumlrkt wer-den muss Sofern der Petersburger Dialog in Zukunft dafuumlr ein Forum bietet werden wir uns gern daran beteiligen[Unterzeichner nicht veroumlffentlicht]Quelle Website der Boumlll-Stiftung lthttpwwwboelldede20141013reform-petersburger-dialog-ueberfaelliggt

offener Brief an den Vorsitzenden des Petersburger Dialogs lothar de maiziegravere vom 10 oktober 2014

- Offener Brief -HerrnDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des VorstandsPetersburger Dialog eVSchillerstraszlige 5910627 Berlin

Berlin 10 Oktober 2014Petersburger Dialog 2014 in SotschiSehr geehrter Herr de Maiziegravereals Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher zivilgesellschaftlicher Organisationen die seit der Gruumlndung des Petersburger Dialogs 2001 uumlber viele Jahre hinweg an dieser Veranstaltung teilgenommen haben moumlchten wir Ihnen gegenuumlber folgende Erklaumlrung abgeben

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Wir haben uns entschieden am 14 Petersburger Dialog in Sotschi nicht teilzunehmen der fuumlr den 29ndash31 Okto-ber angekuumlndigt worden ist Fuumlr diese Entscheidung die wir sorgfaumlltig diskutiert und abgewogen haben moumlchten wir drei Gruumlnde anfuumlhren1 Der Petersburger Dialog in seiner jetzigen Form steckt in einer Krise Von Jahr zu Jahr wird er seinem eigenem

Anspruch weniger gerecht Die Veranstaltung soll dem zivilgesellschaftlichen Dialog dienen Tatsaumlchlich sind Struktur Nominierungsverfahren und Programm des Petersburger Dialogs maszliggeblich von Akteuren aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert Unter diesen Voraussetzungen erfuumlllt der Petersburger Dialog leider nicht sein in seiner Satzung formuliertes Ziel ein raquooffenes Diskussionsforumlaquo zu sein das die raquoVerstaumlndigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Laumlnderlaquo foumlrdert Der Petersburger Dialog bedarf dringend einer grundlegenden Reform wie sie auch CDUCSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 eingefordert haben Gerne wuumlrden wir uns aktiv an einem Prozess zur Reformierung des Petersburger Dialogs beteiligen der auf eine pluralistische Zusam-mensetzung beider Lenkungsausschuumlsse und eine deutlich staumlrkere Ausrichtung auf unabhaumlngige zivilgesellschaft-liche Akteure zielt ohne den interdisziplinaumlren Ansatz der Veranstaltung aufzugeben

2 Die Situation in der sich Teile der Zivilgesellschaft in Russland befinden erfuumlllt uns mit groszliger Sorge Das betrifft auch Partnerorganisationen und Personen mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten Diese Organisa-tionen uumlben fuumlr Russland und daruumlber hinaus wichtige gesellschaftliche Funktionen aus Die Behinderung ihrer Arbeit durch buumlrokratische Huumlrden aber auch durch willkuumlrliche rechtliche Restriktionen und politische Diffa-mierung sind inakzeptabel Daruumlber koumlnnen wir nicht zur Tagesordnung uumlbergehen Wir wollen nicht zu Kron-zeugen fuumlr einen vorgeblich freien Austausch werden waumlhrend zugleich die kritische Zivilgesellschaft in Russland massiv und systematisch unter Druck gesetzt wird

3 In Teilen der Ukraine herrscht ein Kriegszustand fuumlr den die russische Fuumlhrung eine maszliggebliche Verantwor-tung traumlgt Wichtige Vertreter dieser Fuumlhrung spielen eine Schluumlsselrolle im Petersburger Dialog einschlieszliglich des fruumlheren Ersten Stellvertretenden Ministerpraumlsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden von Gazprom Wiktor Subkow der der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs ist Vor diesem Hin-tergrund moumlchten wir nicht durch unsere Teilnahme dazu beitragen dass eine Normalitaumlt in den deutsch-russi-schen Beziehungen simuliert wird die es derzeit wegen des Angriffs auf die politische Souveraumlnitaumlt und territo-riale Integritaumlt der Ukraine nicht geben kann

Wir waren und sind weiter sehr an einem offenen Dialog uumlber deutsch-russische Belange in einem gesamteuropaumli-schen Kontext interessiert und halten ihn fuumlr eine Bedingung guter Nachbarschaft und Kooperation Ein solcher Dia-log muss aber auch von beiden Seiten gewollt und ermoumlglicht werden Er darf zugleich nicht zum Nachteil Dritter gefuumlhrt werden Angesichts der aktuellen Lage und der bereits bekannt gewordenen Programmvorschlaumlge fuumlr Sotschi sehen wir auch diese Voraussetzung gefaumlhrdet

Dessen ungeachtet werden wir jede Moumlglichkeit nutzen unsere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Grup-pen und anderen Akteuren in Russland zu vertiefen und dieses Potential in einen bilateralen und europaumlischen Dia-log einzubringenMit freundlichen GruumlszligenRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter Politik Greenpeace eVQuelle lthttpwwwaustauschorgaktuelle-meldungennewsdetailarticle1offener-brie-1htmlno_cache=1ampcHash=0428c5bffdgt

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offener Brief des Vorsitzenden des Petersburger Dialogs vom 13 oktober 2014

AnRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich-Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace eVBerlin 13 Oktober 2014Ihr Schreiben vom 10 Oktober 2014Sehr geehrte Damen und HerrenIhren offenen Brief habe ich erhalten Dass Sie einen Brief aumlhnlichen Inhalts zunaumlchst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Auszligenminister verschickt haben verwundert mich Sie geben damit fuumlr die zivilgesell-schaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung die Sie fuumlr die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren

Ihre Nichtbeteiligung am Petersburger Dialog bedaure ich Denn es entspricht der Uumlberzeugung der meisten Mit-glieder des Vorstandes und des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs dass gerade angesichts zweifellos vorhan-dener Probleme fuumlr die Zivilgesellschaft die Sie teilweise benennen die offensive Auseinandersetzung zu solchen The-men gesucht werden muss Indem man sich solchen Gespraumlchen entzieht schadet man den Interessen der Betroffenen

Sie schreiben der Petersburger Dialog sei im Inneren zu reformieren da er von Vertretern aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert sei Diese Feststellung ist falsch und Sie wissen das Das auch in der Satzung des Petersbur-ger Dialogs beschriebene Konzept des Dialogs beruht auf einem breiten Gedankenaustausch aller gesellschaftlichen Kraumlfte Dazu gehoumlren die Bereiche Kultur Medien Bildung Wissenschaft und Kirchen genauso wie zahlreiche im Bereich der politischen sowie der sozialen Menschenrechte engagierte Einrichtungen die in ihrer Gesamtheit das deutsch-russische Verhaumlltnis beleben

Sie versuchen in Ihrem Brief den Petersburger Dialog auf das enge Feld einiger Vertreter der Zivilgesellschaft zu reduzieren die jenseits der korporierten Zivilgesellschaft angesiedelt sind und deren Interessenspektrum nur einen Teil des gesamten zivilgesellschaftlichen Engagements abdeckt

Ich verkenne nicht die ndash auch aber nicht nur ndash in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu Tage getretenen Probleme sowie die unterschiedlichen Folgen die sich aus einer raquogelenkten Demokratielaquo die in vielem nicht westli-chen Standards entspricht ergeben Dennoch Gemessen an weiten Bereichen der russischen Geschichte ist die Ent-wicklung seit 1991 ein Fortschritt Das daraus resultierende wenn auch im letzten Jahr stark eingetruumlbte Vertrauens-potential muss fuumlr die auf vielen Ebenen notwendigen Gespraumlchsforen genutzt und ausgebaut werden

Derartige Gespraumlche bedingen genauso Realismus wie intellektuelle Disziplin wozu auch gehoumlrt zu verstehen wie Russland die Probleme versteht Dies ndash und nicht Gespraumlchsverweigerung ndash ist die Voraussetzung um auf allen demokratischen gesellschaftlichen Ebenen ndash vom politischen Machtzentrum bis in die Randgruppen hinein ndash pro-blemorientierte Gespraumlche fuumlhren zu koumlnnen Dabei darf keine Seite fuumlr sich in Anspruch nehmen legitimere Inte-ressen zu vertreten als die andere

Das heiszligt Ein Gespraumlch raquoauf Augenhoumlhelaquo nicht von oben herab nicht moralisch belehrend aber mit klaren und ehrlichen Argumenten Dabei duumlrfen wir nicht verschweigen welche gesetzgeberischen aber auch politisch-morali-schen Standards wir fuumlr eine demokratische Gesellschaft im europaumlischen Kontext fuumlr unabdingbar halten

Der Petersburger Dialog wurde aus guten Gruumlnden als deutsch-russische Gemeinschaftseinrichtung konzipiert Da ist eine ndash oft muumlhsame ndash Kompromissfindung unausweichlich Dies ist Teil des Wertes auch der Tiefe aber auch der moralischen Qualitaumlt des Dialogs Das Ringen um kompromissfaumlhige Konzepte muss unser Anliegen bleiben nicht Vorverurteilung und GespraumlchsablehnungMit freundlichem GruszligDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des Vorstands Petersburger Dialog e VQuelle Website des Petersburger Dialogs lthttpwwwpetersburger-dialogcomoffener-brief-vom-13-oktober-2014gt

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offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 37

9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 38

14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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Die Russland-Analysen werden von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und von Mangold Consulting GmbH unterstuumltzt

Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

Abdruck und sonstige publizistische Nutzung sind nach Ruumlcksprache mit der Redaktion gestattetVerantwortlicher Redakteur Hans-Henning Schroumlder

Recherche Uumlbersetzungen und Sprachredaktion Christoph Laug Hartmut SchroumlderSatz Matthias Neumann

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Die Russland-Analysen werden im Rahmen eines Lizenzvertrages in das Internetangebot der Bundeszentrale fuumlr politische Bildung (wwwbpbde) aufgenommenDie Russland-Analysen werden im Rahmen der Datenbank World Affairs Online (WAO) ausgewertet und sind im Portal IREON wwwireon-portalde recherchierbar

ISSN 1613-3390 copy 2014 by Forschungsstelle Osteuropa BremenForschungsstelle Osteuropa bull Publikationsreferat bull Klagenfurter Str 3 bull 28359 Bremen bull Telefon +49 421-218-69600 bull Telefax +49 421-218-69607

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 40

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Die einzelnen Laumlnder-Analysen werden von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und der Deutschen Gesellschaft fuumlr Osteuropakunde jeweils mit unterschiedlichen Partnern und Sponsoren herausgegeben

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  • Analyse
    • Eine neue Phase der Russland- und Ostpolitik hat begonnen
      • Karsten D Voigt Berlin
      • Umfrage
        • Die Russland-Ukraine-Krise in russischen Umfragen
          • Aus russischen Blogs
            • Nawalnyj Krim nasch
              • Analyse
                • Zivilgesellschaft und Staat in Russland
                  • Pavel Chikov Moskau
                  • Analyse
                    • NGOs in Russland
                      • Jens Siegert Moskau
                      • Analyse
                        • Ein Kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen Engagements zur Unterstuumltzung und Integration von Migranten in Russland
                          • Marina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin
                          • Umfrage
                            • Uumlber die Zivilgesellschaft in Russland
                              • Dokumentation
                                • Luumlgen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des JustizministeriumsErklaumlrung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL
                                  • Notizen aus Moskau
                                    • Petersburger Dialog
                                      • Jens Siegert Moskau
                                      • Dokumentation
                                        • Briefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo
                                          • Chronik
                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 7: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 7

grafik 4 Wird die Waffenruhe zu einem stabilen frieden fuumlhren

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 13ndash14 September 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 22 September 2014 unter lthttpfomruMir11731gt

0 20 40 60 80 100

InsgesamtFreunde etc in der Ukraine

Keine Freunde in der UkraineMann

Frau18-30 Jahre

31-45 Jahre45-60 Jahre

Uumlber 60 JahreMittelschule

Technikum u aumlHochschulbildung

Bis 4000 Rubel4001- 9000 Rubel

9001 ndash 20000 Rubel Mehr als 20000 Rubel

MoskauUumlber 1 Mio Einwohner

250000 ndash 1 Mio Einwohner50000 ndash 250000 Einwohner

Unter 50000 EinwohnernDorf

Taumlgliche Internetnutzer

Die Waffenruhe fuumlhrt zu einem stabilen FriedenKeine AntwortDie Kampfhandlungen werden wieder aufgenommen

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 13ndash14 September 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 22 September 2014 unter lthttpfomruMir11731gt

grafik 5 Werden die republiken Donezk und lugansk am ende teil der Ukraine bleiben unabhaumlngige staa-ten werden oder teil russlands werden

0 20 40 60 80 100

InsgesamtFreunde etc in der Ukraine

Keine Freunde in der UkraineMann

Frau18-30 Jahre

31-45 Jahre45-60 Jahre

Uumlber 60 JahreMittelschule

Technikum u aumlHochschulbildung

Bis 4000 Rubel4001- 9000 Rubel

9001 ndash 20000 Rubel Mehr als 20000 Rubel

MoskauUumlber 1 Mio Einwohner

250000 ndash 1 Mio Einwohner50000 ndash 250000 Einwohner

Unter 50000 EinwohnernDorf

Taumlgliche Internetnutzer

Teil der Ukraine bleiben Keine Antwort Anderes Unabhaumlngige Staaten werden Teil Russlands werden

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 8

Umfragen des lewada-zentrums

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 6 Welches sind die wesentliche kraumlfte auf seiten der kiewer seite bei den kaumlmpfen in den gebieten Donezk und lugansk

0 20 40 60 80 100

Jun2014

Sep2014

Regulaumlre Einheiten der ukrainischen ArmeeKeine AntwortBewaffnete Formationen ukrainischer Rechtsradikaler

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 7 Welches sind die wesentlichen kraumlfte bei den kaumlmpfen in den gebieten Donezk und lugansk auf der anderen seite [separatistenneurussland]

0 20 40 60 80 100

Jun 2014

Sep2014

Buumlrgerwehren der Staumldte in den Gebieten Donezk und LuganskKeine AntwortBewaffnete Einheiten prorussischer Radikaler die von Russland unterstuumltzt werden

grafik 8 Befinden sich gegenwaumlrtig in der Ukraine russische streitkraumlfte

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

Ja29

Nein48Keine Antwort

23

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 9

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 9 Wie stehen sie dazu dass in den reihen der Buumlrgerwehr der ostukraine russische freiwillige kaumlmpfen

0 20 40 60 80 100

1 Mai 2014

1 Juni 2014

19-22 Sept2014

26-29 Sept2014

Absolut positiv Eher positiv Keine Antwort Eher negativ Absolut negativ

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 10 Wie endet die gegenwaumlrtige Waffenruhe

Die Unterzeichnung eines Friedensabkommens und

dem Prozess einer friedlichen Regulierung

des Konfliktes27

Wiederaufnahme des bewaffneten Konflikts

46

Keine Antwort27

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 11 sollten im falle eines Wiederaufnahme der kampfhandlungen in der ostukraine russische truppen entsandt werden

Auf jeden Fall5

Eher ja16

Eher nein36

Auf keinen Fall27

Keine Antwort16

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 10

grafik 12 Unterstuumltzen sie die massenproteste (raquofriedensmaumlrschelaquo) gegen die russische einmischung in innere Angelegenheiten der Ukraine

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 September 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 25 September 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint25-09-2014marshi-miragt

0 20 40 60 80 100

Mrz2014

Sep2014

Auf jeden Fall Eher ja Keine Antwort Eher nein Auf keinen Fall

Die haltung gegenuumlber den fluumlchtlingen aus der Ukraine

Quelle Umfragen des WZIOM vom 20ndash21 September 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 26 September 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=114994gt

grafik 13 gibt es in ihrer stadt siedlung fluumlchtlinge aus der Ukraine

0 20 40 60 80 100

Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja viele ukrainische Fluumlchtlinge Ja wenige ukrainische Fluumlchtlinge Keine Antwort Nein keine ukrainischen Fluumlchtlinge

Quelle Umfragen des WZIOM vom 20ndash21 September 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 26 September 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=114994gt

grafik 14 leistet russland den ukrainischen fluumlchtlingen ausreichende hilfe

Russland leistet den Fluumlchtlingen

ausreichende Hilfe67

Russland leistet den Fluumlchtlingen zu geringe

Hilfe4

Russland leistet den Fluumlchtlingen zu viel Hilfe

24

Keine Antwort5

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 11

AUS RUSSISchEN BLOGS

nawalnyj krim nasch1

Seit Maumlrz 2014 steht Alexej Nawalnyj wegen des sogennanten raquoYves-Rocher-Fallslaquo unter Hausarrest Dem opposi-tionellen Politiker wurde per Gerichtsbeschluss verboten seine Wohnung zu verlassen sowie mit jeglichen Perso-

nen auszliger dem engen Familienkreis zu sprechen Interviews zu geben und das Internet zu nutzen Seitdem fuumlhrt das Team der raquoStiftung fuumlr die Korruptionsbekaumlmpfunglaquo (russ raquoFBKlaquo) seinen Blog und seine Frau seinen Twitter-Account Anfang Oktober milderte das Gericht des Moskauer Basmannyj-Rayons (Basmannyj-Gericht) uumlberraschenderweise die Bedingungen des Hausarrests in Bezug auf Kontakte mit der Auszligenwelt was nach mehreren Monaten Journalis-ten wieder einen Zugang zur Schluumlsselfigur der russischen Protestbewegung ermoumlglichte

Das Interview fuumlr Echo Moskwy vom 15 Oktober in dem Nawalnyj sich unzweideutig zur Annexion der Krim aumluszligerte erregte in Russland uumlberaus groszlige Aufmerksamkeit Wie im Nachhinein aus der Redaktion von Echo Moskwy verlautet wollte Michail Lesen Chef der Holding Gazprom-Media die zwei Drittel der Aktien des Radiosenders besitzt die Veroumlffentlichung dieses Interviews auf alle erdenkliche Weise verhindern er habe der stellvertretenden Chefre-dakteurin Olesja Rjabzewa per Telefon mit groszligen Problemen gedroht wie diese in ihrem Blog berichtet Das Inter-view schlug in der liberalen Oumlffentlichkeit wie eine Bombe ein da Nawalnyj die Ruumlckgabe der Krim an die Ukraine eindeutig ausschloss Auf die Frage des Chefredakteurs des Radiosenders Alexej Wenediktow raquoKrim naschlaquo (Ist die Krim unser) sagte der Oppositionelle Folgendes raquoIch finde dass obwohl die Krim unter eklatanten Verstoumlszligen gegen alle voumllkerrechtlichen Normen erobert wurde die Realien derart sind dass die Krim jetzt ein Teil der Russischen Foumlderation ist Machen wir uns doch nichts vor Den Ukrainern rate ich ebenfalls ausdruumlcklich sich nichts vorzu-machen Sie [die Krim Anm d Red] bleibt Teil Russlands und wird in absehbarer Zukunft kein Teil der Ukraine werdenlaquo Diese Aussage loumlste auf Twitter einen massiven raquoShitstormlaquo aus Kurz nach dem Interview schloss sich auch Michail Chodorkowskij der Position Nawalnyjs an und sagte raquoDie Krim gebe ich nicht zuruumlcklaquo (lthttpgraniruPol iticsRussiaPartiesm234009htmlgt) Im Zuge heftiger Debatten in den Blogs teilte sich die liberale Oumlffentlichkeit Russlands in Nawalnyj-Versteher und harsche Kritiker der Krim-Annexion es meldeten sich unter anderem zu Wort Grigorij Golosow Professor an der Europaumlischen Universitaumlt St Petersburg Sergey Davidis Buumlrgerrechtler und enger Verbuumlndeter Nawalnyjs in der Protestbewegung Alexander Osowzow Projektdirektor der Stiftung von Michail Cho-dorkowskij raquoOffenes Russlandlaquo Wladislaw Naganow Mitglied der Nawalnyj-Partei raquoPartei des Fortschrittslaquo der Jour-nalist und Publizist Alexander Sotnik der russischsprachige Kiewer Journalist Mustafa Nayyem und der Kriegskor-respondent Arkadij Babtschenko

eine situation ohne guten AuswegraquoNawalnyj stellt alles richtig dar zu vielen Fragen laumlsst sich derzeit kaum etwas Besseres sagen Er ist ein begabter Mensch ein geborener Politiker Das Schlimme ist dass Russland ihn unter Hausarrest haumllt Alle gehen ihn hier an mit der Krim Man muss aber dabei im Kopf behalten dass es Putin war der die ukrainischen Probleme fuumlr Russland geschaffen hat und Nawalnyj nach einem guten Ausweg aus einer schlechten Lage zu fragen ist nicht besonders fair Die Krim bedeutet eine Situation ohne guten Ausweg Fuumlr den Besitz der Krim werden wir ndash alle zusammen oder jeder einzelne aus eigener Tasche ein Vielfaches von dem zahlen muumlssen was es gekostet haumltte jeden Quadratmeter auf der Halbinsel zu kommerziellen Preisen als Eigentum zu erwerben und alle Bewohner die dann nicht bleiben wollen an die Cocircte drsquoAzur umzusiedeln Putin hat das Geschaumlft bereits abgeschlossen Selbst Nawalnyj kann es nicht stornierenlaquoGrigorij Golosow via Snobru 16102014 lthttpslonrurussiapochemu_navalnyy_prav-1172360xhtmlgt

raquoAlle haben sich auf nawalnyj gestuumlrzthelliplaquoraquoIch habe in seinen Worten keinen Imperialismus erkennen koumlnnen er stimmt der Besetzung und Annexion der Krim nicht zu weist im Gegenteil auf deren krasse Rechtswidrigkeit hin Er hat gesagt dass Krim jetzt de facto zu Russ-land gehoumlrt [hellip] Er sagt dass man sie nicht wie ein Butterbrot zuruumlckgeben kann dass das die Bevoumllkerung entschei-den sollte was gibt es da zu bestreiten Selbst bei der Annexion gab es ein Schein-Referendum Und wenn man nicht autoritaumlr und rechtswidrig vorgeht sondern fair und demokratisch wer anders als die Bevoumllkerung sollte dann ent-scheiden [hellip]

Was ich in der Aumluszligerungen Alexejs nicht gutheiszligen wuumlrde ist der Stil Man sollte jetzt auf Ratschlaumlge fuumlr die Ukrainer lieber verzichten insbesondere bei einer solchen Frage Man sollte nicht davon reden dass Krim rsaquoin absehba-

1 dt Die Krim ist unser

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rer Zukunft kein Teil der Ukraine werdenlsaquo wird auch wenn es scheint als ob die Ergebnisse eines jeden Referendums vorhersehbar sind Schlieszliglich tragen wir alle selbst diejenigen die dagegen waren zu einem gewissen Grad eine Ver-antwortung bei der Aggression des Kreml gegen die Ukraine und trotz allem stehen wir in den Augen der Ukrainer vollkommen zurecht als Buumlrger eines Aggressorstaates da Etwas mehr Ruumlcksicht und Fairness waumlre nicht verkehrtlaquoSergej Davidis auf Facebook 15102014 lthttpswwwfacebookcomsergeidavidisposts800840943304969gt

raquoDer Drache gewinnt in jedem falllaquoraquoBezuumlglich der Krim bin ich mit Nawalnyj kategorisch nicht einverstanden und finde dass gerade Russland der Ukraine die annektierte Krim zuruumlckgeben sollte vor allem weil niemand auch kein Land ein normales Leben fuumlh-ren kann ohne zu versuchen die Folgen eines von ihm begangenen Verbrechens nach Moumlglichkeit zu korrigieren Das waumlre genauso als wenn Alexejs rsaquoLieblingsfigurenlsaquo ndash Timtschenko Jakunin die Rotenbergs usw ndash eines schoumlnen Tages sagen wuumlrden rsaquoWir klauen jetzt nicht mehr wir sind jetzt ehrliche Leute Aber was wir vorher zusammenge-klaut haben das gehoumlrt bereits uns und das behalten wirlsaquo Eine solche Idee wuumlrde Nawalnyj kaum zufriedenstellen

Die Diskussion um Nawalnyjs Position die jetzt stattfindet zeigt aber aus meiner Sicht sehr ernst zu nehmende moralische und ethische Probleme innerhalb eines Teils der russischer Opposition auf Die einen die gestern noch mit harten Worten die rsaquoKrimnaschistenlsaquo beschimpft haben und so schien es bereit waren rsaquoWatniki und Koloradylsaquo2 in Stuumlcke zu zerreiszligen sind nun durch der rsaquoHetze der liberalen Presse gegen Nawalnyjlsaquo empoumlrt [hellip]

Ich moumlchte denjenigen fuumlr die jedweder Meinungsunterschied zu Nawalnyj ein Anschlag auf das Allerheiligste ist Folgendes sagen Beruhigt euch versucht zu verstehen dass es dumm und aussichtslos fuumlr das Land waumlre rsaquoPuti-noidelsaquo durch rsaquoNawalnoidelsaquo auszutauschen So wie in dem alten vietnamesischen Maumlrchen uumlber den Drachen und das Schwert aus grauem Stahl Es gewinnt immer der DrachelaquoAlexander Osowzow auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcomosovtsovaaposts1568393260047754gt

raquoman darf sie nicht hin und her zuruumlckgebenlaquoraquoAlle die Nawalnyj fuumlr seine Worte rsaquoIst die Krim etwa ein Wurstbrot dass man es hin und her zuruumlckgeben koumlnntelsaquo kritisieren moumlchte ich fragen Wie stellt ihr das uumlberhaupt vor

Der Praumlsident Russlands unterschreibt einen Erlass uumlber die Ruumlckgabe der Krim und Sewastopols an die Ukraine Uumlber die Entziehung der russischen Staatsbuumlrgerschaft bei allen Bewohnern der Krim und Sewastopols Oder kann man den Menschen die russische Staatsbuumlrgerschaft belassen und nur das Territorium ndash mit ihnen ndash uumlbergeben Fragt irgendjemand die Menschen was sie wollen bevor man etwas mit ihnen macht Oder werden die Einwohner der Krim und Sewastopols nicht fuumlr Menschen gehalten sondern fuumlr Vieh fuumlr eine Schafherde die zwischen verschie-denen Staaten hin und her rsaquouumlbergebenlsaquo werden kann Der eine Praumlsident hatte Lust und nahm es sich der andere hat sich anders uumlberlegt und gibt es wieder zuruumlckt So etwa

Sollte man nicht doch besser die Menschen fragen Hat Nawalnyj das etwa nicht selbst gesagt als er von einem rsaquonormalenlsaquo Referendum auf der Krim sprach Ich verstehe unter einem rsaquonormalenlsaquo Referendum eines das nicht nur 15ndash20 Tage vorbereitet wird sondern mindestens drei Monate Und bei dem es keine Einschraumlnkungen fuumlr die Kam-pagne gibt Die Anhaumlnger einer Zugehoumlrigkeit der Krim und Sewastopols zur Ukraine wollen hierfuumlr agitieren mit Plakaten Flugblaumlttern Werbevideos ukrainischen Fahnen ndash bitte schoumln Ohne Einschraumlnkungen Und dass alle moumlg-lichen Wahlbeobachter zum Referendum kommen koumlnnen von der OSZE von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates von der GUS aus der Ukraine der EU und den USA von uumlberall her Und dass ein transparenter Ablauf der Stimmenzaumlhlung gewaumlhrleistet werde Und wenn jemand von den Wahlbeobachtern ein Nachzaumlhlen der Stimmen per Hand verlangt ndash bitte schoumln mehrmals so oft wie gewuumlnscht Und uumlberhaupt Lasst so viele Wahlbe-obachter in jedes Wahllokal wie dort Platz ist Und keinerlei bewaffnete Menschen mit Maschinenpistolen in kei-nem einzigen Wahllokal oder dessen UmgebunglaquoWladislaw Naganow auf Livejournal 16102014 lthttpnaganofflivejournalcom142862htmlgt

liebe raquonawalnistenlaquoraquoAlso Fuumlr die verehrten rsaquoNawalnistenlsaquo die sich wegen Alexej so aufregenhellip

2 raquoWatnikilaquo (Wattejacken) ndash abfaumlllige Bezeichnung fuumlr russische sbquoHurrapatriotenlsquo (ein raquoWatniklaquo ist eine Wattejacke die mit der Armee aber auch mit Straumlflingen assoziiert wird) raquoKoloradylaquo (von raquo koloradskij shuklaquo ndash Kartoffelkaumlfer) ndash abfaumlllige Bezeichnung fuumlr prorussische Akti-visten in der Ukraine (die Faumlrbung des Kaumlfers ist schwarz-gelb oder schwarz-orange gestreift aumlhnlich den Farben des St Georgs-Bandes das von prorussischen Kraumlften in der Ukraine und von politisch rechtsstehenden Russen als Abzeichen verwendet wird)

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Ja eurer rsaquoFuumlhrerlsaquo ist Imperier Daraus hat er kein Geheimnis gemacht Er ist bei der Krim-Frage ein absoluter Putin Weil er wenn er einer anderen Ansicht waumlre Wenediktow Folgendes gefragt haumltte rsaquoVon welcher Krim reden Sie denn Von der die zur Ukraine gehoumlrt womit Russland einverstanden war als es das Budapester Abkommen unterschrieben hat Sie fragen mich uumlber die territoriale Integritaumlt eines Staates dem Russland Garantien gegeben hat wonach die Ukraine zum atomwaffenfreien Land geworden ist Haumltte Russland seinerzeit diese Garantien nicht gegeben haumltte die Ukraine jetzt Atomraketen und wir wuumlrden es niemals riskieren uns dort einzumischenhellip Sie fragen also nach Quatsch und zwar provokantem Quatschlsaquo

Wenn er also auf diese Weise geantwortet haumltte dann ja Dann waumlre er als Politiker geboren worden Er hat sich aber ausgenullt Wie seinerzeit Udalzow

Und noch etwa Verehrte rsaquoNawalnistenlsaquo houmlrt auf euch Goumltzen zu schaffen Viele von euch waren auf dem rsaquoFrie-densmarschlsaquo zur Unterstuumltzung der territorialen Integritaumlt der Ukraine Verliert das Gesicht nicht Trefft eine Wahl ohne Bindung des Herzens Und all die Argumente rsaquoer habe es nicht so gesagt er habe etwas anderes gemeintlsaquo das ist im Stil von rsaquoPutinistenlsaquo und zwar rsaquoUnser Fuumlhrer hat alle ausgetrickst Das eine gesagt was anderes getan Sie haben seinen Weisheiten schlecht zugehoumlrtlsaquohellip

Seid keine Kinder Werdet erwachsenlaquoAlexander Sotnik auf Facebook 15102014 lthttpswwwfacebookcomsashasotnikposts646414272138108gt

raquorandfigur russischer PolitiklaquoDa Alexej Nawalnyj recht offen seine Meinung zur Krim geaumluszligert hat [hellip] waumlre es auch fuumlr den Oppositionellen selbst sinnvoll das Geheimnis uumlber seine Lage zu luumlften Ich finde dass abgesehen davon dass die Rechte von Ale-xej Nawalnyj lange Jahre verletzt wurden und er nach himmelschreiender Verletzung aller Gesetzesnormen der Rus-sischen Foumlderation verurteilt wurde die Realitaumlt so aussieht dass Herr Nawalnyj eine Randfigur der russischen Poli-tik ist Ich rate ihm und seinen Anhaumlngern eindringlich sich nichts vorzumachen ndash sie haben in absehbarer Zukunft keine Chance bedeutende Figuren in der groszligen Politik zu werden Das waumlre ebenfalls ehrlichMustafa Nayyem auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcomMustafanayyemposts10203171638717866gt

raquoWas wollen sie Pardon zuruumlckgebenlaquoraquoWas fuumlr spannende Eskapaden nun zu dieser Krimhellip rsaquoDie Krim ist kein Wurstbrotlsaquo meint Nawalnyj rsaquoWenn ich Prauml-sident werde gebe ich Krim nicht zuruumlcklsaquo schreibt Michail Chodorkowskij auf Twitter [hellip]

Russland hat einen Teil eines souveraumlnen Staates okkupiert Diese Okkupation ist von keinem anderen Staat in der Weltgemeinschaft anerkannt worden In der ganzen Welt hat sich die ukrainische Grenze nicht um einen Zen-timeter veraumlndert Die Welt kennt keinen anderen Staat rsaquoUkrainelsaquo auszliger diesen ndash mit der Krim Die Welt kennt kei-nen anderen Staat rsaquoRusslandlsaquo auszliger diesen ndash ohne die Krim Es hat keine Vertraumlge zur Anerkennung und Bestaumltigung neuer Grenzen gegeben

Was also wollen Sie Verzeihen Sie die Frage rsaquozuruumlckgebenlsaquo [hellip]Und zweitens Das wichtigsteWenn du Praumlsident wirst ndash eben Praumlsident ndash waumlre in diesem Koordinatensystem schon eine solche Fragestellung

rsaquoabgeben oder nichtlsaquo per definitionem undenkbar Denn der Praumlsident ist ein gewaumlhltes Amt Ein Amt das im Rah-men fairer und freier Wahlen besetzt wird die in einem demokratischen Land nach internationalen Regeln Konven-tionen Rechten und Gesetzen die durch die Weltgemeinschaft als korrekt anerkannt werden [hellip] In dieser Situa-tion wuumlrde sich die Frage rsaquozuruumlckgeben oder besser nochmal uumlberlegenlsaquo a priori nicht stellen Weil nicht du es bist der uumlber zuruumlckgeben oder nicht entscheidet Du bist kein Lenker des Schicksals von Staaten Laumlndern und Voumllkern Du bist bloszlig Garant der Ausfuumlhrung von Gesetzen Einschlieszliglich internationaler Gesetze Fuumlr alle die daruumlber anders dachten ist die Moumlglichkeit geschaffen worden uumlber ihre Fehler nachzudenken ndash in den schoumlnen Staumldten Nuumlrnberg und Den HaaglaquoArkadij Babtschenko auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcombabchenkoaposts555934824506755fref=nfgt

Ausgewaumlhlt und zusammengefasst von Sergey Medvedev Berlin (Die Blogs auf die verwiesen wird sind in russischer Sprache verfasst)

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ANALYSE

zivilgesellschaft und staat in russlandPavel Chikov Moskau

zusammenfassungDie Zivilgesellschaft befindet sich heute in Russland in einem schlechten Zustand Sie entwickelte sich Ende der 1980er Jahre und genoss bis Ende der 1990er Jahre weitgehende Freiheiten 1999 gab es erste staatliche Eingriffe und 2004 kennzeichnete Praumlsident Putin aus dem Ausland finanzierte NGOs direkt als raquoFeindelaquo In den folgenden Jahren wurde die Gesetzgebung verschaumlrft die Registrierung von NGOs erschwert den-noch gab es bis zur Ruumlckkehr Putins in das Praumlsidentenamt im Jahre 2012 kein ernstliches Vorgehen der Behoumlrden gegen die NGOler Mit der ultrakonservativen Wende des Jahres 2012 begann der Staat auch verstaumlrkt gegen die NGOs vorzugehen Heute auch nach den Ereignissen in der Ukraine ist weithin klar geworden dass Wladimir Putin bei seiner Orientierung auf einen extremen Konservatismus auch vor Re-pressionen gegen Nichtregierungsorganisationen nicht zuruumlckscheut

Die entstehung der zivilgesellschaft ende der 1980er JahreDer Zustand der Zivilgesellschaft in Russland laumlsst sich heute mit nur einem Wort charakterisieren schlecht Mehr noch Er ist schlechter denn je in der neuesten Geschichte Russlands wenn man davon ausgeht dass es zu sowjetischer Zeit keine nennenswerte Zivilgesell-schaft gegeben hat Die vereinzelten sowjetischen Buumlr-gerrechts- und Dissidentengruppen deren Mitglieder von den Geheimdiensten aufs engste uumlberwacht wurden lassen sich naumlmlich nur mit groumlszligter Muumlhe als Zivilge-sellschaft bezeichnen

Eine legale Existenz vom Staat unabhaumlngiger Nicht-regierungsorganisationen begann in Russland ungefaumlhr in jener Zeit als West- und Ostdeutschland wiederver-eint wurden Ende der 1980er und in der ersten Haumllfte der 1990er Jahre wurden zum einen die bereits erwaumlhn-ten sowjetischen Dissidentengruppen dann aber auch jene Initiativgruppen die auf der Welle der Perestroika unter Gorbatschow entstanden waren und nun als Orga-nisationen auftraten zur Basis der kuumlnftigen Zivilgesell-schaft Diese Gruppen erreichten dass Kuibyschew in Samara und Gorkij in Nishnij Nowgorod umbenennt wurde und sie beteiligten sich engagiert an den Wahlen der Volksdeputierten beseitigten verschiedenste Relikte der sowjetischen Vergangenheit wurden zu Meinungs-fuumlhrern der Gesellschaft organisierten erstmals recht-liche Hilfe fuumlr die schwaumlchsten Bevoumllkerungsgruppen

Die ersten Gesetze die die Taumltigkeit von NGOs sys-tematisch regulierten entstanden in den Jahren 1995 und 1996 Sie wurden auf der Houmlhe der allgemeinen Demokratisierung verabschiedet schrieben die grundle-genden buumlrgerlichen Freiheiten fest sahen eine Registrie-rung per Anmeldung keinerlei Rechenschaftspflichten sowie die Moumlglichkeit vor ohne Registrierung als juristi-sche Person taumltig sein zu koumlnnen Hierbei konnten rund zwei Dutzend verschiedener Rechtsformen genutzt wer-den Eine gesellschaftliche Organisation (NGO) regis-

trieren zu lassen bedeutete keine Muumlhe und die staat-lichen Gebuumlhren hierfuumlr waren minimal Gleichzeitig gab es jedoch keinerlei System fuumlr eine finanzielle Foumlrde-rung von nichtkommerziellen Organisationen (NGOs) durch den Staat

erste eingriffe des staatesDie ersten Zeichen die von kuumlnftigen Problemen fuumlr NGOs kuumlndeten erfolgten im Jahr 1999 als das Justiz-ministerium eine Neuregistrierung aller aktiven nicht-kommerziellen Organisationen (NGOs) verlangte Damals sahen sich einige Menschenrechtsorganisatio-nen erstaunlichen Beanstandungen durch die Behoumlrden gegenuumlber Wie sich herausstellte sollte es nicht moumlg-lich sein den Schutz der Menschenrechte und buumlrgerli-chen Freiheiten zu den satzungsgemaumlszligen Zielen zu zaumlh-len Die Fachleute des Justizministeriums behaupteten Da der Schutz der Menschenrechte gemaumlszlig der Verfas-sung die Pflicht des Staates ist koumlnnten NGOs diesen darin allenfalls sbquounterstuumltzenlsquo Das ist die Erklaumlrung dafuumlr dass die meisten Moskauer Organisationen bei ihren Namen und in ihren Satzungen bis heute diese Formulierung verwenden die offensichtlich eine klare paternalistische Botschaft an die Gesellschaft darstellt Zivilgesellschaftliche Organisationen koumlnnen ndash so die Haltung der russischen Regierung seit 1999 und bis jetzt ndash nichts selber machen Sie koumlnnen lediglich den Staat unterstuumltzen Folglich stoszligen NGOs wenn sie sich gegen die Politik des Staates wenden auf unweiger-lichen vaumlterlichen Zorn Die 15 Jahre nach 1999 illus-trieren diese Haltung sehr deutlich

nichtregierungsorganisationen als raquofeindelaquo2004 hat Praumlsident Putin in seiner jaumlhrlichen Parla-mentsansprache Nichtregierungsorganisationen die auch nur irgendwelche Gelder aus dem Ausland erhalten direkt seine Feinde genannt 200405 wurde eine spe-zielle staatliche Struktur der raquoFoumlderale Dienst fuumlr Regis-

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trierunglaquo (raquoRosregistrazijalaquo) geschaffen ndash eine Polizei fuumlr NGOs Es wurden fuumlr NGOs Rechenschaftspflich-ten uumlber ihre Taumltigkeit eingefuumlhrt die fuumlr zwei Drit-tel der Organisationen nicht zu stemmen waren Von 2006 bis 2008 hat diese dem Justizministerium nach-geordnete Behoumlrde die Aufloumlsung Zehntausender zivil-gesellschaftlicher Organisationen per Gerichtsbeschluss erwirkt Weitere 50000 erhielten Verwarnungen Ins-gesamt befanden sich beim Amtsantritt des Zwischen-praumlsidenten Medwedew achtzig Prozent der in Russland existierenden Organisationen (ungefaumlhr 150ndash180000) nur einen Schritt von ihrer moumlglichen Aufloumlsung (aus formalen Gruumlnden) durch das Justizministerium ent-fernt Staatsfreundliche Strukturen (wie etwa die Gesell-schaftskammer) haben beharrlich die Vorstellung trans-portiert dass es in Russland tatsaumlchlich nicht mehr als 30000 gesellschaftliche Organisationen (NGOs) gebe Das Anhalten der repressiven Maschine gegen NGOs war eine der wenigen liberalen Zugestaumlndnisse Dmitrij Medwedews als Praumlsident raquoRosregistrazijalaquo wurde 2008 selbst aufgeloumlst und seine Funktionen zur Kontrolle der Nichtregistrierungsorganisationen direkt dem Justiz-ministerium uumlbertragen Viele ehemalige Mitarbeiter von raquoRosregistrazijalaquo einschlieszliglich des Behoumlrdenlei-ters wechselten zur Staatsanwaltschaft

2009 und 2010 ritten die Behoumlrden nur vereinzelte Angriffe auf Nichtregistrierungsorganisationen Ein besonders bekannter Fall war die blitzartige staatsan-waltschaftliche Uumlberpruumlfung von 40 Menschenrechtsor-ganisationen im September 2010 die auf Anweisung der Praumlsidialadministration erfolgte diese wollte vor dem Treffen der Leiter der Kommission von Wladislaw Sur-kow und Michael MacFaul kompromittierende Mate-rialien uumlber aus dem Ausland finanzierte Organisatio-nen praumlsentieren Insgesamt aber hat bis zur Ruumlckkehr Putins in das Praumlsidentenamt kein ernstliches Vorgehen der Behoumlrden gegen die NGOler gegeben

Die situation der zivilgesellschaft nach dem mai 2012Die Situation aumlnderte sich grundlegend im Mai 2012 nach der dritten Inauguration Putins die von Mas-senprotesten auf dem Bolotnaja-Platz begleitet wurde denen die bis heute andauernden sogenannten Bolot-naja-Verfahren folgten naumlmlich die strafrechtliche Ver-folgung und Verurteilung zu Gefaumlngnisstrafen von Teil-nehmern der regierungskritischen Demonstration vom 6 Mai 2012 Die Praumlsidialadministration wappnete sich mit der ultrakonservativen Politik einer demonstrativen Absage an liberale Werte fuumlr den Praumlsidenten wurde das Image eines Verteidigers traditioneller Werte aufgebaut die den Menschenrechten und buumlrgerlichen Freiheiten gegenuumlbergestellt werden

Die weitgehenden Beschraumlnkungen der Versamm-lungsfreiheit die Verfolgung von Schwulen und Les-ben die Angriffe auf die Redefreiheit im Internet die Herstellung staatlicher Kontrolle uumlber die Medien die Diskreditierung des Instituts der Wahlen wurden durch eine Kampagne zur Verfolgung von Nichtregierungsor-ganisation ergaumlnzt Diese Welle wurde unter der Losung losgetreten dem Einfluss aus dem Ausland entgegenzu-wirken Sie erfolgte durch Aumlnderungen im Gesetz uumlber nichtkommerzielle Organisationen (NGOs) das Aumlnde-rungsgesetz wurde als raquoGesetz uumlber auslaumlndische Agen-tenlaquo bekannt Praumlsident Putin persoumlnlich ist bekann-termaszligen dessen geistiger Vater Im Verlauf des Jahres 2013 organisierte die Staatsanwaltschaft die vom Jus-tizministerium die Funktion der Kontrolle uumlber Nicht-regierungsorganisationen uumlbernommen hatte die Uumlber-pruumlfung von rund tausend NGOs und lieszlig sich dabei lediglich von einem Kriterium leiten naumlmlich der Frage ob eine Organisation in irgend einer Art Gelder aus irgendeiner Art auslaumlndischer Quelle erhaumllt die Ver-einten Nationen den Europarat und private Nichtre-gierungsstrukturen eingeschlossen Auch eine Reihe deutscher Stiftungen und Organisationen waren Atta-cken ausgesetzt naumlmlich die Friedrich-Ebert-Stiftung die Konrad-Adenauer-Stiftung und der Deutsch-Rus-sische Austausch

Ziel der von Generalstaatsanwalt Jurij Tschajka ini-tiierten Kampagne war es moumlglichst viele Organisa-tionen dazu zu noumltigen sich als auslaumlndischer Agent registrieren zu lassen Die Reaktion der russischen Zivil-gesellschaft laumlsst sich wohl als deutlichsten Beweis ihrer Existenz bezeichnen Nach dieser halbjaumlhrigen Kam-pagne in allen Regionen des Landes hatte sich keine einzige Organisation im Verzeichnis der raquoauslaumlndi-schen Agentenlaquo registrieren lassen Die Zivilgesellschaft hatte ndash ohne sich zu verabreden ndash die Anwendung die-ses Gesetzes sabotiert und Dutzende Organisationen zogen mit Beschwerden gegen das Vorgehen der Staats-anwaumllte vor Gericht Diese ewig langen Gerichtspro-zesse dauern bis heute an Involviert sind mittlerweile auch das Oberste Gericht das Verfassungsgericht der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte die Vene-dig-Kommission des Europarates der Menschenrechts-kommissar des Europarates und die Regierungschefs aller groszligen westlichen Staaten

Heute nach den diesjaumlhrigen Ereignissen in der Ukraine ist weithin klar gewonnen dass Wladimir Putin bei seiner Hingabe an extremen Konservatismus und bei seiner Attacke gegen liberale Werte die die Grundlage der Nachkriegsordnung dargestellt haben bei Repressionen gegen Nichtregierungsorganisationen nicht halt macht Heute in einer Situation da von jenem Moment wo im Kopf des Praumlsidenten oder von irgend

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jemandem in dessen engster Umgebung die naumlchste Idee zur Beschraumlnkung der Menschenrechte entsteht bis zur Verabschiedung und dem Inkrafttreten eines entsprechenden Foumlderalen Gesetzes nur eine Woche vergehen kann koumlnnen jene die Menschenrechtsar-

beit machen solche Schritte der Regierung weder aus-zuschlieszligen noch sie vorhersehen Es bleibt einem nur auf wirklich alle Szenarien gefasst zu sein auch auf die schlimmsten

Uumlbersetzung Hartmut Schroumlder

Uumlber den AutorPawel Chikow Vorsitzender der Interregionalen Assoziation der Buumlrgerrechtsorganisationen raquoAGORAlaquo Mitglied des Rats fuumlr die Entwicklung der Zivilgesellschaft und fuumlr Menschenrechte beim Praumlsidenten der Russischen Foumlderation

ANALYSE

ngos in russlandJens Siegert Moskau

zusammenfassungUnabhaumlngige russische NGOs sind seit Praumlsident Putins Amtsantritt Ziel staatlichen Drucks Die Auseinan-dersetzung mit diesem Druck hat bei den NGOs zu einer schrittweisen und beindruckenden Professionali-sierung beigetragen die wiederum geholfen hat trotz dieses Drucks nicht nur zu uumlberleben sondern auch ihre Arbeit weiter machen zu koumlnnen Das vor knapp zwei Jahren in Kraft getretene sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo stellt die NGOs vor eine neue harte Probe Zudem versucht der Staat erneut NGOs auch institutionell in raquogutelaquo und raquoboumlselaquo einzuteilen Dieser neue Versuch NGOs unter direkte staatliche Kontrol-le zu bringen gefaumlhrdet die Existenz unabhaumlngiger und staatskritischer NGOs in Russland

Putin und die ngosSeit Wladimir Putin vor nun schon fast 15 Jahren rus-sischer Praumlsident wurde versucht er sehr erfolgreich alle autonomen politischen Subjekte in Russland der direkten Kontrolle des Staates besser noch des Kremls zu unterwerfen In Wirtschaft und Politik ist das wei-testgehend gelungen Bei den Massenmedien sehr weit-gehend Blieben und bleiben die NGOs Sie haben sich als am widerstaumlndigsten erwiesen Das hat unterschied-liche Gruumlnde

Erstens galten NGOs im Kreml lange nicht als son-derlich gefaumlhrliche politische Bedrohung Das aumlnderte sich kurzzeitig 20042005 als der Kreml vor allem bei der sogenannten Orangenen Revolution in der Ukraine aus dem Ausland finanzierte NGOs als wichtige trei-bende Kraft der politischen Veraumlnderungen betrachtete Doch hielt diese seinerzeit stark uumlbertriebene Angst vor der Moumlglichkeit aumlhnlich raquoumstuumlrzlerischer Machen-schaftenlaquo in Russland nur recht kurz an Danach etwa ab Ende 2006 und bis zur Protestwelle gegen Wahlfaumll-schungen und die Wiederwahl von Wladimir Putin zum russischen Praumlsidenten im Winter 20112012 periodisch blieben die Aufmerksamkeit den NGOs gegenuumlber und das Verhaumlltnis zwischen Staat und NGOs ambivalent

Dieses Verhaumlltnis schwankt seit Putins Machtan-tritt zwischen dem Misstrauen des Staates allen auto-nomen potentiell eigenstaumlndigen politischen Subjekten gegenuumlber (die aus seiner Sicht streng kontrolliert gehouml-ren) und der Erkenntnis dass NGOs eine ganze Reihe wichtiger sozialer und politischer Funktionen ausfuumll-len die der Staat nicht oder nicht mehr zu gewaumlhrleis-ten in der Lage ist Auszligerdem erwiesen sich die NGOs nach weitgehender Abschaffung der Pressefreiheit und Gleichschaltung der (ohnehin schwachen und in vielen Bereichen dysfunktionalen) politischen Parteien fuumlr den Kreml als nuumltzlicher ja mitunter notwendiger Kommu-nikationskanal in die Gesellschaft

Die Uumlberlebensfaumlhigkeit der russischen ngosDas Uumlberleben unabhaumlngiger NGOs wurde bis heute auszligerdem durch ihre groszlige politische und institutio-nelle Lernfaumlhigkeit gewaumlhrleistet Unter dem staatli-chen Druck der vergangenen 15 Jahre ist die NGO-Arbeit in Russland in fast allen Bereichen professioneller geworden Das gilt insbesondere fuumlr die Einhaltung der in vielem widerspruumlchlichen oft geaumlnderten und uumlber Verwaltungsakte zu wahren buumlrokratischen Monstern

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aufgeblaumlhten die NGOs betreffenden Gesetze Kurz gesagt Vor allem Juristen Buchhalter Geschaumlftsfuumlh-rer die NGOs beraten oder in ihnen arbeiten aber auch viele Aktivisten sind schlicht besser schneller und pro-fessioneller als die staatliche Finanz- Justiz- oder sons-tige Verwaltung Einem in vielem legalistischen Staat gegenuumlber kostet diese staumlndige Professionalisierung (auch im Sinn einer Art raquolebenslangen Lernenslaquo) zwar viel Kraft und es muumlssen dafuumlr nicht geringe Ressour-cen eingesetzt werden aber sie verschafft solange es sich nicht um frontale Angriffe handelt immer wieder Raum und Zeit zum Weitermachen

Damit komme ich zum dritten Grund fuumlr die beson-dere Widerstaumlndigkeit von NGOs in Russland Es ist fuumlr einen Staat (und seine Staatsmaumlnner und -frauen) fuumlr den der Eigensinn der Menschen nur schwer vorstell-bar ist und der vom eigenen Zynismus geleitet hin-ter jedem und allem irgendwelchen raquofremden Maumlchtelaquo Verschwoumlrungen und politischen Utilitarismus vermutet ganz offenbar schwer vorstellbar dass zivilgesellschaftli-ches Engagement sozusagen aus sich selbst heraus oder aus einer bestimmten Situation oder einem bestimmten Ereignis einem Erlebnis oder einer Erfahrung heraus entsteht Administrative auch strafrechtliche Maszlig-nahmen gegen dieses Engagement laufen eben deshalb immer wieder zwar nicht voumlllig ins Leere (sie erschwe-ren dieses Engagement mitunter enorm) aber sie koumln-nen es nicht verhindern Es verlagert sich immer wieder und findet immer neue Formen und Foren

Die Verstaumlrkung der staatlichen kontrolleBis heute gab es unter Putin drei groumlszligere Versuche unab-haumlngige NGOs unter mehr oder weniger direkte staatli-che Kontrolle zu bringen und diejenigen die sich dagegen wehrten entweder zu marginalisieren oder auch zu schlie-szligen Der erste im Jahr 2001 endete mit einem oben schon angedeuteten Kompromiss der das Verhaumlltnis Kreml-NGOs in einem (allerdings jederzeit prekaumlren) Gleich-gewicht zwischen Konfrontation und Kooperation hielt

Der zweite Versuch endete in der Verabschiedung des raquoNGO-Gesetzeslaquo Ende 2005Anfang 2006 das den NGOs weitergehende Berichtspflichten auferlegte in der Praxis also Ressourcen band und bindet aber ebenfalls in der Praxis und entgegen anderslautenden Befuumlrchtungen nicht zu wesentlichen Einschraumlnkun-gen in der Arbeit russische NGOs fuumlhrte Die groumlszligte negative Wirkung dieses Versuches duumlrfte von zahlrei-chen oumlffentlichen Aumluszligerungen hochgestellter Politiker bis hin zu Putin ausgegangen sein NGOs seien raquoFeindelaquo raquoSchakale die um auslaumlndische Vertretungen streunenlaquo Dadurch wurde die Einstellung von Teilen der Gesell-schaft vor allem aber von weiten Teilen der Verwaltung zu NGOs grundsaumltzlich negativ gepraumlgt

Der dritte Versuch begann als Teil der staatlichen Reaktionen auf den Protestwinter 20112012 und haumllt bis heute an Sein wichtigster Bestandteil ist das soge-nannte raquoNGO-Agentengesetzlaquo das eigentlich kein eigenes Gesetz ist sondern aus einer Reihe dem NGO-Gesetz neu hinzugefuumlgter oder geaumlnderter Paragraphen besteht Diese Vorschriften verpflichten NGOs die raquosich politisch betaumltigenlaquo und Geld oder andere Zuwendun-gen aus dem Ausland erhalten sich beim Justizminis-terium als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren zu lassen Danach muumlssen sie jede oumlffentliche Aumluszligerung mit dem Zusatz raquoauslaumlndischer Agentlaquo versehen

Die Durchsetzung des AgentengesetzesTrotz erheblichen staatlichen raquoPressingslaquo der raquoUumlber-pruumlfunglaquo von mehr als 700 NGOs in ganz Russland durch Staatsanwaltschaft Justizministerium Finanz-amt und eine Reihe anderer Behoumlrden ab dem Fruumlhjahr 2013 hatte sich im Fruumlhjahr 2014 erst eine NGO als raquoauslaumlndischer Agentlaquo im entsprechenden Register des Justizministeriums eintragen lassen (lthttpunromin justruNKOForeignAgentaspxgt) Alle anderen selbst diejenigen NGOs die von den Behoumlrden als raquoAgentenlaquo eingestuft und teilweise mit empfindlichen Geldstra-fen belegt worden waren weigerten sich und weigern sich bis heute Viele NGOs klagten und klagen sowohl gegen das Gesetz als auch gegen die raquoUumlberpruumlfungenlaquo und die aus ihnen von den Justizbehoumlrden abgeleite-ten Bescheide und Anweisungen vor russischen Gerich-ten aber auch vor dem Europaumlischen Gerichtshof fuumlr Menschenrechte (EGMR) Eine Entscheidung des rus-sischen Verfassungsgerichts hat die raquoAgentenparagra-phenlaquo fuumlr verfassungskonform erklaumlrt wenn auch einige Einzelbestimmungen darunter die zu Mindeststrafen aufgehoben

Im Juni 2014 beschloss die Staatsduma eine Verschaumlr-fung der raquoAgentenlaquo-Paragraphen des NGO-Gesetzes Seither hat das Justizministerium das Recht NGOs auch ohne deren Zustimmung in das raquoAgentenlaquo-Register ein-zutragen Bis heute (21102014) hat es 15 NGOs getrof-fen Es ist damit zu rechnen das weitere folgen werden Justizminister Jurij Tschajka hat bereits 2013 im Foumlde-rationsrat von 24 NGOs gesprochen die nach Ansicht des Ministeriums raquoAgentenlaquo seien Auszligerdem wurden 2013 und 2014 mehr als 40 NGOs von der Staatsanwalt-schaft aufgefordert sich vorsorglich als raquoAgentenlaquo regis-trieren zu lassen da sie Geld aus dem Ausland bekaumlmen und Gefahr liefen sich raquopolitisch zu betaumltigenlaquo

Die reaktionen der ngos auf das AgentengesetzDie praktischen Reaktionen der NGOs auf diesen staat-lichen Druck sind unterschiedlich Einige NGOs wie

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die Wahlbeobachter von raquoGoloslaquo haben sich als juris-tische Personen aufgeloumlst oder sind wie die raquoJuristen fuumlr Verfassungsrechte und Freiheitlaquo dabei sich aufzu-loumlsen (ein juristisch und administrativ nicht ganz ein-facher und langwieriger Vorgang) Fast alle NGOs die sich aufloumlsen haben aber erklaumlrt ihre Arbeit auch ohne juristischen Status fortsetzen zu wollen Rechtlich ist das moumlglich Praktisch werden diese NGOs auf zahlreiche neue Probleme treffen wohl bis hin zur moumlglichen Kri-minalisierung einzelner Personen

Einige andere NGOs darunter das Menschenrechts-zentrum Memorial machen weiter wie bisher Sie fech-ten meist die Eintragung in das raquoAgentenregisterlaquo vor Gericht an (in der Regel ohne besonderen Erfolg) Das Menschenrechtszentrum Memorial aber auch einige andere NGOs wollen bis zum EGMR gehen unter ande-rem weil sie das Gesetz insgesamt fuumlr unmoralisch und verfassungswidrig haumllt

Eine weitere Reaktion ist eine Art Hase-und-Igel-Spiel mit den Behoumlrden Das kann sich in einem Geflecht von unterschiedlichen NGOs ausdruumlcken die unter-schiedliche Funktionen wahrnehmen Eine NGO macht politische Erklaumlrungen und betreibt Lobbying Ihre Aktivistinnen arbeiten ausschlieszliglich ehrenamt-lich Eine andere bekommt auslaumlndische Finanzierung fuumlr Projekte die auch nach der Definition von Staatsan-waltschaft und Justizministerium nicht raquopolitischlaquo sind Wieder andere NGOs weichen auf Organisationsformen (juristische Personen) jenseits des NGO-Gesetzes aus die dann nicht den raquoAgentenparagraphenlaquo unterliegen

Der Vorstoszlig gegen memorialAllerdings beschraumlnkt sich die staatliche Behinderung und Bedrohung von NGOs nicht auf das relativ neue Agentengesetz Alle anderen laumlnger erprobten adminis-trativen bis strafrechtlichen Instrumente bleiben eben-falls im Einsatz Juumlngstes und bekanntestes aber bei weitem nicht einziges Beispiel ist der Schlieszligungsan-trag des Justizministeriums vor dem Obersten Gericht gegen raquoMemorial Russlandlaquo raquoMemorial Russlandlaquo ist ein Netzwerk aus rund 50 regionalen und thematischen Memorial-Organisationen und selbst eine von mehr als 60 Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Internatio-nallaquo (Zum Memorial-Netzwerk siehe lthttprusslandboellblogorg20141011wie-funktioniert-memorial-ein-kleiner-wegweiser-durch-eine-zugegeben-kompli zierte-strukturgt) Bei einer der regelmaumlszligigen Pruumlfun-

gen stellte das Justizministerium Anfang 2012 also vor Beginn der jetzigen Repressionswelle gegen NGOs fest dass die seit Gruumlndung der Organisation geltende konfouml-derative Struktur von raquoMemorial Russlandlaquo raquonicht dem Gesetz entsprechelaquo und geaumlndert werden muumlsse Insbe-sondere behagt dem Justizministerium nicht dass die Mehrzahl der Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Russlandlaquo ihrerseits eigenstaumlndige juristische Personen sind raquoMemorial Russlandlaquo muumlsse sich zentralistisch organisieren und die regionalen Memorial-Organisa-tionen zu Filialen werden Ohne hier ins Detail gehen zu koumlnnen wuumlrde das aber zu weiteren Problemen fuumlh-ren die wiederum die Schlieszligung von Memorial durch das Justizministerium zum Ergebnis haumltten Memorial sucht einen Ausweg das Justizministerium betreibt die Schlieszligung Viele NGOs haben Probleme mit der Feu-erwehr dem Gesundheitsamt oder der Arbeitsschutzbe-houmlrde Beliebt ist in juumlngster Zeit auch die Kuumlndigung von Mietvertraumlgen (so unlaumlngst geschehen bei raquoGoloslaquo und der raquoBewegung fuumlr Menschenrechtelaquo)

soziale und politische ngosSeit dem Fruumlhjahr zeichnet sich noch ein weiterer Angriff auf unabhaumlngige und staatskritische NGOs ab Der von Michail Fedotow geleitete Zivilgesellschaftsrat beim Praumlsidenten beraumlt seit einiger Zeit eine erneute Aumlnde-rung des NGO-Gesetzes Er schlaumlgt vor die Agenten-paragraphen abzuschaffen und dafuumlr um den Befuumlrch-tungen des Kremls auf politische Einflussnahme (nicht nur aus dem Ausland) Rechnung zu tragen kuumlnftig eine Einteilung von NGOs in raquosozialelaquo und raquopolitischelaquo vor-zunehmen raquoSozialelaquo NGOs sollen diesen Vorschlaumlgen nach kuumlnftig steuerlich beguumlnstigt sein und staatliche Zuwendungen erhalten koumlnnen raquoPolitischelaquo NGOs wer-den hingegen von staatlicher Foumlrderung ausgeschlossen und sollen auf alle Zuwendungen insbesondere aber auf Zuwendungen aus dem Ausland einen noch fest-zulegenden Steuersatz zahlen Die Befuumlrworter dieser im Uumlbrigen im Zivilgesellschaftsrat nicht unumstrit-tenen Initiative verweisen darauf dass so die heute als raquoAgentenlaquo verfolgten NGOs eventuell noch gerettet wer-den koumlnnten waumlhrend staatliche Foumlrderung aller ande-ren verstaumlrkt wuumlrde Ein Gewinn also fuumlr alle Betei-ligten Tatsaumlchlich verbirgt sich hinter dem Vorschlag aber eine gefaumlhrliche Tendenz zur Entsolidarisierung in der NGO-Szene wie sie auch anderswo schon laumln-ger zu beobachten ist

Uumlber den AutorJens Siegert ist Diplompolitologe und leitet seit 1999 das Laumlnderbuumlro Russland der Heinrich Boumlll Stiftung in Mos-kau Davor arbeitete er in Moskau als Korrespondent fuumlr Radiostationen Zeitschriften und Zeitungen im deutsch-sprachigen Raum

Lesetipps finden Sie auf der naumlchsten Seite

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Lesetippsbull Siegert Jens Putin und die Zivilgesellschaft in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 12 06 2013

lthttprusslandboellblogorg20130612putin-und-die-zivilgesellschaftgtbull Siegert Jens Uumlber ein Jahr raquoNGO-Agentenlaquo-Jagd ndash eine Art Zwischenbericht in Russland-Blog (Hein-

rich-Boumlll-Stiftung Moskau) 4 Juni 2014 lthttprusslandboellblogorg20140604ueber-ein -jahr-agenten-jagd-eine-art-zwischenberichtgt

bull Siegert Jens Russische raquoNGO-Agentenjagdlaquo ndash eine Zwischenbilanz in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 7 Juni 2013 lthttprusslandboellblogorg20130607russische-ngo-agentenjagd-eine-zwischenbilanzgt

bull Siegert Jens Erklaumlrung Permer NGOs warum sie sich unter keinen Umstaumlnden als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren lassen in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 26 Mai 2013 lthttprusslandboellblogorg20130526erklarung-permer-ngos-warum-sie-sich-unter-keinen-umstanden-als-auslandische-agenten-registrieren-lassengt

bull Siegert Jens Memorial raquoNGO-Agentengesetzlaquo ist ungesetzlich und unmoralisch Keine freiwillige Registrierung als raquoauslaumlndischer Agentlaquo in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 22 September 2013 lthttpruss landboellblogorg20120922memorial-ngo-agentengesetz-ist-ungesetzlich-und-unmoralisch-keine-freiwillige-registrierung-als-auslandischer-agentgt

bull Siegert Jens Sozialer Wandel und politische Dynamik in Russland 201112 in Russland-Analysen Nr 245 19 Oktober 2012 lthttpwwwlaender-analysenderusslandpdfRusslandanalysen245pdfgt

ANALYSE

ein kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen engagements zur Unterstuumltzung und integration von migranten in russlandMarina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin

zusammenfassungObwohl die Wirtschaft Russlands aufgrund der ruumlcklaumlufigen Bevoumllkerungszahl auf Migranten angewiesen ist ist der Groszligteil der Bevoumllkerung des Landes Migranten gegenuumlber skeptisch und oft geradezu fremden-feindlich eingestellt Durch eine schlecht koordinierte staatliche Migrationspolitik ist die Lage der Arbeits-migranten meist prekaumlr Initiativen aus der Zivilgesellschaft versuchen die Situation der Migranten zu ver-bessern und leisten Aufklaumlrungsarbeit in der Bevoumllkerung sowie konkrete Hilfestellungen fuumlr Migranten Die Arbeit solcher Aktivisten wird jedoch oftmals durch staatliche Einmischung erschwert

immigration nach russland als gesellschaftliches ProblemDie widerspruumlchliche Migrationspolitik der russischen Regierung und die aufgeheizte Stimmung in der Bevoumll-kerung haben 2013 zu vermehrten xenophoben Uumlbergrif-fen auf Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien gefuumlhrt (siehe beispielsweise die Unruhen in Birjuljowo im Oktober 2013) Diese Entwicklung wirft die Frage auf welche Haltung die russische Zivilgesellschaft hierzu einnimmt Gibt es zivilgesellschaftliche Initiativen die dieser fremdenfeindlichen Stimmung entgegenwirken

In der russischen Oumlffentlichkeit ist oft von einer Flut von Arbeitsmigranten aus den GUS-Staaten die Rede doch in Wirklichkeit ist die Immigration nach Russ-land im internationalen Vergleich gering Zudem zeigen Zahlen der Staatlichen Statistikbehoumlrde raquoRosstatlaquo dass

die russische Wirtschaft aufgrund der demographischen Entwicklung in zunehmendem Maszlige Arbeitskraumlfte aus dem Ausland benoumltigt (bis 2030 ndash so die Prognose ndash soll die russische arbeitsfaumlhige Bevoumllkerung um 103 Mil-lionen Menschen abnehmen)

Trotzdem gibt es starke fremdenfeindliche Stimmun-gen die sich gegen Immigranten aus Zentralasien und dem Kaukasus richten Diese Ablehnung von Migran-ten hat zugenommen und schafft den Naumlhrboden fuumlr Pogrome wie 2006 in Kondopoga 2010 auf dem Mos-kauer Manegenplatz sowie 2013 in der Stadt Pugat-schow und dem Moskauer Vorort Birjuljowo Angst und Verachtung gegenuumlber Fremden ziehen sich durch alle Gesellschaftsschichten Sie werden als Kriminelle und Illegale stigmatisiert und nicht nur Nationalisten ver-wenden die Losung raquoRussland den Russenlaquo um Ras-

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sismus zu schuumlren und die Stimmung gegen Migranten weiter anzuheizen

es gibt keine migrationspolitikDiese interethnischen Konflikte spiegeln sich auch im russischen Alltag wieder Der durch den Foumlderalen Migrationsdienst praktizierte administrative und poli-zeiliche Umgang mit Migration ist nicht effektiv Eine Stigmatisierung der Migranten als potenzielle Krimi-nelle und eventuelle Uumlberlegungen zur Verschaumlrfung des Migrationsgesetzes koumlnnen die Probleme nicht loumlsen die gerade auch auf kommunaler Ebene anfallen Die nur situativen politischen Maszlignahmen fuumlhren mitunter zu einer Verschaumlrfung des Problems Eine uumlbergreifende Strategie existiert nicht die Politik weiszlig auf die Migra-tionsfrage keine Antwort Ein autoritaumlres zentralisier-tes System ist nicht im Stande die regionalen Probleme dieses riesigen Landes zu loumlsen deshalb liegt es vor allem an der Zivilgesellschaft sich diesen Themen zu widmen

zivilgesellschaftliche Projekte AufklaumlrungsarbeitIn Moskau und Sankt Petersburg gibt es verschiedene nichtstaatliche Projekte die sich sowohl fuumlr mehr Tole-ranz als auch fuumlr die Integration der Migranten einsetzen

Einige von ihnen bestehen schon mehrere Jahre Boris Romanow ist einer der Gruumlndervaumlter eines zivil-gesellschaftlichen Netzwerks zur Unterstuumltzung von Menschen mit Migrationshintergrund in Sankt Peters-burg Er arbeitet mit den unterschiedlichsten NGOs zusammen die zu Themen wie Toleranz Antirassis-mus Homophobie Antiziganismus und Antisemitis-mus arbeiten Finanziert durch das Goethe-Institut rief er 2012 raquoRespektlaquo ins Leben ein Comic-Projekt inter-nationaler Kuumlnstler mit dessen Hilfe Schuumller ihr Den-ken uumlber Fremde reflektieren und selbst in Frage stel-len koumlnnen Laut Romanow scheitern solche Projekte oft an der Buumlrokratie der Kommunen Durch das neue NGO-Gesetz gebe es kaum noch Kontaktmoumlglichkei-ten zu staatlichen Schulen erlaumlutert Romanow so dass eine Zusammenarbeit houmlchstens uumlber einzelne Lehrer nicht jedoch uumlber die Schuldirektion moumlglich sei Dies widerspreche dem Konzept zivilgesellschaftlicher Arbeit die vor allem jedermann offen stehen will Durch das geschlossene staatliche Schulsystem komme es selten zu einer Kooperation mit interessierten Lehrern Die Zusammenarbeit von Staat und Zivilgesellschaft ist unabdingbar macht aber die Finanzierung der Projekte schwierig da sie im Falle einer Unterstuumltzung auslaumln-discher Sponsoren unter das neue NGO-Gesetz fallen

Im Zuge der neuen NGO-Gesetzgebung wurde das Antidiskriminierungszentrum raquoMemoriallaquo in Sankt Petersburg geschlossen Dessen ehemaliger Mitarbei-

ter Andrej Jakimow ist Anthropologe Seine langjaumlh-rige Arbeit mit ethnischen Minderheiten wie Sinti und Roma Arbeitsmigranten und Staatenlosen macht ihn zu einem erfahrenen Koordinator der raquoStiftung zur Unter-stuumltzung und Entwicklung von Bildungs- und Sozial-projektenlaquo (raquoPSP-Fondlaquo) in Sankt Petersburg Auch fuumlr ihn zaumlhlt die aktive Aufklaumlrungsarbeit zu den wichtigs-ten Punkten seines zivilgesellschaftlichen Engagements Die juristische und psychologische Betreuung von Mig-ranten stehen neben der Sensibilisierung der russischen Bevoumllkerung im Zentrum seiner Arbeit Seiner Erfah-rung nach interessieren sich die OSZE und die UNO nur marginal fuumlr diese Themen also muumlssen die Pro-bleme der Arbeitsmigranten auf nationaler Ebene geloumlst werden Seine Kontakte zu verschiedenen Netzwerken in den Auswanderungslaumlndern helfen den Migranten sich schon vor der Einreise nach Russland auf den Aufenthalt vorzubereiten In der Zusammenarbeit von Staat und Experten sieht Jakimow eine Moumlglichkeit eine effek-tive Migrationspolitik zu entwickeln

fuumlr die Verbesserung der migrationspolitikAumlhnlich denken auch Wjatscheslaw Postawnin und Natalja Wlasowa die die Stiftung raquoMigrazija XXI weklaquo (raquoMigration im 21 Jahrhundertlaquo) gegruumlndet haben Sie selbst sind ehemalige Mitarbeiter des Foumlderalen Migra-tionsdienstes und kennen die staatliche Migrationspoli-tik von innen Die Regierung unter Putin scheint keiner-lei Loumlsungsansaumltze fuumlr die immer staumlrker zunehmende Xenophobie in Russland zu erarbeiten In den fuumlnf Jah-ren ihrer Existenz hat sich die Organisation in Mos-kau zu einem unabhaumlngigen intellektuellen und wissen-schaftlichen Zentrum entwickelt das Vorschlaumlge fuumlr die Verbesserung der staatlichen Migrationspolitik ausarbei-tet Diese Vorschlaumlge werden oft von der Administration des Praumlsidenten beruumlcksichtigt jedoch nicht sofort und ohne Nennung der Urheberschaft In Zusammenarbeit mit der Weltbank und dem Netzwerk raquoMirpallaquo (raquoMigra-tion and Remittance Peer-Assisted Learninglaquo) erstellt die Organisation Statistiken zu den Migrationsstroumlmen aus den GUS Staaten die oftmals stark von den offiziellen Zahlen des Foumlderalen Migrationsdienstes abweichen

fluumlchtlingsarbeitDie von Swetlana Gannuschkina einer wichtigen Men-schenrechtlerin in Russland 1990 mitbegruumlndete Orga-nisation raquoGrashdanskoje sodejstwijelaquo (raquoBuumlrgerhilfelaquo) beschaumlftigt sich nicht nur mit Arbeitsmigration sondern zu vier Fuumlnfteln mit Fluumlchtlingen Es war die erste Orga-nisation dieser Art in Moskau und wurde im Zusam-menhang mit dem Konflikt um Berg-Karabach und dem Krieg in Tschetschenien gegruumlndet um den Fluumlchtlin-gen aus diesen Regionen zu helfen Die Unterstuumltzung

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der Arbeitsmigranten umfasst juristische Konsultation und die Loumlsung administrativer Fragen z B bei nicht ausgezahlten Gehaumlltern Deportationen Einreisever-boten Die Organisation stellt juristischen Beistand bei unbegruumlndeten Klagen gegen Migranten hilft bei Kla-gen gegen Arbeitgeber wegen nicht ausgezahlter Loumlhne fuumlhrt ein Projekt gegen Hate Crimes durch und veran-staltet Spendenaktionen auf ihrer Webseite Besonders die aumlrztliche Versorgung ist wichtig da der staatliche Notdienst Migranten oft seine Hilfe verwehrt raquoGrash-danskoje sodejstwijelaquo arbeitet eng mit dem Fluumlchtlings-hilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) der Inter-nationalen Organisation fuumlr Migration (IOM) und mit dem Netzwerk raquoMigrazija i prawolaquo (raquoMigration und Rechtlaquo) einem Programm des Menschenrechtszentrums raquoMemoriallaquo zusammen Obwohl in der offiziellen Rhe-torik die Bedeutung der Migration fuumlr Russland unter-strichen wird (wie zum Beispiel in der raquoKonzeption der staatlichen Migrationspolitik 2025laquo) beobachtet man in der Praxis meist die stumme Hinnahme der Uumlber-griffe auf Arbeitsmigranten Nach dem Inkrafttreten des NGO-Gesetzes fand bei der Organisation eine Uumlberpruuml-fung durch die Staatsanwaltschaft statt Ob und wenn ja wie dieses Projekt weiterlaufen wird ist bis heute unklar

Arbeit mit fluumlchtlingskindernIm Rahmen der Organisation raquoBuumlrgerhilfelaquo gibt es zudem ein raquoZentrum fuumlr Integration und Unterricht fuumlr Fluumlchtlingskinderlaquo da das staatliche Programm mit dem Kinder mit Migrationshintergrund Russisch lernen nicht ausreichend ist

Aumlhnlich wie ihre Kollegen aus Moskau arbeiten die Freiwilligen des zivilgesellschaftlichen Projekts raquoDeti Peterburgalaquo (raquoKinder von Petersburglaquo) mit Kindern des-sen Eltern aus den unterschiedlichsten Gruumlnden nach Russland immigriert sind Zwei Projektkoordinatoren der Organisation raquo[Wahl]Beobachterlaquo Daniil Ljubarow und Irina Beljaewa haben 2012 raquoDeti Peterburgalaquo gegruumlndet Angefangen mit einem Angebot von Russisch-Grundkur-sen fuumlr Vorschuumller mit Migrationshintergrund hat sich dieses Programm mittlerweile so weit entwickelt dass Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre an sechs verschie-

denen Standorten in Sankt Petersburg an Russischkursen teilnehmen koumlnnen Bis 2014 hatte es noch nicht einmal feste Raumlumlichkeiten gegeben die Mitarbeiter der raquoDeti Peterburgalaquo organisierten sich ausschlieszliglich uumlber soziale Netzwerke Der virtuelle Raum verbindet diese Organi-sation auch mit anderen zivilgesellschaftlichen Projek-ten So zieht das Projekt nicht nur politische Aktivisten an sondern vor allem Paumldagogen Linguisten und Stu-denten die die Kurse vorbereiten und durchfuumlhren Der Aufbau von kreativen Zirkeln gehoumlrt genauso zur Arbeit von raquoDeti Peterburgalaquo wie die Koordination von Ausfluuml-gen in die Umgebung Museen oder Theatern Das Pro-jekt ist abhaumlngig von seinen Teilnehmern Die fehlen-den Sprachkenntnisse der Eltern fuumlhren oft zu groszligen Kommunikationsproblemen Aber auch die wechselnden und meist aumluszligerst schwierigen Arbeitszeiten der Eltern erschweren die Durchfuumlhrung des Projekts Die staumldti-sche Buumlrokratie versucht den Elan der Mitarbeiter zu bremsen Auch deshalb bleibt das Projekt nichtstaatlich

fazitMisstrauen gegenuumlber der Regierung soziale Probleme und Alltagsrassismus bewegen immer mehr Menschen dazu sich eigenstaumlndig mit der negativen Entwicklung beim Umgang mit Migranten zu beschaumlftigen Aus Inter-views mit den Mitarbeitern der verschiedenen Organisa-tion laumlsst sich schlieszligen dass eine russische Zivilgesell-schaft entstanden ist die die Migrationsfrage einerseits als Arbeit mit der Mehrheits- also russischen Bevoumllkerung betrachtet um diese zu sensibilisieren Anderseits gibt es Initiativen die vor allem konkrete Hilfe fuumlr Migranten leisten um deren alltaumlgliche Probleme zu minimieren

Die Zivilgesellschaft bemuumlht sich Vorurteile abzu-bauen die Migrationspolitik realistischer zu machen und Migranten wie Fluumlchtlingen konkrete Hilfestellung zu geben Die Behoumlrden sabotieren diese Arbeit In den Groszligstaumldten wird der Zuzug von Migranten restriktiv gehandhabt Arbeitgeber wissen um den oft schwierigen Status der Migranten und nutzen die Situation aus um die Migranten weiter auszubeuten Die Arbeit der Zivil-gesellschaft zur Sensibilisierung der russischen Bevoumllke-rung wird durch die offizielle Politik oft konterkariert

Uumlber die AutorenIm Rahmen des Projektkurses raquoZiviler Ungehorsam Gesellschaft und Staat in Osteuropalaquo reisten die Studierenden des Osteuropa-Instituts der Freien Universitaumlt Berlin Michael Bellmann und Kristina Arisov nach Moskau sowie Marina Grinfeld und Christina Huthmann nach St Petersburg um mit Aktivisten und Organisationen die sich fuumlr die Integration von Migranten in Russland einsetzen Interviews zu fuumlhren und die Position der Zivilgesellschaft zur Migrationsproblematik zu analysieren

Lesetippsbull Judah Ben Russiarsquos Migration Crisis in Survival 552013 Nr 6 S 123ndash131

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bull Malakhov Vladimir S Russia as a New Immigration Country Policy Response and Public Debate in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1062ndash1079

bull Schenk Caress Controlling Immigration Manually Lessons from Moscow (Russia) in Europe-Asia Studies 652013 Nr 7 S 1444ndash1465

bull Spahn Susanne Die gelenkte Xenophobie Migration und nationale Frage in Russland Russland nur fuumlr Russen in Osteuropa 642014 Nr 7 S 55ndash67

bull Tipaldou Sofia Katrin Uba The Russian Radical Right Movement and Immigration Policy Do They Just Make Noise or Have an Impact as Well in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1080ndash1101

UmFRAGE

Uumlber die zivilgesellschaft in russland

zur zivilgesellschaftlichen und politischen Aktivitaumlt der russen

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 15 stellen sie sich vor ihre nachbarn schlagen eine gemeinsame muumlllsammelaktion in der nahegelege-nen Parkzone vor Was waumlren sie bereit zu uumlbernehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator der Aktionwerden

An der Aktionmitwirken

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 16 haben sie im vergangenen halbjahrJahr hellip

0 20 40 60 80 100

hellip an den Aktivitaumlten einer non-profit Organisation teilgenommen als Freiwilliger gearbeitet

hellip sich mit gesellschaftlichen Problemen an ihrem Wohnort beschaumlftigt

hellip an Groszligveranstaltungen Demonstrationen Streiks Kundgebungen Umzuumlgen teilgenommen

Ja Keine Antwort Nein

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 23

grafik 17 stellen sie sich vor dass es an ihrem Wohnort zu massenhaften Wahlfaumllschungen kommt irgend-jemand ruft zur Durchfuumlhrung von Protestaktionen gegen die Wahlfaumllschungen auf Was wuumlrden sie unternehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator dieser Aktionwerden

An dieser Protestaktionteilnehmen

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 18 Waren sie haben sie sich in den vergangenen einndashzwei Jahren hellip

0 20 40 60 80 100

hellip Mitglied einer politischen Partei

hellip Wahlbeobachter

hellip an der Arbeit einer Menschenrechtsorganisation beteiligt

hellip sich im Internet (in sozialen Netzwerken auf Foren) zu politischen Themen geaumluszligert

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

zur gesellschaftlichen Aktivitaumlt

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

grafik 19 haben sie persoumlnlich in den vergangenen zweindashdrei Jahren an der taumltigkeit einer gesellschaftlichen organisation teilgenommen Wenn ja wie genau (beliebige zahl an Antworten)

6

6

5

2

2

84

1

050

Habe an gesellschaftliche Organisationen gespendetoder andere materielle Hilfe geleistet

Habe an Wohltaumltigkeitsveranstaltungen teilgenommen(Konzerte Ausstellungen Wohltaumltigkeitslotterie Auktionen)

Habe Freiwilligenarbeit geleistet (kostenlos)

Habe gegen Entgelt in einer gesellschaftlichenOrganisation gearbeitet

Habe Informationen zu den Taumltigkeitenvon gesellschaftlichen Organisationen verteilt

Nicht teilgenommen

Anderes

Keine Antwort

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 24

grafik 20 haben ihnen irgendwann einmal gesellschaftliche organisationen geholfen

0 20 40 60 80 100

Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja mit Geld geholfen Ja auf andere Weise geholfen Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

Die oumlffentliche meinung zu ngos mit auslaumlndischer finanzierung (April 2013)

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 21 mit welcher meinung zur taumltigkeit russischer ngos stimmen sie am ehesten uumlberein

Sie bringen einen groszligen Nutzen

4

Sie bringen mehr Nutzen als Schaden

15Sie bringen ebenso viel

Nutzen wie Schaden23

Sie bringen mehr Schaden als Nutzen

18

Sie bringen weder Nutzen noch Schaden

13

Keine Antwort27

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 22 ist es fuumlr sie wichtig ob eine russische menschenrechtsorganisation aus einheimischen oder auslaumln-dischen mitteln finanziert wird

Sehr wichtig10

Eher wichtig34

Nicht besonders wichtig24

Vollkommen unwichtig18

Keine Antwort14

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 25

grafik 23 Welche ziele verfolgen westliche laumlnder und organisationen die russische ngos mit mitteln aus-statten

Einen verstaumlrkten Einfluss auf die russische

Innenpolitik42

Einen Kampf gegen den russischen Staat

19Eine Unterstuumltzung der

russischen Zivilgesellschaft

8

Kein besonderes Ziel russische NGOs werden wie andere aus standardisierten

internationalen Programmen unterstuumltzt

12

Keine Antwort19

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 24 Duumlrfen organisationen die sich mit dem schutz der Buumlrgerrechte beschaumlftigen und den staat kriti-sieren das recht haben mittel aus dem Ausland zu beziehen

Ja20

Nein56

Keine Antwort24

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 25 Unterstuumltzen sie harte sanktionen gegen ngos die einer politischen taumltigkeit nachgehen und gelder aus dem Ausland erhalten sich aber nicht nach dem gesetz als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren

Auf jeden Fall20

Eher ja32

Eher nein15

Auf keinen Fall5

Keine Antwort28

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 26

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luumlgen des fernsehkanals ntV und Beanstandungen des Justizministeriums erklaumlrung des menschenrechtszentrums memoriAl und der russischen gesellschaft

memoriAl

Die Behauptung bei NTV das russische Justizministerium habe die Liquidierung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL eingeleitet fuumlhrte heute zu etlichen Irritationen Das Menschenrechtszentrum und die Russische Gesell-schaft MEMORIAL (die Dachorganisation der russischen Memorial-Verbaumlnde) haben aus diesem Anlass nachste-hende Erklaumlrung abgegeben

Am 10 Oktober strahlte NTV unter dem Titel raquoAuszligergewoumlhnliches Ereignislaquo eine Sendung aus die aus boumlswil-ligen Luumlgen aber auch aus Fehlinformationen in Folge von Unkenntnis bestand

Die Arbeit des Menschenrechtszentrums MEMORIAL als Unterstuumltzung von Extremisten und Terroristen dar-zustellen ist eine infame Luumlge Auf Unkenntnis basiert hingegen die Behauptung das Justizministerium habe des-halb den Antrag gestellt das Menschenrechtszentrum MEMORIAL zu liquidieren

In Wirklichkeit hat das Justizministerium beim Obersten Gericht der Russischen Foumlderation nicht die Aufloumlsung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL beantragt Es geht hier vielmehr um eine andere Organisation naumlmlich die Russische Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIAL

Die russische Gesellschaft MEMORIAL wurde vom Justizministerium bereits 1992 registriert Bis heute befinden sich unter ihrem Dach verschiedene Memorial-Verbaumlnde die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen

Im Jahre 2012 20 Jahre nach der ersten Registrierung tauchten beim Justizministerium ploumltzlich Zweifel hin-sichtlich des russischen Rechtsstatus von Memorial auf obwohl der Gesellschaft praktisch dieselben regionalen Ver-baumlnde angehoumlren wie zuvor und sich die Gesetzeslage in dieser Frage in keinem Punkt geaumlndert hatte

Geaumlndert hat sich allerdings die Position des Justizministeriums das erneut einen raquodemokratischen Zentralismuslaquo anstrebt der nach der Abschaffung der fuumlhrenden Rolle der KPdSU nicht mehr aktuell schien Heute erklaumlrt das Jus-tizministerium nur jene gesellschaftlichen Vereinigungen koumlnnten der Russischen Gesellschaft MEMORIAL ange-houmlren die in ihrer Bezeichnung die Worte raquoVerband (otdelenie) der Russischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklauml-rung Sozialarbeit und Menschenrechte MEMORIALlaquo tragen

Die gesetzliche Vorschrift dass eine Organisation nur dann einen gesamtrussischen Status haben kann wenn sie in uumlber der Haumllfte der Foumlderationssubjekte Verbaumlnde unterhaumllt legt das Justizministerium jetzt dahingehend aus dass diese Verbaumlnde zwangslaumlufig einen Status als Regionalverbaumlnde haben muumlssten Das Vorhandensein von Stadt- und Bezirksverbaumlnden einer Organisation reicht die Beamten als Beleg dafuumlr nicht aus dass die Organisation in der betreffenden Region taumltig ist

Die Vorbehalte des Justizministeriums entbehren jeglicher Grundlage Nicht zufaumlllig erhielten wir auf Anfragen keine Hinweise auf eine Gesetzesnorm Es ist fuumlr uns inakzeptabel dass das Justizministerium das von der Verfas-sung garantierte Recht von Buumlrgern eine Vereinigung zu bilden gesetzwidrig einschraumlnken will Deshalb hat sich die Russische Gesellschaft MEMORIAL bereits 2012 entschlossen vor Gericht zu gehen

Einen Hinweis auf ein Gesetz haben wir auch nicht erhalten als wir 2013 die Forderungen des Justizministeriums im Moskauer Zamoskvorezki-Bezirksgericht und danach im Stadtgericht angefochten haben Beide Instanzen gaben wie nicht anders zu erwarten dem Justizministerium Recht Deshalb wird die Russische Gesellschaft MEMORIAL in Kuumlrze Klage beim Verfassungsgericht einreichen

Was den Antrag des Justizministeriums betrifft so hoffen wir dass das Oberste Gericht bei Behandlung dieses Antrags dem Gesetz und der Verfassung mehr Respekt entgegenbringen wird als die untergeordneten Gerichtsinstanzen

10 Oktober 2014Quelle Website von Memorial Deutschland lthttpwwwmemorialdeindexphpid=42amptx_ttnews[tt_news]=546amptx_ttnews[backPid]=3ampcHash=5bbe9b235a03fe09cba52ed5c8786b99gt

DOkUmENtAtION

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 28

NOtIzEN AUS mOSkAU

Petersburger DialogJens Siegert Moskau

Auf den ersten Blick sieht es so aus als ob ein (egal ob nun willentlich oder nicht) an die Oumlffentlich-

keit gelangter Brief einiger regelmaumlszligiger Teilnehmer des Petersburger Dialogs (PD) aus den Reihen deutscher NGOs an Bundeskanzlerin Merkel und Auszligenminis-ter Steinmeier die Verschiebung des fuumlr Ende Oktober in Sotschi geplanten groszligen Jahrestreffens verursacht haumltte In dem Brief bekraumlftigten die Autoren ihre nicht neue Kritik am PD und erklaumlrten warum sie dieses Jahr nicht teilnehmen wuumlrden Sie betonen dass die Absage kein Boykott sei und bieten ihrerseits einen Dialog zur Reform des Dialogs an Auf den zweiten Blick war der Brief selbstverstaumlndlich nur Anstoszlig aber nicht Grund fuumlr die Verschiebung Doch der Reihe nach

Die in dem Brief geaumluszligerte Kritik am PD ist wie gesagt nicht neu sie hat sie den PD von Anfang an begleitet Das liegt sicher auch an einem bis heute nicht korrigierten Geburtsfehler Ein durch Staats- und Regie-rungschefs initiierter raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo ist schon etwas verquer Das heiszligt nicht dass das nicht gehen koumlnnte Doch dazu haumltten sich die hochgestell-ten Initiatoren (der damalige russische Praumlsident und der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schrouml-der) und ihre (Interims-)Nachfolger spaumlter zuruumlckziehen muumlssen Das haben sie nicht Daran sind sie nicht (allein) Schuld Es war der PD der durch seine Lenkungsor-gane die enge zeitliche und oumlrtliche Verbindung mit den deutsch-russischen Regierungskonsultationen und die zeitweilige Anwesenheit von Praumlsident und Kanzlerin zum Grundstein seiner Wirkungsmaumlchtigkeit erklaumlrte

Auf deutscher Seite wurde versucht dieses Problem organisatorisch sozusagen oumlffentlich-rechtlich zu loumlsen indem moumlglichst alle interessierten politischen Spektren und gesellschaftlichen Gruppen am sogenannten Len-kungsausschuss beteiligt wurden Das gelang zumindest so gut dass es soweit mir bekannt bis heute keine grouml-szligeren Klagen uumlber Nichtberuumlcksichtigung oder Nicht-beteiligung gab Aber die Bundesregierung behielt weit-gehenden Einfluss nicht zuletzt uumlber den alljaumlhrlich sechsstelligen Zuschuss fuumlr die Durchfuumlhrung der Jah-restreffen Auszligerdem wurde der jeweilige Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses zwar nach Abstim-mungen mit den Beteiligten aber letztlich durch den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin bestimmt

In Russlands ist die Sache einfacher Von Anfang an wurde und wird gemacht wird was der Kreml will Schon der erste Vorsitzende des russischen Lenkungs-ausschusses Michail Gorbatschow (immerhin selbst ein ehemaliger Praumlsident) war wie er selbst einmal bekannte

nicht mehr als ein ndash schoumlne Ruumlckuumlbertragung aus dem Russischen ndash raquoSitz-Praumlsidentlaquo Der jetzige Vorsitzende Wiktor Subkow war Datschennachbar von Putin ers-ter stellvertretender Ministerpraumlsident und ist nun Auf-sichtsratsvorsitzender von Gazprom

Die Kritik dass nur eine Simulation eines raquozivilge-sellschaftlichen Dialogslaquo stattfinde wurde von einigen deutschen Teilnehmern bereits auf dem ersten Jahres-treffen des PD im April 2001 in St Petersburg geaumluszligert Es fehlten auf russischer Seite (in der seinerzeit noch ver-einigten Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo) Vertreter russischer NGOs Die Kritik kam an In Russ-land fuumlhrte sie (ohne dass ich hier jetzt ausfuumlhren kann wie) zum ersten Versuch des Kremls auch unabhaumln-gige NGOs in das korporative System der gelenkten Demokratie zu zwingen Der Versuch misslang weitge-hend und muumlndete in einer Art Waffenstillstand und der Gruumlndung eines raquoMenschenrechtsrats beim Praumlsi-dentenlaquo unter Einbeziehung von Vertretern unabhaumlngi-ger NGOs Beim PD wurde die Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo in ihre zwei Namensbestandteile geteilt und es gelang uumlber die Jahre in immer wieder unternommenen Anstrengungen auch die Teilnahme unabhaumlngiger russischer NGO-Vertreter durchzuset-zen Etwas spaumlter wurde diese Teilnahme sogar vor-sichtig institutionell abgesichert indem erst Ella Pam-filowa und spaumlter ihr Nachfolger Michail Fedotow als Vorsitzende des inzwischen zum raquoZivilgesellschaftsratlaquo umbenannten raquoMenschenrechtsratslaquo zu den russischen Koordinatoren der Arbeitsgruppe raquoZivilgesellschaftlaquo mit Einladungsrecht wurden (wobei die Einladungen selbst-verstaumlndlich mit der Praumlsidentenadministration abge-stimmt werden muumlssen) Das ist bis heute so

Die Verfasser des Briefes (zu denen ich bekenne mich auch ich gehoumlre) allesamt langjaumlhrige Teilneh-mer der Jahrestreffen des PD haben all die Jahre immer wieder auch oumlffentlich uumlber den Sinn und Unsinn ihrer Teilnahme und Unterstuumltzung diskutiert Letztendlich uumlberwogen die ganze Zeit uumlber zwei Uumlberlegungen Ers-tens ist ein Dialog auch und gerade auf offizieller Ebe-nen und mit offiziellen Vertretern des russischen Staates (wie auch mit Wissenschaftlern Unternehmern Journa-listen Priestern usw welcher politischen Couleur auch immer sie sein moumlgen) erst einmal besser als kein Dia-log Zweitens gingen wir all die Jahre davon aus dass die nicht ohne Muumlhen erreichte Teilnahme unabhaumln-giger russischen NGO-Vertreter fuumlr sie ihre Organisa-tionen aber auch die russische NGO-Szene insgesamt zumindest einen kleinen zusaumltzlichen Schutz gegen die

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seit Putins Amtsantritt immer wieder uumlber das Land gehenden Repressionswellen bietet1 Was hat sich dieses Jahr geaumlndert Erst einmal nicht

so viel gegenuumlber dem Vorjahr Es war schon immer siehe oben eine schwierige Abwaumlgung ob die Teil-nahme am PD sich lohnt oder nicht vielmehr dazu beitraumlgt so zu tun als gaumlbe es in Russland die unein-geschraumlnkte und ungefaumlhrdete Moumlglichkeit sich zivilgesellschaftlich auch dort zu engagieren wo es dem Staat weh tut Zwei Ereignisse haben nun aber zumindest fuumlr die Autoren des Briefes das Pen-del zur anderen Seite ausschlagen lassen Die Kon-frontation zwischen dem Westen (ich weiszlig um die Bedingtheit des Begriffs verwende in der Kuumlrze hal-ber aber trotzdem) und Russland im Konflikt in der und um die Ukraine ist nicht einfach die Fortset-zung schon laumlnger existierender raquoMeinungsverschie-denheitenlaquo Sie ist tiefer und prinzipieller Es geht eben im Kern nicht in erster Linie um Geopolitik sondern wieder einmal um ich fuumlrchte hier weder den Pathos noch historische Analogien Freiheit und Demokratie in Europa

2 Die Repressionen gegen russische NGOs unsere prinzipiellen Partner in der Verteidigung von Demo-kratie und Freiheit haben mit dem sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo eine neue Qualitaumlt erreicht 15 NGOs sind inzwischen zwangsweise zu raquoauslaumln-dischen Agentenlaquo erklaumlrt worden anderen droht die Schlieszligung aufgrund anderer Gesetze Einige von ihnen waren sogar zum nun verschobenen Treffen in Sotschi eingeladen Sie mussten sich Gedanken machen ob eine Zusage oder eine Absage ihnen nicht schaden koumlnnte

Unter diesen Umstaumlnden halten die Verfasser des Brie-fes ihre Teilnahme am PD fuumlr nicht mehr moumlglich Sie fordern keinen Boykott wohl aber ein Nachdenken uumlber eine tiefgreifende Reform

Der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses Lothar de Maiziere hat in einem eigenen offenen Brief geantwortet und den Verfassern vorgeworfen den Dia-log verweigern und politisieren zu wollen Diese (Gegen-)Klage scheint mir angesichts der vielfaumlltigen Verbindun-gen und Dialogformen die die Organisationen hinter den Unterzeichnern des Briefes seit vielen Jahren und oft laumlnger als der PD organisieren an denen sie teil-nehmen und die sie foumlrdern nicht sonderlich stichhal-tig Doch die Auseinandersetzung geht tiefer De Mai-ziere behauptet in seinem Brief der PD mache bereits all das was die Kritiker fordern Genau das bezweifeln diese aber Die Auseinandersetzung geht also und vor allem darum was ein fruchtbarer Dialog zu leisten im Stande sein kann und leisten sollte Sie geht aber auch darum ob dieser Dialog zwischen zwei Gesellschaf-

ten stattfindet nach dem Motto hier die eine dort die andere oder ob sich die Seiten bei diesem Dialog inei-nander verschraumlnken

Die Verfasser des Briefes sind ganz offensichtlich mit ihrer Kritik nicht allein Schon bevor der Brief oumlffent-lich bekannt wurde hatten die Bundestagsabgeordne-ten Andreas Schockenhoff (CDUCSU) und Marieluise Beck (Buumlndnis 90 Die Gruumlnen) in oumlffentlichen Stel-lungnahmen Aumlhnliches gefordert und auch ihre Nicht-Teilnahme erklaumlrt Etwas spaumlter wurde bekannt dass auch der Russland-Beauftragte der Bundesregierung Gernot Erler nicht nach Sotschi fahren wollte Mehr noch Bereits seit dem Fruumlhsommer gab es Gespraumlche zwischen Kanzleramt und Auswaumlrtigem Amt mit dem Ziel den PD sowohl personell als auch strukturell zu reformieren Allerdings setze sich augenscheinlich die Sichtweise des Auswaumlrtigen Amtes durch alles vorerst beim Alten zu belassen da es auch so schon genug Pro-bleme im deutsch-russischen Verhaumlltnis gebe und man diesen Kanal nicht auch noch belasten oder gar gefaumlhr-den solle

Doch zum Herbst hat sich die Situation noch ein-mal veraumlndert Die Hoffnung die russische Fuumlhrung um Praumlsident Putin werde im Krieg in der Ostukraine ein-lenken ist selbst im Auswaumlrtigen Amt bis in die Spitze kaum noch zu finden Im Sommer bekam das russische Justizministerium zudem per erneuter Gesetzesaumlnde-rung das Recht NGOs zwangsweise zu raquoAgentenlaquo zu erklaumlren und macht seither rege Gebrauch davon Eine ganze Reihe russischer NGOs steht vor der Schlieszligung oder loumlst sich auf weil ihnen die vom Gesetz geforderte Selbstetikettierung als raquoauslaumlndische Agentenlaquo ethisch rechtlich und praktisch unmoumlglich ist

Es sieht so aus als haumltten die Verfasser des Briefes nur eine Tuumlr geoumlffnet hinter der andere darunter die Kanzlerin nur darauf gewartet haben durch sie hin-durch gehen zu koumlnnen ohne selbst der Tuumlroumlffnung geziehen zu werden

Ein wenig verwundert die erstaunlich milde russi-sche Reaktion Nach der kurzen Drohung eine Verschie-bung bedeute das Ende des PD lenkte Putin im Telefo-nat mit Merkel ein und fand tags darauf sogar oumlffentlich verstaumlndnisvolle Worte fuumlr die raquoProbleme der deutschen Seitelaquo Das duumlrfte zwei Gruumlnde haben Der eine ist dass trotz des haumlufiger gewordenen Deutschland-Bashings im russischen Staatsfernsehen (mit dem Ergebnis dass in Umfragen Deutschland aus der Kategorie raquoFreundlaquo in die Kategorie raquoFeindlaquo abgerutscht ist) Deutschland im Kreml immer noch als wichtigster raquostrategischerlaquo Part-ner im Westen und vor allem in der EU gilt Zudem ist Deutschland zweifellos ein Land dessen oumlffentliche Meinung (und damit Politik) aus russischer Sicht durch-aus beeinflussbar ist (was z B die kolportierten rund

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140 Millionen US-Dollar zum Aufbau eines deutsch-sprachigen Programms des staatlichen Auslandsfernse-hens raquoRussia Todaylaquo zeigen)

Der andere liegt in einem erneuten Strategiewech-sel (oder weniger ambitioniert Wechsel der Taktik) im Ukraine-Konflikt Die Sanktionen beiszligen inzwi-schen kraumlftig Die Rhetorik wurde daher gemildert Der Kreml ist ganz auf Frieden und dieser Ausdruck aus dem Sport sei erlaubt Ergebnissicherung bedacht (was uumlbrigens Putins grundsaumltzlicher Taktik auch im Inne-ren Russlands entspricht erst hart zuzuschlagen dann eine Schritt zuruumlck zu gehen und einen Kompromiss zu suchen nach dem es fuumlr seine Gegner nachher schlech-ter steht als vorher) Neues Ziel scheint nun also zu sein die raquoErrungenschaftenlaquo Krim (als Teil Russlands) und raquoNeurusslandlaquo (als neuen raquoFrozen Conflictlaquo) zu fixieren und trotzdem mit dem Westen wenn schon nicht gut-freund zu werden so doch zumindest erneut zu einem einigermaszligen vertraumlglichen Modus Vivendi zu gelan-gen Das Gas duumlrfte nach den Mailaumlnder Gespraumlchen

und bei allem Geknurre im Winter stroumlmen und auch im Nahen Osten stellt Moskau weniger Widerspenstig-keit in Aussicht

Was heiszligt das fuumlr die Zukunft des PD Erstmal ist sie offen Zuerst muss sich die deutsche Seite neu ord-nen (hier hat Putin sogar Recht) Nachdem sich Angela Merkel persoumlnlich um eine russische Akzeptanz fuumlr die Verschiebung von Sotschi bemuumlht hat kann ich mir allerdings nicht vorstellen dass es in einigen Wochen oder Monaten ein Zuruumlck zum status quo ante gibt Ob und wie sich ein neu aufgestellter deutscher Lenkungs-ausschuss mit einem neuen Konzept mit der russischen Seite verstaumlndigen kann laumlsst sich momentan kaum voraussagen Es ist zwar einen Versuch wert haumlngt aber wohl sehr von der dann herrschenden politischen Groszlig-wetterlage ab

Diesen und andere Texte finden Sie auf Jens Siegerts Russ-landblog lthttprusslandboellblogorggt

Lesetippbull Poumlrzgen Gemma Dringend reformbeduumlrftig Der Petersburger Dialog auf dem Pruumlfstand in Osteuropa 602010

Nr 10 S 59ndash81

DOkUmENtAtION

Briefwechsel uumlber die zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo

schreiben von nichtregierungsorganisationen und einzelpersonen an die Bundeskanzlerin und den Auszligenminister zum raquoPetersburger Dialoglaquo 2 oktober 2014 [nachtraumlglich veroumlffentlicht]

Berlin 02 Oktober 2014Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerals Personen die sich seit vielen Jahren intensiv im zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland engagieren wenden wir uns mit diesem Schreiben an Sie um zu erlaumlutern warum wir uns in diesem Jahr nicht am Petersburger Dialog beteiligen koumlnnen Zugleich moumlchten wir fuumlr eine Erneuerung des Petersburger Dialogs werben

In Reaktion auf die politische Wende in der Ukraine die durch eine breite gesellschaftliche Protestbewegung hervor-gerufen wurde hat die russische Fuumlhrung voumllkerrechtswidrig die Krim annektiert und einen unerklaumlrten Krieg neuen Typs im Osten der Ukraine begonnen Zugleich betreibt die Regierung unter Praumlsident Putin die systematische Ausschal-tung der letzten unabhaumlngigen Medien in Russland die Kriminalisierung aller Formen politischer Opposition und die Diskreditierung unabhaumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen als raquoauslaumlndische Agentenlaquo Mittlerweile wurden 12 russische Nichtregierungsorganisationen vom russischen Justizministerium zwangsweise auf die Liste raquoauslaumlndischer Agentenlaquo gesetzt und sind daher zukuumlnftig verpflichtet sich bei jeder oumlffentlichen Aumluszligerung wahrheitswidrig selbst als solche zu bezichtigen Zehn dieser Organisationen spielen in der deutschrussischen zivilgesellschaftlichen Zusammen-arbeit seit Jahren eine wichtige Rolle einige von ihnen haben mehrfach am Petersburger Dialog teilgenommen Gegen einige von ihnen sind bereits existenzbedrohende Strafgelder wegen Verstoszliges gegen das sog Agentengesetz verhaumlngt

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worden Es drohen Organisationsschlieszligungen und die Kriminalisierung der Vorstaumlnde Unter diesen inneren und aumluszlige-ren Bedingungen koumlnnen wir uns nicht an einer Neuauflage des Petersburger Dialogs in der bisherigen Form beteiligen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerder seinerzeit von Bundeskanzler Schroumlder und Praumlsident Putin initiierte Petersburger Dialog konnte die ihm zuge-

dachte Aufgabe zu einer Vertiefung und Verbreiterung der gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland beizutragen auch in den vergangenen Jahren nur sehr bedingt erfuumlllen Dies lag vor allem an der starken Naumlhe des Fuumlhrungspersonals auf der russischen Seite zum politischen Machtzentrum im Kreml die von Beginn an den Eindruck einer raquovon obenlaquo inszenierten und kontrollierten Veranstaltung naumlhrte Doch auch auf deutscher Seite wird der Petersburger Dialog bis heute von Personen dominiert die aus politischer und oumlkonomischer Opportunitaumlt dazu neigen Kritik am Kurs der russischen Fuumlhrung als Stoumlrung der raquodeutsch-russischen Freundschaftlaquo zu betrachten Zeit-weise kam es zu der paradoxen Situation dass kritische Aumluszligerungen zu Menschenrechtsverletzungen in Russland oder zum Vorgehen des Kremls gegenuumlber Georgien aus den Reihen der deutschen Delegation als raquoKalte-Kriegs-Rhetoriklaquo verteufelt wurden Nuumlchtern betrachtet waren die kritischen Stimmen aus der russischen und deutschen Zivilgesell-schaft in den letzten Jahren nur eine geduldete Minderheit die dem Petersburger Dialog den Anschein von Pluralis-mus und offener Diskussion verschaffte Ungeachtet dieser Kritik haben wir uns in der Vergangenheit am Petersburger Dialog beteiligt da wir grundsaumltzlich jedes Dialogpotenzial nutzen wollen und uns von der gemeinsamen Beteiligung mit unseren Partnern aus der russischen Zivilgesellschaft eine politische Absicherung dieser Zusammenarbeit erhofften

Diese ohnehin schwachen Hoffnungen wurden durch die Entwicklungen in diesem Jahr zerstoumlrt Vertreter unab-haumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen die auf der russischen Seite zum Petersburger Dialog eingeladen wer-den sind angesichts der politischen und juristischen Bedrohung der sie ausgesetzt sind in ihrer Entscheidung uumlber ihre Teilnahme nicht mehr frei Wenn sie der Einladung nicht folgen muumlssen sie weitere Repressalien befuumlrchten Uns denen die Freiheit der Entscheidung gegeben ist ist es nicht moumlglich durch Teilnahme am Petersburger Dialog in Sot-schi an der Aufstellung einer Potemkinschen Fassade namens raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo mitzuwirken waumlhrend die kritischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Russland als raquoAgentenlaquo diskreditiert und vielfach drangsaliert werden

Zugleich moumlchten wir unsere Bereitschaft unterstreichen an einer Reform des Petersburger Dialogs in organisa-torischer inhaltlicher und personeller Hinsicht mitzuwirken Eine solche Reform sollte darauf ausgerichtet sein uumlber die Auswahl der Formate Themen und Teilnehmer die tatsaumlchliche Lage der russischen Zivilgesellschaft in den Mit-telpunkt der Diskussion zu ruumlcken und einen offenen Dialog zu ermoumlglichen Wir sind ganz damit einverstanden dass gerade in kritischen Zeiten die Zusammenarbeit zwischen der russischen und deutschen Zivilgesellschaft gestaumlrkt wer-den muss Sofern der Petersburger Dialog in Zukunft dafuumlr ein Forum bietet werden wir uns gern daran beteiligen[Unterzeichner nicht veroumlffentlicht]Quelle Website der Boumlll-Stiftung lthttpwwwboelldede20141013reform-petersburger-dialog-ueberfaelliggt

offener Brief an den Vorsitzenden des Petersburger Dialogs lothar de maiziegravere vom 10 oktober 2014

- Offener Brief -HerrnDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des VorstandsPetersburger Dialog eVSchillerstraszlige 5910627 Berlin

Berlin 10 Oktober 2014Petersburger Dialog 2014 in SotschiSehr geehrter Herr de Maiziegravereals Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher zivilgesellschaftlicher Organisationen die seit der Gruumlndung des Petersburger Dialogs 2001 uumlber viele Jahre hinweg an dieser Veranstaltung teilgenommen haben moumlchten wir Ihnen gegenuumlber folgende Erklaumlrung abgeben

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Wir haben uns entschieden am 14 Petersburger Dialog in Sotschi nicht teilzunehmen der fuumlr den 29ndash31 Okto-ber angekuumlndigt worden ist Fuumlr diese Entscheidung die wir sorgfaumlltig diskutiert und abgewogen haben moumlchten wir drei Gruumlnde anfuumlhren1 Der Petersburger Dialog in seiner jetzigen Form steckt in einer Krise Von Jahr zu Jahr wird er seinem eigenem

Anspruch weniger gerecht Die Veranstaltung soll dem zivilgesellschaftlichen Dialog dienen Tatsaumlchlich sind Struktur Nominierungsverfahren und Programm des Petersburger Dialogs maszliggeblich von Akteuren aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert Unter diesen Voraussetzungen erfuumlllt der Petersburger Dialog leider nicht sein in seiner Satzung formuliertes Ziel ein raquooffenes Diskussionsforumlaquo zu sein das die raquoVerstaumlndigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Laumlnderlaquo foumlrdert Der Petersburger Dialog bedarf dringend einer grundlegenden Reform wie sie auch CDUCSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 eingefordert haben Gerne wuumlrden wir uns aktiv an einem Prozess zur Reformierung des Petersburger Dialogs beteiligen der auf eine pluralistische Zusam-mensetzung beider Lenkungsausschuumlsse und eine deutlich staumlrkere Ausrichtung auf unabhaumlngige zivilgesellschaft-liche Akteure zielt ohne den interdisziplinaumlren Ansatz der Veranstaltung aufzugeben

2 Die Situation in der sich Teile der Zivilgesellschaft in Russland befinden erfuumlllt uns mit groszliger Sorge Das betrifft auch Partnerorganisationen und Personen mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten Diese Organisa-tionen uumlben fuumlr Russland und daruumlber hinaus wichtige gesellschaftliche Funktionen aus Die Behinderung ihrer Arbeit durch buumlrokratische Huumlrden aber auch durch willkuumlrliche rechtliche Restriktionen und politische Diffa-mierung sind inakzeptabel Daruumlber koumlnnen wir nicht zur Tagesordnung uumlbergehen Wir wollen nicht zu Kron-zeugen fuumlr einen vorgeblich freien Austausch werden waumlhrend zugleich die kritische Zivilgesellschaft in Russland massiv und systematisch unter Druck gesetzt wird

3 In Teilen der Ukraine herrscht ein Kriegszustand fuumlr den die russische Fuumlhrung eine maszliggebliche Verantwor-tung traumlgt Wichtige Vertreter dieser Fuumlhrung spielen eine Schluumlsselrolle im Petersburger Dialog einschlieszliglich des fruumlheren Ersten Stellvertretenden Ministerpraumlsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden von Gazprom Wiktor Subkow der der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs ist Vor diesem Hin-tergrund moumlchten wir nicht durch unsere Teilnahme dazu beitragen dass eine Normalitaumlt in den deutsch-russi-schen Beziehungen simuliert wird die es derzeit wegen des Angriffs auf die politische Souveraumlnitaumlt und territo-riale Integritaumlt der Ukraine nicht geben kann

Wir waren und sind weiter sehr an einem offenen Dialog uumlber deutsch-russische Belange in einem gesamteuropaumli-schen Kontext interessiert und halten ihn fuumlr eine Bedingung guter Nachbarschaft und Kooperation Ein solcher Dia-log muss aber auch von beiden Seiten gewollt und ermoumlglicht werden Er darf zugleich nicht zum Nachteil Dritter gefuumlhrt werden Angesichts der aktuellen Lage und der bereits bekannt gewordenen Programmvorschlaumlge fuumlr Sotschi sehen wir auch diese Voraussetzung gefaumlhrdet

Dessen ungeachtet werden wir jede Moumlglichkeit nutzen unsere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Grup-pen und anderen Akteuren in Russland zu vertiefen und dieses Potential in einen bilateralen und europaumlischen Dia-log einzubringenMit freundlichen GruumlszligenRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter Politik Greenpeace eVQuelle lthttpwwwaustauschorgaktuelle-meldungennewsdetailarticle1offener-brie-1htmlno_cache=1ampcHash=0428c5bffdgt

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offener Brief des Vorsitzenden des Petersburger Dialogs vom 13 oktober 2014

AnRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich-Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace eVBerlin 13 Oktober 2014Ihr Schreiben vom 10 Oktober 2014Sehr geehrte Damen und HerrenIhren offenen Brief habe ich erhalten Dass Sie einen Brief aumlhnlichen Inhalts zunaumlchst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Auszligenminister verschickt haben verwundert mich Sie geben damit fuumlr die zivilgesell-schaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung die Sie fuumlr die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren

Ihre Nichtbeteiligung am Petersburger Dialog bedaure ich Denn es entspricht der Uumlberzeugung der meisten Mit-glieder des Vorstandes und des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs dass gerade angesichts zweifellos vorhan-dener Probleme fuumlr die Zivilgesellschaft die Sie teilweise benennen die offensive Auseinandersetzung zu solchen The-men gesucht werden muss Indem man sich solchen Gespraumlchen entzieht schadet man den Interessen der Betroffenen

Sie schreiben der Petersburger Dialog sei im Inneren zu reformieren da er von Vertretern aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert sei Diese Feststellung ist falsch und Sie wissen das Das auch in der Satzung des Petersbur-ger Dialogs beschriebene Konzept des Dialogs beruht auf einem breiten Gedankenaustausch aller gesellschaftlichen Kraumlfte Dazu gehoumlren die Bereiche Kultur Medien Bildung Wissenschaft und Kirchen genauso wie zahlreiche im Bereich der politischen sowie der sozialen Menschenrechte engagierte Einrichtungen die in ihrer Gesamtheit das deutsch-russische Verhaumlltnis beleben

Sie versuchen in Ihrem Brief den Petersburger Dialog auf das enge Feld einiger Vertreter der Zivilgesellschaft zu reduzieren die jenseits der korporierten Zivilgesellschaft angesiedelt sind und deren Interessenspektrum nur einen Teil des gesamten zivilgesellschaftlichen Engagements abdeckt

Ich verkenne nicht die ndash auch aber nicht nur ndash in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu Tage getretenen Probleme sowie die unterschiedlichen Folgen die sich aus einer raquogelenkten Demokratielaquo die in vielem nicht westli-chen Standards entspricht ergeben Dennoch Gemessen an weiten Bereichen der russischen Geschichte ist die Ent-wicklung seit 1991 ein Fortschritt Das daraus resultierende wenn auch im letzten Jahr stark eingetruumlbte Vertrauens-potential muss fuumlr die auf vielen Ebenen notwendigen Gespraumlchsforen genutzt und ausgebaut werden

Derartige Gespraumlche bedingen genauso Realismus wie intellektuelle Disziplin wozu auch gehoumlrt zu verstehen wie Russland die Probleme versteht Dies ndash und nicht Gespraumlchsverweigerung ndash ist die Voraussetzung um auf allen demokratischen gesellschaftlichen Ebenen ndash vom politischen Machtzentrum bis in die Randgruppen hinein ndash pro-blemorientierte Gespraumlche fuumlhren zu koumlnnen Dabei darf keine Seite fuumlr sich in Anspruch nehmen legitimere Inte-ressen zu vertreten als die andere

Das heiszligt Ein Gespraumlch raquoauf Augenhoumlhelaquo nicht von oben herab nicht moralisch belehrend aber mit klaren und ehrlichen Argumenten Dabei duumlrfen wir nicht verschweigen welche gesetzgeberischen aber auch politisch-morali-schen Standards wir fuumlr eine demokratische Gesellschaft im europaumlischen Kontext fuumlr unabdingbar halten

Der Petersburger Dialog wurde aus guten Gruumlnden als deutsch-russische Gemeinschaftseinrichtung konzipiert Da ist eine ndash oft muumlhsame ndash Kompromissfindung unausweichlich Dies ist Teil des Wertes auch der Tiefe aber auch der moralischen Qualitaumlt des Dialogs Das Ringen um kompromissfaumlhige Konzepte muss unser Anliegen bleiben nicht Vorverurteilung und GespraumlchsablehnungMit freundlichem GruszligDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des Vorstands Petersburger Dialog e VQuelle Website des Petersburger Dialogs lthttpwwwpetersburger-dialogcomoffener-brief-vom-13-oktober-2014gt

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offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

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9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

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14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

Abdruck und sonstige publizistische Nutzung sind nach Ruumlcksprache mit der Redaktion gestattetVerantwortlicher Redakteur Hans-Henning Schroumlder

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

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                              • Dokumentation
                                • Luumlgen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des JustizministeriumsErklaumlrung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL
                                  • Notizen aus Moskau
                                    • Petersburger Dialog
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                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 8: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 8

Umfragen des lewada-zentrums

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 6 Welches sind die wesentliche kraumlfte auf seiten der kiewer seite bei den kaumlmpfen in den gebieten Donezk und lugansk

0 20 40 60 80 100

Jun2014

Sep2014

Regulaumlre Einheiten der ukrainischen ArmeeKeine AntwortBewaffnete Formationen ukrainischer Rechtsradikaler

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 7 Welches sind die wesentlichen kraumlfte bei den kaumlmpfen in den gebieten Donezk und lugansk auf der anderen seite [separatistenneurussland]

0 20 40 60 80 100

Jun 2014

Sep2014

Buumlrgerwehren der Staumldte in den Gebieten Donezk und LuganskKeine AntwortBewaffnete Einheiten prorussischer Radikaler die von Russland unterstuumltzt werden

grafik 8 Befinden sich gegenwaumlrtig in der Ukraine russische streitkraumlfte

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

Ja29

Nein48Keine Antwort

23

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 9

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 9 Wie stehen sie dazu dass in den reihen der Buumlrgerwehr der ostukraine russische freiwillige kaumlmpfen

0 20 40 60 80 100

1 Mai 2014

1 Juni 2014

19-22 Sept2014

26-29 Sept2014

Absolut positiv Eher positiv Keine Antwort Eher negativ Absolut negativ

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 10 Wie endet die gegenwaumlrtige Waffenruhe

Die Unterzeichnung eines Friedensabkommens und

dem Prozess einer friedlichen Regulierung

des Konfliktes27

Wiederaufnahme des bewaffneten Konflikts

46

Keine Antwort27

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 11 sollten im falle eines Wiederaufnahme der kampfhandlungen in der ostukraine russische truppen entsandt werden

Auf jeden Fall5

Eher ja16

Eher nein36

Auf keinen Fall27

Keine Antwort16

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 10

grafik 12 Unterstuumltzen sie die massenproteste (raquofriedensmaumlrschelaquo) gegen die russische einmischung in innere Angelegenheiten der Ukraine

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 September 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 25 September 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint25-09-2014marshi-miragt

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Mrz2014

Sep2014

Auf jeden Fall Eher ja Keine Antwort Eher nein Auf keinen Fall

Die haltung gegenuumlber den fluumlchtlingen aus der Ukraine

Quelle Umfragen des WZIOM vom 20ndash21 September 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 26 September 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=114994gt

grafik 13 gibt es in ihrer stadt siedlung fluumlchtlinge aus der Ukraine

0 20 40 60 80 100

Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja viele ukrainische Fluumlchtlinge Ja wenige ukrainische Fluumlchtlinge Keine Antwort Nein keine ukrainischen Fluumlchtlinge

Quelle Umfragen des WZIOM vom 20ndash21 September 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 26 September 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=114994gt

grafik 14 leistet russland den ukrainischen fluumlchtlingen ausreichende hilfe

Russland leistet den Fluumlchtlingen

ausreichende Hilfe67

Russland leistet den Fluumlchtlingen zu geringe

Hilfe4

Russland leistet den Fluumlchtlingen zu viel Hilfe

24

Keine Antwort5

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 11

AUS RUSSISchEN BLOGS

nawalnyj krim nasch1

Seit Maumlrz 2014 steht Alexej Nawalnyj wegen des sogennanten raquoYves-Rocher-Fallslaquo unter Hausarrest Dem opposi-tionellen Politiker wurde per Gerichtsbeschluss verboten seine Wohnung zu verlassen sowie mit jeglichen Perso-

nen auszliger dem engen Familienkreis zu sprechen Interviews zu geben und das Internet zu nutzen Seitdem fuumlhrt das Team der raquoStiftung fuumlr die Korruptionsbekaumlmpfunglaquo (russ raquoFBKlaquo) seinen Blog und seine Frau seinen Twitter-Account Anfang Oktober milderte das Gericht des Moskauer Basmannyj-Rayons (Basmannyj-Gericht) uumlberraschenderweise die Bedingungen des Hausarrests in Bezug auf Kontakte mit der Auszligenwelt was nach mehreren Monaten Journalis-ten wieder einen Zugang zur Schluumlsselfigur der russischen Protestbewegung ermoumlglichte

Das Interview fuumlr Echo Moskwy vom 15 Oktober in dem Nawalnyj sich unzweideutig zur Annexion der Krim aumluszligerte erregte in Russland uumlberaus groszlige Aufmerksamkeit Wie im Nachhinein aus der Redaktion von Echo Moskwy verlautet wollte Michail Lesen Chef der Holding Gazprom-Media die zwei Drittel der Aktien des Radiosenders besitzt die Veroumlffentlichung dieses Interviews auf alle erdenkliche Weise verhindern er habe der stellvertretenden Chefre-dakteurin Olesja Rjabzewa per Telefon mit groszligen Problemen gedroht wie diese in ihrem Blog berichtet Das Inter-view schlug in der liberalen Oumlffentlichkeit wie eine Bombe ein da Nawalnyj die Ruumlckgabe der Krim an die Ukraine eindeutig ausschloss Auf die Frage des Chefredakteurs des Radiosenders Alexej Wenediktow raquoKrim naschlaquo (Ist die Krim unser) sagte der Oppositionelle Folgendes raquoIch finde dass obwohl die Krim unter eklatanten Verstoumlszligen gegen alle voumllkerrechtlichen Normen erobert wurde die Realien derart sind dass die Krim jetzt ein Teil der Russischen Foumlderation ist Machen wir uns doch nichts vor Den Ukrainern rate ich ebenfalls ausdruumlcklich sich nichts vorzu-machen Sie [die Krim Anm d Red] bleibt Teil Russlands und wird in absehbarer Zukunft kein Teil der Ukraine werdenlaquo Diese Aussage loumlste auf Twitter einen massiven raquoShitstormlaquo aus Kurz nach dem Interview schloss sich auch Michail Chodorkowskij der Position Nawalnyjs an und sagte raquoDie Krim gebe ich nicht zuruumlcklaquo (lthttpgraniruPol iticsRussiaPartiesm234009htmlgt) Im Zuge heftiger Debatten in den Blogs teilte sich die liberale Oumlffentlichkeit Russlands in Nawalnyj-Versteher und harsche Kritiker der Krim-Annexion es meldeten sich unter anderem zu Wort Grigorij Golosow Professor an der Europaumlischen Universitaumlt St Petersburg Sergey Davidis Buumlrgerrechtler und enger Verbuumlndeter Nawalnyjs in der Protestbewegung Alexander Osowzow Projektdirektor der Stiftung von Michail Cho-dorkowskij raquoOffenes Russlandlaquo Wladislaw Naganow Mitglied der Nawalnyj-Partei raquoPartei des Fortschrittslaquo der Jour-nalist und Publizist Alexander Sotnik der russischsprachige Kiewer Journalist Mustafa Nayyem und der Kriegskor-respondent Arkadij Babtschenko

eine situation ohne guten AuswegraquoNawalnyj stellt alles richtig dar zu vielen Fragen laumlsst sich derzeit kaum etwas Besseres sagen Er ist ein begabter Mensch ein geborener Politiker Das Schlimme ist dass Russland ihn unter Hausarrest haumllt Alle gehen ihn hier an mit der Krim Man muss aber dabei im Kopf behalten dass es Putin war der die ukrainischen Probleme fuumlr Russland geschaffen hat und Nawalnyj nach einem guten Ausweg aus einer schlechten Lage zu fragen ist nicht besonders fair Die Krim bedeutet eine Situation ohne guten Ausweg Fuumlr den Besitz der Krim werden wir ndash alle zusammen oder jeder einzelne aus eigener Tasche ein Vielfaches von dem zahlen muumlssen was es gekostet haumltte jeden Quadratmeter auf der Halbinsel zu kommerziellen Preisen als Eigentum zu erwerben und alle Bewohner die dann nicht bleiben wollen an die Cocircte drsquoAzur umzusiedeln Putin hat das Geschaumlft bereits abgeschlossen Selbst Nawalnyj kann es nicht stornierenlaquoGrigorij Golosow via Snobru 16102014 lthttpslonrurussiapochemu_navalnyy_prav-1172360xhtmlgt

raquoAlle haben sich auf nawalnyj gestuumlrzthelliplaquoraquoIch habe in seinen Worten keinen Imperialismus erkennen koumlnnen er stimmt der Besetzung und Annexion der Krim nicht zu weist im Gegenteil auf deren krasse Rechtswidrigkeit hin Er hat gesagt dass Krim jetzt de facto zu Russ-land gehoumlrt [hellip] Er sagt dass man sie nicht wie ein Butterbrot zuruumlckgeben kann dass das die Bevoumllkerung entschei-den sollte was gibt es da zu bestreiten Selbst bei der Annexion gab es ein Schein-Referendum Und wenn man nicht autoritaumlr und rechtswidrig vorgeht sondern fair und demokratisch wer anders als die Bevoumllkerung sollte dann ent-scheiden [hellip]

Was ich in der Aumluszligerungen Alexejs nicht gutheiszligen wuumlrde ist der Stil Man sollte jetzt auf Ratschlaumlge fuumlr die Ukrainer lieber verzichten insbesondere bei einer solchen Frage Man sollte nicht davon reden dass Krim rsaquoin absehba-

1 dt Die Krim ist unser

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rer Zukunft kein Teil der Ukraine werdenlsaquo wird auch wenn es scheint als ob die Ergebnisse eines jeden Referendums vorhersehbar sind Schlieszliglich tragen wir alle selbst diejenigen die dagegen waren zu einem gewissen Grad eine Ver-antwortung bei der Aggression des Kreml gegen die Ukraine und trotz allem stehen wir in den Augen der Ukrainer vollkommen zurecht als Buumlrger eines Aggressorstaates da Etwas mehr Ruumlcksicht und Fairness waumlre nicht verkehrtlaquoSergej Davidis auf Facebook 15102014 lthttpswwwfacebookcomsergeidavidisposts800840943304969gt

raquoDer Drache gewinnt in jedem falllaquoraquoBezuumlglich der Krim bin ich mit Nawalnyj kategorisch nicht einverstanden und finde dass gerade Russland der Ukraine die annektierte Krim zuruumlckgeben sollte vor allem weil niemand auch kein Land ein normales Leben fuumlh-ren kann ohne zu versuchen die Folgen eines von ihm begangenen Verbrechens nach Moumlglichkeit zu korrigieren Das waumlre genauso als wenn Alexejs rsaquoLieblingsfigurenlsaquo ndash Timtschenko Jakunin die Rotenbergs usw ndash eines schoumlnen Tages sagen wuumlrden rsaquoWir klauen jetzt nicht mehr wir sind jetzt ehrliche Leute Aber was wir vorher zusammenge-klaut haben das gehoumlrt bereits uns und das behalten wirlsaquo Eine solche Idee wuumlrde Nawalnyj kaum zufriedenstellen

Die Diskussion um Nawalnyjs Position die jetzt stattfindet zeigt aber aus meiner Sicht sehr ernst zu nehmende moralische und ethische Probleme innerhalb eines Teils der russischer Opposition auf Die einen die gestern noch mit harten Worten die rsaquoKrimnaschistenlsaquo beschimpft haben und so schien es bereit waren rsaquoWatniki und Koloradylsaquo2 in Stuumlcke zu zerreiszligen sind nun durch der rsaquoHetze der liberalen Presse gegen Nawalnyjlsaquo empoumlrt [hellip]

Ich moumlchte denjenigen fuumlr die jedweder Meinungsunterschied zu Nawalnyj ein Anschlag auf das Allerheiligste ist Folgendes sagen Beruhigt euch versucht zu verstehen dass es dumm und aussichtslos fuumlr das Land waumlre rsaquoPuti-noidelsaquo durch rsaquoNawalnoidelsaquo auszutauschen So wie in dem alten vietnamesischen Maumlrchen uumlber den Drachen und das Schwert aus grauem Stahl Es gewinnt immer der DrachelaquoAlexander Osowzow auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcomosovtsovaaposts1568393260047754gt

raquoman darf sie nicht hin und her zuruumlckgebenlaquoraquoAlle die Nawalnyj fuumlr seine Worte rsaquoIst die Krim etwa ein Wurstbrot dass man es hin und her zuruumlckgeben koumlnntelsaquo kritisieren moumlchte ich fragen Wie stellt ihr das uumlberhaupt vor

Der Praumlsident Russlands unterschreibt einen Erlass uumlber die Ruumlckgabe der Krim und Sewastopols an die Ukraine Uumlber die Entziehung der russischen Staatsbuumlrgerschaft bei allen Bewohnern der Krim und Sewastopols Oder kann man den Menschen die russische Staatsbuumlrgerschaft belassen und nur das Territorium ndash mit ihnen ndash uumlbergeben Fragt irgendjemand die Menschen was sie wollen bevor man etwas mit ihnen macht Oder werden die Einwohner der Krim und Sewastopols nicht fuumlr Menschen gehalten sondern fuumlr Vieh fuumlr eine Schafherde die zwischen verschie-denen Staaten hin und her rsaquouumlbergebenlsaquo werden kann Der eine Praumlsident hatte Lust und nahm es sich der andere hat sich anders uumlberlegt und gibt es wieder zuruumlckt So etwa

Sollte man nicht doch besser die Menschen fragen Hat Nawalnyj das etwa nicht selbst gesagt als er von einem rsaquonormalenlsaquo Referendum auf der Krim sprach Ich verstehe unter einem rsaquonormalenlsaquo Referendum eines das nicht nur 15ndash20 Tage vorbereitet wird sondern mindestens drei Monate Und bei dem es keine Einschraumlnkungen fuumlr die Kam-pagne gibt Die Anhaumlnger einer Zugehoumlrigkeit der Krim und Sewastopols zur Ukraine wollen hierfuumlr agitieren mit Plakaten Flugblaumlttern Werbevideos ukrainischen Fahnen ndash bitte schoumln Ohne Einschraumlnkungen Und dass alle moumlg-lichen Wahlbeobachter zum Referendum kommen koumlnnen von der OSZE von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates von der GUS aus der Ukraine der EU und den USA von uumlberall her Und dass ein transparenter Ablauf der Stimmenzaumlhlung gewaumlhrleistet werde Und wenn jemand von den Wahlbeobachtern ein Nachzaumlhlen der Stimmen per Hand verlangt ndash bitte schoumln mehrmals so oft wie gewuumlnscht Und uumlberhaupt Lasst so viele Wahlbe-obachter in jedes Wahllokal wie dort Platz ist Und keinerlei bewaffnete Menschen mit Maschinenpistolen in kei-nem einzigen Wahllokal oder dessen UmgebunglaquoWladislaw Naganow auf Livejournal 16102014 lthttpnaganofflivejournalcom142862htmlgt

liebe raquonawalnistenlaquoraquoAlso Fuumlr die verehrten rsaquoNawalnistenlsaquo die sich wegen Alexej so aufregenhellip

2 raquoWatnikilaquo (Wattejacken) ndash abfaumlllige Bezeichnung fuumlr russische sbquoHurrapatriotenlsquo (ein raquoWatniklaquo ist eine Wattejacke die mit der Armee aber auch mit Straumlflingen assoziiert wird) raquoKoloradylaquo (von raquo koloradskij shuklaquo ndash Kartoffelkaumlfer) ndash abfaumlllige Bezeichnung fuumlr prorussische Akti-visten in der Ukraine (die Faumlrbung des Kaumlfers ist schwarz-gelb oder schwarz-orange gestreift aumlhnlich den Farben des St Georgs-Bandes das von prorussischen Kraumlften in der Ukraine und von politisch rechtsstehenden Russen als Abzeichen verwendet wird)

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Ja eurer rsaquoFuumlhrerlsaquo ist Imperier Daraus hat er kein Geheimnis gemacht Er ist bei der Krim-Frage ein absoluter Putin Weil er wenn er einer anderen Ansicht waumlre Wenediktow Folgendes gefragt haumltte rsaquoVon welcher Krim reden Sie denn Von der die zur Ukraine gehoumlrt womit Russland einverstanden war als es das Budapester Abkommen unterschrieben hat Sie fragen mich uumlber die territoriale Integritaumlt eines Staates dem Russland Garantien gegeben hat wonach die Ukraine zum atomwaffenfreien Land geworden ist Haumltte Russland seinerzeit diese Garantien nicht gegeben haumltte die Ukraine jetzt Atomraketen und wir wuumlrden es niemals riskieren uns dort einzumischenhellip Sie fragen also nach Quatsch und zwar provokantem Quatschlsaquo

Wenn er also auf diese Weise geantwortet haumltte dann ja Dann waumlre er als Politiker geboren worden Er hat sich aber ausgenullt Wie seinerzeit Udalzow

Und noch etwa Verehrte rsaquoNawalnistenlsaquo houmlrt auf euch Goumltzen zu schaffen Viele von euch waren auf dem rsaquoFrie-densmarschlsaquo zur Unterstuumltzung der territorialen Integritaumlt der Ukraine Verliert das Gesicht nicht Trefft eine Wahl ohne Bindung des Herzens Und all die Argumente rsaquoer habe es nicht so gesagt er habe etwas anderes gemeintlsaquo das ist im Stil von rsaquoPutinistenlsaquo und zwar rsaquoUnser Fuumlhrer hat alle ausgetrickst Das eine gesagt was anderes getan Sie haben seinen Weisheiten schlecht zugehoumlrtlsaquohellip

Seid keine Kinder Werdet erwachsenlaquoAlexander Sotnik auf Facebook 15102014 lthttpswwwfacebookcomsashasotnikposts646414272138108gt

raquorandfigur russischer PolitiklaquoDa Alexej Nawalnyj recht offen seine Meinung zur Krim geaumluszligert hat [hellip] waumlre es auch fuumlr den Oppositionellen selbst sinnvoll das Geheimnis uumlber seine Lage zu luumlften Ich finde dass abgesehen davon dass die Rechte von Ale-xej Nawalnyj lange Jahre verletzt wurden und er nach himmelschreiender Verletzung aller Gesetzesnormen der Rus-sischen Foumlderation verurteilt wurde die Realitaumlt so aussieht dass Herr Nawalnyj eine Randfigur der russischen Poli-tik ist Ich rate ihm und seinen Anhaumlngern eindringlich sich nichts vorzumachen ndash sie haben in absehbarer Zukunft keine Chance bedeutende Figuren in der groszligen Politik zu werden Das waumlre ebenfalls ehrlichMustafa Nayyem auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcomMustafanayyemposts10203171638717866gt

raquoWas wollen sie Pardon zuruumlckgebenlaquoraquoWas fuumlr spannende Eskapaden nun zu dieser Krimhellip rsaquoDie Krim ist kein Wurstbrotlsaquo meint Nawalnyj rsaquoWenn ich Prauml-sident werde gebe ich Krim nicht zuruumlcklsaquo schreibt Michail Chodorkowskij auf Twitter [hellip]

Russland hat einen Teil eines souveraumlnen Staates okkupiert Diese Okkupation ist von keinem anderen Staat in der Weltgemeinschaft anerkannt worden In der ganzen Welt hat sich die ukrainische Grenze nicht um einen Zen-timeter veraumlndert Die Welt kennt keinen anderen Staat rsaquoUkrainelsaquo auszliger diesen ndash mit der Krim Die Welt kennt kei-nen anderen Staat rsaquoRusslandlsaquo auszliger diesen ndash ohne die Krim Es hat keine Vertraumlge zur Anerkennung und Bestaumltigung neuer Grenzen gegeben

Was also wollen Sie Verzeihen Sie die Frage rsaquozuruumlckgebenlsaquo [hellip]Und zweitens Das wichtigsteWenn du Praumlsident wirst ndash eben Praumlsident ndash waumlre in diesem Koordinatensystem schon eine solche Fragestellung

rsaquoabgeben oder nichtlsaquo per definitionem undenkbar Denn der Praumlsident ist ein gewaumlhltes Amt Ein Amt das im Rah-men fairer und freier Wahlen besetzt wird die in einem demokratischen Land nach internationalen Regeln Konven-tionen Rechten und Gesetzen die durch die Weltgemeinschaft als korrekt anerkannt werden [hellip] In dieser Situa-tion wuumlrde sich die Frage rsaquozuruumlckgeben oder besser nochmal uumlberlegenlsaquo a priori nicht stellen Weil nicht du es bist der uumlber zuruumlckgeben oder nicht entscheidet Du bist kein Lenker des Schicksals von Staaten Laumlndern und Voumllkern Du bist bloszlig Garant der Ausfuumlhrung von Gesetzen Einschlieszliglich internationaler Gesetze Fuumlr alle die daruumlber anders dachten ist die Moumlglichkeit geschaffen worden uumlber ihre Fehler nachzudenken ndash in den schoumlnen Staumldten Nuumlrnberg und Den HaaglaquoArkadij Babtschenko auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcombabchenkoaposts555934824506755fref=nfgt

Ausgewaumlhlt und zusammengefasst von Sergey Medvedev Berlin (Die Blogs auf die verwiesen wird sind in russischer Sprache verfasst)

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ANALYSE

zivilgesellschaft und staat in russlandPavel Chikov Moskau

zusammenfassungDie Zivilgesellschaft befindet sich heute in Russland in einem schlechten Zustand Sie entwickelte sich Ende der 1980er Jahre und genoss bis Ende der 1990er Jahre weitgehende Freiheiten 1999 gab es erste staatliche Eingriffe und 2004 kennzeichnete Praumlsident Putin aus dem Ausland finanzierte NGOs direkt als raquoFeindelaquo In den folgenden Jahren wurde die Gesetzgebung verschaumlrft die Registrierung von NGOs erschwert den-noch gab es bis zur Ruumlckkehr Putins in das Praumlsidentenamt im Jahre 2012 kein ernstliches Vorgehen der Behoumlrden gegen die NGOler Mit der ultrakonservativen Wende des Jahres 2012 begann der Staat auch verstaumlrkt gegen die NGOs vorzugehen Heute auch nach den Ereignissen in der Ukraine ist weithin klar geworden dass Wladimir Putin bei seiner Orientierung auf einen extremen Konservatismus auch vor Re-pressionen gegen Nichtregierungsorganisationen nicht zuruumlckscheut

Die entstehung der zivilgesellschaft ende der 1980er JahreDer Zustand der Zivilgesellschaft in Russland laumlsst sich heute mit nur einem Wort charakterisieren schlecht Mehr noch Er ist schlechter denn je in der neuesten Geschichte Russlands wenn man davon ausgeht dass es zu sowjetischer Zeit keine nennenswerte Zivilgesell-schaft gegeben hat Die vereinzelten sowjetischen Buumlr-gerrechts- und Dissidentengruppen deren Mitglieder von den Geheimdiensten aufs engste uumlberwacht wurden lassen sich naumlmlich nur mit groumlszligter Muumlhe als Zivilge-sellschaft bezeichnen

Eine legale Existenz vom Staat unabhaumlngiger Nicht-regierungsorganisationen begann in Russland ungefaumlhr in jener Zeit als West- und Ostdeutschland wiederver-eint wurden Ende der 1980er und in der ersten Haumllfte der 1990er Jahre wurden zum einen die bereits erwaumlhn-ten sowjetischen Dissidentengruppen dann aber auch jene Initiativgruppen die auf der Welle der Perestroika unter Gorbatschow entstanden waren und nun als Orga-nisationen auftraten zur Basis der kuumlnftigen Zivilgesell-schaft Diese Gruppen erreichten dass Kuibyschew in Samara und Gorkij in Nishnij Nowgorod umbenennt wurde und sie beteiligten sich engagiert an den Wahlen der Volksdeputierten beseitigten verschiedenste Relikte der sowjetischen Vergangenheit wurden zu Meinungs-fuumlhrern der Gesellschaft organisierten erstmals recht-liche Hilfe fuumlr die schwaumlchsten Bevoumllkerungsgruppen

Die ersten Gesetze die die Taumltigkeit von NGOs sys-tematisch regulierten entstanden in den Jahren 1995 und 1996 Sie wurden auf der Houmlhe der allgemeinen Demokratisierung verabschiedet schrieben die grundle-genden buumlrgerlichen Freiheiten fest sahen eine Registrie-rung per Anmeldung keinerlei Rechenschaftspflichten sowie die Moumlglichkeit vor ohne Registrierung als juristi-sche Person taumltig sein zu koumlnnen Hierbei konnten rund zwei Dutzend verschiedener Rechtsformen genutzt wer-den Eine gesellschaftliche Organisation (NGO) regis-

trieren zu lassen bedeutete keine Muumlhe und die staat-lichen Gebuumlhren hierfuumlr waren minimal Gleichzeitig gab es jedoch keinerlei System fuumlr eine finanzielle Foumlrde-rung von nichtkommerziellen Organisationen (NGOs) durch den Staat

erste eingriffe des staatesDie ersten Zeichen die von kuumlnftigen Problemen fuumlr NGOs kuumlndeten erfolgten im Jahr 1999 als das Justiz-ministerium eine Neuregistrierung aller aktiven nicht-kommerziellen Organisationen (NGOs) verlangte Damals sahen sich einige Menschenrechtsorganisatio-nen erstaunlichen Beanstandungen durch die Behoumlrden gegenuumlber Wie sich herausstellte sollte es nicht moumlg-lich sein den Schutz der Menschenrechte und buumlrgerli-chen Freiheiten zu den satzungsgemaumlszligen Zielen zu zaumlh-len Die Fachleute des Justizministeriums behaupteten Da der Schutz der Menschenrechte gemaumlszlig der Verfas-sung die Pflicht des Staates ist koumlnnten NGOs diesen darin allenfalls sbquounterstuumltzenlsquo Das ist die Erklaumlrung dafuumlr dass die meisten Moskauer Organisationen bei ihren Namen und in ihren Satzungen bis heute diese Formulierung verwenden die offensichtlich eine klare paternalistische Botschaft an die Gesellschaft darstellt Zivilgesellschaftliche Organisationen koumlnnen ndash so die Haltung der russischen Regierung seit 1999 und bis jetzt ndash nichts selber machen Sie koumlnnen lediglich den Staat unterstuumltzen Folglich stoszligen NGOs wenn sie sich gegen die Politik des Staates wenden auf unweiger-lichen vaumlterlichen Zorn Die 15 Jahre nach 1999 illus-trieren diese Haltung sehr deutlich

nichtregierungsorganisationen als raquofeindelaquo2004 hat Praumlsident Putin in seiner jaumlhrlichen Parla-mentsansprache Nichtregierungsorganisationen die auch nur irgendwelche Gelder aus dem Ausland erhalten direkt seine Feinde genannt 200405 wurde eine spe-zielle staatliche Struktur der raquoFoumlderale Dienst fuumlr Regis-

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trierunglaquo (raquoRosregistrazijalaquo) geschaffen ndash eine Polizei fuumlr NGOs Es wurden fuumlr NGOs Rechenschaftspflich-ten uumlber ihre Taumltigkeit eingefuumlhrt die fuumlr zwei Drit-tel der Organisationen nicht zu stemmen waren Von 2006 bis 2008 hat diese dem Justizministerium nach-geordnete Behoumlrde die Aufloumlsung Zehntausender zivil-gesellschaftlicher Organisationen per Gerichtsbeschluss erwirkt Weitere 50000 erhielten Verwarnungen Ins-gesamt befanden sich beim Amtsantritt des Zwischen-praumlsidenten Medwedew achtzig Prozent der in Russland existierenden Organisationen (ungefaumlhr 150ndash180000) nur einen Schritt von ihrer moumlglichen Aufloumlsung (aus formalen Gruumlnden) durch das Justizministerium ent-fernt Staatsfreundliche Strukturen (wie etwa die Gesell-schaftskammer) haben beharrlich die Vorstellung trans-portiert dass es in Russland tatsaumlchlich nicht mehr als 30000 gesellschaftliche Organisationen (NGOs) gebe Das Anhalten der repressiven Maschine gegen NGOs war eine der wenigen liberalen Zugestaumlndnisse Dmitrij Medwedews als Praumlsident raquoRosregistrazijalaquo wurde 2008 selbst aufgeloumlst und seine Funktionen zur Kontrolle der Nichtregistrierungsorganisationen direkt dem Justiz-ministerium uumlbertragen Viele ehemalige Mitarbeiter von raquoRosregistrazijalaquo einschlieszliglich des Behoumlrdenlei-ters wechselten zur Staatsanwaltschaft

2009 und 2010 ritten die Behoumlrden nur vereinzelte Angriffe auf Nichtregistrierungsorganisationen Ein besonders bekannter Fall war die blitzartige staatsan-waltschaftliche Uumlberpruumlfung von 40 Menschenrechtsor-ganisationen im September 2010 die auf Anweisung der Praumlsidialadministration erfolgte diese wollte vor dem Treffen der Leiter der Kommission von Wladislaw Sur-kow und Michael MacFaul kompromittierende Mate-rialien uumlber aus dem Ausland finanzierte Organisatio-nen praumlsentieren Insgesamt aber hat bis zur Ruumlckkehr Putins in das Praumlsidentenamt kein ernstliches Vorgehen der Behoumlrden gegen die NGOler gegeben

Die situation der zivilgesellschaft nach dem mai 2012Die Situation aumlnderte sich grundlegend im Mai 2012 nach der dritten Inauguration Putins die von Mas-senprotesten auf dem Bolotnaja-Platz begleitet wurde denen die bis heute andauernden sogenannten Bolot-naja-Verfahren folgten naumlmlich die strafrechtliche Ver-folgung und Verurteilung zu Gefaumlngnisstrafen von Teil-nehmern der regierungskritischen Demonstration vom 6 Mai 2012 Die Praumlsidialadministration wappnete sich mit der ultrakonservativen Politik einer demonstrativen Absage an liberale Werte fuumlr den Praumlsidenten wurde das Image eines Verteidigers traditioneller Werte aufgebaut die den Menschenrechten und buumlrgerlichen Freiheiten gegenuumlbergestellt werden

Die weitgehenden Beschraumlnkungen der Versamm-lungsfreiheit die Verfolgung von Schwulen und Les-ben die Angriffe auf die Redefreiheit im Internet die Herstellung staatlicher Kontrolle uumlber die Medien die Diskreditierung des Instituts der Wahlen wurden durch eine Kampagne zur Verfolgung von Nichtregierungsor-ganisation ergaumlnzt Diese Welle wurde unter der Losung losgetreten dem Einfluss aus dem Ausland entgegenzu-wirken Sie erfolgte durch Aumlnderungen im Gesetz uumlber nichtkommerzielle Organisationen (NGOs) das Aumlnde-rungsgesetz wurde als raquoGesetz uumlber auslaumlndische Agen-tenlaquo bekannt Praumlsident Putin persoumlnlich ist bekann-termaszligen dessen geistiger Vater Im Verlauf des Jahres 2013 organisierte die Staatsanwaltschaft die vom Jus-tizministerium die Funktion der Kontrolle uumlber Nicht-regierungsorganisationen uumlbernommen hatte die Uumlber-pruumlfung von rund tausend NGOs und lieszlig sich dabei lediglich von einem Kriterium leiten naumlmlich der Frage ob eine Organisation in irgend einer Art Gelder aus irgendeiner Art auslaumlndischer Quelle erhaumllt die Ver-einten Nationen den Europarat und private Nichtre-gierungsstrukturen eingeschlossen Auch eine Reihe deutscher Stiftungen und Organisationen waren Atta-cken ausgesetzt naumlmlich die Friedrich-Ebert-Stiftung die Konrad-Adenauer-Stiftung und der Deutsch-Rus-sische Austausch

Ziel der von Generalstaatsanwalt Jurij Tschajka ini-tiierten Kampagne war es moumlglichst viele Organisa-tionen dazu zu noumltigen sich als auslaumlndischer Agent registrieren zu lassen Die Reaktion der russischen Zivil-gesellschaft laumlsst sich wohl als deutlichsten Beweis ihrer Existenz bezeichnen Nach dieser halbjaumlhrigen Kam-pagne in allen Regionen des Landes hatte sich keine einzige Organisation im Verzeichnis der raquoauslaumlndi-schen Agentenlaquo registrieren lassen Die Zivilgesellschaft hatte ndash ohne sich zu verabreden ndash die Anwendung die-ses Gesetzes sabotiert und Dutzende Organisationen zogen mit Beschwerden gegen das Vorgehen der Staats-anwaumllte vor Gericht Diese ewig langen Gerichtspro-zesse dauern bis heute an Involviert sind mittlerweile auch das Oberste Gericht das Verfassungsgericht der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte die Vene-dig-Kommission des Europarates der Menschenrechts-kommissar des Europarates und die Regierungschefs aller groszligen westlichen Staaten

Heute nach den diesjaumlhrigen Ereignissen in der Ukraine ist weithin klar gewonnen dass Wladimir Putin bei seiner Hingabe an extremen Konservatismus und bei seiner Attacke gegen liberale Werte die die Grundlage der Nachkriegsordnung dargestellt haben bei Repressionen gegen Nichtregierungsorganisationen nicht halt macht Heute in einer Situation da von jenem Moment wo im Kopf des Praumlsidenten oder von irgend

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jemandem in dessen engster Umgebung die naumlchste Idee zur Beschraumlnkung der Menschenrechte entsteht bis zur Verabschiedung und dem Inkrafttreten eines entsprechenden Foumlderalen Gesetzes nur eine Woche vergehen kann koumlnnen jene die Menschenrechtsar-

beit machen solche Schritte der Regierung weder aus-zuschlieszligen noch sie vorhersehen Es bleibt einem nur auf wirklich alle Szenarien gefasst zu sein auch auf die schlimmsten

Uumlbersetzung Hartmut Schroumlder

Uumlber den AutorPawel Chikow Vorsitzender der Interregionalen Assoziation der Buumlrgerrechtsorganisationen raquoAGORAlaquo Mitglied des Rats fuumlr die Entwicklung der Zivilgesellschaft und fuumlr Menschenrechte beim Praumlsidenten der Russischen Foumlderation

ANALYSE

ngos in russlandJens Siegert Moskau

zusammenfassungUnabhaumlngige russische NGOs sind seit Praumlsident Putins Amtsantritt Ziel staatlichen Drucks Die Auseinan-dersetzung mit diesem Druck hat bei den NGOs zu einer schrittweisen und beindruckenden Professionali-sierung beigetragen die wiederum geholfen hat trotz dieses Drucks nicht nur zu uumlberleben sondern auch ihre Arbeit weiter machen zu koumlnnen Das vor knapp zwei Jahren in Kraft getretene sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo stellt die NGOs vor eine neue harte Probe Zudem versucht der Staat erneut NGOs auch institutionell in raquogutelaquo und raquoboumlselaquo einzuteilen Dieser neue Versuch NGOs unter direkte staatliche Kontrol-le zu bringen gefaumlhrdet die Existenz unabhaumlngiger und staatskritischer NGOs in Russland

Putin und die ngosSeit Wladimir Putin vor nun schon fast 15 Jahren rus-sischer Praumlsident wurde versucht er sehr erfolgreich alle autonomen politischen Subjekte in Russland der direkten Kontrolle des Staates besser noch des Kremls zu unterwerfen In Wirtschaft und Politik ist das wei-testgehend gelungen Bei den Massenmedien sehr weit-gehend Blieben und bleiben die NGOs Sie haben sich als am widerstaumlndigsten erwiesen Das hat unterschied-liche Gruumlnde

Erstens galten NGOs im Kreml lange nicht als son-derlich gefaumlhrliche politische Bedrohung Das aumlnderte sich kurzzeitig 20042005 als der Kreml vor allem bei der sogenannten Orangenen Revolution in der Ukraine aus dem Ausland finanzierte NGOs als wichtige trei-bende Kraft der politischen Veraumlnderungen betrachtete Doch hielt diese seinerzeit stark uumlbertriebene Angst vor der Moumlglichkeit aumlhnlich raquoumstuumlrzlerischer Machen-schaftenlaquo in Russland nur recht kurz an Danach etwa ab Ende 2006 und bis zur Protestwelle gegen Wahlfaumll-schungen und die Wiederwahl von Wladimir Putin zum russischen Praumlsidenten im Winter 20112012 periodisch blieben die Aufmerksamkeit den NGOs gegenuumlber und das Verhaumlltnis zwischen Staat und NGOs ambivalent

Dieses Verhaumlltnis schwankt seit Putins Machtan-tritt zwischen dem Misstrauen des Staates allen auto-nomen potentiell eigenstaumlndigen politischen Subjekten gegenuumlber (die aus seiner Sicht streng kontrolliert gehouml-ren) und der Erkenntnis dass NGOs eine ganze Reihe wichtiger sozialer und politischer Funktionen ausfuumll-len die der Staat nicht oder nicht mehr zu gewaumlhrleis-ten in der Lage ist Auszligerdem erwiesen sich die NGOs nach weitgehender Abschaffung der Pressefreiheit und Gleichschaltung der (ohnehin schwachen und in vielen Bereichen dysfunktionalen) politischen Parteien fuumlr den Kreml als nuumltzlicher ja mitunter notwendiger Kommu-nikationskanal in die Gesellschaft

Die Uumlberlebensfaumlhigkeit der russischen ngosDas Uumlberleben unabhaumlngiger NGOs wurde bis heute auszligerdem durch ihre groszlige politische und institutio-nelle Lernfaumlhigkeit gewaumlhrleistet Unter dem staatli-chen Druck der vergangenen 15 Jahre ist die NGO-Arbeit in Russland in fast allen Bereichen professioneller geworden Das gilt insbesondere fuumlr die Einhaltung der in vielem widerspruumlchlichen oft geaumlnderten und uumlber Verwaltungsakte zu wahren buumlrokratischen Monstern

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aufgeblaumlhten die NGOs betreffenden Gesetze Kurz gesagt Vor allem Juristen Buchhalter Geschaumlftsfuumlh-rer die NGOs beraten oder in ihnen arbeiten aber auch viele Aktivisten sind schlicht besser schneller und pro-fessioneller als die staatliche Finanz- Justiz- oder sons-tige Verwaltung Einem in vielem legalistischen Staat gegenuumlber kostet diese staumlndige Professionalisierung (auch im Sinn einer Art raquolebenslangen Lernenslaquo) zwar viel Kraft und es muumlssen dafuumlr nicht geringe Ressour-cen eingesetzt werden aber sie verschafft solange es sich nicht um frontale Angriffe handelt immer wieder Raum und Zeit zum Weitermachen

Damit komme ich zum dritten Grund fuumlr die beson-dere Widerstaumlndigkeit von NGOs in Russland Es ist fuumlr einen Staat (und seine Staatsmaumlnner und -frauen) fuumlr den der Eigensinn der Menschen nur schwer vorstell-bar ist und der vom eigenen Zynismus geleitet hin-ter jedem und allem irgendwelchen raquofremden Maumlchtelaquo Verschwoumlrungen und politischen Utilitarismus vermutet ganz offenbar schwer vorstellbar dass zivilgesellschaftli-ches Engagement sozusagen aus sich selbst heraus oder aus einer bestimmten Situation oder einem bestimmten Ereignis einem Erlebnis oder einer Erfahrung heraus entsteht Administrative auch strafrechtliche Maszlig-nahmen gegen dieses Engagement laufen eben deshalb immer wieder zwar nicht voumlllig ins Leere (sie erschwe-ren dieses Engagement mitunter enorm) aber sie koumln-nen es nicht verhindern Es verlagert sich immer wieder und findet immer neue Formen und Foren

Die Verstaumlrkung der staatlichen kontrolleBis heute gab es unter Putin drei groumlszligere Versuche unab-haumlngige NGOs unter mehr oder weniger direkte staatli-che Kontrolle zu bringen und diejenigen die sich dagegen wehrten entweder zu marginalisieren oder auch zu schlie-szligen Der erste im Jahr 2001 endete mit einem oben schon angedeuteten Kompromiss der das Verhaumlltnis Kreml-NGOs in einem (allerdings jederzeit prekaumlren) Gleich-gewicht zwischen Konfrontation und Kooperation hielt

Der zweite Versuch endete in der Verabschiedung des raquoNGO-Gesetzeslaquo Ende 2005Anfang 2006 das den NGOs weitergehende Berichtspflichten auferlegte in der Praxis also Ressourcen band und bindet aber ebenfalls in der Praxis und entgegen anderslautenden Befuumlrchtungen nicht zu wesentlichen Einschraumlnkun-gen in der Arbeit russische NGOs fuumlhrte Die groumlszligte negative Wirkung dieses Versuches duumlrfte von zahlrei-chen oumlffentlichen Aumluszligerungen hochgestellter Politiker bis hin zu Putin ausgegangen sein NGOs seien raquoFeindelaquo raquoSchakale die um auslaumlndische Vertretungen streunenlaquo Dadurch wurde die Einstellung von Teilen der Gesell-schaft vor allem aber von weiten Teilen der Verwaltung zu NGOs grundsaumltzlich negativ gepraumlgt

Der dritte Versuch begann als Teil der staatlichen Reaktionen auf den Protestwinter 20112012 und haumllt bis heute an Sein wichtigster Bestandteil ist das soge-nannte raquoNGO-Agentengesetzlaquo das eigentlich kein eigenes Gesetz ist sondern aus einer Reihe dem NGO-Gesetz neu hinzugefuumlgter oder geaumlnderter Paragraphen besteht Diese Vorschriften verpflichten NGOs die raquosich politisch betaumltigenlaquo und Geld oder andere Zuwendun-gen aus dem Ausland erhalten sich beim Justizminis-terium als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren zu lassen Danach muumlssen sie jede oumlffentliche Aumluszligerung mit dem Zusatz raquoauslaumlndischer Agentlaquo versehen

Die Durchsetzung des AgentengesetzesTrotz erheblichen staatlichen raquoPressingslaquo der raquoUumlber-pruumlfunglaquo von mehr als 700 NGOs in ganz Russland durch Staatsanwaltschaft Justizministerium Finanz-amt und eine Reihe anderer Behoumlrden ab dem Fruumlhjahr 2013 hatte sich im Fruumlhjahr 2014 erst eine NGO als raquoauslaumlndischer Agentlaquo im entsprechenden Register des Justizministeriums eintragen lassen (lthttpunromin justruNKOForeignAgentaspxgt) Alle anderen selbst diejenigen NGOs die von den Behoumlrden als raquoAgentenlaquo eingestuft und teilweise mit empfindlichen Geldstra-fen belegt worden waren weigerten sich und weigern sich bis heute Viele NGOs klagten und klagen sowohl gegen das Gesetz als auch gegen die raquoUumlberpruumlfungenlaquo und die aus ihnen von den Justizbehoumlrden abgeleite-ten Bescheide und Anweisungen vor russischen Gerich-ten aber auch vor dem Europaumlischen Gerichtshof fuumlr Menschenrechte (EGMR) Eine Entscheidung des rus-sischen Verfassungsgerichts hat die raquoAgentenparagra-phenlaquo fuumlr verfassungskonform erklaumlrt wenn auch einige Einzelbestimmungen darunter die zu Mindeststrafen aufgehoben

Im Juni 2014 beschloss die Staatsduma eine Verschaumlr-fung der raquoAgentenlaquo-Paragraphen des NGO-Gesetzes Seither hat das Justizministerium das Recht NGOs auch ohne deren Zustimmung in das raquoAgentenlaquo-Register ein-zutragen Bis heute (21102014) hat es 15 NGOs getrof-fen Es ist damit zu rechnen das weitere folgen werden Justizminister Jurij Tschajka hat bereits 2013 im Foumlde-rationsrat von 24 NGOs gesprochen die nach Ansicht des Ministeriums raquoAgentenlaquo seien Auszligerdem wurden 2013 und 2014 mehr als 40 NGOs von der Staatsanwalt-schaft aufgefordert sich vorsorglich als raquoAgentenlaquo regis-trieren zu lassen da sie Geld aus dem Ausland bekaumlmen und Gefahr liefen sich raquopolitisch zu betaumltigenlaquo

Die reaktionen der ngos auf das AgentengesetzDie praktischen Reaktionen der NGOs auf diesen staat-lichen Druck sind unterschiedlich Einige NGOs wie

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die Wahlbeobachter von raquoGoloslaquo haben sich als juris-tische Personen aufgeloumlst oder sind wie die raquoJuristen fuumlr Verfassungsrechte und Freiheitlaquo dabei sich aufzu-loumlsen (ein juristisch und administrativ nicht ganz ein-facher und langwieriger Vorgang) Fast alle NGOs die sich aufloumlsen haben aber erklaumlrt ihre Arbeit auch ohne juristischen Status fortsetzen zu wollen Rechtlich ist das moumlglich Praktisch werden diese NGOs auf zahlreiche neue Probleme treffen wohl bis hin zur moumlglichen Kri-minalisierung einzelner Personen

Einige andere NGOs darunter das Menschenrechts-zentrum Memorial machen weiter wie bisher Sie fech-ten meist die Eintragung in das raquoAgentenregisterlaquo vor Gericht an (in der Regel ohne besonderen Erfolg) Das Menschenrechtszentrum Memorial aber auch einige andere NGOs wollen bis zum EGMR gehen unter ande-rem weil sie das Gesetz insgesamt fuumlr unmoralisch und verfassungswidrig haumllt

Eine weitere Reaktion ist eine Art Hase-und-Igel-Spiel mit den Behoumlrden Das kann sich in einem Geflecht von unterschiedlichen NGOs ausdruumlcken die unter-schiedliche Funktionen wahrnehmen Eine NGO macht politische Erklaumlrungen und betreibt Lobbying Ihre Aktivistinnen arbeiten ausschlieszliglich ehrenamt-lich Eine andere bekommt auslaumlndische Finanzierung fuumlr Projekte die auch nach der Definition von Staatsan-waltschaft und Justizministerium nicht raquopolitischlaquo sind Wieder andere NGOs weichen auf Organisationsformen (juristische Personen) jenseits des NGO-Gesetzes aus die dann nicht den raquoAgentenparagraphenlaquo unterliegen

Der Vorstoszlig gegen memorialAllerdings beschraumlnkt sich die staatliche Behinderung und Bedrohung von NGOs nicht auf das relativ neue Agentengesetz Alle anderen laumlnger erprobten adminis-trativen bis strafrechtlichen Instrumente bleiben eben-falls im Einsatz Juumlngstes und bekanntestes aber bei weitem nicht einziges Beispiel ist der Schlieszligungsan-trag des Justizministeriums vor dem Obersten Gericht gegen raquoMemorial Russlandlaquo raquoMemorial Russlandlaquo ist ein Netzwerk aus rund 50 regionalen und thematischen Memorial-Organisationen und selbst eine von mehr als 60 Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Internatio-nallaquo (Zum Memorial-Netzwerk siehe lthttprusslandboellblogorg20141011wie-funktioniert-memorial-ein-kleiner-wegweiser-durch-eine-zugegeben-kompli zierte-strukturgt) Bei einer der regelmaumlszligigen Pruumlfun-

gen stellte das Justizministerium Anfang 2012 also vor Beginn der jetzigen Repressionswelle gegen NGOs fest dass die seit Gruumlndung der Organisation geltende konfouml-derative Struktur von raquoMemorial Russlandlaquo raquonicht dem Gesetz entsprechelaquo und geaumlndert werden muumlsse Insbe-sondere behagt dem Justizministerium nicht dass die Mehrzahl der Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Russlandlaquo ihrerseits eigenstaumlndige juristische Personen sind raquoMemorial Russlandlaquo muumlsse sich zentralistisch organisieren und die regionalen Memorial-Organisa-tionen zu Filialen werden Ohne hier ins Detail gehen zu koumlnnen wuumlrde das aber zu weiteren Problemen fuumlh-ren die wiederum die Schlieszligung von Memorial durch das Justizministerium zum Ergebnis haumltten Memorial sucht einen Ausweg das Justizministerium betreibt die Schlieszligung Viele NGOs haben Probleme mit der Feu-erwehr dem Gesundheitsamt oder der Arbeitsschutzbe-houmlrde Beliebt ist in juumlngster Zeit auch die Kuumlndigung von Mietvertraumlgen (so unlaumlngst geschehen bei raquoGoloslaquo und der raquoBewegung fuumlr Menschenrechtelaquo)

soziale und politische ngosSeit dem Fruumlhjahr zeichnet sich noch ein weiterer Angriff auf unabhaumlngige und staatskritische NGOs ab Der von Michail Fedotow geleitete Zivilgesellschaftsrat beim Praumlsidenten beraumlt seit einiger Zeit eine erneute Aumlnde-rung des NGO-Gesetzes Er schlaumlgt vor die Agenten-paragraphen abzuschaffen und dafuumlr um den Befuumlrch-tungen des Kremls auf politische Einflussnahme (nicht nur aus dem Ausland) Rechnung zu tragen kuumlnftig eine Einteilung von NGOs in raquosozialelaquo und raquopolitischelaquo vor-zunehmen raquoSozialelaquo NGOs sollen diesen Vorschlaumlgen nach kuumlnftig steuerlich beguumlnstigt sein und staatliche Zuwendungen erhalten koumlnnen raquoPolitischelaquo NGOs wer-den hingegen von staatlicher Foumlrderung ausgeschlossen und sollen auf alle Zuwendungen insbesondere aber auf Zuwendungen aus dem Ausland einen noch fest-zulegenden Steuersatz zahlen Die Befuumlrworter dieser im Uumlbrigen im Zivilgesellschaftsrat nicht unumstrit-tenen Initiative verweisen darauf dass so die heute als raquoAgentenlaquo verfolgten NGOs eventuell noch gerettet wer-den koumlnnten waumlhrend staatliche Foumlrderung aller ande-ren verstaumlrkt wuumlrde Ein Gewinn also fuumlr alle Betei-ligten Tatsaumlchlich verbirgt sich hinter dem Vorschlag aber eine gefaumlhrliche Tendenz zur Entsolidarisierung in der NGO-Szene wie sie auch anderswo schon laumln-ger zu beobachten ist

Uumlber den AutorJens Siegert ist Diplompolitologe und leitet seit 1999 das Laumlnderbuumlro Russland der Heinrich Boumlll Stiftung in Mos-kau Davor arbeitete er in Moskau als Korrespondent fuumlr Radiostationen Zeitschriften und Zeitungen im deutsch-sprachigen Raum

Lesetipps finden Sie auf der naumlchsten Seite

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Lesetippsbull Siegert Jens Putin und die Zivilgesellschaft in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 12 06 2013

lthttprusslandboellblogorg20130612putin-und-die-zivilgesellschaftgtbull Siegert Jens Uumlber ein Jahr raquoNGO-Agentenlaquo-Jagd ndash eine Art Zwischenbericht in Russland-Blog (Hein-

rich-Boumlll-Stiftung Moskau) 4 Juni 2014 lthttprusslandboellblogorg20140604ueber-ein -jahr-agenten-jagd-eine-art-zwischenberichtgt

bull Siegert Jens Russische raquoNGO-Agentenjagdlaquo ndash eine Zwischenbilanz in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 7 Juni 2013 lthttprusslandboellblogorg20130607russische-ngo-agentenjagd-eine-zwischenbilanzgt

bull Siegert Jens Erklaumlrung Permer NGOs warum sie sich unter keinen Umstaumlnden als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren lassen in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 26 Mai 2013 lthttprusslandboellblogorg20130526erklarung-permer-ngos-warum-sie-sich-unter-keinen-umstanden-als-auslandische-agenten-registrieren-lassengt

bull Siegert Jens Memorial raquoNGO-Agentengesetzlaquo ist ungesetzlich und unmoralisch Keine freiwillige Registrierung als raquoauslaumlndischer Agentlaquo in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 22 September 2013 lthttpruss landboellblogorg20120922memorial-ngo-agentengesetz-ist-ungesetzlich-und-unmoralisch-keine-freiwillige-registrierung-als-auslandischer-agentgt

bull Siegert Jens Sozialer Wandel und politische Dynamik in Russland 201112 in Russland-Analysen Nr 245 19 Oktober 2012 lthttpwwwlaender-analysenderusslandpdfRusslandanalysen245pdfgt

ANALYSE

ein kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen engagements zur Unterstuumltzung und integration von migranten in russlandMarina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin

zusammenfassungObwohl die Wirtschaft Russlands aufgrund der ruumlcklaumlufigen Bevoumllkerungszahl auf Migranten angewiesen ist ist der Groszligteil der Bevoumllkerung des Landes Migranten gegenuumlber skeptisch und oft geradezu fremden-feindlich eingestellt Durch eine schlecht koordinierte staatliche Migrationspolitik ist die Lage der Arbeits-migranten meist prekaumlr Initiativen aus der Zivilgesellschaft versuchen die Situation der Migranten zu ver-bessern und leisten Aufklaumlrungsarbeit in der Bevoumllkerung sowie konkrete Hilfestellungen fuumlr Migranten Die Arbeit solcher Aktivisten wird jedoch oftmals durch staatliche Einmischung erschwert

immigration nach russland als gesellschaftliches ProblemDie widerspruumlchliche Migrationspolitik der russischen Regierung und die aufgeheizte Stimmung in der Bevoumll-kerung haben 2013 zu vermehrten xenophoben Uumlbergrif-fen auf Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien gefuumlhrt (siehe beispielsweise die Unruhen in Birjuljowo im Oktober 2013) Diese Entwicklung wirft die Frage auf welche Haltung die russische Zivilgesellschaft hierzu einnimmt Gibt es zivilgesellschaftliche Initiativen die dieser fremdenfeindlichen Stimmung entgegenwirken

In der russischen Oumlffentlichkeit ist oft von einer Flut von Arbeitsmigranten aus den GUS-Staaten die Rede doch in Wirklichkeit ist die Immigration nach Russ-land im internationalen Vergleich gering Zudem zeigen Zahlen der Staatlichen Statistikbehoumlrde raquoRosstatlaquo dass

die russische Wirtschaft aufgrund der demographischen Entwicklung in zunehmendem Maszlige Arbeitskraumlfte aus dem Ausland benoumltigt (bis 2030 ndash so die Prognose ndash soll die russische arbeitsfaumlhige Bevoumllkerung um 103 Mil-lionen Menschen abnehmen)

Trotzdem gibt es starke fremdenfeindliche Stimmun-gen die sich gegen Immigranten aus Zentralasien und dem Kaukasus richten Diese Ablehnung von Migran-ten hat zugenommen und schafft den Naumlhrboden fuumlr Pogrome wie 2006 in Kondopoga 2010 auf dem Mos-kauer Manegenplatz sowie 2013 in der Stadt Pugat-schow und dem Moskauer Vorort Birjuljowo Angst und Verachtung gegenuumlber Fremden ziehen sich durch alle Gesellschaftsschichten Sie werden als Kriminelle und Illegale stigmatisiert und nicht nur Nationalisten ver-wenden die Losung raquoRussland den Russenlaquo um Ras-

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sismus zu schuumlren und die Stimmung gegen Migranten weiter anzuheizen

es gibt keine migrationspolitikDiese interethnischen Konflikte spiegeln sich auch im russischen Alltag wieder Der durch den Foumlderalen Migrationsdienst praktizierte administrative und poli-zeiliche Umgang mit Migration ist nicht effektiv Eine Stigmatisierung der Migranten als potenzielle Krimi-nelle und eventuelle Uumlberlegungen zur Verschaumlrfung des Migrationsgesetzes koumlnnen die Probleme nicht loumlsen die gerade auch auf kommunaler Ebene anfallen Die nur situativen politischen Maszlignahmen fuumlhren mitunter zu einer Verschaumlrfung des Problems Eine uumlbergreifende Strategie existiert nicht die Politik weiszlig auf die Migra-tionsfrage keine Antwort Ein autoritaumlres zentralisier-tes System ist nicht im Stande die regionalen Probleme dieses riesigen Landes zu loumlsen deshalb liegt es vor allem an der Zivilgesellschaft sich diesen Themen zu widmen

zivilgesellschaftliche Projekte AufklaumlrungsarbeitIn Moskau und Sankt Petersburg gibt es verschiedene nichtstaatliche Projekte die sich sowohl fuumlr mehr Tole-ranz als auch fuumlr die Integration der Migranten einsetzen

Einige von ihnen bestehen schon mehrere Jahre Boris Romanow ist einer der Gruumlndervaumlter eines zivil-gesellschaftlichen Netzwerks zur Unterstuumltzung von Menschen mit Migrationshintergrund in Sankt Peters-burg Er arbeitet mit den unterschiedlichsten NGOs zusammen die zu Themen wie Toleranz Antirassis-mus Homophobie Antiziganismus und Antisemitis-mus arbeiten Finanziert durch das Goethe-Institut rief er 2012 raquoRespektlaquo ins Leben ein Comic-Projekt inter-nationaler Kuumlnstler mit dessen Hilfe Schuumller ihr Den-ken uumlber Fremde reflektieren und selbst in Frage stel-len koumlnnen Laut Romanow scheitern solche Projekte oft an der Buumlrokratie der Kommunen Durch das neue NGO-Gesetz gebe es kaum noch Kontaktmoumlglichkei-ten zu staatlichen Schulen erlaumlutert Romanow so dass eine Zusammenarbeit houmlchstens uumlber einzelne Lehrer nicht jedoch uumlber die Schuldirektion moumlglich sei Dies widerspreche dem Konzept zivilgesellschaftlicher Arbeit die vor allem jedermann offen stehen will Durch das geschlossene staatliche Schulsystem komme es selten zu einer Kooperation mit interessierten Lehrern Die Zusammenarbeit von Staat und Zivilgesellschaft ist unabdingbar macht aber die Finanzierung der Projekte schwierig da sie im Falle einer Unterstuumltzung auslaumln-discher Sponsoren unter das neue NGO-Gesetz fallen

Im Zuge der neuen NGO-Gesetzgebung wurde das Antidiskriminierungszentrum raquoMemoriallaquo in Sankt Petersburg geschlossen Dessen ehemaliger Mitarbei-

ter Andrej Jakimow ist Anthropologe Seine langjaumlh-rige Arbeit mit ethnischen Minderheiten wie Sinti und Roma Arbeitsmigranten und Staatenlosen macht ihn zu einem erfahrenen Koordinator der raquoStiftung zur Unter-stuumltzung und Entwicklung von Bildungs- und Sozial-projektenlaquo (raquoPSP-Fondlaquo) in Sankt Petersburg Auch fuumlr ihn zaumlhlt die aktive Aufklaumlrungsarbeit zu den wichtigs-ten Punkten seines zivilgesellschaftlichen Engagements Die juristische und psychologische Betreuung von Mig-ranten stehen neben der Sensibilisierung der russischen Bevoumllkerung im Zentrum seiner Arbeit Seiner Erfah-rung nach interessieren sich die OSZE und die UNO nur marginal fuumlr diese Themen also muumlssen die Pro-bleme der Arbeitsmigranten auf nationaler Ebene geloumlst werden Seine Kontakte zu verschiedenen Netzwerken in den Auswanderungslaumlndern helfen den Migranten sich schon vor der Einreise nach Russland auf den Aufenthalt vorzubereiten In der Zusammenarbeit von Staat und Experten sieht Jakimow eine Moumlglichkeit eine effek-tive Migrationspolitik zu entwickeln

fuumlr die Verbesserung der migrationspolitikAumlhnlich denken auch Wjatscheslaw Postawnin und Natalja Wlasowa die die Stiftung raquoMigrazija XXI weklaquo (raquoMigration im 21 Jahrhundertlaquo) gegruumlndet haben Sie selbst sind ehemalige Mitarbeiter des Foumlderalen Migra-tionsdienstes und kennen die staatliche Migrationspoli-tik von innen Die Regierung unter Putin scheint keiner-lei Loumlsungsansaumltze fuumlr die immer staumlrker zunehmende Xenophobie in Russland zu erarbeiten In den fuumlnf Jah-ren ihrer Existenz hat sich die Organisation in Mos-kau zu einem unabhaumlngigen intellektuellen und wissen-schaftlichen Zentrum entwickelt das Vorschlaumlge fuumlr die Verbesserung der staatlichen Migrationspolitik ausarbei-tet Diese Vorschlaumlge werden oft von der Administration des Praumlsidenten beruumlcksichtigt jedoch nicht sofort und ohne Nennung der Urheberschaft In Zusammenarbeit mit der Weltbank und dem Netzwerk raquoMirpallaquo (raquoMigra-tion and Remittance Peer-Assisted Learninglaquo) erstellt die Organisation Statistiken zu den Migrationsstroumlmen aus den GUS Staaten die oftmals stark von den offiziellen Zahlen des Foumlderalen Migrationsdienstes abweichen

fluumlchtlingsarbeitDie von Swetlana Gannuschkina einer wichtigen Men-schenrechtlerin in Russland 1990 mitbegruumlndete Orga-nisation raquoGrashdanskoje sodejstwijelaquo (raquoBuumlrgerhilfelaquo) beschaumlftigt sich nicht nur mit Arbeitsmigration sondern zu vier Fuumlnfteln mit Fluumlchtlingen Es war die erste Orga-nisation dieser Art in Moskau und wurde im Zusam-menhang mit dem Konflikt um Berg-Karabach und dem Krieg in Tschetschenien gegruumlndet um den Fluumlchtlin-gen aus diesen Regionen zu helfen Die Unterstuumltzung

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der Arbeitsmigranten umfasst juristische Konsultation und die Loumlsung administrativer Fragen z B bei nicht ausgezahlten Gehaumlltern Deportationen Einreisever-boten Die Organisation stellt juristischen Beistand bei unbegruumlndeten Klagen gegen Migranten hilft bei Kla-gen gegen Arbeitgeber wegen nicht ausgezahlter Loumlhne fuumlhrt ein Projekt gegen Hate Crimes durch und veran-staltet Spendenaktionen auf ihrer Webseite Besonders die aumlrztliche Versorgung ist wichtig da der staatliche Notdienst Migranten oft seine Hilfe verwehrt raquoGrash-danskoje sodejstwijelaquo arbeitet eng mit dem Fluumlchtlings-hilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) der Inter-nationalen Organisation fuumlr Migration (IOM) und mit dem Netzwerk raquoMigrazija i prawolaquo (raquoMigration und Rechtlaquo) einem Programm des Menschenrechtszentrums raquoMemoriallaquo zusammen Obwohl in der offiziellen Rhe-torik die Bedeutung der Migration fuumlr Russland unter-strichen wird (wie zum Beispiel in der raquoKonzeption der staatlichen Migrationspolitik 2025laquo) beobachtet man in der Praxis meist die stumme Hinnahme der Uumlber-griffe auf Arbeitsmigranten Nach dem Inkrafttreten des NGO-Gesetzes fand bei der Organisation eine Uumlberpruuml-fung durch die Staatsanwaltschaft statt Ob und wenn ja wie dieses Projekt weiterlaufen wird ist bis heute unklar

Arbeit mit fluumlchtlingskindernIm Rahmen der Organisation raquoBuumlrgerhilfelaquo gibt es zudem ein raquoZentrum fuumlr Integration und Unterricht fuumlr Fluumlchtlingskinderlaquo da das staatliche Programm mit dem Kinder mit Migrationshintergrund Russisch lernen nicht ausreichend ist

Aumlhnlich wie ihre Kollegen aus Moskau arbeiten die Freiwilligen des zivilgesellschaftlichen Projekts raquoDeti Peterburgalaquo (raquoKinder von Petersburglaquo) mit Kindern des-sen Eltern aus den unterschiedlichsten Gruumlnden nach Russland immigriert sind Zwei Projektkoordinatoren der Organisation raquo[Wahl]Beobachterlaquo Daniil Ljubarow und Irina Beljaewa haben 2012 raquoDeti Peterburgalaquo gegruumlndet Angefangen mit einem Angebot von Russisch-Grundkur-sen fuumlr Vorschuumller mit Migrationshintergrund hat sich dieses Programm mittlerweile so weit entwickelt dass Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre an sechs verschie-

denen Standorten in Sankt Petersburg an Russischkursen teilnehmen koumlnnen Bis 2014 hatte es noch nicht einmal feste Raumlumlichkeiten gegeben die Mitarbeiter der raquoDeti Peterburgalaquo organisierten sich ausschlieszliglich uumlber soziale Netzwerke Der virtuelle Raum verbindet diese Organi-sation auch mit anderen zivilgesellschaftlichen Projek-ten So zieht das Projekt nicht nur politische Aktivisten an sondern vor allem Paumldagogen Linguisten und Stu-denten die die Kurse vorbereiten und durchfuumlhren Der Aufbau von kreativen Zirkeln gehoumlrt genauso zur Arbeit von raquoDeti Peterburgalaquo wie die Koordination von Ausfluuml-gen in die Umgebung Museen oder Theatern Das Pro-jekt ist abhaumlngig von seinen Teilnehmern Die fehlen-den Sprachkenntnisse der Eltern fuumlhren oft zu groszligen Kommunikationsproblemen Aber auch die wechselnden und meist aumluszligerst schwierigen Arbeitszeiten der Eltern erschweren die Durchfuumlhrung des Projekts Die staumldti-sche Buumlrokratie versucht den Elan der Mitarbeiter zu bremsen Auch deshalb bleibt das Projekt nichtstaatlich

fazitMisstrauen gegenuumlber der Regierung soziale Probleme und Alltagsrassismus bewegen immer mehr Menschen dazu sich eigenstaumlndig mit der negativen Entwicklung beim Umgang mit Migranten zu beschaumlftigen Aus Inter-views mit den Mitarbeitern der verschiedenen Organisa-tion laumlsst sich schlieszligen dass eine russische Zivilgesell-schaft entstanden ist die die Migrationsfrage einerseits als Arbeit mit der Mehrheits- also russischen Bevoumllkerung betrachtet um diese zu sensibilisieren Anderseits gibt es Initiativen die vor allem konkrete Hilfe fuumlr Migranten leisten um deren alltaumlgliche Probleme zu minimieren

Die Zivilgesellschaft bemuumlht sich Vorurteile abzu-bauen die Migrationspolitik realistischer zu machen und Migranten wie Fluumlchtlingen konkrete Hilfestellung zu geben Die Behoumlrden sabotieren diese Arbeit In den Groszligstaumldten wird der Zuzug von Migranten restriktiv gehandhabt Arbeitgeber wissen um den oft schwierigen Status der Migranten und nutzen die Situation aus um die Migranten weiter auszubeuten Die Arbeit der Zivil-gesellschaft zur Sensibilisierung der russischen Bevoumllke-rung wird durch die offizielle Politik oft konterkariert

Uumlber die AutorenIm Rahmen des Projektkurses raquoZiviler Ungehorsam Gesellschaft und Staat in Osteuropalaquo reisten die Studierenden des Osteuropa-Instituts der Freien Universitaumlt Berlin Michael Bellmann und Kristina Arisov nach Moskau sowie Marina Grinfeld und Christina Huthmann nach St Petersburg um mit Aktivisten und Organisationen die sich fuumlr die Integration von Migranten in Russland einsetzen Interviews zu fuumlhren und die Position der Zivilgesellschaft zur Migrationsproblematik zu analysieren

Lesetippsbull Judah Ben Russiarsquos Migration Crisis in Survival 552013 Nr 6 S 123ndash131

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bull Malakhov Vladimir S Russia as a New Immigration Country Policy Response and Public Debate in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1062ndash1079

bull Schenk Caress Controlling Immigration Manually Lessons from Moscow (Russia) in Europe-Asia Studies 652013 Nr 7 S 1444ndash1465

bull Spahn Susanne Die gelenkte Xenophobie Migration und nationale Frage in Russland Russland nur fuumlr Russen in Osteuropa 642014 Nr 7 S 55ndash67

bull Tipaldou Sofia Katrin Uba The Russian Radical Right Movement and Immigration Policy Do They Just Make Noise or Have an Impact as Well in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1080ndash1101

UmFRAGE

Uumlber die zivilgesellschaft in russland

zur zivilgesellschaftlichen und politischen Aktivitaumlt der russen

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 15 stellen sie sich vor ihre nachbarn schlagen eine gemeinsame muumlllsammelaktion in der nahegelege-nen Parkzone vor Was waumlren sie bereit zu uumlbernehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator der Aktionwerden

An der Aktionmitwirken

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 16 haben sie im vergangenen halbjahrJahr hellip

0 20 40 60 80 100

hellip an den Aktivitaumlten einer non-profit Organisation teilgenommen als Freiwilliger gearbeitet

hellip sich mit gesellschaftlichen Problemen an ihrem Wohnort beschaumlftigt

hellip an Groszligveranstaltungen Demonstrationen Streiks Kundgebungen Umzuumlgen teilgenommen

Ja Keine Antwort Nein

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 23

grafik 17 stellen sie sich vor dass es an ihrem Wohnort zu massenhaften Wahlfaumllschungen kommt irgend-jemand ruft zur Durchfuumlhrung von Protestaktionen gegen die Wahlfaumllschungen auf Was wuumlrden sie unternehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator dieser Aktionwerden

An dieser Protestaktionteilnehmen

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 18 Waren sie haben sie sich in den vergangenen einndashzwei Jahren hellip

0 20 40 60 80 100

hellip Mitglied einer politischen Partei

hellip Wahlbeobachter

hellip an der Arbeit einer Menschenrechtsorganisation beteiligt

hellip sich im Internet (in sozialen Netzwerken auf Foren) zu politischen Themen geaumluszligert

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

zur gesellschaftlichen Aktivitaumlt

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

grafik 19 haben sie persoumlnlich in den vergangenen zweindashdrei Jahren an der taumltigkeit einer gesellschaftlichen organisation teilgenommen Wenn ja wie genau (beliebige zahl an Antworten)

6

6

5

2

2

84

1

050

Habe an gesellschaftliche Organisationen gespendetoder andere materielle Hilfe geleistet

Habe an Wohltaumltigkeitsveranstaltungen teilgenommen(Konzerte Ausstellungen Wohltaumltigkeitslotterie Auktionen)

Habe Freiwilligenarbeit geleistet (kostenlos)

Habe gegen Entgelt in einer gesellschaftlichenOrganisation gearbeitet

Habe Informationen zu den Taumltigkeitenvon gesellschaftlichen Organisationen verteilt

Nicht teilgenommen

Anderes

Keine Antwort

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 24

grafik 20 haben ihnen irgendwann einmal gesellschaftliche organisationen geholfen

0 20 40 60 80 100

Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja mit Geld geholfen Ja auf andere Weise geholfen Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

Die oumlffentliche meinung zu ngos mit auslaumlndischer finanzierung (April 2013)

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 21 mit welcher meinung zur taumltigkeit russischer ngos stimmen sie am ehesten uumlberein

Sie bringen einen groszligen Nutzen

4

Sie bringen mehr Nutzen als Schaden

15Sie bringen ebenso viel

Nutzen wie Schaden23

Sie bringen mehr Schaden als Nutzen

18

Sie bringen weder Nutzen noch Schaden

13

Keine Antwort27

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 22 ist es fuumlr sie wichtig ob eine russische menschenrechtsorganisation aus einheimischen oder auslaumln-dischen mitteln finanziert wird

Sehr wichtig10

Eher wichtig34

Nicht besonders wichtig24

Vollkommen unwichtig18

Keine Antwort14

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 25

grafik 23 Welche ziele verfolgen westliche laumlnder und organisationen die russische ngos mit mitteln aus-statten

Einen verstaumlrkten Einfluss auf die russische

Innenpolitik42

Einen Kampf gegen den russischen Staat

19Eine Unterstuumltzung der

russischen Zivilgesellschaft

8

Kein besonderes Ziel russische NGOs werden wie andere aus standardisierten

internationalen Programmen unterstuumltzt

12

Keine Antwort19

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 24 Duumlrfen organisationen die sich mit dem schutz der Buumlrgerrechte beschaumlftigen und den staat kriti-sieren das recht haben mittel aus dem Ausland zu beziehen

Ja20

Nein56

Keine Antwort24

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 25 Unterstuumltzen sie harte sanktionen gegen ngos die einer politischen taumltigkeit nachgehen und gelder aus dem Ausland erhalten sich aber nicht nach dem gesetz als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren

Auf jeden Fall20

Eher ja32

Eher nein15

Auf keinen Fall5

Keine Antwort28

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 26

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RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 27

luumlgen des fernsehkanals ntV und Beanstandungen des Justizministeriums erklaumlrung des menschenrechtszentrums memoriAl und der russischen gesellschaft

memoriAl

Die Behauptung bei NTV das russische Justizministerium habe die Liquidierung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL eingeleitet fuumlhrte heute zu etlichen Irritationen Das Menschenrechtszentrum und die Russische Gesell-schaft MEMORIAL (die Dachorganisation der russischen Memorial-Verbaumlnde) haben aus diesem Anlass nachste-hende Erklaumlrung abgegeben

Am 10 Oktober strahlte NTV unter dem Titel raquoAuszligergewoumlhnliches Ereignislaquo eine Sendung aus die aus boumlswil-ligen Luumlgen aber auch aus Fehlinformationen in Folge von Unkenntnis bestand

Die Arbeit des Menschenrechtszentrums MEMORIAL als Unterstuumltzung von Extremisten und Terroristen dar-zustellen ist eine infame Luumlge Auf Unkenntnis basiert hingegen die Behauptung das Justizministerium habe des-halb den Antrag gestellt das Menschenrechtszentrum MEMORIAL zu liquidieren

In Wirklichkeit hat das Justizministerium beim Obersten Gericht der Russischen Foumlderation nicht die Aufloumlsung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL beantragt Es geht hier vielmehr um eine andere Organisation naumlmlich die Russische Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIAL

Die russische Gesellschaft MEMORIAL wurde vom Justizministerium bereits 1992 registriert Bis heute befinden sich unter ihrem Dach verschiedene Memorial-Verbaumlnde die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen

Im Jahre 2012 20 Jahre nach der ersten Registrierung tauchten beim Justizministerium ploumltzlich Zweifel hin-sichtlich des russischen Rechtsstatus von Memorial auf obwohl der Gesellschaft praktisch dieselben regionalen Ver-baumlnde angehoumlren wie zuvor und sich die Gesetzeslage in dieser Frage in keinem Punkt geaumlndert hatte

Geaumlndert hat sich allerdings die Position des Justizministeriums das erneut einen raquodemokratischen Zentralismuslaquo anstrebt der nach der Abschaffung der fuumlhrenden Rolle der KPdSU nicht mehr aktuell schien Heute erklaumlrt das Jus-tizministerium nur jene gesellschaftlichen Vereinigungen koumlnnten der Russischen Gesellschaft MEMORIAL ange-houmlren die in ihrer Bezeichnung die Worte raquoVerband (otdelenie) der Russischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklauml-rung Sozialarbeit und Menschenrechte MEMORIALlaquo tragen

Die gesetzliche Vorschrift dass eine Organisation nur dann einen gesamtrussischen Status haben kann wenn sie in uumlber der Haumllfte der Foumlderationssubjekte Verbaumlnde unterhaumllt legt das Justizministerium jetzt dahingehend aus dass diese Verbaumlnde zwangslaumlufig einen Status als Regionalverbaumlnde haben muumlssten Das Vorhandensein von Stadt- und Bezirksverbaumlnden einer Organisation reicht die Beamten als Beleg dafuumlr nicht aus dass die Organisation in der betreffenden Region taumltig ist

Die Vorbehalte des Justizministeriums entbehren jeglicher Grundlage Nicht zufaumlllig erhielten wir auf Anfragen keine Hinweise auf eine Gesetzesnorm Es ist fuumlr uns inakzeptabel dass das Justizministerium das von der Verfas-sung garantierte Recht von Buumlrgern eine Vereinigung zu bilden gesetzwidrig einschraumlnken will Deshalb hat sich die Russische Gesellschaft MEMORIAL bereits 2012 entschlossen vor Gericht zu gehen

Einen Hinweis auf ein Gesetz haben wir auch nicht erhalten als wir 2013 die Forderungen des Justizministeriums im Moskauer Zamoskvorezki-Bezirksgericht und danach im Stadtgericht angefochten haben Beide Instanzen gaben wie nicht anders zu erwarten dem Justizministerium Recht Deshalb wird die Russische Gesellschaft MEMORIAL in Kuumlrze Klage beim Verfassungsgericht einreichen

Was den Antrag des Justizministeriums betrifft so hoffen wir dass das Oberste Gericht bei Behandlung dieses Antrags dem Gesetz und der Verfassung mehr Respekt entgegenbringen wird als die untergeordneten Gerichtsinstanzen

10 Oktober 2014Quelle Website von Memorial Deutschland lthttpwwwmemorialdeindexphpid=42amptx_ttnews[tt_news]=546amptx_ttnews[backPid]=3ampcHash=5bbe9b235a03fe09cba52ed5c8786b99gt

DOkUmENtAtION

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 28

NOtIzEN AUS mOSkAU

Petersburger DialogJens Siegert Moskau

Auf den ersten Blick sieht es so aus als ob ein (egal ob nun willentlich oder nicht) an die Oumlffentlich-

keit gelangter Brief einiger regelmaumlszligiger Teilnehmer des Petersburger Dialogs (PD) aus den Reihen deutscher NGOs an Bundeskanzlerin Merkel und Auszligenminis-ter Steinmeier die Verschiebung des fuumlr Ende Oktober in Sotschi geplanten groszligen Jahrestreffens verursacht haumltte In dem Brief bekraumlftigten die Autoren ihre nicht neue Kritik am PD und erklaumlrten warum sie dieses Jahr nicht teilnehmen wuumlrden Sie betonen dass die Absage kein Boykott sei und bieten ihrerseits einen Dialog zur Reform des Dialogs an Auf den zweiten Blick war der Brief selbstverstaumlndlich nur Anstoszlig aber nicht Grund fuumlr die Verschiebung Doch der Reihe nach

Die in dem Brief geaumluszligerte Kritik am PD ist wie gesagt nicht neu sie hat sie den PD von Anfang an begleitet Das liegt sicher auch an einem bis heute nicht korrigierten Geburtsfehler Ein durch Staats- und Regie-rungschefs initiierter raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo ist schon etwas verquer Das heiszligt nicht dass das nicht gehen koumlnnte Doch dazu haumltten sich die hochgestell-ten Initiatoren (der damalige russische Praumlsident und der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schrouml-der) und ihre (Interims-)Nachfolger spaumlter zuruumlckziehen muumlssen Das haben sie nicht Daran sind sie nicht (allein) Schuld Es war der PD der durch seine Lenkungsor-gane die enge zeitliche und oumlrtliche Verbindung mit den deutsch-russischen Regierungskonsultationen und die zeitweilige Anwesenheit von Praumlsident und Kanzlerin zum Grundstein seiner Wirkungsmaumlchtigkeit erklaumlrte

Auf deutscher Seite wurde versucht dieses Problem organisatorisch sozusagen oumlffentlich-rechtlich zu loumlsen indem moumlglichst alle interessierten politischen Spektren und gesellschaftlichen Gruppen am sogenannten Len-kungsausschuss beteiligt wurden Das gelang zumindest so gut dass es soweit mir bekannt bis heute keine grouml-szligeren Klagen uumlber Nichtberuumlcksichtigung oder Nicht-beteiligung gab Aber die Bundesregierung behielt weit-gehenden Einfluss nicht zuletzt uumlber den alljaumlhrlich sechsstelligen Zuschuss fuumlr die Durchfuumlhrung der Jah-restreffen Auszligerdem wurde der jeweilige Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses zwar nach Abstim-mungen mit den Beteiligten aber letztlich durch den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin bestimmt

In Russlands ist die Sache einfacher Von Anfang an wurde und wird gemacht wird was der Kreml will Schon der erste Vorsitzende des russischen Lenkungs-ausschusses Michail Gorbatschow (immerhin selbst ein ehemaliger Praumlsident) war wie er selbst einmal bekannte

nicht mehr als ein ndash schoumlne Ruumlckuumlbertragung aus dem Russischen ndash raquoSitz-Praumlsidentlaquo Der jetzige Vorsitzende Wiktor Subkow war Datschennachbar von Putin ers-ter stellvertretender Ministerpraumlsident und ist nun Auf-sichtsratsvorsitzender von Gazprom

Die Kritik dass nur eine Simulation eines raquozivilge-sellschaftlichen Dialogslaquo stattfinde wurde von einigen deutschen Teilnehmern bereits auf dem ersten Jahres-treffen des PD im April 2001 in St Petersburg geaumluszligert Es fehlten auf russischer Seite (in der seinerzeit noch ver-einigten Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo) Vertreter russischer NGOs Die Kritik kam an In Russ-land fuumlhrte sie (ohne dass ich hier jetzt ausfuumlhren kann wie) zum ersten Versuch des Kremls auch unabhaumln-gige NGOs in das korporative System der gelenkten Demokratie zu zwingen Der Versuch misslang weitge-hend und muumlndete in einer Art Waffenstillstand und der Gruumlndung eines raquoMenschenrechtsrats beim Praumlsi-dentenlaquo unter Einbeziehung von Vertretern unabhaumlngi-ger NGOs Beim PD wurde die Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo in ihre zwei Namensbestandteile geteilt und es gelang uumlber die Jahre in immer wieder unternommenen Anstrengungen auch die Teilnahme unabhaumlngiger russischer NGO-Vertreter durchzuset-zen Etwas spaumlter wurde diese Teilnahme sogar vor-sichtig institutionell abgesichert indem erst Ella Pam-filowa und spaumlter ihr Nachfolger Michail Fedotow als Vorsitzende des inzwischen zum raquoZivilgesellschaftsratlaquo umbenannten raquoMenschenrechtsratslaquo zu den russischen Koordinatoren der Arbeitsgruppe raquoZivilgesellschaftlaquo mit Einladungsrecht wurden (wobei die Einladungen selbst-verstaumlndlich mit der Praumlsidentenadministration abge-stimmt werden muumlssen) Das ist bis heute so

Die Verfasser des Briefes (zu denen ich bekenne mich auch ich gehoumlre) allesamt langjaumlhrige Teilneh-mer der Jahrestreffen des PD haben all die Jahre immer wieder auch oumlffentlich uumlber den Sinn und Unsinn ihrer Teilnahme und Unterstuumltzung diskutiert Letztendlich uumlberwogen die ganze Zeit uumlber zwei Uumlberlegungen Ers-tens ist ein Dialog auch und gerade auf offizieller Ebe-nen und mit offiziellen Vertretern des russischen Staates (wie auch mit Wissenschaftlern Unternehmern Journa-listen Priestern usw welcher politischen Couleur auch immer sie sein moumlgen) erst einmal besser als kein Dia-log Zweitens gingen wir all die Jahre davon aus dass die nicht ohne Muumlhen erreichte Teilnahme unabhaumln-giger russischen NGO-Vertreter fuumlr sie ihre Organisa-tionen aber auch die russische NGO-Szene insgesamt zumindest einen kleinen zusaumltzlichen Schutz gegen die

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 29

seit Putins Amtsantritt immer wieder uumlber das Land gehenden Repressionswellen bietet1 Was hat sich dieses Jahr geaumlndert Erst einmal nicht

so viel gegenuumlber dem Vorjahr Es war schon immer siehe oben eine schwierige Abwaumlgung ob die Teil-nahme am PD sich lohnt oder nicht vielmehr dazu beitraumlgt so zu tun als gaumlbe es in Russland die unein-geschraumlnkte und ungefaumlhrdete Moumlglichkeit sich zivilgesellschaftlich auch dort zu engagieren wo es dem Staat weh tut Zwei Ereignisse haben nun aber zumindest fuumlr die Autoren des Briefes das Pen-del zur anderen Seite ausschlagen lassen Die Kon-frontation zwischen dem Westen (ich weiszlig um die Bedingtheit des Begriffs verwende in der Kuumlrze hal-ber aber trotzdem) und Russland im Konflikt in der und um die Ukraine ist nicht einfach die Fortset-zung schon laumlnger existierender raquoMeinungsverschie-denheitenlaquo Sie ist tiefer und prinzipieller Es geht eben im Kern nicht in erster Linie um Geopolitik sondern wieder einmal um ich fuumlrchte hier weder den Pathos noch historische Analogien Freiheit und Demokratie in Europa

2 Die Repressionen gegen russische NGOs unsere prinzipiellen Partner in der Verteidigung von Demo-kratie und Freiheit haben mit dem sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo eine neue Qualitaumlt erreicht 15 NGOs sind inzwischen zwangsweise zu raquoauslaumln-dischen Agentenlaquo erklaumlrt worden anderen droht die Schlieszligung aufgrund anderer Gesetze Einige von ihnen waren sogar zum nun verschobenen Treffen in Sotschi eingeladen Sie mussten sich Gedanken machen ob eine Zusage oder eine Absage ihnen nicht schaden koumlnnte

Unter diesen Umstaumlnden halten die Verfasser des Brie-fes ihre Teilnahme am PD fuumlr nicht mehr moumlglich Sie fordern keinen Boykott wohl aber ein Nachdenken uumlber eine tiefgreifende Reform

Der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses Lothar de Maiziere hat in einem eigenen offenen Brief geantwortet und den Verfassern vorgeworfen den Dia-log verweigern und politisieren zu wollen Diese (Gegen-)Klage scheint mir angesichts der vielfaumlltigen Verbindun-gen und Dialogformen die die Organisationen hinter den Unterzeichnern des Briefes seit vielen Jahren und oft laumlnger als der PD organisieren an denen sie teil-nehmen und die sie foumlrdern nicht sonderlich stichhal-tig Doch die Auseinandersetzung geht tiefer De Mai-ziere behauptet in seinem Brief der PD mache bereits all das was die Kritiker fordern Genau das bezweifeln diese aber Die Auseinandersetzung geht also und vor allem darum was ein fruchtbarer Dialog zu leisten im Stande sein kann und leisten sollte Sie geht aber auch darum ob dieser Dialog zwischen zwei Gesellschaf-

ten stattfindet nach dem Motto hier die eine dort die andere oder ob sich die Seiten bei diesem Dialog inei-nander verschraumlnken

Die Verfasser des Briefes sind ganz offensichtlich mit ihrer Kritik nicht allein Schon bevor der Brief oumlffent-lich bekannt wurde hatten die Bundestagsabgeordne-ten Andreas Schockenhoff (CDUCSU) und Marieluise Beck (Buumlndnis 90 Die Gruumlnen) in oumlffentlichen Stel-lungnahmen Aumlhnliches gefordert und auch ihre Nicht-Teilnahme erklaumlrt Etwas spaumlter wurde bekannt dass auch der Russland-Beauftragte der Bundesregierung Gernot Erler nicht nach Sotschi fahren wollte Mehr noch Bereits seit dem Fruumlhsommer gab es Gespraumlche zwischen Kanzleramt und Auswaumlrtigem Amt mit dem Ziel den PD sowohl personell als auch strukturell zu reformieren Allerdings setze sich augenscheinlich die Sichtweise des Auswaumlrtigen Amtes durch alles vorerst beim Alten zu belassen da es auch so schon genug Pro-bleme im deutsch-russischen Verhaumlltnis gebe und man diesen Kanal nicht auch noch belasten oder gar gefaumlhr-den solle

Doch zum Herbst hat sich die Situation noch ein-mal veraumlndert Die Hoffnung die russische Fuumlhrung um Praumlsident Putin werde im Krieg in der Ostukraine ein-lenken ist selbst im Auswaumlrtigen Amt bis in die Spitze kaum noch zu finden Im Sommer bekam das russische Justizministerium zudem per erneuter Gesetzesaumlnde-rung das Recht NGOs zwangsweise zu raquoAgentenlaquo zu erklaumlren und macht seither rege Gebrauch davon Eine ganze Reihe russischer NGOs steht vor der Schlieszligung oder loumlst sich auf weil ihnen die vom Gesetz geforderte Selbstetikettierung als raquoauslaumlndische Agentenlaquo ethisch rechtlich und praktisch unmoumlglich ist

Es sieht so aus als haumltten die Verfasser des Briefes nur eine Tuumlr geoumlffnet hinter der andere darunter die Kanzlerin nur darauf gewartet haben durch sie hin-durch gehen zu koumlnnen ohne selbst der Tuumlroumlffnung geziehen zu werden

Ein wenig verwundert die erstaunlich milde russi-sche Reaktion Nach der kurzen Drohung eine Verschie-bung bedeute das Ende des PD lenkte Putin im Telefo-nat mit Merkel ein und fand tags darauf sogar oumlffentlich verstaumlndnisvolle Worte fuumlr die raquoProbleme der deutschen Seitelaquo Das duumlrfte zwei Gruumlnde haben Der eine ist dass trotz des haumlufiger gewordenen Deutschland-Bashings im russischen Staatsfernsehen (mit dem Ergebnis dass in Umfragen Deutschland aus der Kategorie raquoFreundlaquo in die Kategorie raquoFeindlaquo abgerutscht ist) Deutschland im Kreml immer noch als wichtigster raquostrategischerlaquo Part-ner im Westen und vor allem in der EU gilt Zudem ist Deutschland zweifellos ein Land dessen oumlffentliche Meinung (und damit Politik) aus russischer Sicht durch-aus beeinflussbar ist (was z B die kolportierten rund

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140 Millionen US-Dollar zum Aufbau eines deutsch-sprachigen Programms des staatlichen Auslandsfernse-hens raquoRussia Todaylaquo zeigen)

Der andere liegt in einem erneuten Strategiewech-sel (oder weniger ambitioniert Wechsel der Taktik) im Ukraine-Konflikt Die Sanktionen beiszligen inzwi-schen kraumlftig Die Rhetorik wurde daher gemildert Der Kreml ist ganz auf Frieden und dieser Ausdruck aus dem Sport sei erlaubt Ergebnissicherung bedacht (was uumlbrigens Putins grundsaumltzlicher Taktik auch im Inne-ren Russlands entspricht erst hart zuzuschlagen dann eine Schritt zuruumlck zu gehen und einen Kompromiss zu suchen nach dem es fuumlr seine Gegner nachher schlech-ter steht als vorher) Neues Ziel scheint nun also zu sein die raquoErrungenschaftenlaquo Krim (als Teil Russlands) und raquoNeurusslandlaquo (als neuen raquoFrozen Conflictlaquo) zu fixieren und trotzdem mit dem Westen wenn schon nicht gut-freund zu werden so doch zumindest erneut zu einem einigermaszligen vertraumlglichen Modus Vivendi zu gelan-gen Das Gas duumlrfte nach den Mailaumlnder Gespraumlchen

und bei allem Geknurre im Winter stroumlmen und auch im Nahen Osten stellt Moskau weniger Widerspenstig-keit in Aussicht

Was heiszligt das fuumlr die Zukunft des PD Erstmal ist sie offen Zuerst muss sich die deutsche Seite neu ord-nen (hier hat Putin sogar Recht) Nachdem sich Angela Merkel persoumlnlich um eine russische Akzeptanz fuumlr die Verschiebung von Sotschi bemuumlht hat kann ich mir allerdings nicht vorstellen dass es in einigen Wochen oder Monaten ein Zuruumlck zum status quo ante gibt Ob und wie sich ein neu aufgestellter deutscher Lenkungs-ausschuss mit einem neuen Konzept mit der russischen Seite verstaumlndigen kann laumlsst sich momentan kaum voraussagen Es ist zwar einen Versuch wert haumlngt aber wohl sehr von der dann herrschenden politischen Groszlig-wetterlage ab

Diesen und andere Texte finden Sie auf Jens Siegerts Russ-landblog lthttprusslandboellblogorggt

Lesetippbull Poumlrzgen Gemma Dringend reformbeduumlrftig Der Petersburger Dialog auf dem Pruumlfstand in Osteuropa 602010

Nr 10 S 59ndash81

DOkUmENtAtION

Briefwechsel uumlber die zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo

schreiben von nichtregierungsorganisationen und einzelpersonen an die Bundeskanzlerin und den Auszligenminister zum raquoPetersburger Dialoglaquo 2 oktober 2014 [nachtraumlglich veroumlffentlicht]

Berlin 02 Oktober 2014Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerals Personen die sich seit vielen Jahren intensiv im zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland engagieren wenden wir uns mit diesem Schreiben an Sie um zu erlaumlutern warum wir uns in diesem Jahr nicht am Petersburger Dialog beteiligen koumlnnen Zugleich moumlchten wir fuumlr eine Erneuerung des Petersburger Dialogs werben

In Reaktion auf die politische Wende in der Ukraine die durch eine breite gesellschaftliche Protestbewegung hervor-gerufen wurde hat die russische Fuumlhrung voumllkerrechtswidrig die Krim annektiert und einen unerklaumlrten Krieg neuen Typs im Osten der Ukraine begonnen Zugleich betreibt die Regierung unter Praumlsident Putin die systematische Ausschal-tung der letzten unabhaumlngigen Medien in Russland die Kriminalisierung aller Formen politischer Opposition und die Diskreditierung unabhaumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen als raquoauslaumlndische Agentenlaquo Mittlerweile wurden 12 russische Nichtregierungsorganisationen vom russischen Justizministerium zwangsweise auf die Liste raquoauslaumlndischer Agentenlaquo gesetzt und sind daher zukuumlnftig verpflichtet sich bei jeder oumlffentlichen Aumluszligerung wahrheitswidrig selbst als solche zu bezichtigen Zehn dieser Organisationen spielen in der deutschrussischen zivilgesellschaftlichen Zusammen-arbeit seit Jahren eine wichtige Rolle einige von ihnen haben mehrfach am Petersburger Dialog teilgenommen Gegen einige von ihnen sind bereits existenzbedrohende Strafgelder wegen Verstoszliges gegen das sog Agentengesetz verhaumlngt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 31

worden Es drohen Organisationsschlieszligungen und die Kriminalisierung der Vorstaumlnde Unter diesen inneren und aumluszlige-ren Bedingungen koumlnnen wir uns nicht an einer Neuauflage des Petersburger Dialogs in der bisherigen Form beteiligen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerder seinerzeit von Bundeskanzler Schroumlder und Praumlsident Putin initiierte Petersburger Dialog konnte die ihm zuge-

dachte Aufgabe zu einer Vertiefung und Verbreiterung der gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland beizutragen auch in den vergangenen Jahren nur sehr bedingt erfuumlllen Dies lag vor allem an der starken Naumlhe des Fuumlhrungspersonals auf der russischen Seite zum politischen Machtzentrum im Kreml die von Beginn an den Eindruck einer raquovon obenlaquo inszenierten und kontrollierten Veranstaltung naumlhrte Doch auch auf deutscher Seite wird der Petersburger Dialog bis heute von Personen dominiert die aus politischer und oumlkonomischer Opportunitaumlt dazu neigen Kritik am Kurs der russischen Fuumlhrung als Stoumlrung der raquodeutsch-russischen Freundschaftlaquo zu betrachten Zeit-weise kam es zu der paradoxen Situation dass kritische Aumluszligerungen zu Menschenrechtsverletzungen in Russland oder zum Vorgehen des Kremls gegenuumlber Georgien aus den Reihen der deutschen Delegation als raquoKalte-Kriegs-Rhetoriklaquo verteufelt wurden Nuumlchtern betrachtet waren die kritischen Stimmen aus der russischen und deutschen Zivilgesell-schaft in den letzten Jahren nur eine geduldete Minderheit die dem Petersburger Dialog den Anschein von Pluralis-mus und offener Diskussion verschaffte Ungeachtet dieser Kritik haben wir uns in der Vergangenheit am Petersburger Dialog beteiligt da wir grundsaumltzlich jedes Dialogpotenzial nutzen wollen und uns von der gemeinsamen Beteiligung mit unseren Partnern aus der russischen Zivilgesellschaft eine politische Absicherung dieser Zusammenarbeit erhofften

Diese ohnehin schwachen Hoffnungen wurden durch die Entwicklungen in diesem Jahr zerstoumlrt Vertreter unab-haumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen die auf der russischen Seite zum Petersburger Dialog eingeladen wer-den sind angesichts der politischen und juristischen Bedrohung der sie ausgesetzt sind in ihrer Entscheidung uumlber ihre Teilnahme nicht mehr frei Wenn sie der Einladung nicht folgen muumlssen sie weitere Repressalien befuumlrchten Uns denen die Freiheit der Entscheidung gegeben ist ist es nicht moumlglich durch Teilnahme am Petersburger Dialog in Sot-schi an der Aufstellung einer Potemkinschen Fassade namens raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo mitzuwirken waumlhrend die kritischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Russland als raquoAgentenlaquo diskreditiert und vielfach drangsaliert werden

Zugleich moumlchten wir unsere Bereitschaft unterstreichen an einer Reform des Petersburger Dialogs in organisa-torischer inhaltlicher und personeller Hinsicht mitzuwirken Eine solche Reform sollte darauf ausgerichtet sein uumlber die Auswahl der Formate Themen und Teilnehmer die tatsaumlchliche Lage der russischen Zivilgesellschaft in den Mit-telpunkt der Diskussion zu ruumlcken und einen offenen Dialog zu ermoumlglichen Wir sind ganz damit einverstanden dass gerade in kritischen Zeiten die Zusammenarbeit zwischen der russischen und deutschen Zivilgesellschaft gestaumlrkt wer-den muss Sofern der Petersburger Dialog in Zukunft dafuumlr ein Forum bietet werden wir uns gern daran beteiligen[Unterzeichner nicht veroumlffentlicht]Quelle Website der Boumlll-Stiftung lthttpwwwboelldede20141013reform-petersburger-dialog-ueberfaelliggt

offener Brief an den Vorsitzenden des Petersburger Dialogs lothar de maiziegravere vom 10 oktober 2014

- Offener Brief -HerrnDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des VorstandsPetersburger Dialog eVSchillerstraszlige 5910627 Berlin

Berlin 10 Oktober 2014Petersburger Dialog 2014 in SotschiSehr geehrter Herr de Maiziegravereals Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher zivilgesellschaftlicher Organisationen die seit der Gruumlndung des Petersburger Dialogs 2001 uumlber viele Jahre hinweg an dieser Veranstaltung teilgenommen haben moumlchten wir Ihnen gegenuumlber folgende Erklaumlrung abgeben

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Wir haben uns entschieden am 14 Petersburger Dialog in Sotschi nicht teilzunehmen der fuumlr den 29ndash31 Okto-ber angekuumlndigt worden ist Fuumlr diese Entscheidung die wir sorgfaumlltig diskutiert und abgewogen haben moumlchten wir drei Gruumlnde anfuumlhren1 Der Petersburger Dialog in seiner jetzigen Form steckt in einer Krise Von Jahr zu Jahr wird er seinem eigenem

Anspruch weniger gerecht Die Veranstaltung soll dem zivilgesellschaftlichen Dialog dienen Tatsaumlchlich sind Struktur Nominierungsverfahren und Programm des Petersburger Dialogs maszliggeblich von Akteuren aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert Unter diesen Voraussetzungen erfuumlllt der Petersburger Dialog leider nicht sein in seiner Satzung formuliertes Ziel ein raquooffenes Diskussionsforumlaquo zu sein das die raquoVerstaumlndigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Laumlnderlaquo foumlrdert Der Petersburger Dialog bedarf dringend einer grundlegenden Reform wie sie auch CDUCSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 eingefordert haben Gerne wuumlrden wir uns aktiv an einem Prozess zur Reformierung des Petersburger Dialogs beteiligen der auf eine pluralistische Zusam-mensetzung beider Lenkungsausschuumlsse und eine deutlich staumlrkere Ausrichtung auf unabhaumlngige zivilgesellschaft-liche Akteure zielt ohne den interdisziplinaumlren Ansatz der Veranstaltung aufzugeben

2 Die Situation in der sich Teile der Zivilgesellschaft in Russland befinden erfuumlllt uns mit groszliger Sorge Das betrifft auch Partnerorganisationen und Personen mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten Diese Organisa-tionen uumlben fuumlr Russland und daruumlber hinaus wichtige gesellschaftliche Funktionen aus Die Behinderung ihrer Arbeit durch buumlrokratische Huumlrden aber auch durch willkuumlrliche rechtliche Restriktionen und politische Diffa-mierung sind inakzeptabel Daruumlber koumlnnen wir nicht zur Tagesordnung uumlbergehen Wir wollen nicht zu Kron-zeugen fuumlr einen vorgeblich freien Austausch werden waumlhrend zugleich die kritische Zivilgesellschaft in Russland massiv und systematisch unter Druck gesetzt wird

3 In Teilen der Ukraine herrscht ein Kriegszustand fuumlr den die russische Fuumlhrung eine maszliggebliche Verantwor-tung traumlgt Wichtige Vertreter dieser Fuumlhrung spielen eine Schluumlsselrolle im Petersburger Dialog einschlieszliglich des fruumlheren Ersten Stellvertretenden Ministerpraumlsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden von Gazprom Wiktor Subkow der der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs ist Vor diesem Hin-tergrund moumlchten wir nicht durch unsere Teilnahme dazu beitragen dass eine Normalitaumlt in den deutsch-russi-schen Beziehungen simuliert wird die es derzeit wegen des Angriffs auf die politische Souveraumlnitaumlt und territo-riale Integritaumlt der Ukraine nicht geben kann

Wir waren und sind weiter sehr an einem offenen Dialog uumlber deutsch-russische Belange in einem gesamteuropaumli-schen Kontext interessiert und halten ihn fuumlr eine Bedingung guter Nachbarschaft und Kooperation Ein solcher Dia-log muss aber auch von beiden Seiten gewollt und ermoumlglicht werden Er darf zugleich nicht zum Nachteil Dritter gefuumlhrt werden Angesichts der aktuellen Lage und der bereits bekannt gewordenen Programmvorschlaumlge fuumlr Sotschi sehen wir auch diese Voraussetzung gefaumlhrdet

Dessen ungeachtet werden wir jede Moumlglichkeit nutzen unsere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Grup-pen und anderen Akteuren in Russland zu vertiefen und dieses Potential in einen bilateralen und europaumlischen Dia-log einzubringenMit freundlichen GruumlszligenRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter Politik Greenpeace eVQuelle lthttpwwwaustauschorgaktuelle-meldungennewsdetailarticle1offener-brie-1htmlno_cache=1ampcHash=0428c5bffdgt

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offener Brief des Vorsitzenden des Petersburger Dialogs vom 13 oktober 2014

AnRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich-Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace eVBerlin 13 Oktober 2014Ihr Schreiben vom 10 Oktober 2014Sehr geehrte Damen und HerrenIhren offenen Brief habe ich erhalten Dass Sie einen Brief aumlhnlichen Inhalts zunaumlchst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Auszligenminister verschickt haben verwundert mich Sie geben damit fuumlr die zivilgesell-schaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung die Sie fuumlr die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren

Ihre Nichtbeteiligung am Petersburger Dialog bedaure ich Denn es entspricht der Uumlberzeugung der meisten Mit-glieder des Vorstandes und des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs dass gerade angesichts zweifellos vorhan-dener Probleme fuumlr die Zivilgesellschaft die Sie teilweise benennen die offensive Auseinandersetzung zu solchen The-men gesucht werden muss Indem man sich solchen Gespraumlchen entzieht schadet man den Interessen der Betroffenen

Sie schreiben der Petersburger Dialog sei im Inneren zu reformieren da er von Vertretern aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert sei Diese Feststellung ist falsch und Sie wissen das Das auch in der Satzung des Petersbur-ger Dialogs beschriebene Konzept des Dialogs beruht auf einem breiten Gedankenaustausch aller gesellschaftlichen Kraumlfte Dazu gehoumlren die Bereiche Kultur Medien Bildung Wissenschaft und Kirchen genauso wie zahlreiche im Bereich der politischen sowie der sozialen Menschenrechte engagierte Einrichtungen die in ihrer Gesamtheit das deutsch-russische Verhaumlltnis beleben

Sie versuchen in Ihrem Brief den Petersburger Dialog auf das enge Feld einiger Vertreter der Zivilgesellschaft zu reduzieren die jenseits der korporierten Zivilgesellschaft angesiedelt sind und deren Interessenspektrum nur einen Teil des gesamten zivilgesellschaftlichen Engagements abdeckt

Ich verkenne nicht die ndash auch aber nicht nur ndash in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu Tage getretenen Probleme sowie die unterschiedlichen Folgen die sich aus einer raquogelenkten Demokratielaquo die in vielem nicht westli-chen Standards entspricht ergeben Dennoch Gemessen an weiten Bereichen der russischen Geschichte ist die Ent-wicklung seit 1991 ein Fortschritt Das daraus resultierende wenn auch im letzten Jahr stark eingetruumlbte Vertrauens-potential muss fuumlr die auf vielen Ebenen notwendigen Gespraumlchsforen genutzt und ausgebaut werden

Derartige Gespraumlche bedingen genauso Realismus wie intellektuelle Disziplin wozu auch gehoumlrt zu verstehen wie Russland die Probleme versteht Dies ndash und nicht Gespraumlchsverweigerung ndash ist die Voraussetzung um auf allen demokratischen gesellschaftlichen Ebenen ndash vom politischen Machtzentrum bis in die Randgruppen hinein ndash pro-blemorientierte Gespraumlche fuumlhren zu koumlnnen Dabei darf keine Seite fuumlr sich in Anspruch nehmen legitimere Inte-ressen zu vertreten als die andere

Das heiszligt Ein Gespraumlch raquoauf Augenhoumlhelaquo nicht von oben herab nicht moralisch belehrend aber mit klaren und ehrlichen Argumenten Dabei duumlrfen wir nicht verschweigen welche gesetzgeberischen aber auch politisch-morali-schen Standards wir fuumlr eine demokratische Gesellschaft im europaumlischen Kontext fuumlr unabdingbar halten

Der Petersburger Dialog wurde aus guten Gruumlnden als deutsch-russische Gemeinschaftseinrichtung konzipiert Da ist eine ndash oft muumlhsame ndash Kompromissfindung unausweichlich Dies ist Teil des Wertes auch der Tiefe aber auch der moralischen Qualitaumlt des Dialogs Das Ringen um kompromissfaumlhige Konzepte muss unser Anliegen bleiben nicht Vorverurteilung und GespraumlchsablehnungMit freundlichem GruszligDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des Vorstands Petersburger Dialog e VQuelle Website des Petersburger Dialogs lthttpwwwpetersburger-dialogcomoffener-brief-vom-13-oktober-2014gt

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offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

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9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

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14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 39

Sie koumlnnen die gesamte Chronik seit 1964 auch auf lthttpwwwlaender-analysenderusslandgt unter dem Link raquoChroniklaquo lesen

Die Russland-Analysen werden von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und von Mangold Consulting GmbH unterstuumltzt

Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

Abdruck und sonstige publizistische Nutzung sind nach Ruumlcksprache mit der Redaktion gestattetVerantwortlicher Redakteur Hans-Henning Schroumlder

Recherche Uumlbersetzungen und Sprachredaktion Christoph Laug Hartmut SchroumlderSatz Matthias Neumann

Russland-Analysen-Layout Cengiz Kibaroglu Matthias Neumann und Michael ClemensAlle Ausgaben der Russland-Analysen sind mit Themen- und Autorenindex archiviert unter wwwlaender-analysende

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ISSN 1613-3390 copy 2014 by Forschungsstelle Osteuropa BremenForschungsstelle Osteuropa bull Publikationsreferat bull Klagenfurter Str 3 bull 28359 Bremen bull Telefon +49 421-218-69600 bull Telefax +49 421-218-69607

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 40

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Die Laumlnder-Analysen bieten regelmaumlszligig kompetente Einschaumltzungen aktueller politischer wirtschaftlicher sozialer und kultureller Entwicklungen in Ostmitteleuropa und der GUS Sie machen das Wissen uumlber das die wissenschaft-liche Forschung in reichem Maszlige verfuumlgt fuumlr Politik Wirtschaft Medien und die interessierte Oumlffentlichkeit ver-fuumlgbar Autoren sind internationale Fachwissenschaftler und Experten

Die einzelnen Laumlnder-Analysen werden von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und der Deutschen Gesellschaft fuumlr Osteuropakunde jeweils mit unterschiedlichen Partnern und Sponsoren herausgegeben

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  • Analyse
    • Eine neue Phase der Russland- und Ostpolitik hat begonnen
      • Karsten D Voigt Berlin
      • Umfrage
        • Die Russland-Ukraine-Krise in russischen Umfragen
          • Aus russischen Blogs
            • Nawalnyj Krim nasch
              • Analyse
                • Zivilgesellschaft und Staat in Russland
                  • Pavel Chikov Moskau
                  • Analyse
                    • NGOs in Russland
                      • Jens Siegert Moskau
                      • Analyse
                        • Ein Kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen Engagements zur Unterstuumltzung und Integration von Migranten in Russland
                          • Marina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin
                          • Umfrage
                            • Uumlber die Zivilgesellschaft in Russland
                              • Dokumentation
                                • Luumlgen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des JustizministeriumsErklaumlrung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL
                                  • Notizen aus Moskau
                                    • Petersburger Dialog
                                      • Jens Siegert Moskau
                                      • Dokumentation
                                        • Briefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo
                                          • Chronik
                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 9: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 9

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 9 Wie stehen sie dazu dass in den reihen der Buumlrgerwehr der ostukraine russische freiwillige kaumlmpfen

0 20 40 60 80 100

1 Mai 2014

1 Juni 2014

19-22 Sept2014

26-29 Sept2014

Absolut positiv Eher positiv Keine Antwort Eher negativ Absolut negativ

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 10 Wie endet die gegenwaumlrtige Waffenruhe

Die Unterzeichnung eines Friedensabkommens und

dem Prozess einer friedlichen Regulierung

des Konfliktes27

Wiederaufnahme des bewaffneten Konflikts

46

Keine Antwort27

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 26ndash29 September 2014 N = 1630 Veroumlffentlicht am 16 Oktober 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint16-10-2014ukrainskii-krizis-uchastniki-peremirie-otsenki-i-ozhidaniyagt

grafik 11 sollten im falle eines Wiederaufnahme der kampfhandlungen in der ostukraine russische truppen entsandt werden

Auf jeden Fall5

Eher ja16

Eher nein36

Auf keinen Fall27

Keine Antwort16

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 10

grafik 12 Unterstuumltzen sie die massenproteste (raquofriedensmaumlrschelaquo) gegen die russische einmischung in innere Angelegenheiten der Ukraine

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 September 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 25 September 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint25-09-2014marshi-miragt

0 20 40 60 80 100

Mrz2014

Sep2014

Auf jeden Fall Eher ja Keine Antwort Eher nein Auf keinen Fall

Die haltung gegenuumlber den fluumlchtlingen aus der Ukraine

Quelle Umfragen des WZIOM vom 20ndash21 September 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 26 September 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=114994gt

grafik 13 gibt es in ihrer stadt siedlung fluumlchtlinge aus der Ukraine

0 20 40 60 80 100

Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja viele ukrainische Fluumlchtlinge Ja wenige ukrainische Fluumlchtlinge Keine Antwort Nein keine ukrainischen Fluumlchtlinge

Quelle Umfragen des WZIOM vom 20ndash21 September 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 26 September 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=114994gt

grafik 14 leistet russland den ukrainischen fluumlchtlingen ausreichende hilfe

Russland leistet den Fluumlchtlingen

ausreichende Hilfe67

Russland leistet den Fluumlchtlingen zu geringe

Hilfe4

Russland leistet den Fluumlchtlingen zu viel Hilfe

24

Keine Antwort5

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 11

AUS RUSSISchEN BLOGS

nawalnyj krim nasch1

Seit Maumlrz 2014 steht Alexej Nawalnyj wegen des sogennanten raquoYves-Rocher-Fallslaquo unter Hausarrest Dem opposi-tionellen Politiker wurde per Gerichtsbeschluss verboten seine Wohnung zu verlassen sowie mit jeglichen Perso-

nen auszliger dem engen Familienkreis zu sprechen Interviews zu geben und das Internet zu nutzen Seitdem fuumlhrt das Team der raquoStiftung fuumlr die Korruptionsbekaumlmpfunglaquo (russ raquoFBKlaquo) seinen Blog und seine Frau seinen Twitter-Account Anfang Oktober milderte das Gericht des Moskauer Basmannyj-Rayons (Basmannyj-Gericht) uumlberraschenderweise die Bedingungen des Hausarrests in Bezug auf Kontakte mit der Auszligenwelt was nach mehreren Monaten Journalis-ten wieder einen Zugang zur Schluumlsselfigur der russischen Protestbewegung ermoumlglichte

Das Interview fuumlr Echo Moskwy vom 15 Oktober in dem Nawalnyj sich unzweideutig zur Annexion der Krim aumluszligerte erregte in Russland uumlberaus groszlige Aufmerksamkeit Wie im Nachhinein aus der Redaktion von Echo Moskwy verlautet wollte Michail Lesen Chef der Holding Gazprom-Media die zwei Drittel der Aktien des Radiosenders besitzt die Veroumlffentlichung dieses Interviews auf alle erdenkliche Weise verhindern er habe der stellvertretenden Chefre-dakteurin Olesja Rjabzewa per Telefon mit groszligen Problemen gedroht wie diese in ihrem Blog berichtet Das Inter-view schlug in der liberalen Oumlffentlichkeit wie eine Bombe ein da Nawalnyj die Ruumlckgabe der Krim an die Ukraine eindeutig ausschloss Auf die Frage des Chefredakteurs des Radiosenders Alexej Wenediktow raquoKrim naschlaquo (Ist die Krim unser) sagte der Oppositionelle Folgendes raquoIch finde dass obwohl die Krim unter eklatanten Verstoumlszligen gegen alle voumllkerrechtlichen Normen erobert wurde die Realien derart sind dass die Krim jetzt ein Teil der Russischen Foumlderation ist Machen wir uns doch nichts vor Den Ukrainern rate ich ebenfalls ausdruumlcklich sich nichts vorzu-machen Sie [die Krim Anm d Red] bleibt Teil Russlands und wird in absehbarer Zukunft kein Teil der Ukraine werdenlaquo Diese Aussage loumlste auf Twitter einen massiven raquoShitstormlaquo aus Kurz nach dem Interview schloss sich auch Michail Chodorkowskij der Position Nawalnyjs an und sagte raquoDie Krim gebe ich nicht zuruumlcklaquo (lthttpgraniruPol iticsRussiaPartiesm234009htmlgt) Im Zuge heftiger Debatten in den Blogs teilte sich die liberale Oumlffentlichkeit Russlands in Nawalnyj-Versteher und harsche Kritiker der Krim-Annexion es meldeten sich unter anderem zu Wort Grigorij Golosow Professor an der Europaumlischen Universitaumlt St Petersburg Sergey Davidis Buumlrgerrechtler und enger Verbuumlndeter Nawalnyjs in der Protestbewegung Alexander Osowzow Projektdirektor der Stiftung von Michail Cho-dorkowskij raquoOffenes Russlandlaquo Wladislaw Naganow Mitglied der Nawalnyj-Partei raquoPartei des Fortschrittslaquo der Jour-nalist und Publizist Alexander Sotnik der russischsprachige Kiewer Journalist Mustafa Nayyem und der Kriegskor-respondent Arkadij Babtschenko

eine situation ohne guten AuswegraquoNawalnyj stellt alles richtig dar zu vielen Fragen laumlsst sich derzeit kaum etwas Besseres sagen Er ist ein begabter Mensch ein geborener Politiker Das Schlimme ist dass Russland ihn unter Hausarrest haumllt Alle gehen ihn hier an mit der Krim Man muss aber dabei im Kopf behalten dass es Putin war der die ukrainischen Probleme fuumlr Russland geschaffen hat und Nawalnyj nach einem guten Ausweg aus einer schlechten Lage zu fragen ist nicht besonders fair Die Krim bedeutet eine Situation ohne guten Ausweg Fuumlr den Besitz der Krim werden wir ndash alle zusammen oder jeder einzelne aus eigener Tasche ein Vielfaches von dem zahlen muumlssen was es gekostet haumltte jeden Quadratmeter auf der Halbinsel zu kommerziellen Preisen als Eigentum zu erwerben und alle Bewohner die dann nicht bleiben wollen an die Cocircte drsquoAzur umzusiedeln Putin hat das Geschaumlft bereits abgeschlossen Selbst Nawalnyj kann es nicht stornierenlaquoGrigorij Golosow via Snobru 16102014 lthttpslonrurussiapochemu_navalnyy_prav-1172360xhtmlgt

raquoAlle haben sich auf nawalnyj gestuumlrzthelliplaquoraquoIch habe in seinen Worten keinen Imperialismus erkennen koumlnnen er stimmt der Besetzung und Annexion der Krim nicht zu weist im Gegenteil auf deren krasse Rechtswidrigkeit hin Er hat gesagt dass Krim jetzt de facto zu Russ-land gehoumlrt [hellip] Er sagt dass man sie nicht wie ein Butterbrot zuruumlckgeben kann dass das die Bevoumllkerung entschei-den sollte was gibt es da zu bestreiten Selbst bei der Annexion gab es ein Schein-Referendum Und wenn man nicht autoritaumlr und rechtswidrig vorgeht sondern fair und demokratisch wer anders als die Bevoumllkerung sollte dann ent-scheiden [hellip]

Was ich in der Aumluszligerungen Alexejs nicht gutheiszligen wuumlrde ist der Stil Man sollte jetzt auf Ratschlaumlge fuumlr die Ukrainer lieber verzichten insbesondere bei einer solchen Frage Man sollte nicht davon reden dass Krim rsaquoin absehba-

1 dt Die Krim ist unser

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 12

rer Zukunft kein Teil der Ukraine werdenlsaquo wird auch wenn es scheint als ob die Ergebnisse eines jeden Referendums vorhersehbar sind Schlieszliglich tragen wir alle selbst diejenigen die dagegen waren zu einem gewissen Grad eine Ver-antwortung bei der Aggression des Kreml gegen die Ukraine und trotz allem stehen wir in den Augen der Ukrainer vollkommen zurecht als Buumlrger eines Aggressorstaates da Etwas mehr Ruumlcksicht und Fairness waumlre nicht verkehrtlaquoSergej Davidis auf Facebook 15102014 lthttpswwwfacebookcomsergeidavidisposts800840943304969gt

raquoDer Drache gewinnt in jedem falllaquoraquoBezuumlglich der Krim bin ich mit Nawalnyj kategorisch nicht einverstanden und finde dass gerade Russland der Ukraine die annektierte Krim zuruumlckgeben sollte vor allem weil niemand auch kein Land ein normales Leben fuumlh-ren kann ohne zu versuchen die Folgen eines von ihm begangenen Verbrechens nach Moumlglichkeit zu korrigieren Das waumlre genauso als wenn Alexejs rsaquoLieblingsfigurenlsaquo ndash Timtschenko Jakunin die Rotenbergs usw ndash eines schoumlnen Tages sagen wuumlrden rsaquoWir klauen jetzt nicht mehr wir sind jetzt ehrliche Leute Aber was wir vorher zusammenge-klaut haben das gehoumlrt bereits uns und das behalten wirlsaquo Eine solche Idee wuumlrde Nawalnyj kaum zufriedenstellen

Die Diskussion um Nawalnyjs Position die jetzt stattfindet zeigt aber aus meiner Sicht sehr ernst zu nehmende moralische und ethische Probleme innerhalb eines Teils der russischer Opposition auf Die einen die gestern noch mit harten Worten die rsaquoKrimnaschistenlsaquo beschimpft haben und so schien es bereit waren rsaquoWatniki und Koloradylsaquo2 in Stuumlcke zu zerreiszligen sind nun durch der rsaquoHetze der liberalen Presse gegen Nawalnyjlsaquo empoumlrt [hellip]

Ich moumlchte denjenigen fuumlr die jedweder Meinungsunterschied zu Nawalnyj ein Anschlag auf das Allerheiligste ist Folgendes sagen Beruhigt euch versucht zu verstehen dass es dumm und aussichtslos fuumlr das Land waumlre rsaquoPuti-noidelsaquo durch rsaquoNawalnoidelsaquo auszutauschen So wie in dem alten vietnamesischen Maumlrchen uumlber den Drachen und das Schwert aus grauem Stahl Es gewinnt immer der DrachelaquoAlexander Osowzow auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcomosovtsovaaposts1568393260047754gt

raquoman darf sie nicht hin und her zuruumlckgebenlaquoraquoAlle die Nawalnyj fuumlr seine Worte rsaquoIst die Krim etwa ein Wurstbrot dass man es hin und her zuruumlckgeben koumlnntelsaquo kritisieren moumlchte ich fragen Wie stellt ihr das uumlberhaupt vor

Der Praumlsident Russlands unterschreibt einen Erlass uumlber die Ruumlckgabe der Krim und Sewastopols an die Ukraine Uumlber die Entziehung der russischen Staatsbuumlrgerschaft bei allen Bewohnern der Krim und Sewastopols Oder kann man den Menschen die russische Staatsbuumlrgerschaft belassen und nur das Territorium ndash mit ihnen ndash uumlbergeben Fragt irgendjemand die Menschen was sie wollen bevor man etwas mit ihnen macht Oder werden die Einwohner der Krim und Sewastopols nicht fuumlr Menschen gehalten sondern fuumlr Vieh fuumlr eine Schafherde die zwischen verschie-denen Staaten hin und her rsaquouumlbergebenlsaquo werden kann Der eine Praumlsident hatte Lust und nahm es sich der andere hat sich anders uumlberlegt und gibt es wieder zuruumlckt So etwa

Sollte man nicht doch besser die Menschen fragen Hat Nawalnyj das etwa nicht selbst gesagt als er von einem rsaquonormalenlsaquo Referendum auf der Krim sprach Ich verstehe unter einem rsaquonormalenlsaquo Referendum eines das nicht nur 15ndash20 Tage vorbereitet wird sondern mindestens drei Monate Und bei dem es keine Einschraumlnkungen fuumlr die Kam-pagne gibt Die Anhaumlnger einer Zugehoumlrigkeit der Krim und Sewastopols zur Ukraine wollen hierfuumlr agitieren mit Plakaten Flugblaumlttern Werbevideos ukrainischen Fahnen ndash bitte schoumln Ohne Einschraumlnkungen Und dass alle moumlg-lichen Wahlbeobachter zum Referendum kommen koumlnnen von der OSZE von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates von der GUS aus der Ukraine der EU und den USA von uumlberall her Und dass ein transparenter Ablauf der Stimmenzaumlhlung gewaumlhrleistet werde Und wenn jemand von den Wahlbeobachtern ein Nachzaumlhlen der Stimmen per Hand verlangt ndash bitte schoumln mehrmals so oft wie gewuumlnscht Und uumlberhaupt Lasst so viele Wahlbe-obachter in jedes Wahllokal wie dort Platz ist Und keinerlei bewaffnete Menschen mit Maschinenpistolen in kei-nem einzigen Wahllokal oder dessen UmgebunglaquoWladislaw Naganow auf Livejournal 16102014 lthttpnaganofflivejournalcom142862htmlgt

liebe raquonawalnistenlaquoraquoAlso Fuumlr die verehrten rsaquoNawalnistenlsaquo die sich wegen Alexej so aufregenhellip

2 raquoWatnikilaquo (Wattejacken) ndash abfaumlllige Bezeichnung fuumlr russische sbquoHurrapatriotenlsquo (ein raquoWatniklaquo ist eine Wattejacke die mit der Armee aber auch mit Straumlflingen assoziiert wird) raquoKoloradylaquo (von raquo koloradskij shuklaquo ndash Kartoffelkaumlfer) ndash abfaumlllige Bezeichnung fuumlr prorussische Akti-visten in der Ukraine (die Faumlrbung des Kaumlfers ist schwarz-gelb oder schwarz-orange gestreift aumlhnlich den Farben des St Georgs-Bandes das von prorussischen Kraumlften in der Ukraine und von politisch rechtsstehenden Russen als Abzeichen verwendet wird)

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Ja eurer rsaquoFuumlhrerlsaquo ist Imperier Daraus hat er kein Geheimnis gemacht Er ist bei der Krim-Frage ein absoluter Putin Weil er wenn er einer anderen Ansicht waumlre Wenediktow Folgendes gefragt haumltte rsaquoVon welcher Krim reden Sie denn Von der die zur Ukraine gehoumlrt womit Russland einverstanden war als es das Budapester Abkommen unterschrieben hat Sie fragen mich uumlber die territoriale Integritaumlt eines Staates dem Russland Garantien gegeben hat wonach die Ukraine zum atomwaffenfreien Land geworden ist Haumltte Russland seinerzeit diese Garantien nicht gegeben haumltte die Ukraine jetzt Atomraketen und wir wuumlrden es niemals riskieren uns dort einzumischenhellip Sie fragen also nach Quatsch und zwar provokantem Quatschlsaquo

Wenn er also auf diese Weise geantwortet haumltte dann ja Dann waumlre er als Politiker geboren worden Er hat sich aber ausgenullt Wie seinerzeit Udalzow

Und noch etwa Verehrte rsaquoNawalnistenlsaquo houmlrt auf euch Goumltzen zu schaffen Viele von euch waren auf dem rsaquoFrie-densmarschlsaquo zur Unterstuumltzung der territorialen Integritaumlt der Ukraine Verliert das Gesicht nicht Trefft eine Wahl ohne Bindung des Herzens Und all die Argumente rsaquoer habe es nicht so gesagt er habe etwas anderes gemeintlsaquo das ist im Stil von rsaquoPutinistenlsaquo und zwar rsaquoUnser Fuumlhrer hat alle ausgetrickst Das eine gesagt was anderes getan Sie haben seinen Weisheiten schlecht zugehoumlrtlsaquohellip

Seid keine Kinder Werdet erwachsenlaquoAlexander Sotnik auf Facebook 15102014 lthttpswwwfacebookcomsashasotnikposts646414272138108gt

raquorandfigur russischer PolitiklaquoDa Alexej Nawalnyj recht offen seine Meinung zur Krim geaumluszligert hat [hellip] waumlre es auch fuumlr den Oppositionellen selbst sinnvoll das Geheimnis uumlber seine Lage zu luumlften Ich finde dass abgesehen davon dass die Rechte von Ale-xej Nawalnyj lange Jahre verletzt wurden und er nach himmelschreiender Verletzung aller Gesetzesnormen der Rus-sischen Foumlderation verurteilt wurde die Realitaumlt so aussieht dass Herr Nawalnyj eine Randfigur der russischen Poli-tik ist Ich rate ihm und seinen Anhaumlngern eindringlich sich nichts vorzumachen ndash sie haben in absehbarer Zukunft keine Chance bedeutende Figuren in der groszligen Politik zu werden Das waumlre ebenfalls ehrlichMustafa Nayyem auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcomMustafanayyemposts10203171638717866gt

raquoWas wollen sie Pardon zuruumlckgebenlaquoraquoWas fuumlr spannende Eskapaden nun zu dieser Krimhellip rsaquoDie Krim ist kein Wurstbrotlsaquo meint Nawalnyj rsaquoWenn ich Prauml-sident werde gebe ich Krim nicht zuruumlcklsaquo schreibt Michail Chodorkowskij auf Twitter [hellip]

Russland hat einen Teil eines souveraumlnen Staates okkupiert Diese Okkupation ist von keinem anderen Staat in der Weltgemeinschaft anerkannt worden In der ganzen Welt hat sich die ukrainische Grenze nicht um einen Zen-timeter veraumlndert Die Welt kennt keinen anderen Staat rsaquoUkrainelsaquo auszliger diesen ndash mit der Krim Die Welt kennt kei-nen anderen Staat rsaquoRusslandlsaquo auszliger diesen ndash ohne die Krim Es hat keine Vertraumlge zur Anerkennung und Bestaumltigung neuer Grenzen gegeben

Was also wollen Sie Verzeihen Sie die Frage rsaquozuruumlckgebenlsaquo [hellip]Und zweitens Das wichtigsteWenn du Praumlsident wirst ndash eben Praumlsident ndash waumlre in diesem Koordinatensystem schon eine solche Fragestellung

rsaquoabgeben oder nichtlsaquo per definitionem undenkbar Denn der Praumlsident ist ein gewaumlhltes Amt Ein Amt das im Rah-men fairer und freier Wahlen besetzt wird die in einem demokratischen Land nach internationalen Regeln Konven-tionen Rechten und Gesetzen die durch die Weltgemeinschaft als korrekt anerkannt werden [hellip] In dieser Situa-tion wuumlrde sich die Frage rsaquozuruumlckgeben oder besser nochmal uumlberlegenlsaquo a priori nicht stellen Weil nicht du es bist der uumlber zuruumlckgeben oder nicht entscheidet Du bist kein Lenker des Schicksals von Staaten Laumlndern und Voumllkern Du bist bloszlig Garant der Ausfuumlhrung von Gesetzen Einschlieszliglich internationaler Gesetze Fuumlr alle die daruumlber anders dachten ist die Moumlglichkeit geschaffen worden uumlber ihre Fehler nachzudenken ndash in den schoumlnen Staumldten Nuumlrnberg und Den HaaglaquoArkadij Babtschenko auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcombabchenkoaposts555934824506755fref=nfgt

Ausgewaumlhlt und zusammengefasst von Sergey Medvedev Berlin (Die Blogs auf die verwiesen wird sind in russischer Sprache verfasst)

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 14

ANALYSE

zivilgesellschaft und staat in russlandPavel Chikov Moskau

zusammenfassungDie Zivilgesellschaft befindet sich heute in Russland in einem schlechten Zustand Sie entwickelte sich Ende der 1980er Jahre und genoss bis Ende der 1990er Jahre weitgehende Freiheiten 1999 gab es erste staatliche Eingriffe und 2004 kennzeichnete Praumlsident Putin aus dem Ausland finanzierte NGOs direkt als raquoFeindelaquo In den folgenden Jahren wurde die Gesetzgebung verschaumlrft die Registrierung von NGOs erschwert den-noch gab es bis zur Ruumlckkehr Putins in das Praumlsidentenamt im Jahre 2012 kein ernstliches Vorgehen der Behoumlrden gegen die NGOler Mit der ultrakonservativen Wende des Jahres 2012 begann der Staat auch verstaumlrkt gegen die NGOs vorzugehen Heute auch nach den Ereignissen in der Ukraine ist weithin klar geworden dass Wladimir Putin bei seiner Orientierung auf einen extremen Konservatismus auch vor Re-pressionen gegen Nichtregierungsorganisationen nicht zuruumlckscheut

Die entstehung der zivilgesellschaft ende der 1980er JahreDer Zustand der Zivilgesellschaft in Russland laumlsst sich heute mit nur einem Wort charakterisieren schlecht Mehr noch Er ist schlechter denn je in der neuesten Geschichte Russlands wenn man davon ausgeht dass es zu sowjetischer Zeit keine nennenswerte Zivilgesell-schaft gegeben hat Die vereinzelten sowjetischen Buumlr-gerrechts- und Dissidentengruppen deren Mitglieder von den Geheimdiensten aufs engste uumlberwacht wurden lassen sich naumlmlich nur mit groumlszligter Muumlhe als Zivilge-sellschaft bezeichnen

Eine legale Existenz vom Staat unabhaumlngiger Nicht-regierungsorganisationen begann in Russland ungefaumlhr in jener Zeit als West- und Ostdeutschland wiederver-eint wurden Ende der 1980er und in der ersten Haumllfte der 1990er Jahre wurden zum einen die bereits erwaumlhn-ten sowjetischen Dissidentengruppen dann aber auch jene Initiativgruppen die auf der Welle der Perestroika unter Gorbatschow entstanden waren und nun als Orga-nisationen auftraten zur Basis der kuumlnftigen Zivilgesell-schaft Diese Gruppen erreichten dass Kuibyschew in Samara und Gorkij in Nishnij Nowgorod umbenennt wurde und sie beteiligten sich engagiert an den Wahlen der Volksdeputierten beseitigten verschiedenste Relikte der sowjetischen Vergangenheit wurden zu Meinungs-fuumlhrern der Gesellschaft organisierten erstmals recht-liche Hilfe fuumlr die schwaumlchsten Bevoumllkerungsgruppen

Die ersten Gesetze die die Taumltigkeit von NGOs sys-tematisch regulierten entstanden in den Jahren 1995 und 1996 Sie wurden auf der Houmlhe der allgemeinen Demokratisierung verabschiedet schrieben die grundle-genden buumlrgerlichen Freiheiten fest sahen eine Registrie-rung per Anmeldung keinerlei Rechenschaftspflichten sowie die Moumlglichkeit vor ohne Registrierung als juristi-sche Person taumltig sein zu koumlnnen Hierbei konnten rund zwei Dutzend verschiedener Rechtsformen genutzt wer-den Eine gesellschaftliche Organisation (NGO) regis-

trieren zu lassen bedeutete keine Muumlhe und die staat-lichen Gebuumlhren hierfuumlr waren minimal Gleichzeitig gab es jedoch keinerlei System fuumlr eine finanzielle Foumlrde-rung von nichtkommerziellen Organisationen (NGOs) durch den Staat

erste eingriffe des staatesDie ersten Zeichen die von kuumlnftigen Problemen fuumlr NGOs kuumlndeten erfolgten im Jahr 1999 als das Justiz-ministerium eine Neuregistrierung aller aktiven nicht-kommerziellen Organisationen (NGOs) verlangte Damals sahen sich einige Menschenrechtsorganisatio-nen erstaunlichen Beanstandungen durch die Behoumlrden gegenuumlber Wie sich herausstellte sollte es nicht moumlg-lich sein den Schutz der Menschenrechte und buumlrgerli-chen Freiheiten zu den satzungsgemaumlszligen Zielen zu zaumlh-len Die Fachleute des Justizministeriums behaupteten Da der Schutz der Menschenrechte gemaumlszlig der Verfas-sung die Pflicht des Staates ist koumlnnten NGOs diesen darin allenfalls sbquounterstuumltzenlsquo Das ist die Erklaumlrung dafuumlr dass die meisten Moskauer Organisationen bei ihren Namen und in ihren Satzungen bis heute diese Formulierung verwenden die offensichtlich eine klare paternalistische Botschaft an die Gesellschaft darstellt Zivilgesellschaftliche Organisationen koumlnnen ndash so die Haltung der russischen Regierung seit 1999 und bis jetzt ndash nichts selber machen Sie koumlnnen lediglich den Staat unterstuumltzen Folglich stoszligen NGOs wenn sie sich gegen die Politik des Staates wenden auf unweiger-lichen vaumlterlichen Zorn Die 15 Jahre nach 1999 illus-trieren diese Haltung sehr deutlich

nichtregierungsorganisationen als raquofeindelaquo2004 hat Praumlsident Putin in seiner jaumlhrlichen Parla-mentsansprache Nichtregierungsorganisationen die auch nur irgendwelche Gelder aus dem Ausland erhalten direkt seine Feinde genannt 200405 wurde eine spe-zielle staatliche Struktur der raquoFoumlderale Dienst fuumlr Regis-

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trierunglaquo (raquoRosregistrazijalaquo) geschaffen ndash eine Polizei fuumlr NGOs Es wurden fuumlr NGOs Rechenschaftspflich-ten uumlber ihre Taumltigkeit eingefuumlhrt die fuumlr zwei Drit-tel der Organisationen nicht zu stemmen waren Von 2006 bis 2008 hat diese dem Justizministerium nach-geordnete Behoumlrde die Aufloumlsung Zehntausender zivil-gesellschaftlicher Organisationen per Gerichtsbeschluss erwirkt Weitere 50000 erhielten Verwarnungen Ins-gesamt befanden sich beim Amtsantritt des Zwischen-praumlsidenten Medwedew achtzig Prozent der in Russland existierenden Organisationen (ungefaumlhr 150ndash180000) nur einen Schritt von ihrer moumlglichen Aufloumlsung (aus formalen Gruumlnden) durch das Justizministerium ent-fernt Staatsfreundliche Strukturen (wie etwa die Gesell-schaftskammer) haben beharrlich die Vorstellung trans-portiert dass es in Russland tatsaumlchlich nicht mehr als 30000 gesellschaftliche Organisationen (NGOs) gebe Das Anhalten der repressiven Maschine gegen NGOs war eine der wenigen liberalen Zugestaumlndnisse Dmitrij Medwedews als Praumlsident raquoRosregistrazijalaquo wurde 2008 selbst aufgeloumlst und seine Funktionen zur Kontrolle der Nichtregistrierungsorganisationen direkt dem Justiz-ministerium uumlbertragen Viele ehemalige Mitarbeiter von raquoRosregistrazijalaquo einschlieszliglich des Behoumlrdenlei-ters wechselten zur Staatsanwaltschaft

2009 und 2010 ritten die Behoumlrden nur vereinzelte Angriffe auf Nichtregistrierungsorganisationen Ein besonders bekannter Fall war die blitzartige staatsan-waltschaftliche Uumlberpruumlfung von 40 Menschenrechtsor-ganisationen im September 2010 die auf Anweisung der Praumlsidialadministration erfolgte diese wollte vor dem Treffen der Leiter der Kommission von Wladislaw Sur-kow und Michael MacFaul kompromittierende Mate-rialien uumlber aus dem Ausland finanzierte Organisatio-nen praumlsentieren Insgesamt aber hat bis zur Ruumlckkehr Putins in das Praumlsidentenamt kein ernstliches Vorgehen der Behoumlrden gegen die NGOler gegeben

Die situation der zivilgesellschaft nach dem mai 2012Die Situation aumlnderte sich grundlegend im Mai 2012 nach der dritten Inauguration Putins die von Mas-senprotesten auf dem Bolotnaja-Platz begleitet wurde denen die bis heute andauernden sogenannten Bolot-naja-Verfahren folgten naumlmlich die strafrechtliche Ver-folgung und Verurteilung zu Gefaumlngnisstrafen von Teil-nehmern der regierungskritischen Demonstration vom 6 Mai 2012 Die Praumlsidialadministration wappnete sich mit der ultrakonservativen Politik einer demonstrativen Absage an liberale Werte fuumlr den Praumlsidenten wurde das Image eines Verteidigers traditioneller Werte aufgebaut die den Menschenrechten und buumlrgerlichen Freiheiten gegenuumlbergestellt werden

Die weitgehenden Beschraumlnkungen der Versamm-lungsfreiheit die Verfolgung von Schwulen und Les-ben die Angriffe auf die Redefreiheit im Internet die Herstellung staatlicher Kontrolle uumlber die Medien die Diskreditierung des Instituts der Wahlen wurden durch eine Kampagne zur Verfolgung von Nichtregierungsor-ganisation ergaumlnzt Diese Welle wurde unter der Losung losgetreten dem Einfluss aus dem Ausland entgegenzu-wirken Sie erfolgte durch Aumlnderungen im Gesetz uumlber nichtkommerzielle Organisationen (NGOs) das Aumlnde-rungsgesetz wurde als raquoGesetz uumlber auslaumlndische Agen-tenlaquo bekannt Praumlsident Putin persoumlnlich ist bekann-termaszligen dessen geistiger Vater Im Verlauf des Jahres 2013 organisierte die Staatsanwaltschaft die vom Jus-tizministerium die Funktion der Kontrolle uumlber Nicht-regierungsorganisationen uumlbernommen hatte die Uumlber-pruumlfung von rund tausend NGOs und lieszlig sich dabei lediglich von einem Kriterium leiten naumlmlich der Frage ob eine Organisation in irgend einer Art Gelder aus irgendeiner Art auslaumlndischer Quelle erhaumllt die Ver-einten Nationen den Europarat und private Nichtre-gierungsstrukturen eingeschlossen Auch eine Reihe deutscher Stiftungen und Organisationen waren Atta-cken ausgesetzt naumlmlich die Friedrich-Ebert-Stiftung die Konrad-Adenauer-Stiftung und der Deutsch-Rus-sische Austausch

Ziel der von Generalstaatsanwalt Jurij Tschajka ini-tiierten Kampagne war es moumlglichst viele Organisa-tionen dazu zu noumltigen sich als auslaumlndischer Agent registrieren zu lassen Die Reaktion der russischen Zivil-gesellschaft laumlsst sich wohl als deutlichsten Beweis ihrer Existenz bezeichnen Nach dieser halbjaumlhrigen Kam-pagne in allen Regionen des Landes hatte sich keine einzige Organisation im Verzeichnis der raquoauslaumlndi-schen Agentenlaquo registrieren lassen Die Zivilgesellschaft hatte ndash ohne sich zu verabreden ndash die Anwendung die-ses Gesetzes sabotiert und Dutzende Organisationen zogen mit Beschwerden gegen das Vorgehen der Staats-anwaumllte vor Gericht Diese ewig langen Gerichtspro-zesse dauern bis heute an Involviert sind mittlerweile auch das Oberste Gericht das Verfassungsgericht der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte die Vene-dig-Kommission des Europarates der Menschenrechts-kommissar des Europarates und die Regierungschefs aller groszligen westlichen Staaten

Heute nach den diesjaumlhrigen Ereignissen in der Ukraine ist weithin klar gewonnen dass Wladimir Putin bei seiner Hingabe an extremen Konservatismus und bei seiner Attacke gegen liberale Werte die die Grundlage der Nachkriegsordnung dargestellt haben bei Repressionen gegen Nichtregierungsorganisationen nicht halt macht Heute in einer Situation da von jenem Moment wo im Kopf des Praumlsidenten oder von irgend

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jemandem in dessen engster Umgebung die naumlchste Idee zur Beschraumlnkung der Menschenrechte entsteht bis zur Verabschiedung und dem Inkrafttreten eines entsprechenden Foumlderalen Gesetzes nur eine Woche vergehen kann koumlnnen jene die Menschenrechtsar-

beit machen solche Schritte der Regierung weder aus-zuschlieszligen noch sie vorhersehen Es bleibt einem nur auf wirklich alle Szenarien gefasst zu sein auch auf die schlimmsten

Uumlbersetzung Hartmut Schroumlder

Uumlber den AutorPawel Chikow Vorsitzender der Interregionalen Assoziation der Buumlrgerrechtsorganisationen raquoAGORAlaquo Mitglied des Rats fuumlr die Entwicklung der Zivilgesellschaft und fuumlr Menschenrechte beim Praumlsidenten der Russischen Foumlderation

ANALYSE

ngos in russlandJens Siegert Moskau

zusammenfassungUnabhaumlngige russische NGOs sind seit Praumlsident Putins Amtsantritt Ziel staatlichen Drucks Die Auseinan-dersetzung mit diesem Druck hat bei den NGOs zu einer schrittweisen und beindruckenden Professionali-sierung beigetragen die wiederum geholfen hat trotz dieses Drucks nicht nur zu uumlberleben sondern auch ihre Arbeit weiter machen zu koumlnnen Das vor knapp zwei Jahren in Kraft getretene sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo stellt die NGOs vor eine neue harte Probe Zudem versucht der Staat erneut NGOs auch institutionell in raquogutelaquo und raquoboumlselaquo einzuteilen Dieser neue Versuch NGOs unter direkte staatliche Kontrol-le zu bringen gefaumlhrdet die Existenz unabhaumlngiger und staatskritischer NGOs in Russland

Putin und die ngosSeit Wladimir Putin vor nun schon fast 15 Jahren rus-sischer Praumlsident wurde versucht er sehr erfolgreich alle autonomen politischen Subjekte in Russland der direkten Kontrolle des Staates besser noch des Kremls zu unterwerfen In Wirtschaft und Politik ist das wei-testgehend gelungen Bei den Massenmedien sehr weit-gehend Blieben und bleiben die NGOs Sie haben sich als am widerstaumlndigsten erwiesen Das hat unterschied-liche Gruumlnde

Erstens galten NGOs im Kreml lange nicht als son-derlich gefaumlhrliche politische Bedrohung Das aumlnderte sich kurzzeitig 20042005 als der Kreml vor allem bei der sogenannten Orangenen Revolution in der Ukraine aus dem Ausland finanzierte NGOs als wichtige trei-bende Kraft der politischen Veraumlnderungen betrachtete Doch hielt diese seinerzeit stark uumlbertriebene Angst vor der Moumlglichkeit aumlhnlich raquoumstuumlrzlerischer Machen-schaftenlaquo in Russland nur recht kurz an Danach etwa ab Ende 2006 und bis zur Protestwelle gegen Wahlfaumll-schungen und die Wiederwahl von Wladimir Putin zum russischen Praumlsidenten im Winter 20112012 periodisch blieben die Aufmerksamkeit den NGOs gegenuumlber und das Verhaumlltnis zwischen Staat und NGOs ambivalent

Dieses Verhaumlltnis schwankt seit Putins Machtan-tritt zwischen dem Misstrauen des Staates allen auto-nomen potentiell eigenstaumlndigen politischen Subjekten gegenuumlber (die aus seiner Sicht streng kontrolliert gehouml-ren) und der Erkenntnis dass NGOs eine ganze Reihe wichtiger sozialer und politischer Funktionen ausfuumll-len die der Staat nicht oder nicht mehr zu gewaumlhrleis-ten in der Lage ist Auszligerdem erwiesen sich die NGOs nach weitgehender Abschaffung der Pressefreiheit und Gleichschaltung der (ohnehin schwachen und in vielen Bereichen dysfunktionalen) politischen Parteien fuumlr den Kreml als nuumltzlicher ja mitunter notwendiger Kommu-nikationskanal in die Gesellschaft

Die Uumlberlebensfaumlhigkeit der russischen ngosDas Uumlberleben unabhaumlngiger NGOs wurde bis heute auszligerdem durch ihre groszlige politische und institutio-nelle Lernfaumlhigkeit gewaumlhrleistet Unter dem staatli-chen Druck der vergangenen 15 Jahre ist die NGO-Arbeit in Russland in fast allen Bereichen professioneller geworden Das gilt insbesondere fuumlr die Einhaltung der in vielem widerspruumlchlichen oft geaumlnderten und uumlber Verwaltungsakte zu wahren buumlrokratischen Monstern

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aufgeblaumlhten die NGOs betreffenden Gesetze Kurz gesagt Vor allem Juristen Buchhalter Geschaumlftsfuumlh-rer die NGOs beraten oder in ihnen arbeiten aber auch viele Aktivisten sind schlicht besser schneller und pro-fessioneller als die staatliche Finanz- Justiz- oder sons-tige Verwaltung Einem in vielem legalistischen Staat gegenuumlber kostet diese staumlndige Professionalisierung (auch im Sinn einer Art raquolebenslangen Lernenslaquo) zwar viel Kraft und es muumlssen dafuumlr nicht geringe Ressour-cen eingesetzt werden aber sie verschafft solange es sich nicht um frontale Angriffe handelt immer wieder Raum und Zeit zum Weitermachen

Damit komme ich zum dritten Grund fuumlr die beson-dere Widerstaumlndigkeit von NGOs in Russland Es ist fuumlr einen Staat (und seine Staatsmaumlnner und -frauen) fuumlr den der Eigensinn der Menschen nur schwer vorstell-bar ist und der vom eigenen Zynismus geleitet hin-ter jedem und allem irgendwelchen raquofremden Maumlchtelaquo Verschwoumlrungen und politischen Utilitarismus vermutet ganz offenbar schwer vorstellbar dass zivilgesellschaftli-ches Engagement sozusagen aus sich selbst heraus oder aus einer bestimmten Situation oder einem bestimmten Ereignis einem Erlebnis oder einer Erfahrung heraus entsteht Administrative auch strafrechtliche Maszlig-nahmen gegen dieses Engagement laufen eben deshalb immer wieder zwar nicht voumlllig ins Leere (sie erschwe-ren dieses Engagement mitunter enorm) aber sie koumln-nen es nicht verhindern Es verlagert sich immer wieder und findet immer neue Formen und Foren

Die Verstaumlrkung der staatlichen kontrolleBis heute gab es unter Putin drei groumlszligere Versuche unab-haumlngige NGOs unter mehr oder weniger direkte staatli-che Kontrolle zu bringen und diejenigen die sich dagegen wehrten entweder zu marginalisieren oder auch zu schlie-szligen Der erste im Jahr 2001 endete mit einem oben schon angedeuteten Kompromiss der das Verhaumlltnis Kreml-NGOs in einem (allerdings jederzeit prekaumlren) Gleich-gewicht zwischen Konfrontation und Kooperation hielt

Der zweite Versuch endete in der Verabschiedung des raquoNGO-Gesetzeslaquo Ende 2005Anfang 2006 das den NGOs weitergehende Berichtspflichten auferlegte in der Praxis also Ressourcen band und bindet aber ebenfalls in der Praxis und entgegen anderslautenden Befuumlrchtungen nicht zu wesentlichen Einschraumlnkun-gen in der Arbeit russische NGOs fuumlhrte Die groumlszligte negative Wirkung dieses Versuches duumlrfte von zahlrei-chen oumlffentlichen Aumluszligerungen hochgestellter Politiker bis hin zu Putin ausgegangen sein NGOs seien raquoFeindelaquo raquoSchakale die um auslaumlndische Vertretungen streunenlaquo Dadurch wurde die Einstellung von Teilen der Gesell-schaft vor allem aber von weiten Teilen der Verwaltung zu NGOs grundsaumltzlich negativ gepraumlgt

Der dritte Versuch begann als Teil der staatlichen Reaktionen auf den Protestwinter 20112012 und haumllt bis heute an Sein wichtigster Bestandteil ist das soge-nannte raquoNGO-Agentengesetzlaquo das eigentlich kein eigenes Gesetz ist sondern aus einer Reihe dem NGO-Gesetz neu hinzugefuumlgter oder geaumlnderter Paragraphen besteht Diese Vorschriften verpflichten NGOs die raquosich politisch betaumltigenlaquo und Geld oder andere Zuwendun-gen aus dem Ausland erhalten sich beim Justizminis-terium als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren zu lassen Danach muumlssen sie jede oumlffentliche Aumluszligerung mit dem Zusatz raquoauslaumlndischer Agentlaquo versehen

Die Durchsetzung des AgentengesetzesTrotz erheblichen staatlichen raquoPressingslaquo der raquoUumlber-pruumlfunglaquo von mehr als 700 NGOs in ganz Russland durch Staatsanwaltschaft Justizministerium Finanz-amt und eine Reihe anderer Behoumlrden ab dem Fruumlhjahr 2013 hatte sich im Fruumlhjahr 2014 erst eine NGO als raquoauslaumlndischer Agentlaquo im entsprechenden Register des Justizministeriums eintragen lassen (lthttpunromin justruNKOForeignAgentaspxgt) Alle anderen selbst diejenigen NGOs die von den Behoumlrden als raquoAgentenlaquo eingestuft und teilweise mit empfindlichen Geldstra-fen belegt worden waren weigerten sich und weigern sich bis heute Viele NGOs klagten und klagen sowohl gegen das Gesetz als auch gegen die raquoUumlberpruumlfungenlaquo und die aus ihnen von den Justizbehoumlrden abgeleite-ten Bescheide und Anweisungen vor russischen Gerich-ten aber auch vor dem Europaumlischen Gerichtshof fuumlr Menschenrechte (EGMR) Eine Entscheidung des rus-sischen Verfassungsgerichts hat die raquoAgentenparagra-phenlaquo fuumlr verfassungskonform erklaumlrt wenn auch einige Einzelbestimmungen darunter die zu Mindeststrafen aufgehoben

Im Juni 2014 beschloss die Staatsduma eine Verschaumlr-fung der raquoAgentenlaquo-Paragraphen des NGO-Gesetzes Seither hat das Justizministerium das Recht NGOs auch ohne deren Zustimmung in das raquoAgentenlaquo-Register ein-zutragen Bis heute (21102014) hat es 15 NGOs getrof-fen Es ist damit zu rechnen das weitere folgen werden Justizminister Jurij Tschajka hat bereits 2013 im Foumlde-rationsrat von 24 NGOs gesprochen die nach Ansicht des Ministeriums raquoAgentenlaquo seien Auszligerdem wurden 2013 und 2014 mehr als 40 NGOs von der Staatsanwalt-schaft aufgefordert sich vorsorglich als raquoAgentenlaquo regis-trieren zu lassen da sie Geld aus dem Ausland bekaumlmen und Gefahr liefen sich raquopolitisch zu betaumltigenlaquo

Die reaktionen der ngos auf das AgentengesetzDie praktischen Reaktionen der NGOs auf diesen staat-lichen Druck sind unterschiedlich Einige NGOs wie

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die Wahlbeobachter von raquoGoloslaquo haben sich als juris-tische Personen aufgeloumlst oder sind wie die raquoJuristen fuumlr Verfassungsrechte und Freiheitlaquo dabei sich aufzu-loumlsen (ein juristisch und administrativ nicht ganz ein-facher und langwieriger Vorgang) Fast alle NGOs die sich aufloumlsen haben aber erklaumlrt ihre Arbeit auch ohne juristischen Status fortsetzen zu wollen Rechtlich ist das moumlglich Praktisch werden diese NGOs auf zahlreiche neue Probleme treffen wohl bis hin zur moumlglichen Kri-minalisierung einzelner Personen

Einige andere NGOs darunter das Menschenrechts-zentrum Memorial machen weiter wie bisher Sie fech-ten meist die Eintragung in das raquoAgentenregisterlaquo vor Gericht an (in der Regel ohne besonderen Erfolg) Das Menschenrechtszentrum Memorial aber auch einige andere NGOs wollen bis zum EGMR gehen unter ande-rem weil sie das Gesetz insgesamt fuumlr unmoralisch und verfassungswidrig haumllt

Eine weitere Reaktion ist eine Art Hase-und-Igel-Spiel mit den Behoumlrden Das kann sich in einem Geflecht von unterschiedlichen NGOs ausdruumlcken die unter-schiedliche Funktionen wahrnehmen Eine NGO macht politische Erklaumlrungen und betreibt Lobbying Ihre Aktivistinnen arbeiten ausschlieszliglich ehrenamt-lich Eine andere bekommt auslaumlndische Finanzierung fuumlr Projekte die auch nach der Definition von Staatsan-waltschaft und Justizministerium nicht raquopolitischlaquo sind Wieder andere NGOs weichen auf Organisationsformen (juristische Personen) jenseits des NGO-Gesetzes aus die dann nicht den raquoAgentenparagraphenlaquo unterliegen

Der Vorstoszlig gegen memorialAllerdings beschraumlnkt sich die staatliche Behinderung und Bedrohung von NGOs nicht auf das relativ neue Agentengesetz Alle anderen laumlnger erprobten adminis-trativen bis strafrechtlichen Instrumente bleiben eben-falls im Einsatz Juumlngstes und bekanntestes aber bei weitem nicht einziges Beispiel ist der Schlieszligungsan-trag des Justizministeriums vor dem Obersten Gericht gegen raquoMemorial Russlandlaquo raquoMemorial Russlandlaquo ist ein Netzwerk aus rund 50 regionalen und thematischen Memorial-Organisationen und selbst eine von mehr als 60 Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Internatio-nallaquo (Zum Memorial-Netzwerk siehe lthttprusslandboellblogorg20141011wie-funktioniert-memorial-ein-kleiner-wegweiser-durch-eine-zugegeben-kompli zierte-strukturgt) Bei einer der regelmaumlszligigen Pruumlfun-

gen stellte das Justizministerium Anfang 2012 also vor Beginn der jetzigen Repressionswelle gegen NGOs fest dass die seit Gruumlndung der Organisation geltende konfouml-derative Struktur von raquoMemorial Russlandlaquo raquonicht dem Gesetz entsprechelaquo und geaumlndert werden muumlsse Insbe-sondere behagt dem Justizministerium nicht dass die Mehrzahl der Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Russlandlaquo ihrerseits eigenstaumlndige juristische Personen sind raquoMemorial Russlandlaquo muumlsse sich zentralistisch organisieren und die regionalen Memorial-Organisa-tionen zu Filialen werden Ohne hier ins Detail gehen zu koumlnnen wuumlrde das aber zu weiteren Problemen fuumlh-ren die wiederum die Schlieszligung von Memorial durch das Justizministerium zum Ergebnis haumltten Memorial sucht einen Ausweg das Justizministerium betreibt die Schlieszligung Viele NGOs haben Probleme mit der Feu-erwehr dem Gesundheitsamt oder der Arbeitsschutzbe-houmlrde Beliebt ist in juumlngster Zeit auch die Kuumlndigung von Mietvertraumlgen (so unlaumlngst geschehen bei raquoGoloslaquo und der raquoBewegung fuumlr Menschenrechtelaquo)

soziale und politische ngosSeit dem Fruumlhjahr zeichnet sich noch ein weiterer Angriff auf unabhaumlngige und staatskritische NGOs ab Der von Michail Fedotow geleitete Zivilgesellschaftsrat beim Praumlsidenten beraumlt seit einiger Zeit eine erneute Aumlnde-rung des NGO-Gesetzes Er schlaumlgt vor die Agenten-paragraphen abzuschaffen und dafuumlr um den Befuumlrch-tungen des Kremls auf politische Einflussnahme (nicht nur aus dem Ausland) Rechnung zu tragen kuumlnftig eine Einteilung von NGOs in raquosozialelaquo und raquopolitischelaquo vor-zunehmen raquoSozialelaquo NGOs sollen diesen Vorschlaumlgen nach kuumlnftig steuerlich beguumlnstigt sein und staatliche Zuwendungen erhalten koumlnnen raquoPolitischelaquo NGOs wer-den hingegen von staatlicher Foumlrderung ausgeschlossen und sollen auf alle Zuwendungen insbesondere aber auf Zuwendungen aus dem Ausland einen noch fest-zulegenden Steuersatz zahlen Die Befuumlrworter dieser im Uumlbrigen im Zivilgesellschaftsrat nicht unumstrit-tenen Initiative verweisen darauf dass so die heute als raquoAgentenlaquo verfolgten NGOs eventuell noch gerettet wer-den koumlnnten waumlhrend staatliche Foumlrderung aller ande-ren verstaumlrkt wuumlrde Ein Gewinn also fuumlr alle Betei-ligten Tatsaumlchlich verbirgt sich hinter dem Vorschlag aber eine gefaumlhrliche Tendenz zur Entsolidarisierung in der NGO-Szene wie sie auch anderswo schon laumln-ger zu beobachten ist

Uumlber den AutorJens Siegert ist Diplompolitologe und leitet seit 1999 das Laumlnderbuumlro Russland der Heinrich Boumlll Stiftung in Mos-kau Davor arbeitete er in Moskau als Korrespondent fuumlr Radiostationen Zeitschriften und Zeitungen im deutsch-sprachigen Raum

Lesetipps finden Sie auf der naumlchsten Seite

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Lesetippsbull Siegert Jens Putin und die Zivilgesellschaft in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 12 06 2013

lthttprusslandboellblogorg20130612putin-und-die-zivilgesellschaftgtbull Siegert Jens Uumlber ein Jahr raquoNGO-Agentenlaquo-Jagd ndash eine Art Zwischenbericht in Russland-Blog (Hein-

rich-Boumlll-Stiftung Moskau) 4 Juni 2014 lthttprusslandboellblogorg20140604ueber-ein -jahr-agenten-jagd-eine-art-zwischenberichtgt

bull Siegert Jens Russische raquoNGO-Agentenjagdlaquo ndash eine Zwischenbilanz in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 7 Juni 2013 lthttprusslandboellblogorg20130607russische-ngo-agentenjagd-eine-zwischenbilanzgt

bull Siegert Jens Erklaumlrung Permer NGOs warum sie sich unter keinen Umstaumlnden als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren lassen in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 26 Mai 2013 lthttprusslandboellblogorg20130526erklarung-permer-ngos-warum-sie-sich-unter-keinen-umstanden-als-auslandische-agenten-registrieren-lassengt

bull Siegert Jens Memorial raquoNGO-Agentengesetzlaquo ist ungesetzlich und unmoralisch Keine freiwillige Registrierung als raquoauslaumlndischer Agentlaquo in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 22 September 2013 lthttpruss landboellblogorg20120922memorial-ngo-agentengesetz-ist-ungesetzlich-und-unmoralisch-keine-freiwillige-registrierung-als-auslandischer-agentgt

bull Siegert Jens Sozialer Wandel und politische Dynamik in Russland 201112 in Russland-Analysen Nr 245 19 Oktober 2012 lthttpwwwlaender-analysenderusslandpdfRusslandanalysen245pdfgt

ANALYSE

ein kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen engagements zur Unterstuumltzung und integration von migranten in russlandMarina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin

zusammenfassungObwohl die Wirtschaft Russlands aufgrund der ruumlcklaumlufigen Bevoumllkerungszahl auf Migranten angewiesen ist ist der Groszligteil der Bevoumllkerung des Landes Migranten gegenuumlber skeptisch und oft geradezu fremden-feindlich eingestellt Durch eine schlecht koordinierte staatliche Migrationspolitik ist die Lage der Arbeits-migranten meist prekaumlr Initiativen aus der Zivilgesellschaft versuchen die Situation der Migranten zu ver-bessern und leisten Aufklaumlrungsarbeit in der Bevoumllkerung sowie konkrete Hilfestellungen fuumlr Migranten Die Arbeit solcher Aktivisten wird jedoch oftmals durch staatliche Einmischung erschwert

immigration nach russland als gesellschaftliches ProblemDie widerspruumlchliche Migrationspolitik der russischen Regierung und die aufgeheizte Stimmung in der Bevoumll-kerung haben 2013 zu vermehrten xenophoben Uumlbergrif-fen auf Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien gefuumlhrt (siehe beispielsweise die Unruhen in Birjuljowo im Oktober 2013) Diese Entwicklung wirft die Frage auf welche Haltung die russische Zivilgesellschaft hierzu einnimmt Gibt es zivilgesellschaftliche Initiativen die dieser fremdenfeindlichen Stimmung entgegenwirken

In der russischen Oumlffentlichkeit ist oft von einer Flut von Arbeitsmigranten aus den GUS-Staaten die Rede doch in Wirklichkeit ist die Immigration nach Russ-land im internationalen Vergleich gering Zudem zeigen Zahlen der Staatlichen Statistikbehoumlrde raquoRosstatlaquo dass

die russische Wirtschaft aufgrund der demographischen Entwicklung in zunehmendem Maszlige Arbeitskraumlfte aus dem Ausland benoumltigt (bis 2030 ndash so die Prognose ndash soll die russische arbeitsfaumlhige Bevoumllkerung um 103 Mil-lionen Menschen abnehmen)

Trotzdem gibt es starke fremdenfeindliche Stimmun-gen die sich gegen Immigranten aus Zentralasien und dem Kaukasus richten Diese Ablehnung von Migran-ten hat zugenommen und schafft den Naumlhrboden fuumlr Pogrome wie 2006 in Kondopoga 2010 auf dem Mos-kauer Manegenplatz sowie 2013 in der Stadt Pugat-schow und dem Moskauer Vorort Birjuljowo Angst und Verachtung gegenuumlber Fremden ziehen sich durch alle Gesellschaftsschichten Sie werden als Kriminelle und Illegale stigmatisiert und nicht nur Nationalisten ver-wenden die Losung raquoRussland den Russenlaquo um Ras-

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sismus zu schuumlren und die Stimmung gegen Migranten weiter anzuheizen

es gibt keine migrationspolitikDiese interethnischen Konflikte spiegeln sich auch im russischen Alltag wieder Der durch den Foumlderalen Migrationsdienst praktizierte administrative und poli-zeiliche Umgang mit Migration ist nicht effektiv Eine Stigmatisierung der Migranten als potenzielle Krimi-nelle und eventuelle Uumlberlegungen zur Verschaumlrfung des Migrationsgesetzes koumlnnen die Probleme nicht loumlsen die gerade auch auf kommunaler Ebene anfallen Die nur situativen politischen Maszlignahmen fuumlhren mitunter zu einer Verschaumlrfung des Problems Eine uumlbergreifende Strategie existiert nicht die Politik weiszlig auf die Migra-tionsfrage keine Antwort Ein autoritaumlres zentralisier-tes System ist nicht im Stande die regionalen Probleme dieses riesigen Landes zu loumlsen deshalb liegt es vor allem an der Zivilgesellschaft sich diesen Themen zu widmen

zivilgesellschaftliche Projekte AufklaumlrungsarbeitIn Moskau und Sankt Petersburg gibt es verschiedene nichtstaatliche Projekte die sich sowohl fuumlr mehr Tole-ranz als auch fuumlr die Integration der Migranten einsetzen

Einige von ihnen bestehen schon mehrere Jahre Boris Romanow ist einer der Gruumlndervaumlter eines zivil-gesellschaftlichen Netzwerks zur Unterstuumltzung von Menschen mit Migrationshintergrund in Sankt Peters-burg Er arbeitet mit den unterschiedlichsten NGOs zusammen die zu Themen wie Toleranz Antirassis-mus Homophobie Antiziganismus und Antisemitis-mus arbeiten Finanziert durch das Goethe-Institut rief er 2012 raquoRespektlaquo ins Leben ein Comic-Projekt inter-nationaler Kuumlnstler mit dessen Hilfe Schuumller ihr Den-ken uumlber Fremde reflektieren und selbst in Frage stel-len koumlnnen Laut Romanow scheitern solche Projekte oft an der Buumlrokratie der Kommunen Durch das neue NGO-Gesetz gebe es kaum noch Kontaktmoumlglichkei-ten zu staatlichen Schulen erlaumlutert Romanow so dass eine Zusammenarbeit houmlchstens uumlber einzelne Lehrer nicht jedoch uumlber die Schuldirektion moumlglich sei Dies widerspreche dem Konzept zivilgesellschaftlicher Arbeit die vor allem jedermann offen stehen will Durch das geschlossene staatliche Schulsystem komme es selten zu einer Kooperation mit interessierten Lehrern Die Zusammenarbeit von Staat und Zivilgesellschaft ist unabdingbar macht aber die Finanzierung der Projekte schwierig da sie im Falle einer Unterstuumltzung auslaumln-discher Sponsoren unter das neue NGO-Gesetz fallen

Im Zuge der neuen NGO-Gesetzgebung wurde das Antidiskriminierungszentrum raquoMemoriallaquo in Sankt Petersburg geschlossen Dessen ehemaliger Mitarbei-

ter Andrej Jakimow ist Anthropologe Seine langjaumlh-rige Arbeit mit ethnischen Minderheiten wie Sinti und Roma Arbeitsmigranten und Staatenlosen macht ihn zu einem erfahrenen Koordinator der raquoStiftung zur Unter-stuumltzung und Entwicklung von Bildungs- und Sozial-projektenlaquo (raquoPSP-Fondlaquo) in Sankt Petersburg Auch fuumlr ihn zaumlhlt die aktive Aufklaumlrungsarbeit zu den wichtigs-ten Punkten seines zivilgesellschaftlichen Engagements Die juristische und psychologische Betreuung von Mig-ranten stehen neben der Sensibilisierung der russischen Bevoumllkerung im Zentrum seiner Arbeit Seiner Erfah-rung nach interessieren sich die OSZE und die UNO nur marginal fuumlr diese Themen also muumlssen die Pro-bleme der Arbeitsmigranten auf nationaler Ebene geloumlst werden Seine Kontakte zu verschiedenen Netzwerken in den Auswanderungslaumlndern helfen den Migranten sich schon vor der Einreise nach Russland auf den Aufenthalt vorzubereiten In der Zusammenarbeit von Staat und Experten sieht Jakimow eine Moumlglichkeit eine effek-tive Migrationspolitik zu entwickeln

fuumlr die Verbesserung der migrationspolitikAumlhnlich denken auch Wjatscheslaw Postawnin und Natalja Wlasowa die die Stiftung raquoMigrazija XXI weklaquo (raquoMigration im 21 Jahrhundertlaquo) gegruumlndet haben Sie selbst sind ehemalige Mitarbeiter des Foumlderalen Migra-tionsdienstes und kennen die staatliche Migrationspoli-tik von innen Die Regierung unter Putin scheint keiner-lei Loumlsungsansaumltze fuumlr die immer staumlrker zunehmende Xenophobie in Russland zu erarbeiten In den fuumlnf Jah-ren ihrer Existenz hat sich die Organisation in Mos-kau zu einem unabhaumlngigen intellektuellen und wissen-schaftlichen Zentrum entwickelt das Vorschlaumlge fuumlr die Verbesserung der staatlichen Migrationspolitik ausarbei-tet Diese Vorschlaumlge werden oft von der Administration des Praumlsidenten beruumlcksichtigt jedoch nicht sofort und ohne Nennung der Urheberschaft In Zusammenarbeit mit der Weltbank und dem Netzwerk raquoMirpallaquo (raquoMigra-tion and Remittance Peer-Assisted Learninglaquo) erstellt die Organisation Statistiken zu den Migrationsstroumlmen aus den GUS Staaten die oftmals stark von den offiziellen Zahlen des Foumlderalen Migrationsdienstes abweichen

fluumlchtlingsarbeitDie von Swetlana Gannuschkina einer wichtigen Men-schenrechtlerin in Russland 1990 mitbegruumlndete Orga-nisation raquoGrashdanskoje sodejstwijelaquo (raquoBuumlrgerhilfelaquo) beschaumlftigt sich nicht nur mit Arbeitsmigration sondern zu vier Fuumlnfteln mit Fluumlchtlingen Es war die erste Orga-nisation dieser Art in Moskau und wurde im Zusam-menhang mit dem Konflikt um Berg-Karabach und dem Krieg in Tschetschenien gegruumlndet um den Fluumlchtlin-gen aus diesen Regionen zu helfen Die Unterstuumltzung

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 21

der Arbeitsmigranten umfasst juristische Konsultation und die Loumlsung administrativer Fragen z B bei nicht ausgezahlten Gehaumlltern Deportationen Einreisever-boten Die Organisation stellt juristischen Beistand bei unbegruumlndeten Klagen gegen Migranten hilft bei Kla-gen gegen Arbeitgeber wegen nicht ausgezahlter Loumlhne fuumlhrt ein Projekt gegen Hate Crimes durch und veran-staltet Spendenaktionen auf ihrer Webseite Besonders die aumlrztliche Versorgung ist wichtig da der staatliche Notdienst Migranten oft seine Hilfe verwehrt raquoGrash-danskoje sodejstwijelaquo arbeitet eng mit dem Fluumlchtlings-hilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) der Inter-nationalen Organisation fuumlr Migration (IOM) und mit dem Netzwerk raquoMigrazija i prawolaquo (raquoMigration und Rechtlaquo) einem Programm des Menschenrechtszentrums raquoMemoriallaquo zusammen Obwohl in der offiziellen Rhe-torik die Bedeutung der Migration fuumlr Russland unter-strichen wird (wie zum Beispiel in der raquoKonzeption der staatlichen Migrationspolitik 2025laquo) beobachtet man in der Praxis meist die stumme Hinnahme der Uumlber-griffe auf Arbeitsmigranten Nach dem Inkrafttreten des NGO-Gesetzes fand bei der Organisation eine Uumlberpruuml-fung durch die Staatsanwaltschaft statt Ob und wenn ja wie dieses Projekt weiterlaufen wird ist bis heute unklar

Arbeit mit fluumlchtlingskindernIm Rahmen der Organisation raquoBuumlrgerhilfelaquo gibt es zudem ein raquoZentrum fuumlr Integration und Unterricht fuumlr Fluumlchtlingskinderlaquo da das staatliche Programm mit dem Kinder mit Migrationshintergrund Russisch lernen nicht ausreichend ist

Aumlhnlich wie ihre Kollegen aus Moskau arbeiten die Freiwilligen des zivilgesellschaftlichen Projekts raquoDeti Peterburgalaquo (raquoKinder von Petersburglaquo) mit Kindern des-sen Eltern aus den unterschiedlichsten Gruumlnden nach Russland immigriert sind Zwei Projektkoordinatoren der Organisation raquo[Wahl]Beobachterlaquo Daniil Ljubarow und Irina Beljaewa haben 2012 raquoDeti Peterburgalaquo gegruumlndet Angefangen mit einem Angebot von Russisch-Grundkur-sen fuumlr Vorschuumller mit Migrationshintergrund hat sich dieses Programm mittlerweile so weit entwickelt dass Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre an sechs verschie-

denen Standorten in Sankt Petersburg an Russischkursen teilnehmen koumlnnen Bis 2014 hatte es noch nicht einmal feste Raumlumlichkeiten gegeben die Mitarbeiter der raquoDeti Peterburgalaquo organisierten sich ausschlieszliglich uumlber soziale Netzwerke Der virtuelle Raum verbindet diese Organi-sation auch mit anderen zivilgesellschaftlichen Projek-ten So zieht das Projekt nicht nur politische Aktivisten an sondern vor allem Paumldagogen Linguisten und Stu-denten die die Kurse vorbereiten und durchfuumlhren Der Aufbau von kreativen Zirkeln gehoumlrt genauso zur Arbeit von raquoDeti Peterburgalaquo wie die Koordination von Ausfluuml-gen in die Umgebung Museen oder Theatern Das Pro-jekt ist abhaumlngig von seinen Teilnehmern Die fehlen-den Sprachkenntnisse der Eltern fuumlhren oft zu groszligen Kommunikationsproblemen Aber auch die wechselnden und meist aumluszligerst schwierigen Arbeitszeiten der Eltern erschweren die Durchfuumlhrung des Projekts Die staumldti-sche Buumlrokratie versucht den Elan der Mitarbeiter zu bremsen Auch deshalb bleibt das Projekt nichtstaatlich

fazitMisstrauen gegenuumlber der Regierung soziale Probleme und Alltagsrassismus bewegen immer mehr Menschen dazu sich eigenstaumlndig mit der negativen Entwicklung beim Umgang mit Migranten zu beschaumlftigen Aus Inter-views mit den Mitarbeitern der verschiedenen Organisa-tion laumlsst sich schlieszligen dass eine russische Zivilgesell-schaft entstanden ist die die Migrationsfrage einerseits als Arbeit mit der Mehrheits- also russischen Bevoumllkerung betrachtet um diese zu sensibilisieren Anderseits gibt es Initiativen die vor allem konkrete Hilfe fuumlr Migranten leisten um deren alltaumlgliche Probleme zu minimieren

Die Zivilgesellschaft bemuumlht sich Vorurteile abzu-bauen die Migrationspolitik realistischer zu machen und Migranten wie Fluumlchtlingen konkrete Hilfestellung zu geben Die Behoumlrden sabotieren diese Arbeit In den Groszligstaumldten wird der Zuzug von Migranten restriktiv gehandhabt Arbeitgeber wissen um den oft schwierigen Status der Migranten und nutzen die Situation aus um die Migranten weiter auszubeuten Die Arbeit der Zivil-gesellschaft zur Sensibilisierung der russischen Bevoumllke-rung wird durch die offizielle Politik oft konterkariert

Uumlber die AutorenIm Rahmen des Projektkurses raquoZiviler Ungehorsam Gesellschaft und Staat in Osteuropalaquo reisten die Studierenden des Osteuropa-Instituts der Freien Universitaumlt Berlin Michael Bellmann und Kristina Arisov nach Moskau sowie Marina Grinfeld und Christina Huthmann nach St Petersburg um mit Aktivisten und Organisationen die sich fuumlr die Integration von Migranten in Russland einsetzen Interviews zu fuumlhren und die Position der Zivilgesellschaft zur Migrationsproblematik zu analysieren

Lesetippsbull Judah Ben Russiarsquos Migration Crisis in Survival 552013 Nr 6 S 123ndash131

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 22

bull Malakhov Vladimir S Russia as a New Immigration Country Policy Response and Public Debate in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1062ndash1079

bull Schenk Caress Controlling Immigration Manually Lessons from Moscow (Russia) in Europe-Asia Studies 652013 Nr 7 S 1444ndash1465

bull Spahn Susanne Die gelenkte Xenophobie Migration und nationale Frage in Russland Russland nur fuumlr Russen in Osteuropa 642014 Nr 7 S 55ndash67

bull Tipaldou Sofia Katrin Uba The Russian Radical Right Movement and Immigration Policy Do They Just Make Noise or Have an Impact as Well in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1080ndash1101

UmFRAGE

Uumlber die zivilgesellschaft in russland

zur zivilgesellschaftlichen und politischen Aktivitaumlt der russen

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 15 stellen sie sich vor ihre nachbarn schlagen eine gemeinsame muumlllsammelaktion in der nahegelege-nen Parkzone vor Was waumlren sie bereit zu uumlbernehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator der Aktionwerden

An der Aktionmitwirken

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 16 haben sie im vergangenen halbjahrJahr hellip

0 20 40 60 80 100

hellip an den Aktivitaumlten einer non-profit Organisation teilgenommen als Freiwilliger gearbeitet

hellip sich mit gesellschaftlichen Problemen an ihrem Wohnort beschaumlftigt

hellip an Groszligveranstaltungen Demonstrationen Streiks Kundgebungen Umzuumlgen teilgenommen

Ja Keine Antwort Nein

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 23

grafik 17 stellen sie sich vor dass es an ihrem Wohnort zu massenhaften Wahlfaumllschungen kommt irgend-jemand ruft zur Durchfuumlhrung von Protestaktionen gegen die Wahlfaumllschungen auf Was wuumlrden sie unternehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator dieser Aktionwerden

An dieser Protestaktionteilnehmen

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 18 Waren sie haben sie sich in den vergangenen einndashzwei Jahren hellip

0 20 40 60 80 100

hellip Mitglied einer politischen Partei

hellip Wahlbeobachter

hellip an der Arbeit einer Menschenrechtsorganisation beteiligt

hellip sich im Internet (in sozialen Netzwerken auf Foren) zu politischen Themen geaumluszligert

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

zur gesellschaftlichen Aktivitaumlt

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

grafik 19 haben sie persoumlnlich in den vergangenen zweindashdrei Jahren an der taumltigkeit einer gesellschaftlichen organisation teilgenommen Wenn ja wie genau (beliebige zahl an Antworten)

6

6

5

2

2

84

1

050

Habe an gesellschaftliche Organisationen gespendetoder andere materielle Hilfe geleistet

Habe an Wohltaumltigkeitsveranstaltungen teilgenommen(Konzerte Ausstellungen Wohltaumltigkeitslotterie Auktionen)

Habe Freiwilligenarbeit geleistet (kostenlos)

Habe gegen Entgelt in einer gesellschaftlichenOrganisation gearbeitet

Habe Informationen zu den Taumltigkeitenvon gesellschaftlichen Organisationen verteilt

Nicht teilgenommen

Anderes

Keine Antwort

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 24

grafik 20 haben ihnen irgendwann einmal gesellschaftliche organisationen geholfen

0 20 40 60 80 100

Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja mit Geld geholfen Ja auf andere Weise geholfen Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

Die oumlffentliche meinung zu ngos mit auslaumlndischer finanzierung (April 2013)

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 21 mit welcher meinung zur taumltigkeit russischer ngos stimmen sie am ehesten uumlberein

Sie bringen einen groszligen Nutzen

4

Sie bringen mehr Nutzen als Schaden

15Sie bringen ebenso viel

Nutzen wie Schaden23

Sie bringen mehr Schaden als Nutzen

18

Sie bringen weder Nutzen noch Schaden

13

Keine Antwort27

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 22 ist es fuumlr sie wichtig ob eine russische menschenrechtsorganisation aus einheimischen oder auslaumln-dischen mitteln finanziert wird

Sehr wichtig10

Eher wichtig34

Nicht besonders wichtig24

Vollkommen unwichtig18

Keine Antwort14

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 25

grafik 23 Welche ziele verfolgen westliche laumlnder und organisationen die russische ngos mit mitteln aus-statten

Einen verstaumlrkten Einfluss auf die russische

Innenpolitik42

Einen Kampf gegen den russischen Staat

19Eine Unterstuumltzung der

russischen Zivilgesellschaft

8

Kein besonderes Ziel russische NGOs werden wie andere aus standardisierten

internationalen Programmen unterstuumltzt

12

Keine Antwort19

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 24 Duumlrfen organisationen die sich mit dem schutz der Buumlrgerrechte beschaumlftigen und den staat kriti-sieren das recht haben mittel aus dem Ausland zu beziehen

Ja20

Nein56

Keine Antwort24

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 25 Unterstuumltzen sie harte sanktionen gegen ngos die einer politischen taumltigkeit nachgehen und gelder aus dem Ausland erhalten sich aber nicht nach dem gesetz als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren

Auf jeden Fall20

Eher ja32

Eher nein15

Auf keinen Fall5

Keine Antwort28

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 26

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luumlgen des fernsehkanals ntV und Beanstandungen des Justizministeriums erklaumlrung des menschenrechtszentrums memoriAl und der russischen gesellschaft

memoriAl

Die Behauptung bei NTV das russische Justizministerium habe die Liquidierung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL eingeleitet fuumlhrte heute zu etlichen Irritationen Das Menschenrechtszentrum und die Russische Gesell-schaft MEMORIAL (die Dachorganisation der russischen Memorial-Verbaumlnde) haben aus diesem Anlass nachste-hende Erklaumlrung abgegeben

Am 10 Oktober strahlte NTV unter dem Titel raquoAuszligergewoumlhnliches Ereignislaquo eine Sendung aus die aus boumlswil-ligen Luumlgen aber auch aus Fehlinformationen in Folge von Unkenntnis bestand

Die Arbeit des Menschenrechtszentrums MEMORIAL als Unterstuumltzung von Extremisten und Terroristen dar-zustellen ist eine infame Luumlge Auf Unkenntnis basiert hingegen die Behauptung das Justizministerium habe des-halb den Antrag gestellt das Menschenrechtszentrum MEMORIAL zu liquidieren

In Wirklichkeit hat das Justizministerium beim Obersten Gericht der Russischen Foumlderation nicht die Aufloumlsung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL beantragt Es geht hier vielmehr um eine andere Organisation naumlmlich die Russische Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIAL

Die russische Gesellschaft MEMORIAL wurde vom Justizministerium bereits 1992 registriert Bis heute befinden sich unter ihrem Dach verschiedene Memorial-Verbaumlnde die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen

Im Jahre 2012 20 Jahre nach der ersten Registrierung tauchten beim Justizministerium ploumltzlich Zweifel hin-sichtlich des russischen Rechtsstatus von Memorial auf obwohl der Gesellschaft praktisch dieselben regionalen Ver-baumlnde angehoumlren wie zuvor und sich die Gesetzeslage in dieser Frage in keinem Punkt geaumlndert hatte

Geaumlndert hat sich allerdings die Position des Justizministeriums das erneut einen raquodemokratischen Zentralismuslaquo anstrebt der nach der Abschaffung der fuumlhrenden Rolle der KPdSU nicht mehr aktuell schien Heute erklaumlrt das Jus-tizministerium nur jene gesellschaftlichen Vereinigungen koumlnnten der Russischen Gesellschaft MEMORIAL ange-houmlren die in ihrer Bezeichnung die Worte raquoVerband (otdelenie) der Russischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklauml-rung Sozialarbeit und Menschenrechte MEMORIALlaquo tragen

Die gesetzliche Vorschrift dass eine Organisation nur dann einen gesamtrussischen Status haben kann wenn sie in uumlber der Haumllfte der Foumlderationssubjekte Verbaumlnde unterhaumllt legt das Justizministerium jetzt dahingehend aus dass diese Verbaumlnde zwangslaumlufig einen Status als Regionalverbaumlnde haben muumlssten Das Vorhandensein von Stadt- und Bezirksverbaumlnden einer Organisation reicht die Beamten als Beleg dafuumlr nicht aus dass die Organisation in der betreffenden Region taumltig ist

Die Vorbehalte des Justizministeriums entbehren jeglicher Grundlage Nicht zufaumlllig erhielten wir auf Anfragen keine Hinweise auf eine Gesetzesnorm Es ist fuumlr uns inakzeptabel dass das Justizministerium das von der Verfas-sung garantierte Recht von Buumlrgern eine Vereinigung zu bilden gesetzwidrig einschraumlnken will Deshalb hat sich die Russische Gesellschaft MEMORIAL bereits 2012 entschlossen vor Gericht zu gehen

Einen Hinweis auf ein Gesetz haben wir auch nicht erhalten als wir 2013 die Forderungen des Justizministeriums im Moskauer Zamoskvorezki-Bezirksgericht und danach im Stadtgericht angefochten haben Beide Instanzen gaben wie nicht anders zu erwarten dem Justizministerium Recht Deshalb wird die Russische Gesellschaft MEMORIAL in Kuumlrze Klage beim Verfassungsgericht einreichen

Was den Antrag des Justizministeriums betrifft so hoffen wir dass das Oberste Gericht bei Behandlung dieses Antrags dem Gesetz und der Verfassung mehr Respekt entgegenbringen wird als die untergeordneten Gerichtsinstanzen

10 Oktober 2014Quelle Website von Memorial Deutschland lthttpwwwmemorialdeindexphpid=42amptx_ttnews[tt_news]=546amptx_ttnews[backPid]=3ampcHash=5bbe9b235a03fe09cba52ed5c8786b99gt

DOkUmENtAtION

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NOtIzEN AUS mOSkAU

Petersburger DialogJens Siegert Moskau

Auf den ersten Blick sieht es so aus als ob ein (egal ob nun willentlich oder nicht) an die Oumlffentlich-

keit gelangter Brief einiger regelmaumlszligiger Teilnehmer des Petersburger Dialogs (PD) aus den Reihen deutscher NGOs an Bundeskanzlerin Merkel und Auszligenminis-ter Steinmeier die Verschiebung des fuumlr Ende Oktober in Sotschi geplanten groszligen Jahrestreffens verursacht haumltte In dem Brief bekraumlftigten die Autoren ihre nicht neue Kritik am PD und erklaumlrten warum sie dieses Jahr nicht teilnehmen wuumlrden Sie betonen dass die Absage kein Boykott sei und bieten ihrerseits einen Dialog zur Reform des Dialogs an Auf den zweiten Blick war der Brief selbstverstaumlndlich nur Anstoszlig aber nicht Grund fuumlr die Verschiebung Doch der Reihe nach

Die in dem Brief geaumluszligerte Kritik am PD ist wie gesagt nicht neu sie hat sie den PD von Anfang an begleitet Das liegt sicher auch an einem bis heute nicht korrigierten Geburtsfehler Ein durch Staats- und Regie-rungschefs initiierter raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo ist schon etwas verquer Das heiszligt nicht dass das nicht gehen koumlnnte Doch dazu haumltten sich die hochgestell-ten Initiatoren (der damalige russische Praumlsident und der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schrouml-der) und ihre (Interims-)Nachfolger spaumlter zuruumlckziehen muumlssen Das haben sie nicht Daran sind sie nicht (allein) Schuld Es war der PD der durch seine Lenkungsor-gane die enge zeitliche und oumlrtliche Verbindung mit den deutsch-russischen Regierungskonsultationen und die zeitweilige Anwesenheit von Praumlsident und Kanzlerin zum Grundstein seiner Wirkungsmaumlchtigkeit erklaumlrte

Auf deutscher Seite wurde versucht dieses Problem organisatorisch sozusagen oumlffentlich-rechtlich zu loumlsen indem moumlglichst alle interessierten politischen Spektren und gesellschaftlichen Gruppen am sogenannten Len-kungsausschuss beteiligt wurden Das gelang zumindest so gut dass es soweit mir bekannt bis heute keine grouml-szligeren Klagen uumlber Nichtberuumlcksichtigung oder Nicht-beteiligung gab Aber die Bundesregierung behielt weit-gehenden Einfluss nicht zuletzt uumlber den alljaumlhrlich sechsstelligen Zuschuss fuumlr die Durchfuumlhrung der Jah-restreffen Auszligerdem wurde der jeweilige Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses zwar nach Abstim-mungen mit den Beteiligten aber letztlich durch den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin bestimmt

In Russlands ist die Sache einfacher Von Anfang an wurde und wird gemacht wird was der Kreml will Schon der erste Vorsitzende des russischen Lenkungs-ausschusses Michail Gorbatschow (immerhin selbst ein ehemaliger Praumlsident) war wie er selbst einmal bekannte

nicht mehr als ein ndash schoumlne Ruumlckuumlbertragung aus dem Russischen ndash raquoSitz-Praumlsidentlaquo Der jetzige Vorsitzende Wiktor Subkow war Datschennachbar von Putin ers-ter stellvertretender Ministerpraumlsident und ist nun Auf-sichtsratsvorsitzender von Gazprom

Die Kritik dass nur eine Simulation eines raquozivilge-sellschaftlichen Dialogslaquo stattfinde wurde von einigen deutschen Teilnehmern bereits auf dem ersten Jahres-treffen des PD im April 2001 in St Petersburg geaumluszligert Es fehlten auf russischer Seite (in der seinerzeit noch ver-einigten Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo) Vertreter russischer NGOs Die Kritik kam an In Russ-land fuumlhrte sie (ohne dass ich hier jetzt ausfuumlhren kann wie) zum ersten Versuch des Kremls auch unabhaumln-gige NGOs in das korporative System der gelenkten Demokratie zu zwingen Der Versuch misslang weitge-hend und muumlndete in einer Art Waffenstillstand und der Gruumlndung eines raquoMenschenrechtsrats beim Praumlsi-dentenlaquo unter Einbeziehung von Vertretern unabhaumlngi-ger NGOs Beim PD wurde die Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo in ihre zwei Namensbestandteile geteilt und es gelang uumlber die Jahre in immer wieder unternommenen Anstrengungen auch die Teilnahme unabhaumlngiger russischer NGO-Vertreter durchzuset-zen Etwas spaumlter wurde diese Teilnahme sogar vor-sichtig institutionell abgesichert indem erst Ella Pam-filowa und spaumlter ihr Nachfolger Michail Fedotow als Vorsitzende des inzwischen zum raquoZivilgesellschaftsratlaquo umbenannten raquoMenschenrechtsratslaquo zu den russischen Koordinatoren der Arbeitsgruppe raquoZivilgesellschaftlaquo mit Einladungsrecht wurden (wobei die Einladungen selbst-verstaumlndlich mit der Praumlsidentenadministration abge-stimmt werden muumlssen) Das ist bis heute so

Die Verfasser des Briefes (zu denen ich bekenne mich auch ich gehoumlre) allesamt langjaumlhrige Teilneh-mer der Jahrestreffen des PD haben all die Jahre immer wieder auch oumlffentlich uumlber den Sinn und Unsinn ihrer Teilnahme und Unterstuumltzung diskutiert Letztendlich uumlberwogen die ganze Zeit uumlber zwei Uumlberlegungen Ers-tens ist ein Dialog auch und gerade auf offizieller Ebe-nen und mit offiziellen Vertretern des russischen Staates (wie auch mit Wissenschaftlern Unternehmern Journa-listen Priestern usw welcher politischen Couleur auch immer sie sein moumlgen) erst einmal besser als kein Dia-log Zweitens gingen wir all die Jahre davon aus dass die nicht ohne Muumlhen erreichte Teilnahme unabhaumln-giger russischen NGO-Vertreter fuumlr sie ihre Organisa-tionen aber auch die russische NGO-Szene insgesamt zumindest einen kleinen zusaumltzlichen Schutz gegen die

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seit Putins Amtsantritt immer wieder uumlber das Land gehenden Repressionswellen bietet1 Was hat sich dieses Jahr geaumlndert Erst einmal nicht

so viel gegenuumlber dem Vorjahr Es war schon immer siehe oben eine schwierige Abwaumlgung ob die Teil-nahme am PD sich lohnt oder nicht vielmehr dazu beitraumlgt so zu tun als gaumlbe es in Russland die unein-geschraumlnkte und ungefaumlhrdete Moumlglichkeit sich zivilgesellschaftlich auch dort zu engagieren wo es dem Staat weh tut Zwei Ereignisse haben nun aber zumindest fuumlr die Autoren des Briefes das Pen-del zur anderen Seite ausschlagen lassen Die Kon-frontation zwischen dem Westen (ich weiszlig um die Bedingtheit des Begriffs verwende in der Kuumlrze hal-ber aber trotzdem) und Russland im Konflikt in der und um die Ukraine ist nicht einfach die Fortset-zung schon laumlnger existierender raquoMeinungsverschie-denheitenlaquo Sie ist tiefer und prinzipieller Es geht eben im Kern nicht in erster Linie um Geopolitik sondern wieder einmal um ich fuumlrchte hier weder den Pathos noch historische Analogien Freiheit und Demokratie in Europa

2 Die Repressionen gegen russische NGOs unsere prinzipiellen Partner in der Verteidigung von Demo-kratie und Freiheit haben mit dem sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo eine neue Qualitaumlt erreicht 15 NGOs sind inzwischen zwangsweise zu raquoauslaumln-dischen Agentenlaquo erklaumlrt worden anderen droht die Schlieszligung aufgrund anderer Gesetze Einige von ihnen waren sogar zum nun verschobenen Treffen in Sotschi eingeladen Sie mussten sich Gedanken machen ob eine Zusage oder eine Absage ihnen nicht schaden koumlnnte

Unter diesen Umstaumlnden halten die Verfasser des Brie-fes ihre Teilnahme am PD fuumlr nicht mehr moumlglich Sie fordern keinen Boykott wohl aber ein Nachdenken uumlber eine tiefgreifende Reform

Der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses Lothar de Maiziere hat in einem eigenen offenen Brief geantwortet und den Verfassern vorgeworfen den Dia-log verweigern und politisieren zu wollen Diese (Gegen-)Klage scheint mir angesichts der vielfaumlltigen Verbindun-gen und Dialogformen die die Organisationen hinter den Unterzeichnern des Briefes seit vielen Jahren und oft laumlnger als der PD organisieren an denen sie teil-nehmen und die sie foumlrdern nicht sonderlich stichhal-tig Doch die Auseinandersetzung geht tiefer De Mai-ziere behauptet in seinem Brief der PD mache bereits all das was die Kritiker fordern Genau das bezweifeln diese aber Die Auseinandersetzung geht also und vor allem darum was ein fruchtbarer Dialog zu leisten im Stande sein kann und leisten sollte Sie geht aber auch darum ob dieser Dialog zwischen zwei Gesellschaf-

ten stattfindet nach dem Motto hier die eine dort die andere oder ob sich die Seiten bei diesem Dialog inei-nander verschraumlnken

Die Verfasser des Briefes sind ganz offensichtlich mit ihrer Kritik nicht allein Schon bevor der Brief oumlffent-lich bekannt wurde hatten die Bundestagsabgeordne-ten Andreas Schockenhoff (CDUCSU) und Marieluise Beck (Buumlndnis 90 Die Gruumlnen) in oumlffentlichen Stel-lungnahmen Aumlhnliches gefordert und auch ihre Nicht-Teilnahme erklaumlrt Etwas spaumlter wurde bekannt dass auch der Russland-Beauftragte der Bundesregierung Gernot Erler nicht nach Sotschi fahren wollte Mehr noch Bereits seit dem Fruumlhsommer gab es Gespraumlche zwischen Kanzleramt und Auswaumlrtigem Amt mit dem Ziel den PD sowohl personell als auch strukturell zu reformieren Allerdings setze sich augenscheinlich die Sichtweise des Auswaumlrtigen Amtes durch alles vorerst beim Alten zu belassen da es auch so schon genug Pro-bleme im deutsch-russischen Verhaumlltnis gebe und man diesen Kanal nicht auch noch belasten oder gar gefaumlhr-den solle

Doch zum Herbst hat sich die Situation noch ein-mal veraumlndert Die Hoffnung die russische Fuumlhrung um Praumlsident Putin werde im Krieg in der Ostukraine ein-lenken ist selbst im Auswaumlrtigen Amt bis in die Spitze kaum noch zu finden Im Sommer bekam das russische Justizministerium zudem per erneuter Gesetzesaumlnde-rung das Recht NGOs zwangsweise zu raquoAgentenlaquo zu erklaumlren und macht seither rege Gebrauch davon Eine ganze Reihe russischer NGOs steht vor der Schlieszligung oder loumlst sich auf weil ihnen die vom Gesetz geforderte Selbstetikettierung als raquoauslaumlndische Agentenlaquo ethisch rechtlich und praktisch unmoumlglich ist

Es sieht so aus als haumltten die Verfasser des Briefes nur eine Tuumlr geoumlffnet hinter der andere darunter die Kanzlerin nur darauf gewartet haben durch sie hin-durch gehen zu koumlnnen ohne selbst der Tuumlroumlffnung geziehen zu werden

Ein wenig verwundert die erstaunlich milde russi-sche Reaktion Nach der kurzen Drohung eine Verschie-bung bedeute das Ende des PD lenkte Putin im Telefo-nat mit Merkel ein und fand tags darauf sogar oumlffentlich verstaumlndnisvolle Worte fuumlr die raquoProbleme der deutschen Seitelaquo Das duumlrfte zwei Gruumlnde haben Der eine ist dass trotz des haumlufiger gewordenen Deutschland-Bashings im russischen Staatsfernsehen (mit dem Ergebnis dass in Umfragen Deutschland aus der Kategorie raquoFreundlaquo in die Kategorie raquoFeindlaquo abgerutscht ist) Deutschland im Kreml immer noch als wichtigster raquostrategischerlaquo Part-ner im Westen und vor allem in der EU gilt Zudem ist Deutschland zweifellos ein Land dessen oumlffentliche Meinung (und damit Politik) aus russischer Sicht durch-aus beeinflussbar ist (was z B die kolportierten rund

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140 Millionen US-Dollar zum Aufbau eines deutsch-sprachigen Programms des staatlichen Auslandsfernse-hens raquoRussia Todaylaquo zeigen)

Der andere liegt in einem erneuten Strategiewech-sel (oder weniger ambitioniert Wechsel der Taktik) im Ukraine-Konflikt Die Sanktionen beiszligen inzwi-schen kraumlftig Die Rhetorik wurde daher gemildert Der Kreml ist ganz auf Frieden und dieser Ausdruck aus dem Sport sei erlaubt Ergebnissicherung bedacht (was uumlbrigens Putins grundsaumltzlicher Taktik auch im Inne-ren Russlands entspricht erst hart zuzuschlagen dann eine Schritt zuruumlck zu gehen und einen Kompromiss zu suchen nach dem es fuumlr seine Gegner nachher schlech-ter steht als vorher) Neues Ziel scheint nun also zu sein die raquoErrungenschaftenlaquo Krim (als Teil Russlands) und raquoNeurusslandlaquo (als neuen raquoFrozen Conflictlaquo) zu fixieren und trotzdem mit dem Westen wenn schon nicht gut-freund zu werden so doch zumindest erneut zu einem einigermaszligen vertraumlglichen Modus Vivendi zu gelan-gen Das Gas duumlrfte nach den Mailaumlnder Gespraumlchen

und bei allem Geknurre im Winter stroumlmen und auch im Nahen Osten stellt Moskau weniger Widerspenstig-keit in Aussicht

Was heiszligt das fuumlr die Zukunft des PD Erstmal ist sie offen Zuerst muss sich die deutsche Seite neu ord-nen (hier hat Putin sogar Recht) Nachdem sich Angela Merkel persoumlnlich um eine russische Akzeptanz fuumlr die Verschiebung von Sotschi bemuumlht hat kann ich mir allerdings nicht vorstellen dass es in einigen Wochen oder Monaten ein Zuruumlck zum status quo ante gibt Ob und wie sich ein neu aufgestellter deutscher Lenkungs-ausschuss mit einem neuen Konzept mit der russischen Seite verstaumlndigen kann laumlsst sich momentan kaum voraussagen Es ist zwar einen Versuch wert haumlngt aber wohl sehr von der dann herrschenden politischen Groszlig-wetterlage ab

Diesen und andere Texte finden Sie auf Jens Siegerts Russ-landblog lthttprusslandboellblogorggt

Lesetippbull Poumlrzgen Gemma Dringend reformbeduumlrftig Der Petersburger Dialog auf dem Pruumlfstand in Osteuropa 602010

Nr 10 S 59ndash81

DOkUmENtAtION

Briefwechsel uumlber die zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo

schreiben von nichtregierungsorganisationen und einzelpersonen an die Bundeskanzlerin und den Auszligenminister zum raquoPetersburger Dialoglaquo 2 oktober 2014 [nachtraumlglich veroumlffentlicht]

Berlin 02 Oktober 2014Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerals Personen die sich seit vielen Jahren intensiv im zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland engagieren wenden wir uns mit diesem Schreiben an Sie um zu erlaumlutern warum wir uns in diesem Jahr nicht am Petersburger Dialog beteiligen koumlnnen Zugleich moumlchten wir fuumlr eine Erneuerung des Petersburger Dialogs werben

In Reaktion auf die politische Wende in der Ukraine die durch eine breite gesellschaftliche Protestbewegung hervor-gerufen wurde hat die russische Fuumlhrung voumllkerrechtswidrig die Krim annektiert und einen unerklaumlrten Krieg neuen Typs im Osten der Ukraine begonnen Zugleich betreibt die Regierung unter Praumlsident Putin die systematische Ausschal-tung der letzten unabhaumlngigen Medien in Russland die Kriminalisierung aller Formen politischer Opposition und die Diskreditierung unabhaumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen als raquoauslaumlndische Agentenlaquo Mittlerweile wurden 12 russische Nichtregierungsorganisationen vom russischen Justizministerium zwangsweise auf die Liste raquoauslaumlndischer Agentenlaquo gesetzt und sind daher zukuumlnftig verpflichtet sich bei jeder oumlffentlichen Aumluszligerung wahrheitswidrig selbst als solche zu bezichtigen Zehn dieser Organisationen spielen in der deutschrussischen zivilgesellschaftlichen Zusammen-arbeit seit Jahren eine wichtige Rolle einige von ihnen haben mehrfach am Petersburger Dialog teilgenommen Gegen einige von ihnen sind bereits existenzbedrohende Strafgelder wegen Verstoszliges gegen das sog Agentengesetz verhaumlngt

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worden Es drohen Organisationsschlieszligungen und die Kriminalisierung der Vorstaumlnde Unter diesen inneren und aumluszlige-ren Bedingungen koumlnnen wir uns nicht an einer Neuauflage des Petersburger Dialogs in der bisherigen Form beteiligen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerder seinerzeit von Bundeskanzler Schroumlder und Praumlsident Putin initiierte Petersburger Dialog konnte die ihm zuge-

dachte Aufgabe zu einer Vertiefung und Verbreiterung der gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland beizutragen auch in den vergangenen Jahren nur sehr bedingt erfuumlllen Dies lag vor allem an der starken Naumlhe des Fuumlhrungspersonals auf der russischen Seite zum politischen Machtzentrum im Kreml die von Beginn an den Eindruck einer raquovon obenlaquo inszenierten und kontrollierten Veranstaltung naumlhrte Doch auch auf deutscher Seite wird der Petersburger Dialog bis heute von Personen dominiert die aus politischer und oumlkonomischer Opportunitaumlt dazu neigen Kritik am Kurs der russischen Fuumlhrung als Stoumlrung der raquodeutsch-russischen Freundschaftlaquo zu betrachten Zeit-weise kam es zu der paradoxen Situation dass kritische Aumluszligerungen zu Menschenrechtsverletzungen in Russland oder zum Vorgehen des Kremls gegenuumlber Georgien aus den Reihen der deutschen Delegation als raquoKalte-Kriegs-Rhetoriklaquo verteufelt wurden Nuumlchtern betrachtet waren die kritischen Stimmen aus der russischen und deutschen Zivilgesell-schaft in den letzten Jahren nur eine geduldete Minderheit die dem Petersburger Dialog den Anschein von Pluralis-mus und offener Diskussion verschaffte Ungeachtet dieser Kritik haben wir uns in der Vergangenheit am Petersburger Dialog beteiligt da wir grundsaumltzlich jedes Dialogpotenzial nutzen wollen und uns von der gemeinsamen Beteiligung mit unseren Partnern aus der russischen Zivilgesellschaft eine politische Absicherung dieser Zusammenarbeit erhofften

Diese ohnehin schwachen Hoffnungen wurden durch die Entwicklungen in diesem Jahr zerstoumlrt Vertreter unab-haumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen die auf der russischen Seite zum Petersburger Dialog eingeladen wer-den sind angesichts der politischen und juristischen Bedrohung der sie ausgesetzt sind in ihrer Entscheidung uumlber ihre Teilnahme nicht mehr frei Wenn sie der Einladung nicht folgen muumlssen sie weitere Repressalien befuumlrchten Uns denen die Freiheit der Entscheidung gegeben ist ist es nicht moumlglich durch Teilnahme am Petersburger Dialog in Sot-schi an der Aufstellung einer Potemkinschen Fassade namens raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo mitzuwirken waumlhrend die kritischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Russland als raquoAgentenlaquo diskreditiert und vielfach drangsaliert werden

Zugleich moumlchten wir unsere Bereitschaft unterstreichen an einer Reform des Petersburger Dialogs in organisa-torischer inhaltlicher und personeller Hinsicht mitzuwirken Eine solche Reform sollte darauf ausgerichtet sein uumlber die Auswahl der Formate Themen und Teilnehmer die tatsaumlchliche Lage der russischen Zivilgesellschaft in den Mit-telpunkt der Diskussion zu ruumlcken und einen offenen Dialog zu ermoumlglichen Wir sind ganz damit einverstanden dass gerade in kritischen Zeiten die Zusammenarbeit zwischen der russischen und deutschen Zivilgesellschaft gestaumlrkt wer-den muss Sofern der Petersburger Dialog in Zukunft dafuumlr ein Forum bietet werden wir uns gern daran beteiligen[Unterzeichner nicht veroumlffentlicht]Quelle Website der Boumlll-Stiftung lthttpwwwboelldede20141013reform-petersburger-dialog-ueberfaelliggt

offener Brief an den Vorsitzenden des Petersburger Dialogs lothar de maiziegravere vom 10 oktober 2014

- Offener Brief -HerrnDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des VorstandsPetersburger Dialog eVSchillerstraszlige 5910627 Berlin

Berlin 10 Oktober 2014Petersburger Dialog 2014 in SotschiSehr geehrter Herr de Maiziegravereals Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher zivilgesellschaftlicher Organisationen die seit der Gruumlndung des Petersburger Dialogs 2001 uumlber viele Jahre hinweg an dieser Veranstaltung teilgenommen haben moumlchten wir Ihnen gegenuumlber folgende Erklaumlrung abgeben

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Wir haben uns entschieden am 14 Petersburger Dialog in Sotschi nicht teilzunehmen der fuumlr den 29ndash31 Okto-ber angekuumlndigt worden ist Fuumlr diese Entscheidung die wir sorgfaumlltig diskutiert und abgewogen haben moumlchten wir drei Gruumlnde anfuumlhren1 Der Petersburger Dialog in seiner jetzigen Form steckt in einer Krise Von Jahr zu Jahr wird er seinem eigenem

Anspruch weniger gerecht Die Veranstaltung soll dem zivilgesellschaftlichen Dialog dienen Tatsaumlchlich sind Struktur Nominierungsverfahren und Programm des Petersburger Dialogs maszliggeblich von Akteuren aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert Unter diesen Voraussetzungen erfuumlllt der Petersburger Dialog leider nicht sein in seiner Satzung formuliertes Ziel ein raquooffenes Diskussionsforumlaquo zu sein das die raquoVerstaumlndigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Laumlnderlaquo foumlrdert Der Petersburger Dialog bedarf dringend einer grundlegenden Reform wie sie auch CDUCSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 eingefordert haben Gerne wuumlrden wir uns aktiv an einem Prozess zur Reformierung des Petersburger Dialogs beteiligen der auf eine pluralistische Zusam-mensetzung beider Lenkungsausschuumlsse und eine deutlich staumlrkere Ausrichtung auf unabhaumlngige zivilgesellschaft-liche Akteure zielt ohne den interdisziplinaumlren Ansatz der Veranstaltung aufzugeben

2 Die Situation in der sich Teile der Zivilgesellschaft in Russland befinden erfuumlllt uns mit groszliger Sorge Das betrifft auch Partnerorganisationen und Personen mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten Diese Organisa-tionen uumlben fuumlr Russland und daruumlber hinaus wichtige gesellschaftliche Funktionen aus Die Behinderung ihrer Arbeit durch buumlrokratische Huumlrden aber auch durch willkuumlrliche rechtliche Restriktionen und politische Diffa-mierung sind inakzeptabel Daruumlber koumlnnen wir nicht zur Tagesordnung uumlbergehen Wir wollen nicht zu Kron-zeugen fuumlr einen vorgeblich freien Austausch werden waumlhrend zugleich die kritische Zivilgesellschaft in Russland massiv und systematisch unter Druck gesetzt wird

3 In Teilen der Ukraine herrscht ein Kriegszustand fuumlr den die russische Fuumlhrung eine maszliggebliche Verantwor-tung traumlgt Wichtige Vertreter dieser Fuumlhrung spielen eine Schluumlsselrolle im Petersburger Dialog einschlieszliglich des fruumlheren Ersten Stellvertretenden Ministerpraumlsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden von Gazprom Wiktor Subkow der der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs ist Vor diesem Hin-tergrund moumlchten wir nicht durch unsere Teilnahme dazu beitragen dass eine Normalitaumlt in den deutsch-russi-schen Beziehungen simuliert wird die es derzeit wegen des Angriffs auf die politische Souveraumlnitaumlt und territo-riale Integritaumlt der Ukraine nicht geben kann

Wir waren und sind weiter sehr an einem offenen Dialog uumlber deutsch-russische Belange in einem gesamteuropaumli-schen Kontext interessiert und halten ihn fuumlr eine Bedingung guter Nachbarschaft und Kooperation Ein solcher Dia-log muss aber auch von beiden Seiten gewollt und ermoumlglicht werden Er darf zugleich nicht zum Nachteil Dritter gefuumlhrt werden Angesichts der aktuellen Lage und der bereits bekannt gewordenen Programmvorschlaumlge fuumlr Sotschi sehen wir auch diese Voraussetzung gefaumlhrdet

Dessen ungeachtet werden wir jede Moumlglichkeit nutzen unsere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Grup-pen und anderen Akteuren in Russland zu vertiefen und dieses Potential in einen bilateralen und europaumlischen Dia-log einzubringenMit freundlichen GruumlszligenRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter Politik Greenpeace eVQuelle lthttpwwwaustauschorgaktuelle-meldungennewsdetailarticle1offener-brie-1htmlno_cache=1ampcHash=0428c5bffdgt

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offener Brief des Vorsitzenden des Petersburger Dialogs vom 13 oktober 2014

AnRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich-Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace eVBerlin 13 Oktober 2014Ihr Schreiben vom 10 Oktober 2014Sehr geehrte Damen und HerrenIhren offenen Brief habe ich erhalten Dass Sie einen Brief aumlhnlichen Inhalts zunaumlchst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Auszligenminister verschickt haben verwundert mich Sie geben damit fuumlr die zivilgesell-schaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung die Sie fuumlr die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren

Ihre Nichtbeteiligung am Petersburger Dialog bedaure ich Denn es entspricht der Uumlberzeugung der meisten Mit-glieder des Vorstandes und des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs dass gerade angesichts zweifellos vorhan-dener Probleme fuumlr die Zivilgesellschaft die Sie teilweise benennen die offensive Auseinandersetzung zu solchen The-men gesucht werden muss Indem man sich solchen Gespraumlchen entzieht schadet man den Interessen der Betroffenen

Sie schreiben der Petersburger Dialog sei im Inneren zu reformieren da er von Vertretern aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert sei Diese Feststellung ist falsch und Sie wissen das Das auch in der Satzung des Petersbur-ger Dialogs beschriebene Konzept des Dialogs beruht auf einem breiten Gedankenaustausch aller gesellschaftlichen Kraumlfte Dazu gehoumlren die Bereiche Kultur Medien Bildung Wissenschaft und Kirchen genauso wie zahlreiche im Bereich der politischen sowie der sozialen Menschenrechte engagierte Einrichtungen die in ihrer Gesamtheit das deutsch-russische Verhaumlltnis beleben

Sie versuchen in Ihrem Brief den Petersburger Dialog auf das enge Feld einiger Vertreter der Zivilgesellschaft zu reduzieren die jenseits der korporierten Zivilgesellschaft angesiedelt sind und deren Interessenspektrum nur einen Teil des gesamten zivilgesellschaftlichen Engagements abdeckt

Ich verkenne nicht die ndash auch aber nicht nur ndash in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu Tage getretenen Probleme sowie die unterschiedlichen Folgen die sich aus einer raquogelenkten Demokratielaquo die in vielem nicht westli-chen Standards entspricht ergeben Dennoch Gemessen an weiten Bereichen der russischen Geschichte ist die Ent-wicklung seit 1991 ein Fortschritt Das daraus resultierende wenn auch im letzten Jahr stark eingetruumlbte Vertrauens-potential muss fuumlr die auf vielen Ebenen notwendigen Gespraumlchsforen genutzt und ausgebaut werden

Derartige Gespraumlche bedingen genauso Realismus wie intellektuelle Disziplin wozu auch gehoumlrt zu verstehen wie Russland die Probleme versteht Dies ndash und nicht Gespraumlchsverweigerung ndash ist die Voraussetzung um auf allen demokratischen gesellschaftlichen Ebenen ndash vom politischen Machtzentrum bis in die Randgruppen hinein ndash pro-blemorientierte Gespraumlche fuumlhren zu koumlnnen Dabei darf keine Seite fuumlr sich in Anspruch nehmen legitimere Inte-ressen zu vertreten als die andere

Das heiszligt Ein Gespraumlch raquoauf Augenhoumlhelaquo nicht von oben herab nicht moralisch belehrend aber mit klaren und ehrlichen Argumenten Dabei duumlrfen wir nicht verschweigen welche gesetzgeberischen aber auch politisch-morali-schen Standards wir fuumlr eine demokratische Gesellschaft im europaumlischen Kontext fuumlr unabdingbar halten

Der Petersburger Dialog wurde aus guten Gruumlnden als deutsch-russische Gemeinschaftseinrichtung konzipiert Da ist eine ndash oft muumlhsame ndash Kompromissfindung unausweichlich Dies ist Teil des Wertes auch der Tiefe aber auch der moralischen Qualitaumlt des Dialogs Das Ringen um kompromissfaumlhige Konzepte muss unser Anliegen bleiben nicht Vorverurteilung und GespraumlchsablehnungMit freundlichem GruszligDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des Vorstands Petersburger Dialog e VQuelle Website des Petersburger Dialogs lthttpwwwpetersburger-dialogcomoffener-brief-vom-13-oktober-2014gt

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offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

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9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

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14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

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ISSN 1613-3390 copy 2014 by Forschungsstelle Osteuropa BremenForschungsstelle Osteuropa bull Publikationsreferat bull Klagenfurter Str 3 bull 28359 Bremen bull Telefon +49 421-218-69600 bull Telefax +49 421-218-69607

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

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  • Analyse
    • Eine neue Phase der Russland- und Ostpolitik hat begonnen
      • Karsten D Voigt Berlin
      • Umfrage
        • Die Russland-Ukraine-Krise in russischen Umfragen
          • Aus russischen Blogs
            • Nawalnyj Krim nasch
              • Analyse
                • Zivilgesellschaft und Staat in Russland
                  • Pavel Chikov Moskau
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                      • Jens Siegert Moskau
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                          • Marina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin
                          • Umfrage
                            • Uumlber die Zivilgesellschaft in Russland
                              • Dokumentation
                                • Luumlgen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des JustizministeriumsErklaumlrung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL
                                  • Notizen aus Moskau
                                    • Petersburger Dialog
                                      • Jens Siegert Moskau
                                      • Dokumentation
                                        • Briefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo
                                          • Chronik
                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 10: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 10

grafik 12 Unterstuumltzen sie die massenproteste (raquofriedensmaumlrschelaquo) gegen die russische einmischung in innere Angelegenheiten der Ukraine

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 September 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 25 September 2014 unter lthttpwwwlevadaruprint25-09-2014marshi-miragt

0 20 40 60 80 100

Mrz2014

Sep2014

Auf jeden Fall Eher ja Keine Antwort Eher nein Auf keinen Fall

Die haltung gegenuumlber den fluumlchtlingen aus der Ukraine

Quelle Umfragen des WZIOM vom 20ndash21 September 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 26 September 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=114994gt

grafik 13 gibt es in ihrer stadt siedlung fluumlchtlinge aus der Ukraine

0 20 40 60 80 100

Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja viele ukrainische Fluumlchtlinge Ja wenige ukrainische Fluumlchtlinge Keine Antwort Nein keine ukrainischen Fluumlchtlinge

Quelle Umfragen des WZIOM vom 20ndash21 September 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 26 September 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=114994gt

grafik 14 leistet russland den ukrainischen fluumlchtlingen ausreichende hilfe

Russland leistet den Fluumlchtlingen

ausreichende Hilfe67

Russland leistet den Fluumlchtlingen zu geringe

Hilfe4

Russland leistet den Fluumlchtlingen zu viel Hilfe

24

Keine Antwort5

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AUS RUSSISchEN BLOGS

nawalnyj krim nasch1

Seit Maumlrz 2014 steht Alexej Nawalnyj wegen des sogennanten raquoYves-Rocher-Fallslaquo unter Hausarrest Dem opposi-tionellen Politiker wurde per Gerichtsbeschluss verboten seine Wohnung zu verlassen sowie mit jeglichen Perso-

nen auszliger dem engen Familienkreis zu sprechen Interviews zu geben und das Internet zu nutzen Seitdem fuumlhrt das Team der raquoStiftung fuumlr die Korruptionsbekaumlmpfunglaquo (russ raquoFBKlaquo) seinen Blog und seine Frau seinen Twitter-Account Anfang Oktober milderte das Gericht des Moskauer Basmannyj-Rayons (Basmannyj-Gericht) uumlberraschenderweise die Bedingungen des Hausarrests in Bezug auf Kontakte mit der Auszligenwelt was nach mehreren Monaten Journalis-ten wieder einen Zugang zur Schluumlsselfigur der russischen Protestbewegung ermoumlglichte

Das Interview fuumlr Echo Moskwy vom 15 Oktober in dem Nawalnyj sich unzweideutig zur Annexion der Krim aumluszligerte erregte in Russland uumlberaus groszlige Aufmerksamkeit Wie im Nachhinein aus der Redaktion von Echo Moskwy verlautet wollte Michail Lesen Chef der Holding Gazprom-Media die zwei Drittel der Aktien des Radiosenders besitzt die Veroumlffentlichung dieses Interviews auf alle erdenkliche Weise verhindern er habe der stellvertretenden Chefre-dakteurin Olesja Rjabzewa per Telefon mit groszligen Problemen gedroht wie diese in ihrem Blog berichtet Das Inter-view schlug in der liberalen Oumlffentlichkeit wie eine Bombe ein da Nawalnyj die Ruumlckgabe der Krim an die Ukraine eindeutig ausschloss Auf die Frage des Chefredakteurs des Radiosenders Alexej Wenediktow raquoKrim naschlaquo (Ist die Krim unser) sagte der Oppositionelle Folgendes raquoIch finde dass obwohl die Krim unter eklatanten Verstoumlszligen gegen alle voumllkerrechtlichen Normen erobert wurde die Realien derart sind dass die Krim jetzt ein Teil der Russischen Foumlderation ist Machen wir uns doch nichts vor Den Ukrainern rate ich ebenfalls ausdruumlcklich sich nichts vorzu-machen Sie [die Krim Anm d Red] bleibt Teil Russlands und wird in absehbarer Zukunft kein Teil der Ukraine werdenlaquo Diese Aussage loumlste auf Twitter einen massiven raquoShitstormlaquo aus Kurz nach dem Interview schloss sich auch Michail Chodorkowskij der Position Nawalnyjs an und sagte raquoDie Krim gebe ich nicht zuruumlcklaquo (lthttpgraniruPol iticsRussiaPartiesm234009htmlgt) Im Zuge heftiger Debatten in den Blogs teilte sich die liberale Oumlffentlichkeit Russlands in Nawalnyj-Versteher und harsche Kritiker der Krim-Annexion es meldeten sich unter anderem zu Wort Grigorij Golosow Professor an der Europaumlischen Universitaumlt St Petersburg Sergey Davidis Buumlrgerrechtler und enger Verbuumlndeter Nawalnyjs in der Protestbewegung Alexander Osowzow Projektdirektor der Stiftung von Michail Cho-dorkowskij raquoOffenes Russlandlaquo Wladislaw Naganow Mitglied der Nawalnyj-Partei raquoPartei des Fortschrittslaquo der Jour-nalist und Publizist Alexander Sotnik der russischsprachige Kiewer Journalist Mustafa Nayyem und der Kriegskor-respondent Arkadij Babtschenko

eine situation ohne guten AuswegraquoNawalnyj stellt alles richtig dar zu vielen Fragen laumlsst sich derzeit kaum etwas Besseres sagen Er ist ein begabter Mensch ein geborener Politiker Das Schlimme ist dass Russland ihn unter Hausarrest haumllt Alle gehen ihn hier an mit der Krim Man muss aber dabei im Kopf behalten dass es Putin war der die ukrainischen Probleme fuumlr Russland geschaffen hat und Nawalnyj nach einem guten Ausweg aus einer schlechten Lage zu fragen ist nicht besonders fair Die Krim bedeutet eine Situation ohne guten Ausweg Fuumlr den Besitz der Krim werden wir ndash alle zusammen oder jeder einzelne aus eigener Tasche ein Vielfaches von dem zahlen muumlssen was es gekostet haumltte jeden Quadratmeter auf der Halbinsel zu kommerziellen Preisen als Eigentum zu erwerben und alle Bewohner die dann nicht bleiben wollen an die Cocircte drsquoAzur umzusiedeln Putin hat das Geschaumlft bereits abgeschlossen Selbst Nawalnyj kann es nicht stornierenlaquoGrigorij Golosow via Snobru 16102014 lthttpslonrurussiapochemu_navalnyy_prav-1172360xhtmlgt

raquoAlle haben sich auf nawalnyj gestuumlrzthelliplaquoraquoIch habe in seinen Worten keinen Imperialismus erkennen koumlnnen er stimmt der Besetzung und Annexion der Krim nicht zu weist im Gegenteil auf deren krasse Rechtswidrigkeit hin Er hat gesagt dass Krim jetzt de facto zu Russ-land gehoumlrt [hellip] Er sagt dass man sie nicht wie ein Butterbrot zuruumlckgeben kann dass das die Bevoumllkerung entschei-den sollte was gibt es da zu bestreiten Selbst bei der Annexion gab es ein Schein-Referendum Und wenn man nicht autoritaumlr und rechtswidrig vorgeht sondern fair und demokratisch wer anders als die Bevoumllkerung sollte dann ent-scheiden [hellip]

Was ich in der Aumluszligerungen Alexejs nicht gutheiszligen wuumlrde ist der Stil Man sollte jetzt auf Ratschlaumlge fuumlr die Ukrainer lieber verzichten insbesondere bei einer solchen Frage Man sollte nicht davon reden dass Krim rsaquoin absehba-

1 dt Die Krim ist unser

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 12

rer Zukunft kein Teil der Ukraine werdenlsaquo wird auch wenn es scheint als ob die Ergebnisse eines jeden Referendums vorhersehbar sind Schlieszliglich tragen wir alle selbst diejenigen die dagegen waren zu einem gewissen Grad eine Ver-antwortung bei der Aggression des Kreml gegen die Ukraine und trotz allem stehen wir in den Augen der Ukrainer vollkommen zurecht als Buumlrger eines Aggressorstaates da Etwas mehr Ruumlcksicht und Fairness waumlre nicht verkehrtlaquoSergej Davidis auf Facebook 15102014 lthttpswwwfacebookcomsergeidavidisposts800840943304969gt

raquoDer Drache gewinnt in jedem falllaquoraquoBezuumlglich der Krim bin ich mit Nawalnyj kategorisch nicht einverstanden und finde dass gerade Russland der Ukraine die annektierte Krim zuruumlckgeben sollte vor allem weil niemand auch kein Land ein normales Leben fuumlh-ren kann ohne zu versuchen die Folgen eines von ihm begangenen Verbrechens nach Moumlglichkeit zu korrigieren Das waumlre genauso als wenn Alexejs rsaquoLieblingsfigurenlsaquo ndash Timtschenko Jakunin die Rotenbergs usw ndash eines schoumlnen Tages sagen wuumlrden rsaquoWir klauen jetzt nicht mehr wir sind jetzt ehrliche Leute Aber was wir vorher zusammenge-klaut haben das gehoumlrt bereits uns und das behalten wirlsaquo Eine solche Idee wuumlrde Nawalnyj kaum zufriedenstellen

Die Diskussion um Nawalnyjs Position die jetzt stattfindet zeigt aber aus meiner Sicht sehr ernst zu nehmende moralische und ethische Probleme innerhalb eines Teils der russischer Opposition auf Die einen die gestern noch mit harten Worten die rsaquoKrimnaschistenlsaquo beschimpft haben und so schien es bereit waren rsaquoWatniki und Koloradylsaquo2 in Stuumlcke zu zerreiszligen sind nun durch der rsaquoHetze der liberalen Presse gegen Nawalnyjlsaquo empoumlrt [hellip]

Ich moumlchte denjenigen fuumlr die jedweder Meinungsunterschied zu Nawalnyj ein Anschlag auf das Allerheiligste ist Folgendes sagen Beruhigt euch versucht zu verstehen dass es dumm und aussichtslos fuumlr das Land waumlre rsaquoPuti-noidelsaquo durch rsaquoNawalnoidelsaquo auszutauschen So wie in dem alten vietnamesischen Maumlrchen uumlber den Drachen und das Schwert aus grauem Stahl Es gewinnt immer der DrachelaquoAlexander Osowzow auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcomosovtsovaaposts1568393260047754gt

raquoman darf sie nicht hin und her zuruumlckgebenlaquoraquoAlle die Nawalnyj fuumlr seine Worte rsaquoIst die Krim etwa ein Wurstbrot dass man es hin und her zuruumlckgeben koumlnntelsaquo kritisieren moumlchte ich fragen Wie stellt ihr das uumlberhaupt vor

Der Praumlsident Russlands unterschreibt einen Erlass uumlber die Ruumlckgabe der Krim und Sewastopols an die Ukraine Uumlber die Entziehung der russischen Staatsbuumlrgerschaft bei allen Bewohnern der Krim und Sewastopols Oder kann man den Menschen die russische Staatsbuumlrgerschaft belassen und nur das Territorium ndash mit ihnen ndash uumlbergeben Fragt irgendjemand die Menschen was sie wollen bevor man etwas mit ihnen macht Oder werden die Einwohner der Krim und Sewastopols nicht fuumlr Menschen gehalten sondern fuumlr Vieh fuumlr eine Schafherde die zwischen verschie-denen Staaten hin und her rsaquouumlbergebenlsaquo werden kann Der eine Praumlsident hatte Lust und nahm es sich der andere hat sich anders uumlberlegt und gibt es wieder zuruumlckt So etwa

Sollte man nicht doch besser die Menschen fragen Hat Nawalnyj das etwa nicht selbst gesagt als er von einem rsaquonormalenlsaquo Referendum auf der Krim sprach Ich verstehe unter einem rsaquonormalenlsaquo Referendum eines das nicht nur 15ndash20 Tage vorbereitet wird sondern mindestens drei Monate Und bei dem es keine Einschraumlnkungen fuumlr die Kam-pagne gibt Die Anhaumlnger einer Zugehoumlrigkeit der Krim und Sewastopols zur Ukraine wollen hierfuumlr agitieren mit Plakaten Flugblaumlttern Werbevideos ukrainischen Fahnen ndash bitte schoumln Ohne Einschraumlnkungen Und dass alle moumlg-lichen Wahlbeobachter zum Referendum kommen koumlnnen von der OSZE von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates von der GUS aus der Ukraine der EU und den USA von uumlberall her Und dass ein transparenter Ablauf der Stimmenzaumlhlung gewaumlhrleistet werde Und wenn jemand von den Wahlbeobachtern ein Nachzaumlhlen der Stimmen per Hand verlangt ndash bitte schoumln mehrmals so oft wie gewuumlnscht Und uumlberhaupt Lasst so viele Wahlbe-obachter in jedes Wahllokal wie dort Platz ist Und keinerlei bewaffnete Menschen mit Maschinenpistolen in kei-nem einzigen Wahllokal oder dessen UmgebunglaquoWladislaw Naganow auf Livejournal 16102014 lthttpnaganofflivejournalcom142862htmlgt

liebe raquonawalnistenlaquoraquoAlso Fuumlr die verehrten rsaquoNawalnistenlsaquo die sich wegen Alexej so aufregenhellip

2 raquoWatnikilaquo (Wattejacken) ndash abfaumlllige Bezeichnung fuumlr russische sbquoHurrapatriotenlsquo (ein raquoWatniklaquo ist eine Wattejacke die mit der Armee aber auch mit Straumlflingen assoziiert wird) raquoKoloradylaquo (von raquo koloradskij shuklaquo ndash Kartoffelkaumlfer) ndash abfaumlllige Bezeichnung fuumlr prorussische Akti-visten in der Ukraine (die Faumlrbung des Kaumlfers ist schwarz-gelb oder schwarz-orange gestreift aumlhnlich den Farben des St Georgs-Bandes das von prorussischen Kraumlften in der Ukraine und von politisch rechtsstehenden Russen als Abzeichen verwendet wird)

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Ja eurer rsaquoFuumlhrerlsaquo ist Imperier Daraus hat er kein Geheimnis gemacht Er ist bei der Krim-Frage ein absoluter Putin Weil er wenn er einer anderen Ansicht waumlre Wenediktow Folgendes gefragt haumltte rsaquoVon welcher Krim reden Sie denn Von der die zur Ukraine gehoumlrt womit Russland einverstanden war als es das Budapester Abkommen unterschrieben hat Sie fragen mich uumlber die territoriale Integritaumlt eines Staates dem Russland Garantien gegeben hat wonach die Ukraine zum atomwaffenfreien Land geworden ist Haumltte Russland seinerzeit diese Garantien nicht gegeben haumltte die Ukraine jetzt Atomraketen und wir wuumlrden es niemals riskieren uns dort einzumischenhellip Sie fragen also nach Quatsch und zwar provokantem Quatschlsaquo

Wenn er also auf diese Weise geantwortet haumltte dann ja Dann waumlre er als Politiker geboren worden Er hat sich aber ausgenullt Wie seinerzeit Udalzow

Und noch etwa Verehrte rsaquoNawalnistenlsaquo houmlrt auf euch Goumltzen zu schaffen Viele von euch waren auf dem rsaquoFrie-densmarschlsaquo zur Unterstuumltzung der territorialen Integritaumlt der Ukraine Verliert das Gesicht nicht Trefft eine Wahl ohne Bindung des Herzens Und all die Argumente rsaquoer habe es nicht so gesagt er habe etwas anderes gemeintlsaquo das ist im Stil von rsaquoPutinistenlsaquo und zwar rsaquoUnser Fuumlhrer hat alle ausgetrickst Das eine gesagt was anderes getan Sie haben seinen Weisheiten schlecht zugehoumlrtlsaquohellip

Seid keine Kinder Werdet erwachsenlaquoAlexander Sotnik auf Facebook 15102014 lthttpswwwfacebookcomsashasotnikposts646414272138108gt

raquorandfigur russischer PolitiklaquoDa Alexej Nawalnyj recht offen seine Meinung zur Krim geaumluszligert hat [hellip] waumlre es auch fuumlr den Oppositionellen selbst sinnvoll das Geheimnis uumlber seine Lage zu luumlften Ich finde dass abgesehen davon dass die Rechte von Ale-xej Nawalnyj lange Jahre verletzt wurden und er nach himmelschreiender Verletzung aller Gesetzesnormen der Rus-sischen Foumlderation verurteilt wurde die Realitaumlt so aussieht dass Herr Nawalnyj eine Randfigur der russischen Poli-tik ist Ich rate ihm und seinen Anhaumlngern eindringlich sich nichts vorzumachen ndash sie haben in absehbarer Zukunft keine Chance bedeutende Figuren in der groszligen Politik zu werden Das waumlre ebenfalls ehrlichMustafa Nayyem auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcomMustafanayyemposts10203171638717866gt

raquoWas wollen sie Pardon zuruumlckgebenlaquoraquoWas fuumlr spannende Eskapaden nun zu dieser Krimhellip rsaquoDie Krim ist kein Wurstbrotlsaquo meint Nawalnyj rsaquoWenn ich Prauml-sident werde gebe ich Krim nicht zuruumlcklsaquo schreibt Michail Chodorkowskij auf Twitter [hellip]

Russland hat einen Teil eines souveraumlnen Staates okkupiert Diese Okkupation ist von keinem anderen Staat in der Weltgemeinschaft anerkannt worden In der ganzen Welt hat sich die ukrainische Grenze nicht um einen Zen-timeter veraumlndert Die Welt kennt keinen anderen Staat rsaquoUkrainelsaquo auszliger diesen ndash mit der Krim Die Welt kennt kei-nen anderen Staat rsaquoRusslandlsaquo auszliger diesen ndash ohne die Krim Es hat keine Vertraumlge zur Anerkennung und Bestaumltigung neuer Grenzen gegeben

Was also wollen Sie Verzeihen Sie die Frage rsaquozuruumlckgebenlsaquo [hellip]Und zweitens Das wichtigsteWenn du Praumlsident wirst ndash eben Praumlsident ndash waumlre in diesem Koordinatensystem schon eine solche Fragestellung

rsaquoabgeben oder nichtlsaquo per definitionem undenkbar Denn der Praumlsident ist ein gewaumlhltes Amt Ein Amt das im Rah-men fairer und freier Wahlen besetzt wird die in einem demokratischen Land nach internationalen Regeln Konven-tionen Rechten und Gesetzen die durch die Weltgemeinschaft als korrekt anerkannt werden [hellip] In dieser Situa-tion wuumlrde sich die Frage rsaquozuruumlckgeben oder besser nochmal uumlberlegenlsaquo a priori nicht stellen Weil nicht du es bist der uumlber zuruumlckgeben oder nicht entscheidet Du bist kein Lenker des Schicksals von Staaten Laumlndern und Voumllkern Du bist bloszlig Garant der Ausfuumlhrung von Gesetzen Einschlieszliglich internationaler Gesetze Fuumlr alle die daruumlber anders dachten ist die Moumlglichkeit geschaffen worden uumlber ihre Fehler nachzudenken ndash in den schoumlnen Staumldten Nuumlrnberg und Den HaaglaquoArkadij Babtschenko auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcombabchenkoaposts555934824506755fref=nfgt

Ausgewaumlhlt und zusammengefasst von Sergey Medvedev Berlin (Die Blogs auf die verwiesen wird sind in russischer Sprache verfasst)

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ANALYSE

zivilgesellschaft und staat in russlandPavel Chikov Moskau

zusammenfassungDie Zivilgesellschaft befindet sich heute in Russland in einem schlechten Zustand Sie entwickelte sich Ende der 1980er Jahre und genoss bis Ende der 1990er Jahre weitgehende Freiheiten 1999 gab es erste staatliche Eingriffe und 2004 kennzeichnete Praumlsident Putin aus dem Ausland finanzierte NGOs direkt als raquoFeindelaquo In den folgenden Jahren wurde die Gesetzgebung verschaumlrft die Registrierung von NGOs erschwert den-noch gab es bis zur Ruumlckkehr Putins in das Praumlsidentenamt im Jahre 2012 kein ernstliches Vorgehen der Behoumlrden gegen die NGOler Mit der ultrakonservativen Wende des Jahres 2012 begann der Staat auch verstaumlrkt gegen die NGOs vorzugehen Heute auch nach den Ereignissen in der Ukraine ist weithin klar geworden dass Wladimir Putin bei seiner Orientierung auf einen extremen Konservatismus auch vor Re-pressionen gegen Nichtregierungsorganisationen nicht zuruumlckscheut

Die entstehung der zivilgesellschaft ende der 1980er JahreDer Zustand der Zivilgesellschaft in Russland laumlsst sich heute mit nur einem Wort charakterisieren schlecht Mehr noch Er ist schlechter denn je in der neuesten Geschichte Russlands wenn man davon ausgeht dass es zu sowjetischer Zeit keine nennenswerte Zivilgesell-schaft gegeben hat Die vereinzelten sowjetischen Buumlr-gerrechts- und Dissidentengruppen deren Mitglieder von den Geheimdiensten aufs engste uumlberwacht wurden lassen sich naumlmlich nur mit groumlszligter Muumlhe als Zivilge-sellschaft bezeichnen

Eine legale Existenz vom Staat unabhaumlngiger Nicht-regierungsorganisationen begann in Russland ungefaumlhr in jener Zeit als West- und Ostdeutschland wiederver-eint wurden Ende der 1980er und in der ersten Haumllfte der 1990er Jahre wurden zum einen die bereits erwaumlhn-ten sowjetischen Dissidentengruppen dann aber auch jene Initiativgruppen die auf der Welle der Perestroika unter Gorbatschow entstanden waren und nun als Orga-nisationen auftraten zur Basis der kuumlnftigen Zivilgesell-schaft Diese Gruppen erreichten dass Kuibyschew in Samara und Gorkij in Nishnij Nowgorod umbenennt wurde und sie beteiligten sich engagiert an den Wahlen der Volksdeputierten beseitigten verschiedenste Relikte der sowjetischen Vergangenheit wurden zu Meinungs-fuumlhrern der Gesellschaft organisierten erstmals recht-liche Hilfe fuumlr die schwaumlchsten Bevoumllkerungsgruppen

Die ersten Gesetze die die Taumltigkeit von NGOs sys-tematisch regulierten entstanden in den Jahren 1995 und 1996 Sie wurden auf der Houmlhe der allgemeinen Demokratisierung verabschiedet schrieben die grundle-genden buumlrgerlichen Freiheiten fest sahen eine Registrie-rung per Anmeldung keinerlei Rechenschaftspflichten sowie die Moumlglichkeit vor ohne Registrierung als juristi-sche Person taumltig sein zu koumlnnen Hierbei konnten rund zwei Dutzend verschiedener Rechtsformen genutzt wer-den Eine gesellschaftliche Organisation (NGO) regis-

trieren zu lassen bedeutete keine Muumlhe und die staat-lichen Gebuumlhren hierfuumlr waren minimal Gleichzeitig gab es jedoch keinerlei System fuumlr eine finanzielle Foumlrde-rung von nichtkommerziellen Organisationen (NGOs) durch den Staat

erste eingriffe des staatesDie ersten Zeichen die von kuumlnftigen Problemen fuumlr NGOs kuumlndeten erfolgten im Jahr 1999 als das Justiz-ministerium eine Neuregistrierung aller aktiven nicht-kommerziellen Organisationen (NGOs) verlangte Damals sahen sich einige Menschenrechtsorganisatio-nen erstaunlichen Beanstandungen durch die Behoumlrden gegenuumlber Wie sich herausstellte sollte es nicht moumlg-lich sein den Schutz der Menschenrechte und buumlrgerli-chen Freiheiten zu den satzungsgemaumlszligen Zielen zu zaumlh-len Die Fachleute des Justizministeriums behaupteten Da der Schutz der Menschenrechte gemaumlszlig der Verfas-sung die Pflicht des Staates ist koumlnnten NGOs diesen darin allenfalls sbquounterstuumltzenlsquo Das ist die Erklaumlrung dafuumlr dass die meisten Moskauer Organisationen bei ihren Namen und in ihren Satzungen bis heute diese Formulierung verwenden die offensichtlich eine klare paternalistische Botschaft an die Gesellschaft darstellt Zivilgesellschaftliche Organisationen koumlnnen ndash so die Haltung der russischen Regierung seit 1999 und bis jetzt ndash nichts selber machen Sie koumlnnen lediglich den Staat unterstuumltzen Folglich stoszligen NGOs wenn sie sich gegen die Politik des Staates wenden auf unweiger-lichen vaumlterlichen Zorn Die 15 Jahre nach 1999 illus-trieren diese Haltung sehr deutlich

nichtregierungsorganisationen als raquofeindelaquo2004 hat Praumlsident Putin in seiner jaumlhrlichen Parla-mentsansprache Nichtregierungsorganisationen die auch nur irgendwelche Gelder aus dem Ausland erhalten direkt seine Feinde genannt 200405 wurde eine spe-zielle staatliche Struktur der raquoFoumlderale Dienst fuumlr Regis-

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trierunglaquo (raquoRosregistrazijalaquo) geschaffen ndash eine Polizei fuumlr NGOs Es wurden fuumlr NGOs Rechenschaftspflich-ten uumlber ihre Taumltigkeit eingefuumlhrt die fuumlr zwei Drit-tel der Organisationen nicht zu stemmen waren Von 2006 bis 2008 hat diese dem Justizministerium nach-geordnete Behoumlrde die Aufloumlsung Zehntausender zivil-gesellschaftlicher Organisationen per Gerichtsbeschluss erwirkt Weitere 50000 erhielten Verwarnungen Ins-gesamt befanden sich beim Amtsantritt des Zwischen-praumlsidenten Medwedew achtzig Prozent der in Russland existierenden Organisationen (ungefaumlhr 150ndash180000) nur einen Schritt von ihrer moumlglichen Aufloumlsung (aus formalen Gruumlnden) durch das Justizministerium ent-fernt Staatsfreundliche Strukturen (wie etwa die Gesell-schaftskammer) haben beharrlich die Vorstellung trans-portiert dass es in Russland tatsaumlchlich nicht mehr als 30000 gesellschaftliche Organisationen (NGOs) gebe Das Anhalten der repressiven Maschine gegen NGOs war eine der wenigen liberalen Zugestaumlndnisse Dmitrij Medwedews als Praumlsident raquoRosregistrazijalaquo wurde 2008 selbst aufgeloumlst und seine Funktionen zur Kontrolle der Nichtregistrierungsorganisationen direkt dem Justiz-ministerium uumlbertragen Viele ehemalige Mitarbeiter von raquoRosregistrazijalaquo einschlieszliglich des Behoumlrdenlei-ters wechselten zur Staatsanwaltschaft

2009 und 2010 ritten die Behoumlrden nur vereinzelte Angriffe auf Nichtregistrierungsorganisationen Ein besonders bekannter Fall war die blitzartige staatsan-waltschaftliche Uumlberpruumlfung von 40 Menschenrechtsor-ganisationen im September 2010 die auf Anweisung der Praumlsidialadministration erfolgte diese wollte vor dem Treffen der Leiter der Kommission von Wladislaw Sur-kow und Michael MacFaul kompromittierende Mate-rialien uumlber aus dem Ausland finanzierte Organisatio-nen praumlsentieren Insgesamt aber hat bis zur Ruumlckkehr Putins in das Praumlsidentenamt kein ernstliches Vorgehen der Behoumlrden gegen die NGOler gegeben

Die situation der zivilgesellschaft nach dem mai 2012Die Situation aumlnderte sich grundlegend im Mai 2012 nach der dritten Inauguration Putins die von Mas-senprotesten auf dem Bolotnaja-Platz begleitet wurde denen die bis heute andauernden sogenannten Bolot-naja-Verfahren folgten naumlmlich die strafrechtliche Ver-folgung und Verurteilung zu Gefaumlngnisstrafen von Teil-nehmern der regierungskritischen Demonstration vom 6 Mai 2012 Die Praumlsidialadministration wappnete sich mit der ultrakonservativen Politik einer demonstrativen Absage an liberale Werte fuumlr den Praumlsidenten wurde das Image eines Verteidigers traditioneller Werte aufgebaut die den Menschenrechten und buumlrgerlichen Freiheiten gegenuumlbergestellt werden

Die weitgehenden Beschraumlnkungen der Versamm-lungsfreiheit die Verfolgung von Schwulen und Les-ben die Angriffe auf die Redefreiheit im Internet die Herstellung staatlicher Kontrolle uumlber die Medien die Diskreditierung des Instituts der Wahlen wurden durch eine Kampagne zur Verfolgung von Nichtregierungsor-ganisation ergaumlnzt Diese Welle wurde unter der Losung losgetreten dem Einfluss aus dem Ausland entgegenzu-wirken Sie erfolgte durch Aumlnderungen im Gesetz uumlber nichtkommerzielle Organisationen (NGOs) das Aumlnde-rungsgesetz wurde als raquoGesetz uumlber auslaumlndische Agen-tenlaquo bekannt Praumlsident Putin persoumlnlich ist bekann-termaszligen dessen geistiger Vater Im Verlauf des Jahres 2013 organisierte die Staatsanwaltschaft die vom Jus-tizministerium die Funktion der Kontrolle uumlber Nicht-regierungsorganisationen uumlbernommen hatte die Uumlber-pruumlfung von rund tausend NGOs und lieszlig sich dabei lediglich von einem Kriterium leiten naumlmlich der Frage ob eine Organisation in irgend einer Art Gelder aus irgendeiner Art auslaumlndischer Quelle erhaumllt die Ver-einten Nationen den Europarat und private Nichtre-gierungsstrukturen eingeschlossen Auch eine Reihe deutscher Stiftungen und Organisationen waren Atta-cken ausgesetzt naumlmlich die Friedrich-Ebert-Stiftung die Konrad-Adenauer-Stiftung und der Deutsch-Rus-sische Austausch

Ziel der von Generalstaatsanwalt Jurij Tschajka ini-tiierten Kampagne war es moumlglichst viele Organisa-tionen dazu zu noumltigen sich als auslaumlndischer Agent registrieren zu lassen Die Reaktion der russischen Zivil-gesellschaft laumlsst sich wohl als deutlichsten Beweis ihrer Existenz bezeichnen Nach dieser halbjaumlhrigen Kam-pagne in allen Regionen des Landes hatte sich keine einzige Organisation im Verzeichnis der raquoauslaumlndi-schen Agentenlaquo registrieren lassen Die Zivilgesellschaft hatte ndash ohne sich zu verabreden ndash die Anwendung die-ses Gesetzes sabotiert und Dutzende Organisationen zogen mit Beschwerden gegen das Vorgehen der Staats-anwaumllte vor Gericht Diese ewig langen Gerichtspro-zesse dauern bis heute an Involviert sind mittlerweile auch das Oberste Gericht das Verfassungsgericht der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte die Vene-dig-Kommission des Europarates der Menschenrechts-kommissar des Europarates und die Regierungschefs aller groszligen westlichen Staaten

Heute nach den diesjaumlhrigen Ereignissen in der Ukraine ist weithin klar gewonnen dass Wladimir Putin bei seiner Hingabe an extremen Konservatismus und bei seiner Attacke gegen liberale Werte die die Grundlage der Nachkriegsordnung dargestellt haben bei Repressionen gegen Nichtregierungsorganisationen nicht halt macht Heute in einer Situation da von jenem Moment wo im Kopf des Praumlsidenten oder von irgend

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jemandem in dessen engster Umgebung die naumlchste Idee zur Beschraumlnkung der Menschenrechte entsteht bis zur Verabschiedung und dem Inkrafttreten eines entsprechenden Foumlderalen Gesetzes nur eine Woche vergehen kann koumlnnen jene die Menschenrechtsar-

beit machen solche Schritte der Regierung weder aus-zuschlieszligen noch sie vorhersehen Es bleibt einem nur auf wirklich alle Szenarien gefasst zu sein auch auf die schlimmsten

Uumlbersetzung Hartmut Schroumlder

Uumlber den AutorPawel Chikow Vorsitzender der Interregionalen Assoziation der Buumlrgerrechtsorganisationen raquoAGORAlaquo Mitglied des Rats fuumlr die Entwicklung der Zivilgesellschaft und fuumlr Menschenrechte beim Praumlsidenten der Russischen Foumlderation

ANALYSE

ngos in russlandJens Siegert Moskau

zusammenfassungUnabhaumlngige russische NGOs sind seit Praumlsident Putins Amtsantritt Ziel staatlichen Drucks Die Auseinan-dersetzung mit diesem Druck hat bei den NGOs zu einer schrittweisen und beindruckenden Professionali-sierung beigetragen die wiederum geholfen hat trotz dieses Drucks nicht nur zu uumlberleben sondern auch ihre Arbeit weiter machen zu koumlnnen Das vor knapp zwei Jahren in Kraft getretene sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo stellt die NGOs vor eine neue harte Probe Zudem versucht der Staat erneut NGOs auch institutionell in raquogutelaquo und raquoboumlselaquo einzuteilen Dieser neue Versuch NGOs unter direkte staatliche Kontrol-le zu bringen gefaumlhrdet die Existenz unabhaumlngiger und staatskritischer NGOs in Russland

Putin und die ngosSeit Wladimir Putin vor nun schon fast 15 Jahren rus-sischer Praumlsident wurde versucht er sehr erfolgreich alle autonomen politischen Subjekte in Russland der direkten Kontrolle des Staates besser noch des Kremls zu unterwerfen In Wirtschaft und Politik ist das wei-testgehend gelungen Bei den Massenmedien sehr weit-gehend Blieben und bleiben die NGOs Sie haben sich als am widerstaumlndigsten erwiesen Das hat unterschied-liche Gruumlnde

Erstens galten NGOs im Kreml lange nicht als son-derlich gefaumlhrliche politische Bedrohung Das aumlnderte sich kurzzeitig 20042005 als der Kreml vor allem bei der sogenannten Orangenen Revolution in der Ukraine aus dem Ausland finanzierte NGOs als wichtige trei-bende Kraft der politischen Veraumlnderungen betrachtete Doch hielt diese seinerzeit stark uumlbertriebene Angst vor der Moumlglichkeit aumlhnlich raquoumstuumlrzlerischer Machen-schaftenlaquo in Russland nur recht kurz an Danach etwa ab Ende 2006 und bis zur Protestwelle gegen Wahlfaumll-schungen und die Wiederwahl von Wladimir Putin zum russischen Praumlsidenten im Winter 20112012 periodisch blieben die Aufmerksamkeit den NGOs gegenuumlber und das Verhaumlltnis zwischen Staat und NGOs ambivalent

Dieses Verhaumlltnis schwankt seit Putins Machtan-tritt zwischen dem Misstrauen des Staates allen auto-nomen potentiell eigenstaumlndigen politischen Subjekten gegenuumlber (die aus seiner Sicht streng kontrolliert gehouml-ren) und der Erkenntnis dass NGOs eine ganze Reihe wichtiger sozialer und politischer Funktionen ausfuumll-len die der Staat nicht oder nicht mehr zu gewaumlhrleis-ten in der Lage ist Auszligerdem erwiesen sich die NGOs nach weitgehender Abschaffung der Pressefreiheit und Gleichschaltung der (ohnehin schwachen und in vielen Bereichen dysfunktionalen) politischen Parteien fuumlr den Kreml als nuumltzlicher ja mitunter notwendiger Kommu-nikationskanal in die Gesellschaft

Die Uumlberlebensfaumlhigkeit der russischen ngosDas Uumlberleben unabhaumlngiger NGOs wurde bis heute auszligerdem durch ihre groszlige politische und institutio-nelle Lernfaumlhigkeit gewaumlhrleistet Unter dem staatli-chen Druck der vergangenen 15 Jahre ist die NGO-Arbeit in Russland in fast allen Bereichen professioneller geworden Das gilt insbesondere fuumlr die Einhaltung der in vielem widerspruumlchlichen oft geaumlnderten und uumlber Verwaltungsakte zu wahren buumlrokratischen Monstern

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aufgeblaumlhten die NGOs betreffenden Gesetze Kurz gesagt Vor allem Juristen Buchhalter Geschaumlftsfuumlh-rer die NGOs beraten oder in ihnen arbeiten aber auch viele Aktivisten sind schlicht besser schneller und pro-fessioneller als die staatliche Finanz- Justiz- oder sons-tige Verwaltung Einem in vielem legalistischen Staat gegenuumlber kostet diese staumlndige Professionalisierung (auch im Sinn einer Art raquolebenslangen Lernenslaquo) zwar viel Kraft und es muumlssen dafuumlr nicht geringe Ressour-cen eingesetzt werden aber sie verschafft solange es sich nicht um frontale Angriffe handelt immer wieder Raum und Zeit zum Weitermachen

Damit komme ich zum dritten Grund fuumlr die beson-dere Widerstaumlndigkeit von NGOs in Russland Es ist fuumlr einen Staat (und seine Staatsmaumlnner und -frauen) fuumlr den der Eigensinn der Menschen nur schwer vorstell-bar ist und der vom eigenen Zynismus geleitet hin-ter jedem und allem irgendwelchen raquofremden Maumlchtelaquo Verschwoumlrungen und politischen Utilitarismus vermutet ganz offenbar schwer vorstellbar dass zivilgesellschaftli-ches Engagement sozusagen aus sich selbst heraus oder aus einer bestimmten Situation oder einem bestimmten Ereignis einem Erlebnis oder einer Erfahrung heraus entsteht Administrative auch strafrechtliche Maszlig-nahmen gegen dieses Engagement laufen eben deshalb immer wieder zwar nicht voumlllig ins Leere (sie erschwe-ren dieses Engagement mitunter enorm) aber sie koumln-nen es nicht verhindern Es verlagert sich immer wieder und findet immer neue Formen und Foren

Die Verstaumlrkung der staatlichen kontrolleBis heute gab es unter Putin drei groumlszligere Versuche unab-haumlngige NGOs unter mehr oder weniger direkte staatli-che Kontrolle zu bringen und diejenigen die sich dagegen wehrten entweder zu marginalisieren oder auch zu schlie-szligen Der erste im Jahr 2001 endete mit einem oben schon angedeuteten Kompromiss der das Verhaumlltnis Kreml-NGOs in einem (allerdings jederzeit prekaumlren) Gleich-gewicht zwischen Konfrontation und Kooperation hielt

Der zweite Versuch endete in der Verabschiedung des raquoNGO-Gesetzeslaquo Ende 2005Anfang 2006 das den NGOs weitergehende Berichtspflichten auferlegte in der Praxis also Ressourcen band und bindet aber ebenfalls in der Praxis und entgegen anderslautenden Befuumlrchtungen nicht zu wesentlichen Einschraumlnkun-gen in der Arbeit russische NGOs fuumlhrte Die groumlszligte negative Wirkung dieses Versuches duumlrfte von zahlrei-chen oumlffentlichen Aumluszligerungen hochgestellter Politiker bis hin zu Putin ausgegangen sein NGOs seien raquoFeindelaquo raquoSchakale die um auslaumlndische Vertretungen streunenlaquo Dadurch wurde die Einstellung von Teilen der Gesell-schaft vor allem aber von weiten Teilen der Verwaltung zu NGOs grundsaumltzlich negativ gepraumlgt

Der dritte Versuch begann als Teil der staatlichen Reaktionen auf den Protestwinter 20112012 und haumllt bis heute an Sein wichtigster Bestandteil ist das soge-nannte raquoNGO-Agentengesetzlaquo das eigentlich kein eigenes Gesetz ist sondern aus einer Reihe dem NGO-Gesetz neu hinzugefuumlgter oder geaumlnderter Paragraphen besteht Diese Vorschriften verpflichten NGOs die raquosich politisch betaumltigenlaquo und Geld oder andere Zuwendun-gen aus dem Ausland erhalten sich beim Justizminis-terium als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren zu lassen Danach muumlssen sie jede oumlffentliche Aumluszligerung mit dem Zusatz raquoauslaumlndischer Agentlaquo versehen

Die Durchsetzung des AgentengesetzesTrotz erheblichen staatlichen raquoPressingslaquo der raquoUumlber-pruumlfunglaquo von mehr als 700 NGOs in ganz Russland durch Staatsanwaltschaft Justizministerium Finanz-amt und eine Reihe anderer Behoumlrden ab dem Fruumlhjahr 2013 hatte sich im Fruumlhjahr 2014 erst eine NGO als raquoauslaumlndischer Agentlaquo im entsprechenden Register des Justizministeriums eintragen lassen (lthttpunromin justruNKOForeignAgentaspxgt) Alle anderen selbst diejenigen NGOs die von den Behoumlrden als raquoAgentenlaquo eingestuft und teilweise mit empfindlichen Geldstra-fen belegt worden waren weigerten sich und weigern sich bis heute Viele NGOs klagten und klagen sowohl gegen das Gesetz als auch gegen die raquoUumlberpruumlfungenlaquo und die aus ihnen von den Justizbehoumlrden abgeleite-ten Bescheide und Anweisungen vor russischen Gerich-ten aber auch vor dem Europaumlischen Gerichtshof fuumlr Menschenrechte (EGMR) Eine Entscheidung des rus-sischen Verfassungsgerichts hat die raquoAgentenparagra-phenlaquo fuumlr verfassungskonform erklaumlrt wenn auch einige Einzelbestimmungen darunter die zu Mindeststrafen aufgehoben

Im Juni 2014 beschloss die Staatsduma eine Verschaumlr-fung der raquoAgentenlaquo-Paragraphen des NGO-Gesetzes Seither hat das Justizministerium das Recht NGOs auch ohne deren Zustimmung in das raquoAgentenlaquo-Register ein-zutragen Bis heute (21102014) hat es 15 NGOs getrof-fen Es ist damit zu rechnen das weitere folgen werden Justizminister Jurij Tschajka hat bereits 2013 im Foumlde-rationsrat von 24 NGOs gesprochen die nach Ansicht des Ministeriums raquoAgentenlaquo seien Auszligerdem wurden 2013 und 2014 mehr als 40 NGOs von der Staatsanwalt-schaft aufgefordert sich vorsorglich als raquoAgentenlaquo regis-trieren zu lassen da sie Geld aus dem Ausland bekaumlmen und Gefahr liefen sich raquopolitisch zu betaumltigenlaquo

Die reaktionen der ngos auf das AgentengesetzDie praktischen Reaktionen der NGOs auf diesen staat-lichen Druck sind unterschiedlich Einige NGOs wie

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die Wahlbeobachter von raquoGoloslaquo haben sich als juris-tische Personen aufgeloumlst oder sind wie die raquoJuristen fuumlr Verfassungsrechte und Freiheitlaquo dabei sich aufzu-loumlsen (ein juristisch und administrativ nicht ganz ein-facher und langwieriger Vorgang) Fast alle NGOs die sich aufloumlsen haben aber erklaumlrt ihre Arbeit auch ohne juristischen Status fortsetzen zu wollen Rechtlich ist das moumlglich Praktisch werden diese NGOs auf zahlreiche neue Probleme treffen wohl bis hin zur moumlglichen Kri-minalisierung einzelner Personen

Einige andere NGOs darunter das Menschenrechts-zentrum Memorial machen weiter wie bisher Sie fech-ten meist die Eintragung in das raquoAgentenregisterlaquo vor Gericht an (in der Regel ohne besonderen Erfolg) Das Menschenrechtszentrum Memorial aber auch einige andere NGOs wollen bis zum EGMR gehen unter ande-rem weil sie das Gesetz insgesamt fuumlr unmoralisch und verfassungswidrig haumllt

Eine weitere Reaktion ist eine Art Hase-und-Igel-Spiel mit den Behoumlrden Das kann sich in einem Geflecht von unterschiedlichen NGOs ausdruumlcken die unter-schiedliche Funktionen wahrnehmen Eine NGO macht politische Erklaumlrungen und betreibt Lobbying Ihre Aktivistinnen arbeiten ausschlieszliglich ehrenamt-lich Eine andere bekommt auslaumlndische Finanzierung fuumlr Projekte die auch nach der Definition von Staatsan-waltschaft und Justizministerium nicht raquopolitischlaquo sind Wieder andere NGOs weichen auf Organisationsformen (juristische Personen) jenseits des NGO-Gesetzes aus die dann nicht den raquoAgentenparagraphenlaquo unterliegen

Der Vorstoszlig gegen memorialAllerdings beschraumlnkt sich die staatliche Behinderung und Bedrohung von NGOs nicht auf das relativ neue Agentengesetz Alle anderen laumlnger erprobten adminis-trativen bis strafrechtlichen Instrumente bleiben eben-falls im Einsatz Juumlngstes und bekanntestes aber bei weitem nicht einziges Beispiel ist der Schlieszligungsan-trag des Justizministeriums vor dem Obersten Gericht gegen raquoMemorial Russlandlaquo raquoMemorial Russlandlaquo ist ein Netzwerk aus rund 50 regionalen und thematischen Memorial-Organisationen und selbst eine von mehr als 60 Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Internatio-nallaquo (Zum Memorial-Netzwerk siehe lthttprusslandboellblogorg20141011wie-funktioniert-memorial-ein-kleiner-wegweiser-durch-eine-zugegeben-kompli zierte-strukturgt) Bei einer der regelmaumlszligigen Pruumlfun-

gen stellte das Justizministerium Anfang 2012 also vor Beginn der jetzigen Repressionswelle gegen NGOs fest dass die seit Gruumlndung der Organisation geltende konfouml-derative Struktur von raquoMemorial Russlandlaquo raquonicht dem Gesetz entsprechelaquo und geaumlndert werden muumlsse Insbe-sondere behagt dem Justizministerium nicht dass die Mehrzahl der Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Russlandlaquo ihrerseits eigenstaumlndige juristische Personen sind raquoMemorial Russlandlaquo muumlsse sich zentralistisch organisieren und die regionalen Memorial-Organisa-tionen zu Filialen werden Ohne hier ins Detail gehen zu koumlnnen wuumlrde das aber zu weiteren Problemen fuumlh-ren die wiederum die Schlieszligung von Memorial durch das Justizministerium zum Ergebnis haumltten Memorial sucht einen Ausweg das Justizministerium betreibt die Schlieszligung Viele NGOs haben Probleme mit der Feu-erwehr dem Gesundheitsamt oder der Arbeitsschutzbe-houmlrde Beliebt ist in juumlngster Zeit auch die Kuumlndigung von Mietvertraumlgen (so unlaumlngst geschehen bei raquoGoloslaquo und der raquoBewegung fuumlr Menschenrechtelaquo)

soziale und politische ngosSeit dem Fruumlhjahr zeichnet sich noch ein weiterer Angriff auf unabhaumlngige und staatskritische NGOs ab Der von Michail Fedotow geleitete Zivilgesellschaftsrat beim Praumlsidenten beraumlt seit einiger Zeit eine erneute Aumlnde-rung des NGO-Gesetzes Er schlaumlgt vor die Agenten-paragraphen abzuschaffen und dafuumlr um den Befuumlrch-tungen des Kremls auf politische Einflussnahme (nicht nur aus dem Ausland) Rechnung zu tragen kuumlnftig eine Einteilung von NGOs in raquosozialelaquo und raquopolitischelaquo vor-zunehmen raquoSozialelaquo NGOs sollen diesen Vorschlaumlgen nach kuumlnftig steuerlich beguumlnstigt sein und staatliche Zuwendungen erhalten koumlnnen raquoPolitischelaquo NGOs wer-den hingegen von staatlicher Foumlrderung ausgeschlossen und sollen auf alle Zuwendungen insbesondere aber auf Zuwendungen aus dem Ausland einen noch fest-zulegenden Steuersatz zahlen Die Befuumlrworter dieser im Uumlbrigen im Zivilgesellschaftsrat nicht unumstrit-tenen Initiative verweisen darauf dass so die heute als raquoAgentenlaquo verfolgten NGOs eventuell noch gerettet wer-den koumlnnten waumlhrend staatliche Foumlrderung aller ande-ren verstaumlrkt wuumlrde Ein Gewinn also fuumlr alle Betei-ligten Tatsaumlchlich verbirgt sich hinter dem Vorschlag aber eine gefaumlhrliche Tendenz zur Entsolidarisierung in der NGO-Szene wie sie auch anderswo schon laumln-ger zu beobachten ist

Uumlber den AutorJens Siegert ist Diplompolitologe und leitet seit 1999 das Laumlnderbuumlro Russland der Heinrich Boumlll Stiftung in Mos-kau Davor arbeitete er in Moskau als Korrespondent fuumlr Radiostationen Zeitschriften und Zeitungen im deutsch-sprachigen Raum

Lesetipps finden Sie auf der naumlchsten Seite

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Lesetippsbull Siegert Jens Putin und die Zivilgesellschaft in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 12 06 2013

lthttprusslandboellblogorg20130612putin-und-die-zivilgesellschaftgtbull Siegert Jens Uumlber ein Jahr raquoNGO-Agentenlaquo-Jagd ndash eine Art Zwischenbericht in Russland-Blog (Hein-

rich-Boumlll-Stiftung Moskau) 4 Juni 2014 lthttprusslandboellblogorg20140604ueber-ein -jahr-agenten-jagd-eine-art-zwischenberichtgt

bull Siegert Jens Russische raquoNGO-Agentenjagdlaquo ndash eine Zwischenbilanz in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 7 Juni 2013 lthttprusslandboellblogorg20130607russische-ngo-agentenjagd-eine-zwischenbilanzgt

bull Siegert Jens Erklaumlrung Permer NGOs warum sie sich unter keinen Umstaumlnden als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren lassen in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 26 Mai 2013 lthttprusslandboellblogorg20130526erklarung-permer-ngos-warum-sie-sich-unter-keinen-umstanden-als-auslandische-agenten-registrieren-lassengt

bull Siegert Jens Memorial raquoNGO-Agentengesetzlaquo ist ungesetzlich und unmoralisch Keine freiwillige Registrierung als raquoauslaumlndischer Agentlaquo in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 22 September 2013 lthttpruss landboellblogorg20120922memorial-ngo-agentengesetz-ist-ungesetzlich-und-unmoralisch-keine-freiwillige-registrierung-als-auslandischer-agentgt

bull Siegert Jens Sozialer Wandel und politische Dynamik in Russland 201112 in Russland-Analysen Nr 245 19 Oktober 2012 lthttpwwwlaender-analysenderusslandpdfRusslandanalysen245pdfgt

ANALYSE

ein kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen engagements zur Unterstuumltzung und integration von migranten in russlandMarina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin

zusammenfassungObwohl die Wirtschaft Russlands aufgrund der ruumlcklaumlufigen Bevoumllkerungszahl auf Migranten angewiesen ist ist der Groszligteil der Bevoumllkerung des Landes Migranten gegenuumlber skeptisch und oft geradezu fremden-feindlich eingestellt Durch eine schlecht koordinierte staatliche Migrationspolitik ist die Lage der Arbeits-migranten meist prekaumlr Initiativen aus der Zivilgesellschaft versuchen die Situation der Migranten zu ver-bessern und leisten Aufklaumlrungsarbeit in der Bevoumllkerung sowie konkrete Hilfestellungen fuumlr Migranten Die Arbeit solcher Aktivisten wird jedoch oftmals durch staatliche Einmischung erschwert

immigration nach russland als gesellschaftliches ProblemDie widerspruumlchliche Migrationspolitik der russischen Regierung und die aufgeheizte Stimmung in der Bevoumll-kerung haben 2013 zu vermehrten xenophoben Uumlbergrif-fen auf Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien gefuumlhrt (siehe beispielsweise die Unruhen in Birjuljowo im Oktober 2013) Diese Entwicklung wirft die Frage auf welche Haltung die russische Zivilgesellschaft hierzu einnimmt Gibt es zivilgesellschaftliche Initiativen die dieser fremdenfeindlichen Stimmung entgegenwirken

In der russischen Oumlffentlichkeit ist oft von einer Flut von Arbeitsmigranten aus den GUS-Staaten die Rede doch in Wirklichkeit ist die Immigration nach Russ-land im internationalen Vergleich gering Zudem zeigen Zahlen der Staatlichen Statistikbehoumlrde raquoRosstatlaquo dass

die russische Wirtschaft aufgrund der demographischen Entwicklung in zunehmendem Maszlige Arbeitskraumlfte aus dem Ausland benoumltigt (bis 2030 ndash so die Prognose ndash soll die russische arbeitsfaumlhige Bevoumllkerung um 103 Mil-lionen Menschen abnehmen)

Trotzdem gibt es starke fremdenfeindliche Stimmun-gen die sich gegen Immigranten aus Zentralasien und dem Kaukasus richten Diese Ablehnung von Migran-ten hat zugenommen und schafft den Naumlhrboden fuumlr Pogrome wie 2006 in Kondopoga 2010 auf dem Mos-kauer Manegenplatz sowie 2013 in der Stadt Pugat-schow und dem Moskauer Vorort Birjuljowo Angst und Verachtung gegenuumlber Fremden ziehen sich durch alle Gesellschaftsschichten Sie werden als Kriminelle und Illegale stigmatisiert und nicht nur Nationalisten ver-wenden die Losung raquoRussland den Russenlaquo um Ras-

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sismus zu schuumlren und die Stimmung gegen Migranten weiter anzuheizen

es gibt keine migrationspolitikDiese interethnischen Konflikte spiegeln sich auch im russischen Alltag wieder Der durch den Foumlderalen Migrationsdienst praktizierte administrative und poli-zeiliche Umgang mit Migration ist nicht effektiv Eine Stigmatisierung der Migranten als potenzielle Krimi-nelle und eventuelle Uumlberlegungen zur Verschaumlrfung des Migrationsgesetzes koumlnnen die Probleme nicht loumlsen die gerade auch auf kommunaler Ebene anfallen Die nur situativen politischen Maszlignahmen fuumlhren mitunter zu einer Verschaumlrfung des Problems Eine uumlbergreifende Strategie existiert nicht die Politik weiszlig auf die Migra-tionsfrage keine Antwort Ein autoritaumlres zentralisier-tes System ist nicht im Stande die regionalen Probleme dieses riesigen Landes zu loumlsen deshalb liegt es vor allem an der Zivilgesellschaft sich diesen Themen zu widmen

zivilgesellschaftliche Projekte AufklaumlrungsarbeitIn Moskau und Sankt Petersburg gibt es verschiedene nichtstaatliche Projekte die sich sowohl fuumlr mehr Tole-ranz als auch fuumlr die Integration der Migranten einsetzen

Einige von ihnen bestehen schon mehrere Jahre Boris Romanow ist einer der Gruumlndervaumlter eines zivil-gesellschaftlichen Netzwerks zur Unterstuumltzung von Menschen mit Migrationshintergrund in Sankt Peters-burg Er arbeitet mit den unterschiedlichsten NGOs zusammen die zu Themen wie Toleranz Antirassis-mus Homophobie Antiziganismus und Antisemitis-mus arbeiten Finanziert durch das Goethe-Institut rief er 2012 raquoRespektlaquo ins Leben ein Comic-Projekt inter-nationaler Kuumlnstler mit dessen Hilfe Schuumller ihr Den-ken uumlber Fremde reflektieren und selbst in Frage stel-len koumlnnen Laut Romanow scheitern solche Projekte oft an der Buumlrokratie der Kommunen Durch das neue NGO-Gesetz gebe es kaum noch Kontaktmoumlglichkei-ten zu staatlichen Schulen erlaumlutert Romanow so dass eine Zusammenarbeit houmlchstens uumlber einzelne Lehrer nicht jedoch uumlber die Schuldirektion moumlglich sei Dies widerspreche dem Konzept zivilgesellschaftlicher Arbeit die vor allem jedermann offen stehen will Durch das geschlossene staatliche Schulsystem komme es selten zu einer Kooperation mit interessierten Lehrern Die Zusammenarbeit von Staat und Zivilgesellschaft ist unabdingbar macht aber die Finanzierung der Projekte schwierig da sie im Falle einer Unterstuumltzung auslaumln-discher Sponsoren unter das neue NGO-Gesetz fallen

Im Zuge der neuen NGO-Gesetzgebung wurde das Antidiskriminierungszentrum raquoMemoriallaquo in Sankt Petersburg geschlossen Dessen ehemaliger Mitarbei-

ter Andrej Jakimow ist Anthropologe Seine langjaumlh-rige Arbeit mit ethnischen Minderheiten wie Sinti und Roma Arbeitsmigranten und Staatenlosen macht ihn zu einem erfahrenen Koordinator der raquoStiftung zur Unter-stuumltzung und Entwicklung von Bildungs- und Sozial-projektenlaquo (raquoPSP-Fondlaquo) in Sankt Petersburg Auch fuumlr ihn zaumlhlt die aktive Aufklaumlrungsarbeit zu den wichtigs-ten Punkten seines zivilgesellschaftlichen Engagements Die juristische und psychologische Betreuung von Mig-ranten stehen neben der Sensibilisierung der russischen Bevoumllkerung im Zentrum seiner Arbeit Seiner Erfah-rung nach interessieren sich die OSZE und die UNO nur marginal fuumlr diese Themen also muumlssen die Pro-bleme der Arbeitsmigranten auf nationaler Ebene geloumlst werden Seine Kontakte zu verschiedenen Netzwerken in den Auswanderungslaumlndern helfen den Migranten sich schon vor der Einreise nach Russland auf den Aufenthalt vorzubereiten In der Zusammenarbeit von Staat und Experten sieht Jakimow eine Moumlglichkeit eine effek-tive Migrationspolitik zu entwickeln

fuumlr die Verbesserung der migrationspolitikAumlhnlich denken auch Wjatscheslaw Postawnin und Natalja Wlasowa die die Stiftung raquoMigrazija XXI weklaquo (raquoMigration im 21 Jahrhundertlaquo) gegruumlndet haben Sie selbst sind ehemalige Mitarbeiter des Foumlderalen Migra-tionsdienstes und kennen die staatliche Migrationspoli-tik von innen Die Regierung unter Putin scheint keiner-lei Loumlsungsansaumltze fuumlr die immer staumlrker zunehmende Xenophobie in Russland zu erarbeiten In den fuumlnf Jah-ren ihrer Existenz hat sich die Organisation in Mos-kau zu einem unabhaumlngigen intellektuellen und wissen-schaftlichen Zentrum entwickelt das Vorschlaumlge fuumlr die Verbesserung der staatlichen Migrationspolitik ausarbei-tet Diese Vorschlaumlge werden oft von der Administration des Praumlsidenten beruumlcksichtigt jedoch nicht sofort und ohne Nennung der Urheberschaft In Zusammenarbeit mit der Weltbank und dem Netzwerk raquoMirpallaquo (raquoMigra-tion and Remittance Peer-Assisted Learninglaquo) erstellt die Organisation Statistiken zu den Migrationsstroumlmen aus den GUS Staaten die oftmals stark von den offiziellen Zahlen des Foumlderalen Migrationsdienstes abweichen

fluumlchtlingsarbeitDie von Swetlana Gannuschkina einer wichtigen Men-schenrechtlerin in Russland 1990 mitbegruumlndete Orga-nisation raquoGrashdanskoje sodejstwijelaquo (raquoBuumlrgerhilfelaquo) beschaumlftigt sich nicht nur mit Arbeitsmigration sondern zu vier Fuumlnfteln mit Fluumlchtlingen Es war die erste Orga-nisation dieser Art in Moskau und wurde im Zusam-menhang mit dem Konflikt um Berg-Karabach und dem Krieg in Tschetschenien gegruumlndet um den Fluumlchtlin-gen aus diesen Regionen zu helfen Die Unterstuumltzung

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 21

der Arbeitsmigranten umfasst juristische Konsultation und die Loumlsung administrativer Fragen z B bei nicht ausgezahlten Gehaumlltern Deportationen Einreisever-boten Die Organisation stellt juristischen Beistand bei unbegruumlndeten Klagen gegen Migranten hilft bei Kla-gen gegen Arbeitgeber wegen nicht ausgezahlter Loumlhne fuumlhrt ein Projekt gegen Hate Crimes durch und veran-staltet Spendenaktionen auf ihrer Webseite Besonders die aumlrztliche Versorgung ist wichtig da der staatliche Notdienst Migranten oft seine Hilfe verwehrt raquoGrash-danskoje sodejstwijelaquo arbeitet eng mit dem Fluumlchtlings-hilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) der Inter-nationalen Organisation fuumlr Migration (IOM) und mit dem Netzwerk raquoMigrazija i prawolaquo (raquoMigration und Rechtlaquo) einem Programm des Menschenrechtszentrums raquoMemoriallaquo zusammen Obwohl in der offiziellen Rhe-torik die Bedeutung der Migration fuumlr Russland unter-strichen wird (wie zum Beispiel in der raquoKonzeption der staatlichen Migrationspolitik 2025laquo) beobachtet man in der Praxis meist die stumme Hinnahme der Uumlber-griffe auf Arbeitsmigranten Nach dem Inkrafttreten des NGO-Gesetzes fand bei der Organisation eine Uumlberpruuml-fung durch die Staatsanwaltschaft statt Ob und wenn ja wie dieses Projekt weiterlaufen wird ist bis heute unklar

Arbeit mit fluumlchtlingskindernIm Rahmen der Organisation raquoBuumlrgerhilfelaquo gibt es zudem ein raquoZentrum fuumlr Integration und Unterricht fuumlr Fluumlchtlingskinderlaquo da das staatliche Programm mit dem Kinder mit Migrationshintergrund Russisch lernen nicht ausreichend ist

Aumlhnlich wie ihre Kollegen aus Moskau arbeiten die Freiwilligen des zivilgesellschaftlichen Projekts raquoDeti Peterburgalaquo (raquoKinder von Petersburglaquo) mit Kindern des-sen Eltern aus den unterschiedlichsten Gruumlnden nach Russland immigriert sind Zwei Projektkoordinatoren der Organisation raquo[Wahl]Beobachterlaquo Daniil Ljubarow und Irina Beljaewa haben 2012 raquoDeti Peterburgalaquo gegruumlndet Angefangen mit einem Angebot von Russisch-Grundkur-sen fuumlr Vorschuumller mit Migrationshintergrund hat sich dieses Programm mittlerweile so weit entwickelt dass Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre an sechs verschie-

denen Standorten in Sankt Petersburg an Russischkursen teilnehmen koumlnnen Bis 2014 hatte es noch nicht einmal feste Raumlumlichkeiten gegeben die Mitarbeiter der raquoDeti Peterburgalaquo organisierten sich ausschlieszliglich uumlber soziale Netzwerke Der virtuelle Raum verbindet diese Organi-sation auch mit anderen zivilgesellschaftlichen Projek-ten So zieht das Projekt nicht nur politische Aktivisten an sondern vor allem Paumldagogen Linguisten und Stu-denten die die Kurse vorbereiten und durchfuumlhren Der Aufbau von kreativen Zirkeln gehoumlrt genauso zur Arbeit von raquoDeti Peterburgalaquo wie die Koordination von Ausfluuml-gen in die Umgebung Museen oder Theatern Das Pro-jekt ist abhaumlngig von seinen Teilnehmern Die fehlen-den Sprachkenntnisse der Eltern fuumlhren oft zu groszligen Kommunikationsproblemen Aber auch die wechselnden und meist aumluszligerst schwierigen Arbeitszeiten der Eltern erschweren die Durchfuumlhrung des Projekts Die staumldti-sche Buumlrokratie versucht den Elan der Mitarbeiter zu bremsen Auch deshalb bleibt das Projekt nichtstaatlich

fazitMisstrauen gegenuumlber der Regierung soziale Probleme und Alltagsrassismus bewegen immer mehr Menschen dazu sich eigenstaumlndig mit der negativen Entwicklung beim Umgang mit Migranten zu beschaumlftigen Aus Inter-views mit den Mitarbeitern der verschiedenen Organisa-tion laumlsst sich schlieszligen dass eine russische Zivilgesell-schaft entstanden ist die die Migrationsfrage einerseits als Arbeit mit der Mehrheits- also russischen Bevoumllkerung betrachtet um diese zu sensibilisieren Anderseits gibt es Initiativen die vor allem konkrete Hilfe fuumlr Migranten leisten um deren alltaumlgliche Probleme zu minimieren

Die Zivilgesellschaft bemuumlht sich Vorurteile abzu-bauen die Migrationspolitik realistischer zu machen und Migranten wie Fluumlchtlingen konkrete Hilfestellung zu geben Die Behoumlrden sabotieren diese Arbeit In den Groszligstaumldten wird der Zuzug von Migranten restriktiv gehandhabt Arbeitgeber wissen um den oft schwierigen Status der Migranten und nutzen die Situation aus um die Migranten weiter auszubeuten Die Arbeit der Zivil-gesellschaft zur Sensibilisierung der russischen Bevoumllke-rung wird durch die offizielle Politik oft konterkariert

Uumlber die AutorenIm Rahmen des Projektkurses raquoZiviler Ungehorsam Gesellschaft und Staat in Osteuropalaquo reisten die Studierenden des Osteuropa-Instituts der Freien Universitaumlt Berlin Michael Bellmann und Kristina Arisov nach Moskau sowie Marina Grinfeld und Christina Huthmann nach St Petersburg um mit Aktivisten und Organisationen die sich fuumlr die Integration von Migranten in Russland einsetzen Interviews zu fuumlhren und die Position der Zivilgesellschaft zur Migrationsproblematik zu analysieren

Lesetippsbull Judah Ben Russiarsquos Migration Crisis in Survival 552013 Nr 6 S 123ndash131

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bull Malakhov Vladimir S Russia as a New Immigration Country Policy Response and Public Debate in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1062ndash1079

bull Schenk Caress Controlling Immigration Manually Lessons from Moscow (Russia) in Europe-Asia Studies 652013 Nr 7 S 1444ndash1465

bull Spahn Susanne Die gelenkte Xenophobie Migration und nationale Frage in Russland Russland nur fuumlr Russen in Osteuropa 642014 Nr 7 S 55ndash67

bull Tipaldou Sofia Katrin Uba The Russian Radical Right Movement and Immigration Policy Do They Just Make Noise or Have an Impact as Well in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1080ndash1101

UmFRAGE

Uumlber die zivilgesellschaft in russland

zur zivilgesellschaftlichen und politischen Aktivitaumlt der russen

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 15 stellen sie sich vor ihre nachbarn schlagen eine gemeinsame muumlllsammelaktion in der nahegelege-nen Parkzone vor Was waumlren sie bereit zu uumlbernehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator der Aktionwerden

An der Aktionmitwirken

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 16 haben sie im vergangenen halbjahrJahr hellip

0 20 40 60 80 100

hellip an den Aktivitaumlten einer non-profit Organisation teilgenommen als Freiwilliger gearbeitet

hellip sich mit gesellschaftlichen Problemen an ihrem Wohnort beschaumlftigt

hellip an Groszligveranstaltungen Demonstrationen Streiks Kundgebungen Umzuumlgen teilgenommen

Ja Keine Antwort Nein

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grafik 17 stellen sie sich vor dass es an ihrem Wohnort zu massenhaften Wahlfaumllschungen kommt irgend-jemand ruft zur Durchfuumlhrung von Protestaktionen gegen die Wahlfaumllschungen auf Was wuumlrden sie unternehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator dieser Aktionwerden

An dieser Protestaktionteilnehmen

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 18 Waren sie haben sie sich in den vergangenen einndashzwei Jahren hellip

0 20 40 60 80 100

hellip Mitglied einer politischen Partei

hellip Wahlbeobachter

hellip an der Arbeit einer Menschenrechtsorganisation beteiligt

hellip sich im Internet (in sozialen Netzwerken auf Foren) zu politischen Themen geaumluszligert

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

zur gesellschaftlichen Aktivitaumlt

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

grafik 19 haben sie persoumlnlich in den vergangenen zweindashdrei Jahren an der taumltigkeit einer gesellschaftlichen organisation teilgenommen Wenn ja wie genau (beliebige zahl an Antworten)

6

6

5

2

2

84

1

050

Habe an gesellschaftliche Organisationen gespendetoder andere materielle Hilfe geleistet

Habe an Wohltaumltigkeitsveranstaltungen teilgenommen(Konzerte Ausstellungen Wohltaumltigkeitslotterie Auktionen)

Habe Freiwilligenarbeit geleistet (kostenlos)

Habe gegen Entgelt in einer gesellschaftlichenOrganisation gearbeitet

Habe Informationen zu den Taumltigkeitenvon gesellschaftlichen Organisationen verteilt

Nicht teilgenommen

Anderes

Keine Antwort

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grafik 20 haben ihnen irgendwann einmal gesellschaftliche organisationen geholfen

0 20 40 60 80 100

Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja mit Geld geholfen Ja auf andere Weise geholfen Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

Die oumlffentliche meinung zu ngos mit auslaumlndischer finanzierung (April 2013)

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 21 mit welcher meinung zur taumltigkeit russischer ngos stimmen sie am ehesten uumlberein

Sie bringen einen groszligen Nutzen

4

Sie bringen mehr Nutzen als Schaden

15Sie bringen ebenso viel

Nutzen wie Schaden23

Sie bringen mehr Schaden als Nutzen

18

Sie bringen weder Nutzen noch Schaden

13

Keine Antwort27

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 22 ist es fuumlr sie wichtig ob eine russische menschenrechtsorganisation aus einheimischen oder auslaumln-dischen mitteln finanziert wird

Sehr wichtig10

Eher wichtig34

Nicht besonders wichtig24

Vollkommen unwichtig18

Keine Antwort14

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 25

grafik 23 Welche ziele verfolgen westliche laumlnder und organisationen die russische ngos mit mitteln aus-statten

Einen verstaumlrkten Einfluss auf die russische

Innenpolitik42

Einen Kampf gegen den russischen Staat

19Eine Unterstuumltzung der

russischen Zivilgesellschaft

8

Kein besonderes Ziel russische NGOs werden wie andere aus standardisierten

internationalen Programmen unterstuumltzt

12

Keine Antwort19

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 24 Duumlrfen organisationen die sich mit dem schutz der Buumlrgerrechte beschaumlftigen und den staat kriti-sieren das recht haben mittel aus dem Ausland zu beziehen

Ja20

Nein56

Keine Antwort24

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 25 Unterstuumltzen sie harte sanktionen gegen ngos die einer politischen taumltigkeit nachgehen und gelder aus dem Ausland erhalten sich aber nicht nach dem gesetz als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren

Auf jeden Fall20

Eher ja32

Eher nein15

Auf keinen Fall5

Keine Antwort28

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 26

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RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 27

luumlgen des fernsehkanals ntV und Beanstandungen des Justizministeriums erklaumlrung des menschenrechtszentrums memoriAl und der russischen gesellschaft

memoriAl

Die Behauptung bei NTV das russische Justizministerium habe die Liquidierung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL eingeleitet fuumlhrte heute zu etlichen Irritationen Das Menschenrechtszentrum und die Russische Gesell-schaft MEMORIAL (die Dachorganisation der russischen Memorial-Verbaumlnde) haben aus diesem Anlass nachste-hende Erklaumlrung abgegeben

Am 10 Oktober strahlte NTV unter dem Titel raquoAuszligergewoumlhnliches Ereignislaquo eine Sendung aus die aus boumlswil-ligen Luumlgen aber auch aus Fehlinformationen in Folge von Unkenntnis bestand

Die Arbeit des Menschenrechtszentrums MEMORIAL als Unterstuumltzung von Extremisten und Terroristen dar-zustellen ist eine infame Luumlge Auf Unkenntnis basiert hingegen die Behauptung das Justizministerium habe des-halb den Antrag gestellt das Menschenrechtszentrum MEMORIAL zu liquidieren

In Wirklichkeit hat das Justizministerium beim Obersten Gericht der Russischen Foumlderation nicht die Aufloumlsung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL beantragt Es geht hier vielmehr um eine andere Organisation naumlmlich die Russische Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIAL

Die russische Gesellschaft MEMORIAL wurde vom Justizministerium bereits 1992 registriert Bis heute befinden sich unter ihrem Dach verschiedene Memorial-Verbaumlnde die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen

Im Jahre 2012 20 Jahre nach der ersten Registrierung tauchten beim Justizministerium ploumltzlich Zweifel hin-sichtlich des russischen Rechtsstatus von Memorial auf obwohl der Gesellschaft praktisch dieselben regionalen Ver-baumlnde angehoumlren wie zuvor und sich die Gesetzeslage in dieser Frage in keinem Punkt geaumlndert hatte

Geaumlndert hat sich allerdings die Position des Justizministeriums das erneut einen raquodemokratischen Zentralismuslaquo anstrebt der nach der Abschaffung der fuumlhrenden Rolle der KPdSU nicht mehr aktuell schien Heute erklaumlrt das Jus-tizministerium nur jene gesellschaftlichen Vereinigungen koumlnnten der Russischen Gesellschaft MEMORIAL ange-houmlren die in ihrer Bezeichnung die Worte raquoVerband (otdelenie) der Russischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklauml-rung Sozialarbeit und Menschenrechte MEMORIALlaquo tragen

Die gesetzliche Vorschrift dass eine Organisation nur dann einen gesamtrussischen Status haben kann wenn sie in uumlber der Haumllfte der Foumlderationssubjekte Verbaumlnde unterhaumllt legt das Justizministerium jetzt dahingehend aus dass diese Verbaumlnde zwangslaumlufig einen Status als Regionalverbaumlnde haben muumlssten Das Vorhandensein von Stadt- und Bezirksverbaumlnden einer Organisation reicht die Beamten als Beleg dafuumlr nicht aus dass die Organisation in der betreffenden Region taumltig ist

Die Vorbehalte des Justizministeriums entbehren jeglicher Grundlage Nicht zufaumlllig erhielten wir auf Anfragen keine Hinweise auf eine Gesetzesnorm Es ist fuumlr uns inakzeptabel dass das Justizministerium das von der Verfas-sung garantierte Recht von Buumlrgern eine Vereinigung zu bilden gesetzwidrig einschraumlnken will Deshalb hat sich die Russische Gesellschaft MEMORIAL bereits 2012 entschlossen vor Gericht zu gehen

Einen Hinweis auf ein Gesetz haben wir auch nicht erhalten als wir 2013 die Forderungen des Justizministeriums im Moskauer Zamoskvorezki-Bezirksgericht und danach im Stadtgericht angefochten haben Beide Instanzen gaben wie nicht anders zu erwarten dem Justizministerium Recht Deshalb wird die Russische Gesellschaft MEMORIAL in Kuumlrze Klage beim Verfassungsgericht einreichen

Was den Antrag des Justizministeriums betrifft so hoffen wir dass das Oberste Gericht bei Behandlung dieses Antrags dem Gesetz und der Verfassung mehr Respekt entgegenbringen wird als die untergeordneten Gerichtsinstanzen

10 Oktober 2014Quelle Website von Memorial Deutschland lthttpwwwmemorialdeindexphpid=42amptx_ttnews[tt_news]=546amptx_ttnews[backPid]=3ampcHash=5bbe9b235a03fe09cba52ed5c8786b99gt

DOkUmENtAtION

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 28

NOtIzEN AUS mOSkAU

Petersburger DialogJens Siegert Moskau

Auf den ersten Blick sieht es so aus als ob ein (egal ob nun willentlich oder nicht) an die Oumlffentlich-

keit gelangter Brief einiger regelmaumlszligiger Teilnehmer des Petersburger Dialogs (PD) aus den Reihen deutscher NGOs an Bundeskanzlerin Merkel und Auszligenminis-ter Steinmeier die Verschiebung des fuumlr Ende Oktober in Sotschi geplanten groszligen Jahrestreffens verursacht haumltte In dem Brief bekraumlftigten die Autoren ihre nicht neue Kritik am PD und erklaumlrten warum sie dieses Jahr nicht teilnehmen wuumlrden Sie betonen dass die Absage kein Boykott sei und bieten ihrerseits einen Dialog zur Reform des Dialogs an Auf den zweiten Blick war der Brief selbstverstaumlndlich nur Anstoszlig aber nicht Grund fuumlr die Verschiebung Doch der Reihe nach

Die in dem Brief geaumluszligerte Kritik am PD ist wie gesagt nicht neu sie hat sie den PD von Anfang an begleitet Das liegt sicher auch an einem bis heute nicht korrigierten Geburtsfehler Ein durch Staats- und Regie-rungschefs initiierter raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo ist schon etwas verquer Das heiszligt nicht dass das nicht gehen koumlnnte Doch dazu haumltten sich die hochgestell-ten Initiatoren (der damalige russische Praumlsident und der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schrouml-der) und ihre (Interims-)Nachfolger spaumlter zuruumlckziehen muumlssen Das haben sie nicht Daran sind sie nicht (allein) Schuld Es war der PD der durch seine Lenkungsor-gane die enge zeitliche und oumlrtliche Verbindung mit den deutsch-russischen Regierungskonsultationen und die zeitweilige Anwesenheit von Praumlsident und Kanzlerin zum Grundstein seiner Wirkungsmaumlchtigkeit erklaumlrte

Auf deutscher Seite wurde versucht dieses Problem organisatorisch sozusagen oumlffentlich-rechtlich zu loumlsen indem moumlglichst alle interessierten politischen Spektren und gesellschaftlichen Gruppen am sogenannten Len-kungsausschuss beteiligt wurden Das gelang zumindest so gut dass es soweit mir bekannt bis heute keine grouml-szligeren Klagen uumlber Nichtberuumlcksichtigung oder Nicht-beteiligung gab Aber die Bundesregierung behielt weit-gehenden Einfluss nicht zuletzt uumlber den alljaumlhrlich sechsstelligen Zuschuss fuumlr die Durchfuumlhrung der Jah-restreffen Auszligerdem wurde der jeweilige Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses zwar nach Abstim-mungen mit den Beteiligten aber letztlich durch den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin bestimmt

In Russlands ist die Sache einfacher Von Anfang an wurde und wird gemacht wird was der Kreml will Schon der erste Vorsitzende des russischen Lenkungs-ausschusses Michail Gorbatschow (immerhin selbst ein ehemaliger Praumlsident) war wie er selbst einmal bekannte

nicht mehr als ein ndash schoumlne Ruumlckuumlbertragung aus dem Russischen ndash raquoSitz-Praumlsidentlaquo Der jetzige Vorsitzende Wiktor Subkow war Datschennachbar von Putin ers-ter stellvertretender Ministerpraumlsident und ist nun Auf-sichtsratsvorsitzender von Gazprom

Die Kritik dass nur eine Simulation eines raquozivilge-sellschaftlichen Dialogslaquo stattfinde wurde von einigen deutschen Teilnehmern bereits auf dem ersten Jahres-treffen des PD im April 2001 in St Petersburg geaumluszligert Es fehlten auf russischer Seite (in der seinerzeit noch ver-einigten Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo) Vertreter russischer NGOs Die Kritik kam an In Russ-land fuumlhrte sie (ohne dass ich hier jetzt ausfuumlhren kann wie) zum ersten Versuch des Kremls auch unabhaumln-gige NGOs in das korporative System der gelenkten Demokratie zu zwingen Der Versuch misslang weitge-hend und muumlndete in einer Art Waffenstillstand und der Gruumlndung eines raquoMenschenrechtsrats beim Praumlsi-dentenlaquo unter Einbeziehung von Vertretern unabhaumlngi-ger NGOs Beim PD wurde die Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo in ihre zwei Namensbestandteile geteilt und es gelang uumlber die Jahre in immer wieder unternommenen Anstrengungen auch die Teilnahme unabhaumlngiger russischer NGO-Vertreter durchzuset-zen Etwas spaumlter wurde diese Teilnahme sogar vor-sichtig institutionell abgesichert indem erst Ella Pam-filowa und spaumlter ihr Nachfolger Michail Fedotow als Vorsitzende des inzwischen zum raquoZivilgesellschaftsratlaquo umbenannten raquoMenschenrechtsratslaquo zu den russischen Koordinatoren der Arbeitsgruppe raquoZivilgesellschaftlaquo mit Einladungsrecht wurden (wobei die Einladungen selbst-verstaumlndlich mit der Praumlsidentenadministration abge-stimmt werden muumlssen) Das ist bis heute so

Die Verfasser des Briefes (zu denen ich bekenne mich auch ich gehoumlre) allesamt langjaumlhrige Teilneh-mer der Jahrestreffen des PD haben all die Jahre immer wieder auch oumlffentlich uumlber den Sinn und Unsinn ihrer Teilnahme und Unterstuumltzung diskutiert Letztendlich uumlberwogen die ganze Zeit uumlber zwei Uumlberlegungen Ers-tens ist ein Dialog auch und gerade auf offizieller Ebe-nen und mit offiziellen Vertretern des russischen Staates (wie auch mit Wissenschaftlern Unternehmern Journa-listen Priestern usw welcher politischen Couleur auch immer sie sein moumlgen) erst einmal besser als kein Dia-log Zweitens gingen wir all die Jahre davon aus dass die nicht ohne Muumlhen erreichte Teilnahme unabhaumln-giger russischen NGO-Vertreter fuumlr sie ihre Organisa-tionen aber auch die russische NGO-Szene insgesamt zumindest einen kleinen zusaumltzlichen Schutz gegen die

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seit Putins Amtsantritt immer wieder uumlber das Land gehenden Repressionswellen bietet1 Was hat sich dieses Jahr geaumlndert Erst einmal nicht

so viel gegenuumlber dem Vorjahr Es war schon immer siehe oben eine schwierige Abwaumlgung ob die Teil-nahme am PD sich lohnt oder nicht vielmehr dazu beitraumlgt so zu tun als gaumlbe es in Russland die unein-geschraumlnkte und ungefaumlhrdete Moumlglichkeit sich zivilgesellschaftlich auch dort zu engagieren wo es dem Staat weh tut Zwei Ereignisse haben nun aber zumindest fuumlr die Autoren des Briefes das Pen-del zur anderen Seite ausschlagen lassen Die Kon-frontation zwischen dem Westen (ich weiszlig um die Bedingtheit des Begriffs verwende in der Kuumlrze hal-ber aber trotzdem) und Russland im Konflikt in der und um die Ukraine ist nicht einfach die Fortset-zung schon laumlnger existierender raquoMeinungsverschie-denheitenlaquo Sie ist tiefer und prinzipieller Es geht eben im Kern nicht in erster Linie um Geopolitik sondern wieder einmal um ich fuumlrchte hier weder den Pathos noch historische Analogien Freiheit und Demokratie in Europa

2 Die Repressionen gegen russische NGOs unsere prinzipiellen Partner in der Verteidigung von Demo-kratie und Freiheit haben mit dem sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo eine neue Qualitaumlt erreicht 15 NGOs sind inzwischen zwangsweise zu raquoauslaumln-dischen Agentenlaquo erklaumlrt worden anderen droht die Schlieszligung aufgrund anderer Gesetze Einige von ihnen waren sogar zum nun verschobenen Treffen in Sotschi eingeladen Sie mussten sich Gedanken machen ob eine Zusage oder eine Absage ihnen nicht schaden koumlnnte

Unter diesen Umstaumlnden halten die Verfasser des Brie-fes ihre Teilnahme am PD fuumlr nicht mehr moumlglich Sie fordern keinen Boykott wohl aber ein Nachdenken uumlber eine tiefgreifende Reform

Der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses Lothar de Maiziere hat in einem eigenen offenen Brief geantwortet und den Verfassern vorgeworfen den Dia-log verweigern und politisieren zu wollen Diese (Gegen-)Klage scheint mir angesichts der vielfaumlltigen Verbindun-gen und Dialogformen die die Organisationen hinter den Unterzeichnern des Briefes seit vielen Jahren und oft laumlnger als der PD organisieren an denen sie teil-nehmen und die sie foumlrdern nicht sonderlich stichhal-tig Doch die Auseinandersetzung geht tiefer De Mai-ziere behauptet in seinem Brief der PD mache bereits all das was die Kritiker fordern Genau das bezweifeln diese aber Die Auseinandersetzung geht also und vor allem darum was ein fruchtbarer Dialog zu leisten im Stande sein kann und leisten sollte Sie geht aber auch darum ob dieser Dialog zwischen zwei Gesellschaf-

ten stattfindet nach dem Motto hier die eine dort die andere oder ob sich die Seiten bei diesem Dialog inei-nander verschraumlnken

Die Verfasser des Briefes sind ganz offensichtlich mit ihrer Kritik nicht allein Schon bevor der Brief oumlffent-lich bekannt wurde hatten die Bundestagsabgeordne-ten Andreas Schockenhoff (CDUCSU) und Marieluise Beck (Buumlndnis 90 Die Gruumlnen) in oumlffentlichen Stel-lungnahmen Aumlhnliches gefordert und auch ihre Nicht-Teilnahme erklaumlrt Etwas spaumlter wurde bekannt dass auch der Russland-Beauftragte der Bundesregierung Gernot Erler nicht nach Sotschi fahren wollte Mehr noch Bereits seit dem Fruumlhsommer gab es Gespraumlche zwischen Kanzleramt und Auswaumlrtigem Amt mit dem Ziel den PD sowohl personell als auch strukturell zu reformieren Allerdings setze sich augenscheinlich die Sichtweise des Auswaumlrtigen Amtes durch alles vorerst beim Alten zu belassen da es auch so schon genug Pro-bleme im deutsch-russischen Verhaumlltnis gebe und man diesen Kanal nicht auch noch belasten oder gar gefaumlhr-den solle

Doch zum Herbst hat sich die Situation noch ein-mal veraumlndert Die Hoffnung die russische Fuumlhrung um Praumlsident Putin werde im Krieg in der Ostukraine ein-lenken ist selbst im Auswaumlrtigen Amt bis in die Spitze kaum noch zu finden Im Sommer bekam das russische Justizministerium zudem per erneuter Gesetzesaumlnde-rung das Recht NGOs zwangsweise zu raquoAgentenlaquo zu erklaumlren und macht seither rege Gebrauch davon Eine ganze Reihe russischer NGOs steht vor der Schlieszligung oder loumlst sich auf weil ihnen die vom Gesetz geforderte Selbstetikettierung als raquoauslaumlndische Agentenlaquo ethisch rechtlich und praktisch unmoumlglich ist

Es sieht so aus als haumltten die Verfasser des Briefes nur eine Tuumlr geoumlffnet hinter der andere darunter die Kanzlerin nur darauf gewartet haben durch sie hin-durch gehen zu koumlnnen ohne selbst der Tuumlroumlffnung geziehen zu werden

Ein wenig verwundert die erstaunlich milde russi-sche Reaktion Nach der kurzen Drohung eine Verschie-bung bedeute das Ende des PD lenkte Putin im Telefo-nat mit Merkel ein und fand tags darauf sogar oumlffentlich verstaumlndnisvolle Worte fuumlr die raquoProbleme der deutschen Seitelaquo Das duumlrfte zwei Gruumlnde haben Der eine ist dass trotz des haumlufiger gewordenen Deutschland-Bashings im russischen Staatsfernsehen (mit dem Ergebnis dass in Umfragen Deutschland aus der Kategorie raquoFreundlaquo in die Kategorie raquoFeindlaquo abgerutscht ist) Deutschland im Kreml immer noch als wichtigster raquostrategischerlaquo Part-ner im Westen und vor allem in der EU gilt Zudem ist Deutschland zweifellos ein Land dessen oumlffentliche Meinung (und damit Politik) aus russischer Sicht durch-aus beeinflussbar ist (was z B die kolportierten rund

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140 Millionen US-Dollar zum Aufbau eines deutsch-sprachigen Programms des staatlichen Auslandsfernse-hens raquoRussia Todaylaquo zeigen)

Der andere liegt in einem erneuten Strategiewech-sel (oder weniger ambitioniert Wechsel der Taktik) im Ukraine-Konflikt Die Sanktionen beiszligen inzwi-schen kraumlftig Die Rhetorik wurde daher gemildert Der Kreml ist ganz auf Frieden und dieser Ausdruck aus dem Sport sei erlaubt Ergebnissicherung bedacht (was uumlbrigens Putins grundsaumltzlicher Taktik auch im Inne-ren Russlands entspricht erst hart zuzuschlagen dann eine Schritt zuruumlck zu gehen und einen Kompromiss zu suchen nach dem es fuumlr seine Gegner nachher schlech-ter steht als vorher) Neues Ziel scheint nun also zu sein die raquoErrungenschaftenlaquo Krim (als Teil Russlands) und raquoNeurusslandlaquo (als neuen raquoFrozen Conflictlaquo) zu fixieren und trotzdem mit dem Westen wenn schon nicht gut-freund zu werden so doch zumindest erneut zu einem einigermaszligen vertraumlglichen Modus Vivendi zu gelan-gen Das Gas duumlrfte nach den Mailaumlnder Gespraumlchen

und bei allem Geknurre im Winter stroumlmen und auch im Nahen Osten stellt Moskau weniger Widerspenstig-keit in Aussicht

Was heiszligt das fuumlr die Zukunft des PD Erstmal ist sie offen Zuerst muss sich die deutsche Seite neu ord-nen (hier hat Putin sogar Recht) Nachdem sich Angela Merkel persoumlnlich um eine russische Akzeptanz fuumlr die Verschiebung von Sotschi bemuumlht hat kann ich mir allerdings nicht vorstellen dass es in einigen Wochen oder Monaten ein Zuruumlck zum status quo ante gibt Ob und wie sich ein neu aufgestellter deutscher Lenkungs-ausschuss mit einem neuen Konzept mit der russischen Seite verstaumlndigen kann laumlsst sich momentan kaum voraussagen Es ist zwar einen Versuch wert haumlngt aber wohl sehr von der dann herrschenden politischen Groszlig-wetterlage ab

Diesen und andere Texte finden Sie auf Jens Siegerts Russ-landblog lthttprusslandboellblogorggt

Lesetippbull Poumlrzgen Gemma Dringend reformbeduumlrftig Der Petersburger Dialog auf dem Pruumlfstand in Osteuropa 602010

Nr 10 S 59ndash81

DOkUmENtAtION

Briefwechsel uumlber die zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo

schreiben von nichtregierungsorganisationen und einzelpersonen an die Bundeskanzlerin und den Auszligenminister zum raquoPetersburger Dialoglaquo 2 oktober 2014 [nachtraumlglich veroumlffentlicht]

Berlin 02 Oktober 2014Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerals Personen die sich seit vielen Jahren intensiv im zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland engagieren wenden wir uns mit diesem Schreiben an Sie um zu erlaumlutern warum wir uns in diesem Jahr nicht am Petersburger Dialog beteiligen koumlnnen Zugleich moumlchten wir fuumlr eine Erneuerung des Petersburger Dialogs werben

In Reaktion auf die politische Wende in der Ukraine die durch eine breite gesellschaftliche Protestbewegung hervor-gerufen wurde hat die russische Fuumlhrung voumllkerrechtswidrig die Krim annektiert und einen unerklaumlrten Krieg neuen Typs im Osten der Ukraine begonnen Zugleich betreibt die Regierung unter Praumlsident Putin die systematische Ausschal-tung der letzten unabhaumlngigen Medien in Russland die Kriminalisierung aller Formen politischer Opposition und die Diskreditierung unabhaumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen als raquoauslaumlndische Agentenlaquo Mittlerweile wurden 12 russische Nichtregierungsorganisationen vom russischen Justizministerium zwangsweise auf die Liste raquoauslaumlndischer Agentenlaquo gesetzt und sind daher zukuumlnftig verpflichtet sich bei jeder oumlffentlichen Aumluszligerung wahrheitswidrig selbst als solche zu bezichtigen Zehn dieser Organisationen spielen in der deutschrussischen zivilgesellschaftlichen Zusammen-arbeit seit Jahren eine wichtige Rolle einige von ihnen haben mehrfach am Petersburger Dialog teilgenommen Gegen einige von ihnen sind bereits existenzbedrohende Strafgelder wegen Verstoszliges gegen das sog Agentengesetz verhaumlngt

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worden Es drohen Organisationsschlieszligungen und die Kriminalisierung der Vorstaumlnde Unter diesen inneren und aumluszlige-ren Bedingungen koumlnnen wir uns nicht an einer Neuauflage des Petersburger Dialogs in der bisherigen Form beteiligen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerder seinerzeit von Bundeskanzler Schroumlder und Praumlsident Putin initiierte Petersburger Dialog konnte die ihm zuge-

dachte Aufgabe zu einer Vertiefung und Verbreiterung der gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland beizutragen auch in den vergangenen Jahren nur sehr bedingt erfuumlllen Dies lag vor allem an der starken Naumlhe des Fuumlhrungspersonals auf der russischen Seite zum politischen Machtzentrum im Kreml die von Beginn an den Eindruck einer raquovon obenlaquo inszenierten und kontrollierten Veranstaltung naumlhrte Doch auch auf deutscher Seite wird der Petersburger Dialog bis heute von Personen dominiert die aus politischer und oumlkonomischer Opportunitaumlt dazu neigen Kritik am Kurs der russischen Fuumlhrung als Stoumlrung der raquodeutsch-russischen Freundschaftlaquo zu betrachten Zeit-weise kam es zu der paradoxen Situation dass kritische Aumluszligerungen zu Menschenrechtsverletzungen in Russland oder zum Vorgehen des Kremls gegenuumlber Georgien aus den Reihen der deutschen Delegation als raquoKalte-Kriegs-Rhetoriklaquo verteufelt wurden Nuumlchtern betrachtet waren die kritischen Stimmen aus der russischen und deutschen Zivilgesell-schaft in den letzten Jahren nur eine geduldete Minderheit die dem Petersburger Dialog den Anschein von Pluralis-mus und offener Diskussion verschaffte Ungeachtet dieser Kritik haben wir uns in der Vergangenheit am Petersburger Dialog beteiligt da wir grundsaumltzlich jedes Dialogpotenzial nutzen wollen und uns von der gemeinsamen Beteiligung mit unseren Partnern aus der russischen Zivilgesellschaft eine politische Absicherung dieser Zusammenarbeit erhofften

Diese ohnehin schwachen Hoffnungen wurden durch die Entwicklungen in diesem Jahr zerstoumlrt Vertreter unab-haumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen die auf der russischen Seite zum Petersburger Dialog eingeladen wer-den sind angesichts der politischen und juristischen Bedrohung der sie ausgesetzt sind in ihrer Entscheidung uumlber ihre Teilnahme nicht mehr frei Wenn sie der Einladung nicht folgen muumlssen sie weitere Repressalien befuumlrchten Uns denen die Freiheit der Entscheidung gegeben ist ist es nicht moumlglich durch Teilnahme am Petersburger Dialog in Sot-schi an der Aufstellung einer Potemkinschen Fassade namens raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo mitzuwirken waumlhrend die kritischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Russland als raquoAgentenlaquo diskreditiert und vielfach drangsaliert werden

Zugleich moumlchten wir unsere Bereitschaft unterstreichen an einer Reform des Petersburger Dialogs in organisa-torischer inhaltlicher und personeller Hinsicht mitzuwirken Eine solche Reform sollte darauf ausgerichtet sein uumlber die Auswahl der Formate Themen und Teilnehmer die tatsaumlchliche Lage der russischen Zivilgesellschaft in den Mit-telpunkt der Diskussion zu ruumlcken und einen offenen Dialog zu ermoumlglichen Wir sind ganz damit einverstanden dass gerade in kritischen Zeiten die Zusammenarbeit zwischen der russischen und deutschen Zivilgesellschaft gestaumlrkt wer-den muss Sofern der Petersburger Dialog in Zukunft dafuumlr ein Forum bietet werden wir uns gern daran beteiligen[Unterzeichner nicht veroumlffentlicht]Quelle Website der Boumlll-Stiftung lthttpwwwboelldede20141013reform-petersburger-dialog-ueberfaelliggt

offener Brief an den Vorsitzenden des Petersburger Dialogs lothar de maiziegravere vom 10 oktober 2014

- Offener Brief -HerrnDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des VorstandsPetersburger Dialog eVSchillerstraszlige 5910627 Berlin

Berlin 10 Oktober 2014Petersburger Dialog 2014 in SotschiSehr geehrter Herr de Maiziegravereals Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher zivilgesellschaftlicher Organisationen die seit der Gruumlndung des Petersburger Dialogs 2001 uumlber viele Jahre hinweg an dieser Veranstaltung teilgenommen haben moumlchten wir Ihnen gegenuumlber folgende Erklaumlrung abgeben

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Wir haben uns entschieden am 14 Petersburger Dialog in Sotschi nicht teilzunehmen der fuumlr den 29ndash31 Okto-ber angekuumlndigt worden ist Fuumlr diese Entscheidung die wir sorgfaumlltig diskutiert und abgewogen haben moumlchten wir drei Gruumlnde anfuumlhren1 Der Petersburger Dialog in seiner jetzigen Form steckt in einer Krise Von Jahr zu Jahr wird er seinem eigenem

Anspruch weniger gerecht Die Veranstaltung soll dem zivilgesellschaftlichen Dialog dienen Tatsaumlchlich sind Struktur Nominierungsverfahren und Programm des Petersburger Dialogs maszliggeblich von Akteuren aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert Unter diesen Voraussetzungen erfuumlllt der Petersburger Dialog leider nicht sein in seiner Satzung formuliertes Ziel ein raquooffenes Diskussionsforumlaquo zu sein das die raquoVerstaumlndigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Laumlnderlaquo foumlrdert Der Petersburger Dialog bedarf dringend einer grundlegenden Reform wie sie auch CDUCSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 eingefordert haben Gerne wuumlrden wir uns aktiv an einem Prozess zur Reformierung des Petersburger Dialogs beteiligen der auf eine pluralistische Zusam-mensetzung beider Lenkungsausschuumlsse und eine deutlich staumlrkere Ausrichtung auf unabhaumlngige zivilgesellschaft-liche Akteure zielt ohne den interdisziplinaumlren Ansatz der Veranstaltung aufzugeben

2 Die Situation in der sich Teile der Zivilgesellschaft in Russland befinden erfuumlllt uns mit groszliger Sorge Das betrifft auch Partnerorganisationen und Personen mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten Diese Organisa-tionen uumlben fuumlr Russland und daruumlber hinaus wichtige gesellschaftliche Funktionen aus Die Behinderung ihrer Arbeit durch buumlrokratische Huumlrden aber auch durch willkuumlrliche rechtliche Restriktionen und politische Diffa-mierung sind inakzeptabel Daruumlber koumlnnen wir nicht zur Tagesordnung uumlbergehen Wir wollen nicht zu Kron-zeugen fuumlr einen vorgeblich freien Austausch werden waumlhrend zugleich die kritische Zivilgesellschaft in Russland massiv und systematisch unter Druck gesetzt wird

3 In Teilen der Ukraine herrscht ein Kriegszustand fuumlr den die russische Fuumlhrung eine maszliggebliche Verantwor-tung traumlgt Wichtige Vertreter dieser Fuumlhrung spielen eine Schluumlsselrolle im Petersburger Dialog einschlieszliglich des fruumlheren Ersten Stellvertretenden Ministerpraumlsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden von Gazprom Wiktor Subkow der der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs ist Vor diesem Hin-tergrund moumlchten wir nicht durch unsere Teilnahme dazu beitragen dass eine Normalitaumlt in den deutsch-russi-schen Beziehungen simuliert wird die es derzeit wegen des Angriffs auf die politische Souveraumlnitaumlt und territo-riale Integritaumlt der Ukraine nicht geben kann

Wir waren und sind weiter sehr an einem offenen Dialog uumlber deutsch-russische Belange in einem gesamteuropaumli-schen Kontext interessiert und halten ihn fuumlr eine Bedingung guter Nachbarschaft und Kooperation Ein solcher Dia-log muss aber auch von beiden Seiten gewollt und ermoumlglicht werden Er darf zugleich nicht zum Nachteil Dritter gefuumlhrt werden Angesichts der aktuellen Lage und der bereits bekannt gewordenen Programmvorschlaumlge fuumlr Sotschi sehen wir auch diese Voraussetzung gefaumlhrdet

Dessen ungeachtet werden wir jede Moumlglichkeit nutzen unsere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Grup-pen und anderen Akteuren in Russland zu vertiefen und dieses Potential in einen bilateralen und europaumlischen Dia-log einzubringenMit freundlichen GruumlszligenRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter Politik Greenpeace eVQuelle lthttpwwwaustauschorgaktuelle-meldungennewsdetailarticle1offener-brie-1htmlno_cache=1ampcHash=0428c5bffdgt

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offener Brief des Vorsitzenden des Petersburger Dialogs vom 13 oktober 2014

AnRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich-Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace eVBerlin 13 Oktober 2014Ihr Schreiben vom 10 Oktober 2014Sehr geehrte Damen und HerrenIhren offenen Brief habe ich erhalten Dass Sie einen Brief aumlhnlichen Inhalts zunaumlchst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Auszligenminister verschickt haben verwundert mich Sie geben damit fuumlr die zivilgesell-schaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung die Sie fuumlr die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren

Ihre Nichtbeteiligung am Petersburger Dialog bedaure ich Denn es entspricht der Uumlberzeugung der meisten Mit-glieder des Vorstandes und des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs dass gerade angesichts zweifellos vorhan-dener Probleme fuumlr die Zivilgesellschaft die Sie teilweise benennen die offensive Auseinandersetzung zu solchen The-men gesucht werden muss Indem man sich solchen Gespraumlchen entzieht schadet man den Interessen der Betroffenen

Sie schreiben der Petersburger Dialog sei im Inneren zu reformieren da er von Vertretern aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert sei Diese Feststellung ist falsch und Sie wissen das Das auch in der Satzung des Petersbur-ger Dialogs beschriebene Konzept des Dialogs beruht auf einem breiten Gedankenaustausch aller gesellschaftlichen Kraumlfte Dazu gehoumlren die Bereiche Kultur Medien Bildung Wissenschaft und Kirchen genauso wie zahlreiche im Bereich der politischen sowie der sozialen Menschenrechte engagierte Einrichtungen die in ihrer Gesamtheit das deutsch-russische Verhaumlltnis beleben

Sie versuchen in Ihrem Brief den Petersburger Dialog auf das enge Feld einiger Vertreter der Zivilgesellschaft zu reduzieren die jenseits der korporierten Zivilgesellschaft angesiedelt sind und deren Interessenspektrum nur einen Teil des gesamten zivilgesellschaftlichen Engagements abdeckt

Ich verkenne nicht die ndash auch aber nicht nur ndash in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu Tage getretenen Probleme sowie die unterschiedlichen Folgen die sich aus einer raquogelenkten Demokratielaquo die in vielem nicht westli-chen Standards entspricht ergeben Dennoch Gemessen an weiten Bereichen der russischen Geschichte ist die Ent-wicklung seit 1991 ein Fortschritt Das daraus resultierende wenn auch im letzten Jahr stark eingetruumlbte Vertrauens-potential muss fuumlr die auf vielen Ebenen notwendigen Gespraumlchsforen genutzt und ausgebaut werden

Derartige Gespraumlche bedingen genauso Realismus wie intellektuelle Disziplin wozu auch gehoumlrt zu verstehen wie Russland die Probleme versteht Dies ndash und nicht Gespraumlchsverweigerung ndash ist die Voraussetzung um auf allen demokratischen gesellschaftlichen Ebenen ndash vom politischen Machtzentrum bis in die Randgruppen hinein ndash pro-blemorientierte Gespraumlche fuumlhren zu koumlnnen Dabei darf keine Seite fuumlr sich in Anspruch nehmen legitimere Inte-ressen zu vertreten als die andere

Das heiszligt Ein Gespraumlch raquoauf Augenhoumlhelaquo nicht von oben herab nicht moralisch belehrend aber mit klaren und ehrlichen Argumenten Dabei duumlrfen wir nicht verschweigen welche gesetzgeberischen aber auch politisch-morali-schen Standards wir fuumlr eine demokratische Gesellschaft im europaumlischen Kontext fuumlr unabdingbar halten

Der Petersburger Dialog wurde aus guten Gruumlnden als deutsch-russische Gemeinschaftseinrichtung konzipiert Da ist eine ndash oft muumlhsame ndash Kompromissfindung unausweichlich Dies ist Teil des Wertes auch der Tiefe aber auch der moralischen Qualitaumlt des Dialogs Das Ringen um kompromissfaumlhige Konzepte muss unser Anliegen bleiben nicht Vorverurteilung und GespraumlchsablehnungMit freundlichem GruszligDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des Vorstands Petersburger Dialog e VQuelle Website des Petersburger Dialogs lthttpwwwpetersburger-dialogcomoffener-brief-vom-13-oktober-2014gt

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offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

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9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

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14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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Die Russland-Analysen werden von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und von Mangold Consulting GmbH unterstuumltzt

Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

Abdruck und sonstige publizistische Nutzung sind nach Ruumlcksprache mit der Redaktion gestattetVerantwortlicher Redakteur Hans-Henning Schroumlder

Recherche Uumlbersetzungen und Sprachredaktion Christoph Laug Hartmut SchroumlderSatz Matthias Neumann

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ISSN 1613-3390 copy 2014 by Forschungsstelle Osteuropa BremenForschungsstelle Osteuropa bull Publikationsreferat bull Klagenfurter Str 3 bull 28359 Bremen bull Telefon +49 421-218-69600 bull Telefax +49 421-218-69607

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

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Die einzelnen Laumlnder-Analysen werden von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und der Deutschen Gesellschaft fuumlr Osteuropakunde jeweils mit unterschiedlichen Partnern und Sponsoren herausgegeben

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                                • Luumlgen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des JustizministeriumsErklaumlrung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL
                                  • Notizen aus Moskau
                                    • Petersburger Dialog
                                      • Jens Siegert Moskau
                                      • Dokumentation
                                        • Briefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo
                                          • Chronik
                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 11: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

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AUS RUSSISchEN BLOGS

nawalnyj krim nasch1

Seit Maumlrz 2014 steht Alexej Nawalnyj wegen des sogennanten raquoYves-Rocher-Fallslaquo unter Hausarrest Dem opposi-tionellen Politiker wurde per Gerichtsbeschluss verboten seine Wohnung zu verlassen sowie mit jeglichen Perso-

nen auszliger dem engen Familienkreis zu sprechen Interviews zu geben und das Internet zu nutzen Seitdem fuumlhrt das Team der raquoStiftung fuumlr die Korruptionsbekaumlmpfunglaquo (russ raquoFBKlaquo) seinen Blog und seine Frau seinen Twitter-Account Anfang Oktober milderte das Gericht des Moskauer Basmannyj-Rayons (Basmannyj-Gericht) uumlberraschenderweise die Bedingungen des Hausarrests in Bezug auf Kontakte mit der Auszligenwelt was nach mehreren Monaten Journalis-ten wieder einen Zugang zur Schluumlsselfigur der russischen Protestbewegung ermoumlglichte

Das Interview fuumlr Echo Moskwy vom 15 Oktober in dem Nawalnyj sich unzweideutig zur Annexion der Krim aumluszligerte erregte in Russland uumlberaus groszlige Aufmerksamkeit Wie im Nachhinein aus der Redaktion von Echo Moskwy verlautet wollte Michail Lesen Chef der Holding Gazprom-Media die zwei Drittel der Aktien des Radiosenders besitzt die Veroumlffentlichung dieses Interviews auf alle erdenkliche Weise verhindern er habe der stellvertretenden Chefre-dakteurin Olesja Rjabzewa per Telefon mit groszligen Problemen gedroht wie diese in ihrem Blog berichtet Das Inter-view schlug in der liberalen Oumlffentlichkeit wie eine Bombe ein da Nawalnyj die Ruumlckgabe der Krim an die Ukraine eindeutig ausschloss Auf die Frage des Chefredakteurs des Radiosenders Alexej Wenediktow raquoKrim naschlaquo (Ist die Krim unser) sagte der Oppositionelle Folgendes raquoIch finde dass obwohl die Krim unter eklatanten Verstoumlszligen gegen alle voumllkerrechtlichen Normen erobert wurde die Realien derart sind dass die Krim jetzt ein Teil der Russischen Foumlderation ist Machen wir uns doch nichts vor Den Ukrainern rate ich ebenfalls ausdruumlcklich sich nichts vorzu-machen Sie [die Krim Anm d Red] bleibt Teil Russlands und wird in absehbarer Zukunft kein Teil der Ukraine werdenlaquo Diese Aussage loumlste auf Twitter einen massiven raquoShitstormlaquo aus Kurz nach dem Interview schloss sich auch Michail Chodorkowskij der Position Nawalnyjs an und sagte raquoDie Krim gebe ich nicht zuruumlcklaquo (lthttpgraniruPol iticsRussiaPartiesm234009htmlgt) Im Zuge heftiger Debatten in den Blogs teilte sich die liberale Oumlffentlichkeit Russlands in Nawalnyj-Versteher und harsche Kritiker der Krim-Annexion es meldeten sich unter anderem zu Wort Grigorij Golosow Professor an der Europaumlischen Universitaumlt St Petersburg Sergey Davidis Buumlrgerrechtler und enger Verbuumlndeter Nawalnyjs in der Protestbewegung Alexander Osowzow Projektdirektor der Stiftung von Michail Cho-dorkowskij raquoOffenes Russlandlaquo Wladislaw Naganow Mitglied der Nawalnyj-Partei raquoPartei des Fortschrittslaquo der Jour-nalist und Publizist Alexander Sotnik der russischsprachige Kiewer Journalist Mustafa Nayyem und der Kriegskor-respondent Arkadij Babtschenko

eine situation ohne guten AuswegraquoNawalnyj stellt alles richtig dar zu vielen Fragen laumlsst sich derzeit kaum etwas Besseres sagen Er ist ein begabter Mensch ein geborener Politiker Das Schlimme ist dass Russland ihn unter Hausarrest haumllt Alle gehen ihn hier an mit der Krim Man muss aber dabei im Kopf behalten dass es Putin war der die ukrainischen Probleme fuumlr Russland geschaffen hat und Nawalnyj nach einem guten Ausweg aus einer schlechten Lage zu fragen ist nicht besonders fair Die Krim bedeutet eine Situation ohne guten Ausweg Fuumlr den Besitz der Krim werden wir ndash alle zusammen oder jeder einzelne aus eigener Tasche ein Vielfaches von dem zahlen muumlssen was es gekostet haumltte jeden Quadratmeter auf der Halbinsel zu kommerziellen Preisen als Eigentum zu erwerben und alle Bewohner die dann nicht bleiben wollen an die Cocircte drsquoAzur umzusiedeln Putin hat das Geschaumlft bereits abgeschlossen Selbst Nawalnyj kann es nicht stornierenlaquoGrigorij Golosow via Snobru 16102014 lthttpslonrurussiapochemu_navalnyy_prav-1172360xhtmlgt

raquoAlle haben sich auf nawalnyj gestuumlrzthelliplaquoraquoIch habe in seinen Worten keinen Imperialismus erkennen koumlnnen er stimmt der Besetzung und Annexion der Krim nicht zu weist im Gegenteil auf deren krasse Rechtswidrigkeit hin Er hat gesagt dass Krim jetzt de facto zu Russ-land gehoumlrt [hellip] Er sagt dass man sie nicht wie ein Butterbrot zuruumlckgeben kann dass das die Bevoumllkerung entschei-den sollte was gibt es da zu bestreiten Selbst bei der Annexion gab es ein Schein-Referendum Und wenn man nicht autoritaumlr und rechtswidrig vorgeht sondern fair und demokratisch wer anders als die Bevoumllkerung sollte dann ent-scheiden [hellip]

Was ich in der Aumluszligerungen Alexejs nicht gutheiszligen wuumlrde ist der Stil Man sollte jetzt auf Ratschlaumlge fuumlr die Ukrainer lieber verzichten insbesondere bei einer solchen Frage Man sollte nicht davon reden dass Krim rsaquoin absehba-

1 dt Die Krim ist unser

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rer Zukunft kein Teil der Ukraine werdenlsaquo wird auch wenn es scheint als ob die Ergebnisse eines jeden Referendums vorhersehbar sind Schlieszliglich tragen wir alle selbst diejenigen die dagegen waren zu einem gewissen Grad eine Ver-antwortung bei der Aggression des Kreml gegen die Ukraine und trotz allem stehen wir in den Augen der Ukrainer vollkommen zurecht als Buumlrger eines Aggressorstaates da Etwas mehr Ruumlcksicht und Fairness waumlre nicht verkehrtlaquoSergej Davidis auf Facebook 15102014 lthttpswwwfacebookcomsergeidavidisposts800840943304969gt

raquoDer Drache gewinnt in jedem falllaquoraquoBezuumlglich der Krim bin ich mit Nawalnyj kategorisch nicht einverstanden und finde dass gerade Russland der Ukraine die annektierte Krim zuruumlckgeben sollte vor allem weil niemand auch kein Land ein normales Leben fuumlh-ren kann ohne zu versuchen die Folgen eines von ihm begangenen Verbrechens nach Moumlglichkeit zu korrigieren Das waumlre genauso als wenn Alexejs rsaquoLieblingsfigurenlsaquo ndash Timtschenko Jakunin die Rotenbergs usw ndash eines schoumlnen Tages sagen wuumlrden rsaquoWir klauen jetzt nicht mehr wir sind jetzt ehrliche Leute Aber was wir vorher zusammenge-klaut haben das gehoumlrt bereits uns und das behalten wirlsaquo Eine solche Idee wuumlrde Nawalnyj kaum zufriedenstellen

Die Diskussion um Nawalnyjs Position die jetzt stattfindet zeigt aber aus meiner Sicht sehr ernst zu nehmende moralische und ethische Probleme innerhalb eines Teils der russischer Opposition auf Die einen die gestern noch mit harten Worten die rsaquoKrimnaschistenlsaquo beschimpft haben und so schien es bereit waren rsaquoWatniki und Koloradylsaquo2 in Stuumlcke zu zerreiszligen sind nun durch der rsaquoHetze der liberalen Presse gegen Nawalnyjlsaquo empoumlrt [hellip]

Ich moumlchte denjenigen fuumlr die jedweder Meinungsunterschied zu Nawalnyj ein Anschlag auf das Allerheiligste ist Folgendes sagen Beruhigt euch versucht zu verstehen dass es dumm und aussichtslos fuumlr das Land waumlre rsaquoPuti-noidelsaquo durch rsaquoNawalnoidelsaquo auszutauschen So wie in dem alten vietnamesischen Maumlrchen uumlber den Drachen und das Schwert aus grauem Stahl Es gewinnt immer der DrachelaquoAlexander Osowzow auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcomosovtsovaaposts1568393260047754gt

raquoman darf sie nicht hin und her zuruumlckgebenlaquoraquoAlle die Nawalnyj fuumlr seine Worte rsaquoIst die Krim etwa ein Wurstbrot dass man es hin und her zuruumlckgeben koumlnntelsaquo kritisieren moumlchte ich fragen Wie stellt ihr das uumlberhaupt vor

Der Praumlsident Russlands unterschreibt einen Erlass uumlber die Ruumlckgabe der Krim und Sewastopols an die Ukraine Uumlber die Entziehung der russischen Staatsbuumlrgerschaft bei allen Bewohnern der Krim und Sewastopols Oder kann man den Menschen die russische Staatsbuumlrgerschaft belassen und nur das Territorium ndash mit ihnen ndash uumlbergeben Fragt irgendjemand die Menschen was sie wollen bevor man etwas mit ihnen macht Oder werden die Einwohner der Krim und Sewastopols nicht fuumlr Menschen gehalten sondern fuumlr Vieh fuumlr eine Schafherde die zwischen verschie-denen Staaten hin und her rsaquouumlbergebenlsaquo werden kann Der eine Praumlsident hatte Lust und nahm es sich der andere hat sich anders uumlberlegt und gibt es wieder zuruumlckt So etwa

Sollte man nicht doch besser die Menschen fragen Hat Nawalnyj das etwa nicht selbst gesagt als er von einem rsaquonormalenlsaquo Referendum auf der Krim sprach Ich verstehe unter einem rsaquonormalenlsaquo Referendum eines das nicht nur 15ndash20 Tage vorbereitet wird sondern mindestens drei Monate Und bei dem es keine Einschraumlnkungen fuumlr die Kam-pagne gibt Die Anhaumlnger einer Zugehoumlrigkeit der Krim und Sewastopols zur Ukraine wollen hierfuumlr agitieren mit Plakaten Flugblaumlttern Werbevideos ukrainischen Fahnen ndash bitte schoumln Ohne Einschraumlnkungen Und dass alle moumlg-lichen Wahlbeobachter zum Referendum kommen koumlnnen von der OSZE von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates von der GUS aus der Ukraine der EU und den USA von uumlberall her Und dass ein transparenter Ablauf der Stimmenzaumlhlung gewaumlhrleistet werde Und wenn jemand von den Wahlbeobachtern ein Nachzaumlhlen der Stimmen per Hand verlangt ndash bitte schoumln mehrmals so oft wie gewuumlnscht Und uumlberhaupt Lasst so viele Wahlbe-obachter in jedes Wahllokal wie dort Platz ist Und keinerlei bewaffnete Menschen mit Maschinenpistolen in kei-nem einzigen Wahllokal oder dessen UmgebunglaquoWladislaw Naganow auf Livejournal 16102014 lthttpnaganofflivejournalcom142862htmlgt

liebe raquonawalnistenlaquoraquoAlso Fuumlr die verehrten rsaquoNawalnistenlsaquo die sich wegen Alexej so aufregenhellip

2 raquoWatnikilaquo (Wattejacken) ndash abfaumlllige Bezeichnung fuumlr russische sbquoHurrapatriotenlsquo (ein raquoWatniklaquo ist eine Wattejacke die mit der Armee aber auch mit Straumlflingen assoziiert wird) raquoKoloradylaquo (von raquo koloradskij shuklaquo ndash Kartoffelkaumlfer) ndash abfaumlllige Bezeichnung fuumlr prorussische Akti-visten in der Ukraine (die Faumlrbung des Kaumlfers ist schwarz-gelb oder schwarz-orange gestreift aumlhnlich den Farben des St Georgs-Bandes das von prorussischen Kraumlften in der Ukraine und von politisch rechtsstehenden Russen als Abzeichen verwendet wird)

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Ja eurer rsaquoFuumlhrerlsaquo ist Imperier Daraus hat er kein Geheimnis gemacht Er ist bei der Krim-Frage ein absoluter Putin Weil er wenn er einer anderen Ansicht waumlre Wenediktow Folgendes gefragt haumltte rsaquoVon welcher Krim reden Sie denn Von der die zur Ukraine gehoumlrt womit Russland einverstanden war als es das Budapester Abkommen unterschrieben hat Sie fragen mich uumlber die territoriale Integritaumlt eines Staates dem Russland Garantien gegeben hat wonach die Ukraine zum atomwaffenfreien Land geworden ist Haumltte Russland seinerzeit diese Garantien nicht gegeben haumltte die Ukraine jetzt Atomraketen und wir wuumlrden es niemals riskieren uns dort einzumischenhellip Sie fragen also nach Quatsch und zwar provokantem Quatschlsaquo

Wenn er also auf diese Weise geantwortet haumltte dann ja Dann waumlre er als Politiker geboren worden Er hat sich aber ausgenullt Wie seinerzeit Udalzow

Und noch etwa Verehrte rsaquoNawalnistenlsaquo houmlrt auf euch Goumltzen zu schaffen Viele von euch waren auf dem rsaquoFrie-densmarschlsaquo zur Unterstuumltzung der territorialen Integritaumlt der Ukraine Verliert das Gesicht nicht Trefft eine Wahl ohne Bindung des Herzens Und all die Argumente rsaquoer habe es nicht so gesagt er habe etwas anderes gemeintlsaquo das ist im Stil von rsaquoPutinistenlsaquo und zwar rsaquoUnser Fuumlhrer hat alle ausgetrickst Das eine gesagt was anderes getan Sie haben seinen Weisheiten schlecht zugehoumlrtlsaquohellip

Seid keine Kinder Werdet erwachsenlaquoAlexander Sotnik auf Facebook 15102014 lthttpswwwfacebookcomsashasotnikposts646414272138108gt

raquorandfigur russischer PolitiklaquoDa Alexej Nawalnyj recht offen seine Meinung zur Krim geaumluszligert hat [hellip] waumlre es auch fuumlr den Oppositionellen selbst sinnvoll das Geheimnis uumlber seine Lage zu luumlften Ich finde dass abgesehen davon dass die Rechte von Ale-xej Nawalnyj lange Jahre verletzt wurden und er nach himmelschreiender Verletzung aller Gesetzesnormen der Rus-sischen Foumlderation verurteilt wurde die Realitaumlt so aussieht dass Herr Nawalnyj eine Randfigur der russischen Poli-tik ist Ich rate ihm und seinen Anhaumlngern eindringlich sich nichts vorzumachen ndash sie haben in absehbarer Zukunft keine Chance bedeutende Figuren in der groszligen Politik zu werden Das waumlre ebenfalls ehrlichMustafa Nayyem auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcomMustafanayyemposts10203171638717866gt

raquoWas wollen sie Pardon zuruumlckgebenlaquoraquoWas fuumlr spannende Eskapaden nun zu dieser Krimhellip rsaquoDie Krim ist kein Wurstbrotlsaquo meint Nawalnyj rsaquoWenn ich Prauml-sident werde gebe ich Krim nicht zuruumlcklsaquo schreibt Michail Chodorkowskij auf Twitter [hellip]

Russland hat einen Teil eines souveraumlnen Staates okkupiert Diese Okkupation ist von keinem anderen Staat in der Weltgemeinschaft anerkannt worden In der ganzen Welt hat sich die ukrainische Grenze nicht um einen Zen-timeter veraumlndert Die Welt kennt keinen anderen Staat rsaquoUkrainelsaquo auszliger diesen ndash mit der Krim Die Welt kennt kei-nen anderen Staat rsaquoRusslandlsaquo auszliger diesen ndash ohne die Krim Es hat keine Vertraumlge zur Anerkennung und Bestaumltigung neuer Grenzen gegeben

Was also wollen Sie Verzeihen Sie die Frage rsaquozuruumlckgebenlsaquo [hellip]Und zweitens Das wichtigsteWenn du Praumlsident wirst ndash eben Praumlsident ndash waumlre in diesem Koordinatensystem schon eine solche Fragestellung

rsaquoabgeben oder nichtlsaquo per definitionem undenkbar Denn der Praumlsident ist ein gewaumlhltes Amt Ein Amt das im Rah-men fairer und freier Wahlen besetzt wird die in einem demokratischen Land nach internationalen Regeln Konven-tionen Rechten und Gesetzen die durch die Weltgemeinschaft als korrekt anerkannt werden [hellip] In dieser Situa-tion wuumlrde sich die Frage rsaquozuruumlckgeben oder besser nochmal uumlberlegenlsaquo a priori nicht stellen Weil nicht du es bist der uumlber zuruumlckgeben oder nicht entscheidet Du bist kein Lenker des Schicksals von Staaten Laumlndern und Voumllkern Du bist bloszlig Garant der Ausfuumlhrung von Gesetzen Einschlieszliglich internationaler Gesetze Fuumlr alle die daruumlber anders dachten ist die Moumlglichkeit geschaffen worden uumlber ihre Fehler nachzudenken ndash in den schoumlnen Staumldten Nuumlrnberg und Den HaaglaquoArkadij Babtschenko auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcombabchenkoaposts555934824506755fref=nfgt

Ausgewaumlhlt und zusammengefasst von Sergey Medvedev Berlin (Die Blogs auf die verwiesen wird sind in russischer Sprache verfasst)

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ANALYSE

zivilgesellschaft und staat in russlandPavel Chikov Moskau

zusammenfassungDie Zivilgesellschaft befindet sich heute in Russland in einem schlechten Zustand Sie entwickelte sich Ende der 1980er Jahre und genoss bis Ende der 1990er Jahre weitgehende Freiheiten 1999 gab es erste staatliche Eingriffe und 2004 kennzeichnete Praumlsident Putin aus dem Ausland finanzierte NGOs direkt als raquoFeindelaquo In den folgenden Jahren wurde die Gesetzgebung verschaumlrft die Registrierung von NGOs erschwert den-noch gab es bis zur Ruumlckkehr Putins in das Praumlsidentenamt im Jahre 2012 kein ernstliches Vorgehen der Behoumlrden gegen die NGOler Mit der ultrakonservativen Wende des Jahres 2012 begann der Staat auch verstaumlrkt gegen die NGOs vorzugehen Heute auch nach den Ereignissen in der Ukraine ist weithin klar geworden dass Wladimir Putin bei seiner Orientierung auf einen extremen Konservatismus auch vor Re-pressionen gegen Nichtregierungsorganisationen nicht zuruumlckscheut

Die entstehung der zivilgesellschaft ende der 1980er JahreDer Zustand der Zivilgesellschaft in Russland laumlsst sich heute mit nur einem Wort charakterisieren schlecht Mehr noch Er ist schlechter denn je in der neuesten Geschichte Russlands wenn man davon ausgeht dass es zu sowjetischer Zeit keine nennenswerte Zivilgesell-schaft gegeben hat Die vereinzelten sowjetischen Buumlr-gerrechts- und Dissidentengruppen deren Mitglieder von den Geheimdiensten aufs engste uumlberwacht wurden lassen sich naumlmlich nur mit groumlszligter Muumlhe als Zivilge-sellschaft bezeichnen

Eine legale Existenz vom Staat unabhaumlngiger Nicht-regierungsorganisationen begann in Russland ungefaumlhr in jener Zeit als West- und Ostdeutschland wiederver-eint wurden Ende der 1980er und in der ersten Haumllfte der 1990er Jahre wurden zum einen die bereits erwaumlhn-ten sowjetischen Dissidentengruppen dann aber auch jene Initiativgruppen die auf der Welle der Perestroika unter Gorbatschow entstanden waren und nun als Orga-nisationen auftraten zur Basis der kuumlnftigen Zivilgesell-schaft Diese Gruppen erreichten dass Kuibyschew in Samara und Gorkij in Nishnij Nowgorod umbenennt wurde und sie beteiligten sich engagiert an den Wahlen der Volksdeputierten beseitigten verschiedenste Relikte der sowjetischen Vergangenheit wurden zu Meinungs-fuumlhrern der Gesellschaft organisierten erstmals recht-liche Hilfe fuumlr die schwaumlchsten Bevoumllkerungsgruppen

Die ersten Gesetze die die Taumltigkeit von NGOs sys-tematisch regulierten entstanden in den Jahren 1995 und 1996 Sie wurden auf der Houmlhe der allgemeinen Demokratisierung verabschiedet schrieben die grundle-genden buumlrgerlichen Freiheiten fest sahen eine Registrie-rung per Anmeldung keinerlei Rechenschaftspflichten sowie die Moumlglichkeit vor ohne Registrierung als juristi-sche Person taumltig sein zu koumlnnen Hierbei konnten rund zwei Dutzend verschiedener Rechtsformen genutzt wer-den Eine gesellschaftliche Organisation (NGO) regis-

trieren zu lassen bedeutete keine Muumlhe und die staat-lichen Gebuumlhren hierfuumlr waren minimal Gleichzeitig gab es jedoch keinerlei System fuumlr eine finanzielle Foumlrde-rung von nichtkommerziellen Organisationen (NGOs) durch den Staat

erste eingriffe des staatesDie ersten Zeichen die von kuumlnftigen Problemen fuumlr NGOs kuumlndeten erfolgten im Jahr 1999 als das Justiz-ministerium eine Neuregistrierung aller aktiven nicht-kommerziellen Organisationen (NGOs) verlangte Damals sahen sich einige Menschenrechtsorganisatio-nen erstaunlichen Beanstandungen durch die Behoumlrden gegenuumlber Wie sich herausstellte sollte es nicht moumlg-lich sein den Schutz der Menschenrechte und buumlrgerli-chen Freiheiten zu den satzungsgemaumlszligen Zielen zu zaumlh-len Die Fachleute des Justizministeriums behaupteten Da der Schutz der Menschenrechte gemaumlszlig der Verfas-sung die Pflicht des Staates ist koumlnnten NGOs diesen darin allenfalls sbquounterstuumltzenlsquo Das ist die Erklaumlrung dafuumlr dass die meisten Moskauer Organisationen bei ihren Namen und in ihren Satzungen bis heute diese Formulierung verwenden die offensichtlich eine klare paternalistische Botschaft an die Gesellschaft darstellt Zivilgesellschaftliche Organisationen koumlnnen ndash so die Haltung der russischen Regierung seit 1999 und bis jetzt ndash nichts selber machen Sie koumlnnen lediglich den Staat unterstuumltzen Folglich stoszligen NGOs wenn sie sich gegen die Politik des Staates wenden auf unweiger-lichen vaumlterlichen Zorn Die 15 Jahre nach 1999 illus-trieren diese Haltung sehr deutlich

nichtregierungsorganisationen als raquofeindelaquo2004 hat Praumlsident Putin in seiner jaumlhrlichen Parla-mentsansprache Nichtregierungsorganisationen die auch nur irgendwelche Gelder aus dem Ausland erhalten direkt seine Feinde genannt 200405 wurde eine spe-zielle staatliche Struktur der raquoFoumlderale Dienst fuumlr Regis-

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trierunglaquo (raquoRosregistrazijalaquo) geschaffen ndash eine Polizei fuumlr NGOs Es wurden fuumlr NGOs Rechenschaftspflich-ten uumlber ihre Taumltigkeit eingefuumlhrt die fuumlr zwei Drit-tel der Organisationen nicht zu stemmen waren Von 2006 bis 2008 hat diese dem Justizministerium nach-geordnete Behoumlrde die Aufloumlsung Zehntausender zivil-gesellschaftlicher Organisationen per Gerichtsbeschluss erwirkt Weitere 50000 erhielten Verwarnungen Ins-gesamt befanden sich beim Amtsantritt des Zwischen-praumlsidenten Medwedew achtzig Prozent der in Russland existierenden Organisationen (ungefaumlhr 150ndash180000) nur einen Schritt von ihrer moumlglichen Aufloumlsung (aus formalen Gruumlnden) durch das Justizministerium ent-fernt Staatsfreundliche Strukturen (wie etwa die Gesell-schaftskammer) haben beharrlich die Vorstellung trans-portiert dass es in Russland tatsaumlchlich nicht mehr als 30000 gesellschaftliche Organisationen (NGOs) gebe Das Anhalten der repressiven Maschine gegen NGOs war eine der wenigen liberalen Zugestaumlndnisse Dmitrij Medwedews als Praumlsident raquoRosregistrazijalaquo wurde 2008 selbst aufgeloumlst und seine Funktionen zur Kontrolle der Nichtregistrierungsorganisationen direkt dem Justiz-ministerium uumlbertragen Viele ehemalige Mitarbeiter von raquoRosregistrazijalaquo einschlieszliglich des Behoumlrdenlei-ters wechselten zur Staatsanwaltschaft

2009 und 2010 ritten die Behoumlrden nur vereinzelte Angriffe auf Nichtregistrierungsorganisationen Ein besonders bekannter Fall war die blitzartige staatsan-waltschaftliche Uumlberpruumlfung von 40 Menschenrechtsor-ganisationen im September 2010 die auf Anweisung der Praumlsidialadministration erfolgte diese wollte vor dem Treffen der Leiter der Kommission von Wladislaw Sur-kow und Michael MacFaul kompromittierende Mate-rialien uumlber aus dem Ausland finanzierte Organisatio-nen praumlsentieren Insgesamt aber hat bis zur Ruumlckkehr Putins in das Praumlsidentenamt kein ernstliches Vorgehen der Behoumlrden gegen die NGOler gegeben

Die situation der zivilgesellschaft nach dem mai 2012Die Situation aumlnderte sich grundlegend im Mai 2012 nach der dritten Inauguration Putins die von Mas-senprotesten auf dem Bolotnaja-Platz begleitet wurde denen die bis heute andauernden sogenannten Bolot-naja-Verfahren folgten naumlmlich die strafrechtliche Ver-folgung und Verurteilung zu Gefaumlngnisstrafen von Teil-nehmern der regierungskritischen Demonstration vom 6 Mai 2012 Die Praumlsidialadministration wappnete sich mit der ultrakonservativen Politik einer demonstrativen Absage an liberale Werte fuumlr den Praumlsidenten wurde das Image eines Verteidigers traditioneller Werte aufgebaut die den Menschenrechten und buumlrgerlichen Freiheiten gegenuumlbergestellt werden

Die weitgehenden Beschraumlnkungen der Versamm-lungsfreiheit die Verfolgung von Schwulen und Les-ben die Angriffe auf die Redefreiheit im Internet die Herstellung staatlicher Kontrolle uumlber die Medien die Diskreditierung des Instituts der Wahlen wurden durch eine Kampagne zur Verfolgung von Nichtregierungsor-ganisation ergaumlnzt Diese Welle wurde unter der Losung losgetreten dem Einfluss aus dem Ausland entgegenzu-wirken Sie erfolgte durch Aumlnderungen im Gesetz uumlber nichtkommerzielle Organisationen (NGOs) das Aumlnde-rungsgesetz wurde als raquoGesetz uumlber auslaumlndische Agen-tenlaquo bekannt Praumlsident Putin persoumlnlich ist bekann-termaszligen dessen geistiger Vater Im Verlauf des Jahres 2013 organisierte die Staatsanwaltschaft die vom Jus-tizministerium die Funktion der Kontrolle uumlber Nicht-regierungsorganisationen uumlbernommen hatte die Uumlber-pruumlfung von rund tausend NGOs und lieszlig sich dabei lediglich von einem Kriterium leiten naumlmlich der Frage ob eine Organisation in irgend einer Art Gelder aus irgendeiner Art auslaumlndischer Quelle erhaumllt die Ver-einten Nationen den Europarat und private Nichtre-gierungsstrukturen eingeschlossen Auch eine Reihe deutscher Stiftungen und Organisationen waren Atta-cken ausgesetzt naumlmlich die Friedrich-Ebert-Stiftung die Konrad-Adenauer-Stiftung und der Deutsch-Rus-sische Austausch

Ziel der von Generalstaatsanwalt Jurij Tschajka ini-tiierten Kampagne war es moumlglichst viele Organisa-tionen dazu zu noumltigen sich als auslaumlndischer Agent registrieren zu lassen Die Reaktion der russischen Zivil-gesellschaft laumlsst sich wohl als deutlichsten Beweis ihrer Existenz bezeichnen Nach dieser halbjaumlhrigen Kam-pagne in allen Regionen des Landes hatte sich keine einzige Organisation im Verzeichnis der raquoauslaumlndi-schen Agentenlaquo registrieren lassen Die Zivilgesellschaft hatte ndash ohne sich zu verabreden ndash die Anwendung die-ses Gesetzes sabotiert und Dutzende Organisationen zogen mit Beschwerden gegen das Vorgehen der Staats-anwaumllte vor Gericht Diese ewig langen Gerichtspro-zesse dauern bis heute an Involviert sind mittlerweile auch das Oberste Gericht das Verfassungsgericht der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte die Vene-dig-Kommission des Europarates der Menschenrechts-kommissar des Europarates und die Regierungschefs aller groszligen westlichen Staaten

Heute nach den diesjaumlhrigen Ereignissen in der Ukraine ist weithin klar gewonnen dass Wladimir Putin bei seiner Hingabe an extremen Konservatismus und bei seiner Attacke gegen liberale Werte die die Grundlage der Nachkriegsordnung dargestellt haben bei Repressionen gegen Nichtregierungsorganisationen nicht halt macht Heute in einer Situation da von jenem Moment wo im Kopf des Praumlsidenten oder von irgend

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jemandem in dessen engster Umgebung die naumlchste Idee zur Beschraumlnkung der Menschenrechte entsteht bis zur Verabschiedung und dem Inkrafttreten eines entsprechenden Foumlderalen Gesetzes nur eine Woche vergehen kann koumlnnen jene die Menschenrechtsar-

beit machen solche Schritte der Regierung weder aus-zuschlieszligen noch sie vorhersehen Es bleibt einem nur auf wirklich alle Szenarien gefasst zu sein auch auf die schlimmsten

Uumlbersetzung Hartmut Schroumlder

Uumlber den AutorPawel Chikow Vorsitzender der Interregionalen Assoziation der Buumlrgerrechtsorganisationen raquoAGORAlaquo Mitglied des Rats fuumlr die Entwicklung der Zivilgesellschaft und fuumlr Menschenrechte beim Praumlsidenten der Russischen Foumlderation

ANALYSE

ngos in russlandJens Siegert Moskau

zusammenfassungUnabhaumlngige russische NGOs sind seit Praumlsident Putins Amtsantritt Ziel staatlichen Drucks Die Auseinan-dersetzung mit diesem Druck hat bei den NGOs zu einer schrittweisen und beindruckenden Professionali-sierung beigetragen die wiederum geholfen hat trotz dieses Drucks nicht nur zu uumlberleben sondern auch ihre Arbeit weiter machen zu koumlnnen Das vor knapp zwei Jahren in Kraft getretene sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo stellt die NGOs vor eine neue harte Probe Zudem versucht der Staat erneut NGOs auch institutionell in raquogutelaquo und raquoboumlselaquo einzuteilen Dieser neue Versuch NGOs unter direkte staatliche Kontrol-le zu bringen gefaumlhrdet die Existenz unabhaumlngiger und staatskritischer NGOs in Russland

Putin und die ngosSeit Wladimir Putin vor nun schon fast 15 Jahren rus-sischer Praumlsident wurde versucht er sehr erfolgreich alle autonomen politischen Subjekte in Russland der direkten Kontrolle des Staates besser noch des Kremls zu unterwerfen In Wirtschaft und Politik ist das wei-testgehend gelungen Bei den Massenmedien sehr weit-gehend Blieben und bleiben die NGOs Sie haben sich als am widerstaumlndigsten erwiesen Das hat unterschied-liche Gruumlnde

Erstens galten NGOs im Kreml lange nicht als son-derlich gefaumlhrliche politische Bedrohung Das aumlnderte sich kurzzeitig 20042005 als der Kreml vor allem bei der sogenannten Orangenen Revolution in der Ukraine aus dem Ausland finanzierte NGOs als wichtige trei-bende Kraft der politischen Veraumlnderungen betrachtete Doch hielt diese seinerzeit stark uumlbertriebene Angst vor der Moumlglichkeit aumlhnlich raquoumstuumlrzlerischer Machen-schaftenlaquo in Russland nur recht kurz an Danach etwa ab Ende 2006 und bis zur Protestwelle gegen Wahlfaumll-schungen und die Wiederwahl von Wladimir Putin zum russischen Praumlsidenten im Winter 20112012 periodisch blieben die Aufmerksamkeit den NGOs gegenuumlber und das Verhaumlltnis zwischen Staat und NGOs ambivalent

Dieses Verhaumlltnis schwankt seit Putins Machtan-tritt zwischen dem Misstrauen des Staates allen auto-nomen potentiell eigenstaumlndigen politischen Subjekten gegenuumlber (die aus seiner Sicht streng kontrolliert gehouml-ren) und der Erkenntnis dass NGOs eine ganze Reihe wichtiger sozialer und politischer Funktionen ausfuumll-len die der Staat nicht oder nicht mehr zu gewaumlhrleis-ten in der Lage ist Auszligerdem erwiesen sich die NGOs nach weitgehender Abschaffung der Pressefreiheit und Gleichschaltung der (ohnehin schwachen und in vielen Bereichen dysfunktionalen) politischen Parteien fuumlr den Kreml als nuumltzlicher ja mitunter notwendiger Kommu-nikationskanal in die Gesellschaft

Die Uumlberlebensfaumlhigkeit der russischen ngosDas Uumlberleben unabhaumlngiger NGOs wurde bis heute auszligerdem durch ihre groszlige politische und institutio-nelle Lernfaumlhigkeit gewaumlhrleistet Unter dem staatli-chen Druck der vergangenen 15 Jahre ist die NGO-Arbeit in Russland in fast allen Bereichen professioneller geworden Das gilt insbesondere fuumlr die Einhaltung der in vielem widerspruumlchlichen oft geaumlnderten und uumlber Verwaltungsakte zu wahren buumlrokratischen Monstern

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aufgeblaumlhten die NGOs betreffenden Gesetze Kurz gesagt Vor allem Juristen Buchhalter Geschaumlftsfuumlh-rer die NGOs beraten oder in ihnen arbeiten aber auch viele Aktivisten sind schlicht besser schneller und pro-fessioneller als die staatliche Finanz- Justiz- oder sons-tige Verwaltung Einem in vielem legalistischen Staat gegenuumlber kostet diese staumlndige Professionalisierung (auch im Sinn einer Art raquolebenslangen Lernenslaquo) zwar viel Kraft und es muumlssen dafuumlr nicht geringe Ressour-cen eingesetzt werden aber sie verschafft solange es sich nicht um frontale Angriffe handelt immer wieder Raum und Zeit zum Weitermachen

Damit komme ich zum dritten Grund fuumlr die beson-dere Widerstaumlndigkeit von NGOs in Russland Es ist fuumlr einen Staat (und seine Staatsmaumlnner und -frauen) fuumlr den der Eigensinn der Menschen nur schwer vorstell-bar ist und der vom eigenen Zynismus geleitet hin-ter jedem und allem irgendwelchen raquofremden Maumlchtelaquo Verschwoumlrungen und politischen Utilitarismus vermutet ganz offenbar schwer vorstellbar dass zivilgesellschaftli-ches Engagement sozusagen aus sich selbst heraus oder aus einer bestimmten Situation oder einem bestimmten Ereignis einem Erlebnis oder einer Erfahrung heraus entsteht Administrative auch strafrechtliche Maszlig-nahmen gegen dieses Engagement laufen eben deshalb immer wieder zwar nicht voumlllig ins Leere (sie erschwe-ren dieses Engagement mitunter enorm) aber sie koumln-nen es nicht verhindern Es verlagert sich immer wieder und findet immer neue Formen und Foren

Die Verstaumlrkung der staatlichen kontrolleBis heute gab es unter Putin drei groumlszligere Versuche unab-haumlngige NGOs unter mehr oder weniger direkte staatli-che Kontrolle zu bringen und diejenigen die sich dagegen wehrten entweder zu marginalisieren oder auch zu schlie-szligen Der erste im Jahr 2001 endete mit einem oben schon angedeuteten Kompromiss der das Verhaumlltnis Kreml-NGOs in einem (allerdings jederzeit prekaumlren) Gleich-gewicht zwischen Konfrontation und Kooperation hielt

Der zweite Versuch endete in der Verabschiedung des raquoNGO-Gesetzeslaquo Ende 2005Anfang 2006 das den NGOs weitergehende Berichtspflichten auferlegte in der Praxis also Ressourcen band und bindet aber ebenfalls in der Praxis und entgegen anderslautenden Befuumlrchtungen nicht zu wesentlichen Einschraumlnkun-gen in der Arbeit russische NGOs fuumlhrte Die groumlszligte negative Wirkung dieses Versuches duumlrfte von zahlrei-chen oumlffentlichen Aumluszligerungen hochgestellter Politiker bis hin zu Putin ausgegangen sein NGOs seien raquoFeindelaquo raquoSchakale die um auslaumlndische Vertretungen streunenlaquo Dadurch wurde die Einstellung von Teilen der Gesell-schaft vor allem aber von weiten Teilen der Verwaltung zu NGOs grundsaumltzlich negativ gepraumlgt

Der dritte Versuch begann als Teil der staatlichen Reaktionen auf den Protestwinter 20112012 und haumllt bis heute an Sein wichtigster Bestandteil ist das soge-nannte raquoNGO-Agentengesetzlaquo das eigentlich kein eigenes Gesetz ist sondern aus einer Reihe dem NGO-Gesetz neu hinzugefuumlgter oder geaumlnderter Paragraphen besteht Diese Vorschriften verpflichten NGOs die raquosich politisch betaumltigenlaquo und Geld oder andere Zuwendun-gen aus dem Ausland erhalten sich beim Justizminis-terium als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren zu lassen Danach muumlssen sie jede oumlffentliche Aumluszligerung mit dem Zusatz raquoauslaumlndischer Agentlaquo versehen

Die Durchsetzung des AgentengesetzesTrotz erheblichen staatlichen raquoPressingslaquo der raquoUumlber-pruumlfunglaquo von mehr als 700 NGOs in ganz Russland durch Staatsanwaltschaft Justizministerium Finanz-amt und eine Reihe anderer Behoumlrden ab dem Fruumlhjahr 2013 hatte sich im Fruumlhjahr 2014 erst eine NGO als raquoauslaumlndischer Agentlaquo im entsprechenden Register des Justizministeriums eintragen lassen (lthttpunromin justruNKOForeignAgentaspxgt) Alle anderen selbst diejenigen NGOs die von den Behoumlrden als raquoAgentenlaquo eingestuft und teilweise mit empfindlichen Geldstra-fen belegt worden waren weigerten sich und weigern sich bis heute Viele NGOs klagten und klagen sowohl gegen das Gesetz als auch gegen die raquoUumlberpruumlfungenlaquo und die aus ihnen von den Justizbehoumlrden abgeleite-ten Bescheide und Anweisungen vor russischen Gerich-ten aber auch vor dem Europaumlischen Gerichtshof fuumlr Menschenrechte (EGMR) Eine Entscheidung des rus-sischen Verfassungsgerichts hat die raquoAgentenparagra-phenlaquo fuumlr verfassungskonform erklaumlrt wenn auch einige Einzelbestimmungen darunter die zu Mindeststrafen aufgehoben

Im Juni 2014 beschloss die Staatsduma eine Verschaumlr-fung der raquoAgentenlaquo-Paragraphen des NGO-Gesetzes Seither hat das Justizministerium das Recht NGOs auch ohne deren Zustimmung in das raquoAgentenlaquo-Register ein-zutragen Bis heute (21102014) hat es 15 NGOs getrof-fen Es ist damit zu rechnen das weitere folgen werden Justizminister Jurij Tschajka hat bereits 2013 im Foumlde-rationsrat von 24 NGOs gesprochen die nach Ansicht des Ministeriums raquoAgentenlaquo seien Auszligerdem wurden 2013 und 2014 mehr als 40 NGOs von der Staatsanwalt-schaft aufgefordert sich vorsorglich als raquoAgentenlaquo regis-trieren zu lassen da sie Geld aus dem Ausland bekaumlmen und Gefahr liefen sich raquopolitisch zu betaumltigenlaquo

Die reaktionen der ngos auf das AgentengesetzDie praktischen Reaktionen der NGOs auf diesen staat-lichen Druck sind unterschiedlich Einige NGOs wie

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die Wahlbeobachter von raquoGoloslaquo haben sich als juris-tische Personen aufgeloumlst oder sind wie die raquoJuristen fuumlr Verfassungsrechte und Freiheitlaquo dabei sich aufzu-loumlsen (ein juristisch und administrativ nicht ganz ein-facher und langwieriger Vorgang) Fast alle NGOs die sich aufloumlsen haben aber erklaumlrt ihre Arbeit auch ohne juristischen Status fortsetzen zu wollen Rechtlich ist das moumlglich Praktisch werden diese NGOs auf zahlreiche neue Probleme treffen wohl bis hin zur moumlglichen Kri-minalisierung einzelner Personen

Einige andere NGOs darunter das Menschenrechts-zentrum Memorial machen weiter wie bisher Sie fech-ten meist die Eintragung in das raquoAgentenregisterlaquo vor Gericht an (in der Regel ohne besonderen Erfolg) Das Menschenrechtszentrum Memorial aber auch einige andere NGOs wollen bis zum EGMR gehen unter ande-rem weil sie das Gesetz insgesamt fuumlr unmoralisch und verfassungswidrig haumllt

Eine weitere Reaktion ist eine Art Hase-und-Igel-Spiel mit den Behoumlrden Das kann sich in einem Geflecht von unterschiedlichen NGOs ausdruumlcken die unter-schiedliche Funktionen wahrnehmen Eine NGO macht politische Erklaumlrungen und betreibt Lobbying Ihre Aktivistinnen arbeiten ausschlieszliglich ehrenamt-lich Eine andere bekommt auslaumlndische Finanzierung fuumlr Projekte die auch nach der Definition von Staatsan-waltschaft und Justizministerium nicht raquopolitischlaquo sind Wieder andere NGOs weichen auf Organisationsformen (juristische Personen) jenseits des NGO-Gesetzes aus die dann nicht den raquoAgentenparagraphenlaquo unterliegen

Der Vorstoszlig gegen memorialAllerdings beschraumlnkt sich die staatliche Behinderung und Bedrohung von NGOs nicht auf das relativ neue Agentengesetz Alle anderen laumlnger erprobten adminis-trativen bis strafrechtlichen Instrumente bleiben eben-falls im Einsatz Juumlngstes und bekanntestes aber bei weitem nicht einziges Beispiel ist der Schlieszligungsan-trag des Justizministeriums vor dem Obersten Gericht gegen raquoMemorial Russlandlaquo raquoMemorial Russlandlaquo ist ein Netzwerk aus rund 50 regionalen und thematischen Memorial-Organisationen und selbst eine von mehr als 60 Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Internatio-nallaquo (Zum Memorial-Netzwerk siehe lthttprusslandboellblogorg20141011wie-funktioniert-memorial-ein-kleiner-wegweiser-durch-eine-zugegeben-kompli zierte-strukturgt) Bei einer der regelmaumlszligigen Pruumlfun-

gen stellte das Justizministerium Anfang 2012 also vor Beginn der jetzigen Repressionswelle gegen NGOs fest dass die seit Gruumlndung der Organisation geltende konfouml-derative Struktur von raquoMemorial Russlandlaquo raquonicht dem Gesetz entsprechelaquo und geaumlndert werden muumlsse Insbe-sondere behagt dem Justizministerium nicht dass die Mehrzahl der Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Russlandlaquo ihrerseits eigenstaumlndige juristische Personen sind raquoMemorial Russlandlaquo muumlsse sich zentralistisch organisieren und die regionalen Memorial-Organisa-tionen zu Filialen werden Ohne hier ins Detail gehen zu koumlnnen wuumlrde das aber zu weiteren Problemen fuumlh-ren die wiederum die Schlieszligung von Memorial durch das Justizministerium zum Ergebnis haumltten Memorial sucht einen Ausweg das Justizministerium betreibt die Schlieszligung Viele NGOs haben Probleme mit der Feu-erwehr dem Gesundheitsamt oder der Arbeitsschutzbe-houmlrde Beliebt ist in juumlngster Zeit auch die Kuumlndigung von Mietvertraumlgen (so unlaumlngst geschehen bei raquoGoloslaquo und der raquoBewegung fuumlr Menschenrechtelaquo)

soziale und politische ngosSeit dem Fruumlhjahr zeichnet sich noch ein weiterer Angriff auf unabhaumlngige und staatskritische NGOs ab Der von Michail Fedotow geleitete Zivilgesellschaftsrat beim Praumlsidenten beraumlt seit einiger Zeit eine erneute Aumlnde-rung des NGO-Gesetzes Er schlaumlgt vor die Agenten-paragraphen abzuschaffen und dafuumlr um den Befuumlrch-tungen des Kremls auf politische Einflussnahme (nicht nur aus dem Ausland) Rechnung zu tragen kuumlnftig eine Einteilung von NGOs in raquosozialelaquo und raquopolitischelaquo vor-zunehmen raquoSozialelaquo NGOs sollen diesen Vorschlaumlgen nach kuumlnftig steuerlich beguumlnstigt sein und staatliche Zuwendungen erhalten koumlnnen raquoPolitischelaquo NGOs wer-den hingegen von staatlicher Foumlrderung ausgeschlossen und sollen auf alle Zuwendungen insbesondere aber auf Zuwendungen aus dem Ausland einen noch fest-zulegenden Steuersatz zahlen Die Befuumlrworter dieser im Uumlbrigen im Zivilgesellschaftsrat nicht unumstrit-tenen Initiative verweisen darauf dass so die heute als raquoAgentenlaquo verfolgten NGOs eventuell noch gerettet wer-den koumlnnten waumlhrend staatliche Foumlrderung aller ande-ren verstaumlrkt wuumlrde Ein Gewinn also fuumlr alle Betei-ligten Tatsaumlchlich verbirgt sich hinter dem Vorschlag aber eine gefaumlhrliche Tendenz zur Entsolidarisierung in der NGO-Szene wie sie auch anderswo schon laumln-ger zu beobachten ist

Uumlber den AutorJens Siegert ist Diplompolitologe und leitet seit 1999 das Laumlnderbuumlro Russland der Heinrich Boumlll Stiftung in Mos-kau Davor arbeitete er in Moskau als Korrespondent fuumlr Radiostationen Zeitschriften und Zeitungen im deutsch-sprachigen Raum

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Lesetippsbull Siegert Jens Putin und die Zivilgesellschaft in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 12 06 2013

lthttprusslandboellblogorg20130612putin-und-die-zivilgesellschaftgtbull Siegert Jens Uumlber ein Jahr raquoNGO-Agentenlaquo-Jagd ndash eine Art Zwischenbericht in Russland-Blog (Hein-

rich-Boumlll-Stiftung Moskau) 4 Juni 2014 lthttprusslandboellblogorg20140604ueber-ein -jahr-agenten-jagd-eine-art-zwischenberichtgt

bull Siegert Jens Russische raquoNGO-Agentenjagdlaquo ndash eine Zwischenbilanz in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 7 Juni 2013 lthttprusslandboellblogorg20130607russische-ngo-agentenjagd-eine-zwischenbilanzgt

bull Siegert Jens Erklaumlrung Permer NGOs warum sie sich unter keinen Umstaumlnden als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren lassen in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 26 Mai 2013 lthttprusslandboellblogorg20130526erklarung-permer-ngos-warum-sie-sich-unter-keinen-umstanden-als-auslandische-agenten-registrieren-lassengt

bull Siegert Jens Memorial raquoNGO-Agentengesetzlaquo ist ungesetzlich und unmoralisch Keine freiwillige Registrierung als raquoauslaumlndischer Agentlaquo in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 22 September 2013 lthttpruss landboellblogorg20120922memorial-ngo-agentengesetz-ist-ungesetzlich-und-unmoralisch-keine-freiwillige-registrierung-als-auslandischer-agentgt

bull Siegert Jens Sozialer Wandel und politische Dynamik in Russland 201112 in Russland-Analysen Nr 245 19 Oktober 2012 lthttpwwwlaender-analysenderusslandpdfRusslandanalysen245pdfgt

ANALYSE

ein kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen engagements zur Unterstuumltzung und integration von migranten in russlandMarina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin

zusammenfassungObwohl die Wirtschaft Russlands aufgrund der ruumlcklaumlufigen Bevoumllkerungszahl auf Migranten angewiesen ist ist der Groszligteil der Bevoumllkerung des Landes Migranten gegenuumlber skeptisch und oft geradezu fremden-feindlich eingestellt Durch eine schlecht koordinierte staatliche Migrationspolitik ist die Lage der Arbeits-migranten meist prekaumlr Initiativen aus der Zivilgesellschaft versuchen die Situation der Migranten zu ver-bessern und leisten Aufklaumlrungsarbeit in der Bevoumllkerung sowie konkrete Hilfestellungen fuumlr Migranten Die Arbeit solcher Aktivisten wird jedoch oftmals durch staatliche Einmischung erschwert

immigration nach russland als gesellschaftliches ProblemDie widerspruumlchliche Migrationspolitik der russischen Regierung und die aufgeheizte Stimmung in der Bevoumll-kerung haben 2013 zu vermehrten xenophoben Uumlbergrif-fen auf Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien gefuumlhrt (siehe beispielsweise die Unruhen in Birjuljowo im Oktober 2013) Diese Entwicklung wirft die Frage auf welche Haltung die russische Zivilgesellschaft hierzu einnimmt Gibt es zivilgesellschaftliche Initiativen die dieser fremdenfeindlichen Stimmung entgegenwirken

In der russischen Oumlffentlichkeit ist oft von einer Flut von Arbeitsmigranten aus den GUS-Staaten die Rede doch in Wirklichkeit ist die Immigration nach Russ-land im internationalen Vergleich gering Zudem zeigen Zahlen der Staatlichen Statistikbehoumlrde raquoRosstatlaquo dass

die russische Wirtschaft aufgrund der demographischen Entwicklung in zunehmendem Maszlige Arbeitskraumlfte aus dem Ausland benoumltigt (bis 2030 ndash so die Prognose ndash soll die russische arbeitsfaumlhige Bevoumllkerung um 103 Mil-lionen Menschen abnehmen)

Trotzdem gibt es starke fremdenfeindliche Stimmun-gen die sich gegen Immigranten aus Zentralasien und dem Kaukasus richten Diese Ablehnung von Migran-ten hat zugenommen und schafft den Naumlhrboden fuumlr Pogrome wie 2006 in Kondopoga 2010 auf dem Mos-kauer Manegenplatz sowie 2013 in der Stadt Pugat-schow und dem Moskauer Vorort Birjuljowo Angst und Verachtung gegenuumlber Fremden ziehen sich durch alle Gesellschaftsschichten Sie werden als Kriminelle und Illegale stigmatisiert und nicht nur Nationalisten ver-wenden die Losung raquoRussland den Russenlaquo um Ras-

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 20

sismus zu schuumlren und die Stimmung gegen Migranten weiter anzuheizen

es gibt keine migrationspolitikDiese interethnischen Konflikte spiegeln sich auch im russischen Alltag wieder Der durch den Foumlderalen Migrationsdienst praktizierte administrative und poli-zeiliche Umgang mit Migration ist nicht effektiv Eine Stigmatisierung der Migranten als potenzielle Krimi-nelle und eventuelle Uumlberlegungen zur Verschaumlrfung des Migrationsgesetzes koumlnnen die Probleme nicht loumlsen die gerade auch auf kommunaler Ebene anfallen Die nur situativen politischen Maszlignahmen fuumlhren mitunter zu einer Verschaumlrfung des Problems Eine uumlbergreifende Strategie existiert nicht die Politik weiszlig auf die Migra-tionsfrage keine Antwort Ein autoritaumlres zentralisier-tes System ist nicht im Stande die regionalen Probleme dieses riesigen Landes zu loumlsen deshalb liegt es vor allem an der Zivilgesellschaft sich diesen Themen zu widmen

zivilgesellschaftliche Projekte AufklaumlrungsarbeitIn Moskau und Sankt Petersburg gibt es verschiedene nichtstaatliche Projekte die sich sowohl fuumlr mehr Tole-ranz als auch fuumlr die Integration der Migranten einsetzen

Einige von ihnen bestehen schon mehrere Jahre Boris Romanow ist einer der Gruumlndervaumlter eines zivil-gesellschaftlichen Netzwerks zur Unterstuumltzung von Menschen mit Migrationshintergrund in Sankt Peters-burg Er arbeitet mit den unterschiedlichsten NGOs zusammen die zu Themen wie Toleranz Antirassis-mus Homophobie Antiziganismus und Antisemitis-mus arbeiten Finanziert durch das Goethe-Institut rief er 2012 raquoRespektlaquo ins Leben ein Comic-Projekt inter-nationaler Kuumlnstler mit dessen Hilfe Schuumller ihr Den-ken uumlber Fremde reflektieren und selbst in Frage stel-len koumlnnen Laut Romanow scheitern solche Projekte oft an der Buumlrokratie der Kommunen Durch das neue NGO-Gesetz gebe es kaum noch Kontaktmoumlglichkei-ten zu staatlichen Schulen erlaumlutert Romanow so dass eine Zusammenarbeit houmlchstens uumlber einzelne Lehrer nicht jedoch uumlber die Schuldirektion moumlglich sei Dies widerspreche dem Konzept zivilgesellschaftlicher Arbeit die vor allem jedermann offen stehen will Durch das geschlossene staatliche Schulsystem komme es selten zu einer Kooperation mit interessierten Lehrern Die Zusammenarbeit von Staat und Zivilgesellschaft ist unabdingbar macht aber die Finanzierung der Projekte schwierig da sie im Falle einer Unterstuumltzung auslaumln-discher Sponsoren unter das neue NGO-Gesetz fallen

Im Zuge der neuen NGO-Gesetzgebung wurde das Antidiskriminierungszentrum raquoMemoriallaquo in Sankt Petersburg geschlossen Dessen ehemaliger Mitarbei-

ter Andrej Jakimow ist Anthropologe Seine langjaumlh-rige Arbeit mit ethnischen Minderheiten wie Sinti und Roma Arbeitsmigranten und Staatenlosen macht ihn zu einem erfahrenen Koordinator der raquoStiftung zur Unter-stuumltzung und Entwicklung von Bildungs- und Sozial-projektenlaquo (raquoPSP-Fondlaquo) in Sankt Petersburg Auch fuumlr ihn zaumlhlt die aktive Aufklaumlrungsarbeit zu den wichtigs-ten Punkten seines zivilgesellschaftlichen Engagements Die juristische und psychologische Betreuung von Mig-ranten stehen neben der Sensibilisierung der russischen Bevoumllkerung im Zentrum seiner Arbeit Seiner Erfah-rung nach interessieren sich die OSZE und die UNO nur marginal fuumlr diese Themen also muumlssen die Pro-bleme der Arbeitsmigranten auf nationaler Ebene geloumlst werden Seine Kontakte zu verschiedenen Netzwerken in den Auswanderungslaumlndern helfen den Migranten sich schon vor der Einreise nach Russland auf den Aufenthalt vorzubereiten In der Zusammenarbeit von Staat und Experten sieht Jakimow eine Moumlglichkeit eine effek-tive Migrationspolitik zu entwickeln

fuumlr die Verbesserung der migrationspolitikAumlhnlich denken auch Wjatscheslaw Postawnin und Natalja Wlasowa die die Stiftung raquoMigrazija XXI weklaquo (raquoMigration im 21 Jahrhundertlaquo) gegruumlndet haben Sie selbst sind ehemalige Mitarbeiter des Foumlderalen Migra-tionsdienstes und kennen die staatliche Migrationspoli-tik von innen Die Regierung unter Putin scheint keiner-lei Loumlsungsansaumltze fuumlr die immer staumlrker zunehmende Xenophobie in Russland zu erarbeiten In den fuumlnf Jah-ren ihrer Existenz hat sich die Organisation in Mos-kau zu einem unabhaumlngigen intellektuellen und wissen-schaftlichen Zentrum entwickelt das Vorschlaumlge fuumlr die Verbesserung der staatlichen Migrationspolitik ausarbei-tet Diese Vorschlaumlge werden oft von der Administration des Praumlsidenten beruumlcksichtigt jedoch nicht sofort und ohne Nennung der Urheberschaft In Zusammenarbeit mit der Weltbank und dem Netzwerk raquoMirpallaquo (raquoMigra-tion and Remittance Peer-Assisted Learninglaquo) erstellt die Organisation Statistiken zu den Migrationsstroumlmen aus den GUS Staaten die oftmals stark von den offiziellen Zahlen des Foumlderalen Migrationsdienstes abweichen

fluumlchtlingsarbeitDie von Swetlana Gannuschkina einer wichtigen Men-schenrechtlerin in Russland 1990 mitbegruumlndete Orga-nisation raquoGrashdanskoje sodejstwijelaquo (raquoBuumlrgerhilfelaquo) beschaumlftigt sich nicht nur mit Arbeitsmigration sondern zu vier Fuumlnfteln mit Fluumlchtlingen Es war die erste Orga-nisation dieser Art in Moskau und wurde im Zusam-menhang mit dem Konflikt um Berg-Karabach und dem Krieg in Tschetschenien gegruumlndet um den Fluumlchtlin-gen aus diesen Regionen zu helfen Die Unterstuumltzung

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 21

der Arbeitsmigranten umfasst juristische Konsultation und die Loumlsung administrativer Fragen z B bei nicht ausgezahlten Gehaumlltern Deportationen Einreisever-boten Die Organisation stellt juristischen Beistand bei unbegruumlndeten Klagen gegen Migranten hilft bei Kla-gen gegen Arbeitgeber wegen nicht ausgezahlter Loumlhne fuumlhrt ein Projekt gegen Hate Crimes durch und veran-staltet Spendenaktionen auf ihrer Webseite Besonders die aumlrztliche Versorgung ist wichtig da der staatliche Notdienst Migranten oft seine Hilfe verwehrt raquoGrash-danskoje sodejstwijelaquo arbeitet eng mit dem Fluumlchtlings-hilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) der Inter-nationalen Organisation fuumlr Migration (IOM) und mit dem Netzwerk raquoMigrazija i prawolaquo (raquoMigration und Rechtlaquo) einem Programm des Menschenrechtszentrums raquoMemoriallaquo zusammen Obwohl in der offiziellen Rhe-torik die Bedeutung der Migration fuumlr Russland unter-strichen wird (wie zum Beispiel in der raquoKonzeption der staatlichen Migrationspolitik 2025laquo) beobachtet man in der Praxis meist die stumme Hinnahme der Uumlber-griffe auf Arbeitsmigranten Nach dem Inkrafttreten des NGO-Gesetzes fand bei der Organisation eine Uumlberpruuml-fung durch die Staatsanwaltschaft statt Ob und wenn ja wie dieses Projekt weiterlaufen wird ist bis heute unklar

Arbeit mit fluumlchtlingskindernIm Rahmen der Organisation raquoBuumlrgerhilfelaquo gibt es zudem ein raquoZentrum fuumlr Integration und Unterricht fuumlr Fluumlchtlingskinderlaquo da das staatliche Programm mit dem Kinder mit Migrationshintergrund Russisch lernen nicht ausreichend ist

Aumlhnlich wie ihre Kollegen aus Moskau arbeiten die Freiwilligen des zivilgesellschaftlichen Projekts raquoDeti Peterburgalaquo (raquoKinder von Petersburglaquo) mit Kindern des-sen Eltern aus den unterschiedlichsten Gruumlnden nach Russland immigriert sind Zwei Projektkoordinatoren der Organisation raquo[Wahl]Beobachterlaquo Daniil Ljubarow und Irina Beljaewa haben 2012 raquoDeti Peterburgalaquo gegruumlndet Angefangen mit einem Angebot von Russisch-Grundkur-sen fuumlr Vorschuumller mit Migrationshintergrund hat sich dieses Programm mittlerweile so weit entwickelt dass Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre an sechs verschie-

denen Standorten in Sankt Petersburg an Russischkursen teilnehmen koumlnnen Bis 2014 hatte es noch nicht einmal feste Raumlumlichkeiten gegeben die Mitarbeiter der raquoDeti Peterburgalaquo organisierten sich ausschlieszliglich uumlber soziale Netzwerke Der virtuelle Raum verbindet diese Organi-sation auch mit anderen zivilgesellschaftlichen Projek-ten So zieht das Projekt nicht nur politische Aktivisten an sondern vor allem Paumldagogen Linguisten und Stu-denten die die Kurse vorbereiten und durchfuumlhren Der Aufbau von kreativen Zirkeln gehoumlrt genauso zur Arbeit von raquoDeti Peterburgalaquo wie die Koordination von Ausfluuml-gen in die Umgebung Museen oder Theatern Das Pro-jekt ist abhaumlngig von seinen Teilnehmern Die fehlen-den Sprachkenntnisse der Eltern fuumlhren oft zu groszligen Kommunikationsproblemen Aber auch die wechselnden und meist aumluszligerst schwierigen Arbeitszeiten der Eltern erschweren die Durchfuumlhrung des Projekts Die staumldti-sche Buumlrokratie versucht den Elan der Mitarbeiter zu bremsen Auch deshalb bleibt das Projekt nichtstaatlich

fazitMisstrauen gegenuumlber der Regierung soziale Probleme und Alltagsrassismus bewegen immer mehr Menschen dazu sich eigenstaumlndig mit der negativen Entwicklung beim Umgang mit Migranten zu beschaumlftigen Aus Inter-views mit den Mitarbeitern der verschiedenen Organisa-tion laumlsst sich schlieszligen dass eine russische Zivilgesell-schaft entstanden ist die die Migrationsfrage einerseits als Arbeit mit der Mehrheits- also russischen Bevoumllkerung betrachtet um diese zu sensibilisieren Anderseits gibt es Initiativen die vor allem konkrete Hilfe fuumlr Migranten leisten um deren alltaumlgliche Probleme zu minimieren

Die Zivilgesellschaft bemuumlht sich Vorurteile abzu-bauen die Migrationspolitik realistischer zu machen und Migranten wie Fluumlchtlingen konkrete Hilfestellung zu geben Die Behoumlrden sabotieren diese Arbeit In den Groszligstaumldten wird der Zuzug von Migranten restriktiv gehandhabt Arbeitgeber wissen um den oft schwierigen Status der Migranten und nutzen die Situation aus um die Migranten weiter auszubeuten Die Arbeit der Zivil-gesellschaft zur Sensibilisierung der russischen Bevoumllke-rung wird durch die offizielle Politik oft konterkariert

Uumlber die AutorenIm Rahmen des Projektkurses raquoZiviler Ungehorsam Gesellschaft und Staat in Osteuropalaquo reisten die Studierenden des Osteuropa-Instituts der Freien Universitaumlt Berlin Michael Bellmann und Kristina Arisov nach Moskau sowie Marina Grinfeld und Christina Huthmann nach St Petersburg um mit Aktivisten und Organisationen die sich fuumlr die Integration von Migranten in Russland einsetzen Interviews zu fuumlhren und die Position der Zivilgesellschaft zur Migrationsproblematik zu analysieren

Lesetippsbull Judah Ben Russiarsquos Migration Crisis in Survival 552013 Nr 6 S 123ndash131

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 22

bull Malakhov Vladimir S Russia as a New Immigration Country Policy Response and Public Debate in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1062ndash1079

bull Schenk Caress Controlling Immigration Manually Lessons from Moscow (Russia) in Europe-Asia Studies 652013 Nr 7 S 1444ndash1465

bull Spahn Susanne Die gelenkte Xenophobie Migration und nationale Frage in Russland Russland nur fuumlr Russen in Osteuropa 642014 Nr 7 S 55ndash67

bull Tipaldou Sofia Katrin Uba The Russian Radical Right Movement and Immigration Policy Do They Just Make Noise or Have an Impact as Well in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1080ndash1101

UmFRAGE

Uumlber die zivilgesellschaft in russland

zur zivilgesellschaftlichen und politischen Aktivitaumlt der russen

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 15 stellen sie sich vor ihre nachbarn schlagen eine gemeinsame muumlllsammelaktion in der nahegelege-nen Parkzone vor Was waumlren sie bereit zu uumlbernehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator der Aktionwerden

An der Aktionmitwirken

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 16 haben sie im vergangenen halbjahrJahr hellip

0 20 40 60 80 100

hellip an den Aktivitaumlten einer non-profit Organisation teilgenommen als Freiwilliger gearbeitet

hellip sich mit gesellschaftlichen Problemen an ihrem Wohnort beschaumlftigt

hellip an Groszligveranstaltungen Demonstrationen Streiks Kundgebungen Umzuumlgen teilgenommen

Ja Keine Antwort Nein

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 23

grafik 17 stellen sie sich vor dass es an ihrem Wohnort zu massenhaften Wahlfaumllschungen kommt irgend-jemand ruft zur Durchfuumlhrung von Protestaktionen gegen die Wahlfaumllschungen auf Was wuumlrden sie unternehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator dieser Aktionwerden

An dieser Protestaktionteilnehmen

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 18 Waren sie haben sie sich in den vergangenen einndashzwei Jahren hellip

0 20 40 60 80 100

hellip Mitglied einer politischen Partei

hellip Wahlbeobachter

hellip an der Arbeit einer Menschenrechtsorganisation beteiligt

hellip sich im Internet (in sozialen Netzwerken auf Foren) zu politischen Themen geaumluszligert

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

zur gesellschaftlichen Aktivitaumlt

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

grafik 19 haben sie persoumlnlich in den vergangenen zweindashdrei Jahren an der taumltigkeit einer gesellschaftlichen organisation teilgenommen Wenn ja wie genau (beliebige zahl an Antworten)

6

6

5

2

2

84

1

050

Habe an gesellschaftliche Organisationen gespendetoder andere materielle Hilfe geleistet

Habe an Wohltaumltigkeitsveranstaltungen teilgenommen(Konzerte Ausstellungen Wohltaumltigkeitslotterie Auktionen)

Habe Freiwilligenarbeit geleistet (kostenlos)

Habe gegen Entgelt in einer gesellschaftlichenOrganisation gearbeitet

Habe Informationen zu den Taumltigkeitenvon gesellschaftlichen Organisationen verteilt

Nicht teilgenommen

Anderes

Keine Antwort

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 24

grafik 20 haben ihnen irgendwann einmal gesellschaftliche organisationen geholfen

0 20 40 60 80 100

Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja mit Geld geholfen Ja auf andere Weise geholfen Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

Die oumlffentliche meinung zu ngos mit auslaumlndischer finanzierung (April 2013)

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 21 mit welcher meinung zur taumltigkeit russischer ngos stimmen sie am ehesten uumlberein

Sie bringen einen groszligen Nutzen

4

Sie bringen mehr Nutzen als Schaden

15Sie bringen ebenso viel

Nutzen wie Schaden23

Sie bringen mehr Schaden als Nutzen

18

Sie bringen weder Nutzen noch Schaden

13

Keine Antwort27

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 22 ist es fuumlr sie wichtig ob eine russische menschenrechtsorganisation aus einheimischen oder auslaumln-dischen mitteln finanziert wird

Sehr wichtig10

Eher wichtig34

Nicht besonders wichtig24

Vollkommen unwichtig18

Keine Antwort14

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 25

grafik 23 Welche ziele verfolgen westliche laumlnder und organisationen die russische ngos mit mitteln aus-statten

Einen verstaumlrkten Einfluss auf die russische

Innenpolitik42

Einen Kampf gegen den russischen Staat

19Eine Unterstuumltzung der

russischen Zivilgesellschaft

8

Kein besonderes Ziel russische NGOs werden wie andere aus standardisierten

internationalen Programmen unterstuumltzt

12

Keine Antwort19

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 24 Duumlrfen organisationen die sich mit dem schutz der Buumlrgerrechte beschaumlftigen und den staat kriti-sieren das recht haben mittel aus dem Ausland zu beziehen

Ja20

Nein56

Keine Antwort24

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 25 Unterstuumltzen sie harte sanktionen gegen ngos die einer politischen taumltigkeit nachgehen und gelder aus dem Ausland erhalten sich aber nicht nach dem gesetz als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren

Auf jeden Fall20

Eher ja32

Eher nein15

Auf keinen Fall5

Keine Antwort28

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 26

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RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 27

luumlgen des fernsehkanals ntV und Beanstandungen des Justizministeriums erklaumlrung des menschenrechtszentrums memoriAl und der russischen gesellschaft

memoriAl

Die Behauptung bei NTV das russische Justizministerium habe die Liquidierung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL eingeleitet fuumlhrte heute zu etlichen Irritationen Das Menschenrechtszentrum und die Russische Gesell-schaft MEMORIAL (die Dachorganisation der russischen Memorial-Verbaumlnde) haben aus diesem Anlass nachste-hende Erklaumlrung abgegeben

Am 10 Oktober strahlte NTV unter dem Titel raquoAuszligergewoumlhnliches Ereignislaquo eine Sendung aus die aus boumlswil-ligen Luumlgen aber auch aus Fehlinformationen in Folge von Unkenntnis bestand

Die Arbeit des Menschenrechtszentrums MEMORIAL als Unterstuumltzung von Extremisten und Terroristen dar-zustellen ist eine infame Luumlge Auf Unkenntnis basiert hingegen die Behauptung das Justizministerium habe des-halb den Antrag gestellt das Menschenrechtszentrum MEMORIAL zu liquidieren

In Wirklichkeit hat das Justizministerium beim Obersten Gericht der Russischen Foumlderation nicht die Aufloumlsung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL beantragt Es geht hier vielmehr um eine andere Organisation naumlmlich die Russische Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIAL

Die russische Gesellschaft MEMORIAL wurde vom Justizministerium bereits 1992 registriert Bis heute befinden sich unter ihrem Dach verschiedene Memorial-Verbaumlnde die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen

Im Jahre 2012 20 Jahre nach der ersten Registrierung tauchten beim Justizministerium ploumltzlich Zweifel hin-sichtlich des russischen Rechtsstatus von Memorial auf obwohl der Gesellschaft praktisch dieselben regionalen Ver-baumlnde angehoumlren wie zuvor und sich die Gesetzeslage in dieser Frage in keinem Punkt geaumlndert hatte

Geaumlndert hat sich allerdings die Position des Justizministeriums das erneut einen raquodemokratischen Zentralismuslaquo anstrebt der nach der Abschaffung der fuumlhrenden Rolle der KPdSU nicht mehr aktuell schien Heute erklaumlrt das Jus-tizministerium nur jene gesellschaftlichen Vereinigungen koumlnnten der Russischen Gesellschaft MEMORIAL ange-houmlren die in ihrer Bezeichnung die Worte raquoVerband (otdelenie) der Russischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklauml-rung Sozialarbeit und Menschenrechte MEMORIALlaquo tragen

Die gesetzliche Vorschrift dass eine Organisation nur dann einen gesamtrussischen Status haben kann wenn sie in uumlber der Haumllfte der Foumlderationssubjekte Verbaumlnde unterhaumllt legt das Justizministerium jetzt dahingehend aus dass diese Verbaumlnde zwangslaumlufig einen Status als Regionalverbaumlnde haben muumlssten Das Vorhandensein von Stadt- und Bezirksverbaumlnden einer Organisation reicht die Beamten als Beleg dafuumlr nicht aus dass die Organisation in der betreffenden Region taumltig ist

Die Vorbehalte des Justizministeriums entbehren jeglicher Grundlage Nicht zufaumlllig erhielten wir auf Anfragen keine Hinweise auf eine Gesetzesnorm Es ist fuumlr uns inakzeptabel dass das Justizministerium das von der Verfas-sung garantierte Recht von Buumlrgern eine Vereinigung zu bilden gesetzwidrig einschraumlnken will Deshalb hat sich die Russische Gesellschaft MEMORIAL bereits 2012 entschlossen vor Gericht zu gehen

Einen Hinweis auf ein Gesetz haben wir auch nicht erhalten als wir 2013 die Forderungen des Justizministeriums im Moskauer Zamoskvorezki-Bezirksgericht und danach im Stadtgericht angefochten haben Beide Instanzen gaben wie nicht anders zu erwarten dem Justizministerium Recht Deshalb wird die Russische Gesellschaft MEMORIAL in Kuumlrze Klage beim Verfassungsgericht einreichen

Was den Antrag des Justizministeriums betrifft so hoffen wir dass das Oberste Gericht bei Behandlung dieses Antrags dem Gesetz und der Verfassung mehr Respekt entgegenbringen wird als die untergeordneten Gerichtsinstanzen

10 Oktober 2014Quelle Website von Memorial Deutschland lthttpwwwmemorialdeindexphpid=42amptx_ttnews[tt_news]=546amptx_ttnews[backPid]=3ampcHash=5bbe9b235a03fe09cba52ed5c8786b99gt

DOkUmENtAtION

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NOtIzEN AUS mOSkAU

Petersburger DialogJens Siegert Moskau

Auf den ersten Blick sieht es so aus als ob ein (egal ob nun willentlich oder nicht) an die Oumlffentlich-

keit gelangter Brief einiger regelmaumlszligiger Teilnehmer des Petersburger Dialogs (PD) aus den Reihen deutscher NGOs an Bundeskanzlerin Merkel und Auszligenminis-ter Steinmeier die Verschiebung des fuumlr Ende Oktober in Sotschi geplanten groszligen Jahrestreffens verursacht haumltte In dem Brief bekraumlftigten die Autoren ihre nicht neue Kritik am PD und erklaumlrten warum sie dieses Jahr nicht teilnehmen wuumlrden Sie betonen dass die Absage kein Boykott sei und bieten ihrerseits einen Dialog zur Reform des Dialogs an Auf den zweiten Blick war der Brief selbstverstaumlndlich nur Anstoszlig aber nicht Grund fuumlr die Verschiebung Doch der Reihe nach

Die in dem Brief geaumluszligerte Kritik am PD ist wie gesagt nicht neu sie hat sie den PD von Anfang an begleitet Das liegt sicher auch an einem bis heute nicht korrigierten Geburtsfehler Ein durch Staats- und Regie-rungschefs initiierter raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo ist schon etwas verquer Das heiszligt nicht dass das nicht gehen koumlnnte Doch dazu haumltten sich die hochgestell-ten Initiatoren (der damalige russische Praumlsident und der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schrouml-der) und ihre (Interims-)Nachfolger spaumlter zuruumlckziehen muumlssen Das haben sie nicht Daran sind sie nicht (allein) Schuld Es war der PD der durch seine Lenkungsor-gane die enge zeitliche und oumlrtliche Verbindung mit den deutsch-russischen Regierungskonsultationen und die zeitweilige Anwesenheit von Praumlsident und Kanzlerin zum Grundstein seiner Wirkungsmaumlchtigkeit erklaumlrte

Auf deutscher Seite wurde versucht dieses Problem organisatorisch sozusagen oumlffentlich-rechtlich zu loumlsen indem moumlglichst alle interessierten politischen Spektren und gesellschaftlichen Gruppen am sogenannten Len-kungsausschuss beteiligt wurden Das gelang zumindest so gut dass es soweit mir bekannt bis heute keine grouml-szligeren Klagen uumlber Nichtberuumlcksichtigung oder Nicht-beteiligung gab Aber die Bundesregierung behielt weit-gehenden Einfluss nicht zuletzt uumlber den alljaumlhrlich sechsstelligen Zuschuss fuumlr die Durchfuumlhrung der Jah-restreffen Auszligerdem wurde der jeweilige Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses zwar nach Abstim-mungen mit den Beteiligten aber letztlich durch den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin bestimmt

In Russlands ist die Sache einfacher Von Anfang an wurde und wird gemacht wird was der Kreml will Schon der erste Vorsitzende des russischen Lenkungs-ausschusses Michail Gorbatschow (immerhin selbst ein ehemaliger Praumlsident) war wie er selbst einmal bekannte

nicht mehr als ein ndash schoumlne Ruumlckuumlbertragung aus dem Russischen ndash raquoSitz-Praumlsidentlaquo Der jetzige Vorsitzende Wiktor Subkow war Datschennachbar von Putin ers-ter stellvertretender Ministerpraumlsident und ist nun Auf-sichtsratsvorsitzender von Gazprom

Die Kritik dass nur eine Simulation eines raquozivilge-sellschaftlichen Dialogslaquo stattfinde wurde von einigen deutschen Teilnehmern bereits auf dem ersten Jahres-treffen des PD im April 2001 in St Petersburg geaumluszligert Es fehlten auf russischer Seite (in der seinerzeit noch ver-einigten Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo) Vertreter russischer NGOs Die Kritik kam an In Russ-land fuumlhrte sie (ohne dass ich hier jetzt ausfuumlhren kann wie) zum ersten Versuch des Kremls auch unabhaumln-gige NGOs in das korporative System der gelenkten Demokratie zu zwingen Der Versuch misslang weitge-hend und muumlndete in einer Art Waffenstillstand und der Gruumlndung eines raquoMenschenrechtsrats beim Praumlsi-dentenlaquo unter Einbeziehung von Vertretern unabhaumlngi-ger NGOs Beim PD wurde die Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo in ihre zwei Namensbestandteile geteilt und es gelang uumlber die Jahre in immer wieder unternommenen Anstrengungen auch die Teilnahme unabhaumlngiger russischer NGO-Vertreter durchzuset-zen Etwas spaumlter wurde diese Teilnahme sogar vor-sichtig institutionell abgesichert indem erst Ella Pam-filowa und spaumlter ihr Nachfolger Michail Fedotow als Vorsitzende des inzwischen zum raquoZivilgesellschaftsratlaquo umbenannten raquoMenschenrechtsratslaquo zu den russischen Koordinatoren der Arbeitsgruppe raquoZivilgesellschaftlaquo mit Einladungsrecht wurden (wobei die Einladungen selbst-verstaumlndlich mit der Praumlsidentenadministration abge-stimmt werden muumlssen) Das ist bis heute so

Die Verfasser des Briefes (zu denen ich bekenne mich auch ich gehoumlre) allesamt langjaumlhrige Teilneh-mer der Jahrestreffen des PD haben all die Jahre immer wieder auch oumlffentlich uumlber den Sinn und Unsinn ihrer Teilnahme und Unterstuumltzung diskutiert Letztendlich uumlberwogen die ganze Zeit uumlber zwei Uumlberlegungen Ers-tens ist ein Dialog auch und gerade auf offizieller Ebe-nen und mit offiziellen Vertretern des russischen Staates (wie auch mit Wissenschaftlern Unternehmern Journa-listen Priestern usw welcher politischen Couleur auch immer sie sein moumlgen) erst einmal besser als kein Dia-log Zweitens gingen wir all die Jahre davon aus dass die nicht ohne Muumlhen erreichte Teilnahme unabhaumln-giger russischen NGO-Vertreter fuumlr sie ihre Organisa-tionen aber auch die russische NGO-Szene insgesamt zumindest einen kleinen zusaumltzlichen Schutz gegen die

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seit Putins Amtsantritt immer wieder uumlber das Land gehenden Repressionswellen bietet1 Was hat sich dieses Jahr geaumlndert Erst einmal nicht

so viel gegenuumlber dem Vorjahr Es war schon immer siehe oben eine schwierige Abwaumlgung ob die Teil-nahme am PD sich lohnt oder nicht vielmehr dazu beitraumlgt so zu tun als gaumlbe es in Russland die unein-geschraumlnkte und ungefaumlhrdete Moumlglichkeit sich zivilgesellschaftlich auch dort zu engagieren wo es dem Staat weh tut Zwei Ereignisse haben nun aber zumindest fuumlr die Autoren des Briefes das Pen-del zur anderen Seite ausschlagen lassen Die Kon-frontation zwischen dem Westen (ich weiszlig um die Bedingtheit des Begriffs verwende in der Kuumlrze hal-ber aber trotzdem) und Russland im Konflikt in der und um die Ukraine ist nicht einfach die Fortset-zung schon laumlnger existierender raquoMeinungsverschie-denheitenlaquo Sie ist tiefer und prinzipieller Es geht eben im Kern nicht in erster Linie um Geopolitik sondern wieder einmal um ich fuumlrchte hier weder den Pathos noch historische Analogien Freiheit und Demokratie in Europa

2 Die Repressionen gegen russische NGOs unsere prinzipiellen Partner in der Verteidigung von Demo-kratie und Freiheit haben mit dem sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo eine neue Qualitaumlt erreicht 15 NGOs sind inzwischen zwangsweise zu raquoauslaumln-dischen Agentenlaquo erklaumlrt worden anderen droht die Schlieszligung aufgrund anderer Gesetze Einige von ihnen waren sogar zum nun verschobenen Treffen in Sotschi eingeladen Sie mussten sich Gedanken machen ob eine Zusage oder eine Absage ihnen nicht schaden koumlnnte

Unter diesen Umstaumlnden halten die Verfasser des Brie-fes ihre Teilnahme am PD fuumlr nicht mehr moumlglich Sie fordern keinen Boykott wohl aber ein Nachdenken uumlber eine tiefgreifende Reform

Der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses Lothar de Maiziere hat in einem eigenen offenen Brief geantwortet und den Verfassern vorgeworfen den Dia-log verweigern und politisieren zu wollen Diese (Gegen-)Klage scheint mir angesichts der vielfaumlltigen Verbindun-gen und Dialogformen die die Organisationen hinter den Unterzeichnern des Briefes seit vielen Jahren und oft laumlnger als der PD organisieren an denen sie teil-nehmen und die sie foumlrdern nicht sonderlich stichhal-tig Doch die Auseinandersetzung geht tiefer De Mai-ziere behauptet in seinem Brief der PD mache bereits all das was die Kritiker fordern Genau das bezweifeln diese aber Die Auseinandersetzung geht also und vor allem darum was ein fruchtbarer Dialog zu leisten im Stande sein kann und leisten sollte Sie geht aber auch darum ob dieser Dialog zwischen zwei Gesellschaf-

ten stattfindet nach dem Motto hier die eine dort die andere oder ob sich die Seiten bei diesem Dialog inei-nander verschraumlnken

Die Verfasser des Briefes sind ganz offensichtlich mit ihrer Kritik nicht allein Schon bevor der Brief oumlffent-lich bekannt wurde hatten die Bundestagsabgeordne-ten Andreas Schockenhoff (CDUCSU) und Marieluise Beck (Buumlndnis 90 Die Gruumlnen) in oumlffentlichen Stel-lungnahmen Aumlhnliches gefordert und auch ihre Nicht-Teilnahme erklaumlrt Etwas spaumlter wurde bekannt dass auch der Russland-Beauftragte der Bundesregierung Gernot Erler nicht nach Sotschi fahren wollte Mehr noch Bereits seit dem Fruumlhsommer gab es Gespraumlche zwischen Kanzleramt und Auswaumlrtigem Amt mit dem Ziel den PD sowohl personell als auch strukturell zu reformieren Allerdings setze sich augenscheinlich die Sichtweise des Auswaumlrtigen Amtes durch alles vorerst beim Alten zu belassen da es auch so schon genug Pro-bleme im deutsch-russischen Verhaumlltnis gebe und man diesen Kanal nicht auch noch belasten oder gar gefaumlhr-den solle

Doch zum Herbst hat sich die Situation noch ein-mal veraumlndert Die Hoffnung die russische Fuumlhrung um Praumlsident Putin werde im Krieg in der Ostukraine ein-lenken ist selbst im Auswaumlrtigen Amt bis in die Spitze kaum noch zu finden Im Sommer bekam das russische Justizministerium zudem per erneuter Gesetzesaumlnde-rung das Recht NGOs zwangsweise zu raquoAgentenlaquo zu erklaumlren und macht seither rege Gebrauch davon Eine ganze Reihe russischer NGOs steht vor der Schlieszligung oder loumlst sich auf weil ihnen die vom Gesetz geforderte Selbstetikettierung als raquoauslaumlndische Agentenlaquo ethisch rechtlich und praktisch unmoumlglich ist

Es sieht so aus als haumltten die Verfasser des Briefes nur eine Tuumlr geoumlffnet hinter der andere darunter die Kanzlerin nur darauf gewartet haben durch sie hin-durch gehen zu koumlnnen ohne selbst der Tuumlroumlffnung geziehen zu werden

Ein wenig verwundert die erstaunlich milde russi-sche Reaktion Nach der kurzen Drohung eine Verschie-bung bedeute das Ende des PD lenkte Putin im Telefo-nat mit Merkel ein und fand tags darauf sogar oumlffentlich verstaumlndnisvolle Worte fuumlr die raquoProbleme der deutschen Seitelaquo Das duumlrfte zwei Gruumlnde haben Der eine ist dass trotz des haumlufiger gewordenen Deutschland-Bashings im russischen Staatsfernsehen (mit dem Ergebnis dass in Umfragen Deutschland aus der Kategorie raquoFreundlaquo in die Kategorie raquoFeindlaquo abgerutscht ist) Deutschland im Kreml immer noch als wichtigster raquostrategischerlaquo Part-ner im Westen und vor allem in der EU gilt Zudem ist Deutschland zweifellos ein Land dessen oumlffentliche Meinung (und damit Politik) aus russischer Sicht durch-aus beeinflussbar ist (was z B die kolportierten rund

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140 Millionen US-Dollar zum Aufbau eines deutsch-sprachigen Programms des staatlichen Auslandsfernse-hens raquoRussia Todaylaquo zeigen)

Der andere liegt in einem erneuten Strategiewech-sel (oder weniger ambitioniert Wechsel der Taktik) im Ukraine-Konflikt Die Sanktionen beiszligen inzwi-schen kraumlftig Die Rhetorik wurde daher gemildert Der Kreml ist ganz auf Frieden und dieser Ausdruck aus dem Sport sei erlaubt Ergebnissicherung bedacht (was uumlbrigens Putins grundsaumltzlicher Taktik auch im Inne-ren Russlands entspricht erst hart zuzuschlagen dann eine Schritt zuruumlck zu gehen und einen Kompromiss zu suchen nach dem es fuumlr seine Gegner nachher schlech-ter steht als vorher) Neues Ziel scheint nun also zu sein die raquoErrungenschaftenlaquo Krim (als Teil Russlands) und raquoNeurusslandlaquo (als neuen raquoFrozen Conflictlaquo) zu fixieren und trotzdem mit dem Westen wenn schon nicht gut-freund zu werden so doch zumindest erneut zu einem einigermaszligen vertraumlglichen Modus Vivendi zu gelan-gen Das Gas duumlrfte nach den Mailaumlnder Gespraumlchen

und bei allem Geknurre im Winter stroumlmen und auch im Nahen Osten stellt Moskau weniger Widerspenstig-keit in Aussicht

Was heiszligt das fuumlr die Zukunft des PD Erstmal ist sie offen Zuerst muss sich die deutsche Seite neu ord-nen (hier hat Putin sogar Recht) Nachdem sich Angela Merkel persoumlnlich um eine russische Akzeptanz fuumlr die Verschiebung von Sotschi bemuumlht hat kann ich mir allerdings nicht vorstellen dass es in einigen Wochen oder Monaten ein Zuruumlck zum status quo ante gibt Ob und wie sich ein neu aufgestellter deutscher Lenkungs-ausschuss mit einem neuen Konzept mit der russischen Seite verstaumlndigen kann laumlsst sich momentan kaum voraussagen Es ist zwar einen Versuch wert haumlngt aber wohl sehr von der dann herrschenden politischen Groszlig-wetterlage ab

Diesen und andere Texte finden Sie auf Jens Siegerts Russ-landblog lthttprusslandboellblogorggt

Lesetippbull Poumlrzgen Gemma Dringend reformbeduumlrftig Der Petersburger Dialog auf dem Pruumlfstand in Osteuropa 602010

Nr 10 S 59ndash81

DOkUmENtAtION

Briefwechsel uumlber die zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo

schreiben von nichtregierungsorganisationen und einzelpersonen an die Bundeskanzlerin und den Auszligenminister zum raquoPetersburger Dialoglaquo 2 oktober 2014 [nachtraumlglich veroumlffentlicht]

Berlin 02 Oktober 2014Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerals Personen die sich seit vielen Jahren intensiv im zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland engagieren wenden wir uns mit diesem Schreiben an Sie um zu erlaumlutern warum wir uns in diesem Jahr nicht am Petersburger Dialog beteiligen koumlnnen Zugleich moumlchten wir fuumlr eine Erneuerung des Petersburger Dialogs werben

In Reaktion auf die politische Wende in der Ukraine die durch eine breite gesellschaftliche Protestbewegung hervor-gerufen wurde hat die russische Fuumlhrung voumllkerrechtswidrig die Krim annektiert und einen unerklaumlrten Krieg neuen Typs im Osten der Ukraine begonnen Zugleich betreibt die Regierung unter Praumlsident Putin die systematische Ausschal-tung der letzten unabhaumlngigen Medien in Russland die Kriminalisierung aller Formen politischer Opposition und die Diskreditierung unabhaumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen als raquoauslaumlndische Agentenlaquo Mittlerweile wurden 12 russische Nichtregierungsorganisationen vom russischen Justizministerium zwangsweise auf die Liste raquoauslaumlndischer Agentenlaquo gesetzt und sind daher zukuumlnftig verpflichtet sich bei jeder oumlffentlichen Aumluszligerung wahrheitswidrig selbst als solche zu bezichtigen Zehn dieser Organisationen spielen in der deutschrussischen zivilgesellschaftlichen Zusammen-arbeit seit Jahren eine wichtige Rolle einige von ihnen haben mehrfach am Petersburger Dialog teilgenommen Gegen einige von ihnen sind bereits existenzbedrohende Strafgelder wegen Verstoszliges gegen das sog Agentengesetz verhaumlngt

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worden Es drohen Organisationsschlieszligungen und die Kriminalisierung der Vorstaumlnde Unter diesen inneren und aumluszlige-ren Bedingungen koumlnnen wir uns nicht an einer Neuauflage des Petersburger Dialogs in der bisherigen Form beteiligen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerder seinerzeit von Bundeskanzler Schroumlder und Praumlsident Putin initiierte Petersburger Dialog konnte die ihm zuge-

dachte Aufgabe zu einer Vertiefung und Verbreiterung der gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland beizutragen auch in den vergangenen Jahren nur sehr bedingt erfuumlllen Dies lag vor allem an der starken Naumlhe des Fuumlhrungspersonals auf der russischen Seite zum politischen Machtzentrum im Kreml die von Beginn an den Eindruck einer raquovon obenlaquo inszenierten und kontrollierten Veranstaltung naumlhrte Doch auch auf deutscher Seite wird der Petersburger Dialog bis heute von Personen dominiert die aus politischer und oumlkonomischer Opportunitaumlt dazu neigen Kritik am Kurs der russischen Fuumlhrung als Stoumlrung der raquodeutsch-russischen Freundschaftlaquo zu betrachten Zeit-weise kam es zu der paradoxen Situation dass kritische Aumluszligerungen zu Menschenrechtsverletzungen in Russland oder zum Vorgehen des Kremls gegenuumlber Georgien aus den Reihen der deutschen Delegation als raquoKalte-Kriegs-Rhetoriklaquo verteufelt wurden Nuumlchtern betrachtet waren die kritischen Stimmen aus der russischen und deutschen Zivilgesell-schaft in den letzten Jahren nur eine geduldete Minderheit die dem Petersburger Dialog den Anschein von Pluralis-mus und offener Diskussion verschaffte Ungeachtet dieser Kritik haben wir uns in der Vergangenheit am Petersburger Dialog beteiligt da wir grundsaumltzlich jedes Dialogpotenzial nutzen wollen und uns von der gemeinsamen Beteiligung mit unseren Partnern aus der russischen Zivilgesellschaft eine politische Absicherung dieser Zusammenarbeit erhofften

Diese ohnehin schwachen Hoffnungen wurden durch die Entwicklungen in diesem Jahr zerstoumlrt Vertreter unab-haumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen die auf der russischen Seite zum Petersburger Dialog eingeladen wer-den sind angesichts der politischen und juristischen Bedrohung der sie ausgesetzt sind in ihrer Entscheidung uumlber ihre Teilnahme nicht mehr frei Wenn sie der Einladung nicht folgen muumlssen sie weitere Repressalien befuumlrchten Uns denen die Freiheit der Entscheidung gegeben ist ist es nicht moumlglich durch Teilnahme am Petersburger Dialog in Sot-schi an der Aufstellung einer Potemkinschen Fassade namens raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo mitzuwirken waumlhrend die kritischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Russland als raquoAgentenlaquo diskreditiert und vielfach drangsaliert werden

Zugleich moumlchten wir unsere Bereitschaft unterstreichen an einer Reform des Petersburger Dialogs in organisa-torischer inhaltlicher und personeller Hinsicht mitzuwirken Eine solche Reform sollte darauf ausgerichtet sein uumlber die Auswahl der Formate Themen und Teilnehmer die tatsaumlchliche Lage der russischen Zivilgesellschaft in den Mit-telpunkt der Diskussion zu ruumlcken und einen offenen Dialog zu ermoumlglichen Wir sind ganz damit einverstanden dass gerade in kritischen Zeiten die Zusammenarbeit zwischen der russischen und deutschen Zivilgesellschaft gestaumlrkt wer-den muss Sofern der Petersburger Dialog in Zukunft dafuumlr ein Forum bietet werden wir uns gern daran beteiligen[Unterzeichner nicht veroumlffentlicht]Quelle Website der Boumlll-Stiftung lthttpwwwboelldede20141013reform-petersburger-dialog-ueberfaelliggt

offener Brief an den Vorsitzenden des Petersburger Dialogs lothar de maiziegravere vom 10 oktober 2014

- Offener Brief -HerrnDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des VorstandsPetersburger Dialog eVSchillerstraszlige 5910627 Berlin

Berlin 10 Oktober 2014Petersburger Dialog 2014 in SotschiSehr geehrter Herr de Maiziegravereals Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher zivilgesellschaftlicher Organisationen die seit der Gruumlndung des Petersburger Dialogs 2001 uumlber viele Jahre hinweg an dieser Veranstaltung teilgenommen haben moumlchten wir Ihnen gegenuumlber folgende Erklaumlrung abgeben

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Wir haben uns entschieden am 14 Petersburger Dialog in Sotschi nicht teilzunehmen der fuumlr den 29ndash31 Okto-ber angekuumlndigt worden ist Fuumlr diese Entscheidung die wir sorgfaumlltig diskutiert und abgewogen haben moumlchten wir drei Gruumlnde anfuumlhren1 Der Petersburger Dialog in seiner jetzigen Form steckt in einer Krise Von Jahr zu Jahr wird er seinem eigenem

Anspruch weniger gerecht Die Veranstaltung soll dem zivilgesellschaftlichen Dialog dienen Tatsaumlchlich sind Struktur Nominierungsverfahren und Programm des Petersburger Dialogs maszliggeblich von Akteuren aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert Unter diesen Voraussetzungen erfuumlllt der Petersburger Dialog leider nicht sein in seiner Satzung formuliertes Ziel ein raquooffenes Diskussionsforumlaquo zu sein das die raquoVerstaumlndigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Laumlnderlaquo foumlrdert Der Petersburger Dialog bedarf dringend einer grundlegenden Reform wie sie auch CDUCSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 eingefordert haben Gerne wuumlrden wir uns aktiv an einem Prozess zur Reformierung des Petersburger Dialogs beteiligen der auf eine pluralistische Zusam-mensetzung beider Lenkungsausschuumlsse und eine deutlich staumlrkere Ausrichtung auf unabhaumlngige zivilgesellschaft-liche Akteure zielt ohne den interdisziplinaumlren Ansatz der Veranstaltung aufzugeben

2 Die Situation in der sich Teile der Zivilgesellschaft in Russland befinden erfuumlllt uns mit groszliger Sorge Das betrifft auch Partnerorganisationen und Personen mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten Diese Organisa-tionen uumlben fuumlr Russland und daruumlber hinaus wichtige gesellschaftliche Funktionen aus Die Behinderung ihrer Arbeit durch buumlrokratische Huumlrden aber auch durch willkuumlrliche rechtliche Restriktionen und politische Diffa-mierung sind inakzeptabel Daruumlber koumlnnen wir nicht zur Tagesordnung uumlbergehen Wir wollen nicht zu Kron-zeugen fuumlr einen vorgeblich freien Austausch werden waumlhrend zugleich die kritische Zivilgesellschaft in Russland massiv und systematisch unter Druck gesetzt wird

3 In Teilen der Ukraine herrscht ein Kriegszustand fuumlr den die russische Fuumlhrung eine maszliggebliche Verantwor-tung traumlgt Wichtige Vertreter dieser Fuumlhrung spielen eine Schluumlsselrolle im Petersburger Dialog einschlieszliglich des fruumlheren Ersten Stellvertretenden Ministerpraumlsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden von Gazprom Wiktor Subkow der der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs ist Vor diesem Hin-tergrund moumlchten wir nicht durch unsere Teilnahme dazu beitragen dass eine Normalitaumlt in den deutsch-russi-schen Beziehungen simuliert wird die es derzeit wegen des Angriffs auf die politische Souveraumlnitaumlt und territo-riale Integritaumlt der Ukraine nicht geben kann

Wir waren und sind weiter sehr an einem offenen Dialog uumlber deutsch-russische Belange in einem gesamteuropaumli-schen Kontext interessiert und halten ihn fuumlr eine Bedingung guter Nachbarschaft und Kooperation Ein solcher Dia-log muss aber auch von beiden Seiten gewollt und ermoumlglicht werden Er darf zugleich nicht zum Nachteil Dritter gefuumlhrt werden Angesichts der aktuellen Lage und der bereits bekannt gewordenen Programmvorschlaumlge fuumlr Sotschi sehen wir auch diese Voraussetzung gefaumlhrdet

Dessen ungeachtet werden wir jede Moumlglichkeit nutzen unsere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Grup-pen und anderen Akteuren in Russland zu vertiefen und dieses Potential in einen bilateralen und europaumlischen Dia-log einzubringenMit freundlichen GruumlszligenRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter Politik Greenpeace eVQuelle lthttpwwwaustauschorgaktuelle-meldungennewsdetailarticle1offener-brie-1htmlno_cache=1ampcHash=0428c5bffdgt

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offener Brief des Vorsitzenden des Petersburger Dialogs vom 13 oktober 2014

AnRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich-Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace eVBerlin 13 Oktober 2014Ihr Schreiben vom 10 Oktober 2014Sehr geehrte Damen und HerrenIhren offenen Brief habe ich erhalten Dass Sie einen Brief aumlhnlichen Inhalts zunaumlchst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Auszligenminister verschickt haben verwundert mich Sie geben damit fuumlr die zivilgesell-schaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung die Sie fuumlr die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren

Ihre Nichtbeteiligung am Petersburger Dialog bedaure ich Denn es entspricht der Uumlberzeugung der meisten Mit-glieder des Vorstandes und des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs dass gerade angesichts zweifellos vorhan-dener Probleme fuumlr die Zivilgesellschaft die Sie teilweise benennen die offensive Auseinandersetzung zu solchen The-men gesucht werden muss Indem man sich solchen Gespraumlchen entzieht schadet man den Interessen der Betroffenen

Sie schreiben der Petersburger Dialog sei im Inneren zu reformieren da er von Vertretern aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert sei Diese Feststellung ist falsch und Sie wissen das Das auch in der Satzung des Petersbur-ger Dialogs beschriebene Konzept des Dialogs beruht auf einem breiten Gedankenaustausch aller gesellschaftlichen Kraumlfte Dazu gehoumlren die Bereiche Kultur Medien Bildung Wissenschaft und Kirchen genauso wie zahlreiche im Bereich der politischen sowie der sozialen Menschenrechte engagierte Einrichtungen die in ihrer Gesamtheit das deutsch-russische Verhaumlltnis beleben

Sie versuchen in Ihrem Brief den Petersburger Dialog auf das enge Feld einiger Vertreter der Zivilgesellschaft zu reduzieren die jenseits der korporierten Zivilgesellschaft angesiedelt sind und deren Interessenspektrum nur einen Teil des gesamten zivilgesellschaftlichen Engagements abdeckt

Ich verkenne nicht die ndash auch aber nicht nur ndash in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu Tage getretenen Probleme sowie die unterschiedlichen Folgen die sich aus einer raquogelenkten Demokratielaquo die in vielem nicht westli-chen Standards entspricht ergeben Dennoch Gemessen an weiten Bereichen der russischen Geschichte ist die Ent-wicklung seit 1991 ein Fortschritt Das daraus resultierende wenn auch im letzten Jahr stark eingetruumlbte Vertrauens-potential muss fuumlr die auf vielen Ebenen notwendigen Gespraumlchsforen genutzt und ausgebaut werden

Derartige Gespraumlche bedingen genauso Realismus wie intellektuelle Disziplin wozu auch gehoumlrt zu verstehen wie Russland die Probleme versteht Dies ndash und nicht Gespraumlchsverweigerung ndash ist die Voraussetzung um auf allen demokratischen gesellschaftlichen Ebenen ndash vom politischen Machtzentrum bis in die Randgruppen hinein ndash pro-blemorientierte Gespraumlche fuumlhren zu koumlnnen Dabei darf keine Seite fuumlr sich in Anspruch nehmen legitimere Inte-ressen zu vertreten als die andere

Das heiszligt Ein Gespraumlch raquoauf Augenhoumlhelaquo nicht von oben herab nicht moralisch belehrend aber mit klaren und ehrlichen Argumenten Dabei duumlrfen wir nicht verschweigen welche gesetzgeberischen aber auch politisch-morali-schen Standards wir fuumlr eine demokratische Gesellschaft im europaumlischen Kontext fuumlr unabdingbar halten

Der Petersburger Dialog wurde aus guten Gruumlnden als deutsch-russische Gemeinschaftseinrichtung konzipiert Da ist eine ndash oft muumlhsame ndash Kompromissfindung unausweichlich Dies ist Teil des Wertes auch der Tiefe aber auch der moralischen Qualitaumlt des Dialogs Das Ringen um kompromissfaumlhige Konzepte muss unser Anliegen bleiben nicht Vorverurteilung und GespraumlchsablehnungMit freundlichem GruszligDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des Vorstands Petersburger Dialog e VQuelle Website des Petersburger Dialogs lthttpwwwpetersburger-dialogcomoffener-brief-vom-13-oktober-2014gt

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offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

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9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

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14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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Die Russland-Analysen werden von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und von Mangold Consulting GmbH unterstuumltzt

Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

Abdruck und sonstige publizistische Nutzung sind nach Ruumlcksprache mit der Redaktion gestattetVerantwortlicher Redakteur Hans-Henning Schroumlder

Recherche Uumlbersetzungen und Sprachredaktion Christoph Laug Hartmut SchroumlderSatz Matthias Neumann

Russland-Analysen-Layout Cengiz Kibaroglu Matthias Neumann und Michael ClemensAlle Ausgaben der Russland-Analysen sind mit Themen- und Autorenindex archiviert unter wwwlaender-analysende

Die Russland-Analysen werden im Rahmen eines Lizenzvertrages in das Internetangebot der Bundeszentrale fuumlr politische Bildung (wwwbpbde) aufgenommenDie Russland-Analysen werden im Rahmen der Datenbank World Affairs Online (WAO) ausgewertet und sind im Portal IREON wwwireon-portalde recherchierbar

ISSN 1613-3390 copy 2014 by Forschungsstelle Osteuropa BremenForschungsstelle Osteuropa bull Publikationsreferat bull Klagenfurter Str 3 bull 28359 Bremen bull Telefon +49 421-218-69600 bull Telefax +49 421-218-69607

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

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Die einzelnen Laumlnder-Analysen werden von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und der Deutschen Gesellschaft fuumlr Osteuropakunde jeweils mit unterschiedlichen Partnern und Sponsoren herausgegeben

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                        • Ein Kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen Engagements zur Unterstuumltzung und Integration von Migranten in Russland
                          • Marina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin
                          • Umfrage
                            • Uumlber die Zivilgesellschaft in Russland
                              • Dokumentation
                                • Luumlgen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des JustizministeriumsErklaumlrung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL
                                  • Notizen aus Moskau
                                    • Petersburger Dialog
                                      • Jens Siegert Moskau
                                      • Dokumentation
                                        • Briefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo
                                          • Chronik
                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 12: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 12

rer Zukunft kein Teil der Ukraine werdenlsaquo wird auch wenn es scheint als ob die Ergebnisse eines jeden Referendums vorhersehbar sind Schlieszliglich tragen wir alle selbst diejenigen die dagegen waren zu einem gewissen Grad eine Ver-antwortung bei der Aggression des Kreml gegen die Ukraine und trotz allem stehen wir in den Augen der Ukrainer vollkommen zurecht als Buumlrger eines Aggressorstaates da Etwas mehr Ruumlcksicht und Fairness waumlre nicht verkehrtlaquoSergej Davidis auf Facebook 15102014 lthttpswwwfacebookcomsergeidavidisposts800840943304969gt

raquoDer Drache gewinnt in jedem falllaquoraquoBezuumlglich der Krim bin ich mit Nawalnyj kategorisch nicht einverstanden und finde dass gerade Russland der Ukraine die annektierte Krim zuruumlckgeben sollte vor allem weil niemand auch kein Land ein normales Leben fuumlh-ren kann ohne zu versuchen die Folgen eines von ihm begangenen Verbrechens nach Moumlglichkeit zu korrigieren Das waumlre genauso als wenn Alexejs rsaquoLieblingsfigurenlsaquo ndash Timtschenko Jakunin die Rotenbergs usw ndash eines schoumlnen Tages sagen wuumlrden rsaquoWir klauen jetzt nicht mehr wir sind jetzt ehrliche Leute Aber was wir vorher zusammenge-klaut haben das gehoumlrt bereits uns und das behalten wirlsaquo Eine solche Idee wuumlrde Nawalnyj kaum zufriedenstellen

Die Diskussion um Nawalnyjs Position die jetzt stattfindet zeigt aber aus meiner Sicht sehr ernst zu nehmende moralische und ethische Probleme innerhalb eines Teils der russischer Opposition auf Die einen die gestern noch mit harten Worten die rsaquoKrimnaschistenlsaquo beschimpft haben und so schien es bereit waren rsaquoWatniki und Koloradylsaquo2 in Stuumlcke zu zerreiszligen sind nun durch der rsaquoHetze der liberalen Presse gegen Nawalnyjlsaquo empoumlrt [hellip]

Ich moumlchte denjenigen fuumlr die jedweder Meinungsunterschied zu Nawalnyj ein Anschlag auf das Allerheiligste ist Folgendes sagen Beruhigt euch versucht zu verstehen dass es dumm und aussichtslos fuumlr das Land waumlre rsaquoPuti-noidelsaquo durch rsaquoNawalnoidelsaquo auszutauschen So wie in dem alten vietnamesischen Maumlrchen uumlber den Drachen und das Schwert aus grauem Stahl Es gewinnt immer der DrachelaquoAlexander Osowzow auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcomosovtsovaaposts1568393260047754gt

raquoman darf sie nicht hin und her zuruumlckgebenlaquoraquoAlle die Nawalnyj fuumlr seine Worte rsaquoIst die Krim etwa ein Wurstbrot dass man es hin und her zuruumlckgeben koumlnntelsaquo kritisieren moumlchte ich fragen Wie stellt ihr das uumlberhaupt vor

Der Praumlsident Russlands unterschreibt einen Erlass uumlber die Ruumlckgabe der Krim und Sewastopols an die Ukraine Uumlber die Entziehung der russischen Staatsbuumlrgerschaft bei allen Bewohnern der Krim und Sewastopols Oder kann man den Menschen die russische Staatsbuumlrgerschaft belassen und nur das Territorium ndash mit ihnen ndash uumlbergeben Fragt irgendjemand die Menschen was sie wollen bevor man etwas mit ihnen macht Oder werden die Einwohner der Krim und Sewastopols nicht fuumlr Menschen gehalten sondern fuumlr Vieh fuumlr eine Schafherde die zwischen verschie-denen Staaten hin und her rsaquouumlbergebenlsaquo werden kann Der eine Praumlsident hatte Lust und nahm es sich der andere hat sich anders uumlberlegt und gibt es wieder zuruumlckt So etwa

Sollte man nicht doch besser die Menschen fragen Hat Nawalnyj das etwa nicht selbst gesagt als er von einem rsaquonormalenlsaquo Referendum auf der Krim sprach Ich verstehe unter einem rsaquonormalenlsaquo Referendum eines das nicht nur 15ndash20 Tage vorbereitet wird sondern mindestens drei Monate Und bei dem es keine Einschraumlnkungen fuumlr die Kam-pagne gibt Die Anhaumlnger einer Zugehoumlrigkeit der Krim und Sewastopols zur Ukraine wollen hierfuumlr agitieren mit Plakaten Flugblaumlttern Werbevideos ukrainischen Fahnen ndash bitte schoumln Ohne Einschraumlnkungen Und dass alle moumlg-lichen Wahlbeobachter zum Referendum kommen koumlnnen von der OSZE von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates von der GUS aus der Ukraine der EU und den USA von uumlberall her Und dass ein transparenter Ablauf der Stimmenzaumlhlung gewaumlhrleistet werde Und wenn jemand von den Wahlbeobachtern ein Nachzaumlhlen der Stimmen per Hand verlangt ndash bitte schoumln mehrmals so oft wie gewuumlnscht Und uumlberhaupt Lasst so viele Wahlbe-obachter in jedes Wahllokal wie dort Platz ist Und keinerlei bewaffnete Menschen mit Maschinenpistolen in kei-nem einzigen Wahllokal oder dessen UmgebunglaquoWladislaw Naganow auf Livejournal 16102014 lthttpnaganofflivejournalcom142862htmlgt

liebe raquonawalnistenlaquoraquoAlso Fuumlr die verehrten rsaquoNawalnistenlsaquo die sich wegen Alexej so aufregenhellip

2 raquoWatnikilaquo (Wattejacken) ndash abfaumlllige Bezeichnung fuumlr russische sbquoHurrapatriotenlsquo (ein raquoWatniklaquo ist eine Wattejacke die mit der Armee aber auch mit Straumlflingen assoziiert wird) raquoKoloradylaquo (von raquo koloradskij shuklaquo ndash Kartoffelkaumlfer) ndash abfaumlllige Bezeichnung fuumlr prorussische Akti-visten in der Ukraine (die Faumlrbung des Kaumlfers ist schwarz-gelb oder schwarz-orange gestreift aumlhnlich den Farben des St Georgs-Bandes das von prorussischen Kraumlften in der Ukraine und von politisch rechtsstehenden Russen als Abzeichen verwendet wird)

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Ja eurer rsaquoFuumlhrerlsaquo ist Imperier Daraus hat er kein Geheimnis gemacht Er ist bei der Krim-Frage ein absoluter Putin Weil er wenn er einer anderen Ansicht waumlre Wenediktow Folgendes gefragt haumltte rsaquoVon welcher Krim reden Sie denn Von der die zur Ukraine gehoumlrt womit Russland einverstanden war als es das Budapester Abkommen unterschrieben hat Sie fragen mich uumlber die territoriale Integritaumlt eines Staates dem Russland Garantien gegeben hat wonach die Ukraine zum atomwaffenfreien Land geworden ist Haumltte Russland seinerzeit diese Garantien nicht gegeben haumltte die Ukraine jetzt Atomraketen und wir wuumlrden es niemals riskieren uns dort einzumischenhellip Sie fragen also nach Quatsch und zwar provokantem Quatschlsaquo

Wenn er also auf diese Weise geantwortet haumltte dann ja Dann waumlre er als Politiker geboren worden Er hat sich aber ausgenullt Wie seinerzeit Udalzow

Und noch etwa Verehrte rsaquoNawalnistenlsaquo houmlrt auf euch Goumltzen zu schaffen Viele von euch waren auf dem rsaquoFrie-densmarschlsaquo zur Unterstuumltzung der territorialen Integritaumlt der Ukraine Verliert das Gesicht nicht Trefft eine Wahl ohne Bindung des Herzens Und all die Argumente rsaquoer habe es nicht so gesagt er habe etwas anderes gemeintlsaquo das ist im Stil von rsaquoPutinistenlsaquo und zwar rsaquoUnser Fuumlhrer hat alle ausgetrickst Das eine gesagt was anderes getan Sie haben seinen Weisheiten schlecht zugehoumlrtlsaquohellip

Seid keine Kinder Werdet erwachsenlaquoAlexander Sotnik auf Facebook 15102014 lthttpswwwfacebookcomsashasotnikposts646414272138108gt

raquorandfigur russischer PolitiklaquoDa Alexej Nawalnyj recht offen seine Meinung zur Krim geaumluszligert hat [hellip] waumlre es auch fuumlr den Oppositionellen selbst sinnvoll das Geheimnis uumlber seine Lage zu luumlften Ich finde dass abgesehen davon dass die Rechte von Ale-xej Nawalnyj lange Jahre verletzt wurden und er nach himmelschreiender Verletzung aller Gesetzesnormen der Rus-sischen Foumlderation verurteilt wurde die Realitaumlt so aussieht dass Herr Nawalnyj eine Randfigur der russischen Poli-tik ist Ich rate ihm und seinen Anhaumlngern eindringlich sich nichts vorzumachen ndash sie haben in absehbarer Zukunft keine Chance bedeutende Figuren in der groszligen Politik zu werden Das waumlre ebenfalls ehrlichMustafa Nayyem auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcomMustafanayyemposts10203171638717866gt

raquoWas wollen sie Pardon zuruumlckgebenlaquoraquoWas fuumlr spannende Eskapaden nun zu dieser Krimhellip rsaquoDie Krim ist kein Wurstbrotlsaquo meint Nawalnyj rsaquoWenn ich Prauml-sident werde gebe ich Krim nicht zuruumlcklsaquo schreibt Michail Chodorkowskij auf Twitter [hellip]

Russland hat einen Teil eines souveraumlnen Staates okkupiert Diese Okkupation ist von keinem anderen Staat in der Weltgemeinschaft anerkannt worden In der ganzen Welt hat sich die ukrainische Grenze nicht um einen Zen-timeter veraumlndert Die Welt kennt keinen anderen Staat rsaquoUkrainelsaquo auszliger diesen ndash mit der Krim Die Welt kennt kei-nen anderen Staat rsaquoRusslandlsaquo auszliger diesen ndash ohne die Krim Es hat keine Vertraumlge zur Anerkennung und Bestaumltigung neuer Grenzen gegeben

Was also wollen Sie Verzeihen Sie die Frage rsaquozuruumlckgebenlsaquo [hellip]Und zweitens Das wichtigsteWenn du Praumlsident wirst ndash eben Praumlsident ndash waumlre in diesem Koordinatensystem schon eine solche Fragestellung

rsaquoabgeben oder nichtlsaquo per definitionem undenkbar Denn der Praumlsident ist ein gewaumlhltes Amt Ein Amt das im Rah-men fairer und freier Wahlen besetzt wird die in einem demokratischen Land nach internationalen Regeln Konven-tionen Rechten und Gesetzen die durch die Weltgemeinschaft als korrekt anerkannt werden [hellip] In dieser Situa-tion wuumlrde sich die Frage rsaquozuruumlckgeben oder besser nochmal uumlberlegenlsaquo a priori nicht stellen Weil nicht du es bist der uumlber zuruumlckgeben oder nicht entscheidet Du bist kein Lenker des Schicksals von Staaten Laumlndern und Voumllkern Du bist bloszlig Garant der Ausfuumlhrung von Gesetzen Einschlieszliglich internationaler Gesetze Fuumlr alle die daruumlber anders dachten ist die Moumlglichkeit geschaffen worden uumlber ihre Fehler nachzudenken ndash in den schoumlnen Staumldten Nuumlrnberg und Den HaaglaquoArkadij Babtschenko auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcombabchenkoaposts555934824506755fref=nfgt

Ausgewaumlhlt und zusammengefasst von Sergey Medvedev Berlin (Die Blogs auf die verwiesen wird sind in russischer Sprache verfasst)

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ANALYSE

zivilgesellschaft und staat in russlandPavel Chikov Moskau

zusammenfassungDie Zivilgesellschaft befindet sich heute in Russland in einem schlechten Zustand Sie entwickelte sich Ende der 1980er Jahre und genoss bis Ende der 1990er Jahre weitgehende Freiheiten 1999 gab es erste staatliche Eingriffe und 2004 kennzeichnete Praumlsident Putin aus dem Ausland finanzierte NGOs direkt als raquoFeindelaquo In den folgenden Jahren wurde die Gesetzgebung verschaumlrft die Registrierung von NGOs erschwert den-noch gab es bis zur Ruumlckkehr Putins in das Praumlsidentenamt im Jahre 2012 kein ernstliches Vorgehen der Behoumlrden gegen die NGOler Mit der ultrakonservativen Wende des Jahres 2012 begann der Staat auch verstaumlrkt gegen die NGOs vorzugehen Heute auch nach den Ereignissen in der Ukraine ist weithin klar geworden dass Wladimir Putin bei seiner Orientierung auf einen extremen Konservatismus auch vor Re-pressionen gegen Nichtregierungsorganisationen nicht zuruumlckscheut

Die entstehung der zivilgesellschaft ende der 1980er JahreDer Zustand der Zivilgesellschaft in Russland laumlsst sich heute mit nur einem Wort charakterisieren schlecht Mehr noch Er ist schlechter denn je in der neuesten Geschichte Russlands wenn man davon ausgeht dass es zu sowjetischer Zeit keine nennenswerte Zivilgesell-schaft gegeben hat Die vereinzelten sowjetischen Buumlr-gerrechts- und Dissidentengruppen deren Mitglieder von den Geheimdiensten aufs engste uumlberwacht wurden lassen sich naumlmlich nur mit groumlszligter Muumlhe als Zivilge-sellschaft bezeichnen

Eine legale Existenz vom Staat unabhaumlngiger Nicht-regierungsorganisationen begann in Russland ungefaumlhr in jener Zeit als West- und Ostdeutschland wiederver-eint wurden Ende der 1980er und in der ersten Haumllfte der 1990er Jahre wurden zum einen die bereits erwaumlhn-ten sowjetischen Dissidentengruppen dann aber auch jene Initiativgruppen die auf der Welle der Perestroika unter Gorbatschow entstanden waren und nun als Orga-nisationen auftraten zur Basis der kuumlnftigen Zivilgesell-schaft Diese Gruppen erreichten dass Kuibyschew in Samara und Gorkij in Nishnij Nowgorod umbenennt wurde und sie beteiligten sich engagiert an den Wahlen der Volksdeputierten beseitigten verschiedenste Relikte der sowjetischen Vergangenheit wurden zu Meinungs-fuumlhrern der Gesellschaft organisierten erstmals recht-liche Hilfe fuumlr die schwaumlchsten Bevoumllkerungsgruppen

Die ersten Gesetze die die Taumltigkeit von NGOs sys-tematisch regulierten entstanden in den Jahren 1995 und 1996 Sie wurden auf der Houmlhe der allgemeinen Demokratisierung verabschiedet schrieben die grundle-genden buumlrgerlichen Freiheiten fest sahen eine Registrie-rung per Anmeldung keinerlei Rechenschaftspflichten sowie die Moumlglichkeit vor ohne Registrierung als juristi-sche Person taumltig sein zu koumlnnen Hierbei konnten rund zwei Dutzend verschiedener Rechtsformen genutzt wer-den Eine gesellschaftliche Organisation (NGO) regis-

trieren zu lassen bedeutete keine Muumlhe und die staat-lichen Gebuumlhren hierfuumlr waren minimal Gleichzeitig gab es jedoch keinerlei System fuumlr eine finanzielle Foumlrde-rung von nichtkommerziellen Organisationen (NGOs) durch den Staat

erste eingriffe des staatesDie ersten Zeichen die von kuumlnftigen Problemen fuumlr NGOs kuumlndeten erfolgten im Jahr 1999 als das Justiz-ministerium eine Neuregistrierung aller aktiven nicht-kommerziellen Organisationen (NGOs) verlangte Damals sahen sich einige Menschenrechtsorganisatio-nen erstaunlichen Beanstandungen durch die Behoumlrden gegenuumlber Wie sich herausstellte sollte es nicht moumlg-lich sein den Schutz der Menschenrechte und buumlrgerli-chen Freiheiten zu den satzungsgemaumlszligen Zielen zu zaumlh-len Die Fachleute des Justizministeriums behaupteten Da der Schutz der Menschenrechte gemaumlszlig der Verfas-sung die Pflicht des Staates ist koumlnnten NGOs diesen darin allenfalls sbquounterstuumltzenlsquo Das ist die Erklaumlrung dafuumlr dass die meisten Moskauer Organisationen bei ihren Namen und in ihren Satzungen bis heute diese Formulierung verwenden die offensichtlich eine klare paternalistische Botschaft an die Gesellschaft darstellt Zivilgesellschaftliche Organisationen koumlnnen ndash so die Haltung der russischen Regierung seit 1999 und bis jetzt ndash nichts selber machen Sie koumlnnen lediglich den Staat unterstuumltzen Folglich stoszligen NGOs wenn sie sich gegen die Politik des Staates wenden auf unweiger-lichen vaumlterlichen Zorn Die 15 Jahre nach 1999 illus-trieren diese Haltung sehr deutlich

nichtregierungsorganisationen als raquofeindelaquo2004 hat Praumlsident Putin in seiner jaumlhrlichen Parla-mentsansprache Nichtregierungsorganisationen die auch nur irgendwelche Gelder aus dem Ausland erhalten direkt seine Feinde genannt 200405 wurde eine spe-zielle staatliche Struktur der raquoFoumlderale Dienst fuumlr Regis-

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trierunglaquo (raquoRosregistrazijalaquo) geschaffen ndash eine Polizei fuumlr NGOs Es wurden fuumlr NGOs Rechenschaftspflich-ten uumlber ihre Taumltigkeit eingefuumlhrt die fuumlr zwei Drit-tel der Organisationen nicht zu stemmen waren Von 2006 bis 2008 hat diese dem Justizministerium nach-geordnete Behoumlrde die Aufloumlsung Zehntausender zivil-gesellschaftlicher Organisationen per Gerichtsbeschluss erwirkt Weitere 50000 erhielten Verwarnungen Ins-gesamt befanden sich beim Amtsantritt des Zwischen-praumlsidenten Medwedew achtzig Prozent der in Russland existierenden Organisationen (ungefaumlhr 150ndash180000) nur einen Schritt von ihrer moumlglichen Aufloumlsung (aus formalen Gruumlnden) durch das Justizministerium ent-fernt Staatsfreundliche Strukturen (wie etwa die Gesell-schaftskammer) haben beharrlich die Vorstellung trans-portiert dass es in Russland tatsaumlchlich nicht mehr als 30000 gesellschaftliche Organisationen (NGOs) gebe Das Anhalten der repressiven Maschine gegen NGOs war eine der wenigen liberalen Zugestaumlndnisse Dmitrij Medwedews als Praumlsident raquoRosregistrazijalaquo wurde 2008 selbst aufgeloumlst und seine Funktionen zur Kontrolle der Nichtregistrierungsorganisationen direkt dem Justiz-ministerium uumlbertragen Viele ehemalige Mitarbeiter von raquoRosregistrazijalaquo einschlieszliglich des Behoumlrdenlei-ters wechselten zur Staatsanwaltschaft

2009 und 2010 ritten die Behoumlrden nur vereinzelte Angriffe auf Nichtregistrierungsorganisationen Ein besonders bekannter Fall war die blitzartige staatsan-waltschaftliche Uumlberpruumlfung von 40 Menschenrechtsor-ganisationen im September 2010 die auf Anweisung der Praumlsidialadministration erfolgte diese wollte vor dem Treffen der Leiter der Kommission von Wladislaw Sur-kow und Michael MacFaul kompromittierende Mate-rialien uumlber aus dem Ausland finanzierte Organisatio-nen praumlsentieren Insgesamt aber hat bis zur Ruumlckkehr Putins in das Praumlsidentenamt kein ernstliches Vorgehen der Behoumlrden gegen die NGOler gegeben

Die situation der zivilgesellschaft nach dem mai 2012Die Situation aumlnderte sich grundlegend im Mai 2012 nach der dritten Inauguration Putins die von Mas-senprotesten auf dem Bolotnaja-Platz begleitet wurde denen die bis heute andauernden sogenannten Bolot-naja-Verfahren folgten naumlmlich die strafrechtliche Ver-folgung und Verurteilung zu Gefaumlngnisstrafen von Teil-nehmern der regierungskritischen Demonstration vom 6 Mai 2012 Die Praumlsidialadministration wappnete sich mit der ultrakonservativen Politik einer demonstrativen Absage an liberale Werte fuumlr den Praumlsidenten wurde das Image eines Verteidigers traditioneller Werte aufgebaut die den Menschenrechten und buumlrgerlichen Freiheiten gegenuumlbergestellt werden

Die weitgehenden Beschraumlnkungen der Versamm-lungsfreiheit die Verfolgung von Schwulen und Les-ben die Angriffe auf die Redefreiheit im Internet die Herstellung staatlicher Kontrolle uumlber die Medien die Diskreditierung des Instituts der Wahlen wurden durch eine Kampagne zur Verfolgung von Nichtregierungsor-ganisation ergaumlnzt Diese Welle wurde unter der Losung losgetreten dem Einfluss aus dem Ausland entgegenzu-wirken Sie erfolgte durch Aumlnderungen im Gesetz uumlber nichtkommerzielle Organisationen (NGOs) das Aumlnde-rungsgesetz wurde als raquoGesetz uumlber auslaumlndische Agen-tenlaquo bekannt Praumlsident Putin persoumlnlich ist bekann-termaszligen dessen geistiger Vater Im Verlauf des Jahres 2013 organisierte die Staatsanwaltschaft die vom Jus-tizministerium die Funktion der Kontrolle uumlber Nicht-regierungsorganisationen uumlbernommen hatte die Uumlber-pruumlfung von rund tausend NGOs und lieszlig sich dabei lediglich von einem Kriterium leiten naumlmlich der Frage ob eine Organisation in irgend einer Art Gelder aus irgendeiner Art auslaumlndischer Quelle erhaumllt die Ver-einten Nationen den Europarat und private Nichtre-gierungsstrukturen eingeschlossen Auch eine Reihe deutscher Stiftungen und Organisationen waren Atta-cken ausgesetzt naumlmlich die Friedrich-Ebert-Stiftung die Konrad-Adenauer-Stiftung und der Deutsch-Rus-sische Austausch

Ziel der von Generalstaatsanwalt Jurij Tschajka ini-tiierten Kampagne war es moumlglichst viele Organisa-tionen dazu zu noumltigen sich als auslaumlndischer Agent registrieren zu lassen Die Reaktion der russischen Zivil-gesellschaft laumlsst sich wohl als deutlichsten Beweis ihrer Existenz bezeichnen Nach dieser halbjaumlhrigen Kam-pagne in allen Regionen des Landes hatte sich keine einzige Organisation im Verzeichnis der raquoauslaumlndi-schen Agentenlaquo registrieren lassen Die Zivilgesellschaft hatte ndash ohne sich zu verabreden ndash die Anwendung die-ses Gesetzes sabotiert und Dutzende Organisationen zogen mit Beschwerden gegen das Vorgehen der Staats-anwaumllte vor Gericht Diese ewig langen Gerichtspro-zesse dauern bis heute an Involviert sind mittlerweile auch das Oberste Gericht das Verfassungsgericht der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte die Vene-dig-Kommission des Europarates der Menschenrechts-kommissar des Europarates und die Regierungschefs aller groszligen westlichen Staaten

Heute nach den diesjaumlhrigen Ereignissen in der Ukraine ist weithin klar gewonnen dass Wladimir Putin bei seiner Hingabe an extremen Konservatismus und bei seiner Attacke gegen liberale Werte die die Grundlage der Nachkriegsordnung dargestellt haben bei Repressionen gegen Nichtregierungsorganisationen nicht halt macht Heute in einer Situation da von jenem Moment wo im Kopf des Praumlsidenten oder von irgend

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jemandem in dessen engster Umgebung die naumlchste Idee zur Beschraumlnkung der Menschenrechte entsteht bis zur Verabschiedung und dem Inkrafttreten eines entsprechenden Foumlderalen Gesetzes nur eine Woche vergehen kann koumlnnen jene die Menschenrechtsar-

beit machen solche Schritte der Regierung weder aus-zuschlieszligen noch sie vorhersehen Es bleibt einem nur auf wirklich alle Szenarien gefasst zu sein auch auf die schlimmsten

Uumlbersetzung Hartmut Schroumlder

Uumlber den AutorPawel Chikow Vorsitzender der Interregionalen Assoziation der Buumlrgerrechtsorganisationen raquoAGORAlaquo Mitglied des Rats fuumlr die Entwicklung der Zivilgesellschaft und fuumlr Menschenrechte beim Praumlsidenten der Russischen Foumlderation

ANALYSE

ngos in russlandJens Siegert Moskau

zusammenfassungUnabhaumlngige russische NGOs sind seit Praumlsident Putins Amtsantritt Ziel staatlichen Drucks Die Auseinan-dersetzung mit diesem Druck hat bei den NGOs zu einer schrittweisen und beindruckenden Professionali-sierung beigetragen die wiederum geholfen hat trotz dieses Drucks nicht nur zu uumlberleben sondern auch ihre Arbeit weiter machen zu koumlnnen Das vor knapp zwei Jahren in Kraft getretene sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo stellt die NGOs vor eine neue harte Probe Zudem versucht der Staat erneut NGOs auch institutionell in raquogutelaquo und raquoboumlselaquo einzuteilen Dieser neue Versuch NGOs unter direkte staatliche Kontrol-le zu bringen gefaumlhrdet die Existenz unabhaumlngiger und staatskritischer NGOs in Russland

Putin und die ngosSeit Wladimir Putin vor nun schon fast 15 Jahren rus-sischer Praumlsident wurde versucht er sehr erfolgreich alle autonomen politischen Subjekte in Russland der direkten Kontrolle des Staates besser noch des Kremls zu unterwerfen In Wirtschaft und Politik ist das wei-testgehend gelungen Bei den Massenmedien sehr weit-gehend Blieben und bleiben die NGOs Sie haben sich als am widerstaumlndigsten erwiesen Das hat unterschied-liche Gruumlnde

Erstens galten NGOs im Kreml lange nicht als son-derlich gefaumlhrliche politische Bedrohung Das aumlnderte sich kurzzeitig 20042005 als der Kreml vor allem bei der sogenannten Orangenen Revolution in der Ukraine aus dem Ausland finanzierte NGOs als wichtige trei-bende Kraft der politischen Veraumlnderungen betrachtete Doch hielt diese seinerzeit stark uumlbertriebene Angst vor der Moumlglichkeit aumlhnlich raquoumstuumlrzlerischer Machen-schaftenlaquo in Russland nur recht kurz an Danach etwa ab Ende 2006 und bis zur Protestwelle gegen Wahlfaumll-schungen und die Wiederwahl von Wladimir Putin zum russischen Praumlsidenten im Winter 20112012 periodisch blieben die Aufmerksamkeit den NGOs gegenuumlber und das Verhaumlltnis zwischen Staat und NGOs ambivalent

Dieses Verhaumlltnis schwankt seit Putins Machtan-tritt zwischen dem Misstrauen des Staates allen auto-nomen potentiell eigenstaumlndigen politischen Subjekten gegenuumlber (die aus seiner Sicht streng kontrolliert gehouml-ren) und der Erkenntnis dass NGOs eine ganze Reihe wichtiger sozialer und politischer Funktionen ausfuumll-len die der Staat nicht oder nicht mehr zu gewaumlhrleis-ten in der Lage ist Auszligerdem erwiesen sich die NGOs nach weitgehender Abschaffung der Pressefreiheit und Gleichschaltung der (ohnehin schwachen und in vielen Bereichen dysfunktionalen) politischen Parteien fuumlr den Kreml als nuumltzlicher ja mitunter notwendiger Kommu-nikationskanal in die Gesellschaft

Die Uumlberlebensfaumlhigkeit der russischen ngosDas Uumlberleben unabhaumlngiger NGOs wurde bis heute auszligerdem durch ihre groszlige politische und institutio-nelle Lernfaumlhigkeit gewaumlhrleistet Unter dem staatli-chen Druck der vergangenen 15 Jahre ist die NGO-Arbeit in Russland in fast allen Bereichen professioneller geworden Das gilt insbesondere fuumlr die Einhaltung der in vielem widerspruumlchlichen oft geaumlnderten und uumlber Verwaltungsakte zu wahren buumlrokratischen Monstern

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aufgeblaumlhten die NGOs betreffenden Gesetze Kurz gesagt Vor allem Juristen Buchhalter Geschaumlftsfuumlh-rer die NGOs beraten oder in ihnen arbeiten aber auch viele Aktivisten sind schlicht besser schneller und pro-fessioneller als die staatliche Finanz- Justiz- oder sons-tige Verwaltung Einem in vielem legalistischen Staat gegenuumlber kostet diese staumlndige Professionalisierung (auch im Sinn einer Art raquolebenslangen Lernenslaquo) zwar viel Kraft und es muumlssen dafuumlr nicht geringe Ressour-cen eingesetzt werden aber sie verschafft solange es sich nicht um frontale Angriffe handelt immer wieder Raum und Zeit zum Weitermachen

Damit komme ich zum dritten Grund fuumlr die beson-dere Widerstaumlndigkeit von NGOs in Russland Es ist fuumlr einen Staat (und seine Staatsmaumlnner und -frauen) fuumlr den der Eigensinn der Menschen nur schwer vorstell-bar ist und der vom eigenen Zynismus geleitet hin-ter jedem und allem irgendwelchen raquofremden Maumlchtelaquo Verschwoumlrungen und politischen Utilitarismus vermutet ganz offenbar schwer vorstellbar dass zivilgesellschaftli-ches Engagement sozusagen aus sich selbst heraus oder aus einer bestimmten Situation oder einem bestimmten Ereignis einem Erlebnis oder einer Erfahrung heraus entsteht Administrative auch strafrechtliche Maszlig-nahmen gegen dieses Engagement laufen eben deshalb immer wieder zwar nicht voumlllig ins Leere (sie erschwe-ren dieses Engagement mitunter enorm) aber sie koumln-nen es nicht verhindern Es verlagert sich immer wieder und findet immer neue Formen und Foren

Die Verstaumlrkung der staatlichen kontrolleBis heute gab es unter Putin drei groumlszligere Versuche unab-haumlngige NGOs unter mehr oder weniger direkte staatli-che Kontrolle zu bringen und diejenigen die sich dagegen wehrten entweder zu marginalisieren oder auch zu schlie-szligen Der erste im Jahr 2001 endete mit einem oben schon angedeuteten Kompromiss der das Verhaumlltnis Kreml-NGOs in einem (allerdings jederzeit prekaumlren) Gleich-gewicht zwischen Konfrontation und Kooperation hielt

Der zweite Versuch endete in der Verabschiedung des raquoNGO-Gesetzeslaquo Ende 2005Anfang 2006 das den NGOs weitergehende Berichtspflichten auferlegte in der Praxis also Ressourcen band und bindet aber ebenfalls in der Praxis und entgegen anderslautenden Befuumlrchtungen nicht zu wesentlichen Einschraumlnkun-gen in der Arbeit russische NGOs fuumlhrte Die groumlszligte negative Wirkung dieses Versuches duumlrfte von zahlrei-chen oumlffentlichen Aumluszligerungen hochgestellter Politiker bis hin zu Putin ausgegangen sein NGOs seien raquoFeindelaquo raquoSchakale die um auslaumlndische Vertretungen streunenlaquo Dadurch wurde die Einstellung von Teilen der Gesell-schaft vor allem aber von weiten Teilen der Verwaltung zu NGOs grundsaumltzlich negativ gepraumlgt

Der dritte Versuch begann als Teil der staatlichen Reaktionen auf den Protestwinter 20112012 und haumllt bis heute an Sein wichtigster Bestandteil ist das soge-nannte raquoNGO-Agentengesetzlaquo das eigentlich kein eigenes Gesetz ist sondern aus einer Reihe dem NGO-Gesetz neu hinzugefuumlgter oder geaumlnderter Paragraphen besteht Diese Vorschriften verpflichten NGOs die raquosich politisch betaumltigenlaquo und Geld oder andere Zuwendun-gen aus dem Ausland erhalten sich beim Justizminis-terium als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren zu lassen Danach muumlssen sie jede oumlffentliche Aumluszligerung mit dem Zusatz raquoauslaumlndischer Agentlaquo versehen

Die Durchsetzung des AgentengesetzesTrotz erheblichen staatlichen raquoPressingslaquo der raquoUumlber-pruumlfunglaquo von mehr als 700 NGOs in ganz Russland durch Staatsanwaltschaft Justizministerium Finanz-amt und eine Reihe anderer Behoumlrden ab dem Fruumlhjahr 2013 hatte sich im Fruumlhjahr 2014 erst eine NGO als raquoauslaumlndischer Agentlaquo im entsprechenden Register des Justizministeriums eintragen lassen (lthttpunromin justruNKOForeignAgentaspxgt) Alle anderen selbst diejenigen NGOs die von den Behoumlrden als raquoAgentenlaquo eingestuft und teilweise mit empfindlichen Geldstra-fen belegt worden waren weigerten sich und weigern sich bis heute Viele NGOs klagten und klagen sowohl gegen das Gesetz als auch gegen die raquoUumlberpruumlfungenlaquo und die aus ihnen von den Justizbehoumlrden abgeleite-ten Bescheide und Anweisungen vor russischen Gerich-ten aber auch vor dem Europaumlischen Gerichtshof fuumlr Menschenrechte (EGMR) Eine Entscheidung des rus-sischen Verfassungsgerichts hat die raquoAgentenparagra-phenlaquo fuumlr verfassungskonform erklaumlrt wenn auch einige Einzelbestimmungen darunter die zu Mindeststrafen aufgehoben

Im Juni 2014 beschloss die Staatsduma eine Verschaumlr-fung der raquoAgentenlaquo-Paragraphen des NGO-Gesetzes Seither hat das Justizministerium das Recht NGOs auch ohne deren Zustimmung in das raquoAgentenlaquo-Register ein-zutragen Bis heute (21102014) hat es 15 NGOs getrof-fen Es ist damit zu rechnen das weitere folgen werden Justizminister Jurij Tschajka hat bereits 2013 im Foumlde-rationsrat von 24 NGOs gesprochen die nach Ansicht des Ministeriums raquoAgentenlaquo seien Auszligerdem wurden 2013 und 2014 mehr als 40 NGOs von der Staatsanwalt-schaft aufgefordert sich vorsorglich als raquoAgentenlaquo regis-trieren zu lassen da sie Geld aus dem Ausland bekaumlmen und Gefahr liefen sich raquopolitisch zu betaumltigenlaquo

Die reaktionen der ngos auf das AgentengesetzDie praktischen Reaktionen der NGOs auf diesen staat-lichen Druck sind unterschiedlich Einige NGOs wie

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die Wahlbeobachter von raquoGoloslaquo haben sich als juris-tische Personen aufgeloumlst oder sind wie die raquoJuristen fuumlr Verfassungsrechte und Freiheitlaquo dabei sich aufzu-loumlsen (ein juristisch und administrativ nicht ganz ein-facher und langwieriger Vorgang) Fast alle NGOs die sich aufloumlsen haben aber erklaumlrt ihre Arbeit auch ohne juristischen Status fortsetzen zu wollen Rechtlich ist das moumlglich Praktisch werden diese NGOs auf zahlreiche neue Probleme treffen wohl bis hin zur moumlglichen Kri-minalisierung einzelner Personen

Einige andere NGOs darunter das Menschenrechts-zentrum Memorial machen weiter wie bisher Sie fech-ten meist die Eintragung in das raquoAgentenregisterlaquo vor Gericht an (in der Regel ohne besonderen Erfolg) Das Menschenrechtszentrum Memorial aber auch einige andere NGOs wollen bis zum EGMR gehen unter ande-rem weil sie das Gesetz insgesamt fuumlr unmoralisch und verfassungswidrig haumllt

Eine weitere Reaktion ist eine Art Hase-und-Igel-Spiel mit den Behoumlrden Das kann sich in einem Geflecht von unterschiedlichen NGOs ausdruumlcken die unter-schiedliche Funktionen wahrnehmen Eine NGO macht politische Erklaumlrungen und betreibt Lobbying Ihre Aktivistinnen arbeiten ausschlieszliglich ehrenamt-lich Eine andere bekommt auslaumlndische Finanzierung fuumlr Projekte die auch nach der Definition von Staatsan-waltschaft und Justizministerium nicht raquopolitischlaquo sind Wieder andere NGOs weichen auf Organisationsformen (juristische Personen) jenseits des NGO-Gesetzes aus die dann nicht den raquoAgentenparagraphenlaquo unterliegen

Der Vorstoszlig gegen memorialAllerdings beschraumlnkt sich die staatliche Behinderung und Bedrohung von NGOs nicht auf das relativ neue Agentengesetz Alle anderen laumlnger erprobten adminis-trativen bis strafrechtlichen Instrumente bleiben eben-falls im Einsatz Juumlngstes und bekanntestes aber bei weitem nicht einziges Beispiel ist der Schlieszligungsan-trag des Justizministeriums vor dem Obersten Gericht gegen raquoMemorial Russlandlaquo raquoMemorial Russlandlaquo ist ein Netzwerk aus rund 50 regionalen und thematischen Memorial-Organisationen und selbst eine von mehr als 60 Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Internatio-nallaquo (Zum Memorial-Netzwerk siehe lthttprusslandboellblogorg20141011wie-funktioniert-memorial-ein-kleiner-wegweiser-durch-eine-zugegeben-kompli zierte-strukturgt) Bei einer der regelmaumlszligigen Pruumlfun-

gen stellte das Justizministerium Anfang 2012 also vor Beginn der jetzigen Repressionswelle gegen NGOs fest dass die seit Gruumlndung der Organisation geltende konfouml-derative Struktur von raquoMemorial Russlandlaquo raquonicht dem Gesetz entsprechelaquo und geaumlndert werden muumlsse Insbe-sondere behagt dem Justizministerium nicht dass die Mehrzahl der Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Russlandlaquo ihrerseits eigenstaumlndige juristische Personen sind raquoMemorial Russlandlaquo muumlsse sich zentralistisch organisieren und die regionalen Memorial-Organisa-tionen zu Filialen werden Ohne hier ins Detail gehen zu koumlnnen wuumlrde das aber zu weiteren Problemen fuumlh-ren die wiederum die Schlieszligung von Memorial durch das Justizministerium zum Ergebnis haumltten Memorial sucht einen Ausweg das Justizministerium betreibt die Schlieszligung Viele NGOs haben Probleme mit der Feu-erwehr dem Gesundheitsamt oder der Arbeitsschutzbe-houmlrde Beliebt ist in juumlngster Zeit auch die Kuumlndigung von Mietvertraumlgen (so unlaumlngst geschehen bei raquoGoloslaquo und der raquoBewegung fuumlr Menschenrechtelaquo)

soziale und politische ngosSeit dem Fruumlhjahr zeichnet sich noch ein weiterer Angriff auf unabhaumlngige und staatskritische NGOs ab Der von Michail Fedotow geleitete Zivilgesellschaftsrat beim Praumlsidenten beraumlt seit einiger Zeit eine erneute Aumlnde-rung des NGO-Gesetzes Er schlaumlgt vor die Agenten-paragraphen abzuschaffen und dafuumlr um den Befuumlrch-tungen des Kremls auf politische Einflussnahme (nicht nur aus dem Ausland) Rechnung zu tragen kuumlnftig eine Einteilung von NGOs in raquosozialelaquo und raquopolitischelaquo vor-zunehmen raquoSozialelaquo NGOs sollen diesen Vorschlaumlgen nach kuumlnftig steuerlich beguumlnstigt sein und staatliche Zuwendungen erhalten koumlnnen raquoPolitischelaquo NGOs wer-den hingegen von staatlicher Foumlrderung ausgeschlossen und sollen auf alle Zuwendungen insbesondere aber auf Zuwendungen aus dem Ausland einen noch fest-zulegenden Steuersatz zahlen Die Befuumlrworter dieser im Uumlbrigen im Zivilgesellschaftsrat nicht unumstrit-tenen Initiative verweisen darauf dass so die heute als raquoAgentenlaquo verfolgten NGOs eventuell noch gerettet wer-den koumlnnten waumlhrend staatliche Foumlrderung aller ande-ren verstaumlrkt wuumlrde Ein Gewinn also fuumlr alle Betei-ligten Tatsaumlchlich verbirgt sich hinter dem Vorschlag aber eine gefaumlhrliche Tendenz zur Entsolidarisierung in der NGO-Szene wie sie auch anderswo schon laumln-ger zu beobachten ist

Uumlber den AutorJens Siegert ist Diplompolitologe und leitet seit 1999 das Laumlnderbuumlro Russland der Heinrich Boumlll Stiftung in Mos-kau Davor arbeitete er in Moskau als Korrespondent fuumlr Radiostationen Zeitschriften und Zeitungen im deutsch-sprachigen Raum

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Lesetippsbull Siegert Jens Putin und die Zivilgesellschaft in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 12 06 2013

lthttprusslandboellblogorg20130612putin-und-die-zivilgesellschaftgtbull Siegert Jens Uumlber ein Jahr raquoNGO-Agentenlaquo-Jagd ndash eine Art Zwischenbericht in Russland-Blog (Hein-

rich-Boumlll-Stiftung Moskau) 4 Juni 2014 lthttprusslandboellblogorg20140604ueber-ein -jahr-agenten-jagd-eine-art-zwischenberichtgt

bull Siegert Jens Russische raquoNGO-Agentenjagdlaquo ndash eine Zwischenbilanz in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 7 Juni 2013 lthttprusslandboellblogorg20130607russische-ngo-agentenjagd-eine-zwischenbilanzgt

bull Siegert Jens Erklaumlrung Permer NGOs warum sie sich unter keinen Umstaumlnden als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren lassen in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 26 Mai 2013 lthttprusslandboellblogorg20130526erklarung-permer-ngos-warum-sie-sich-unter-keinen-umstanden-als-auslandische-agenten-registrieren-lassengt

bull Siegert Jens Memorial raquoNGO-Agentengesetzlaquo ist ungesetzlich und unmoralisch Keine freiwillige Registrierung als raquoauslaumlndischer Agentlaquo in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 22 September 2013 lthttpruss landboellblogorg20120922memorial-ngo-agentengesetz-ist-ungesetzlich-und-unmoralisch-keine-freiwillige-registrierung-als-auslandischer-agentgt

bull Siegert Jens Sozialer Wandel und politische Dynamik in Russland 201112 in Russland-Analysen Nr 245 19 Oktober 2012 lthttpwwwlaender-analysenderusslandpdfRusslandanalysen245pdfgt

ANALYSE

ein kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen engagements zur Unterstuumltzung und integration von migranten in russlandMarina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin

zusammenfassungObwohl die Wirtschaft Russlands aufgrund der ruumlcklaumlufigen Bevoumllkerungszahl auf Migranten angewiesen ist ist der Groszligteil der Bevoumllkerung des Landes Migranten gegenuumlber skeptisch und oft geradezu fremden-feindlich eingestellt Durch eine schlecht koordinierte staatliche Migrationspolitik ist die Lage der Arbeits-migranten meist prekaumlr Initiativen aus der Zivilgesellschaft versuchen die Situation der Migranten zu ver-bessern und leisten Aufklaumlrungsarbeit in der Bevoumllkerung sowie konkrete Hilfestellungen fuumlr Migranten Die Arbeit solcher Aktivisten wird jedoch oftmals durch staatliche Einmischung erschwert

immigration nach russland als gesellschaftliches ProblemDie widerspruumlchliche Migrationspolitik der russischen Regierung und die aufgeheizte Stimmung in der Bevoumll-kerung haben 2013 zu vermehrten xenophoben Uumlbergrif-fen auf Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien gefuumlhrt (siehe beispielsweise die Unruhen in Birjuljowo im Oktober 2013) Diese Entwicklung wirft die Frage auf welche Haltung die russische Zivilgesellschaft hierzu einnimmt Gibt es zivilgesellschaftliche Initiativen die dieser fremdenfeindlichen Stimmung entgegenwirken

In der russischen Oumlffentlichkeit ist oft von einer Flut von Arbeitsmigranten aus den GUS-Staaten die Rede doch in Wirklichkeit ist die Immigration nach Russ-land im internationalen Vergleich gering Zudem zeigen Zahlen der Staatlichen Statistikbehoumlrde raquoRosstatlaquo dass

die russische Wirtschaft aufgrund der demographischen Entwicklung in zunehmendem Maszlige Arbeitskraumlfte aus dem Ausland benoumltigt (bis 2030 ndash so die Prognose ndash soll die russische arbeitsfaumlhige Bevoumllkerung um 103 Mil-lionen Menschen abnehmen)

Trotzdem gibt es starke fremdenfeindliche Stimmun-gen die sich gegen Immigranten aus Zentralasien und dem Kaukasus richten Diese Ablehnung von Migran-ten hat zugenommen und schafft den Naumlhrboden fuumlr Pogrome wie 2006 in Kondopoga 2010 auf dem Mos-kauer Manegenplatz sowie 2013 in der Stadt Pugat-schow und dem Moskauer Vorort Birjuljowo Angst und Verachtung gegenuumlber Fremden ziehen sich durch alle Gesellschaftsschichten Sie werden als Kriminelle und Illegale stigmatisiert und nicht nur Nationalisten ver-wenden die Losung raquoRussland den Russenlaquo um Ras-

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 20

sismus zu schuumlren und die Stimmung gegen Migranten weiter anzuheizen

es gibt keine migrationspolitikDiese interethnischen Konflikte spiegeln sich auch im russischen Alltag wieder Der durch den Foumlderalen Migrationsdienst praktizierte administrative und poli-zeiliche Umgang mit Migration ist nicht effektiv Eine Stigmatisierung der Migranten als potenzielle Krimi-nelle und eventuelle Uumlberlegungen zur Verschaumlrfung des Migrationsgesetzes koumlnnen die Probleme nicht loumlsen die gerade auch auf kommunaler Ebene anfallen Die nur situativen politischen Maszlignahmen fuumlhren mitunter zu einer Verschaumlrfung des Problems Eine uumlbergreifende Strategie existiert nicht die Politik weiszlig auf die Migra-tionsfrage keine Antwort Ein autoritaumlres zentralisier-tes System ist nicht im Stande die regionalen Probleme dieses riesigen Landes zu loumlsen deshalb liegt es vor allem an der Zivilgesellschaft sich diesen Themen zu widmen

zivilgesellschaftliche Projekte AufklaumlrungsarbeitIn Moskau und Sankt Petersburg gibt es verschiedene nichtstaatliche Projekte die sich sowohl fuumlr mehr Tole-ranz als auch fuumlr die Integration der Migranten einsetzen

Einige von ihnen bestehen schon mehrere Jahre Boris Romanow ist einer der Gruumlndervaumlter eines zivil-gesellschaftlichen Netzwerks zur Unterstuumltzung von Menschen mit Migrationshintergrund in Sankt Peters-burg Er arbeitet mit den unterschiedlichsten NGOs zusammen die zu Themen wie Toleranz Antirassis-mus Homophobie Antiziganismus und Antisemitis-mus arbeiten Finanziert durch das Goethe-Institut rief er 2012 raquoRespektlaquo ins Leben ein Comic-Projekt inter-nationaler Kuumlnstler mit dessen Hilfe Schuumller ihr Den-ken uumlber Fremde reflektieren und selbst in Frage stel-len koumlnnen Laut Romanow scheitern solche Projekte oft an der Buumlrokratie der Kommunen Durch das neue NGO-Gesetz gebe es kaum noch Kontaktmoumlglichkei-ten zu staatlichen Schulen erlaumlutert Romanow so dass eine Zusammenarbeit houmlchstens uumlber einzelne Lehrer nicht jedoch uumlber die Schuldirektion moumlglich sei Dies widerspreche dem Konzept zivilgesellschaftlicher Arbeit die vor allem jedermann offen stehen will Durch das geschlossene staatliche Schulsystem komme es selten zu einer Kooperation mit interessierten Lehrern Die Zusammenarbeit von Staat und Zivilgesellschaft ist unabdingbar macht aber die Finanzierung der Projekte schwierig da sie im Falle einer Unterstuumltzung auslaumln-discher Sponsoren unter das neue NGO-Gesetz fallen

Im Zuge der neuen NGO-Gesetzgebung wurde das Antidiskriminierungszentrum raquoMemoriallaquo in Sankt Petersburg geschlossen Dessen ehemaliger Mitarbei-

ter Andrej Jakimow ist Anthropologe Seine langjaumlh-rige Arbeit mit ethnischen Minderheiten wie Sinti und Roma Arbeitsmigranten und Staatenlosen macht ihn zu einem erfahrenen Koordinator der raquoStiftung zur Unter-stuumltzung und Entwicklung von Bildungs- und Sozial-projektenlaquo (raquoPSP-Fondlaquo) in Sankt Petersburg Auch fuumlr ihn zaumlhlt die aktive Aufklaumlrungsarbeit zu den wichtigs-ten Punkten seines zivilgesellschaftlichen Engagements Die juristische und psychologische Betreuung von Mig-ranten stehen neben der Sensibilisierung der russischen Bevoumllkerung im Zentrum seiner Arbeit Seiner Erfah-rung nach interessieren sich die OSZE und die UNO nur marginal fuumlr diese Themen also muumlssen die Pro-bleme der Arbeitsmigranten auf nationaler Ebene geloumlst werden Seine Kontakte zu verschiedenen Netzwerken in den Auswanderungslaumlndern helfen den Migranten sich schon vor der Einreise nach Russland auf den Aufenthalt vorzubereiten In der Zusammenarbeit von Staat und Experten sieht Jakimow eine Moumlglichkeit eine effek-tive Migrationspolitik zu entwickeln

fuumlr die Verbesserung der migrationspolitikAumlhnlich denken auch Wjatscheslaw Postawnin und Natalja Wlasowa die die Stiftung raquoMigrazija XXI weklaquo (raquoMigration im 21 Jahrhundertlaquo) gegruumlndet haben Sie selbst sind ehemalige Mitarbeiter des Foumlderalen Migra-tionsdienstes und kennen die staatliche Migrationspoli-tik von innen Die Regierung unter Putin scheint keiner-lei Loumlsungsansaumltze fuumlr die immer staumlrker zunehmende Xenophobie in Russland zu erarbeiten In den fuumlnf Jah-ren ihrer Existenz hat sich die Organisation in Mos-kau zu einem unabhaumlngigen intellektuellen und wissen-schaftlichen Zentrum entwickelt das Vorschlaumlge fuumlr die Verbesserung der staatlichen Migrationspolitik ausarbei-tet Diese Vorschlaumlge werden oft von der Administration des Praumlsidenten beruumlcksichtigt jedoch nicht sofort und ohne Nennung der Urheberschaft In Zusammenarbeit mit der Weltbank und dem Netzwerk raquoMirpallaquo (raquoMigra-tion and Remittance Peer-Assisted Learninglaquo) erstellt die Organisation Statistiken zu den Migrationsstroumlmen aus den GUS Staaten die oftmals stark von den offiziellen Zahlen des Foumlderalen Migrationsdienstes abweichen

fluumlchtlingsarbeitDie von Swetlana Gannuschkina einer wichtigen Men-schenrechtlerin in Russland 1990 mitbegruumlndete Orga-nisation raquoGrashdanskoje sodejstwijelaquo (raquoBuumlrgerhilfelaquo) beschaumlftigt sich nicht nur mit Arbeitsmigration sondern zu vier Fuumlnfteln mit Fluumlchtlingen Es war die erste Orga-nisation dieser Art in Moskau und wurde im Zusam-menhang mit dem Konflikt um Berg-Karabach und dem Krieg in Tschetschenien gegruumlndet um den Fluumlchtlin-gen aus diesen Regionen zu helfen Die Unterstuumltzung

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 21

der Arbeitsmigranten umfasst juristische Konsultation und die Loumlsung administrativer Fragen z B bei nicht ausgezahlten Gehaumlltern Deportationen Einreisever-boten Die Organisation stellt juristischen Beistand bei unbegruumlndeten Klagen gegen Migranten hilft bei Kla-gen gegen Arbeitgeber wegen nicht ausgezahlter Loumlhne fuumlhrt ein Projekt gegen Hate Crimes durch und veran-staltet Spendenaktionen auf ihrer Webseite Besonders die aumlrztliche Versorgung ist wichtig da der staatliche Notdienst Migranten oft seine Hilfe verwehrt raquoGrash-danskoje sodejstwijelaquo arbeitet eng mit dem Fluumlchtlings-hilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) der Inter-nationalen Organisation fuumlr Migration (IOM) und mit dem Netzwerk raquoMigrazija i prawolaquo (raquoMigration und Rechtlaquo) einem Programm des Menschenrechtszentrums raquoMemoriallaquo zusammen Obwohl in der offiziellen Rhe-torik die Bedeutung der Migration fuumlr Russland unter-strichen wird (wie zum Beispiel in der raquoKonzeption der staatlichen Migrationspolitik 2025laquo) beobachtet man in der Praxis meist die stumme Hinnahme der Uumlber-griffe auf Arbeitsmigranten Nach dem Inkrafttreten des NGO-Gesetzes fand bei der Organisation eine Uumlberpruuml-fung durch die Staatsanwaltschaft statt Ob und wenn ja wie dieses Projekt weiterlaufen wird ist bis heute unklar

Arbeit mit fluumlchtlingskindernIm Rahmen der Organisation raquoBuumlrgerhilfelaquo gibt es zudem ein raquoZentrum fuumlr Integration und Unterricht fuumlr Fluumlchtlingskinderlaquo da das staatliche Programm mit dem Kinder mit Migrationshintergrund Russisch lernen nicht ausreichend ist

Aumlhnlich wie ihre Kollegen aus Moskau arbeiten die Freiwilligen des zivilgesellschaftlichen Projekts raquoDeti Peterburgalaquo (raquoKinder von Petersburglaquo) mit Kindern des-sen Eltern aus den unterschiedlichsten Gruumlnden nach Russland immigriert sind Zwei Projektkoordinatoren der Organisation raquo[Wahl]Beobachterlaquo Daniil Ljubarow und Irina Beljaewa haben 2012 raquoDeti Peterburgalaquo gegruumlndet Angefangen mit einem Angebot von Russisch-Grundkur-sen fuumlr Vorschuumller mit Migrationshintergrund hat sich dieses Programm mittlerweile so weit entwickelt dass Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre an sechs verschie-

denen Standorten in Sankt Petersburg an Russischkursen teilnehmen koumlnnen Bis 2014 hatte es noch nicht einmal feste Raumlumlichkeiten gegeben die Mitarbeiter der raquoDeti Peterburgalaquo organisierten sich ausschlieszliglich uumlber soziale Netzwerke Der virtuelle Raum verbindet diese Organi-sation auch mit anderen zivilgesellschaftlichen Projek-ten So zieht das Projekt nicht nur politische Aktivisten an sondern vor allem Paumldagogen Linguisten und Stu-denten die die Kurse vorbereiten und durchfuumlhren Der Aufbau von kreativen Zirkeln gehoumlrt genauso zur Arbeit von raquoDeti Peterburgalaquo wie die Koordination von Ausfluuml-gen in die Umgebung Museen oder Theatern Das Pro-jekt ist abhaumlngig von seinen Teilnehmern Die fehlen-den Sprachkenntnisse der Eltern fuumlhren oft zu groszligen Kommunikationsproblemen Aber auch die wechselnden und meist aumluszligerst schwierigen Arbeitszeiten der Eltern erschweren die Durchfuumlhrung des Projekts Die staumldti-sche Buumlrokratie versucht den Elan der Mitarbeiter zu bremsen Auch deshalb bleibt das Projekt nichtstaatlich

fazitMisstrauen gegenuumlber der Regierung soziale Probleme und Alltagsrassismus bewegen immer mehr Menschen dazu sich eigenstaumlndig mit der negativen Entwicklung beim Umgang mit Migranten zu beschaumlftigen Aus Inter-views mit den Mitarbeitern der verschiedenen Organisa-tion laumlsst sich schlieszligen dass eine russische Zivilgesell-schaft entstanden ist die die Migrationsfrage einerseits als Arbeit mit der Mehrheits- also russischen Bevoumllkerung betrachtet um diese zu sensibilisieren Anderseits gibt es Initiativen die vor allem konkrete Hilfe fuumlr Migranten leisten um deren alltaumlgliche Probleme zu minimieren

Die Zivilgesellschaft bemuumlht sich Vorurteile abzu-bauen die Migrationspolitik realistischer zu machen und Migranten wie Fluumlchtlingen konkrete Hilfestellung zu geben Die Behoumlrden sabotieren diese Arbeit In den Groszligstaumldten wird der Zuzug von Migranten restriktiv gehandhabt Arbeitgeber wissen um den oft schwierigen Status der Migranten und nutzen die Situation aus um die Migranten weiter auszubeuten Die Arbeit der Zivil-gesellschaft zur Sensibilisierung der russischen Bevoumllke-rung wird durch die offizielle Politik oft konterkariert

Uumlber die AutorenIm Rahmen des Projektkurses raquoZiviler Ungehorsam Gesellschaft und Staat in Osteuropalaquo reisten die Studierenden des Osteuropa-Instituts der Freien Universitaumlt Berlin Michael Bellmann und Kristina Arisov nach Moskau sowie Marina Grinfeld und Christina Huthmann nach St Petersburg um mit Aktivisten und Organisationen die sich fuumlr die Integration von Migranten in Russland einsetzen Interviews zu fuumlhren und die Position der Zivilgesellschaft zur Migrationsproblematik zu analysieren

Lesetippsbull Judah Ben Russiarsquos Migration Crisis in Survival 552013 Nr 6 S 123ndash131

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 22

bull Malakhov Vladimir S Russia as a New Immigration Country Policy Response and Public Debate in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1062ndash1079

bull Schenk Caress Controlling Immigration Manually Lessons from Moscow (Russia) in Europe-Asia Studies 652013 Nr 7 S 1444ndash1465

bull Spahn Susanne Die gelenkte Xenophobie Migration und nationale Frage in Russland Russland nur fuumlr Russen in Osteuropa 642014 Nr 7 S 55ndash67

bull Tipaldou Sofia Katrin Uba The Russian Radical Right Movement and Immigration Policy Do They Just Make Noise or Have an Impact as Well in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1080ndash1101

UmFRAGE

Uumlber die zivilgesellschaft in russland

zur zivilgesellschaftlichen und politischen Aktivitaumlt der russen

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 15 stellen sie sich vor ihre nachbarn schlagen eine gemeinsame muumlllsammelaktion in der nahegelege-nen Parkzone vor Was waumlren sie bereit zu uumlbernehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator der Aktionwerden

An der Aktionmitwirken

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 16 haben sie im vergangenen halbjahrJahr hellip

0 20 40 60 80 100

hellip an den Aktivitaumlten einer non-profit Organisation teilgenommen als Freiwilliger gearbeitet

hellip sich mit gesellschaftlichen Problemen an ihrem Wohnort beschaumlftigt

hellip an Groszligveranstaltungen Demonstrationen Streiks Kundgebungen Umzuumlgen teilgenommen

Ja Keine Antwort Nein

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 23

grafik 17 stellen sie sich vor dass es an ihrem Wohnort zu massenhaften Wahlfaumllschungen kommt irgend-jemand ruft zur Durchfuumlhrung von Protestaktionen gegen die Wahlfaumllschungen auf Was wuumlrden sie unternehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator dieser Aktionwerden

An dieser Protestaktionteilnehmen

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 18 Waren sie haben sie sich in den vergangenen einndashzwei Jahren hellip

0 20 40 60 80 100

hellip Mitglied einer politischen Partei

hellip Wahlbeobachter

hellip an der Arbeit einer Menschenrechtsorganisation beteiligt

hellip sich im Internet (in sozialen Netzwerken auf Foren) zu politischen Themen geaumluszligert

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

zur gesellschaftlichen Aktivitaumlt

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

grafik 19 haben sie persoumlnlich in den vergangenen zweindashdrei Jahren an der taumltigkeit einer gesellschaftlichen organisation teilgenommen Wenn ja wie genau (beliebige zahl an Antworten)

6

6

5

2

2

84

1

050

Habe an gesellschaftliche Organisationen gespendetoder andere materielle Hilfe geleistet

Habe an Wohltaumltigkeitsveranstaltungen teilgenommen(Konzerte Ausstellungen Wohltaumltigkeitslotterie Auktionen)

Habe Freiwilligenarbeit geleistet (kostenlos)

Habe gegen Entgelt in einer gesellschaftlichenOrganisation gearbeitet

Habe Informationen zu den Taumltigkeitenvon gesellschaftlichen Organisationen verteilt

Nicht teilgenommen

Anderes

Keine Antwort

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 24

grafik 20 haben ihnen irgendwann einmal gesellschaftliche organisationen geholfen

0 20 40 60 80 100

Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja mit Geld geholfen Ja auf andere Weise geholfen Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

Die oumlffentliche meinung zu ngos mit auslaumlndischer finanzierung (April 2013)

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 21 mit welcher meinung zur taumltigkeit russischer ngos stimmen sie am ehesten uumlberein

Sie bringen einen groszligen Nutzen

4

Sie bringen mehr Nutzen als Schaden

15Sie bringen ebenso viel

Nutzen wie Schaden23

Sie bringen mehr Schaden als Nutzen

18

Sie bringen weder Nutzen noch Schaden

13

Keine Antwort27

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 22 ist es fuumlr sie wichtig ob eine russische menschenrechtsorganisation aus einheimischen oder auslaumln-dischen mitteln finanziert wird

Sehr wichtig10

Eher wichtig34

Nicht besonders wichtig24

Vollkommen unwichtig18

Keine Antwort14

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 25

grafik 23 Welche ziele verfolgen westliche laumlnder und organisationen die russische ngos mit mitteln aus-statten

Einen verstaumlrkten Einfluss auf die russische

Innenpolitik42

Einen Kampf gegen den russischen Staat

19Eine Unterstuumltzung der

russischen Zivilgesellschaft

8

Kein besonderes Ziel russische NGOs werden wie andere aus standardisierten

internationalen Programmen unterstuumltzt

12

Keine Antwort19

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 24 Duumlrfen organisationen die sich mit dem schutz der Buumlrgerrechte beschaumlftigen und den staat kriti-sieren das recht haben mittel aus dem Ausland zu beziehen

Ja20

Nein56

Keine Antwort24

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 25 Unterstuumltzen sie harte sanktionen gegen ngos die einer politischen taumltigkeit nachgehen und gelder aus dem Ausland erhalten sich aber nicht nach dem gesetz als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren

Auf jeden Fall20

Eher ja32

Eher nein15

Auf keinen Fall5

Keine Antwort28

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 26

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RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 27

luumlgen des fernsehkanals ntV und Beanstandungen des Justizministeriums erklaumlrung des menschenrechtszentrums memoriAl und der russischen gesellschaft

memoriAl

Die Behauptung bei NTV das russische Justizministerium habe die Liquidierung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL eingeleitet fuumlhrte heute zu etlichen Irritationen Das Menschenrechtszentrum und die Russische Gesell-schaft MEMORIAL (die Dachorganisation der russischen Memorial-Verbaumlnde) haben aus diesem Anlass nachste-hende Erklaumlrung abgegeben

Am 10 Oktober strahlte NTV unter dem Titel raquoAuszligergewoumlhnliches Ereignislaquo eine Sendung aus die aus boumlswil-ligen Luumlgen aber auch aus Fehlinformationen in Folge von Unkenntnis bestand

Die Arbeit des Menschenrechtszentrums MEMORIAL als Unterstuumltzung von Extremisten und Terroristen dar-zustellen ist eine infame Luumlge Auf Unkenntnis basiert hingegen die Behauptung das Justizministerium habe des-halb den Antrag gestellt das Menschenrechtszentrum MEMORIAL zu liquidieren

In Wirklichkeit hat das Justizministerium beim Obersten Gericht der Russischen Foumlderation nicht die Aufloumlsung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL beantragt Es geht hier vielmehr um eine andere Organisation naumlmlich die Russische Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIAL

Die russische Gesellschaft MEMORIAL wurde vom Justizministerium bereits 1992 registriert Bis heute befinden sich unter ihrem Dach verschiedene Memorial-Verbaumlnde die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen

Im Jahre 2012 20 Jahre nach der ersten Registrierung tauchten beim Justizministerium ploumltzlich Zweifel hin-sichtlich des russischen Rechtsstatus von Memorial auf obwohl der Gesellschaft praktisch dieselben regionalen Ver-baumlnde angehoumlren wie zuvor und sich die Gesetzeslage in dieser Frage in keinem Punkt geaumlndert hatte

Geaumlndert hat sich allerdings die Position des Justizministeriums das erneut einen raquodemokratischen Zentralismuslaquo anstrebt der nach der Abschaffung der fuumlhrenden Rolle der KPdSU nicht mehr aktuell schien Heute erklaumlrt das Jus-tizministerium nur jene gesellschaftlichen Vereinigungen koumlnnten der Russischen Gesellschaft MEMORIAL ange-houmlren die in ihrer Bezeichnung die Worte raquoVerband (otdelenie) der Russischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklauml-rung Sozialarbeit und Menschenrechte MEMORIALlaquo tragen

Die gesetzliche Vorschrift dass eine Organisation nur dann einen gesamtrussischen Status haben kann wenn sie in uumlber der Haumllfte der Foumlderationssubjekte Verbaumlnde unterhaumllt legt das Justizministerium jetzt dahingehend aus dass diese Verbaumlnde zwangslaumlufig einen Status als Regionalverbaumlnde haben muumlssten Das Vorhandensein von Stadt- und Bezirksverbaumlnden einer Organisation reicht die Beamten als Beleg dafuumlr nicht aus dass die Organisation in der betreffenden Region taumltig ist

Die Vorbehalte des Justizministeriums entbehren jeglicher Grundlage Nicht zufaumlllig erhielten wir auf Anfragen keine Hinweise auf eine Gesetzesnorm Es ist fuumlr uns inakzeptabel dass das Justizministerium das von der Verfas-sung garantierte Recht von Buumlrgern eine Vereinigung zu bilden gesetzwidrig einschraumlnken will Deshalb hat sich die Russische Gesellschaft MEMORIAL bereits 2012 entschlossen vor Gericht zu gehen

Einen Hinweis auf ein Gesetz haben wir auch nicht erhalten als wir 2013 die Forderungen des Justizministeriums im Moskauer Zamoskvorezki-Bezirksgericht und danach im Stadtgericht angefochten haben Beide Instanzen gaben wie nicht anders zu erwarten dem Justizministerium Recht Deshalb wird die Russische Gesellschaft MEMORIAL in Kuumlrze Klage beim Verfassungsgericht einreichen

Was den Antrag des Justizministeriums betrifft so hoffen wir dass das Oberste Gericht bei Behandlung dieses Antrags dem Gesetz und der Verfassung mehr Respekt entgegenbringen wird als die untergeordneten Gerichtsinstanzen

10 Oktober 2014Quelle Website von Memorial Deutschland lthttpwwwmemorialdeindexphpid=42amptx_ttnews[tt_news]=546amptx_ttnews[backPid]=3ampcHash=5bbe9b235a03fe09cba52ed5c8786b99gt

DOkUmENtAtION

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NOtIzEN AUS mOSkAU

Petersburger DialogJens Siegert Moskau

Auf den ersten Blick sieht es so aus als ob ein (egal ob nun willentlich oder nicht) an die Oumlffentlich-

keit gelangter Brief einiger regelmaumlszligiger Teilnehmer des Petersburger Dialogs (PD) aus den Reihen deutscher NGOs an Bundeskanzlerin Merkel und Auszligenminis-ter Steinmeier die Verschiebung des fuumlr Ende Oktober in Sotschi geplanten groszligen Jahrestreffens verursacht haumltte In dem Brief bekraumlftigten die Autoren ihre nicht neue Kritik am PD und erklaumlrten warum sie dieses Jahr nicht teilnehmen wuumlrden Sie betonen dass die Absage kein Boykott sei und bieten ihrerseits einen Dialog zur Reform des Dialogs an Auf den zweiten Blick war der Brief selbstverstaumlndlich nur Anstoszlig aber nicht Grund fuumlr die Verschiebung Doch der Reihe nach

Die in dem Brief geaumluszligerte Kritik am PD ist wie gesagt nicht neu sie hat sie den PD von Anfang an begleitet Das liegt sicher auch an einem bis heute nicht korrigierten Geburtsfehler Ein durch Staats- und Regie-rungschefs initiierter raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo ist schon etwas verquer Das heiszligt nicht dass das nicht gehen koumlnnte Doch dazu haumltten sich die hochgestell-ten Initiatoren (der damalige russische Praumlsident und der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schrouml-der) und ihre (Interims-)Nachfolger spaumlter zuruumlckziehen muumlssen Das haben sie nicht Daran sind sie nicht (allein) Schuld Es war der PD der durch seine Lenkungsor-gane die enge zeitliche und oumlrtliche Verbindung mit den deutsch-russischen Regierungskonsultationen und die zeitweilige Anwesenheit von Praumlsident und Kanzlerin zum Grundstein seiner Wirkungsmaumlchtigkeit erklaumlrte

Auf deutscher Seite wurde versucht dieses Problem organisatorisch sozusagen oumlffentlich-rechtlich zu loumlsen indem moumlglichst alle interessierten politischen Spektren und gesellschaftlichen Gruppen am sogenannten Len-kungsausschuss beteiligt wurden Das gelang zumindest so gut dass es soweit mir bekannt bis heute keine grouml-szligeren Klagen uumlber Nichtberuumlcksichtigung oder Nicht-beteiligung gab Aber die Bundesregierung behielt weit-gehenden Einfluss nicht zuletzt uumlber den alljaumlhrlich sechsstelligen Zuschuss fuumlr die Durchfuumlhrung der Jah-restreffen Auszligerdem wurde der jeweilige Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses zwar nach Abstim-mungen mit den Beteiligten aber letztlich durch den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin bestimmt

In Russlands ist die Sache einfacher Von Anfang an wurde und wird gemacht wird was der Kreml will Schon der erste Vorsitzende des russischen Lenkungs-ausschusses Michail Gorbatschow (immerhin selbst ein ehemaliger Praumlsident) war wie er selbst einmal bekannte

nicht mehr als ein ndash schoumlne Ruumlckuumlbertragung aus dem Russischen ndash raquoSitz-Praumlsidentlaquo Der jetzige Vorsitzende Wiktor Subkow war Datschennachbar von Putin ers-ter stellvertretender Ministerpraumlsident und ist nun Auf-sichtsratsvorsitzender von Gazprom

Die Kritik dass nur eine Simulation eines raquozivilge-sellschaftlichen Dialogslaquo stattfinde wurde von einigen deutschen Teilnehmern bereits auf dem ersten Jahres-treffen des PD im April 2001 in St Petersburg geaumluszligert Es fehlten auf russischer Seite (in der seinerzeit noch ver-einigten Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo) Vertreter russischer NGOs Die Kritik kam an In Russ-land fuumlhrte sie (ohne dass ich hier jetzt ausfuumlhren kann wie) zum ersten Versuch des Kremls auch unabhaumln-gige NGOs in das korporative System der gelenkten Demokratie zu zwingen Der Versuch misslang weitge-hend und muumlndete in einer Art Waffenstillstand und der Gruumlndung eines raquoMenschenrechtsrats beim Praumlsi-dentenlaquo unter Einbeziehung von Vertretern unabhaumlngi-ger NGOs Beim PD wurde die Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo in ihre zwei Namensbestandteile geteilt und es gelang uumlber die Jahre in immer wieder unternommenen Anstrengungen auch die Teilnahme unabhaumlngiger russischer NGO-Vertreter durchzuset-zen Etwas spaumlter wurde diese Teilnahme sogar vor-sichtig institutionell abgesichert indem erst Ella Pam-filowa und spaumlter ihr Nachfolger Michail Fedotow als Vorsitzende des inzwischen zum raquoZivilgesellschaftsratlaquo umbenannten raquoMenschenrechtsratslaquo zu den russischen Koordinatoren der Arbeitsgruppe raquoZivilgesellschaftlaquo mit Einladungsrecht wurden (wobei die Einladungen selbst-verstaumlndlich mit der Praumlsidentenadministration abge-stimmt werden muumlssen) Das ist bis heute so

Die Verfasser des Briefes (zu denen ich bekenne mich auch ich gehoumlre) allesamt langjaumlhrige Teilneh-mer der Jahrestreffen des PD haben all die Jahre immer wieder auch oumlffentlich uumlber den Sinn und Unsinn ihrer Teilnahme und Unterstuumltzung diskutiert Letztendlich uumlberwogen die ganze Zeit uumlber zwei Uumlberlegungen Ers-tens ist ein Dialog auch und gerade auf offizieller Ebe-nen und mit offiziellen Vertretern des russischen Staates (wie auch mit Wissenschaftlern Unternehmern Journa-listen Priestern usw welcher politischen Couleur auch immer sie sein moumlgen) erst einmal besser als kein Dia-log Zweitens gingen wir all die Jahre davon aus dass die nicht ohne Muumlhen erreichte Teilnahme unabhaumln-giger russischen NGO-Vertreter fuumlr sie ihre Organisa-tionen aber auch die russische NGO-Szene insgesamt zumindest einen kleinen zusaumltzlichen Schutz gegen die

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seit Putins Amtsantritt immer wieder uumlber das Land gehenden Repressionswellen bietet1 Was hat sich dieses Jahr geaumlndert Erst einmal nicht

so viel gegenuumlber dem Vorjahr Es war schon immer siehe oben eine schwierige Abwaumlgung ob die Teil-nahme am PD sich lohnt oder nicht vielmehr dazu beitraumlgt so zu tun als gaumlbe es in Russland die unein-geschraumlnkte und ungefaumlhrdete Moumlglichkeit sich zivilgesellschaftlich auch dort zu engagieren wo es dem Staat weh tut Zwei Ereignisse haben nun aber zumindest fuumlr die Autoren des Briefes das Pen-del zur anderen Seite ausschlagen lassen Die Kon-frontation zwischen dem Westen (ich weiszlig um die Bedingtheit des Begriffs verwende in der Kuumlrze hal-ber aber trotzdem) und Russland im Konflikt in der und um die Ukraine ist nicht einfach die Fortset-zung schon laumlnger existierender raquoMeinungsverschie-denheitenlaquo Sie ist tiefer und prinzipieller Es geht eben im Kern nicht in erster Linie um Geopolitik sondern wieder einmal um ich fuumlrchte hier weder den Pathos noch historische Analogien Freiheit und Demokratie in Europa

2 Die Repressionen gegen russische NGOs unsere prinzipiellen Partner in der Verteidigung von Demo-kratie und Freiheit haben mit dem sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo eine neue Qualitaumlt erreicht 15 NGOs sind inzwischen zwangsweise zu raquoauslaumln-dischen Agentenlaquo erklaumlrt worden anderen droht die Schlieszligung aufgrund anderer Gesetze Einige von ihnen waren sogar zum nun verschobenen Treffen in Sotschi eingeladen Sie mussten sich Gedanken machen ob eine Zusage oder eine Absage ihnen nicht schaden koumlnnte

Unter diesen Umstaumlnden halten die Verfasser des Brie-fes ihre Teilnahme am PD fuumlr nicht mehr moumlglich Sie fordern keinen Boykott wohl aber ein Nachdenken uumlber eine tiefgreifende Reform

Der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses Lothar de Maiziere hat in einem eigenen offenen Brief geantwortet und den Verfassern vorgeworfen den Dia-log verweigern und politisieren zu wollen Diese (Gegen-)Klage scheint mir angesichts der vielfaumlltigen Verbindun-gen und Dialogformen die die Organisationen hinter den Unterzeichnern des Briefes seit vielen Jahren und oft laumlnger als der PD organisieren an denen sie teil-nehmen und die sie foumlrdern nicht sonderlich stichhal-tig Doch die Auseinandersetzung geht tiefer De Mai-ziere behauptet in seinem Brief der PD mache bereits all das was die Kritiker fordern Genau das bezweifeln diese aber Die Auseinandersetzung geht also und vor allem darum was ein fruchtbarer Dialog zu leisten im Stande sein kann und leisten sollte Sie geht aber auch darum ob dieser Dialog zwischen zwei Gesellschaf-

ten stattfindet nach dem Motto hier die eine dort die andere oder ob sich die Seiten bei diesem Dialog inei-nander verschraumlnken

Die Verfasser des Briefes sind ganz offensichtlich mit ihrer Kritik nicht allein Schon bevor der Brief oumlffent-lich bekannt wurde hatten die Bundestagsabgeordne-ten Andreas Schockenhoff (CDUCSU) und Marieluise Beck (Buumlndnis 90 Die Gruumlnen) in oumlffentlichen Stel-lungnahmen Aumlhnliches gefordert und auch ihre Nicht-Teilnahme erklaumlrt Etwas spaumlter wurde bekannt dass auch der Russland-Beauftragte der Bundesregierung Gernot Erler nicht nach Sotschi fahren wollte Mehr noch Bereits seit dem Fruumlhsommer gab es Gespraumlche zwischen Kanzleramt und Auswaumlrtigem Amt mit dem Ziel den PD sowohl personell als auch strukturell zu reformieren Allerdings setze sich augenscheinlich die Sichtweise des Auswaumlrtigen Amtes durch alles vorerst beim Alten zu belassen da es auch so schon genug Pro-bleme im deutsch-russischen Verhaumlltnis gebe und man diesen Kanal nicht auch noch belasten oder gar gefaumlhr-den solle

Doch zum Herbst hat sich die Situation noch ein-mal veraumlndert Die Hoffnung die russische Fuumlhrung um Praumlsident Putin werde im Krieg in der Ostukraine ein-lenken ist selbst im Auswaumlrtigen Amt bis in die Spitze kaum noch zu finden Im Sommer bekam das russische Justizministerium zudem per erneuter Gesetzesaumlnde-rung das Recht NGOs zwangsweise zu raquoAgentenlaquo zu erklaumlren und macht seither rege Gebrauch davon Eine ganze Reihe russischer NGOs steht vor der Schlieszligung oder loumlst sich auf weil ihnen die vom Gesetz geforderte Selbstetikettierung als raquoauslaumlndische Agentenlaquo ethisch rechtlich und praktisch unmoumlglich ist

Es sieht so aus als haumltten die Verfasser des Briefes nur eine Tuumlr geoumlffnet hinter der andere darunter die Kanzlerin nur darauf gewartet haben durch sie hin-durch gehen zu koumlnnen ohne selbst der Tuumlroumlffnung geziehen zu werden

Ein wenig verwundert die erstaunlich milde russi-sche Reaktion Nach der kurzen Drohung eine Verschie-bung bedeute das Ende des PD lenkte Putin im Telefo-nat mit Merkel ein und fand tags darauf sogar oumlffentlich verstaumlndnisvolle Worte fuumlr die raquoProbleme der deutschen Seitelaquo Das duumlrfte zwei Gruumlnde haben Der eine ist dass trotz des haumlufiger gewordenen Deutschland-Bashings im russischen Staatsfernsehen (mit dem Ergebnis dass in Umfragen Deutschland aus der Kategorie raquoFreundlaquo in die Kategorie raquoFeindlaquo abgerutscht ist) Deutschland im Kreml immer noch als wichtigster raquostrategischerlaquo Part-ner im Westen und vor allem in der EU gilt Zudem ist Deutschland zweifellos ein Land dessen oumlffentliche Meinung (und damit Politik) aus russischer Sicht durch-aus beeinflussbar ist (was z B die kolportierten rund

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140 Millionen US-Dollar zum Aufbau eines deutsch-sprachigen Programms des staatlichen Auslandsfernse-hens raquoRussia Todaylaquo zeigen)

Der andere liegt in einem erneuten Strategiewech-sel (oder weniger ambitioniert Wechsel der Taktik) im Ukraine-Konflikt Die Sanktionen beiszligen inzwi-schen kraumlftig Die Rhetorik wurde daher gemildert Der Kreml ist ganz auf Frieden und dieser Ausdruck aus dem Sport sei erlaubt Ergebnissicherung bedacht (was uumlbrigens Putins grundsaumltzlicher Taktik auch im Inne-ren Russlands entspricht erst hart zuzuschlagen dann eine Schritt zuruumlck zu gehen und einen Kompromiss zu suchen nach dem es fuumlr seine Gegner nachher schlech-ter steht als vorher) Neues Ziel scheint nun also zu sein die raquoErrungenschaftenlaquo Krim (als Teil Russlands) und raquoNeurusslandlaquo (als neuen raquoFrozen Conflictlaquo) zu fixieren und trotzdem mit dem Westen wenn schon nicht gut-freund zu werden so doch zumindest erneut zu einem einigermaszligen vertraumlglichen Modus Vivendi zu gelan-gen Das Gas duumlrfte nach den Mailaumlnder Gespraumlchen

und bei allem Geknurre im Winter stroumlmen und auch im Nahen Osten stellt Moskau weniger Widerspenstig-keit in Aussicht

Was heiszligt das fuumlr die Zukunft des PD Erstmal ist sie offen Zuerst muss sich die deutsche Seite neu ord-nen (hier hat Putin sogar Recht) Nachdem sich Angela Merkel persoumlnlich um eine russische Akzeptanz fuumlr die Verschiebung von Sotschi bemuumlht hat kann ich mir allerdings nicht vorstellen dass es in einigen Wochen oder Monaten ein Zuruumlck zum status quo ante gibt Ob und wie sich ein neu aufgestellter deutscher Lenkungs-ausschuss mit einem neuen Konzept mit der russischen Seite verstaumlndigen kann laumlsst sich momentan kaum voraussagen Es ist zwar einen Versuch wert haumlngt aber wohl sehr von der dann herrschenden politischen Groszlig-wetterlage ab

Diesen und andere Texte finden Sie auf Jens Siegerts Russ-landblog lthttprusslandboellblogorggt

Lesetippbull Poumlrzgen Gemma Dringend reformbeduumlrftig Der Petersburger Dialog auf dem Pruumlfstand in Osteuropa 602010

Nr 10 S 59ndash81

DOkUmENtAtION

Briefwechsel uumlber die zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo

schreiben von nichtregierungsorganisationen und einzelpersonen an die Bundeskanzlerin und den Auszligenminister zum raquoPetersburger Dialoglaquo 2 oktober 2014 [nachtraumlglich veroumlffentlicht]

Berlin 02 Oktober 2014Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerals Personen die sich seit vielen Jahren intensiv im zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland engagieren wenden wir uns mit diesem Schreiben an Sie um zu erlaumlutern warum wir uns in diesem Jahr nicht am Petersburger Dialog beteiligen koumlnnen Zugleich moumlchten wir fuumlr eine Erneuerung des Petersburger Dialogs werben

In Reaktion auf die politische Wende in der Ukraine die durch eine breite gesellschaftliche Protestbewegung hervor-gerufen wurde hat die russische Fuumlhrung voumllkerrechtswidrig die Krim annektiert und einen unerklaumlrten Krieg neuen Typs im Osten der Ukraine begonnen Zugleich betreibt die Regierung unter Praumlsident Putin die systematische Ausschal-tung der letzten unabhaumlngigen Medien in Russland die Kriminalisierung aller Formen politischer Opposition und die Diskreditierung unabhaumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen als raquoauslaumlndische Agentenlaquo Mittlerweile wurden 12 russische Nichtregierungsorganisationen vom russischen Justizministerium zwangsweise auf die Liste raquoauslaumlndischer Agentenlaquo gesetzt und sind daher zukuumlnftig verpflichtet sich bei jeder oumlffentlichen Aumluszligerung wahrheitswidrig selbst als solche zu bezichtigen Zehn dieser Organisationen spielen in der deutschrussischen zivilgesellschaftlichen Zusammen-arbeit seit Jahren eine wichtige Rolle einige von ihnen haben mehrfach am Petersburger Dialog teilgenommen Gegen einige von ihnen sind bereits existenzbedrohende Strafgelder wegen Verstoszliges gegen das sog Agentengesetz verhaumlngt

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worden Es drohen Organisationsschlieszligungen und die Kriminalisierung der Vorstaumlnde Unter diesen inneren und aumluszlige-ren Bedingungen koumlnnen wir uns nicht an einer Neuauflage des Petersburger Dialogs in der bisherigen Form beteiligen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerder seinerzeit von Bundeskanzler Schroumlder und Praumlsident Putin initiierte Petersburger Dialog konnte die ihm zuge-

dachte Aufgabe zu einer Vertiefung und Verbreiterung der gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland beizutragen auch in den vergangenen Jahren nur sehr bedingt erfuumlllen Dies lag vor allem an der starken Naumlhe des Fuumlhrungspersonals auf der russischen Seite zum politischen Machtzentrum im Kreml die von Beginn an den Eindruck einer raquovon obenlaquo inszenierten und kontrollierten Veranstaltung naumlhrte Doch auch auf deutscher Seite wird der Petersburger Dialog bis heute von Personen dominiert die aus politischer und oumlkonomischer Opportunitaumlt dazu neigen Kritik am Kurs der russischen Fuumlhrung als Stoumlrung der raquodeutsch-russischen Freundschaftlaquo zu betrachten Zeit-weise kam es zu der paradoxen Situation dass kritische Aumluszligerungen zu Menschenrechtsverletzungen in Russland oder zum Vorgehen des Kremls gegenuumlber Georgien aus den Reihen der deutschen Delegation als raquoKalte-Kriegs-Rhetoriklaquo verteufelt wurden Nuumlchtern betrachtet waren die kritischen Stimmen aus der russischen und deutschen Zivilgesell-schaft in den letzten Jahren nur eine geduldete Minderheit die dem Petersburger Dialog den Anschein von Pluralis-mus und offener Diskussion verschaffte Ungeachtet dieser Kritik haben wir uns in der Vergangenheit am Petersburger Dialog beteiligt da wir grundsaumltzlich jedes Dialogpotenzial nutzen wollen und uns von der gemeinsamen Beteiligung mit unseren Partnern aus der russischen Zivilgesellschaft eine politische Absicherung dieser Zusammenarbeit erhofften

Diese ohnehin schwachen Hoffnungen wurden durch die Entwicklungen in diesem Jahr zerstoumlrt Vertreter unab-haumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen die auf der russischen Seite zum Petersburger Dialog eingeladen wer-den sind angesichts der politischen und juristischen Bedrohung der sie ausgesetzt sind in ihrer Entscheidung uumlber ihre Teilnahme nicht mehr frei Wenn sie der Einladung nicht folgen muumlssen sie weitere Repressalien befuumlrchten Uns denen die Freiheit der Entscheidung gegeben ist ist es nicht moumlglich durch Teilnahme am Petersburger Dialog in Sot-schi an der Aufstellung einer Potemkinschen Fassade namens raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo mitzuwirken waumlhrend die kritischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Russland als raquoAgentenlaquo diskreditiert und vielfach drangsaliert werden

Zugleich moumlchten wir unsere Bereitschaft unterstreichen an einer Reform des Petersburger Dialogs in organisa-torischer inhaltlicher und personeller Hinsicht mitzuwirken Eine solche Reform sollte darauf ausgerichtet sein uumlber die Auswahl der Formate Themen und Teilnehmer die tatsaumlchliche Lage der russischen Zivilgesellschaft in den Mit-telpunkt der Diskussion zu ruumlcken und einen offenen Dialog zu ermoumlglichen Wir sind ganz damit einverstanden dass gerade in kritischen Zeiten die Zusammenarbeit zwischen der russischen und deutschen Zivilgesellschaft gestaumlrkt wer-den muss Sofern der Petersburger Dialog in Zukunft dafuumlr ein Forum bietet werden wir uns gern daran beteiligen[Unterzeichner nicht veroumlffentlicht]Quelle Website der Boumlll-Stiftung lthttpwwwboelldede20141013reform-petersburger-dialog-ueberfaelliggt

offener Brief an den Vorsitzenden des Petersburger Dialogs lothar de maiziegravere vom 10 oktober 2014

- Offener Brief -HerrnDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des VorstandsPetersburger Dialog eVSchillerstraszlige 5910627 Berlin

Berlin 10 Oktober 2014Petersburger Dialog 2014 in SotschiSehr geehrter Herr de Maiziegravereals Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher zivilgesellschaftlicher Organisationen die seit der Gruumlndung des Petersburger Dialogs 2001 uumlber viele Jahre hinweg an dieser Veranstaltung teilgenommen haben moumlchten wir Ihnen gegenuumlber folgende Erklaumlrung abgeben

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Wir haben uns entschieden am 14 Petersburger Dialog in Sotschi nicht teilzunehmen der fuumlr den 29ndash31 Okto-ber angekuumlndigt worden ist Fuumlr diese Entscheidung die wir sorgfaumlltig diskutiert und abgewogen haben moumlchten wir drei Gruumlnde anfuumlhren1 Der Petersburger Dialog in seiner jetzigen Form steckt in einer Krise Von Jahr zu Jahr wird er seinem eigenem

Anspruch weniger gerecht Die Veranstaltung soll dem zivilgesellschaftlichen Dialog dienen Tatsaumlchlich sind Struktur Nominierungsverfahren und Programm des Petersburger Dialogs maszliggeblich von Akteuren aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert Unter diesen Voraussetzungen erfuumlllt der Petersburger Dialog leider nicht sein in seiner Satzung formuliertes Ziel ein raquooffenes Diskussionsforumlaquo zu sein das die raquoVerstaumlndigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Laumlnderlaquo foumlrdert Der Petersburger Dialog bedarf dringend einer grundlegenden Reform wie sie auch CDUCSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 eingefordert haben Gerne wuumlrden wir uns aktiv an einem Prozess zur Reformierung des Petersburger Dialogs beteiligen der auf eine pluralistische Zusam-mensetzung beider Lenkungsausschuumlsse und eine deutlich staumlrkere Ausrichtung auf unabhaumlngige zivilgesellschaft-liche Akteure zielt ohne den interdisziplinaumlren Ansatz der Veranstaltung aufzugeben

2 Die Situation in der sich Teile der Zivilgesellschaft in Russland befinden erfuumlllt uns mit groszliger Sorge Das betrifft auch Partnerorganisationen und Personen mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten Diese Organisa-tionen uumlben fuumlr Russland und daruumlber hinaus wichtige gesellschaftliche Funktionen aus Die Behinderung ihrer Arbeit durch buumlrokratische Huumlrden aber auch durch willkuumlrliche rechtliche Restriktionen und politische Diffa-mierung sind inakzeptabel Daruumlber koumlnnen wir nicht zur Tagesordnung uumlbergehen Wir wollen nicht zu Kron-zeugen fuumlr einen vorgeblich freien Austausch werden waumlhrend zugleich die kritische Zivilgesellschaft in Russland massiv und systematisch unter Druck gesetzt wird

3 In Teilen der Ukraine herrscht ein Kriegszustand fuumlr den die russische Fuumlhrung eine maszliggebliche Verantwor-tung traumlgt Wichtige Vertreter dieser Fuumlhrung spielen eine Schluumlsselrolle im Petersburger Dialog einschlieszliglich des fruumlheren Ersten Stellvertretenden Ministerpraumlsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden von Gazprom Wiktor Subkow der der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs ist Vor diesem Hin-tergrund moumlchten wir nicht durch unsere Teilnahme dazu beitragen dass eine Normalitaumlt in den deutsch-russi-schen Beziehungen simuliert wird die es derzeit wegen des Angriffs auf die politische Souveraumlnitaumlt und territo-riale Integritaumlt der Ukraine nicht geben kann

Wir waren und sind weiter sehr an einem offenen Dialog uumlber deutsch-russische Belange in einem gesamteuropaumli-schen Kontext interessiert und halten ihn fuumlr eine Bedingung guter Nachbarschaft und Kooperation Ein solcher Dia-log muss aber auch von beiden Seiten gewollt und ermoumlglicht werden Er darf zugleich nicht zum Nachteil Dritter gefuumlhrt werden Angesichts der aktuellen Lage und der bereits bekannt gewordenen Programmvorschlaumlge fuumlr Sotschi sehen wir auch diese Voraussetzung gefaumlhrdet

Dessen ungeachtet werden wir jede Moumlglichkeit nutzen unsere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Grup-pen und anderen Akteuren in Russland zu vertiefen und dieses Potential in einen bilateralen und europaumlischen Dia-log einzubringenMit freundlichen GruumlszligenRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter Politik Greenpeace eVQuelle lthttpwwwaustauschorgaktuelle-meldungennewsdetailarticle1offener-brie-1htmlno_cache=1ampcHash=0428c5bffdgt

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offener Brief des Vorsitzenden des Petersburger Dialogs vom 13 oktober 2014

AnRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich-Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace eVBerlin 13 Oktober 2014Ihr Schreiben vom 10 Oktober 2014Sehr geehrte Damen und HerrenIhren offenen Brief habe ich erhalten Dass Sie einen Brief aumlhnlichen Inhalts zunaumlchst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Auszligenminister verschickt haben verwundert mich Sie geben damit fuumlr die zivilgesell-schaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung die Sie fuumlr die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren

Ihre Nichtbeteiligung am Petersburger Dialog bedaure ich Denn es entspricht der Uumlberzeugung der meisten Mit-glieder des Vorstandes und des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs dass gerade angesichts zweifellos vorhan-dener Probleme fuumlr die Zivilgesellschaft die Sie teilweise benennen die offensive Auseinandersetzung zu solchen The-men gesucht werden muss Indem man sich solchen Gespraumlchen entzieht schadet man den Interessen der Betroffenen

Sie schreiben der Petersburger Dialog sei im Inneren zu reformieren da er von Vertretern aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert sei Diese Feststellung ist falsch und Sie wissen das Das auch in der Satzung des Petersbur-ger Dialogs beschriebene Konzept des Dialogs beruht auf einem breiten Gedankenaustausch aller gesellschaftlichen Kraumlfte Dazu gehoumlren die Bereiche Kultur Medien Bildung Wissenschaft und Kirchen genauso wie zahlreiche im Bereich der politischen sowie der sozialen Menschenrechte engagierte Einrichtungen die in ihrer Gesamtheit das deutsch-russische Verhaumlltnis beleben

Sie versuchen in Ihrem Brief den Petersburger Dialog auf das enge Feld einiger Vertreter der Zivilgesellschaft zu reduzieren die jenseits der korporierten Zivilgesellschaft angesiedelt sind und deren Interessenspektrum nur einen Teil des gesamten zivilgesellschaftlichen Engagements abdeckt

Ich verkenne nicht die ndash auch aber nicht nur ndash in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu Tage getretenen Probleme sowie die unterschiedlichen Folgen die sich aus einer raquogelenkten Demokratielaquo die in vielem nicht westli-chen Standards entspricht ergeben Dennoch Gemessen an weiten Bereichen der russischen Geschichte ist die Ent-wicklung seit 1991 ein Fortschritt Das daraus resultierende wenn auch im letzten Jahr stark eingetruumlbte Vertrauens-potential muss fuumlr die auf vielen Ebenen notwendigen Gespraumlchsforen genutzt und ausgebaut werden

Derartige Gespraumlche bedingen genauso Realismus wie intellektuelle Disziplin wozu auch gehoumlrt zu verstehen wie Russland die Probleme versteht Dies ndash und nicht Gespraumlchsverweigerung ndash ist die Voraussetzung um auf allen demokratischen gesellschaftlichen Ebenen ndash vom politischen Machtzentrum bis in die Randgruppen hinein ndash pro-blemorientierte Gespraumlche fuumlhren zu koumlnnen Dabei darf keine Seite fuumlr sich in Anspruch nehmen legitimere Inte-ressen zu vertreten als die andere

Das heiszligt Ein Gespraumlch raquoauf Augenhoumlhelaquo nicht von oben herab nicht moralisch belehrend aber mit klaren und ehrlichen Argumenten Dabei duumlrfen wir nicht verschweigen welche gesetzgeberischen aber auch politisch-morali-schen Standards wir fuumlr eine demokratische Gesellschaft im europaumlischen Kontext fuumlr unabdingbar halten

Der Petersburger Dialog wurde aus guten Gruumlnden als deutsch-russische Gemeinschaftseinrichtung konzipiert Da ist eine ndash oft muumlhsame ndash Kompromissfindung unausweichlich Dies ist Teil des Wertes auch der Tiefe aber auch der moralischen Qualitaumlt des Dialogs Das Ringen um kompromissfaumlhige Konzepte muss unser Anliegen bleiben nicht Vorverurteilung und GespraumlchsablehnungMit freundlichem GruszligDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des Vorstands Petersburger Dialog e VQuelle Website des Petersburger Dialogs lthttpwwwpetersburger-dialogcomoffener-brief-vom-13-oktober-2014gt

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offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

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9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

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14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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Die Russland-Analysen werden von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und von Mangold Consulting GmbH unterstuumltzt

Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

Abdruck und sonstige publizistische Nutzung sind nach Ruumlcksprache mit der Redaktion gestattetVerantwortlicher Redakteur Hans-Henning Schroumlder

Recherche Uumlbersetzungen und Sprachredaktion Christoph Laug Hartmut SchroumlderSatz Matthias Neumann

Russland-Analysen-Layout Cengiz Kibaroglu Matthias Neumann und Michael ClemensAlle Ausgaben der Russland-Analysen sind mit Themen- und Autorenindex archiviert unter wwwlaender-analysende

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ISSN 1613-3390 copy 2014 by Forschungsstelle Osteuropa BremenForschungsstelle Osteuropa bull Publikationsreferat bull Klagenfurter Str 3 bull 28359 Bremen bull Telefon +49 421-218-69600 bull Telefax +49 421-218-69607

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

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Die einzelnen Laumlnder-Analysen werden von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und der Deutschen Gesellschaft fuumlr Osteuropakunde jeweils mit unterschiedlichen Partnern und Sponsoren herausgegeben

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                          • Marina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin
                          • Umfrage
                            • Uumlber die Zivilgesellschaft in Russland
                              • Dokumentation
                                • Luumlgen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des JustizministeriumsErklaumlrung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL
                                  • Notizen aus Moskau
                                    • Petersburger Dialog
                                      • Jens Siegert Moskau
                                      • Dokumentation
                                        • Briefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo
                                          • Chronik
                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 13: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 13

Ja eurer rsaquoFuumlhrerlsaquo ist Imperier Daraus hat er kein Geheimnis gemacht Er ist bei der Krim-Frage ein absoluter Putin Weil er wenn er einer anderen Ansicht waumlre Wenediktow Folgendes gefragt haumltte rsaquoVon welcher Krim reden Sie denn Von der die zur Ukraine gehoumlrt womit Russland einverstanden war als es das Budapester Abkommen unterschrieben hat Sie fragen mich uumlber die territoriale Integritaumlt eines Staates dem Russland Garantien gegeben hat wonach die Ukraine zum atomwaffenfreien Land geworden ist Haumltte Russland seinerzeit diese Garantien nicht gegeben haumltte die Ukraine jetzt Atomraketen und wir wuumlrden es niemals riskieren uns dort einzumischenhellip Sie fragen also nach Quatsch und zwar provokantem Quatschlsaquo

Wenn er also auf diese Weise geantwortet haumltte dann ja Dann waumlre er als Politiker geboren worden Er hat sich aber ausgenullt Wie seinerzeit Udalzow

Und noch etwa Verehrte rsaquoNawalnistenlsaquo houmlrt auf euch Goumltzen zu schaffen Viele von euch waren auf dem rsaquoFrie-densmarschlsaquo zur Unterstuumltzung der territorialen Integritaumlt der Ukraine Verliert das Gesicht nicht Trefft eine Wahl ohne Bindung des Herzens Und all die Argumente rsaquoer habe es nicht so gesagt er habe etwas anderes gemeintlsaquo das ist im Stil von rsaquoPutinistenlsaquo und zwar rsaquoUnser Fuumlhrer hat alle ausgetrickst Das eine gesagt was anderes getan Sie haben seinen Weisheiten schlecht zugehoumlrtlsaquohellip

Seid keine Kinder Werdet erwachsenlaquoAlexander Sotnik auf Facebook 15102014 lthttpswwwfacebookcomsashasotnikposts646414272138108gt

raquorandfigur russischer PolitiklaquoDa Alexej Nawalnyj recht offen seine Meinung zur Krim geaumluszligert hat [hellip] waumlre es auch fuumlr den Oppositionellen selbst sinnvoll das Geheimnis uumlber seine Lage zu luumlften Ich finde dass abgesehen davon dass die Rechte von Ale-xej Nawalnyj lange Jahre verletzt wurden und er nach himmelschreiender Verletzung aller Gesetzesnormen der Rus-sischen Foumlderation verurteilt wurde die Realitaumlt so aussieht dass Herr Nawalnyj eine Randfigur der russischen Poli-tik ist Ich rate ihm und seinen Anhaumlngern eindringlich sich nichts vorzumachen ndash sie haben in absehbarer Zukunft keine Chance bedeutende Figuren in der groszligen Politik zu werden Das waumlre ebenfalls ehrlichMustafa Nayyem auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcomMustafanayyemposts10203171638717866gt

raquoWas wollen sie Pardon zuruumlckgebenlaquoraquoWas fuumlr spannende Eskapaden nun zu dieser Krimhellip rsaquoDie Krim ist kein Wurstbrotlsaquo meint Nawalnyj rsaquoWenn ich Prauml-sident werde gebe ich Krim nicht zuruumlcklsaquo schreibt Michail Chodorkowskij auf Twitter [hellip]

Russland hat einen Teil eines souveraumlnen Staates okkupiert Diese Okkupation ist von keinem anderen Staat in der Weltgemeinschaft anerkannt worden In der ganzen Welt hat sich die ukrainische Grenze nicht um einen Zen-timeter veraumlndert Die Welt kennt keinen anderen Staat rsaquoUkrainelsaquo auszliger diesen ndash mit der Krim Die Welt kennt kei-nen anderen Staat rsaquoRusslandlsaquo auszliger diesen ndash ohne die Krim Es hat keine Vertraumlge zur Anerkennung und Bestaumltigung neuer Grenzen gegeben

Was also wollen Sie Verzeihen Sie die Frage rsaquozuruumlckgebenlsaquo [hellip]Und zweitens Das wichtigsteWenn du Praumlsident wirst ndash eben Praumlsident ndash waumlre in diesem Koordinatensystem schon eine solche Fragestellung

rsaquoabgeben oder nichtlsaquo per definitionem undenkbar Denn der Praumlsident ist ein gewaumlhltes Amt Ein Amt das im Rah-men fairer und freier Wahlen besetzt wird die in einem demokratischen Land nach internationalen Regeln Konven-tionen Rechten und Gesetzen die durch die Weltgemeinschaft als korrekt anerkannt werden [hellip] In dieser Situa-tion wuumlrde sich die Frage rsaquozuruumlckgeben oder besser nochmal uumlberlegenlsaquo a priori nicht stellen Weil nicht du es bist der uumlber zuruumlckgeben oder nicht entscheidet Du bist kein Lenker des Schicksals von Staaten Laumlndern und Voumllkern Du bist bloszlig Garant der Ausfuumlhrung von Gesetzen Einschlieszliglich internationaler Gesetze Fuumlr alle die daruumlber anders dachten ist die Moumlglichkeit geschaffen worden uumlber ihre Fehler nachzudenken ndash in den schoumlnen Staumldten Nuumlrnberg und Den HaaglaquoArkadij Babtschenko auf Facebook 16102014 lthttpswwwfacebookcombabchenkoaposts555934824506755fref=nfgt

Ausgewaumlhlt und zusammengefasst von Sergey Medvedev Berlin (Die Blogs auf die verwiesen wird sind in russischer Sprache verfasst)

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ANALYSE

zivilgesellschaft und staat in russlandPavel Chikov Moskau

zusammenfassungDie Zivilgesellschaft befindet sich heute in Russland in einem schlechten Zustand Sie entwickelte sich Ende der 1980er Jahre und genoss bis Ende der 1990er Jahre weitgehende Freiheiten 1999 gab es erste staatliche Eingriffe und 2004 kennzeichnete Praumlsident Putin aus dem Ausland finanzierte NGOs direkt als raquoFeindelaquo In den folgenden Jahren wurde die Gesetzgebung verschaumlrft die Registrierung von NGOs erschwert den-noch gab es bis zur Ruumlckkehr Putins in das Praumlsidentenamt im Jahre 2012 kein ernstliches Vorgehen der Behoumlrden gegen die NGOler Mit der ultrakonservativen Wende des Jahres 2012 begann der Staat auch verstaumlrkt gegen die NGOs vorzugehen Heute auch nach den Ereignissen in der Ukraine ist weithin klar geworden dass Wladimir Putin bei seiner Orientierung auf einen extremen Konservatismus auch vor Re-pressionen gegen Nichtregierungsorganisationen nicht zuruumlckscheut

Die entstehung der zivilgesellschaft ende der 1980er JahreDer Zustand der Zivilgesellschaft in Russland laumlsst sich heute mit nur einem Wort charakterisieren schlecht Mehr noch Er ist schlechter denn je in der neuesten Geschichte Russlands wenn man davon ausgeht dass es zu sowjetischer Zeit keine nennenswerte Zivilgesell-schaft gegeben hat Die vereinzelten sowjetischen Buumlr-gerrechts- und Dissidentengruppen deren Mitglieder von den Geheimdiensten aufs engste uumlberwacht wurden lassen sich naumlmlich nur mit groumlszligter Muumlhe als Zivilge-sellschaft bezeichnen

Eine legale Existenz vom Staat unabhaumlngiger Nicht-regierungsorganisationen begann in Russland ungefaumlhr in jener Zeit als West- und Ostdeutschland wiederver-eint wurden Ende der 1980er und in der ersten Haumllfte der 1990er Jahre wurden zum einen die bereits erwaumlhn-ten sowjetischen Dissidentengruppen dann aber auch jene Initiativgruppen die auf der Welle der Perestroika unter Gorbatschow entstanden waren und nun als Orga-nisationen auftraten zur Basis der kuumlnftigen Zivilgesell-schaft Diese Gruppen erreichten dass Kuibyschew in Samara und Gorkij in Nishnij Nowgorod umbenennt wurde und sie beteiligten sich engagiert an den Wahlen der Volksdeputierten beseitigten verschiedenste Relikte der sowjetischen Vergangenheit wurden zu Meinungs-fuumlhrern der Gesellschaft organisierten erstmals recht-liche Hilfe fuumlr die schwaumlchsten Bevoumllkerungsgruppen

Die ersten Gesetze die die Taumltigkeit von NGOs sys-tematisch regulierten entstanden in den Jahren 1995 und 1996 Sie wurden auf der Houmlhe der allgemeinen Demokratisierung verabschiedet schrieben die grundle-genden buumlrgerlichen Freiheiten fest sahen eine Registrie-rung per Anmeldung keinerlei Rechenschaftspflichten sowie die Moumlglichkeit vor ohne Registrierung als juristi-sche Person taumltig sein zu koumlnnen Hierbei konnten rund zwei Dutzend verschiedener Rechtsformen genutzt wer-den Eine gesellschaftliche Organisation (NGO) regis-

trieren zu lassen bedeutete keine Muumlhe und die staat-lichen Gebuumlhren hierfuumlr waren minimal Gleichzeitig gab es jedoch keinerlei System fuumlr eine finanzielle Foumlrde-rung von nichtkommerziellen Organisationen (NGOs) durch den Staat

erste eingriffe des staatesDie ersten Zeichen die von kuumlnftigen Problemen fuumlr NGOs kuumlndeten erfolgten im Jahr 1999 als das Justiz-ministerium eine Neuregistrierung aller aktiven nicht-kommerziellen Organisationen (NGOs) verlangte Damals sahen sich einige Menschenrechtsorganisatio-nen erstaunlichen Beanstandungen durch die Behoumlrden gegenuumlber Wie sich herausstellte sollte es nicht moumlg-lich sein den Schutz der Menschenrechte und buumlrgerli-chen Freiheiten zu den satzungsgemaumlszligen Zielen zu zaumlh-len Die Fachleute des Justizministeriums behaupteten Da der Schutz der Menschenrechte gemaumlszlig der Verfas-sung die Pflicht des Staates ist koumlnnten NGOs diesen darin allenfalls sbquounterstuumltzenlsquo Das ist die Erklaumlrung dafuumlr dass die meisten Moskauer Organisationen bei ihren Namen und in ihren Satzungen bis heute diese Formulierung verwenden die offensichtlich eine klare paternalistische Botschaft an die Gesellschaft darstellt Zivilgesellschaftliche Organisationen koumlnnen ndash so die Haltung der russischen Regierung seit 1999 und bis jetzt ndash nichts selber machen Sie koumlnnen lediglich den Staat unterstuumltzen Folglich stoszligen NGOs wenn sie sich gegen die Politik des Staates wenden auf unweiger-lichen vaumlterlichen Zorn Die 15 Jahre nach 1999 illus-trieren diese Haltung sehr deutlich

nichtregierungsorganisationen als raquofeindelaquo2004 hat Praumlsident Putin in seiner jaumlhrlichen Parla-mentsansprache Nichtregierungsorganisationen die auch nur irgendwelche Gelder aus dem Ausland erhalten direkt seine Feinde genannt 200405 wurde eine spe-zielle staatliche Struktur der raquoFoumlderale Dienst fuumlr Regis-

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trierunglaquo (raquoRosregistrazijalaquo) geschaffen ndash eine Polizei fuumlr NGOs Es wurden fuumlr NGOs Rechenschaftspflich-ten uumlber ihre Taumltigkeit eingefuumlhrt die fuumlr zwei Drit-tel der Organisationen nicht zu stemmen waren Von 2006 bis 2008 hat diese dem Justizministerium nach-geordnete Behoumlrde die Aufloumlsung Zehntausender zivil-gesellschaftlicher Organisationen per Gerichtsbeschluss erwirkt Weitere 50000 erhielten Verwarnungen Ins-gesamt befanden sich beim Amtsantritt des Zwischen-praumlsidenten Medwedew achtzig Prozent der in Russland existierenden Organisationen (ungefaumlhr 150ndash180000) nur einen Schritt von ihrer moumlglichen Aufloumlsung (aus formalen Gruumlnden) durch das Justizministerium ent-fernt Staatsfreundliche Strukturen (wie etwa die Gesell-schaftskammer) haben beharrlich die Vorstellung trans-portiert dass es in Russland tatsaumlchlich nicht mehr als 30000 gesellschaftliche Organisationen (NGOs) gebe Das Anhalten der repressiven Maschine gegen NGOs war eine der wenigen liberalen Zugestaumlndnisse Dmitrij Medwedews als Praumlsident raquoRosregistrazijalaquo wurde 2008 selbst aufgeloumlst und seine Funktionen zur Kontrolle der Nichtregistrierungsorganisationen direkt dem Justiz-ministerium uumlbertragen Viele ehemalige Mitarbeiter von raquoRosregistrazijalaquo einschlieszliglich des Behoumlrdenlei-ters wechselten zur Staatsanwaltschaft

2009 und 2010 ritten die Behoumlrden nur vereinzelte Angriffe auf Nichtregistrierungsorganisationen Ein besonders bekannter Fall war die blitzartige staatsan-waltschaftliche Uumlberpruumlfung von 40 Menschenrechtsor-ganisationen im September 2010 die auf Anweisung der Praumlsidialadministration erfolgte diese wollte vor dem Treffen der Leiter der Kommission von Wladislaw Sur-kow und Michael MacFaul kompromittierende Mate-rialien uumlber aus dem Ausland finanzierte Organisatio-nen praumlsentieren Insgesamt aber hat bis zur Ruumlckkehr Putins in das Praumlsidentenamt kein ernstliches Vorgehen der Behoumlrden gegen die NGOler gegeben

Die situation der zivilgesellschaft nach dem mai 2012Die Situation aumlnderte sich grundlegend im Mai 2012 nach der dritten Inauguration Putins die von Mas-senprotesten auf dem Bolotnaja-Platz begleitet wurde denen die bis heute andauernden sogenannten Bolot-naja-Verfahren folgten naumlmlich die strafrechtliche Ver-folgung und Verurteilung zu Gefaumlngnisstrafen von Teil-nehmern der regierungskritischen Demonstration vom 6 Mai 2012 Die Praumlsidialadministration wappnete sich mit der ultrakonservativen Politik einer demonstrativen Absage an liberale Werte fuumlr den Praumlsidenten wurde das Image eines Verteidigers traditioneller Werte aufgebaut die den Menschenrechten und buumlrgerlichen Freiheiten gegenuumlbergestellt werden

Die weitgehenden Beschraumlnkungen der Versamm-lungsfreiheit die Verfolgung von Schwulen und Les-ben die Angriffe auf die Redefreiheit im Internet die Herstellung staatlicher Kontrolle uumlber die Medien die Diskreditierung des Instituts der Wahlen wurden durch eine Kampagne zur Verfolgung von Nichtregierungsor-ganisation ergaumlnzt Diese Welle wurde unter der Losung losgetreten dem Einfluss aus dem Ausland entgegenzu-wirken Sie erfolgte durch Aumlnderungen im Gesetz uumlber nichtkommerzielle Organisationen (NGOs) das Aumlnde-rungsgesetz wurde als raquoGesetz uumlber auslaumlndische Agen-tenlaquo bekannt Praumlsident Putin persoumlnlich ist bekann-termaszligen dessen geistiger Vater Im Verlauf des Jahres 2013 organisierte die Staatsanwaltschaft die vom Jus-tizministerium die Funktion der Kontrolle uumlber Nicht-regierungsorganisationen uumlbernommen hatte die Uumlber-pruumlfung von rund tausend NGOs und lieszlig sich dabei lediglich von einem Kriterium leiten naumlmlich der Frage ob eine Organisation in irgend einer Art Gelder aus irgendeiner Art auslaumlndischer Quelle erhaumllt die Ver-einten Nationen den Europarat und private Nichtre-gierungsstrukturen eingeschlossen Auch eine Reihe deutscher Stiftungen und Organisationen waren Atta-cken ausgesetzt naumlmlich die Friedrich-Ebert-Stiftung die Konrad-Adenauer-Stiftung und der Deutsch-Rus-sische Austausch

Ziel der von Generalstaatsanwalt Jurij Tschajka ini-tiierten Kampagne war es moumlglichst viele Organisa-tionen dazu zu noumltigen sich als auslaumlndischer Agent registrieren zu lassen Die Reaktion der russischen Zivil-gesellschaft laumlsst sich wohl als deutlichsten Beweis ihrer Existenz bezeichnen Nach dieser halbjaumlhrigen Kam-pagne in allen Regionen des Landes hatte sich keine einzige Organisation im Verzeichnis der raquoauslaumlndi-schen Agentenlaquo registrieren lassen Die Zivilgesellschaft hatte ndash ohne sich zu verabreden ndash die Anwendung die-ses Gesetzes sabotiert und Dutzende Organisationen zogen mit Beschwerden gegen das Vorgehen der Staats-anwaumllte vor Gericht Diese ewig langen Gerichtspro-zesse dauern bis heute an Involviert sind mittlerweile auch das Oberste Gericht das Verfassungsgericht der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte die Vene-dig-Kommission des Europarates der Menschenrechts-kommissar des Europarates und die Regierungschefs aller groszligen westlichen Staaten

Heute nach den diesjaumlhrigen Ereignissen in der Ukraine ist weithin klar gewonnen dass Wladimir Putin bei seiner Hingabe an extremen Konservatismus und bei seiner Attacke gegen liberale Werte die die Grundlage der Nachkriegsordnung dargestellt haben bei Repressionen gegen Nichtregierungsorganisationen nicht halt macht Heute in einer Situation da von jenem Moment wo im Kopf des Praumlsidenten oder von irgend

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jemandem in dessen engster Umgebung die naumlchste Idee zur Beschraumlnkung der Menschenrechte entsteht bis zur Verabschiedung und dem Inkrafttreten eines entsprechenden Foumlderalen Gesetzes nur eine Woche vergehen kann koumlnnen jene die Menschenrechtsar-

beit machen solche Schritte der Regierung weder aus-zuschlieszligen noch sie vorhersehen Es bleibt einem nur auf wirklich alle Szenarien gefasst zu sein auch auf die schlimmsten

Uumlbersetzung Hartmut Schroumlder

Uumlber den AutorPawel Chikow Vorsitzender der Interregionalen Assoziation der Buumlrgerrechtsorganisationen raquoAGORAlaquo Mitglied des Rats fuumlr die Entwicklung der Zivilgesellschaft und fuumlr Menschenrechte beim Praumlsidenten der Russischen Foumlderation

ANALYSE

ngos in russlandJens Siegert Moskau

zusammenfassungUnabhaumlngige russische NGOs sind seit Praumlsident Putins Amtsantritt Ziel staatlichen Drucks Die Auseinan-dersetzung mit diesem Druck hat bei den NGOs zu einer schrittweisen und beindruckenden Professionali-sierung beigetragen die wiederum geholfen hat trotz dieses Drucks nicht nur zu uumlberleben sondern auch ihre Arbeit weiter machen zu koumlnnen Das vor knapp zwei Jahren in Kraft getretene sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo stellt die NGOs vor eine neue harte Probe Zudem versucht der Staat erneut NGOs auch institutionell in raquogutelaquo und raquoboumlselaquo einzuteilen Dieser neue Versuch NGOs unter direkte staatliche Kontrol-le zu bringen gefaumlhrdet die Existenz unabhaumlngiger und staatskritischer NGOs in Russland

Putin und die ngosSeit Wladimir Putin vor nun schon fast 15 Jahren rus-sischer Praumlsident wurde versucht er sehr erfolgreich alle autonomen politischen Subjekte in Russland der direkten Kontrolle des Staates besser noch des Kremls zu unterwerfen In Wirtschaft und Politik ist das wei-testgehend gelungen Bei den Massenmedien sehr weit-gehend Blieben und bleiben die NGOs Sie haben sich als am widerstaumlndigsten erwiesen Das hat unterschied-liche Gruumlnde

Erstens galten NGOs im Kreml lange nicht als son-derlich gefaumlhrliche politische Bedrohung Das aumlnderte sich kurzzeitig 20042005 als der Kreml vor allem bei der sogenannten Orangenen Revolution in der Ukraine aus dem Ausland finanzierte NGOs als wichtige trei-bende Kraft der politischen Veraumlnderungen betrachtete Doch hielt diese seinerzeit stark uumlbertriebene Angst vor der Moumlglichkeit aumlhnlich raquoumstuumlrzlerischer Machen-schaftenlaquo in Russland nur recht kurz an Danach etwa ab Ende 2006 und bis zur Protestwelle gegen Wahlfaumll-schungen und die Wiederwahl von Wladimir Putin zum russischen Praumlsidenten im Winter 20112012 periodisch blieben die Aufmerksamkeit den NGOs gegenuumlber und das Verhaumlltnis zwischen Staat und NGOs ambivalent

Dieses Verhaumlltnis schwankt seit Putins Machtan-tritt zwischen dem Misstrauen des Staates allen auto-nomen potentiell eigenstaumlndigen politischen Subjekten gegenuumlber (die aus seiner Sicht streng kontrolliert gehouml-ren) und der Erkenntnis dass NGOs eine ganze Reihe wichtiger sozialer und politischer Funktionen ausfuumll-len die der Staat nicht oder nicht mehr zu gewaumlhrleis-ten in der Lage ist Auszligerdem erwiesen sich die NGOs nach weitgehender Abschaffung der Pressefreiheit und Gleichschaltung der (ohnehin schwachen und in vielen Bereichen dysfunktionalen) politischen Parteien fuumlr den Kreml als nuumltzlicher ja mitunter notwendiger Kommu-nikationskanal in die Gesellschaft

Die Uumlberlebensfaumlhigkeit der russischen ngosDas Uumlberleben unabhaumlngiger NGOs wurde bis heute auszligerdem durch ihre groszlige politische und institutio-nelle Lernfaumlhigkeit gewaumlhrleistet Unter dem staatli-chen Druck der vergangenen 15 Jahre ist die NGO-Arbeit in Russland in fast allen Bereichen professioneller geworden Das gilt insbesondere fuumlr die Einhaltung der in vielem widerspruumlchlichen oft geaumlnderten und uumlber Verwaltungsakte zu wahren buumlrokratischen Monstern

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aufgeblaumlhten die NGOs betreffenden Gesetze Kurz gesagt Vor allem Juristen Buchhalter Geschaumlftsfuumlh-rer die NGOs beraten oder in ihnen arbeiten aber auch viele Aktivisten sind schlicht besser schneller und pro-fessioneller als die staatliche Finanz- Justiz- oder sons-tige Verwaltung Einem in vielem legalistischen Staat gegenuumlber kostet diese staumlndige Professionalisierung (auch im Sinn einer Art raquolebenslangen Lernenslaquo) zwar viel Kraft und es muumlssen dafuumlr nicht geringe Ressour-cen eingesetzt werden aber sie verschafft solange es sich nicht um frontale Angriffe handelt immer wieder Raum und Zeit zum Weitermachen

Damit komme ich zum dritten Grund fuumlr die beson-dere Widerstaumlndigkeit von NGOs in Russland Es ist fuumlr einen Staat (und seine Staatsmaumlnner und -frauen) fuumlr den der Eigensinn der Menschen nur schwer vorstell-bar ist und der vom eigenen Zynismus geleitet hin-ter jedem und allem irgendwelchen raquofremden Maumlchtelaquo Verschwoumlrungen und politischen Utilitarismus vermutet ganz offenbar schwer vorstellbar dass zivilgesellschaftli-ches Engagement sozusagen aus sich selbst heraus oder aus einer bestimmten Situation oder einem bestimmten Ereignis einem Erlebnis oder einer Erfahrung heraus entsteht Administrative auch strafrechtliche Maszlig-nahmen gegen dieses Engagement laufen eben deshalb immer wieder zwar nicht voumlllig ins Leere (sie erschwe-ren dieses Engagement mitunter enorm) aber sie koumln-nen es nicht verhindern Es verlagert sich immer wieder und findet immer neue Formen und Foren

Die Verstaumlrkung der staatlichen kontrolleBis heute gab es unter Putin drei groumlszligere Versuche unab-haumlngige NGOs unter mehr oder weniger direkte staatli-che Kontrolle zu bringen und diejenigen die sich dagegen wehrten entweder zu marginalisieren oder auch zu schlie-szligen Der erste im Jahr 2001 endete mit einem oben schon angedeuteten Kompromiss der das Verhaumlltnis Kreml-NGOs in einem (allerdings jederzeit prekaumlren) Gleich-gewicht zwischen Konfrontation und Kooperation hielt

Der zweite Versuch endete in der Verabschiedung des raquoNGO-Gesetzeslaquo Ende 2005Anfang 2006 das den NGOs weitergehende Berichtspflichten auferlegte in der Praxis also Ressourcen band und bindet aber ebenfalls in der Praxis und entgegen anderslautenden Befuumlrchtungen nicht zu wesentlichen Einschraumlnkun-gen in der Arbeit russische NGOs fuumlhrte Die groumlszligte negative Wirkung dieses Versuches duumlrfte von zahlrei-chen oumlffentlichen Aumluszligerungen hochgestellter Politiker bis hin zu Putin ausgegangen sein NGOs seien raquoFeindelaquo raquoSchakale die um auslaumlndische Vertretungen streunenlaquo Dadurch wurde die Einstellung von Teilen der Gesell-schaft vor allem aber von weiten Teilen der Verwaltung zu NGOs grundsaumltzlich negativ gepraumlgt

Der dritte Versuch begann als Teil der staatlichen Reaktionen auf den Protestwinter 20112012 und haumllt bis heute an Sein wichtigster Bestandteil ist das soge-nannte raquoNGO-Agentengesetzlaquo das eigentlich kein eigenes Gesetz ist sondern aus einer Reihe dem NGO-Gesetz neu hinzugefuumlgter oder geaumlnderter Paragraphen besteht Diese Vorschriften verpflichten NGOs die raquosich politisch betaumltigenlaquo und Geld oder andere Zuwendun-gen aus dem Ausland erhalten sich beim Justizminis-terium als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren zu lassen Danach muumlssen sie jede oumlffentliche Aumluszligerung mit dem Zusatz raquoauslaumlndischer Agentlaquo versehen

Die Durchsetzung des AgentengesetzesTrotz erheblichen staatlichen raquoPressingslaquo der raquoUumlber-pruumlfunglaquo von mehr als 700 NGOs in ganz Russland durch Staatsanwaltschaft Justizministerium Finanz-amt und eine Reihe anderer Behoumlrden ab dem Fruumlhjahr 2013 hatte sich im Fruumlhjahr 2014 erst eine NGO als raquoauslaumlndischer Agentlaquo im entsprechenden Register des Justizministeriums eintragen lassen (lthttpunromin justruNKOForeignAgentaspxgt) Alle anderen selbst diejenigen NGOs die von den Behoumlrden als raquoAgentenlaquo eingestuft und teilweise mit empfindlichen Geldstra-fen belegt worden waren weigerten sich und weigern sich bis heute Viele NGOs klagten und klagen sowohl gegen das Gesetz als auch gegen die raquoUumlberpruumlfungenlaquo und die aus ihnen von den Justizbehoumlrden abgeleite-ten Bescheide und Anweisungen vor russischen Gerich-ten aber auch vor dem Europaumlischen Gerichtshof fuumlr Menschenrechte (EGMR) Eine Entscheidung des rus-sischen Verfassungsgerichts hat die raquoAgentenparagra-phenlaquo fuumlr verfassungskonform erklaumlrt wenn auch einige Einzelbestimmungen darunter die zu Mindeststrafen aufgehoben

Im Juni 2014 beschloss die Staatsduma eine Verschaumlr-fung der raquoAgentenlaquo-Paragraphen des NGO-Gesetzes Seither hat das Justizministerium das Recht NGOs auch ohne deren Zustimmung in das raquoAgentenlaquo-Register ein-zutragen Bis heute (21102014) hat es 15 NGOs getrof-fen Es ist damit zu rechnen das weitere folgen werden Justizminister Jurij Tschajka hat bereits 2013 im Foumlde-rationsrat von 24 NGOs gesprochen die nach Ansicht des Ministeriums raquoAgentenlaquo seien Auszligerdem wurden 2013 und 2014 mehr als 40 NGOs von der Staatsanwalt-schaft aufgefordert sich vorsorglich als raquoAgentenlaquo regis-trieren zu lassen da sie Geld aus dem Ausland bekaumlmen und Gefahr liefen sich raquopolitisch zu betaumltigenlaquo

Die reaktionen der ngos auf das AgentengesetzDie praktischen Reaktionen der NGOs auf diesen staat-lichen Druck sind unterschiedlich Einige NGOs wie

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die Wahlbeobachter von raquoGoloslaquo haben sich als juris-tische Personen aufgeloumlst oder sind wie die raquoJuristen fuumlr Verfassungsrechte und Freiheitlaquo dabei sich aufzu-loumlsen (ein juristisch und administrativ nicht ganz ein-facher und langwieriger Vorgang) Fast alle NGOs die sich aufloumlsen haben aber erklaumlrt ihre Arbeit auch ohne juristischen Status fortsetzen zu wollen Rechtlich ist das moumlglich Praktisch werden diese NGOs auf zahlreiche neue Probleme treffen wohl bis hin zur moumlglichen Kri-minalisierung einzelner Personen

Einige andere NGOs darunter das Menschenrechts-zentrum Memorial machen weiter wie bisher Sie fech-ten meist die Eintragung in das raquoAgentenregisterlaquo vor Gericht an (in der Regel ohne besonderen Erfolg) Das Menschenrechtszentrum Memorial aber auch einige andere NGOs wollen bis zum EGMR gehen unter ande-rem weil sie das Gesetz insgesamt fuumlr unmoralisch und verfassungswidrig haumllt

Eine weitere Reaktion ist eine Art Hase-und-Igel-Spiel mit den Behoumlrden Das kann sich in einem Geflecht von unterschiedlichen NGOs ausdruumlcken die unter-schiedliche Funktionen wahrnehmen Eine NGO macht politische Erklaumlrungen und betreibt Lobbying Ihre Aktivistinnen arbeiten ausschlieszliglich ehrenamt-lich Eine andere bekommt auslaumlndische Finanzierung fuumlr Projekte die auch nach der Definition von Staatsan-waltschaft und Justizministerium nicht raquopolitischlaquo sind Wieder andere NGOs weichen auf Organisationsformen (juristische Personen) jenseits des NGO-Gesetzes aus die dann nicht den raquoAgentenparagraphenlaquo unterliegen

Der Vorstoszlig gegen memorialAllerdings beschraumlnkt sich die staatliche Behinderung und Bedrohung von NGOs nicht auf das relativ neue Agentengesetz Alle anderen laumlnger erprobten adminis-trativen bis strafrechtlichen Instrumente bleiben eben-falls im Einsatz Juumlngstes und bekanntestes aber bei weitem nicht einziges Beispiel ist der Schlieszligungsan-trag des Justizministeriums vor dem Obersten Gericht gegen raquoMemorial Russlandlaquo raquoMemorial Russlandlaquo ist ein Netzwerk aus rund 50 regionalen und thematischen Memorial-Organisationen und selbst eine von mehr als 60 Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Internatio-nallaquo (Zum Memorial-Netzwerk siehe lthttprusslandboellblogorg20141011wie-funktioniert-memorial-ein-kleiner-wegweiser-durch-eine-zugegeben-kompli zierte-strukturgt) Bei einer der regelmaumlszligigen Pruumlfun-

gen stellte das Justizministerium Anfang 2012 also vor Beginn der jetzigen Repressionswelle gegen NGOs fest dass die seit Gruumlndung der Organisation geltende konfouml-derative Struktur von raquoMemorial Russlandlaquo raquonicht dem Gesetz entsprechelaquo und geaumlndert werden muumlsse Insbe-sondere behagt dem Justizministerium nicht dass die Mehrzahl der Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Russlandlaquo ihrerseits eigenstaumlndige juristische Personen sind raquoMemorial Russlandlaquo muumlsse sich zentralistisch organisieren und die regionalen Memorial-Organisa-tionen zu Filialen werden Ohne hier ins Detail gehen zu koumlnnen wuumlrde das aber zu weiteren Problemen fuumlh-ren die wiederum die Schlieszligung von Memorial durch das Justizministerium zum Ergebnis haumltten Memorial sucht einen Ausweg das Justizministerium betreibt die Schlieszligung Viele NGOs haben Probleme mit der Feu-erwehr dem Gesundheitsamt oder der Arbeitsschutzbe-houmlrde Beliebt ist in juumlngster Zeit auch die Kuumlndigung von Mietvertraumlgen (so unlaumlngst geschehen bei raquoGoloslaquo und der raquoBewegung fuumlr Menschenrechtelaquo)

soziale und politische ngosSeit dem Fruumlhjahr zeichnet sich noch ein weiterer Angriff auf unabhaumlngige und staatskritische NGOs ab Der von Michail Fedotow geleitete Zivilgesellschaftsrat beim Praumlsidenten beraumlt seit einiger Zeit eine erneute Aumlnde-rung des NGO-Gesetzes Er schlaumlgt vor die Agenten-paragraphen abzuschaffen und dafuumlr um den Befuumlrch-tungen des Kremls auf politische Einflussnahme (nicht nur aus dem Ausland) Rechnung zu tragen kuumlnftig eine Einteilung von NGOs in raquosozialelaquo und raquopolitischelaquo vor-zunehmen raquoSozialelaquo NGOs sollen diesen Vorschlaumlgen nach kuumlnftig steuerlich beguumlnstigt sein und staatliche Zuwendungen erhalten koumlnnen raquoPolitischelaquo NGOs wer-den hingegen von staatlicher Foumlrderung ausgeschlossen und sollen auf alle Zuwendungen insbesondere aber auf Zuwendungen aus dem Ausland einen noch fest-zulegenden Steuersatz zahlen Die Befuumlrworter dieser im Uumlbrigen im Zivilgesellschaftsrat nicht unumstrit-tenen Initiative verweisen darauf dass so die heute als raquoAgentenlaquo verfolgten NGOs eventuell noch gerettet wer-den koumlnnten waumlhrend staatliche Foumlrderung aller ande-ren verstaumlrkt wuumlrde Ein Gewinn also fuumlr alle Betei-ligten Tatsaumlchlich verbirgt sich hinter dem Vorschlag aber eine gefaumlhrliche Tendenz zur Entsolidarisierung in der NGO-Szene wie sie auch anderswo schon laumln-ger zu beobachten ist

Uumlber den AutorJens Siegert ist Diplompolitologe und leitet seit 1999 das Laumlnderbuumlro Russland der Heinrich Boumlll Stiftung in Mos-kau Davor arbeitete er in Moskau als Korrespondent fuumlr Radiostationen Zeitschriften und Zeitungen im deutsch-sprachigen Raum

Lesetipps finden Sie auf der naumlchsten Seite

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Lesetippsbull Siegert Jens Putin und die Zivilgesellschaft in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 12 06 2013

lthttprusslandboellblogorg20130612putin-und-die-zivilgesellschaftgtbull Siegert Jens Uumlber ein Jahr raquoNGO-Agentenlaquo-Jagd ndash eine Art Zwischenbericht in Russland-Blog (Hein-

rich-Boumlll-Stiftung Moskau) 4 Juni 2014 lthttprusslandboellblogorg20140604ueber-ein -jahr-agenten-jagd-eine-art-zwischenberichtgt

bull Siegert Jens Russische raquoNGO-Agentenjagdlaquo ndash eine Zwischenbilanz in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 7 Juni 2013 lthttprusslandboellblogorg20130607russische-ngo-agentenjagd-eine-zwischenbilanzgt

bull Siegert Jens Erklaumlrung Permer NGOs warum sie sich unter keinen Umstaumlnden als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren lassen in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 26 Mai 2013 lthttprusslandboellblogorg20130526erklarung-permer-ngos-warum-sie-sich-unter-keinen-umstanden-als-auslandische-agenten-registrieren-lassengt

bull Siegert Jens Memorial raquoNGO-Agentengesetzlaquo ist ungesetzlich und unmoralisch Keine freiwillige Registrierung als raquoauslaumlndischer Agentlaquo in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 22 September 2013 lthttpruss landboellblogorg20120922memorial-ngo-agentengesetz-ist-ungesetzlich-und-unmoralisch-keine-freiwillige-registrierung-als-auslandischer-agentgt

bull Siegert Jens Sozialer Wandel und politische Dynamik in Russland 201112 in Russland-Analysen Nr 245 19 Oktober 2012 lthttpwwwlaender-analysenderusslandpdfRusslandanalysen245pdfgt

ANALYSE

ein kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen engagements zur Unterstuumltzung und integration von migranten in russlandMarina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin

zusammenfassungObwohl die Wirtschaft Russlands aufgrund der ruumlcklaumlufigen Bevoumllkerungszahl auf Migranten angewiesen ist ist der Groszligteil der Bevoumllkerung des Landes Migranten gegenuumlber skeptisch und oft geradezu fremden-feindlich eingestellt Durch eine schlecht koordinierte staatliche Migrationspolitik ist die Lage der Arbeits-migranten meist prekaumlr Initiativen aus der Zivilgesellschaft versuchen die Situation der Migranten zu ver-bessern und leisten Aufklaumlrungsarbeit in der Bevoumllkerung sowie konkrete Hilfestellungen fuumlr Migranten Die Arbeit solcher Aktivisten wird jedoch oftmals durch staatliche Einmischung erschwert

immigration nach russland als gesellschaftliches ProblemDie widerspruumlchliche Migrationspolitik der russischen Regierung und die aufgeheizte Stimmung in der Bevoumll-kerung haben 2013 zu vermehrten xenophoben Uumlbergrif-fen auf Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien gefuumlhrt (siehe beispielsweise die Unruhen in Birjuljowo im Oktober 2013) Diese Entwicklung wirft die Frage auf welche Haltung die russische Zivilgesellschaft hierzu einnimmt Gibt es zivilgesellschaftliche Initiativen die dieser fremdenfeindlichen Stimmung entgegenwirken

In der russischen Oumlffentlichkeit ist oft von einer Flut von Arbeitsmigranten aus den GUS-Staaten die Rede doch in Wirklichkeit ist die Immigration nach Russ-land im internationalen Vergleich gering Zudem zeigen Zahlen der Staatlichen Statistikbehoumlrde raquoRosstatlaquo dass

die russische Wirtschaft aufgrund der demographischen Entwicklung in zunehmendem Maszlige Arbeitskraumlfte aus dem Ausland benoumltigt (bis 2030 ndash so die Prognose ndash soll die russische arbeitsfaumlhige Bevoumllkerung um 103 Mil-lionen Menschen abnehmen)

Trotzdem gibt es starke fremdenfeindliche Stimmun-gen die sich gegen Immigranten aus Zentralasien und dem Kaukasus richten Diese Ablehnung von Migran-ten hat zugenommen und schafft den Naumlhrboden fuumlr Pogrome wie 2006 in Kondopoga 2010 auf dem Mos-kauer Manegenplatz sowie 2013 in der Stadt Pugat-schow und dem Moskauer Vorort Birjuljowo Angst und Verachtung gegenuumlber Fremden ziehen sich durch alle Gesellschaftsschichten Sie werden als Kriminelle und Illegale stigmatisiert und nicht nur Nationalisten ver-wenden die Losung raquoRussland den Russenlaquo um Ras-

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sismus zu schuumlren und die Stimmung gegen Migranten weiter anzuheizen

es gibt keine migrationspolitikDiese interethnischen Konflikte spiegeln sich auch im russischen Alltag wieder Der durch den Foumlderalen Migrationsdienst praktizierte administrative und poli-zeiliche Umgang mit Migration ist nicht effektiv Eine Stigmatisierung der Migranten als potenzielle Krimi-nelle und eventuelle Uumlberlegungen zur Verschaumlrfung des Migrationsgesetzes koumlnnen die Probleme nicht loumlsen die gerade auch auf kommunaler Ebene anfallen Die nur situativen politischen Maszlignahmen fuumlhren mitunter zu einer Verschaumlrfung des Problems Eine uumlbergreifende Strategie existiert nicht die Politik weiszlig auf die Migra-tionsfrage keine Antwort Ein autoritaumlres zentralisier-tes System ist nicht im Stande die regionalen Probleme dieses riesigen Landes zu loumlsen deshalb liegt es vor allem an der Zivilgesellschaft sich diesen Themen zu widmen

zivilgesellschaftliche Projekte AufklaumlrungsarbeitIn Moskau und Sankt Petersburg gibt es verschiedene nichtstaatliche Projekte die sich sowohl fuumlr mehr Tole-ranz als auch fuumlr die Integration der Migranten einsetzen

Einige von ihnen bestehen schon mehrere Jahre Boris Romanow ist einer der Gruumlndervaumlter eines zivil-gesellschaftlichen Netzwerks zur Unterstuumltzung von Menschen mit Migrationshintergrund in Sankt Peters-burg Er arbeitet mit den unterschiedlichsten NGOs zusammen die zu Themen wie Toleranz Antirassis-mus Homophobie Antiziganismus und Antisemitis-mus arbeiten Finanziert durch das Goethe-Institut rief er 2012 raquoRespektlaquo ins Leben ein Comic-Projekt inter-nationaler Kuumlnstler mit dessen Hilfe Schuumller ihr Den-ken uumlber Fremde reflektieren und selbst in Frage stel-len koumlnnen Laut Romanow scheitern solche Projekte oft an der Buumlrokratie der Kommunen Durch das neue NGO-Gesetz gebe es kaum noch Kontaktmoumlglichkei-ten zu staatlichen Schulen erlaumlutert Romanow so dass eine Zusammenarbeit houmlchstens uumlber einzelne Lehrer nicht jedoch uumlber die Schuldirektion moumlglich sei Dies widerspreche dem Konzept zivilgesellschaftlicher Arbeit die vor allem jedermann offen stehen will Durch das geschlossene staatliche Schulsystem komme es selten zu einer Kooperation mit interessierten Lehrern Die Zusammenarbeit von Staat und Zivilgesellschaft ist unabdingbar macht aber die Finanzierung der Projekte schwierig da sie im Falle einer Unterstuumltzung auslaumln-discher Sponsoren unter das neue NGO-Gesetz fallen

Im Zuge der neuen NGO-Gesetzgebung wurde das Antidiskriminierungszentrum raquoMemoriallaquo in Sankt Petersburg geschlossen Dessen ehemaliger Mitarbei-

ter Andrej Jakimow ist Anthropologe Seine langjaumlh-rige Arbeit mit ethnischen Minderheiten wie Sinti und Roma Arbeitsmigranten und Staatenlosen macht ihn zu einem erfahrenen Koordinator der raquoStiftung zur Unter-stuumltzung und Entwicklung von Bildungs- und Sozial-projektenlaquo (raquoPSP-Fondlaquo) in Sankt Petersburg Auch fuumlr ihn zaumlhlt die aktive Aufklaumlrungsarbeit zu den wichtigs-ten Punkten seines zivilgesellschaftlichen Engagements Die juristische und psychologische Betreuung von Mig-ranten stehen neben der Sensibilisierung der russischen Bevoumllkerung im Zentrum seiner Arbeit Seiner Erfah-rung nach interessieren sich die OSZE und die UNO nur marginal fuumlr diese Themen also muumlssen die Pro-bleme der Arbeitsmigranten auf nationaler Ebene geloumlst werden Seine Kontakte zu verschiedenen Netzwerken in den Auswanderungslaumlndern helfen den Migranten sich schon vor der Einreise nach Russland auf den Aufenthalt vorzubereiten In der Zusammenarbeit von Staat und Experten sieht Jakimow eine Moumlglichkeit eine effek-tive Migrationspolitik zu entwickeln

fuumlr die Verbesserung der migrationspolitikAumlhnlich denken auch Wjatscheslaw Postawnin und Natalja Wlasowa die die Stiftung raquoMigrazija XXI weklaquo (raquoMigration im 21 Jahrhundertlaquo) gegruumlndet haben Sie selbst sind ehemalige Mitarbeiter des Foumlderalen Migra-tionsdienstes und kennen die staatliche Migrationspoli-tik von innen Die Regierung unter Putin scheint keiner-lei Loumlsungsansaumltze fuumlr die immer staumlrker zunehmende Xenophobie in Russland zu erarbeiten In den fuumlnf Jah-ren ihrer Existenz hat sich die Organisation in Mos-kau zu einem unabhaumlngigen intellektuellen und wissen-schaftlichen Zentrum entwickelt das Vorschlaumlge fuumlr die Verbesserung der staatlichen Migrationspolitik ausarbei-tet Diese Vorschlaumlge werden oft von der Administration des Praumlsidenten beruumlcksichtigt jedoch nicht sofort und ohne Nennung der Urheberschaft In Zusammenarbeit mit der Weltbank und dem Netzwerk raquoMirpallaquo (raquoMigra-tion and Remittance Peer-Assisted Learninglaquo) erstellt die Organisation Statistiken zu den Migrationsstroumlmen aus den GUS Staaten die oftmals stark von den offiziellen Zahlen des Foumlderalen Migrationsdienstes abweichen

fluumlchtlingsarbeitDie von Swetlana Gannuschkina einer wichtigen Men-schenrechtlerin in Russland 1990 mitbegruumlndete Orga-nisation raquoGrashdanskoje sodejstwijelaquo (raquoBuumlrgerhilfelaquo) beschaumlftigt sich nicht nur mit Arbeitsmigration sondern zu vier Fuumlnfteln mit Fluumlchtlingen Es war die erste Orga-nisation dieser Art in Moskau und wurde im Zusam-menhang mit dem Konflikt um Berg-Karabach und dem Krieg in Tschetschenien gegruumlndet um den Fluumlchtlin-gen aus diesen Regionen zu helfen Die Unterstuumltzung

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der Arbeitsmigranten umfasst juristische Konsultation und die Loumlsung administrativer Fragen z B bei nicht ausgezahlten Gehaumlltern Deportationen Einreisever-boten Die Organisation stellt juristischen Beistand bei unbegruumlndeten Klagen gegen Migranten hilft bei Kla-gen gegen Arbeitgeber wegen nicht ausgezahlter Loumlhne fuumlhrt ein Projekt gegen Hate Crimes durch und veran-staltet Spendenaktionen auf ihrer Webseite Besonders die aumlrztliche Versorgung ist wichtig da der staatliche Notdienst Migranten oft seine Hilfe verwehrt raquoGrash-danskoje sodejstwijelaquo arbeitet eng mit dem Fluumlchtlings-hilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) der Inter-nationalen Organisation fuumlr Migration (IOM) und mit dem Netzwerk raquoMigrazija i prawolaquo (raquoMigration und Rechtlaquo) einem Programm des Menschenrechtszentrums raquoMemoriallaquo zusammen Obwohl in der offiziellen Rhe-torik die Bedeutung der Migration fuumlr Russland unter-strichen wird (wie zum Beispiel in der raquoKonzeption der staatlichen Migrationspolitik 2025laquo) beobachtet man in der Praxis meist die stumme Hinnahme der Uumlber-griffe auf Arbeitsmigranten Nach dem Inkrafttreten des NGO-Gesetzes fand bei der Organisation eine Uumlberpruuml-fung durch die Staatsanwaltschaft statt Ob und wenn ja wie dieses Projekt weiterlaufen wird ist bis heute unklar

Arbeit mit fluumlchtlingskindernIm Rahmen der Organisation raquoBuumlrgerhilfelaquo gibt es zudem ein raquoZentrum fuumlr Integration und Unterricht fuumlr Fluumlchtlingskinderlaquo da das staatliche Programm mit dem Kinder mit Migrationshintergrund Russisch lernen nicht ausreichend ist

Aumlhnlich wie ihre Kollegen aus Moskau arbeiten die Freiwilligen des zivilgesellschaftlichen Projekts raquoDeti Peterburgalaquo (raquoKinder von Petersburglaquo) mit Kindern des-sen Eltern aus den unterschiedlichsten Gruumlnden nach Russland immigriert sind Zwei Projektkoordinatoren der Organisation raquo[Wahl]Beobachterlaquo Daniil Ljubarow und Irina Beljaewa haben 2012 raquoDeti Peterburgalaquo gegruumlndet Angefangen mit einem Angebot von Russisch-Grundkur-sen fuumlr Vorschuumller mit Migrationshintergrund hat sich dieses Programm mittlerweile so weit entwickelt dass Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre an sechs verschie-

denen Standorten in Sankt Petersburg an Russischkursen teilnehmen koumlnnen Bis 2014 hatte es noch nicht einmal feste Raumlumlichkeiten gegeben die Mitarbeiter der raquoDeti Peterburgalaquo organisierten sich ausschlieszliglich uumlber soziale Netzwerke Der virtuelle Raum verbindet diese Organi-sation auch mit anderen zivilgesellschaftlichen Projek-ten So zieht das Projekt nicht nur politische Aktivisten an sondern vor allem Paumldagogen Linguisten und Stu-denten die die Kurse vorbereiten und durchfuumlhren Der Aufbau von kreativen Zirkeln gehoumlrt genauso zur Arbeit von raquoDeti Peterburgalaquo wie die Koordination von Ausfluuml-gen in die Umgebung Museen oder Theatern Das Pro-jekt ist abhaumlngig von seinen Teilnehmern Die fehlen-den Sprachkenntnisse der Eltern fuumlhren oft zu groszligen Kommunikationsproblemen Aber auch die wechselnden und meist aumluszligerst schwierigen Arbeitszeiten der Eltern erschweren die Durchfuumlhrung des Projekts Die staumldti-sche Buumlrokratie versucht den Elan der Mitarbeiter zu bremsen Auch deshalb bleibt das Projekt nichtstaatlich

fazitMisstrauen gegenuumlber der Regierung soziale Probleme und Alltagsrassismus bewegen immer mehr Menschen dazu sich eigenstaumlndig mit der negativen Entwicklung beim Umgang mit Migranten zu beschaumlftigen Aus Inter-views mit den Mitarbeitern der verschiedenen Organisa-tion laumlsst sich schlieszligen dass eine russische Zivilgesell-schaft entstanden ist die die Migrationsfrage einerseits als Arbeit mit der Mehrheits- also russischen Bevoumllkerung betrachtet um diese zu sensibilisieren Anderseits gibt es Initiativen die vor allem konkrete Hilfe fuumlr Migranten leisten um deren alltaumlgliche Probleme zu minimieren

Die Zivilgesellschaft bemuumlht sich Vorurteile abzu-bauen die Migrationspolitik realistischer zu machen und Migranten wie Fluumlchtlingen konkrete Hilfestellung zu geben Die Behoumlrden sabotieren diese Arbeit In den Groszligstaumldten wird der Zuzug von Migranten restriktiv gehandhabt Arbeitgeber wissen um den oft schwierigen Status der Migranten und nutzen die Situation aus um die Migranten weiter auszubeuten Die Arbeit der Zivil-gesellschaft zur Sensibilisierung der russischen Bevoumllke-rung wird durch die offizielle Politik oft konterkariert

Uumlber die AutorenIm Rahmen des Projektkurses raquoZiviler Ungehorsam Gesellschaft und Staat in Osteuropalaquo reisten die Studierenden des Osteuropa-Instituts der Freien Universitaumlt Berlin Michael Bellmann und Kristina Arisov nach Moskau sowie Marina Grinfeld und Christina Huthmann nach St Petersburg um mit Aktivisten und Organisationen die sich fuumlr die Integration von Migranten in Russland einsetzen Interviews zu fuumlhren und die Position der Zivilgesellschaft zur Migrationsproblematik zu analysieren

Lesetippsbull Judah Ben Russiarsquos Migration Crisis in Survival 552013 Nr 6 S 123ndash131

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bull Malakhov Vladimir S Russia as a New Immigration Country Policy Response and Public Debate in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1062ndash1079

bull Schenk Caress Controlling Immigration Manually Lessons from Moscow (Russia) in Europe-Asia Studies 652013 Nr 7 S 1444ndash1465

bull Spahn Susanne Die gelenkte Xenophobie Migration und nationale Frage in Russland Russland nur fuumlr Russen in Osteuropa 642014 Nr 7 S 55ndash67

bull Tipaldou Sofia Katrin Uba The Russian Radical Right Movement and Immigration Policy Do They Just Make Noise or Have an Impact as Well in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1080ndash1101

UmFRAGE

Uumlber die zivilgesellschaft in russland

zur zivilgesellschaftlichen und politischen Aktivitaumlt der russen

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 15 stellen sie sich vor ihre nachbarn schlagen eine gemeinsame muumlllsammelaktion in der nahegelege-nen Parkzone vor Was waumlren sie bereit zu uumlbernehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator der Aktionwerden

An der Aktionmitwirken

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 16 haben sie im vergangenen halbjahrJahr hellip

0 20 40 60 80 100

hellip an den Aktivitaumlten einer non-profit Organisation teilgenommen als Freiwilliger gearbeitet

hellip sich mit gesellschaftlichen Problemen an ihrem Wohnort beschaumlftigt

hellip an Groszligveranstaltungen Demonstrationen Streiks Kundgebungen Umzuumlgen teilgenommen

Ja Keine Antwort Nein

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grafik 17 stellen sie sich vor dass es an ihrem Wohnort zu massenhaften Wahlfaumllschungen kommt irgend-jemand ruft zur Durchfuumlhrung von Protestaktionen gegen die Wahlfaumllschungen auf Was wuumlrden sie unternehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator dieser Aktionwerden

An dieser Protestaktionteilnehmen

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 18 Waren sie haben sie sich in den vergangenen einndashzwei Jahren hellip

0 20 40 60 80 100

hellip Mitglied einer politischen Partei

hellip Wahlbeobachter

hellip an der Arbeit einer Menschenrechtsorganisation beteiligt

hellip sich im Internet (in sozialen Netzwerken auf Foren) zu politischen Themen geaumluszligert

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

zur gesellschaftlichen Aktivitaumlt

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

grafik 19 haben sie persoumlnlich in den vergangenen zweindashdrei Jahren an der taumltigkeit einer gesellschaftlichen organisation teilgenommen Wenn ja wie genau (beliebige zahl an Antworten)

6

6

5

2

2

84

1

050

Habe an gesellschaftliche Organisationen gespendetoder andere materielle Hilfe geleistet

Habe an Wohltaumltigkeitsveranstaltungen teilgenommen(Konzerte Ausstellungen Wohltaumltigkeitslotterie Auktionen)

Habe Freiwilligenarbeit geleistet (kostenlos)

Habe gegen Entgelt in einer gesellschaftlichenOrganisation gearbeitet

Habe Informationen zu den Taumltigkeitenvon gesellschaftlichen Organisationen verteilt

Nicht teilgenommen

Anderes

Keine Antwort

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grafik 20 haben ihnen irgendwann einmal gesellschaftliche organisationen geholfen

0 20 40 60 80 100

Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja mit Geld geholfen Ja auf andere Weise geholfen Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

Die oumlffentliche meinung zu ngos mit auslaumlndischer finanzierung (April 2013)

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 21 mit welcher meinung zur taumltigkeit russischer ngos stimmen sie am ehesten uumlberein

Sie bringen einen groszligen Nutzen

4

Sie bringen mehr Nutzen als Schaden

15Sie bringen ebenso viel

Nutzen wie Schaden23

Sie bringen mehr Schaden als Nutzen

18

Sie bringen weder Nutzen noch Schaden

13

Keine Antwort27

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 22 ist es fuumlr sie wichtig ob eine russische menschenrechtsorganisation aus einheimischen oder auslaumln-dischen mitteln finanziert wird

Sehr wichtig10

Eher wichtig34

Nicht besonders wichtig24

Vollkommen unwichtig18

Keine Antwort14

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 25

grafik 23 Welche ziele verfolgen westliche laumlnder und organisationen die russische ngos mit mitteln aus-statten

Einen verstaumlrkten Einfluss auf die russische

Innenpolitik42

Einen Kampf gegen den russischen Staat

19Eine Unterstuumltzung der

russischen Zivilgesellschaft

8

Kein besonderes Ziel russische NGOs werden wie andere aus standardisierten

internationalen Programmen unterstuumltzt

12

Keine Antwort19

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 24 Duumlrfen organisationen die sich mit dem schutz der Buumlrgerrechte beschaumlftigen und den staat kriti-sieren das recht haben mittel aus dem Ausland zu beziehen

Ja20

Nein56

Keine Antwort24

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 25 Unterstuumltzen sie harte sanktionen gegen ngos die einer politischen taumltigkeit nachgehen und gelder aus dem Ausland erhalten sich aber nicht nach dem gesetz als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren

Auf jeden Fall20

Eher ja32

Eher nein15

Auf keinen Fall5

Keine Antwort28

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 26

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RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 27

luumlgen des fernsehkanals ntV und Beanstandungen des Justizministeriums erklaumlrung des menschenrechtszentrums memoriAl und der russischen gesellschaft

memoriAl

Die Behauptung bei NTV das russische Justizministerium habe die Liquidierung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL eingeleitet fuumlhrte heute zu etlichen Irritationen Das Menschenrechtszentrum und die Russische Gesell-schaft MEMORIAL (die Dachorganisation der russischen Memorial-Verbaumlnde) haben aus diesem Anlass nachste-hende Erklaumlrung abgegeben

Am 10 Oktober strahlte NTV unter dem Titel raquoAuszligergewoumlhnliches Ereignislaquo eine Sendung aus die aus boumlswil-ligen Luumlgen aber auch aus Fehlinformationen in Folge von Unkenntnis bestand

Die Arbeit des Menschenrechtszentrums MEMORIAL als Unterstuumltzung von Extremisten und Terroristen dar-zustellen ist eine infame Luumlge Auf Unkenntnis basiert hingegen die Behauptung das Justizministerium habe des-halb den Antrag gestellt das Menschenrechtszentrum MEMORIAL zu liquidieren

In Wirklichkeit hat das Justizministerium beim Obersten Gericht der Russischen Foumlderation nicht die Aufloumlsung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL beantragt Es geht hier vielmehr um eine andere Organisation naumlmlich die Russische Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIAL

Die russische Gesellschaft MEMORIAL wurde vom Justizministerium bereits 1992 registriert Bis heute befinden sich unter ihrem Dach verschiedene Memorial-Verbaumlnde die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen

Im Jahre 2012 20 Jahre nach der ersten Registrierung tauchten beim Justizministerium ploumltzlich Zweifel hin-sichtlich des russischen Rechtsstatus von Memorial auf obwohl der Gesellschaft praktisch dieselben regionalen Ver-baumlnde angehoumlren wie zuvor und sich die Gesetzeslage in dieser Frage in keinem Punkt geaumlndert hatte

Geaumlndert hat sich allerdings die Position des Justizministeriums das erneut einen raquodemokratischen Zentralismuslaquo anstrebt der nach der Abschaffung der fuumlhrenden Rolle der KPdSU nicht mehr aktuell schien Heute erklaumlrt das Jus-tizministerium nur jene gesellschaftlichen Vereinigungen koumlnnten der Russischen Gesellschaft MEMORIAL ange-houmlren die in ihrer Bezeichnung die Worte raquoVerband (otdelenie) der Russischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklauml-rung Sozialarbeit und Menschenrechte MEMORIALlaquo tragen

Die gesetzliche Vorschrift dass eine Organisation nur dann einen gesamtrussischen Status haben kann wenn sie in uumlber der Haumllfte der Foumlderationssubjekte Verbaumlnde unterhaumllt legt das Justizministerium jetzt dahingehend aus dass diese Verbaumlnde zwangslaumlufig einen Status als Regionalverbaumlnde haben muumlssten Das Vorhandensein von Stadt- und Bezirksverbaumlnden einer Organisation reicht die Beamten als Beleg dafuumlr nicht aus dass die Organisation in der betreffenden Region taumltig ist

Die Vorbehalte des Justizministeriums entbehren jeglicher Grundlage Nicht zufaumlllig erhielten wir auf Anfragen keine Hinweise auf eine Gesetzesnorm Es ist fuumlr uns inakzeptabel dass das Justizministerium das von der Verfas-sung garantierte Recht von Buumlrgern eine Vereinigung zu bilden gesetzwidrig einschraumlnken will Deshalb hat sich die Russische Gesellschaft MEMORIAL bereits 2012 entschlossen vor Gericht zu gehen

Einen Hinweis auf ein Gesetz haben wir auch nicht erhalten als wir 2013 die Forderungen des Justizministeriums im Moskauer Zamoskvorezki-Bezirksgericht und danach im Stadtgericht angefochten haben Beide Instanzen gaben wie nicht anders zu erwarten dem Justizministerium Recht Deshalb wird die Russische Gesellschaft MEMORIAL in Kuumlrze Klage beim Verfassungsgericht einreichen

Was den Antrag des Justizministeriums betrifft so hoffen wir dass das Oberste Gericht bei Behandlung dieses Antrags dem Gesetz und der Verfassung mehr Respekt entgegenbringen wird als die untergeordneten Gerichtsinstanzen

10 Oktober 2014Quelle Website von Memorial Deutschland lthttpwwwmemorialdeindexphpid=42amptx_ttnews[tt_news]=546amptx_ttnews[backPid]=3ampcHash=5bbe9b235a03fe09cba52ed5c8786b99gt

DOkUmENtAtION

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NOtIzEN AUS mOSkAU

Petersburger DialogJens Siegert Moskau

Auf den ersten Blick sieht es so aus als ob ein (egal ob nun willentlich oder nicht) an die Oumlffentlich-

keit gelangter Brief einiger regelmaumlszligiger Teilnehmer des Petersburger Dialogs (PD) aus den Reihen deutscher NGOs an Bundeskanzlerin Merkel und Auszligenminis-ter Steinmeier die Verschiebung des fuumlr Ende Oktober in Sotschi geplanten groszligen Jahrestreffens verursacht haumltte In dem Brief bekraumlftigten die Autoren ihre nicht neue Kritik am PD und erklaumlrten warum sie dieses Jahr nicht teilnehmen wuumlrden Sie betonen dass die Absage kein Boykott sei und bieten ihrerseits einen Dialog zur Reform des Dialogs an Auf den zweiten Blick war der Brief selbstverstaumlndlich nur Anstoszlig aber nicht Grund fuumlr die Verschiebung Doch der Reihe nach

Die in dem Brief geaumluszligerte Kritik am PD ist wie gesagt nicht neu sie hat sie den PD von Anfang an begleitet Das liegt sicher auch an einem bis heute nicht korrigierten Geburtsfehler Ein durch Staats- und Regie-rungschefs initiierter raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo ist schon etwas verquer Das heiszligt nicht dass das nicht gehen koumlnnte Doch dazu haumltten sich die hochgestell-ten Initiatoren (der damalige russische Praumlsident und der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schrouml-der) und ihre (Interims-)Nachfolger spaumlter zuruumlckziehen muumlssen Das haben sie nicht Daran sind sie nicht (allein) Schuld Es war der PD der durch seine Lenkungsor-gane die enge zeitliche und oumlrtliche Verbindung mit den deutsch-russischen Regierungskonsultationen und die zeitweilige Anwesenheit von Praumlsident und Kanzlerin zum Grundstein seiner Wirkungsmaumlchtigkeit erklaumlrte

Auf deutscher Seite wurde versucht dieses Problem organisatorisch sozusagen oumlffentlich-rechtlich zu loumlsen indem moumlglichst alle interessierten politischen Spektren und gesellschaftlichen Gruppen am sogenannten Len-kungsausschuss beteiligt wurden Das gelang zumindest so gut dass es soweit mir bekannt bis heute keine grouml-szligeren Klagen uumlber Nichtberuumlcksichtigung oder Nicht-beteiligung gab Aber die Bundesregierung behielt weit-gehenden Einfluss nicht zuletzt uumlber den alljaumlhrlich sechsstelligen Zuschuss fuumlr die Durchfuumlhrung der Jah-restreffen Auszligerdem wurde der jeweilige Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses zwar nach Abstim-mungen mit den Beteiligten aber letztlich durch den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin bestimmt

In Russlands ist die Sache einfacher Von Anfang an wurde und wird gemacht wird was der Kreml will Schon der erste Vorsitzende des russischen Lenkungs-ausschusses Michail Gorbatschow (immerhin selbst ein ehemaliger Praumlsident) war wie er selbst einmal bekannte

nicht mehr als ein ndash schoumlne Ruumlckuumlbertragung aus dem Russischen ndash raquoSitz-Praumlsidentlaquo Der jetzige Vorsitzende Wiktor Subkow war Datschennachbar von Putin ers-ter stellvertretender Ministerpraumlsident und ist nun Auf-sichtsratsvorsitzender von Gazprom

Die Kritik dass nur eine Simulation eines raquozivilge-sellschaftlichen Dialogslaquo stattfinde wurde von einigen deutschen Teilnehmern bereits auf dem ersten Jahres-treffen des PD im April 2001 in St Petersburg geaumluszligert Es fehlten auf russischer Seite (in der seinerzeit noch ver-einigten Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo) Vertreter russischer NGOs Die Kritik kam an In Russ-land fuumlhrte sie (ohne dass ich hier jetzt ausfuumlhren kann wie) zum ersten Versuch des Kremls auch unabhaumln-gige NGOs in das korporative System der gelenkten Demokratie zu zwingen Der Versuch misslang weitge-hend und muumlndete in einer Art Waffenstillstand und der Gruumlndung eines raquoMenschenrechtsrats beim Praumlsi-dentenlaquo unter Einbeziehung von Vertretern unabhaumlngi-ger NGOs Beim PD wurde die Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo in ihre zwei Namensbestandteile geteilt und es gelang uumlber die Jahre in immer wieder unternommenen Anstrengungen auch die Teilnahme unabhaumlngiger russischer NGO-Vertreter durchzuset-zen Etwas spaumlter wurde diese Teilnahme sogar vor-sichtig institutionell abgesichert indem erst Ella Pam-filowa und spaumlter ihr Nachfolger Michail Fedotow als Vorsitzende des inzwischen zum raquoZivilgesellschaftsratlaquo umbenannten raquoMenschenrechtsratslaquo zu den russischen Koordinatoren der Arbeitsgruppe raquoZivilgesellschaftlaquo mit Einladungsrecht wurden (wobei die Einladungen selbst-verstaumlndlich mit der Praumlsidentenadministration abge-stimmt werden muumlssen) Das ist bis heute so

Die Verfasser des Briefes (zu denen ich bekenne mich auch ich gehoumlre) allesamt langjaumlhrige Teilneh-mer der Jahrestreffen des PD haben all die Jahre immer wieder auch oumlffentlich uumlber den Sinn und Unsinn ihrer Teilnahme und Unterstuumltzung diskutiert Letztendlich uumlberwogen die ganze Zeit uumlber zwei Uumlberlegungen Ers-tens ist ein Dialog auch und gerade auf offizieller Ebe-nen und mit offiziellen Vertretern des russischen Staates (wie auch mit Wissenschaftlern Unternehmern Journa-listen Priestern usw welcher politischen Couleur auch immer sie sein moumlgen) erst einmal besser als kein Dia-log Zweitens gingen wir all die Jahre davon aus dass die nicht ohne Muumlhen erreichte Teilnahme unabhaumln-giger russischen NGO-Vertreter fuumlr sie ihre Organisa-tionen aber auch die russische NGO-Szene insgesamt zumindest einen kleinen zusaumltzlichen Schutz gegen die

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seit Putins Amtsantritt immer wieder uumlber das Land gehenden Repressionswellen bietet1 Was hat sich dieses Jahr geaumlndert Erst einmal nicht

so viel gegenuumlber dem Vorjahr Es war schon immer siehe oben eine schwierige Abwaumlgung ob die Teil-nahme am PD sich lohnt oder nicht vielmehr dazu beitraumlgt so zu tun als gaumlbe es in Russland die unein-geschraumlnkte und ungefaumlhrdete Moumlglichkeit sich zivilgesellschaftlich auch dort zu engagieren wo es dem Staat weh tut Zwei Ereignisse haben nun aber zumindest fuumlr die Autoren des Briefes das Pen-del zur anderen Seite ausschlagen lassen Die Kon-frontation zwischen dem Westen (ich weiszlig um die Bedingtheit des Begriffs verwende in der Kuumlrze hal-ber aber trotzdem) und Russland im Konflikt in der und um die Ukraine ist nicht einfach die Fortset-zung schon laumlnger existierender raquoMeinungsverschie-denheitenlaquo Sie ist tiefer und prinzipieller Es geht eben im Kern nicht in erster Linie um Geopolitik sondern wieder einmal um ich fuumlrchte hier weder den Pathos noch historische Analogien Freiheit und Demokratie in Europa

2 Die Repressionen gegen russische NGOs unsere prinzipiellen Partner in der Verteidigung von Demo-kratie und Freiheit haben mit dem sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo eine neue Qualitaumlt erreicht 15 NGOs sind inzwischen zwangsweise zu raquoauslaumln-dischen Agentenlaquo erklaumlrt worden anderen droht die Schlieszligung aufgrund anderer Gesetze Einige von ihnen waren sogar zum nun verschobenen Treffen in Sotschi eingeladen Sie mussten sich Gedanken machen ob eine Zusage oder eine Absage ihnen nicht schaden koumlnnte

Unter diesen Umstaumlnden halten die Verfasser des Brie-fes ihre Teilnahme am PD fuumlr nicht mehr moumlglich Sie fordern keinen Boykott wohl aber ein Nachdenken uumlber eine tiefgreifende Reform

Der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses Lothar de Maiziere hat in einem eigenen offenen Brief geantwortet und den Verfassern vorgeworfen den Dia-log verweigern und politisieren zu wollen Diese (Gegen-)Klage scheint mir angesichts der vielfaumlltigen Verbindun-gen und Dialogformen die die Organisationen hinter den Unterzeichnern des Briefes seit vielen Jahren und oft laumlnger als der PD organisieren an denen sie teil-nehmen und die sie foumlrdern nicht sonderlich stichhal-tig Doch die Auseinandersetzung geht tiefer De Mai-ziere behauptet in seinem Brief der PD mache bereits all das was die Kritiker fordern Genau das bezweifeln diese aber Die Auseinandersetzung geht also und vor allem darum was ein fruchtbarer Dialog zu leisten im Stande sein kann und leisten sollte Sie geht aber auch darum ob dieser Dialog zwischen zwei Gesellschaf-

ten stattfindet nach dem Motto hier die eine dort die andere oder ob sich die Seiten bei diesem Dialog inei-nander verschraumlnken

Die Verfasser des Briefes sind ganz offensichtlich mit ihrer Kritik nicht allein Schon bevor der Brief oumlffent-lich bekannt wurde hatten die Bundestagsabgeordne-ten Andreas Schockenhoff (CDUCSU) und Marieluise Beck (Buumlndnis 90 Die Gruumlnen) in oumlffentlichen Stel-lungnahmen Aumlhnliches gefordert und auch ihre Nicht-Teilnahme erklaumlrt Etwas spaumlter wurde bekannt dass auch der Russland-Beauftragte der Bundesregierung Gernot Erler nicht nach Sotschi fahren wollte Mehr noch Bereits seit dem Fruumlhsommer gab es Gespraumlche zwischen Kanzleramt und Auswaumlrtigem Amt mit dem Ziel den PD sowohl personell als auch strukturell zu reformieren Allerdings setze sich augenscheinlich die Sichtweise des Auswaumlrtigen Amtes durch alles vorerst beim Alten zu belassen da es auch so schon genug Pro-bleme im deutsch-russischen Verhaumlltnis gebe und man diesen Kanal nicht auch noch belasten oder gar gefaumlhr-den solle

Doch zum Herbst hat sich die Situation noch ein-mal veraumlndert Die Hoffnung die russische Fuumlhrung um Praumlsident Putin werde im Krieg in der Ostukraine ein-lenken ist selbst im Auswaumlrtigen Amt bis in die Spitze kaum noch zu finden Im Sommer bekam das russische Justizministerium zudem per erneuter Gesetzesaumlnde-rung das Recht NGOs zwangsweise zu raquoAgentenlaquo zu erklaumlren und macht seither rege Gebrauch davon Eine ganze Reihe russischer NGOs steht vor der Schlieszligung oder loumlst sich auf weil ihnen die vom Gesetz geforderte Selbstetikettierung als raquoauslaumlndische Agentenlaquo ethisch rechtlich und praktisch unmoumlglich ist

Es sieht so aus als haumltten die Verfasser des Briefes nur eine Tuumlr geoumlffnet hinter der andere darunter die Kanzlerin nur darauf gewartet haben durch sie hin-durch gehen zu koumlnnen ohne selbst der Tuumlroumlffnung geziehen zu werden

Ein wenig verwundert die erstaunlich milde russi-sche Reaktion Nach der kurzen Drohung eine Verschie-bung bedeute das Ende des PD lenkte Putin im Telefo-nat mit Merkel ein und fand tags darauf sogar oumlffentlich verstaumlndnisvolle Worte fuumlr die raquoProbleme der deutschen Seitelaquo Das duumlrfte zwei Gruumlnde haben Der eine ist dass trotz des haumlufiger gewordenen Deutschland-Bashings im russischen Staatsfernsehen (mit dem Ergebnis dass in Umfragen Deutschland aus der Kategorie raquoFreundlaquo in die Kategorie raquoFeindlaquo abgerutscht ist) Deutschland im Kreml immer noch als wichtigster raquostrategischerlaquo Part-ner im Westen und vor allem in der EU gilt Zudem ist Deutschland zweifellos ein Land dessen oumlffentliche Meinung (und damit Politik) aus russischer Sicht durch-aus beeinflussbar ist (was z B die kolportierten rund

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140 Millionen US-Dollar zum Aufbau eines deutsch-sprachigen Programms des staatlichen Auslandsfernse-hens raquoRussia Todaylaquo zeigen)

Der andere liegt in einem erneuten Strategiewech-sel (oder weniger ambitioniert Wechsel der Taktik) im Ukraine-Konflikt Die Sanktionen beiszligen inzwi-schen kraumlftig Die Rhetorik wurde daher gemildert Der Kreml ist ganz auf Frieden und dieser Ausdruck aus dem Sport sei erlaubt Ergebnissicherung bedacht (was uumlbrigens Putins grundsaumltzlicher Taktik auch im Inne-ren Russlands entspricht erst hart zuzuschlagen dann eine Schritt zuruumlck zu gehen und einen Kompromiss zu suchen nach dem es fuumlr seine Gegner nachher schlech-ter steht als vorher) Neues Ziel scheint nun also zu sein die raquoErrungenschaftenlaquo Krim (als Teil Russlands) und raquoNeurusslandlaquo (als neuen raquoFrozen Conflictlaquo) zu fixieren und trotzdem mit dem Westen wenn schon nicht gut-freund zu werden so doch zumindest erneut zu einem einigermaszligen vertraumlglichen Modus Vivendi zu gelan-gen Das Gas duumlrfte nach den Mailaumlnder Gespraumlchen

und bei allem Geknurre im Winter stroumlmen und auch im Nahen Osten stellt Moskau weniger Widerspenstig-keit in Aussicht

Was heiszligt das fuumlr die Zukunft des PD Erstmal ist sie offen Zuerst muss sich die deutsche Seite neu ord-nen (hier hat Putin sogar Recht) Nachdem sich Angela Merkel persoumlnlich um eine russische Akzeptanz fuumlr die Verschiebung von Sotschi bemuumlht hat kann ich mir allerdings nicht vorstellen dass es in einigen Wochen oder Monaten ein Zuruumlck zum status quo ante gibt Ob und wie sich ein neu aufgestellter deutscher Lenkungs-ausschuss mit einem neuen Konzept mit der russischen Seite verstaumlndigen kann laumlsst sich momentan kaum voraussagen Es ist zwar einen Versuch wert haumlngt aber wohl sehr von der dann herrschenden politischen Groszlig-wetterlage ab

Diesen und andere Texte finden Sie auf Jens Siegerts Russ-landblog lthttprusslandboellblogorggt

Lesetippbull Poumlrzgen Gemma Dringend reformbeduumlrftig Der Petersburger Dialog auf dem Pruumlfstand in Osteuropa 602010

Nr 10 S 59ndash81

DOkUmENtAtION

Briefwechsel uumlber die zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo

schreiben von nichtregierungsorganisationen und einzelpersonen an die Bundeskanzlerin und den Auszligenminister zum raquoPetersburger Dialoglaquo 2 oktober 2014 [nachtraumlglich veroumlffentlicht]

Berlin 02 Oktober 2014Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerals Personen die sich seit vielen Jahren intensiv im zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland engagieren wenden wir uns mit diesem Schreiben an Sie um zu erlaumlutern warum wir uns in diesem Jahr nicht am Petersburger Dialog beteiligen koumlnnen Zugleich moumlchten wir fuumlr eine Erneuerung des Petersburger Dialogs werben

In Reaktion auf die politische Wende in der Ukraine die durch eine breite gesellschaftliche Protestbewegung hervor-gerufen wurde hat die russische Fuumlhrung voumllkerrechtswidrig die Krim annektiert und einen unerklaumlrten Krieg neuen Typs im Osten der Ukraine begonnen Zugleich betreibt die Regierung unter Praumlsident Putin die systematische Ausschal-tung der letzten unabhaumlngigen Medien in Russland die Kriminalisierung aller Formen politischer Opposition und die Diskreditierung unabhaumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen als raquoauslaumlndische Agentenlaquo Mittlerweile wurden 12 russische Nichtregierungsorganisationen vom russischen Justizministerium zwangsweise auf die Liste raquoauslaumlndischer Agentenlaquo gesetzt und sind daher zukuumlnftig verpflichtet sich bei jeder oumlffentlichen Aumluszligerung wahrheitswidrig selbst als solche zu bezichtigen Zehn dieser Organisationen spielen in der deutschrussischen zivilgesellschaftlichen Zusammen-arbeit seit Jahren eine wichtige Rolle einige von ihnen haben mehrfach am Petersburger Dialog teilgenommen Gegen einige von ihnen sind bereits existenzbedrohende Strafgelder wegen Verstoszliges gegen das sog Agentengesetz verhaumlngt

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worden Es drohen Organisationsschlieszligungen und die Kriminalisierung der Vorstaumlnde Unter diesen inneren und aumluszlige-ren Bedingungen koumlnnen wir uns nicht an einer Neuauflage des Petersburger Dialogs in der bisherigen Form beteiligen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerder seinerzeit von Bundeskanzler Schroumlder und Praumlsident Putin initiierte Petersburger Dialog konnte die ihm zuge-

dachte Aufgabe zu einer Vertiefung und Verbreiterung der gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland beizutragen auch in den vergangenen Jahren nur sehr bedingt erfuumlllen Dies lag vor allem an der starken Naumlhe des Fuumlhrungspersonals auf der russischen Seite zum politischen Machtzentrum im Kreml die von Beginn an den Eindruck einer raquovon obenlaquo inszenierten und kontrollierten Veranstaltung naumlhrte Doch auch auf deutscher Seite wird der Petersburger Dialog bis heute von Personen dominiert die aus politischer und oumlkonomischer Opportunitaumlt dazu neigen Kritik am Kurs der russischen Fuumlhrung als Stoumlrung der raquodeutsch-russischen Freundschaftlaquo zu betrachten Zeit-weise kam es zu der paradoxen Situation dass kritische Aumluszligerungen zu Menschenrechtsverletzungen in Russland oder zum Vorgehen des Kremls gegenuumlber Georgien aus den Reihen der deutschen Delegation als raquoKalte-Kriegs-Rhetoriklaquo verteufelt wurden Nuumlchtern betrachtet waren die kritischen Stimmen aus der russischen und deutschen Zivilgesell-schaft in den letzten Jahren nur eine geduldete Minderheit die dem Petersburger Dialog den Anschein von Pluralis-mus und offener Diskussion verschaffte Ungeachtet dieser Kritik haben wir uns in der Vergangenheit am Petersburger Dialog beteiligt da wir grundsaumltzlich jedes Dialogpotenzial nutzen wollen und uns von der gemeinsamen Beteiligung mit unseren Partnern aus der russischen Zivilgesellschaft eine politische Absicherung dieser Zusammenarbeit erhofften

Diese ohnehin schwachen Hoffnungen wurden durch die Entwicklungen in diesem Jahr zerstoumlrt Vertreter unab-haumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen die auf der russischen Seite zum Petersburger Dialog eingeladen wer-den sind angesichts der politischen und juristischen Bedrohung der sie ausgesetzt sind in ihrer Entscheidung uumlber ihre Teilnahme nicht mehr frei Wenn sie der Einladung nicht folgen muumlssen sie weitere Repressalien befuumlrchten Uns denen die Freiheit der Entscheidung gegeben ist ist es nicht moumlglich durch Teilnahme am Petersburger Dialog in Sot-schi an der Aufstellung einer Potemkinschen Fassade namens raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo mitzuwirken waumlhrend die kritischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Russland als raquoAgentenlaquo diskreditiert und vielfach drangsaliert werden

Zugleich moumlchten wir unsere Bereitschaft unterstreichen an einer Reform des Petersburger Dialogs in organisa-torischer inhaltlicher und personeller Hinsicht mitzuwirken Eine solche Reform sollte darauf ausgerichtet sein uumlber die Auswahl der Formate Themen und Teilnehmer die tatsaumlchliche Lage der russischen Zivilgesellschaft in den Mit-telpunkt der Diskussion zu ruumlcken und einen offenen Dialog zu ermoumlglichen Wir sind ganz damit einverstanden dass gerade in kritischen Zeiten die Zusammenarbeit zwischen der russischen und deutschen Zivilgesellschaft gestaumlrkt wer-den muss Sofern der Petersburger Dialog in Zukunft dafuumlr ein Forum bietet werden wir uns gern daran beteiligen[Unterzeichner nicht veroumlffentlicht]Quelle Website der Boumlll-Stiftung lthttpwwwboelldede20141013reform-petersburger-dialog-ueberfaelliggt

offener Brief an den Vorsitzenden des Petersburger Dialogs lothar de maiziegravere vom 10 oktober 2014

- Offener Brief -HerrnDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des VorstandsPetersburger Dialog eVSchillerstraszlige 5910627 Berlin

Berlin 10 Oktober 2014Petersburger Dialog 2014 in SotschiSehr geehrter Herr de Maiziegravereals Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher zivilgesellschaftlicher Organisationen die seit der Gruumlndung des Petersburger Dialogs 2001 uumlber viele Jahre hinweg an dieser Veranstaltung teilgenommen haben moumlchten wir Ihnen gegenuumlber folgende Erklaumlrung abgeben

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Wir haben uns entschieden am 14 Petersburger Dialog in Sotschi nicht teilzunehmen der fuumlr den 29ndash31 Okto-ber angekuumlndigt worden ist Fuumlr diese Entscheidung die wir sorgfaumlltig diskutiert und abgewogen haben moumlchten wir drei Gruumlnde anfuumlhren1 Der Petersburger Dialog in seiner jetzigen Form steckt in einer Krise Von Jahr zu Jahr wird er seinem eigenem

Anspruch weniger gerecht Die Veranstaltung soll dem zivilgesellschaftlichen Dialog dienen Tatsaumlchlich sind Struktur Nominierungsverfahren und Programm des Petersburger Dialogs maszliggeblich von Akteuren aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert Unter diesen Voraussetzungen erfuumlllt der Petersburger Dialog leider nicht sein in seiner Satzung formuliertes Ziel ein raquooffenes Diskussionsforumlaquo zu sein das die raquoVerstaumlndigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Laumlnderlaquo foumlrdert Der Petersburger Dialog bedarf dringend einer grundlegenden Reform wie sie auch CDUCSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 eingefordert haben Gerne wuumlrden wir uns aktiv an einem Prozess zur Reformierung des Petersburger Dialogs beteiligen der auf eine pluralistische Zusam-mensetzung beider Lenkungsausschuumlsse und eine deutlich staumlrkere Ausrichtung auf unabhaumlngige zivilgesellschaft-liche Akteure zielt ohne den interdisziplinaumlren Ansatz der Veranstaltung aufzugeben

2 Die Situation in der sich Teile der Zivilgesellschaft in Russland befinden erfuumlllt uns mit groszliger Sorge Das betrifft auch Partnerorganisationen und Personen mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten Diese Organisa-tionen uumlben fuumlr Russland und daruumlber hinaus wichtige gesellschaftliche Funktionen aus Die Behinderung ihrer Arbeit durch buumlrokratische Huumlrden aber auch durch willkuumlrliche rechtliche Restriktionen und politische Diffa-mierung sind inakzeptabel Daruumlber koumlnnen wir nicht zur Tagesordnung uumlbergehen Wir wollen nicht zu Kron-zeugen fuumlr einen vorgeblich freien Austausch werden waumlhrend zugleich die kritische Zivilgesellschaft in Russland massiv und systematisch unter Druck gesetzt wird

3 In Teilen der Ukraine herrscht ein Kriegszustand fuumlr den die russische Fuumlhrung eine maszliggebliche Verantwor-tung traumlgt Wichtige Vertreter dieser Fuumlhrung spielen eine Schluumlsselrolle im Petersburger Dialog einschlieszliglich des fruumlheren Ersten Stellvertretenden Ministerpraumlsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden von Gazprom Wiktor Subkow der der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs ist Vor diesem Hin-tergrund moumlchten wir nicht durch unsere Teilnahme dazu beitragen dass eine Normalitaumlt in den deutsch-russi-schen Beziehungen simuliert wird die es derzeit wegen des Angriffs auf die politische Souveraumlnitaumlt und territo-riale Integritaumlt der Ukraine nicht geben kann

Wir waren und sind weiter sehr an einem offenen Dialog uumlber deutsch-russische Belange in einem gesamteuropaumli-schen Kontext interessiert und halten ihn fuumlr eine Bedingung guter Nachbarschaft und Kooperation Ein solcher Dia-log muss aber auch von beiden Seiten gewollt und ermoumlglicht werden Er darf zugleich nicht zum Nachteil Dritter gefuumlhrt werden Angesichts der aktuellen Lage und der bereits bekannt gewordenen Programmvorschlaumlge fuumlr Sotschi sehen wir auch diese Voraussetzung gefaumlhrdet

Dessen ungeachtet werden wir jede Moumlglichkeit nutzen unsere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Grup-pen und anderen Akteuren in Russland zu vertiefen und dieses Potential in einen bilateralen und europaumlischen Dia-log einzubringenMit freundlichen GruumlszligenRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter Politik Greenpeace eVQuelle lthttpwwwaustauschorgaktuelle-meldungennewsdetailarticle1offener-brie-1htmlno_cache=1ampcHash=0428c5bffdgt

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offener Brief des Vorsitzenden des Petersburger Dialogs vom 13 oktober 2014

AnRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich-Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace eVBerlin 13 Oktober 2014Ihr Schreiben vom 10 Oktober 2014Sehr geehrte Damen und HerrenIhren offenen Brief habe ich erhalten Dass Sie einen Brief aumlhnlichen Inhalts zunaumlchst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Auszligenminister verschickt haben verwundert mich Sie geben damit fuumlr die zivilgesell-schaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung die Sie fuumlr die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren

Ihre Nichtbeteiligung am Petersburger Dialog bedaure ich Denn es entspricht der Uumlberzeugung der meisten Mit-glieder des Vorstandes und des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs dass gerade angesichts zweifellos vorhan-dener Probleme fuumlr die Zivilgesellschaft die Sie teilweise benennen die offensive Auseinandersetzung zu solchen The-men gesucht werden muss Indem man sich solchen Gespraumlchen entzieht schadet man den Interessen der Betroffenen

Sie schreiben der Petersburger Dialog sei im Inneren zu reformieren da er von Vertretern aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert sei Diese Feststellung ist falsch und Sie wissen das Das auch in der Satzung des Petersbur-ger Dialogs beschriebene Konzept des Dialogs beruht auf einem breiten Gedankenaustausch aller gesellschaftlichen Kraumlfte Dazu gehoumlren die Bereiche Kultur Medien Bildung Wissenschaft und Kirchen genauso wie zahlreiche im Bereich der politischen sowie der sozialen Menschenrechte engagierte Einrichtungen die in ihrer Gesamtheit das deutsch-russische Verhaumlltnis beleben

Sie versuchen in Ihrem Brief den Petersburger Dialog auf das enge Feld einiger Vertreter der Zivilgesellschaft zu reduzieren die jenseits der korporierten Zivilgesellschaft angesiedelt sind und deren Interessenspektrum nur einen Teil des gesamten zivilgesellschaftlichen Engagements abdeckt

Ich verkenne nicht die ndash auch aber nicht nur ndash in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu Tage getretenen Probleme sowie die unterschiedlichen Folgen die sich aus einer raquogelenkten Demokratielaquo die in vielem nicht westli-chen Standards entspricht ergeben Dennoch Gemessen an weiten Bereichen der russischen Geschichte ist die Ent-wicklung seit 1991 ein Fortschritt Das daraus resultierende wenn auch im letzten Jahr stark eingetruumlbte Vertrauens-potential muss fuumlr die auf vielen Ebenen notwendigen Gespraumlchsforen genutzt und ausgebaut werden

Derartige Gespraumlche bedingen genauso Realismus wie intellektuelle Disziplin wozu auch gehoumlrt zu verstehen wie Russland die Probleme versteht Dies ndash und nicht Gespraumlchsverweigerung ndash ist die Voraussetzung um auf allen demokratischen gesellschaftlichen Ebenen ndash vom politischen Machtzentrum bis in die Randgruppen hinein ndash pro-blemorientierte Gespraumlche fuumlhren zu koumlnnen Dabei darf keine Seite fuumlr sich in Anspruch nehmen legitimere Inte-ressen zu vertreten als die andere

Das heiszligt Ein Gespraumlch raquoauf Augenhoumlhelaquo nicht von oben herab nicht moralisch belehrend aber mit klaren und ehrlichen Argumenten Dabei duumlrfen wir nicht verschweigen welche gesetzgeberischen aber auch politisch-morali-schen Standards wir fuumlr eine demokratische Gesellschaft im europaumlischen Kontext fuumlr unabdingbar halten

Der Petersburger Dialog wurde aus guten Gruumlnden als deutsch-russische Gemeinschaftseinrichtung konzipiert Da ist eine ndash oft muumlhsame ndash Kompromissfindung unausweichlich Dies ist Teil des Wertes auch der Tiefe aber auch der moralischen Qualitaumlt des Dialogs Das Ringen um kompromissfaumlhige Konzepte muss unser Anliegen bleiben nicht Vorverurteilung und GespraumlchsablehnungMit freundlichem GruszligDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des Vorstands Petersburger Dialog e VQuelle Website des Petersburger Dialogs lthttpwwwpetersburger-dialogcomoffener-brief-vom-13-oktober-2014gt

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offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

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9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

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14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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Die Russland-Analysen werden von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und von Mangold Consulting GmbH unterstuumltzt

Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

Abdruck und sonstige publizistische Nutzung sind nach Ruumlcksprache mit der Redaktion gestattetVerantwortlicher Redakteur Hans-Henning Schroumlder

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ISSN 1613-3390 copy 2014 by Forschungsstelle Osteuropa BremenForschungsstelle Osteuropa bull Publikationsreferat bull Klagenfurter Str 3 bull 28359 Bremen bull Telefon +49 421-218-69600 bull Telefax +49 421-218-69607

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 40

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Die einzelnen Laumlnder-Analysen werden von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und der Deutschen Gesellschaft fuumlr Osteuropakunde jeweils mit unterschiedlichen Partnern und Sponsoren herausgegeben

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                              • Dokumentation
                                • Luumlgen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des JustizministeriumsErklaumlrung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL
                                  • Notizen aus Moskau
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                                        • Briefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo
                                          • Chronik
                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 14: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 14

ANALYSE

zivilgesellschaft und staat in russlandPavel Chikov Moskau

zusammenfassungDie Zivilgesellschaft befindet sich heute in Russland in einem schlechten Zustand Sie entwickelte sich Ende der 1980er Jahre und genoss bis Ende der 1990er Jahre weitgehende Freiheiten 1999 gab es erste staatliche Eingriffe und 2004 kennzeichnete Praumlsident Putin aus dem Ausland finanzierte NGOs direkt als raquoFeindelaquo In den folgenden Jahren wurde die Gesetzgebung verschaumlrft die Registrierung von NGOs erschwert den-noch gab es bis zur Ruumlckkehr Putins in das Praumlsidentenamt im Jahre 2012 kein ernstliches Vorgehen der Behoumlrden gegen die NGOler Mit der ultrakonservativen Wende des Jahres 2012 begann der Staat auch verstaumlrkt gegen die NGOs vorzugehen Heute auch nach den Ereignissen in der Ukraine ist weithin klar geworden dass Wladimir Putin bei seiner Orientierung auf einen extremen Konservatismus auch vor Re-pressionen gegen Nichtregierungsorganisationen nicht zuruumlckscheut

Die entstehung der zivilgesellschaft ende der 1980er JahreDer Zustand der Zivilgesellschaft in Russland laumlsst sich heute mit nur einem Wort charakterisieren schlecht Mehr noch Er ist schlechter denn je in der neuesten Geschichte Russlands wenn man davon ausgeht dass es zu sowjetischer Zeit keine nennenswerte Zivilgesell-schaft gegeben hat Die vereinzelten sowjetischen Buumlr-gerrechts- und Dissidentengruppen deren Mitglieder von den Geheimdiensten aufs engste uumlberwacht wurden lassen sich naumlmlich nur mit groumlszligter Muumlhe als Zivilge-sellschaft bezeichnen

Eine legale Existenz vom Staat unabhaumlngiger Nicht-regierungsorganisationen begann in Russland ungefaumlhr in jener Zeit als West- und Ostdeutschland wiederver-eint wurden Ende der 1980er und in der ersten Haumllfte der 1990er Jahre wurden zum einen die bereits erwaumlhn-ten sowjetischen Dissidentengruppen dann aber auch jene Initiativgruppen die auf der Welle der Perestroika unter Gorbatschow entstanden waren und nun als Orga-nisationen auftraten zur Basis der kuumlnftigen Zivilgesell-schaft Diese Gruppen erreichten dass Kuibyschew in Samara und Gorkij in Nishnij Nowgorod umbenennt wurde und sie beteiligten sich engagiert an den Wahlen der Volksdeputierten beseitigten verschiedenste Relikte der sowjetischen Vergangenheit wurden zu Meinungs-fuumlhrern der Gesellschaft organisierten erstmals recht-liche Hilfe fuumlr die schwaumlchsten Bevoumllkerungsgruppen

Die ersten Gesetze die die Taumltigkeit von NGOs sys-tematisch regulierten entstanden in den Jahren 1995 und 1996 Sie wurden auf der Houmlhe der allgemeinen Demokratisierung verabschiedet schrieben die grundle-genden buumlrgerlichen Freiheiten fest sahen eine Registrie-rung per Anmeldung keinerlei Rechenschaftspflichten sowie die Moumlglichkeit vor ohne Registrierung als juristi-sche Person taumltig sein zu koumlnnen Hierbei konnten rund zwei Dutzend verschiedener Rechtsformen genutzt wer-den Eine gesellschaftliche Organisation (NGO) regis-

trieren zu lassen bedeutete keine Muumlhe und die staat-lichen Gebuumlhren hierfuumlr waren minimal Gleichzeitig gab es jedoch keinerlei System fuumlr eine finanzielle Foumlrde-rung von nichtkommerziellen Organisationen (NGOs) durch den Staat

erste eingriffe des staatesDie ersten Zeichen die von kuumlnftigen Problemen fuumlr NGOs kuumlndeten erfolgten im Jahr 1999 als das Justiz-ministerium eine Neuregistrierung aller aktiven nicht-kommerziellen Organisationen (NGOs) verlangte Damals sahen sich einige Menschenrechtsorganisatio-nen erstaunlichen Beanstandungen durch die Behoumlrden gegenuumlber Wie sich herausstellte sollte es nicht moumlg-lich sein den Schutz der Menschenrechte und buumlrgerli-chen Freiheiten zu den satzungsgemaumlszligen Zielen zu zaumlh-len Die Fachleute des Justizministeriums behaupteten Da der Schutz der Menschenrechte gemaumlszlig der Verfas-sung die Pflicht des Staates ist koumlnnten NGOs diesen darin allenfalls sbquounterstuumltzenlsquo Das ist die Erklaumlrung dafuumlr dass die meisten Moskauer Organisationen bei ihren Namen und in ihren Satzungen bis heute diese Formulierung verwenden die offensichtlich eine klare paternalistische Botschaft an die Gesellschaft darstellt Zivilgesellschaftliche Organisationen koumlnnen ndash so die Haltung der russischen Regierung seit 1999 und bis jetzt ndash nichts selber machen Sie koumlnnen lediglich den Staat unterstuumltzen Folglich stoszligen NGOs wenn sie sich gegen die Politik des Staates wenden auf unweiger-lichen vaumlterlichen Zorn Die 15 Jahre nach 1999 illus-trieren diese Haltung sehr deutlich

nichtregierungsorganisationen als raquofeindelaquo2004 hat Praumlsident Putin in seiner jaumlhrlichen Parla-mentsansprache Nichtregierungsorganisationen die auch nur irgendwelche Gelder aus dem Ausland erhalten direkt seine Feinde genannt 200405 wurde eine spe-zielle staatliche Struktur der raquoFoumlderale Dienst fuumlr Regis-

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 15

trierunglaquo (raquoRosregistrazijalaquo) geschaffen ndash eine Polizei fuumlr NGOs Es wurden fuumlr NGOs Rechenschaftspflich-ten uumlber ihre Taumltigkeit eingefuumlhrt die fuumlr zwei Drit-tel der Organisationen nicht zu stemmen waren Von 2006 bis 2008 hat diese dem Justizministerium nach-geordnete Behoumlrde die Aufloumlsung Zehntausender zivil-gesellschaftlicher Organisationen per Gerichtsbeschluss erwirkt Weitere 50000 erhielten Verwarnungen Ins-gesamt befanden sich beim Amtsantritt des Zwischen-praumlsidenten Medwedew achtzig Prozent der in Russland existierenden Organisationen (ungefaumlhr 150ndash180000) nur einen Schritt von ihrer moumlglichen Aufloumlsung (aus formalen Gruumlnden) durch das Justizministerium ent-fernt Staatsfreundliche Strukturen (wie etwa die Gesell-schaftskammer) haben beharrlich die Vorstellung trans-portiert dass es in Russland tatsaumlchlich nicht mehr als 30000 gesellschaftliche Organisationen (NGOs) gebe Das Anhalten der repressiven Maschine gegen NGOs war eine der wenigen liberalen Zugestaumlndnisse Dmitrij Medwedews als Praumlsident raquoRosregistrazijalaquo wurde 2008 selbst aufgeloumlst und seine Funktionen zur Kontrolle der Nichtregistrierungsorganisationen direkt dem Justiz-ministerium uumlbertragen Viele ehemalige Mitarbeiter von raquoRosregistrazijalaquo einschlieszliglich des Behoumlrdenlei-ters wechselten zur Staatsanwaltschaft

2009 und 2010 ritten die Behoumlrden nur vereinzelte Angriffe auf Nichtregistrierungsorganisationen Ein besonders bekannter Fall war die blitzartige staatsan-waltschaftliche Uumlberpruumlfung von 40 Menschenrechtsor-ganisationen im September 2010 die auf Anweisung der Praumlsidialadministration erfolgte diese wollte vor dem Treffen der Leiter der Kommission von Wladislaw Sur-kow und Michael MacFaul kompromittierende Mate-rialien uumlber aus dem Ausland finanzierte Organisatio-nen praumlsentieren Insgesamt aber hat bis zur Ruumlckkehr Putins in das Praumlsidentenamt kein ernstliches Vorgehen der Behoumlrden gegen die NGOler gegeben

Die situation der zivilgesellschaft nach dem mai 2012Die Situation aumlnderte sich grundlegend im Mai 2012 nach der dritten Inauguration Putins die von Mas-senprotesten auf dem Bolotnaja-Platz begleitet wurde denen die bis heute andauernden sogenannten Bolot-naja-Verfahren folgten naumlmlich die strafrechtliche Ver-folgung und Verurteilung zu Gefaumlngnisstrafen von Teil-nehmern der regierungskritischen Demonstration vom 6 Mai 2012 Die Praumlsidialadministration wappnete sich mit der ultrakonservativen Politik einer demonstrativen Absage an liberale Werte fuumlr den Praumlsidenten wurde das Image eines Verteidigers traditioneller Werte aufgebaut die den Menschenrechten und buumlrgerlichen Freiheiten gegenuumlbergestellt werden

Die weitgehenden Beschraumlnkungen der Versamm-lungsfreiheit die Verfolgung von Schwulen und Les-ben die Angriffe auf die Redefreiheit im Internet die Herstellung staatlicher Kontrolle uumlber die Medien die Diskreditierung des Instituts der Wahlen wurden durch eine Kampagne zur Verfolgung von Nichtregierungsor-ganisation ergaumlnzt Diese Welle wurde unter der Losung losgetreten dem Einfluss aus dem Ausland entgegenzu-wirken Sie erfolgte durch Aumlnderungen im Gesetz uumlber nichtkommerzielle Organisationen (NGOs) das Aumlnde-rungsgesetz wurde als raquoGesetz uumlber auslaumlndische Agen-tenlaquo bekannt Praumlsident Putin persoumlnlich ist bekann-termaszligen dessen geistiger Vater Im Verlauf des Jahres 2013 organisierte die Staatsanwaltschaft die vom Jus-tizministerium die Funktion der Kontrolle uumlber Nicht-regierungsorganisationen uumlbernommen hatte die Uumlber-pruumlfung von rund tausend NGOs und lieszlig sich dabei lediglich von einem Kriterium leiten naumlmlich der Frage ob eine Organisation in irgend einer Art Gelder aus irgendeiner Art auslaumlndischer Quelle erhaumllt die Ver-einten Nationen den Europarat und private Nichtre-gierungsstrukturen eingeschlossen Auch eine Reihe deutscher Stiftungen und Organisationen waren Atta-cken ausgesetzt naumlmlich die Friedrich-Ebert-Stiftung die Konrad-Adenauer-Stiftung und der Deutsch-Rus-sische Austausch

Ziel der von Generalstaatsanwalt Jurij Tschajka ini-tiierten Kampagne war es moumlglichst viele Organisa-tionen dazu zu noumltigen sich als auslaumlndischer Agent registrieren zu lassen Die Reaktion der russischen Zivil-gesellschaft laumlsst sich wohl als deutlichsten Beweis ihrer Existenz bezeichnen Nach dieser halbjaumlhrigen Kam-pagne in allen Regionen des Landes hatte sich keine einzige Organisation im Verzeichnis der raquoauslaumlndi-schen Agentenlaquo registrieren lassen Die Zivilgesellschaft hatte ndash ohne sich zu verabreden ndash die Anwendung die-ses Gesetzes sabotiert und Dutzende Organisationen zogen mit Beschwerden gegen das Vorgehen der Staats-anwaumllte vor Gericht Diese ewig langen Gerichtspro-zesse dauern bis heute an Involviert sind mittlerweile auch das Oberste Gericht das Verfassungsgericht der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte die Vene-dig-Kommission des Europarates der Menschenrechts-kommissar des Europarates und die Regierungschefs aller groszligen westlichen Staaten

Heute nach den diesjaumlhrigen Ereignissen in der Ukraine ist weithin klar gewonnen dass Wladimir Putin bei seiner Hingabe an extremen Konservatismus und bei seiner Attacke gegen liberale Werte die die Grundlage der Nachkriegsordnung dargestellt haben bei Repressionen gegen Nichtregierungsorganisationen nicht halt macht Heute in einer Situation da von jenem Moment wo im Kopf des Praumlsidenten oder von irgend

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jemandem in dessen engster Umgebung die naumlchste Idee zur Beschraumlnkung der Menschenrechte entsteht bis zur Verabschiedung und dem Inkrafttreten eines entsprechenden Foumlderalen Gesetzes nur eine Woche vergehen kann koumlnnen jene die Menschenrechtsar-

beit machen solche Schritte der Regierung weder aus-zuschlieszligen noch sie vorhersehen Es bleibt einem nur auf wirklich alle Szenarien gefasst zu sein auch auf die schlimmsten

Uumlbersetzung Hartmut Schroumlder

Uumlber den AutorPawel Chikow Vorsitzender der Interregionalen Assoziation der Buumlrgerrechtsorganisationen raquoAGORAlaquo Mitglied des Rats fuumlr die Entwicklung der Zivilgesellschaft und fuumlr Menschenrechte beim Praumlsidenten der Russischen Foumlderation

ANALYSE

ngos in russlandJens Siegert Moskau

zusammenfassungUnabhaumlngige russische NGOs sind seit Praumlsident Putins Amtsantritt Ziel staatlichen Drucks Die Auseinan-dersetzung mit diesem Druck hat bei den NGOs zu einer schrittweisen und beindruckenden Professionali-sierung beigetragen die wiederum geholfen hat trotz dieses Drucks nicht nur zu uumlberleben sondern auch ihre Arbeit weiter machen zu koumlnnen Das vor knapp zwei Jahren in Kraft getretene sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo stellt die NGOs vor eine neue harte Probe Zudem versucht der Staat erneut NGOs auch institutionell in raquogutelaquo und raquoboumlselaquo einzuteilen Dieser neue Versuch NGOs unter direkte staatliche Kontrol-le zu bringen gefaumlhrdet die Existenz unabhaumlngiger und staatskritischer NGOs in Russland

Putin und die ngosSeit Wladimir Putin vor nun schon fast 15 Jahren rus-sischer Praumlsident wurde versucht er sehr erfolgreich alle autonomen politischen Subjekte in Russland der direkten Kontrolle des Staates besser noch des Kremls zu unterwerfen In Wirtschaft und Politik ist das wei-testgehend gelungen Bei den Massenmedien sehr weit-gehend Blieben und bleiben die NGOs Sie haben sich als am widerstaumlndigsten erwiesen Das hat unterschied-liche Gruumlnde

Erstens galten NGOs im Kreml lange nicht als son-derlich gefaumlhrliche politische Bedrohung Das aumlnderte sich kurzzeitig 20042005 als der Kreml vor allem bei der sogenannten Orangenen Revolution in der Ukraine aus dem Ausland finanzierte NGOs als wichtige trei-bende Kraft der politischen Veraumlnderungen betrachtete Doch hielt diese seinerzeit stark uumlbertriebene Angst vor der Moumlglichkeit aumlhnlich raquoumstuumlrzlerischer Machen-schaftenlaquo in Russland nur recht kurz an Danach etwa ab Ende 2006 und bis zur Protestwelle gegen Wahlfaumll-schungen und die Wiederwahl von Wladimir Putin zum russischen Praumlsidenten im Winter 20112012 periodisch blieben die Aufmerksamkeit den NGOs gegenuumlber und das Verhaumlltnis zwischen Staat und NGOs ambivalent

Dieses Verhaumlltnis schwankt seit Putins Machtan-tritt zwischen dem Misstrauen des Staates allen auto-nomen potentiell eigenstaumlndigen politischen Subjekten gegenuumlber (die aus seiner Sicht streng kontrolliert gehouml-ren) und der Erkenntnis dass NGOs eine ganze Reihe wichtiger sozialer und politischer Funktionen ausfuumll-len die der Staat nicht oder nicht mehr zu gewaumlhrleis-ten in der Lage ist Auszligerdem erwiesen sich die NGOs nach weitgehender Abschaffung der Pressefreiheit und Gleichschaltung der (ohnehin schwachen und in vielen Bereichen dysfunktionalen) politischen Parteien fuumlr den Kreml als nuumltzlicher ja mitunter notwendiger Kommu-nikationskanal in die Gesellschaft

Die Uumlberlebensfaumlhigkeit der russischen ngosDas Uumlberleben unabhaumlngiger NGOs wurde bis heute auszligerdem durch ihre groszlige politische und institutio-nelle Lernfaumlhigkeit gewaumlhrleistet Unter dem staatli-chen Druck der vergangenen 15 Jahre ist die NGO-Arbeit in Russland in fast allen Bereichen professioneller geworden Das gilt insbesondere fuumlr die Einhaltung der in vielem widerspruumlchlichen oft geaumlnderten und uumlber Verwaltungsakte zu wahren buumlrokratischen Monstern

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aufgeblaumlhten die NGOs betreffenden Gesetze Kurz gesagt Vor allem Juristen Buchhalter Geschaumlftsfuumlh-rer die NGOs beraten oder in ihnen arbeiten aber auch viele Aktivisten sind schlicht besser schneller und pro-fessioneller als die staatliche Finanz- Justiz- oder sons-tige Verwaltung Einem in vielem legalistischen Staat gegenuumlber kostet diese staumlndige Professionalisierung (auch im Sinn einer Art raquolebenslangen Lernenslaquo) zwar viel Kraft und es muumlssen dafuumlr nicht geringe Ressour-cen eingesetzt werden aber sie verschafft solange es sich nicht um frontale Angriffe handelt immer wieder Raum und Zeit zum Weitermachen

Damit komme ich zum dritten Grund fuumlr die beson-dere Widerstaumlndigkeit von NGOs in Russland Es ist fuumlr einen Staat (und seine Staatsmaumlnner und -frauen) fuumlr den der Eigensinn der Menschen nur schwer vorstell-bar ist und der vom eigenen Zynismus geleitet hin-ter jedem und allem irgendwelchen raquofremden Maumlchtelaquo Verschwoumlrungen und politischen Utilitarismus vermutet ganz offenbar schwer vorstellbar dass zivilgesellschaftli-ches Engagement sozusagen aus sich selbst heraus oder aus einer bestimmten Situation oder einem bestimmten Ereignis einem Erlebnis oder einer Erfahrung heraus entsteht Administrative auch strafrechtliche Maszlig-nahmen gegen dieses Engagement laufen eben deshalb immer wieder zwar nicht voumlllig ins Leere (sie erschwe-ren dieses Engagement mitunter enorm) aber sie koumln-nen es nicht verhindern Es verlagert sich immer wieder und findet immer neue Formen und Foren

Die Verstaumlrkung der staatlichen kontrolleBis heute gab es unter Putin drei groumlszligere Versuche unab-haumlngige NGOs unter mehr oder weniger direkte staatli-che Kontrolle zu bringen und diejenigen die sich dagegen wehrten entweder zu marginalisieren oder auch zu schlie-szligen Der erste im Jahr 2001 endete mit einem oben schon angedeuteten Kompromiss der das Verhaumlltnis Kreml-NGOs in einem (allerdings jederzeit prekaumlren) Gleich-gewicht zwischen Konfrontation und Kooperation hielt

Der zweite Versuch endete in der Verabschiedung des raquoNGO-Gesetzeslaquo Ende 2005Anfang 2006 das den NGOs weitergehende Berichtspflichten auferlegte in der Praxis also Ressourcen band und bindet aber ebenfalls in der Praxis und entgegen anderslautenden Befuumlrchtungen nicht zu wesentlichen Einschraumlnkun-gen in der Arbeit russische NGOs fuumlhrte Die groumlszligte negative Wirkung dieses Versuches duumlrfte von zahlrei-chen oumlffentlichen Aumluszligerungen hochgestellter Politiker bis hin zu Putin ausgegangen sein NGOs seien raquoFeindelaquo raquoSchakale die um auslaumlndische Vertretungen streunenlaquo Dadurch wurde die Einstellung von Teilen der Gesell-schaft vor allem aber von weiten Teilen der Verwaltung zu NGOs grundsaumltzlich negativ gepraumlgt

Der dritte Versuch begann als Teil der staatlichen Reaktionen auf den Protestwinter 20112012 und haumllt bis heute an Sein wichtigster Bestandteil ist das soge-nannte raquoNGO-Agentengesetzlaquo das eigentlich kein eigenes Gesetz ist sondern aus einer Reihe dem NGO-Gesetz neu hinzugefuumlgter oder geaumlnderter Paragraphen besteht Diese Vorschriften verpflichten NGOs die raquosich politisch betaumltigenlaquo und Geld oder andere Zuwendun-gen aus dem Ausland erhalten sich beim Justizminis-terium als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren zu lassen Danach muumlssen sie jede oumlffentliche Aumluszligerung mit dem Zusatz raquoauslaumlndischer Agentlaquo versehen

Die Durchsetzung des AgentengesetzesTrotz erheblichen staatlichen raquoPressingslaquo der raquoUumlber-pruumlfunglaquo von mehr als 700 NGOs in ganz Russland durch Staatsanwaltschaft Justizministerium Finanz-amt und eine Reihe anderer Behoumlrden ab dem Fruumlhjahr 2013 hatte sich im Fruumlhjahr 2014 erst eine NGO als raquoauslaumlndischer Agentlaquo im entsprechenden Register des Justizministeriums eintragen lassen (lthttpunromin justruNKOForeignAgentaspxgt) Alle anderen selbst diejenigen NGOs die von den Behoumlrden als raquoAgentenlaquo eingestuft und teilweise mit empfindlichen Geldstra-fen belegt worden waren weigerten sich und weigern sich bis heute Viele NGOs klagten und klagen sowohl gegen das Gesetz als auch gegen die raquoUumlberpruumlfungenlaquo und die aus ihnen von den Justizbehoumlrden abgeleite-ten Bescheide und Anweisungen vor russischen Gerich-ten aber auch vor dem Europaumlischen Gerichtshof fuumlr Menschenrechte (EGMR) Eine Entscheidung des rus-sischen Verfassungsgerichts hat die raquoAgentenparagra-phenlaquo fuumlr verfassungskonform erklaumlrt wenn auch einige Einzelbestimmungen darunter die zu Mindeststrafen aufgehoben

Im Juni 2014 beschloss die Staatsduma eine Verschaumlr-fung der raquoAgentenlaquo-Paragraphen des NGO-Gesetzes Seither hat das Justizministerium das Recht NGOs auch ohne deren Zustimmung in das raquoAgentenlaquo-Register ein-zutragen Bis heute (21102014) hat es 15 NGOs getrof-fen Es ist damit zu rechnen das weitere folgen werden Justizminister Jurij Tschajka hat bereits 2013 im Foumlde-rationsrat von 24 NGOs gesprochen die nach Ansicht des Ministeriums raquoAgentenlaquo seien Auszligerdem wurden 2013 und 2014 mehr als 40 NGOs von der Staatsanwalt-schaft aufgefordert sich vorsorglich als raquoAgentenlaquo regis-trieren zu lassen da sie Geld aus dem Ausland bekaumlmen und Gefahr liefen sich raquopolitisch zu betaumltigenlaquo

Die reaktionen der ngos auf das AgentengesetzDie praktischen Reaktionen der NGOs auf diesen staat-lichen Druck sind unterschiedlich Einige NGOs wie

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die Wahlbeobachter von raquoGoloslaquo haben sich als juris-tische Personen aufgeloumlst oder sind wie die raquoJuristen fuumlr Verfassungsrechte und Freiheitlaquo dabei sich aufzu-loumlsen (ein juristisch und administrativ nicht ganz ein-facher und langwieriger Vorgang) Fast alle NGOs die sich aufloumlsen haben aber erklaumlrt ihre Arbeit auch ohne juristischen Status fortsetzen zu wollen Rechtlich ist das moumlglich Praktisch werden diese NGOs auf zahlreiche neue Probleme treffen wohl bis hin zur moumlglichen Kri-minalisierung einzelner Personen

Einige andere NGOs darunter das Menschenrechts-zentrum Memorial machen weiter wie bisher Sie fech-ten meist die Eintragung in das raquoAgentenregisterlaquo vor Gericht an (in der Regel ohne besonderen Erfolg) Das Menschenrechtszentrum Memorial aber auch einige andere NGOs wollen bis zum EGMR gehen unter ande-rem weil sie das Gesetz insgesamt fuumlr unmoralisch und verfassungswidrig haumllt

Eine weitere Reaktion ist eine Art Hase-und-Igel-Spiel mit den Behoumlrden Das kann sich in einem Geflecht von unterschiedlichen NGOs ausdruumlcken die unter-schiedliche Funktionen wahrnehmen Eine NGO macht politische Erklaumlrungen und betreibt Lobbying Ihre Aktivistinnen arbeiten ausschlieszliglich ehrenamt-lich Eine andere bekommt auslaumlndische Finanzierung fuumlr Projekte die auch nach der Definition von Staatsan-waltschaft und Justizministerium nicht raquopolitischlaquo sind Wieder andere NGOs weichen auf Organisationsformen (juristische Personen) jenseits des NGO-Gesetzes aus die dann nicht den raquoAgentenparagraphenlaquo unterliegen

Der Vorstoszlig gegen memorialAllerdings beschraumlnkt sich die staatliche Behinderung und Bedrohung von NGOs nicht auf das relativ neue Agentengesetz Alle anderen laumlnger erprobten adminis-trativen bis strafrechtlichen Instrumente bleiben eben-falls im Einsatz Juumlngstes und bekanntestes aber bei weitem nicht einziges Beispiel ist der Schlieszligungsan-trag des Justizministeriums vor dem Obersten Gericht gegen raquoMemorial Russlandlaquo raquoMemorial Russlandlaquo ist ein Netzwerk aus rund 50 regionalen und thematischen Memorial-Organisationen und selbst eine von mehr als 60 Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Internatio-nallaquo (Zum Memorial-Netzwerk siehe lthttprusslandboellblogorg20141011wie-funktioniert-memorial-ein-kleiner-wegweiser-durch-eine-zugegeben-kompli zierte-strukturgt) Bei einer der regelmaumlszligigen Pruumlfun-

gen stellte das Justizministerium Anfang 2012 also vor Beginn der jetzigen Repressionswelle gegen NGOs fest dass die seit Gruumlndung der Organisation geltende konfouml-derative Struktur von raquoMemorial Russlandlaquo raquonicht dem Gesetz entsprechelaquo und geaumlndert werden muumlsse Insbe-sondere behagt dem Justizministerium nicht dass die Mehrzahl der Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Russlandlaquo ihrerseits eigenstaumlndige juristische Personen sind raquoMemorial Russlandlaquo muumlsse sich zentralistisch organisieren und die regionalen Memorial-Organisa-tionen zu Filialen werden Ohne hier ins Detail gehen zu koumlnnen wuumlrde das aber zu weiteren Problemen fuumlh-ren die wiederum die Schlieszligung von Memorial durch das Justizministerium zum Ergebnis haumltten Memorial sucht einen Ausweg das Justizministerium betreibt die Schlieszligung Viele NGOs haben Probleme mit der Feu-erwehr dem Gesundheitsamt oder der Arbeitsschutzbe-houmlrde Beliebt ist in juumlngster Zeit auch die Kuumlndigung von Mietvertraumlgen (so unlaumlngst geschehen bei raquoGoloslaquo und der raquoBewegung fuumlr Menschenrechtelaquo)

soziale und politische ngosSeit dem Fruumlhjahr zeichnet sich noch ein weiterer Angriff auf unabhaumlngige und staatskritische NGOs ab Der von Michail Fedotow geleitete Zivilgesellschaftsrat beim Praumlsidenten beraumlt seit einiger Zeit eine erneute Aumlnde-rung des NGO-Gesetzes Er schlaumlgt vor die Agenten-paragraphen abzuschaffen und dafuumlr um den Befuumlrch-tungen des Kremls auf politische Einflussnahme (nicht nur aus dem Ausland) Rechnung zu tragen kuumlnftig eine Einteilung von NGOs in raquosozialelaquo und raquopolitischelaquo vor-zunehmen raquoSozialelaquo NGOs sollen diesen Vorschlaumlgen nach kuumlnftig steuerlich beguumlnstigt sein und staatliche Zuwendungen erhalten koumlnnen raquoPolitischelaquo NGOs wer-den hingegen von staatlicher Foumlrderung ausgeschlossen und sollen auf alle Zuwendungen insbesondere aber auf Zuwendungen aus dem Ausland einen noch fest-zulegenden Steuersatz zahlen Die Befuumlrworter dieser im Uumlbrigen im Zivilgesellschaftsrat nicht unumstrit-tenen Initiative verweisen darauf dass so die heute als raquoAgentenlaquo verfolgten NGOs eventuell noch gerettet wer-den koumlnnten waumlhrend staatliche Foumlrderung aller ande-ren verstaumlrkt wuumlrde Ein Gewinn also fuumlr alle Betei-ligten Tatsaumlchlich verbirgt sich hinter dem Vorschlag aber eine gefaumlhrliche Tendenz zur Entsolidarisierung in der NGO-Szene wie sie auch anderswo schon laumln-ger zu beobachten ist

Uumlber den AutorJens Siegert ist Diplompolitologe und leitet seit 1999 das Laumlnderbuumlro Russland der Heinrich Boumlll Stiftung in Mos-kau Davor arbeitete er in Moskau als Korrespondent fuumlr Radiostationen Zeitschriften und Zeitungen im deutsch-sprachigen Raum

Lesetipps finden Sie auf der naumlchsten Seite

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Lesetippsbull Siegert Jens Putin und die Zivilgesellschaft in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 12 06 2013

lthttprusslandboellblogorg20130612putin-und-die-zivilgesellschaftgtbull Siegert Jens Uumlber ein Jahr raquoNGO-Agentenlaquo-Jagd ndash eine Art Zwischenbericht in Russland-Blog (Hein-

rich-Boumlll-Stiftung Moskau) 4 Juni 2014 lthttprusslandboellblogorg20140604ueber-ein -jahr-agenten-jagd-eine-art-zwischenberichtgt

bull Siegert Jens Russische raquoNGO-Agentenjagdlaquo ndash eine Zwischenbilanz in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 7 Juni 2013 lthttprusslandboellblogorg20130607russische-ngo-agentenjagd-eine-zwischenbilanzgt

bull Siegert Jens Erklaumlrung Permer NGOs warum sie sich unter keinen Umstaumlnden als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren lassen in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 26 Mai 2013 lthttprusslandboellblogorg20130526erklarung-permer-ngos-warum-sie-sich-unter-keinen-umstanden-als-auslandische-agenten-registrieren-lassengt

bull Siegert Jens Memorial raquoNGO-Agentengesetzlaquo ist ungesetzlich und unmoralisch Keine freiwillige Registrierung als raquoauslaumlndischer Agentlaquo in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 22 September 2013 lthttpruss landboellblogorg20120922memorial-ngo-agentengesetz-ist-ungesetzlich-und-unmoralisch-keine-freiwillige-registrierung-als-auslandischer-agentgt

bull Siegert Jens Sozialer Wandel und politische Dynamik in Russland 201112 in Russland-Analysen Nr 245 19 Oktober 2012 lthttpwwwlaender-analysenderusslandpdfRusslandanalysen245pdfgt

ANALYSE

ein kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen engagements zur Unterstuumltzung und integration von migranten in russlandMarina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin

zusammenfassungObwohl die Wirtschaft Russlands aufgrund der ruumlcklaumlufigen Bevoumllkerungszahl auf Migranten angewiesen ist ist der Groszligteil der Bevoumllkerung des Landes Migranten gegenuumlber skeptisch und oft geradezu fremden-feindlich eingestellt Durch eine schlecht koordinierte staatliche Migrationspolitik ist die Lage der Arbeits-migranten meist prekaumlr Initiativen aus der Zivilgesellschaft versuchen die Situation der Migranten zu ver-bessern und leisten Aufklaumlrungsarbeit in der Bevoumllkerung sowie konkrete Hilfestellungen fuumlr Migranten Die Arbeit solcher Aktivisten wird jedoch oftmals durch staatliche Einmischung erschwert

immigration nach russland als gesellschaftliches ProblemDie widerspruumlchliche Migrationspolitik der russischen Regierung und die aufgeheizte Stimmung in der Bevoumll-kerung haben 2013 zu vermehrten xenophoben Uumlbergrif-fen auf Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien gefuumlhrt (siehe beispielsweise die Unruhen in Birjuljowo im Oktober 2013) Diese Entwicklung wirft die Frage auf welche Haltung die russische Zivilgesellschaft hierzu einnimmt Gibt es zivilgesellschaftliche Initiativen die dieser fremdenfeindlichen Stimmung entgegenwirken

In der russischen Oumlffentlichkeit ist oft von einer Flut von Arbeitsmigranten aus den GUS-Staaten die Rede doch in Wirklichkeit ist die Immigration nach Russ-land im internationalen Vergleich gering Zudem zeigen Zahlen der Staatlichen Statistikbehoumlrde raquoRosstatlaquo dass

die russische Wirtschaft aufgrund der demographischen Entwicklung in zunehmendem Maszlige Arbeitskraumlfte aus dem Ausland benoumltigt (bis 2030 ndash so die Prognose ndash soll die russische arbeitsfaumlhige Bevoumllkerung um 103 Mil-lionen Menschen abnehmen)

Trotzdem gibt es starke fremdenfeindliche Stimmun-gen die sich gegen Immigranten aus Zentralasien und dem Kaukasus richten Diese Ablehnung von Migran-ten hat zugenommen und schafft den Naumlhrboden fuumlr Pogrome wie 2006 in Kondopoga 2010 auf dem Mos-kauer Manegenplatz sowie 2013 in der Stadt Pugat-schow und dem Moskauer Vorort Birjuljowo Angst und Verachtung gegenuumlber Fremden ziehen sich durch alle Gesellschaftsschichten Sie werden als Kriminelle und Illegale stigmatisiert und nicht nur Nationalisten ver-wenden die Losung raquoRussland den Russenlaquo um Ras-

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sismus zu schuumlren und die Stimmung gegen Migranten weiter anzuheizen

es gibt keine migrationspolitikDiese interethnischen Konflikte spiegeln sich auch im russischen Alltag wieder Der durch den Foumlderalen Migrationsdienst praktizierte administrative und poli-zeiliche Umgang mit Migration ist nicht effektiv Eine Stigmatisierung der Migranten als potenzielle Krimi-nelle und eventuelle Uumlberlegungen zur Verschaumlrfung des Migrationsgesetzes koumlnnen die Probleme nicht loumlsen die gerade auch auf kommunaler Ebene anfallen Die nur situativen politischen Maszlignahmen fuumlhren mitunter zu einer Verschaumlrfung des Problems Eine uumlbergreifende Strategie existiert nicht die Politik weiszlig auf die Migra-tionsfrage keine Antwort Ein autoritaumlres zentralisier-tes System ist nicht im Stande die regionalen Probleme dieses riesigen Landes zu loumlsen deshalb liegt es vor allem an der Zivilgesellschaft sich diesen Themen zu widmen

zivilgesellschaftliche Projekte AufklaumlrungsarbeitIn Moskau und Sankt Petersburg gibt es verschiedene nichtstaatliche Projekte die sich sowohl fuumlr mehr Tole-ranz als auch fuumlr die Integration der Migranten einsetzen

Einige von ihnen bestehen schon mehrere Jahre Boris Romanow ist einer der Gruumlndervaumlter eines zivil-gesellschaftlichen Netzwerks zur Unterstuumltzung von Menschen mit Migrationshintergrund in Sankt Peters-burg Er arbeitet mit den unterschiedlichsten NGOs zusammen die zu Themen wie Toleranz Antirassis-mus Homophobie Antiziganismus und Antisemitis-mus arbeiten Finanziert durch das Goethe-Institut rief er 2012 raquoRespektlaquo ins Leben ein Comic-Projekt inter-nationaler Kuumlnstler mit dessen Hilfe Schuumller ihr Den-ken uumlber Fremde reflektieren und selbst in Frage stel-len koumlnnen Laut Romanow scheitern solche Projekte oft an der Buumlrokratie der Kommunen Durch das neue NGO-Gesetz gebe es kaum noch Kontaktmoumlglichkei-ten zu staatlichen Schulen erlaumlutert Romanow so dass eine Zusammenarbeit houmlchstens uumlber einzelne Lehrer nicht jedoch uumlber die Schuldirektion moumlglich sei Dies widerspreche dem Konzept zivilgesellschaftlicher Arbeit die vor allem jedermann offen stehen will Durch das geschlossene staatliche Schulsystem komme es selten zu einer Kooperation mit interessierten Lehrern Die Zusammenarbeit von Staat und Zivilgesellschaft ist unabdingbar macht aber die Finanzierung der Projekte schwierig da sie im Falle einer Unterstuumltzung auslaumln-discher Sponsoren unter das neue NGO-Gesetz fallen

Im Zuge der neuen NGO-Gesetzgebung wurde das Antidiskriminierungszentrum raquoMemoriallaquo in Sankt Petersburg geschlossen Dessen ehemaliger Mitarbei-

ter Andrej Jakimow ist Anthropologe Seine langjaumlh-rige Arbeit mit ethnischen Minderheiten wie Sinti und Roma Arbeitsmigranten und Staatenlosen macht ihn zu einem erfahrenen Koordinator der raquoStiftung zur Unter-stuumltzung und Entwicklung von Bildungs- und Sozial-projektenlaquo (raquoPSP-Fondlaquo) in Sankt Petersburg Auch fuumlr ihn zaumlhlt die aktive Aufklaumlrungsarbeit zu den wichtigs-ten Punkten seines zivilgesellschaftlichen Engagements Die juristische und psychologische Betreuung von Mig-ranten stehen neben der Sensibilisierung der russischen Bevoumllkerung im Zentrum seiner Arbeit Seiner Erfah-rung nach interessieren sich die OSZE und die UNO nur marginal fuumlr diese Themen also muumlssen die Pro-bleme der Arbeitsmigranten auf nationaler Ebene geloumlst werden Seine Kontakte zu verschiedenen Netzwerken in den Auswanderungslaumlndern helfen den Migranten sich schon vor der Einreise nach Russland auf den Aufenthalt vorzubereiten In der Zusammenarbeit von Staat und Experten sieht Jakimow eine Moumlglichkeit eine effek-tive Migrationspolitik zu entwickeln

fuumlr die Verbesserung der migrationspolitikAumlhnlich denken auch Wjatscheslaw Postawnin und Natalja Wlasowa die die Stiftung raquoMigrazija XXI weklaquo (raquoMigration im 21 Jahrhundertlaquo) gegruumlndet haben Sie selbst sind ehemalige Mitarbeiter des Foumlderalen Migra-tionsdienstes und kennen die staatliche Migrationspoli-tik von innen Die Regierung unter Putin scheint keiner-lei Loumlsungsansaumltze fuumlr die immer staumlrker zunehmende Xenophobie in Russland zu erarbeiten In den fuumlnf Jah-ren ihrer Existenz hat sich die Organisation in Mos-kau zu einem unabhaumlngigen intellektuellen und wissen-schaftlichen Zentrum entwickelt das Vorschlaumlge fuumlr die Verbesserung der staatlichen Migrationspolitik ausarbei-tet Diese Vorschlaumlge werden oft von der Administration des Praumlsidenten beruumlcksichtigt jedoch nicht sofort und ohne Nennung der Urheberschaft In Zusammenarbeit mit der Weltbank und dem Netzwerk raquoMirpallaquo (raquoMigra-tion and Remittance Peer-Assisted Learninglaquo) erstellt die Organisation Statistiken zu den Migrationsstroumlmen aus den GUS Staaten die oftmals stark von den offiziellen Zahlen des Foumlderalen Migrationsdienstes abweichen

fluumlchtlingsarbeitDie von Swetlana Gannuschkina einer wichtigen Men-schenrechtlerin in Russland 1990 mitbegruumlndete Orga-nisation raquoGrashdanskoje sodejstwijelaquo (raquoBuumlrgerhilfelaquo) beschaumlftigt sich nicht nur mit Arbeitsmigration sondern zu vier Fuumlnfteln mit Fluumlchtlingen Es war die erste Orga-nisation dieser Art in Moskau und wurde im Zusam-menhang mit dem Konflikt um Berg-Karabach und dem Krieg in Tschetschenien gegruumlndet um den Fluumlchtlin-gen aus diesen Regionen zu helfen Die Unterstuumltzung

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der Arbeitsmigranten umfasst juristische Konsultation und die Loumlsung administrativer Fragen z B bei nicht ausgezahlten Gehaumlltern Deportationen Einreisever-boten Die Organisation stellt juristischen Beistand bei unbegruumlndeten Klagen gegen Migranten hilft bei Kla-gen gegen Arbeitgeber wegen nicht ausgezahlter Loumlhne fuumlhrt ein Projekt gegen Hate Crimes durch und veran-staltet Spendenaktionen auf ihrer Webseite Besonders die aumlrztliche Versorgung ist wichtig da der staatliche Notdienst Migranten oft seine Hilfe verwehrt raquoGrash-danskoje sodejstwijelaquo arbeitet eng mit dem Fluumlchtlings-hilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) der Inter-nationalen Organisation fuumlr Migration (IOM) und mit dem Netzwerk raquoMigrazija i prawolaquo (raquoMigration und Rechtlaquo) einem Programm des Menschenrechtszentrums raquoMemoriallaquo zusammen Obwohl in der offiziellen Rhe-torik die Bedeutung der Migration fuumlr Russland unter-strichen wird (wie zum Beispiel in der raquoKonzeption der staatlichen Migrationspolitik 2025laquo) beobachtet man in der Praxis meist die stumme Hinnahme der Uumlber-griffe auf Arbeitsmigranten Nach dem Inkrafttreten des NGO-Gesetzes fand bei der Organisation eine Uumlberpruuml-fung durch die Staatsanwaltschaft statt Ob und wenn ja wie dieses Projekt weiterlaufen wird ist bis heute unklar

Arbeit mit fluumlchtlingskindernIm Rahmen der Organisation raquoBuumlrgerhilfelaquo gibt es zudem ein raquoZentrum fuumlr Integration und Unterricht fuumlr Fluumlchtlingskinderlaquo da das staatliche Programm mit dem Kinder mit Migrationshintergrund Russisch lernen nicht ausreichend ist

Aumlhnlich wie ihre Kollegen aus Moskau arbeiten die Freiwilligen des zivilgesellschaftlichen Projekts raquoDeti Peterburgalaquo (raquoKinder von Petersburglaquo) mit Kindern des-sen Eltern aus den unterschiedlichsten Gruumlnden nach Russland immigriert sind Zwei Projektkoordinatoren der Organisation raquo[Wahl]Beobachterlaquo Daniil Ljubarow und Irina Beljaewa haben 2012 raquoDeti Peterburgalaquo gegruumlndet Angefangen mit einem Angebot von Russisch-Grundkur-sen fuumlr Vorschuumller mit Migrationshintergrund hat sich dieses Programm mittlerweile so weit entwickelt dass Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre an sechs verschie-

denen Standorten in Sankt Petersburg an Russischkursen teilnehmen koumlnnen Bis 2014 hatte es noch nicht einmal feste Raumlumlichkeiten gegeben die Mitarbeiter der raquoDeti Peterburgalaquo organisierten sich ausschlieszliglich uumlber soziale Netzwerke Der virtuelle Raum verbindet diese Organi-sation auch mit anderen zivilgesellschaftlichen Projek-ten So zieht das Projekt nicht nur politische Aktivisten an sondern vor allem Paumldagogen Linguisten und Stu-denten die die Kurse vorbereiten und durchfuumlhren Der Aufbau von kreativen Zirkeln gehoumlrt genauso zur Arbeit von raquoDeti Peterburgalaquo wie die Koordination von Ausfluuml-gen in die Umgebung Museen oder Theatern Das Pro-jekt ist abhaumlngig von seinen Teilnehmern Die fehlen-den Sprachkenntnisse der Eltern fuumlhren oft zu groszligen Kommunikationsproblemen Aber auch die wechselnden und meist aumluszligerst schwierigen Arbeitszeiten der Eltern erschweren die Durchfuumlhrung des Projekts Die staumldti-sche Buumlrokratie versucht den Elan der Mitarbeiter zu bremsen Auch deshalb bleibt das Projekt nichtstaatlich

fazitMisstrauen gegenuumlber der Regierung soziale Probleme und Alltagsrassismus bewegen immer mehr Menschen dazu sich eigenstaumlndig mit der negativen Entwicklung beim Umgang mit Migranten zu beschaumlftigen Aus Inter-views mit den Mitarbeitern der verschiedenen Organisa-tion laumlsst sich schlieszligen dass eine russische Zivilgesell-schaft entstanden ist die die Migrationsfrage einerseits als Arbeit mit der Mehrheits- also russischen Bevoumllkerung betrachtet um diese zu sensibilisieren Anderseits gibt es Initiativen die vor allem konkrete Hilfe fuumlr Migranten leisten um deren alltaumlgliche Probleme zu minimieren

Die Zivilgesellschaft bemuumlht sich Vorurteile abzu-bauen die Migrationspolitik realistischer zu machen und Migranten wie Fluumlchtlingen konkrete Hilfestellung zu geben Die Behoumlrden sabotieren diese Arbeit In den Groszligstaumldten wird der Zuzug von Migranten restriktiv gehandhabt Arbeitgeber wissen um den oft schwierigen Status der Migranten und nutzen die Situation aus um die Migranten weiter auszubeuten Die Arbeit der Zivil-gesellschaft zur Sensibilisierung der russischen Bevoumllke-rung wird durch die offizielle Politik oft konterkariert

Uumlber die AutorenIm Rahmen des Projektkurses raquoZiviler Ungehorsam Gesellschaft und Staat in Osteuropalaquo reisten die Studierenden des Osteuropa-Instituts der Freien Universitaumlt Berlin Michael Bellmann und Kristina Arisov nach Moskau sowie Marina Grinfeld und Christina Huthmann nach St Petersburg um mit Aktivisten und Organisationen die sich fuumlr die Integration von Migranten in Russland einsetzen Interviews zu fuumlhren und die Position der Zivilgesellschaft zur Migrationsproblematik zu analysieren

Lesetippsbull Judah Ben Russiarsquos Migration Crisis in Survival 552013 Nr 6 S 123ndash131

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bull Malakhov Vladimir S Russia as a New Immigration Country Policy Response and Public Debate in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1062ndash1079

bull Schenk Caress Controlling Immigration Manually Lessons from Moscow (Russia) in Europe-Asia Studies 652013 Nr 7 S 1444ndash1465

bull Spahn Susanne Die gelenkte Xenophobie Migration und nationale Frage in Russland Russland nur fuumlr Russen in Osteuropa 642014 Nr 7 S 55ndash67

bull Tipaldou Sofia Katrin Uba The Russian Radical Right Movement and Immigration Policy Do They Just Make Noise or Have an Impact as Well in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1080ndash1101

UmFRAGE

Uumlber die zivilgesellschaft in russland

zur zivilgesellschaftlichen und politischen Aktivitaumlt der russen

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 15 stellen sie sich vor ihre nachbarn schlagen eine gemeinsame muumlllsammelaktion in der nahegelege-nen Parkzone vor Was waumlren sie bereit zu uumlbernehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator der Aktionwerden

An der Aktionmitwirken

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 16 haben sie im vergangenen halbjahrJahr hellip

0 20 40 60 80 100

hellip an den Aktivitaumlten einer non-profit Organisation teilgenommen als Freiwilliger gearbeitet

hellip sich mit gesellschaftlichen Problemen an ihrem Wohnort beschaumlftigt

hellip an Groszligveranstaltungen Demonstrationen Streiks Kundgebungen Umzuumlgen teilgenommen

Ja Keine Antwort Nein

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 23

grafik 17 stellen sie sich vor dass es an ihrem Wohnort zu massenhaften Wahlfaumllschungen kommt irgend-jemand ruft zur Durchfuumlhrung von Protestaktionen gegen die Wahlfaumllschungen auf Was wuumlrden sie unternehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator dieser Aktionwerden

An dieser Protestaktionteilnehmen

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 18 Waren sie haben sie sich in den vergangenen einndashzwei Jahren hellip

0 20 40 60 80 100

hellip Mitglied einer politischen Partei

hellip Wahlbeobachter

hellip an der Arbeit einer Menschenrechtsorganisation beteiligt

hellip sich im Internet (in sozialen Netzwerken auf Foren) zu politischen Themen geaumluszligert

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

zur gesellschaftlichen Aktivitaumlt

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

grafik 19 haben sie persoumlnlich in den vergangenen zweindashdrei Jahren an der taumltigkeit einer gesellschaftlichen organisation teilgenommen Wenn ja wie genau (beliebige zahl an Antworten)

6

6

5

2

2

84

1

050

Habe an gesellschaftliche Organisationen gespendetoder andere materielle Hilfe geleistet

Habe an Wohltaumltigkeitsveranstaltungen teilgenommen(Konzerte Ausstellungen Wohltaumltigkeitslotterie Auktionen)

Habe Freiwilligenarbeit geleistet (kostenlos)

Habe gegen Entgelt in einer gesellschaftlichenOrganisation gearbeitet

Habe Informationen zu den Taumltigkeitenvon gesellschaftlichen Organisationen verteilt

Nicht teilgenommen

Anderes

Keine Antwort

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 24

grafik 20 haben ihnen irgendwann einmal gesellschaftliche organisationen geholfen

0 20 40 60 80 100

Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja mit Geld geholfen Ja auf andere Weise geholfen Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

Die oumlffentliche meinung zu ngos mit auslaumlndischer finanzierung (April 2013)

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 21 mit welcher meinung zur taumltigkeit russischer ngos stimmen sie am ehesten uumlberein

Sie bringen einen groszligen Nutzen

4

Sie bringen mehr Nutzen als Schaden

15Sie bringen ebenso viel

Nutzen wie Schaden23

Sie bringen mehr Schaden als Nutzen

18

Sie bringen weder Nutzen noch Schaden

13

Keine Antwort27

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 22 ist es fuumlr sie wichtig ob eine russische menschenrechtsorganisation aus einheimischen oder auslaumln-dischen mitteln finanziert wird

Sehr wichtig10

Eher wichtig34

Nicht besonders wichtig24

Vollkommen unwichtig18

Keine Antwort14

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 25

grafik 23 Welche ziele verfolgen westliche laumlnder und organisationen die russische ngos mit mitteln aus-statten

Einen verstaumlrkten Einfluss auf die russische

Innenpolitik42

Einen Kampf gegen den russischen Staat

19Eine Unterstuumltzung der

russischen Zivilgesellschaft

8

Kein besonderes Ziel russische NGOs werden wie andere aus standardisierten

internationalen Programmen unterstuumltzt

12

Keine Antwort19

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 24 Duumlrfen organisationen die sich mit dem schutz der Buumlrgerrechte beschaumlftigen und den staat kriti-sieren das recht haben mittel aus dem Ausland zu beziehen

Ja20

Nein56

Keine Antwort24

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 25 Unterstuumltzen sie harte sanktionen gegen ngos die einer politischen taumltigkeit nachgehen und gelder aus dem Ausland erhalten sich aber nicht nach dem gesetz als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren

Auf jeden Fall20

Eher ja32

Eher nein15

Auf keinen Fall5

Keine Antwort28

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 26

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RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 27

luumlgen des fernsehkanals ntV und Beanstandungen des Justizministeriums erklaumlrung des menschenrechtszentrums memoriAl und der russischen gesellschaft

memoriAl

Die Behauptung bei NTV das russische Justizministerium habe die Liquidierung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL eingeleitet fuumlhrte heute zu etlichen Irritationen Das Menschenrechtszentrum und die Russische Gesell-schaft MEMORIAL (die Dachorganisation der russischen Memorial-Verbaumlnde) haben aus diesem Anlass nachste-hende Erklaumlrung abgegeben

Am 10 Oktober strahlte NTV unter dem Titel raquoAuszligergewoumlhnliches Ereignislaquo eine Sendung aus die aus boumlswil-ligen Luumlgen aber auch aus Fehlinformationen in Folge von Unkenntnis bestand

Die Arbeit des Menschenrechtszentrums MEMORIAL als Unterstuumltzung von Extremisten und Terroristen dar-zustellen ist eine infame Luumlge Auf Unkenntnis basiert hingegen die Behauptung das Justizministerium habe des-halb den Antrag gestellt das Menschenrechtszentrum MEMORIAL zu liquidieren

In Wirklichkeit hat das Justizministerium beim Obersten Gericht der Russischen Foumlderation nicht die Aufloumlsung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL beantragt Es geht hier vielmehr um eine andere Organisation naumlmlich die Russische Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIAL

Die russische Gesellschaft MEMORIAL wurde vom Justizministerium bereits 1992 registriert Bis heute befinden sich unter ihrem Dach verschiedene Memorial-Verbaumlnde die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen

Im Jahre 2012 20 Jahre nach der ersten Registrierung tauchten beim Justizministerium ploumltzlich Zweifel hin-sichtlich des russischen Rechtsstatus von Memorial auf obwohl der Gesellschaft praktisch dieselben regionalen Ver-baumlnde angehoumlren wie zuvor und sich die Gesetzeslage in dieser Frage in keinem Punkt geaumlndert hatte

Geaumlndert hat sich allerdings die Position des Justizministeriums das erneut einen raquodemokratischen Zentralismuslaquo anstrebt der nach der Abschaffung der fuumlhrenden Rolle der KPdSU nicht mehr aktuell schien Heute erklaumlrt das Jus-tizministerium nur jene gesellschaftlichen Vereinigungen koumlnnten der Russischen Gesellschaft MEMORIAL ange-houmlren die in ihrer Bezeichnung die Worte raquoVerband (otdelenie) der Russischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklauml-rung Sozialarbeit und Menschenrechte MEMORIALlaquo tragen

Die gesetzliche Vorschrift dass eine Organisation nur dann einen gesamtrussischen Status haben kann wenn sie in uumlber der Haumllfte der Foumlderationssubjekte Verbaumlnde unterhaumllt legt das Justizministerium jetzt dahingehend aus dass diese Verbaumlnde zwangslaumlufig einen Status als Regionalverbaumlnde haben muumlssten Das Vorhandensein von Stadt- und Bezirksverbaumlnden einer Organisation reicht die Beamten als Beleg dafuumlr nicht aus dass die Organisation in der betreffenden Region taumltig ist

Die Vorbehalte des Justizministeriums entbehren jeglicher Grundlage Nicht zufaumlllig erhielten wir auf Anfragen keine Hinweise auf eine Gesetzesnorm Es ist fuumlr uns inakzeptabel dass das Justizministerium das von der Verfas-sung garantierte Recht von Buumlrgern eine Vereinigung zu bilden gesetzwidrig einschraumlnken will Deshalb hat sich die Russische Gesellschaft MEMORIAL bereits 2012 entschlossen vor Gericht zu gehen

Einen Hinweis auf ein Gesetz haben wir auch nicht erhalten als wir 2013 die Forderungen des Justizministeriums im Moskauer Zamoskvorezki-Bezirksgericht und danach im Stadtgericht angefochten haben Beide Instanzen gaben wie nicht anders zu erwarten dem Justizministerium Recht Deshalb wird die Russische Gesellschaft MEMORIAL in Kuumlrze Klage beim Verfassungsgericht einreichen

Was den Antrag des Justizministeriums betrifft so hoffen wir dass das Oberste Gericht bei Behandlung dieses Antrags dem Gesetz und der Verfassung mehr Respekt entgegenbringen wird als die untergeordneten Gerichtsinstanzen

10 Oktober 2014Quelle Website von Memorial Deutschland lthttpwwwmemorialdeindexphpid=42amptx_ttnews[tt_news]=546amptx_ttnews[backPid]=3ampcHash=5bbe9b235a03fe09cba52ed5c8786b99gt

DOkUmENtAtION

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 28

NOtIzEN AUS mOSkAU

Petersburger DialogJens Siegert Moskau

Auf den ersten Blick sieht es so aus als ob ein (egal ob nun willentlich oder nicht) an die Oumlffentlich-

keit gelangter Brief einiger regelmaumlszligiger Teilnehmer des Petersburger Dialogs (PD) aus den Reihen deutscher NGOs an Bundeskanzlerin Merkel und Auszligenminis-ter Steinmeier die Verschiebung des fuumlr Ende Oktober in Sotschi geplanten groszligen Jahrestreffens verursacht haumltte In dem Brief bekraumlftigten die Autoren ihre nicht neue Kritik am PD und erklaumlrten warum sie dieses Jahr nicht teilnehmen wuumlrden Sie betonen dass die Absage kein Boykott sei und bieten ihrerseits einen Dialog zur Reform des Dialogs an Auf den zweiten Blick war der Brief selbstverstaumlndlich nur Anstoszlig aber nicht Grund fuumlr die Verschiebung Doch der Reihe nach

Die in dem Brief geaumluszligerte Kritik am PD ist wie gesagt nicht neu sie hat sie den PD von Anfang an begleitet Das liegt sicher auch an einem bis heute nicht korrigierten Geburtsfehler Ein durch Staats- und Regie-rungschefs initiierter raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo ist schon etwas verquer Das heiszligt nicht dass das nicht gehen koumlnnte Doch dazu haumltten sich die hochgestell-ten Initiatoren (der damalige russische Praumlsident und der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schrouml-der) und ihre (Interims-)Nachfolger spaumlter zuruumlckziehen muumlssen Das haben sie nicht Daran sind sie nicht (allein) Schuld Es war der PD der durch seine Lenkungsor-gane die enge zeitliche und oumlrtliche Verbindung mit den deutsch-russischen Regierungskonsultationen und die zeitweilige Anwesenheit von Praumlsident und Kanzlerin zum Grundstein seiner Wirkungsmaumlchtigkeit erklaumlrte

Auf deutscher Seite wurde versucht dieses Problem organisatorisch sozusagen oumlffentlich-rechtlich zu loumlsen indem moumlglichst alle interessierten politischen Spektren und gesellschaftlichen Gruppen am sogenannten Len-kungsausschuss beteiligt wurden Das gelang zumindest so gut dass es soweit mir bekannt bis heute keine grouml-szligeren Klagen uumlber Nichtberuumlcksichtigung oder Nicht-beteiligung gab Aber die Bundesregierung behielt weit-gehenden Einfluss nicht zuletzt uumlber den alljaumlhrlich sechsstelligen Zuschuss fuumlr die Durchfuumlhrung der Jah-restreffen Auszligerdem wurde der jeweilige Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses zwar nach Abstim-mungen mit den Beteiligten aber letztlich durch den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin bestimmt

In Russlands ist die Sache einfacher Von Anfang an wurde und wird gemacht wird was der Kreml will Schon der erste Vorsitzende des russischen Lenkungs-ausschusses Michail Gorbatschow (immerhin selbst ein ehemaliger Praumlsident) war wie er selbst einmal bekannte

nicht mehr als ein ndash schoumlne Ruumlckuumlbertragung aus dem Russischen ndash raquoSitz-Praumlsidentlaquo Der jetzige Vorsitzende Wiktor Subkow war Datschennachbar von Putin ers-ter stellvertretender Ministerpraumlsident und ist nun Auf-sichtsratsvorsitzender von Gazprom

Die Kritik dass nur eine Simulation eines raquozivilge-sellschaftlichen Dialogslaquo stattfinde wurde von einigen deutschen Teilnehmern bereits auf dem ersten Jahres-treffen des PD im April 2001 in St Petersburg geaumluszligert Es fehlten auf russischer Seite (in der seinerzeit noch ver-einigten Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo) Vertreter russischer NGOs Die Kritik kam an In Russ-land fuumlhrte sie (ohne dass ich hier jetzt ausfuumlhren kann wie) zum ersten Versuch des Kremls auch unabhaumln-gige NGOs in das korporative System der gelenkten Demokratie zu zwingen Der Versuch misslang weitge-hend und muumlndete in einer Art Waffenstillstand und der Gruumlndung eines raquoMenschenrechtsrats beim Praumlsi-dentenlaquo unter Einbeziehung von Vertretern unabhaumlngi-ger NGOs Beim PD wurde die Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo in ihre zwei Namensbestandteile geteilt und es gelang uumlber die Jahre in immer wieder unternommenen Anstrengungen auch die Teilnahme unabhaumlngiger russischer NGO-Vertreter durchzuset-zen Etwas spaumlter wurde diese Teilnahme sogar vor-sichtig institutionell abgesichert indem erst Ella Pam-filowa und spaumlter ihr Nachfolger Michail Fedotow als Vorsitzende des inzwischen zum raquoZivilgesellschaftsratlaquo umbenannten raquoMenschenrechtsratslaquo zu den russischen Koordinatoren der Arbeitsgruppe raquoZivilgesellschaftlaquo mit Einladungsrecht wurden (wobei die Einladungen selbst-verstaumlndlich mit der Praumlsidentenadministration abge-stimmt werden muumlssen) Das ist bis heute so

Die Verfasser des Briefes (zu denen ich bekenne mich auch ich gehoumlre) allesamt langjaumlhrige Teilneh-mer der Jahrestreffen des PD haben all die Jahre immer wieder auch oumlffentlich uumlber den Sinn und Unsinn ihrer Teilnahme und Unterstuumltzung diskutiert Letztendlich uumlberwogen die ganze Zeit uumlber zwei Uumlberlegungen Ers-tens ist ein Dialog auch und gerade auf offizieller Ebe-nen und mit offiziellen Vertretern des russischen Staates (wie auch mit Wissenschaftlern Unternehmern Journa-listen Priestern usw welcher politischen Couleur auch immer sie sein moumlgen) erst einmal besser als kein Dia-log Zweitens gingen wir all die Jahre davon aus dass die nicht ohne Muumlhen erreichte Teilnahme unabhaumln-giger russischen NGO-Vertreter fuumlr sie ihre Organisa-tionen aber auch die russische NGO-Szene insgesamt zumindest einen kleinen zusaumltzlichen Schutz gegen die

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 29

seit Putins Amtsantritt immer wieder uumlber das Land gehenden Repressionswellen bietet1 Was hat sich dieses Jahr geaumlndert Erst einmal nicht

so viel gegenuumlber dem Vorjahr Es war schon immer siehe oben eine schwierige Abwaumlgung ob die Teil-nahme am PD sich lohnt oder nicht vielmehr dazu beitraumlgt so zu tun als gaumlbe es in Russland die unein-geschraumlnkte und ungefaumlhrdete Moumlglichkeit sich zivilgesellschaftlich auch dort zu engagieren wo es dem Staat weh tut Zwei Ereignisse haben nun aber zumindest fuumlr die Autoren des Briefes das Pen-del zur anderen Seite ausschlagen lassen Die Kon-frontation zwischen dem Westen (ich weiszlig um die Bedingtheit des Begriffs verwende in der Kuumlrze hal-ber aber trotzdem) und Russland im Konflikt in der und um die Ukraine ist nicht einfach die Fortset-zung schon laumlnger existierender raquoMeinungsverschie-denheitenlaquo Sie ist tiefer und prinzipieller Es geht eben im Kern nicht in erster Linie um Geopolitik sondern wieder einmal um ich fuumlrchte hier weder den Pathos noch historische Analogien Freiheit und Demokratie in Europa

2 Die Repressionen gegen russische NGOs unsere prinzipiellen Partner in der Verteidigung von Demo-kratie und Freiheit haben mit dem sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo eine neue Qualitaumlt erreicht 15 NGOs sind inzwischen zwangsweise zu raquoauslaumln-dischen Agentenlaquo erklaumlrt worden anderen droht die Schlieszligung aufgrund anderer Gesetze Einige von ihnen waren sogar zum nun verschobenen Treffen in Sotschi eingeladen Sie mussten sich Gedanken machen ob eine Zusage oder eine Absage ihnen nicht schaden koumlnnte

Unter diesen Umstaumlnden halten die Verfasser des Brie-fes ihre Teilnahme am PD fuumlr nicht mehr moumlglich Sie fordern keinen Boykott wohl aber ein Nachdenken uumlber eine tiefgreifende Reform

Der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses Lothar de Maiziere hat in einem eigenen offenen Brief geantwortet und den Verfassern vorgeworfen den Dia-log verweigern und politisieren zu wollen Diese (Gegen-)Klage scheint mir angesichts der vielfaumlltigen Verbindun-gen und Dialogformen die die Organisationen hinter den Unterzeichnern des Briefes seit vielen Jahren und oft laumlnger als der PD organisieren an denen sie teil-nehmen und die sie foumlrdern nicht sonderlich stichhal-tig Doch die Auseinandersetzung geht tiefer De Mai-ziere behauptet in seinem Brief der PD mache bereits all das was die Kritiker fordern Genau das bezweifeln diese aber Die Auseinandersetzung geht also und vor allem darum was ein fruchtbarer Dialog zu leisten im Stande sein kann und leisten sollte Sie geht aber auch darum ob dieser Dialog zwischen zwei Gesellschaf-

ten stattfindet nach dem Motto hier die eine dort die andere oder ob sich die Seiten bei diesem Dialog inei-nander verschraumlnken

Die Verfasser des Briefes sind ganz offensichtlich mit ihrer Kritik nicht allein Schon bevor der Brief oumlffent-lich bekannt wurde hatten die Bundestagsabgeordne-ten Andreas Schockenhoff (CDUCSU) und Marieluise Beck (Buumlndnis 90 Die Gruumlnen) in oumlffentlichen Stel-lungnahmen Aumlhnliches gefordert und auch ihre Nicht-Teilnahme erklaumlrt Etwas spaumlter wurde bekannt dass auch der Russland-Beauftragte der Bundesregierung Gernot Erler nicht nach Sotschi fahren wollte Mehr noch Bereits seit dem Fruumlhsommer gab es Gespraumlche zwischen Kanzleramt und Auswaumlrtigem Amt mit dem Ziel den PD sowohl personell als auch strukturell zu reformieren Allerdings setze sich augenscheinlich die Sichtweise des Auswaumlrtigen Amtes durch alles vorerst beim Alten zu belassen da es auch so schon genug Pro-bleme im deutsch-russischen Verhaumlltnis gebe und man diesen Kanal nicht auch noch belasten oder gar gefaumlhr-den solle

Doch zum Herbst hat sich die Situation noch ein-mal veraumlndert Die Hoffnung die russische Fuumlhrung um Praumlsident Putin werde im Krieg in der Ostukraine ein-lenken ist selbst im Auswaumlrtigen Amt bis in die Spitze kaum noch zu finden Im Sommer bekam das russische Justizministerium zudem per erneuter Gesetzesaumlnde-rung das Recht NGOs zwangsweise zu raquoAgentenlaquo zu erklaumlren und macht seither rege Gebrauch davon Eine ganze Reihe russischer NGOs steht vor der Schlieszligung oder loumlst sich auf weil ihnen die vom Gesetz geforderte Selbstetikettierung als raquoauslaumlndische Agentenlaquo ethisch rechtlich und praktisch unmoumlglich ist

Es sieht so aus als haumltten die Verfasser des Briefes nur eine Tuumlr geoumlffnet hinter der andere darunter die Kanzlerin nur darauf gewartet haben durch sie hin-durch gehen zu koumlnnen ohne selbst der Tuumlroumlffnung geziehen zu werden

Ein wenig verwundert die erstaunlich milde russi-sche Reaktion Nach der kurzen Drohung eine Verschie-bung bedeute das Ende des PD lenkte Putin im Telefo-nat mit Merkel ein und fand tags darauf sogar oumlffentlich verstaumlndnisvolle Worte fuumlr die raquoProbleme der deutschen Seitelaquo Das duumlrfte zwei Gruumlnde haben Der eine ist dass trotz des haumlufiger gewordenen Deutschland-Bashings im russischen Staatsfernsehen (mit dem Ergebnis dass in Umfragen Deutschland aus der Kategorie raquoFreundlaquo in die Kategorie raquoFeindlaquo abgerutscht ist) Deutschland im Kreml immer noch als wichtigster raquostrategischerlaquo Part-ner im Westen und vor allem in der EU gilt Zudem ist Deutschland zweifellos ein Land dessen oumlffentliche Meinung (und damit Politik) aus russischer Sicht durch-aus beeinflussbar ist (was z B die kolportierten rund

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140 Millionen US-Dollar zum Aufbau eines deutsch-sprachigen Programms des staatlichen Auslandsfernse-hens raquoRussia Todaylaquo zeigen)

Der andere liegt in einem erneuten Strategiewech-sel (oder weniger ambitioniert Wechsel der Taktik) im Ukraine-Konflikt Die Sanktionen beiszligen inzwi-schen kraumlftig Die Rhetorik wurde daher gemildert Der Kreml ist ganz auf Frieden und dieser Ausdruck aus dem Sport sei erlaubt Ergebnissicherung bedacht (was uumlbrigens Putins grundsaumltzlicher Taktik auch im Inne-ren Russlands entspricht erst hart zuzuschlagen dann eine Schritt zuruumlck zu gehen und einen Kompromiss zu suchen nach dem es fuumlr seine Gegner nachher schlech-ter steht als vorher) Neues Ziel scheint nun also zu sein die raquoErrungenschaftenlaquo Krim (als Teil Russlands) und raquoNeurusslandlaquo (als neuen raquoFrozen Conflictlaquo) zu fixieren und trotzdem mit dem Westen wenn schon nicht gut-freund zu werden so doch zumindest erneut zu einem einigermaszligen vertraumlglichen Modus Vivendi zu gelan-gen Das Gas duumlrfte nach den Mailaumlnder Gespraumlchen

und bei allem Geknurre im Winter stroumlmen und auch im Nahen Osten stellt Moskau weniger Widerspenstig-keit in Aussicht

Was heiszligt das fuumlr die Zukunft des PD Erstmal ist sie offen Zuerst muss sich die deutsche Seite neu ord-nen (hier hat Putin sogar Recht) Nachdem sich Angela Merkel persoumlnlich um eine russische Akzeptanz fuumlr die Verschiebung von Sotschi bemuumlht hat kann ich mir allerdings nicht vorstellen dass es in einigen Wochen oder Monaten ein Zuruumlck zum status quo ante gibt Ob und wie sich ein neu aufgestellter deutscher Lenkungs-ausschuss mit einem neuen Konzept mit der russischen Seite verstaumlndigen kann laumlsst sich momentan kaum voraussagen Es ist zwar einen Versuch wert haumlngt aber wohl sehr von der dann herrschenden politischen Groszlig-wetterlage ab

Diesen und andere Texte finden Sie auf Jens Siegerts Russ-landblog lthttprusslandboellblogorggt

Lesetippbull Poumlrzgen Gemma Dringend reformbeduumlrftig Der Petersburger Dialog auf dem Pruumlfstand in Osteuropa 602010

Nr 10 S 59ndash81

DOkUmENtAtION

Briefwechsel uumlber die zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo

schreiben von nichtregierungsorganisationen und einzelpersonen an die Bundeskanzlerin und den Auszligenminister zum raquoPetersburger Dialoglaquo 2 oktober 2014 [nachtraumlglich veroumlffentlicht]

Berlin 02 Oktober 2014Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerals Personen die sich seit vielen Jahren intensiv im zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland engagieren wenden wir uns mit diesem Schreiben an Sie um zu erlaumlutern warum wir uns in diesem Jahr nicht am Petersburger Dialog beteiligen koumlnnen Zugleich moumlchten wir fuumlr eine Erneuerung des Petersburger Dialogs werben

In Reaktion auf die politische Wende in der Ukraine die durch eine breite gesellschaftliche Protestbewegung hervor-gerufen wurde hat die russische Fuumlhrung voumllkerrechtswidrig die Krim annektiert und einen unerklaumlrten Krieg neuen Typs im Osten der Ukraine begonnen Zugleich betreibt die Regierung unter Praumlsident Putin die systematische Ausschal-tung der letzten unabhaumlngigen Medien in Russland die Kriminalisierung aller Formen politischer Opposition und die Diskreditierung unabhaumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen als raquoauslaumlndische Agentenlaquo Mittlerweile wurden 12 russische Nichtregierungsorganisationen vom russischen Justizministerium zwangsweise auf die Liste raquoauslaumlndischer Agentenlaquo gesetzt und sind daher zukuumlnftig verpflichtet sich bei jeder oumlffentlichen Aumluszligerung wahrheitswidrig selbst als solche zu bezichtigen Zehn dieser Organisationen spielen in der deutschrussischen zivilgesellschaftlichen Zusammen-arbeit seit Jahren eine wichtige Rolle einige von ihnen haben mehrfach am Petersburger Dialog teilgenommen Gegen einige von ihnen sind bereits existenzbedrohende Strafgelder wegen Verstoszliges gegen das sog Agentengesetz verhaumlngt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 31

worden Es drohen Organisationsschlieszligungen und die Kriminalisierung der Vorstaumlnde Unter diesen inneren und aumluszlige-ren Bedingungen koumlnnen wir uns nicht an einer Neuauflage des Petersburger Dialogs in der bisherigen Form beteiligen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerder seinerzeit von Bundeskanzler Schroumlder und Praumlsident Putin initiierte Petersburger Dialog konnte die ihm zuge-

dachte Aufgabe zu einer Vertiefung und Verbreiterung der gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland beizutragen auch in den vergangenen Jahren nur sehr bedingt erfuumlllen Dies lag vor allem an der starken Naumlhe des Fuumlhrungspersonals auf der russischen Seite zum politischen Machtzentrum im Kreml die von Beginn an den Eindruck einer raquovon obenlaquo inszenierten und kontrollierten Veranstaltung naumlhrte Doch auch auf deutscher Seite wird der Petersburger Dialog bis heute von Personen dominiert die aus politischer und oumlkonomischer Opportunitaumlt dazu neigen Kritik am Kurs der russischen Fuumlhrung als Stoumlrung der raquodeutsch-russischen Freundschaftlaquo zu betrachten Zeit-weise kam es zu der paradoxen Situation dass kritische Aumluszligerungen zu Menschenrechtsverletzungen in Russland oder zum Vorgehen des Kremls gegenuumlber Georgien aus den Reihen der deutschen Delegation als raquoKalte-Kriegs-Rhetoriklaquo verteufelt wurden Nuumlchtern betrachtet waren die kritischen Stimmen aus der russischen und deutschen Zivilgesell-schaft in den letzten Jahren nur eine geduldete Minderheit die dem Petersburger Dialog den Anschein von Pluralis-mus und offener Diskussion verschaffte Ungeachtet dieser Kritik haben wir uns in der Vergangenheit am Petersburger Dialog beteiligt da wir grundsaumltzlich jedes Dialogpotenzial nutzen wollen und uns von der gemeinsamen Beteiligung mit unseren Partnern aus der russischen Zivilgesellschaft eine politische Absicherung dieser Zusammenarbeit erhofften

Diese ohnehin schwachen Hoffnungen wurden durch die Entwicklungen in diesem Jahr zerstoumlrt Vertreter unab-haumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen die auf der russischen Seite zum Petersburger Dialog eingeladen wer-den sind angesichts der politischen und juristischen Bedrohung der sie ausgesetzt sind in ihrer Entscheidung uumlber ihre Teilnahme nicht mehr frei Wenn sie der Einladung nicht folgen muumlssen sie weitere Repressalien befuumlrchten Uns denen die Freiheit der Entscheidung gegeben ist ist es nicht moumlglich durch Teilnahme am Petersburger Dialog in Sot-schi an der Aufstellung einer Potemkinschen Fassade namens raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo mitzuwirken waumlhrend die kritischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Russland als raquoAgentenlaquo diskreditiert und vielfach drangsaliert werden

Zugleich moumlchten wir unsere Bereitschaft unterstreichen an einer Reform des Petersburger Dialogs in organisa-torischer inhaltlicher und personeller Hinsicht mitzuwirken Eine solche Reform sollte darauf ausgerichtet sein uumlber die Auswahl der Formate Themen und Teilnehmer die tatsaumlchliche Lage der russischen Zivilgesellschaft in den Mit-telpunkt der Diskussion zu ruumlcken und einen offenen Dialog zu ermoumlglichen Wir sind ganz damit einverstanden dass gerade in kritischen Zeiten die Zusammenarbeit zwischen der russischen und deutschen Zivilgesellschaft gestaumlrkt wer-den muss Sofern der Petersburger Dialog in Zukunft dafuumlr ein Forum bietet werden wir uns gern daran beteiligen[Unterzeichner nicht veroumlffentlicht]Quelle Website der Boumlll-Stiftung lthttpwwwboelldede20141013reform-petersburger-dialog-ueberfaelliggt

offener Brief an den Vorsitzenden des Petersburger Dialogs lothar de maiziegravere vom 10 oktober 2014

- Offener Brief -HerrnDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des VorstandsPetersburger Dialog eVSchillerstraszlige 5910627 Berlin

Berlin 10 Oktober 2014Petersburger Dialog 2014 in SotschiSehr geehrter Herr de Maiziegravereals Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher zivilgesellschaftlicher Organisationen die seit der Gruumlndung des Petersburger Dialogs 2001 uumlber viele Jahre hinweg an dieser Veranstaltung teilgenommen haben moumlchten wir Ihnen gegenuumlber folgende Erklaumlrung abgeben

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Wir haben uns entschieden am 14 Petersburger Dialog in Sotschi nicht teilzunehmen der fuumlr den 29ndash31 Okto-ber angekuumlndigt worden ist Fuumlr diese Entscheidung die wir sorgfaumlltig diskutiert und abgewogen haben moumlchten wir drei Gruumlnde anfuumlhren1 Der Petersburger Dialog in seiner jetzigen Form steckt in einer Krise Von Jahr zu Jahr wird er seinem eigenem

Anspruch weniger gerecht Die Veranstaltung soll dem zivilgesellschaftlichen Dialog dienen Tatsaumlchlich sind Struktur Nominierungsverfahren und Programm des Petersburger Dialogs maszliggeblich von Akteuren aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert Unter diesen Voraussetzungen erfuumlllt der Petersburger Dialog leider nicht sein in seiner Satzung formuliertes Ziel ein raquooffenes Diskussionsforumlaquo zu sein das die raquoVerstaumlndigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Laumlnderlaquo foumlrdert Der Petersburger Dialog bedarf dringend einer grundlegenden Reform wie sie auch CDUCSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 eingefordert haben Gerne wuumlrden wir uns aktiv an einem Prozess zur Reformierung des Petersburger Dialogs beteiligen der auf eine pluralistische Zusam-mensetzung beider Lenkungsausschuumlsse und eine deutlich staumlrkere Ausrichtung auf unabhaumlngige zivilgesellschaft-liche Akteure zielt ohne den interdisziplinaumlren Ansatz der Veranstaltung aufzugeben

2 Die Situation in der sich Teile der Zivilgesellschaft in Russland befinden erfuumlllt uns mit groszliger Sorge Das betrifft auch Partnerorganisationen und Personen mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten Diese Organisa-tionen uumlben fuumlr Russland und daruumlber hinaus wichtige gesellschaftliche Funktionen aus Die Behinderung ihrer Arbeit durch buumlrokratische Huumlrden aber auch durch willkuumlrliche rechtliche Restriktionen und politische Diffa-mierung sind inakzeptabel Daruumlber koumlnnen wir nicht zur Tagesordnung uumlbergehen Wir wollen nicht zu Kron-zeugen fuumlr einen vorgeblich freien Austausch werden waumlhrend zugleich die kritische Zivilgesellschaft in Russland massiv und systematisch unter Druck gesetzt wird

3 In Teilen der Ukraine herrscht ein Kriegszustand fuumlr den die russische Fuumlhrung eine maszliggebliche Verantwor-tung traumlgt Wichtige Vertreter dieser Fuumlhrung spielen eine Schluumlsselrolle im Petersburger Dialog einschlieszliglich des fruumlheren Ersten Stellvertretenden Ministerpraumlsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden von Gazprom Wiktor Subkow der der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs ist Vor diesem Hin-tergrund moumlchten wir nicht durch unsere Teilnahme dazu beitragen dass eine Normalitaumlt in den deutsch-russi-schen Beziehungen simuliert wird die es derzeit wegen des Angriffs auf die politische Souveraumlnitaumlt und territo-riale Integritaumlt der Ukraine nicht geben kann

Wir waren und sind weiter sehr an einem offenen Dialog uumlber deutsch-russische Belange in einem gesamteuropaumli-schen Kontext interessiert und halten ihn fuumlr eine Bedingung guter Nachbarschaft und Kooperation Ein solcher Dia-log muss aber auch von beiden Seiten gewollt und ermoumlglicht werden Er darf zugleich nicht zum Nachteil Dritter gefuumlhrt werden Angesichts der aktuellen Lage und der bereits bekannt gewordenen Programmvorschlaumlge fuumlr Sotschi sehen wir auch diese Voraussetzung gefaumlhrdet

Dessen ungeachtet werden wir jede Moumlglichkeit nutzen unsere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Grup-pen und anderen Akteuren in Russland zu vertiefen und dieses Potential in einen bilateralen und europaumlischen Dia-log einzubringenMit freundlichen GruumlszligenRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter Politik Greenpeace eVQuelle lthttpwwwaustauschorgaktuelle-meldungennewsdetailarticle1offener-brie-1htmlno_cache=1ampcHash=0428c5bffdgt

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offener Brief des Vorsitzenden des Petersburger Dialogs vom 13 oktober 2014

AnRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich-Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace eVBerlin 13 Oktober 2014Ihr Schreiben vom 10 Oktober 2014Sehr geehrte Damen und HerrenIhren offenen Brief habe ich erhalten Dass Sie einen Brief aumlhnlichen Inhalts zunaumlchst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Auszligenminister verschickt haben verwundert mich Sie geben damit fuumlr die zivilgesell-schaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung die Sie fuumlr die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren

Ihre Nichtbeteiligung am Petersburger Dialog bedaure ich Denn es entspricht der Uumlberzeugung der meisten Mit-glieder des Vorstandes und des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs dass gerade angesichts zweifellos vorhan-dener Probleme fuumlr die Zivilgesellschaft die Sie teilweise benennen die offensive Auseinandersetzung zu solchen The-men gesucht werden muss Indem man sich solchen Gespraumlchen entzieht schadet man den Interessen der Betroffenen

Sie schreiben der Petersburger Dialog sei im Inneren zu reformieren da er von Vertretern aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert sei Diese Feststellung ist falsch und Sie wissen das Das auch in der Satzung des Petersbur-ger Dialogs beschriebene Konzept des Dialogs beruht auf einem breiten Gedankenaustausch aller gesellschaftlichen Kraumlfte Dazu gehoumlren die Bereiche Kultur Medien Bildung Wissenschaft und Kirchen genauso wie zahlreiche im Bereich der politischen sowie der sozialen Menschenrechte engagierte Einrichtungen die in ihrer Gesamtheit das deutsch-russische Verhaumlltnis beleben

Sie versuchen in Ihrem Brief den Petersburger Dialog auf das enge Feld einiger Vertreter der Zivilgesellschaft zu reduzieren die jenseits der korporierten Zivilgesellschaft angesiedelt sind und deren Interessenspektrum nur einen Teil des gesamten zivilgesellschaftlichen Engagements abdeckt

Ich verkenne nicht die ndash auch aber nicht nur ndash in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu Tage getretenen Probleme sowie die unterschiedlichen Folgen die sich aus einer raquogelenkten Demokratielaquo die in vielem nicht westli-chen Standards entspricht ergeben Dennoch Gemessen an weiten Bereichen der russischen Geschichte ist die Ent-wicklung seit 1991 ein Fortschritt Das daraus resultierende wenn auch im letzten Jahr stark eingetruumlbte Vertrauens-potential muss fuumlr die auf vielen Ebenen notwendigen Gespraumlchsforen genutzt und ausgebaut werden

Derartige Gespraumlche bedingen genauso Realismus wie intellektuelle Disziplin wozu auch gehoumlrt zu verstehen wie Russland die Probleme versteht Dies ndash und nicht Gespraumlchsverweigerung ndash ist die Voraussetzung um auf allen demokratischen gesellschaftlichen Ebenen ndash vom politischen Machtzentrum bis in die Randgruppen hinein ndash pro-blemorientierte Gespraumlche fuumlhren zu koumlnnen Dabei darf keine Seite fuumlr sich in Anspruch nehmen legitimere Inte-ressen zu vertreten als die andere

Das heiszligt Ein Gespraumlch raquoauf Augenhoumlhelaquo nicht von oben herab nicht moralisch belehrend aber mit klaren und ehrlichen Argumenten Dabei duumlrfen wir nicht verschweigen welche gesetzgeberischen aber auch politisch-morali-schen Standards wir fuumlr eine demokratische Gesellschaft im europaumlischen Kontext fuumlr unabdingbar halten

Der Petersburger Dialog wurde aus guten Gruumlnden als deutsch-russische Gemeinschaftseinrichtung konzipiert Da ist eine ndash oft muumlhsame ndash Kompromissfindung unausweichlich Dies ist Teil des Wertes auch der Tiefe aber auch der moralischen Qualitaumlt des Dialogs Das Ringen um kompromissfaumlhige Konzepte muss unser Anliegen bleiben nicht Vorverurteilung und GespraumlchsablehnungMit freundlichem GruszligDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des Vorstands Petersburger Dialog e VQuelle Website des Petersburger Dialogs lthttpwwwpetersburger-dialogcomoffener-brief-vom-13-oktober-2014gt

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offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

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9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

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14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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Die Russland-Analysen werden von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und von Mangold Consulting GmbH unterstuumltzt

Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

Abdruck und sonstige publizistische Nutzung sind nach Ruumlcksprache mit der Redaktion gestattetVerantwortlicher Redakteur Hans-Henning Schroumlder

Recherche Uumlbersetzungen und Sprachredaktion Christoph Laug Hartmut SchroumlderSatz Matthias Neumann

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ISSN 1613-3390 copy 2014 by Forschungsstelle Osteuropa BremenForschungsstelle Osteuropa bull Publikationsreferat bull Klagenfurter Str 3 bull 28359 Bremen bull Telefon +49 421-218-69600 bull Telefax +49 421-218-69607

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

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    • Eine neue Phase der Russland- und Ostpolitik hat begonnen
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          • Aus russischen Blogs
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                          • Marina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin
                          • Umfrage
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                                  • Notizen aus Moskau
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                                      • Jens Siegert Moskau
                                      • Dokumentation
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                                          • Chronik
                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
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trierunglaquo (raquoRosregistrazijalaquo) geschaffen ndash eine Polizei fuumlr NGOs Es wurden fuumlr NGOs Rechenschaftspflich-ten uumlber ihre Taumltigkeit eingefuumlhrt die fuumlr zwei Drit-tel der Organisationen nicht zu stemmen waren Von 2006 bis 2008 hat diese dem Justizministerium nach-geordnete Behoumlrde die Aufloumlsung Zehntausender zivil-gesellschaftlicher Organisationen per Gerichtsbeschluss erwirkt Weitere 50000 erhielten Verwarnungen Ins-gesamt befanden sich beim Amtsantritt des Zwischen-praumlsidenten Medwedew achtzig Prozent der in Russland existierenden Organisationen (ungefaumlhr 150ndash180000) nur einen Schritt von ihrer moumlglichen Aufloumlsung (aus formalen Gruumlnden) durch das Justizministerium ent-fernt Staatsfreundliche Strukturen (wie etwa die Gesell-schaftskammer) haben beharrlich die Vorstellung trans-portiert dass es in Russland tatsaumlchlich nicht mehr als 30000 gesellschaftliche Organisationen (NGOs) gebe Das Anhalten der repressiven Maschine gegen NGOs war eine der wenigen liberalen Zugestaumlndnisse Dmitrij Medwedews als Praumlsident raquoRosregistrazijalaquo wurde 2008 selbst aufgeloumlst und seine Funktionen zur Kontrolle der Nichtregistrierungsorganisationen direkt dem Justiz-ministerium uumlbertragen Viele ehemalige Mitarbeiter von raquoRosregistrazijalaquo einschlieszliglich des Behoumlrdenlei-ters wechselten zur Staatsanwaltschaft

2009 und 2010 ritten die Behoumlrden nur vereinzelte Angriffe auf Nichtregistrierungsorganisationen Ein besonders bekannter Fall war die blitzartige staatsan-waltschaftliche Uumlberpruumlfung von 40 Menschenrechtsor-ganisationen im September 2010 die auf Anweisung der Praumlsidialadministration erfolgte diese wollte vor dem Treffen der Leiter der Kommission von Wladislaw Sur-kow und Michael MacFaul kompromittierende Mate-rialien uumlber aus dem Ausland finanzierte Organisatio-nen praumlsentieren Insgesamt aber hat bis zur Ruumlckkehr Putins in das Praumlsidentenamt kein ernstliches Vorgehen der Behoumlrden gegen die NGOler gegeben

Die situation der zivilgesellschaft nach dem mai 2012Die Situation aumlnderte sich grundlegend im Mai 2012 nach der dritten Inauguration Putins die von Mas-senprotesten auf dem Bolotnaja-Platz begleitet wurde denen die bis heute andauernden sogenannten Bolot-naja-Verfahren folgten naumlmlich die strafrechtliche Ver-folgung und Verurteilung zu Gefaumlngnisstrafen von Teil-nehmern der regierungskritischen Demonstration vom 6 Mai 2012 Die Praumlsidialadministration wappnete sich mit der ultrakonservativen Politik einer demonstrativen Absage an liberale Werte fuumlr den Praumlsidenten wurde das Image eines Verteidigers traditioneller Werte aufgebaut die den Menschenrechten und buumlrgerlichen Freiheiten gegenuumlbergestellt werden

Die weitgehenden Beschraumlnkungen der Versamm-lungsfreiheit die Verfolgung von Schwulen und Les-ben die Angriffe auf die Redefreiheit im Internet die Herstellung staatlicher Kontrolle uumlber die Medien die Diskreditierung des Instituts der Wahlen wurden durch eine Kampagne zur Verfolgung von Nichtregierungsor-ganisation ergaumlnzt Diese Welle wurde unter der Losung losgetreten dem Einfluss aus dem Ausland entgegenzu-wirken Sie erfolgte durch Aumlnderungen im Gesetz uumlber nichtkommerzielle Organisationen (NGOs) das Aumlnde-rungsgesetz wurde als raquoGesetz uumlber auslaumlndische Agen-tenlaquo bekannt Praumlsident Putin persoumlnlich ist bekann-termaszligen dessen geistiger Vater Im Verlauf des Jahres 2013 organisierte die Staatsanwaltschaft die vom Jus-tizministerium die Funktion der Kontrolle uumlber Nicht-regierungsorganisationen uumlbernommen hatte die Uumlber-pruumlfung von rund tausend NGOs und lieszlig sich dabei lediglich von einem Kriterium leiten naumlmlich der Frage ob eine Organisation in irgend einer Art Gelder aus irgendeiner Art auslaumlndischer Quelle erhaumllt die Ver-einten Nationen den Europarat und private Nichtre-gierungsstrukturen eingeschlossen Auch eine Reihe deutscher Stiftungen und Organisationen waren Atta-cken ausgesetzt naumlmlich die Friedrich-Ebert-Stiftung die Konrad-Adenauer-Stiftung und der Deutsch-Rus-sische Austausch

Ziel der von Generalstaatsanwalt Jurij Tschajka ini-tiierten Kampagne war es moumlglichst viele Organisa-tionen dazu zu noumltigen sich als auslaumlndischer Agent registrieren zu lassen Die Reaktion der russischen Zivil-gesellschaft laumlsst sich wohl als deutlichsten Beweis ihrer Existenz bezeichnen Nach dieser halbjaumlhrigen Kam-pagne in allen Regionen des Landes hatte sich keine einzige Organisation im Verzeichnis der raquoauslaumlndi-schen Agentenlaquo registrieren lassen Die Zivilgesellschaft hatte ndash ohne sich zu verabreden ndash die Anwendung die-ses Gesetzes sabotiert und Dutzende Organisationen zogen mit Beschwerden gegen das Vorgehen der Staats-anwaumllte vor Gericht Diese ewig langen Gerichtspro-zesse dauern bis heute an Involviert sind mittlerweile auch das Oberste Gericht das Verfassungsgericht der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte die Vene-dig-Kommission des Europarates der Menschenrechts-kommissar des Europarates und die Regierungschefs aller groszligen westlichen Staaten

Heute nach den diesjaumlhrigen Ereignissen in der Ukraine ist weithin klar gewonnen dass Wladimir Putin bei seiner Hingabe an extremen Konservatismus und bei seiner Attacke gegen liberale Werte die die Grundlage der Nachkriegsordnung dargestellt haben bei Repressionen gegen Nichtregierungsorganisationen nicht halt macht Heute in einer Situation da von jenem Moment wo im Kopf des Praumlsidenten oder von irgend

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jemandem in dessen engster Umgebung die naumlchste Idee zur Beschraumlnkung der Menschenrechte entsteht bis zur Verabschiedung und dem Inkrafttreten eines entsprechenden Foumlderalen Gesetzes nur eine Woche vergehen kann koumlnnen jene die Menschenrechtsar-

beit machen solche Schritte der Regierung weder aus-zuschlieszligen noch sie vorhersehen Es bleibt einem nur auf wirklich alle Szenarien gefasst zu sein auch auf die schlimmsten

Uumlbersetzung Hartmut Schroumlder

Uumlber den AutorPawel Chikow Vorsitzender der Interregionalen Assoziation der Buumlrgerrechtsorganisationen raquoAGORAlaquo Mitglied des Rats fuumlr die Entwicklung der Zivilgesellschaft und fuumlr Menschenrechte beim Praumlsidenten der Russischen Foumlderation

ANALYSE

ngos in russlandJens Siegert Moskau

zusammenfassungUnabhaumlngige russische NGOs sind seit Praumlsident Putins Amtsantritt Ziel staatlichen Drucks Die Auseinan-dersetzung mit diesem Druck hat bei den NGOs zu einer schrittweisen und beindruckenden Professionali-sierung beigetragen die wiederum geholfen hat trotz dieses Drucks nicht nur zu uumlberleben sondern auch ihre Arbeit weiter machen zu koumlnnen Das vor knapp zwei Jahren in Kraft getretene sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo stellt die NGOs vor eine neue harte Probe Zudem versucht der Staat erneut NGOs auch institutionell in raquogutelaquo und raquoboumlselaquo einzuteilen Dieser neue Versuch NGOs unter direkte staatliche Kontrol-le zu bringen gefaumlhrdet die Existenz unabhaumlngiger und staatskritischer NGOs in Russland

Putin und die ngosSeit Wladimir Putin vor nun schon fast 15 Jahren rus-sischer Praumlsident wurde versucht er sehr erfolgreich alle autonomen politischen Subjekte in Russland der direkten Kontrolle des Staates besser noch des Kremls zu unterwerfen In Wirtschaft und Politik ist das wei-testgehend gelungen Bei den Massenmedien sehr weit-gehend Blieben und bleiben die NGOs Sie haben sich als am widerstaumlndigsten erwiesen Das hat unterschied-liche Gruumlnde

Erstens galten NGOs im Kreml lange nicht als son-derlich gefaumlhrliche politische Bedrohung Das aumlnderte sich kurzzeitig 20042005 als der Kreml vor allem bei der sogenannten Orangenen Revolution in der Ukraine aus dem Ausland finanzierte NGOs als wichtige trei-bende Kraft der politischen Veraumlnderungen betrachtete Doch hielt diese seinerzeit stark uumlbertriebene Angst vor der Moumlglichkeit aumlhnlich raquoumstuumlrzlerischer Machen-schaftenlaquo in Russland nur recht kurz an Danach etwa ab Ende 2006 und bis zur Protestwelle gegen Wahlfaumll-schungen und die Wiederwahl von Wladimir Putin zum russischen Praumlsidenten im Winter 20112012 periodisch blieben die Aufmerksamkeit den NGOs gegenuumlber und das Verhaumlltnis zwischen Staat und NGOs ambivalent

Dieses Verhaumlltnis schwankt seit Putins Machtan-tritt zwischen dem Misstrauen des Staates allen auto-nomen potentiell eigenstaumlndigen politischen Subjekten gegenuumlber (die aus seiner Sicht streng kontrolliert gehouml-ren) und der Erkenntnis dass NGOs eine ganze Reihe wichtiger sozialer und politischer Funktionen ausfuumll-len die der Staat nicht oder nicht mehr zu gewaumlhrleis-ten in der Lage ist Auszligerdem erwiesen sich die NGOs nach weitgehender Abschaffung der Pressefreiheit und Gleichschaltung der (ohnehin schwachen und in vielen Bereichen dysfunktionalen) politischen Parteien fuumlr den Kreml als nuumltzlicher ja mitunter notwendiger Kommu-nikationskanal in die Gesellschaft

Die Uumlberlebensfaumlhigkeit der russischen ngosDas Uumlberleben unabhaumlngiger NGOs wurde bis heute auszligerdem durch ihre groszlige politische und institutio-nelle Lernfaumlhigkeit gewaumlhrleistet Unter dem staatli-chen Druck der vergangenen 15 Jahre ist die NGO-Arbeit in Russland in fast allen Bereichen professioneller geworden Das gilt insbesondere fuumlr die Einhaltung der in vielem widerspruumlchlichen oft geaumlnderten und uumlber Verwaltungsakte zu wahren buumlrokratischen Monstern

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aufgeblaumlhten die NGOs betreffenden Gesetze Kurz gesagt Vor allem Juristen Buchhalter Geschaumlftsfuumlh-rer die NGOs beraten oder in ihnen arbeiten aber auch viele Aktivisten sind schlicht besser schneller und pro-fessioneller als die staatliche Finanz- Justiz- oder sons-tige Verwaltung Einem in vielem legalistischen Staat gegenuumlber kostet diese staumlndige Professionalisierung (auch im Sinn einer Art raquolebenslangen Lernenslaquo) zwar viel Kraft und es muumlssen dafuumlr nicht geringe Ressour-cen eingesetzt werden aber sie verschafft solange es sich nicht um frontale Angriffe handelt immer wieder Raum und Zeit zum Weitermachen

Damit komme ich zum dritten Grund fuumlr die beson-dere Widerstaumlndigkeit von NGOs in Russland Es ist fuumlr einen Staat (und seine Staatsmaumlnner und -frauen) fuumlr den der Eigensinn der Menschen nur schwer vorstell-bar ist und der vom eigenen Zynismus geleitet hin-ter jedem und allem irgendwelchen raquofremden Maumlchtelaquo Verschwoumlrungen und politischen Utilitarismus vermutet ganz offenbar schwer vorstellbar dass zivilgesellschaftli-ches Engagement sozusagen aus sich selbst heraus oder aus einer bestimmten Situation oder einem bestimmten Ereignis einem Erlebnis oder einer Erfahrung heraus entsteht Administrative auch strafrechtliche Maszlig-nahmen gegen dieses Engagement laufen eben deshalb immer wieder zwar nicht voumlllig ins Leere (sie erschwe-ren dieses Engagement mitunter enorm) aber sie koumln-nen es nicht verhindern Es verlagert sich immer wieder und findet immer neue Formen und Foren

Die Verstaumlrkung der staatlichen kontrolleBis heute gab es unter Putin drei groumlszligere Versuche unab-haumlngige NGOs unter mehr oder weniger direkte staatli-che Kontrolle zu bringen und diejenigen die sich dagegen wehrten entweder zu marginalisieren oder auch zu schlie-szligen Der erste im Jahr 2001 endete mit einem oben schon angedeuteten Kompromiss der das Verhaumlltnis Kreml-NGOs in einem (allerdings jederzeit prekaumlren) Gleich-gewicht zwischen Konfrontation und Kooperation hielt

Der zweite Versuch endete in der Verabschiedung des raquoNGO-Gesetzeslaquo Ende 2005Anfang 2006 das den NGOs weitergehende Berichtspflichten auferlegte in der Praxis also Ressourcen band und bindet aber ebenfalls in der Praxis und entgegen anderslautenden Befuumlrchtungen nicht zu wesentlichen Einschraumlnkun-gen in der Arbeit russische NGOs fuumlhrte Die groumlszligte negative Wirkung dieses Versuches duumlrfte von zahlrei-chen oumlffentlichen Aumluszligerungen hochgestellter Politiker bis hin zu Putin ausgegangen sein NGOs seien raquoFeindelaquo raquoSchakale die um auslaumlndische Vertretungen streunenlaquo Dadurch wurde die Einstellung von Teilen der Gesell-schaft vor allem aber von weiten Teilen der Verwaltung zu NGOs grundsaumltzlich negativ gepraumlgt

Der dritte Versuch begann als Teil der staatlichen Reaktionen auf den Protestwinter 20112012 und haumllt bis heute an Sein wichtigster Bestandteil ist das soge-nannte raquoNGO-Agentengesetzlaquo das eigentlich kein eigenes Gesetz ist sondern aus einer Reihe dem NGO-Gesetz neu hinzugefuumlgter oder geaumlnderter Paragraphen besteht Diese Vorschriften verpflichten NGOs die raquosich politisch betaumltigenlaquo und Geld oder andere Zuwendun-gen aus dem Ausland erhalten sich beim Justizminis-terium als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren zu lassen Danach muumlssen sie jede oumlffentliche Aumluszligerung mit dem Zusatz raquoauslaumlndischer Agentlaquo versehen

Die Durchsetzung des AgentengesetzesTrotz erheblichen staatlichen raquoPressingslaquo der raquoUumlber-pruumlfunglaquo von mehr als 700 NGOs in ganz Russland durch Staatsanwaltschaft Justizministerium Finanz-amt und eine Reihe anderer Behoumlrden ab dem Fruumlhjahr 2013 hatte sich im Fruumlhjahr 2014 erst eine NGO als raquoauslaumlndischer Agentlaquo im entsprechenden Register des Justizministeriums eintragen lassen (lthttpunromin justruNKOForeignAgentaspxgt) Alle anderen selbst diejenigen NGOs die von den Behoumlrden als raquoAgentenlaquo eingestuft und teilweise mit empfindlichen Geldstra-fen belegt worden waren weigerten sich und weigern sich bis heute Viele NGOs klagten und klagen sowohl gegen das Gesetz als auch gegen die raquoUumlberpruumlfungenlaquo und die aus ihnen von den Justizbehoumlrden abgeleite-ten Bescheide und Anweisungen vor russischen Gerich-ten aber auch vor dem Europaumlischen Gerichtshof fuumlr Menschenrechte (EGMR) Eine Entscheidung des rus-sischen Verfassungsgerichts hat die raquoAgentenparagra-phenlaquo fuumlr verfassungskonform erklaumlrt wenn auch einige Einzelbestimmungen darunter die zu Mindeststrafen aufgehoben

Im Juni 2014 beschloss die Staatsduma eine Verschaumlr-fung der raquoAgentenlaquo-Paragraphen des NGO-Gesetzes Seither hat das Justizministerium das Recht NGOs auch ohne deren Zustimmung in das raquoAgentenlaquo-Register ein-zutragen Bis heute (21102014) hat es 15 NGOs getrof-fen Es ist damit zu rechnen das weitere folgen werden Justizminister Jurij Tschajka hat bereits 2013 im Foumlde-rationsrat von 24 NGOs gesprochen die nach Ansicht des Ministeriums raquoAgentenlaquo seien Auszligerdem wurden 2013 und 2014 mehr als 40 NGOs von der Staatsanwalt-schaft aufgefordert sich vorsorglich als raquoAgentenlaquo regis-trieren zu lassen da sie Geld aus dem Ausland bekaumlmen und Gefahr liefen sich raquopolitisch zu betaumltigenlaquo

Die reaktionen der ngos auf das AgentengesetzDie praktischen Reaktionen der NGOs auf diesen staat-lichen Druck sind unterschiedlich Einige NGOs wie

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die Wahlbeobachter von raquoGoloslaquo haben sich als juris-tische Personen aufgeloumlst oder sind wie die raquoJuristen fuumlr Verfassungsrechte und Freiheitlaquo dabei sich aufzu-loumlsen (ein juristisch und administrativ nicht ganz ein-facher und langwieriger Vorgang) Fast alle NGOs die sich aufloumlsen haben aber erklaumlrt ihre Arbeit auch ohne juristischen Status fortsetzen zu wollen Rechtlich ist das moumlglich Praktisch werden diese NGOs auf zahlreiche neue Probleme treffen wohl bis hin zur moumlglichen Kri-minalisierung einzelner Personen

Einige andere NGOs darunter das Menschenrechts-zentrum Memorial machen weiter wie bisher Sie fech-ten meist die Eintragung in das raquoAgentenregisterlaquo vor Gericht an (in der Regel ohne besonderen Erfolg) Das Menschenrechtszentrum Memorial aber auch einige andere NGOs wollen bis zum EGMR gehen unter ande-rem weil sie das Gesetz insgesamt fuumlr unmoralisch und verfassungswidrig haumllt

Eine weitere Reaktion ist eine Art Hase-und-Igel-Spiel mit den Behoumlrden Das kann sich in einem Geflecht von unterschiedlichen NGOs ausdruumlcken die unter-schiedliche Funktionen wahrnehmen Eine NGO macht politische Erklaumlrungen und betreibt Lobbying Ihre Aktivistinnen arbeiten ausschlieszliglich ehrenamt-lich Eine andere bekommt auslaumlndische Finanzierung fuumlr Projekte die auch nach der Definition von Staatsan-waltschaft und Justizministerium nicht raquopolitischlaquo sind Wieder andere NGOs weichen auf Organisationsformen (juristische Personen) jenseits des NGO-Gesetzes aus die dann nicht den raquoAgentenparagraphenlaquo unterliegen

Der Vorstoszlig gegen memorialAllerdings beschraumlnkt sich die staatliche Behinderung und Bedrohung von NGOs nicht auf das relativ neue Agentengesetz Alle anderen laumlnger erprobten adminis-trativen bis strafrechtlichen Instrumente bleiben eben-falls im Einsatz Juumlngstes und bekanntestes aber bei weitem nicht einziges Beispiel ist der Schlieszligungsan-trag des Justizministeriums vor dem Obersten Gericht gegen raquoMemorial Russlandlaquo raquoMemorial Russlandlaquo ist ein Netzwerk aus rund 50 regionalen und thematischen Memorial-Organisationen und selbst eine von mehr als 60 Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Internatio-nallaquo (Zum Memorial-Netzwerk siehe lthttprusslandboellblogorg20141011wie-funktioniert-memorial-ein-kleiner-wegweiser-durch-eine-zugegeben-kompli zierte-strukturgt) Bei einer der regelmaumlszligigen Pruumlfun-

gen stellte das Justizministerium Anfang 2012 also vor Beginn der jetzigen Repressionswelle gegen NGOs fest dass die seit Gruumlndung der Organisation geltende konfouml-derative Struktur von raquoMemorial Russlandlaquo raquonicht dem Gesetz entsprechelaquo und geaumlndert werden muumlsse Insbe-sondere behagt dem Justizministerium nicht dass die Mehrzahl der Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Russlandlaquo ihrerseits eigenstaumlndige juristische Personen sind raquoMemorial Russlandlaquo muumlsse sich zentralistisch organisieren und die regionalen Memorial-Organisa-tionen zu Filialen werden Ohne hier ins Detail gehen zu koumlnnen wuumlrde das aber zu weiteren Problemen fuumlh-ren die wiederum die Schlieszligung von Memorial durch das Justizministerium zum Ergebnis haumltten Memorial sucht einen Ausweg das Justizministerium betreibt die Schlieszligung Viele NGOs haben Probleme mit der Feu-erwehr dem Gesundheitsamt oder der Arbeitsschutzbe-houmlrde Beliebt ist in juumlngster Zeit auch die Kuumlndigung von Mietvertraumlgen (so unlaumlngst geschehen bei raquoGoloslaquo und der raquoBewegung fuumlr Menschenrechtelaquo)

soziale und politische ngosSeit dem Fruumlhjahr zeichnet sich noch ein weiterer Angriff auf unabhaumlngige und staatskritische NGOs ab Der von Michail Fedotow geleitete Zivilgesellschaftsrat beim Praumlsidenten beraumlt seit einiger Zeit eine erneute Aumlnde-rung des NGO-Gesetzes Er schlaumlgt vor die Agenten-paragraphen abzuschaffen und dafuumlr um den Befuumlrch-tungen des Kremls auf politische Einflussnahme (nicht nur aus dem Ausland) Rechnung zu tragen kuumlnftig eine Einteilung von NGOs in raquosozialelaquo und raquopolitischelaquo vor-zunehmen raquoSozialelaquo NGOs sollen diesen Vorschlaumlgen nach kuumlnftig steuerlich beguumlnstigt sein und staatliche Zuwendungen erhalten koumlnnen raquoPolitischelaquo NGOs wer-den hingegen von staatlicher Foumlrderung ausgeschlossen und sollen auf alle Zuwendungen insbesondere aber auf Zuwendungen aus dem Ausland einen noch fest-zulegenden Steuersatz zahlen Die Befuumlrworter dieser im Uumlbrigen im Zivilgesellschaftsrat nicht unumstrit-tenen Initiative verweisen darauf dass so die heute als raquoAgentenlaquo verfolgten NGOs eventuell noch gerettet wer-den koumlnnten waumlhrend staatliche Foumlrderung aller ande-ren verstaumlrkt wuumlrde Ein Gewinn also fuumlr alle Betei-ligten Tatsaumlchlich verbirgt sich hinter dem Vorschlag aber eine gefaumlhrliche Tendenz zur Entsolidarisierung in der NGO-Szene wie sie auch anderswo schon laumln-ger zu beobachten ist

Uumlber den AutorJens Siegert ist Diplompolitologe und leitet seit 1999 das Laumlnderbuumlro Russland der Heinrich Boumlll Stiftung in Mos-kau Davor arbeitete er in Moskau als Korrespondent fuumlr Radiostationen Zeitschriften und Zeitungen im deutsch-sprachigen Raum

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Lesetippsbull Siegert Jens Putin und die Zivilgesellschaft in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 12 06 2013

lthttprusslandboellblogorg20130612putin-und-die-zivilgesellschaftgtbull Siegert Jens Uumlber ein Jahr raquoNGO-Agentenlaquo-Jagd ndash eine Art Zwischenbericht in Russland-Blog (Hein-

rich-Boumlll-Stiftung Moskau) 4 Juni 2014 lthttprusslandboellblogorg20140604ueber-ein -jahr-agenten-jagd-eine-art-zwischenberichtgt

bull Siegert Jens Russische raquoNGO-Agentenjagdlaquo ndash eine Zwischenbilanz in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 7 Juni 2013 lthttprusslandboellblogorg20130607russische-ngo-agentenjagd-eine-zwischenbilanzgt

bull Siegert Jens Erklaumlrung Permer NGOs warum sie sich unter keinen Umstaumlnden als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren lassen in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 26 Mai 2013 lthttprusslandboellblogorg20130526erklarung-permer-ngos-warum-sie-sich-unter-keinen-umstanden-als-auslandische-agenten-registrieren-lassengt

bull Siegert Jens Memorial raquoNGO-Agentengesetzlaquo ist ungesetzlich und unmoralisch Keine freiwillige Registrierung als raquoauslaumlndischer Agentlaquo in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 22 September 2013 lthttpruss landboellblogorg20120922memorial-ngo-agentengesetz-ist-ungesetzlich-und-unmoralisch-keine-freiwillige-registrierung-als-auslandischer-agentgt

bull Siegert Jens Sozialer Wandel und politische Dynamik in Russland 201112 in Russland-Analysen Nr 245 19 Oktober 2012 lthttpwwwlaender-analysenderusslandpdfRusslandanalysen245pdfgt

ANALYSE

ein kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen engagements zur Unterstuumltzung und integration von migranten in russlandMarina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin

zusammenfassungObwohl die Wirtschaft Russlands aufgrund der ruumlcklaumlufigen Bevoumllkerungszahl auf Migranten angewiesen ist ist der Groszligteil der Bevoumllkerung des Landes Migranten gegenuumlber skeptisch und oft geradezu fremden-feindlich eingestellt Durch eine schlecht koordinierte staatliche Migrationspolitik ist die Lage der Arbeits-migranten meist prekaumlr Initiativen aus der Zivilgesellschaft versuchen die Situation der Migranten zu ver-bessern und leisten Aufklaumlrungsarbeit in der Bevoumllkerung sowie konkrete Hilfestellungen fuumlr Migranten Die Arbeit solcher Aktivisten wird jedoch oftmals durch staatliche Einmischung erschwert

immigration nach russland als gesellschaftliches ProblemDie widerspruumlchliche Migrationspolitik der russischen Regierung und die aufgeheizte Stimmung in der Bevoumll-kerung haben 2013 zu vermehrten xenophoben Uumlbergrif-fen auf Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien gefuumlhrt (siehe beispielsweise die Unruhen in Birjuljowo im Oktober 2013) Diese Entwicklung wirft die Frage auf welche Haltung die russische Zivilgesellschaft hierzu einnimmt Gibt es zivilgesellschaftliche Initiativen die dieser fremdenfeindlichen Stimmung entgegenwirken

In der russischen Oumlffentlichkeit ist oft von einer Flut von Arbeitsmigranten aus den GUS-Staaten die Rede doch in Wirklichkeit ist die Immigration nach Russ-land im internationalen Vergleich gering Zudem zeigen Zahlen der Staatlichen Statistikbehoumlrde raquoRosstatlaquo dass

die russische Wirtschaft aufgrund der demographischen Entwicklung in zunehmendem Maszlige Arbeitskraumlfte aus dem Ausland benoumltigt (bis 2030 ndash so die Prognose ndash soll die russische arbeitsfaumlhige Bevoumllkerung um 103 Mil-lionen Menschen abnehmen)

Trotzdem gibt es starke fremdenfeindliche Stimmun-gen die sich gegen Immigranten aus Zentralasien und dem Kaukasus richten Diese Ablehnung von Migran-ten hat zugenommen und schafft den Naumlhrboden fuumlr Pogrome wie 2006 in Kondopoga 2010 auf dem Mos-kauer Manegenplatz sowie 2013 in der Stadt Pugat-schow und dem Moskauer Vorort Birjuljowo Angst und Verachtung gegenuumlber Fremden ziehen sich durch alle Gesellschaftsschichten Sie werden als Kriminelle und Illegale stigmatisiert und nicht nur Nationalisten ver-wenden die Losung raquoRussland den Russenlaquo um Ras-

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 20

sismus zu schuumlren und die Stimmung gegen Migranten weiter anzuheizen

es gibt keine migrationspolitikDiese interethnischen Konflikte spiegeln sich auch im russischen Alltag wieder Der durch den Foumlderalen Migrationsdienst praktizierte administrative und poli-zeiliche Umgang mit Migration ist nicht effektiv Eine Stigmatisierung der Migranten als potenzielle Krimi-nelle und eventuelle Uumlberlegungen zur Verschaumlrfung des Migrationsgesetzes koumlnnen die Probleme nicht loumlsen die gerade auch auf kommunaler Ebene anfallen Die nur situativen politischen Maszlignahmen fuumlhren mitunter zu einer Verschaumlrfung des Problems Eine uumlbergreifende Strategie existiert nicht die Politik weiszlig auf die Migra-tionsfrage keine Antwort Ein autoritaumlres zentralisier-tes System ist nicht im Stande die regionalen Probleme dieses riesigen Landes zu loumlsen deshalb liegt es vor allem an der Zivilgesellschaft sich diesen Themen zu widmen

zivilgesellschaftliche Projekte AufklaumlrungsarbeitIn Moskau und Sankt Petersburg gibt es verschiedene nichtstaatliche Projekte die sich sowohl fuumlr mehr Tole-ranz als auch fuumlr die Integration der Migranten einsetzen

Einige von ihnen bestehen schon mehrere Jahre Boris Romanow ist einer der Gruumlndervaumlter eines zivil-gesellschaftlichen Netzwerks zur Unterstuumltzung von Menschen mit Migrationshintergrund in Sankt Peters-burg Er arbeitet mit den unterschiedlichsten NGOs zusammen die zu Themen wie Toleranz Antirassis-mus Homophobie Antiziganismus und Antisemitis-mus arbeiten Finanziert durch das Goethe-Institut rief er 2012 raquoRespektlaquo ins Leben ein Comic-Projekt inter-nationaler Kuumlnstler mit dessen Hilfe Schuumller ihr Den-ken uumlber Fremde reflektieren und selbst in Frage stel-len koumlnnen Laut Romanow scheitern solche Projekte oft an der Buumlrokratie der Kommunen Durch das neue NGO-Gesetz gebe es kaum noch Kontaktmoumlglichkei-ten zu staatlichen Schulen erlaumlutert Romanow so dass eine Zusammenarbeit houmlchstens uumlber einzelne Lehrer nicht jedoch uumlber die Schuldirektion moumlglich sei Dies widerspreche dem Konzept zivilgesellschaftlicher Arbeit die vor allem jedermann offen stehen will Durch das geschlossene staatliche Schulsystem komme es selten zu einer Kooperation mit interessierten Lehrern Die Zusammenarbeit von Staat und Zivilgesellschaft ist unabdingbar macht aber die Finanzierung der Projekte schwierig da sie im Falle einer Unterstuumltzung auslaumln-discher Sponsoren unter das neue NGO-Gesetz fallen

Im Zuge der neuen NGO-Gesetzgebung wurde das Antidiskriminierungszentrum raquoMemoriallaquo in Sankt Petersburg geschlossen Dessen ehemaliger Mitarbei-

ter Andrej Jakimow ist Anthropologe Seine langjaumlh-rige Arbeit mit ethnischen Minderheiten wie Sinti und Roma Arbeitsmigranten und Staatenlosen macht ihn zu einem erfahrenen Koordinator der raquoStiftung zur Unter-stuumltzung und Entwicklung von Bildungs- und Sozial-projektenlaquo (raquoPSP-Fondlaquo) in Sankt Petersburg Auch fuumlr ihn zaumlhlt die aktive Aufklaumlrungsarbeit zu den wichtigs-ten Punkten seines zivilgesellschaftlichen Engagements Die juristische und psychologische Betreuung von Mig-ranten stehen neben der Sensibilisierung der russischen Bevoumllkerung im Zentrum seiner Arbeit Seiner Erfah-rung nach interessieren sich die OSZE und die UNO nur marginal fuumlr diese Themen also muumlssen die Pro-bleme der Arbeitsmigranten auf nationaler Ebene geloumlst werden Seine Kontakte zu verschiedenen Netzwerken in den Auswanderungslaumlndern helfen den Migranten sich schon vor der Einreise nach Russland auf den Aufenthalt vorzubereiten In der Zusammenarbeit von Staat und Experten sieht Jakimow eine Moumlglichkeit eine effek-tive Migrationspolitik zu entwickeln

fuumlr die Verbesserung der migrationspolitikAumlhnlich denken auch Wjatscheslaw Postawnin und Natalja Wlasowa die die Stiftung raquoMigrazija XXI weklaquo (raquoMigration im 21 Jahrhundertlaquo) gegruumlndet haben Sie selbst sind ehemalige Mitarbeiter des Foumlderalen Migra-tionsdienstes und kennen die staatliche Migrationspoli-tik von innen Die Regierung unter Putin scheint keiner-lei Loumlsungsansaumltze fuumlr die immer staumlrker zunehmende Xenophobie in Russland zu erarbeiten In den fuumlnf Jah-ren ihrer Existenz hat sich die Organisation in Mos-kau zu einem unabhaumlngigen intellektuellen und wissen-schaftlichen Zentrum entwickelt das Vorschlaumlge fuumlr die Verbesserung der staatlichen Migrationspolitik ausarbei-tet Diese Vorschlaumlge werden oft von der Administration des Praumlsidenten beruumlcksichtigt jedoch nicht sofort und ohne Nennung der Urheberschaft In Zusammenarbeit mit der Weltbank und dem Netzwerk raquoMirpallaquo (raquoMigra-tion and Remittance Peer-Assisted Learninglaquo) erstellt die Organisation Statistiken zu den Migrationsstroumlmen aus den GUS Staaten die oftmals stark von den offiziellen Zahlen des Foumlderalen Migrationsdienstes abweichen

fluumlchtlingsarbeitDie von Swetlana Gannuschkina einer wichtigen Men-schenrechtlerin in Russland 1990 mitbegruumlndete Orga-nisation raquoGrashdanskoje sodejstwijelaquo (raquoBuumlrgerhilfelaquo) beschaumlftigt sich nicht nur mit Arbeitsmigration sondern zu vier Fuumlnfteln mit Fluumlchtlingen Es war die erste Orga-nisation dieser Art in Moskau und wurde im Zusam-menhang mit dem Konflikt um Berg-Karabach und dem Krieg in Tschetschenien gegruumlndet um den Fluumlchtlin-gen aus diesen Regionen zu helfen Die Unterstuumltzung

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 21

der Arbeitsmigranten umfasst juristische Konsultation und die Loumlsung administrativer Fragen z B bei nicht ausgezahlten Gehaumlltern Deportationen Einreisever-boten Die Organisation stellt juristischen Beistand bei unbegruumlndeten Klagen gegen Migranten hilft bei Kla-gen gegen Arbeitgeber wegen nicht ausgezahlter Loumlhne fuumlhrt ein Projekt gegen Hate Crimes durch und veran-staltet Spendenaktionen auf ihrer Webseite Besonders die aumlrztliche Versorgung ist wichtig da der staatliche Notdienst Migranten oft seine Hilfe verwehrt raquoGrash-danskoje sodejstwijelaquo arbeitet eng mit dem Fluumlchtlings-hilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) der Inter-nationalen Organisation fuumlr Migration (IOM) und mit dem Netzwerk raquoMigrazija i prawolaquo (raquoMigration und Rechtlaquo) einem Programm des Menschenrechtszentrums raquoMemoriallaquo zusammen Obwohl in der offiziellen Rhe-torik die Bedeutung der Migration fuumlr Russland unter-strichen wird (wie zum Beispiel in der raquoKonzeption der staatlichen Migrationspolitik 2025laquo) beobachtet man in der Praxis meist die stumme Hinnahme der Uumlber-griffe auf Arbeitsmigranten Nach dem Inkrafttreten des NGO-Gesetzes fand bei der Organisation eine Uumlberpruuml-fung durch die Staatsanwaltschaft statt Ob und wenn ja wie dieses Projekt weiterlaufen wird ist bis heute unklar

Arbeit mit fluumlchtlingskindernIm Rahmen der Organisation raquoBuumlrgerhilfelaquo gibt es zudem ein raquoZentrum fuumlr Integration und Unterricht fuumlr Fluumlchtlingskinderlaquo da das staatliche Programm mit dem Kinder mit Migrationshintergrund Russisch lernen nicht ausreichend ist

Aumlhnlich wie ihre Kollegen aus Moskau arbeiten die Freiwilligen des zivilgesellschaftlichen Projekts raquoDeti Peterburgalaquo (raquoKinder von Petersburglaquo) mit Kindern des-sen Eltern aus den unterschiedlichsten Gruumlnden nach Russland immigriert sind Zwei Projektkoordinatoren der Organisation raquo[Wahl]Beobachterlaquo Daniil Ljubarow und Irina Beljaewa haben 2012 raquoDeti Peterburgalaquo gegruumlndet Angefangen mit einem Angebot von Russisch-Grundkur-sen fuumlr Vorschuumller mit Migrationshintergrund hat sich dieses Programm mittlerweile so weit entwickelt dass Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre an sechs verschie-

denen Standorten in Sankt Petersburg an Russischkursen teilnehmen koumlnnen Bis 2014 hatte es noch nicht einmal feste Raumlumlichkeiten gegeben die Mitarbeiter der raquoDeti Peterburgalaquo organisierten sich ausschlieszliglich uumlber soziale Netzwerke Der virtuelle Raum verbindet diese Organi-sation auch mit anderen zivilgesellschaftlichen Projek-ten So zieht das Projekt nicht nur politische Aktivisten an sondern vor allem Paumldagogen Linguisten und Stu-denten die die Kurse vorbereiten und durchfuumlhren Der Aufbau von kreativen Zirkeln gehoumlrt genauso zur Arbeit von raquoDeti Peterburgalaquo wie die Koordination von Ausfluuml-gen in die Umgebung Museen oder Theatern Das Pro-jekt ist abhaumlngig von seinen Teilnehmern Die fehlen-den Sprachkenntnisse der Eltern fuumlhren oft zu groszligen Kommunikationsproblemen Aber auch die wechselnden und meist aumluszligerst schwierigen Arbeitszeiten der Eltern erschweren die Durchfuumlhrung des Projekts Die staumldti-sche Buumlrokratie versucht den Elan der Mitarbeiter zu bremsen Auch deshalb bleibt das Projekt nichtstaatlich

fazitMisstrauen gegenuumlber der Regierung soziale Probleme und Alltagsrassismus bewegen immer mehr Menschen dazu sich eigenstaumlndig mit der negativen Entwicklung beim Umgang mit Migranten zu beschaumlftigen Aus Inter-views mit den Mitarbeitern der verschiedenen Organisa-tion laumlsst sich schlieszligen dass eine russische Zivilgesell-schaft entstanden ist die die Migrationsfrage einerseits als Arbeit mit der Mehrheits- also russischen Bevoumllkerung betrachtet um diese zu sensibilisieren Anderseits gibt es Initiativen die vor allem konkrete Hilfe fuumlr Migranten leisten um deren alltaumlgliche Probleme zu minimieren

Die Zivilgesellschaft bemuumlht sich Vorurteile abzu-bauen die Migrationspolitik realistischer zu machen und Migranten wie Fluumlchtlingen konkrete Hilfestellung zu geben Die Behoumlrden sabotieren diese Arbeit In den Groszligstaumldten wird der Zuzug von Migranten restriktiv gehandhabt Arbeitgeber wissen um den oft schwierigen Status der Migranten und nutzen die Situation aus um die Migranten weiter auszubeuten Die Arbeit der Zivil-gesellschaft zur Sensibilisierung der russischen Bevoumllke-rung wird durch die offizielle Politik oft konterkariert

Uumlber die AutorenIm Rahmen des Projektkurses raquoZiviler Ungehorsam Gesellschaft und Staat in Osteuropalaquo reisten die Studierenden des Osteuropa-Instituts der Freien Universitaumlt Berlin Michael Bellmann und Kristina Arisov nach Moskau sowie Marina Grinfeld und Christina Huthmann nach St Petersburg um mit Aktivisten und Organisationen die sich fuumlr die Integration von Migranten in Russland einsetzen Interviews zu fuumlhren und die Position der Zivilgesellschaft zur Migrationsproblematik zu analysieren

Lesetippsbull Judah Ben Russiarsquos Migration Crisis in Survival 552013 Nr 6 S 123ndash131

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 22

bull Malakhov Vladimir S Russia as a New Immigration Country Policy Response and Public Debate in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1062ndash1079

bull Schenk Caress Controlling Immigration Manually Lessons from Moscow (Russia) in Europe-Asia Studies 652013 Nr 7 S 1444ndash1465

bull Spahn Susanne Die gelenkte Xenophobie Migration und nationale Frage in Russland Russland nur fuumlr Russen in Osteuropa 642014 Nr 7 S 55ndash67

bull Tipaldou Sofia Katrin Uba The Russian Radical Right Movement and Immigration Policy Do They Just Make Noise or Have an Impact as Well in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1080ndash1101

UmFRAGE

Uumlber die zivilgesellschaft in russland

zur zivilgesellschaftlichen und politischen Aktivitaumlt der russen

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 15 stellen sie sich vor ihre nachbarn schlagen eine gemeinsame muumlllsammelaktion in der nahegelege-nen Parkzone vor Was waumlren sie bereit zu uumlbernehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator der Aktionwerden

An der Aktionmitwirken

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 16 haben sie im vergangenen halbjahrJahr hellip

0 20 40 60 80 100

hellip an den Aktivitaumlten einer non-profit Organisation teilgenommen als Freiwilliger gearbeitet

hellip sich mit gesellschaftlichen Problemen an ihrem Wohnort beschaumlftigt

hellip an Groszligveranstaltungen Demonstrationen Streiks Kundgebungen Umzuumlgen teilgenommen

Ja Keine Antwort Nein

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 23

grafik 17 stellen sie sich vor dass es an ihrem Wohnort zu massenhaften Wahlfaumllschungen kommt irgend-jemand ruft zur Durchfuumlhrung von Protestaktionen gegen die Wahlfaumllschungen auf Was wuumlrden sie unternehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator dieser Aktionwerden

An dieser Protestaktionteilnehmen

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 18 Waren sie haben sie sich in den vergangenen einndashzwei Jahren hellip

0 20 40 60 80 100

hellip Mitglied einer politischen Partei

hellip Wahlbeobachter

hellip an der Arbeit einer Menschenrechtsorganisation beteiligt

hellip sich im Internet (in sozialen Netzwerken auf Foren) zu politischen Themen geaumluszligert

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

zur gesellschaftlichen Aktivitaumlt

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

grafik 19 haben sie persoumlnlich in den vergangenen zweindashdrei Jahren an der taumltigkeit einer gesellschaftlichen organisation teilgenommen Wenn ja wie genau (beliebige zahl an Antworten)

6

6

5

2

2

84

1

050

Habe an gesellschaftliche Organisationen gespendetoder andere materielle Hilfe geleistet

Habe an Wohltaumltigkeitsveranstaltungen teilgenommen(Konzerte Ausstellungen Wohltaumltigkeitslotterie Auktionen)

Habe Freiwilligenarbeit geleistet (kostenlos)

Habe gegen Entgelt in einer gesellschaftlichenOrganisation gearbeitet

Habe Informationen zu den Taumltigkeitenvon gesellschaftlichen Organisationen verteilt

Nicht teilgenommen

Anderes

Keine Antwort

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 24

grafik 20 haben ihnen irgendwann einmal gesellschaftliche organisationen geholfen

0 20 40 60 80 100

Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja mit Geld geholfen Ja auf andere Weise geholfen Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

Die oumlffentliche meinung zu ngos mit auslaumlndischer finanzierung (April 2013)

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 21 mit welcher meinung zur taumltigkeit russischer ngos stimmen sie am ehesten uumlberein

Sie bringen einen groszligen Nutzen

4

Sie bringen mehr Nutzen als Schaden

15Sie bringen ebenso viel

Nutzen wie Schaden23

Sie bringen mehr Schaden als Nutzen

18

Sie bringen weder Nutzen noch Schaden

13

Keine Antwort27

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 22 ist es fuumlr sie wichtig ob eine russische menschenrechtsorganisation aus einheimischen oder auslaumln-dischen mitteln finanziert wird

Sehr wichtig10

Eher wichtig34

Nicht besonders wichtig24

Vollkommen unwichtig18

Keine Antwort14

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 25

grafik 23 Welche ziele verfolgen westliche laumlnder und organisationen die russische ngos mit mitteln aus-statten

Einen verstaumlrkten Einfluss auf die russische

Innenpolitik42

Einen Kampf gegen den russischen Staat

19Eine Unterstuumltzung der

russischen Zivilgesellschaft

8

Kein besonderes Ziel russische NGOs werden wie andere aus standardisierten

internationalen Programmen unterstuumltzt

12

Keine Antwort19

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 24 Duumlrfen organisationen die sich mit dem schutz der Buumlrgerrechte beschaumlftigen und den staat kriti-sieren das recht haben mittel aus dem Ausland zu beziehen

Ja20

Nein56

Keine Antwort24

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 25 Unterstuumltzen sie harte sanktionen gegen ngos die einer politischen taumltigkeit nachgehen und gelder aus dem Ausland erhalten sich aber nicht nach dem gesetz als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren

Auf jeden Fall20

Eher ja32

Eher nein15

Auf keinen Fall5

Keine Antwort28

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 26

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RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 27

luumlgen des fernsehkanals ntV und Beanstandungen des Justizministeriums erklaumlrung des menschenrechtszentrums memoriAl und der russischen gesellschaft

memoriAl

Die Behauptung bei NTV das russische Justizministerium habe die Liquidierung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL eingeleitet fuumlhrte heute zu etlichen Irritationen Das Menschenrechtszentrum und die Russische Gesell-schaft MEMORIAL (die Dachorganisation der russischen Memorial-Verbaumlnde) haben aus diesem Anlass nachste-hende Erklaumlrung abgegeben

Am 10 Oktober strahlte NTV unter dem Titel raquoAuszligergewoumlhnliches Ereignislaquo eine Sendung aus die aus boumlswil-ligen Luumlgen aber auch aus Fehlinformationen in Folge von Unkenntnis bestand

Die Arbeit des Menschenrechtszentrums MEMORIAL als Unterstuumltzung von Extremisten und Terroristen dar-zustellen ist eine infame Luumlge Auf Unkenntnis basiert hingegen die Behauptung das Justizministerium habe des-halb den Antrag gestellt das Menschenrechtszentrum MEMORIAL zu liquidieren

In Wirklichkeit hat das Justizministerium beim Obersten Gericht der Russischen Foumlderation nicht die Aufloumlsung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL beantragt Es geht hier vielmehr um eine andere Organisation naumlmlich die Russische Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIAL

Die russische Gesellschaft MEMORIAL wurde vom Justizministerium bereits 1992 registriert Bis heute befinden sich unter ihrem Dach verschiedene Memorial-Verbaumlnde die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen

Im Jahre 2012 20 Jahre nach der ersten Registrierung tauchten beim Justizministerium ploumltzlich Zweifel hin-sichtlich des russischen Rechtsstatus von Memorial auf obwohl der Gesellschaft praktisch dieselben regionalen Ver-baumlnde angehoumlren wie zuvor und sich die Gesetzeslage in dieser Frage in keinem Punkt geaumlndert hatte

Geaumlndert hat sich allerdings die Position des Justizministeriums das erneut einen raquodemokratischen Zentralismuslaquo anstrebt der nach der Abschaffung der fuumlhrenden Rolle der KPdSU nicht mehr aktuell schien Heute erklaumlrt das Jus-tizministerium nur jene gesellschaftlichen Vereinigungen koumlnnten der Russischen Gesellschaft MEMORIAL ange-houmlren die in ihrer Bezeichnung die Worte raquoVerband (otdelenie) der Russischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklauml-rung Sozialarbeit und Menschenrechte MEMORIALlaquo tragen

Die gesetzliche Vorschrift dass eine Organisation nur dann einen gesamtrussischen Status haben kann wenn sie in uumlber der Haumllfte der Foumlderationssubjekte Verbaumlnde unterhaumllt legt das Justizministerium jetzt dahingehend aus dass diese Verbaumlnde zwangslaumlufig einen Status als Regionalverbaumlnde haben muumlssten Das Vorhandensein von Stadt- und Bezirksverbaumlnden einer Organisation reicht die Beamten als Beleg dafuumlr nicht aus dass die Organisation in der betreffenden Region taumltig ist

Die Vorbehalte des Justizministeriums entbehren jeglicher Grundlage Nicht zufaumlllig erhielten wir auf Anfragen keine Hinweise auf eine Gesetzesnorm Es ist fuumlr uns inakzeptabel dass das Justizministerium das von der Verfas-sung garantierte Recht von Buumlrgern eine Vereinigung zu bilden gesetzwidrig einschraumlnken will Deshalb hat sich die Russische Gesellschaft MEMORIAL bereits 2012 entschlossen vor Gericht zu gehen

Einen Hinweis auf ein Gesetz haben wir auch nicht erhalten als wir 2013 die Forderungen des Justizministeriums im Moskauer Zamoskvorezki-Bezirksgericht und danach im Stadtgericht angefochten haben Beide Instanzen gaben wie nicht anders zu erwarten dem Justizministerium Recht Deshalb wird die Russische Gesellschaft MEMORIAL in Kuumlrze Klage beim Verfassungsgericht einreichen

Was den Antrag des Justizministeriums betrifft so hoffen wir dass das Oberste Gericht bei Behandlung dieses Antrags dem Gesetz und der Verfassung mehr Respekt entgegenbringen wird als die untergeordneten Gerichtsinstanzen

10 Oktober 2014Quelle Website von Memorial Deutschland lthttpwwwmemorialdeindexphpid=42amptx_ttnews[tt_news]=546amptx_ttnews[backPid]=3ampcHash=5bbe9b235a03fe09cba52ed5c8786b99gt

DOkUmENtAtION

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 28

NOtIzEN AUS mOSkAU

Petersburger DialogJens Siegert Moskau

Auf den ersten Blick sieht es so aus als ob ein (egal ob nun willentlich oder nicht) an die Oumlffentlich-

keit gelangter Brief einiger regelmaumlszligiger Teilnehmer des Petersburger Dialogs (PD) aus den Reihen deutscher NGOs an Bundeskanzlerin Merkel und Auszligenminis-ter Steinmeier die Verschiebung des fuumlr Ende Oktober in Sotschi geplanten groszligen Jahrestreffens verursacht haumltte In dem Brief bekraumlftigten die Autoren ihre nicht neue Kritik am PD und erklaumlrten warum sie dieses Jahr nicht teilnehmen wuumlrden Sie betonen dass die Absage kein Boykott sei und bieten ihrerseits einen Dialog zur Reform des Dialogs an Auf den zweiten Blick war der Brief selbstverstaumlndlich nur Anstoszlig aber nicht Grund fuumlr die Verschiebung Doch der Reihe nach

Die in dem Brief geaumluszligerte Kritik am PD ist wie gesagt nicht neu sie hat sie den PD von Anfang an begleitet Das liegt sicher auch an einem bis heute nicht korrigierten Geburtsfehler Ein durch Staats- und Regie-rungschefs initiierter raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo ist schon etwas verquer Das heiszligt nicht dass das nicht gehen koumlnnte Doch dazu haumltten sich die hochgestell-ten Initiatoren (der damalige russische Praumlsident und der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schrouml-der) und ihre (Interims-)Nachfolger spaumlter zuruumlckziehen muumlssen Das haben sie nicht Daran sind sie nicht (allein) Schuld Es war der PD der durch seine Lenkungsor-gane die enge zeitliche und oumlrtliche Verbindung mit den deutsch-russischen Regierungskonsultationen und die zeitweilige Anwesenheit von Praumlsident und Kanzlerin zum Grundstein seiner Wirkungsmaumlchtigkeit erklaumlrte

Auf deutscher Seite wurde versucht dieses Problem organisatorisch sozusagen oumlffentlich-rechtlich zu loumlsen indem moumlglichst alle interessierten politischen Spektren und gesellschaftlichen Gruppen am sogenannten Len-kungsausschuss beteiligt wurden Das gelang zumindest so gut dass es soweit mir bekannt bis heute keine grouml-szligeren Klagen uumlber Nichtberuumlcksichtigung oder Nicht-beteiligung gab Aber die Bundesregierung behielt weit-gehenden Einfluss nicht zuletzt uumlber den alljaumlhrlich sechsstelligen Zuschuss fuumlr die Durchfuumlhrung der Jah-restreffen Auszligerdem wurde der jeweilige Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses zwar nach Abstim-mungen mit den Beteiligten aber letztlich durch den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin bestimmt

In Russlands ist die Sache einfacher Von Anfang an wurde und wird gemacht wird was der Kreml will Schon der erste Vorsitzende des russischen Lenkungs-ausschusses Michail Gorbatschow (immerhin selbst ein ehemaliger Praumlsident) war wie er selbst einmal bekannte

nicht mehr als ein ndash schoumlne Ruumlckuumlbertragung aus dem Russischen ndash raquoSitz-Praumlsidentlaquo Der jetzige Vorsitzende Wiktor Subkow war Datschennachbar von Putin ers-ter stellvertretender Ministerpraumlsident und ist nun Auf-sichtsratsvorsitzender von Gazprom

Die Kritik dass nur eine Simulation eines raquozivilge-sellschaftlichen Dialogslaquo stattfinde wurde von einigen deutschen Teilnehmern bereits auf dem ersten Jahres-treffen des PD im April 2001 in St Petersburg geaumluszligert Es fehlten auf russischer Seite (in der seinerzeit noch ver-einigten Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo) Vertreter russischer NGOs Die Kritik kam an In Russ-land fuumlhrte sie (ohne dass ich hier jetzt ausfuumlhren kann wie) zum ersten Versuch des Kremls auch unabhaumln-gige NGOs in das korporative System der gelenkten Demokratie zu zwingen Der Versuch misslang weitge-hend und muumlndete in einer Art Waffenstillstand und der Gruumlndung eines raquoMenschenrechtsrats beim Praumlsi-dentenlaquo unter Einbeziehung von Vertretern unabhaumlngi-ger NGOs Beim PD wurde die Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo in ihre zwei Namensbestandteile geteilt und es gelang uumlber die Jahre in immer wieder unternommenen Anstrengungen auch die Teilnahme unabhaumlngiger russischer NGO-Vertreter durchzuset-zen Etwas spaumlter wurde diese Teilnahme sogar vor-sichtig institutionell abgesichert indem erst Ella Pam-filowa und spaumlter ihr Nachfolger Michail Fedotow als Vorsitzende des inzwischen zum raquoZivilgesellschaftsratlaquo umbenannten raquoMenschenrechtsratslaquo zu den russischen Koordinatoren der Arbeitsgruppe raquoZivilgesellschaftlaquo mit Einladungsrecht wurden (wobei die Einladungen selbst-verstaumlndlich mit der Praumlsidentenadministration abge-stimmt werden muumlssen) Das ist bis heute so

Die Verfasser des Briefes (zu denen ich bekenne mich auch ich gehoumlre) allesamt langjaumlhrige Teilneh-mer der Jahrestreffen des PD haben all die Jahre immer wieder auch oumlffentlich uumlber den Sinn und Unsinn ihrer Teilnahme und Unterstuumltzung diskutiert Letztendlich uumlberwogen die ganze Zeit uumlber zwei Uumlberlegungen Ers-tens ist ein Dialog auch und gerade auf offizieller Ebe-nen und mit offiziellen Vertretern des russischen Staates (wie auch mit Wissenschaftlern Unternehmern Journa-listen Priestern usw welcher politischen Couleur auch immer sie sein moumlgen) erst einmal besser als kein Dia-log Zweitens gingen wir all die Jahre davon aus dass die nicht ohne Muumlhen erreichte Teilnahme unabhaumln-giger russischen NGO-Vertreter fuumlr sie ihre Organisa-tionen aber auch die russische NGO-Szene insgesamt zumindest einen kleinen zusaumltzlichen Schutz gegen die

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seit Putins Amtsantritt immer wieder uumlber das Land gehenden Repressionswellen bietet1 Was hat sich dieses Jahr geaumlndert Erst einmal nicht

so viel gegenuumlber dem Vorjahr Es war schon immer siehe oben eine schwierige Abwaumlgung ob die Teil-nahme am PD sich lohnt oder nicht vielmehr dazu beitraumlgt so zu tun als gaumlbe es in Russland die unein-geschraumlnkte und ungefaumlhrdete Moumlglichkeit sich zivilgesellschaftlich auch dort zu engagieren wo es dem Staat weh tut Zwei Ereignisse haben nun aber zumindest fuumlr die Autoren des Briefes das Pen-del zur anderen Seite ausschlagen lassen Die Kon-frontation zwischen dem Westen (ich weiszlig um die Bedingtheit des Begriffs verwende in der Kuumlrze hal-ber aber trotzdem) und Russland im Konflikt in der und um die Ukraine ist nicht einfach die Fortset-zung schon laumlnger existierender raquoMeinungsverschie-denheitenlaquo Sie ist tiefer und prinzipieller Es geht eben im Kern nicht in erster Linie um Geopolitik sondern wieder einmal um ich fuumlrchte hier weder den Pathos noch historische Analogien Freiheit und Demokratie in Europa

2 Die Repressionen gegen russische NGOs unsere prinzipiellen Partner in der Verteidigung von Demo-kratie und Freiheit haben mit dem sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo eine neue Qualitaumlt erreicht 15 NGOs sind inzwischen zwangsweise zu raquoauslaumln-dischen Agentenlaquo erklaumlrt worden anderen droht die Schlieszligung aufgrund anderer Gesetze Einige von ihnen waren sogar zum nun verschobenen Treffen in Sotschi eingeladen Sie mussten sich Gedanken machen ob eine Zusage oder eine Absage ihnen nicht schaden koumlnnte

Unter diesen Umstaumlnden halten die Verfasser des Brie-fes ihre Teilnahme am PD fuumlr nicht mehr moumlglich Sie fordern keinen Boykott wohl aber ein Nachdenken uumlber eine tiefgreifende Reform

Der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses Lothar de Maiziere hat in einem eigenen offenen Brief geantwortet und den Verfassern vorgeworfen den Dia-log verweigern und politisieren zu wollen Diese (Gegen-)Klage scheint mir angesichts der vielfaumlltigen Verbindun-gen und Dialogformen die die Organisationen hinter den Unterzeichnern des Briefes seit vielen Jahren und oft laumlnger als der PD organisieren an denen sie teil-nehmen und die sie foumlrdern nicht sonderlich stichhal-tig Doch die Auseinandersetzung geht tiefer De Mai-ziere behauptet in seinem Brief der PD mache bereits all das was die Kritiker fordern Genau das bezweifeln diese aber Die Auseinandersetzung geht also und vor allem darum was ein fruchtbarer Dialog zu leisten im Stande sein kann und leisten sollte Sie geht aber auch darum ob dieser Dialog zwischen zwei Gesellschaf-

ten stattfindet nach dem Motto hier die eine dort die andere oder ob sich die Seiten bei diesem Dialog inei-nander verschraumlnken

Die Verfasser des Briefes sind ganz offensichtlich mit ihrer Kritik nicht allein Schon bevor der Brief oumlffent-lich bekannt wurde hatten die Bundestagsabgeordne-ten Andreas Schockenhoff (CDUCSU) und Marieluise Beck (Buumlndnis 90 Die Gruumlnen) in oumlffentlichen Stel-lungnahmen Aumlhnliches gefordert und auch ihre Nicht-Teilnahme erklaumlrt Etwas spaumlter wurde bekannt dass auch der Russland-Beauftragte der Bundesregierung Gernot Erler nicht nach Sotschi fahren wollte Mehr noch Bereits seit dem Fruumlhsommer gab es Gespraumlche zwischen Kanzleramt und Auswaumlrtigem Amt mit dem Ziel den PD sowohl personell als auch strukturell zu reformieren Allerdings setze sich augenscheinlich die Sichtweise des Auswaumlrtigen Amtes durch alles vorerst beim Alten zu belassen da es auch so schon genug Pro-bleme im deutsch-russischen Verhaumlltnis gebe und man diesen Kanal nicht auch noch belasten oder gar gefaumlhr-den solle

Doch zum Herbst hat sich die Situation noch ein-mal veraumlndert Die Hoffnung die russische Fuumlhrung um Praumlsident Putin werde im Krieg in der Ostukraine ein-lenken ist selbst im Auswaumlrtigen Amt bis in die Spitze kaum noch zu finden Im Sommer bekam das russische Justizministerium zudem per erneuter Gesetzesaumlnde-rung das Recht NGOs zwangsweise zu raquoAgentenlaquo zu erklaumlren und macht seither rege Gebrauch davon Eine ganze Reihe russischer NGOs steht vor der Schlieszligung oder loumlst sich auf weil ihnen die vom Gesetz geforderte Selbstetikettierung als raquoauslaumlndische Agentenlaquo ethisch rechtlich und praktisch unmoumlglich ist

Es sieht so aus als haumltten die Verfasser des Briefes nur eine Tuumlr geoumlffnet hinter der andere darunter die Kanzlerin nur darauf gewartet haben durch sie hin-durch gehen zu koumlnnen ohne selbst der Tuumlroumlffnung geziehen zu werden

Ein wenig verwundert die erstaunlich milde russi-sche Reaktion Nach der kurzen Drohung eine Verschie-bung bedeute das Ende des PD lenkte Putin im Telefo-nat mit Merkel ein und fand tags darauf sogar oumlffentlich verstaumlndnisvolle Worte fuumlr die raquoProbleme der deutschen Seitelaquo Das duumlrfte zwei Gruumlnde haben Der eine ist dass trotz des haumlufiger gewordenen Deutschland-Bashings im russischen Staatsfernsehen (mit dem Ergebnis dass in Umfragen Deutschland aus der Kategorie raquoFreundlaquo in die Kategorie raquoFeindlaquo abgerutscht ist) Deutschland im Kreml immer noch als wichtigster raquostrategischerlaquo Part-ner im Westen und vor allem in der EU gilt Zudem ist Deutschland zweifellos ein Land dessen oumlffentliche Meinung (und damit Politik) aus russischer Sicht durch-aus beeinflussbar ist (was z B die kolportierten rund

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140 Millionen US-Dollar zum Aufbau eines deutsch-sprachigen Programms des staatlichen Auslandsfernse-hens raquoRussia Todaylaquo zeigen)

Der andere liegt in einem erneuten Strategiewech-sel (oder weniger ambitioniert Wechsel der Taktik) im Ukraine-Konflikt Die Sanktionen beiszligen inzwi-schen kraumlftig Die Rhetorik wurde daher gemildert Der Kreml ist ganz auf Frieden und dieser Ausdruck aus dem Sport sei erlaubt Ergebnissicherung bedacht (was uumlbrigens Putins grundsaumltzlicher Taktik auch im Inne-ren Russlands entspricht erst hart zuzuschlagen dann eine Schritt zuruumlck zu gehen und einen Kompromiss zu suchen nach dem es fuumlr seine Gegner nachher schlech-ter steht als vorher) Neues Ziel scheint nun also zu sein die raquoErrungenschaftenlaquo Krim (als Teil Russlands) und raquoNeurusslandlaquo (als neuen raquoFrozen Conflictlaquo) zu fixieren und trotzdem mit dem Westen wenn schon nicht gut-freund zu werden so doch zumindest erneut zu einem einigermaszligen vertraumlglichen Modus Vivendi zu gelan-gen Das Gas duumlrfte nach den Mailaumlnder Gespraumlchen

und bei allem Geknurre im Winter stroumlmen und auch im Nahen Osten stellt Moskau weniger Widerspenstig-keit in Aussicht

Was heiszligt das fuumlr die Zukunft des PD Erstmal ist sie offen Zuerst muss sich die deutsche Seite neu ord-nen (hier hat Putin sogar Recht) Nachdem sich Angela Merkel persoumlnlich um eine russische Akzeptanz fuumlr die Verschiebung von Sotschi bemuumlht hat kann ich mir allerdings nicht vorstellen dass es in einigen Wochen oder Monaten ein Zuruumlck zum status quo ante gibt Ob und wie sich ein neu aufgestellter deutscher Lenkungs-ausschuss mit einem neuen Konzept mit der russischen Seite verstaumlndigen kann laumlsst sich momentan kaum voraussagen Es ist zwar einen Versuch wert haumlngt aber wohl sehr von der dann herrschenden politischen Groszlig-wetterlage ab

Diesen und andere Texte finden Sie auf Jens Siegerts Russ-landblog lthttprusslandboellblogorggt

Lesetippbull Poumlrzgen Gemma Dringend reformbeduumlrftig Der Petersburger Dialog auf dem Pruumlfstand in Osteuropa 602010

Nr 10 S 59ndash81

DOkUmENtAtION

Briefwechsel uumlber die zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo

schreiben von nichtregierungsorganisationen und einzelpersonen an die Bundeskanzlerin und den Auszligenminister zum raquoPetersburger Dialoglaquo 2 oktober 2014 [nachtraumlglich veroumlffentlicht]

Berlin 02 Oktober 2014Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerals Personen die sich seit vielen Jahren intensiv im zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland engagieren wenden wir uns mit diesem Schreiben an Sie um zu erlaumlutern warum wir uns in diesem Jahr nicht am Petersburger Dialog beteiligen koumlnnen Zugleich moumlchten wir fuumlr eine Erneuerung des Petersburger Dialogs werben

In Reaktion auf die politische Wende in der Ukraine die durch eine breite gesellschaftliche Protestbewegung hervor-gerufen wurde hat die russische Fuumlhrung voumllkerrechtswidrig die Krim annektiert und einen unerklaumlrten Krieg neuen Typs im Osten der Ukraine begonnen Zugleich betreibt die Regierung unter Praumlsident Putin die systematische Ausschal-tung der letzten unabhaumlngigen Medien in Russland die Kriminalisierung aller Formen politischer Opposition und die Diskreditierung unabhaumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen als raquoauslaumlndische Agentenlaquo Mittlerweile wurden 12 russische Nichtregierungsorganisationen vom russischen Justizministerium zwangsweise auf die Liste raquoauslaumlndischer Agentenlaquo gesetzt und sind daher zukuumlnftig verpflichtet sich bei jeder oumlffentlichen Aumluszligerung wahrheitswidrig selbst als solche zu bezichtigen Zehn dieser Organisationen spielen in der deutschrussischen zivilgesellschaftlichen Zusammen-arbeit seit Jahren eine wichtige Rolle einige von ihnen haben mehrfach am Petersburger Dialog teilgenommen Gegen einige von ihnen sind bereits existenzbedrohende Strafgelder wegen Verstoszliges gegen das sog Agentengesetz verhaumlngt

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worden Es drohen Organisationsschlieszligungen und die Kriminalisierung der Vorstaumlnde Unter diesen inneren und aumluszlige-ren Bedingungen koumlnnen wir uns nicht an einer Neuauflage des Petersburger Dialogs in der bisherigen Form beteiligen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerder seinerzeit von Bundeskanzler Schroumlder und Praumlsident Putin initiierte Petersburger Dialog konnte die ihm zuge-

dachte Aufgabe zu einer Vertiefung und Verbreiterung der gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland beizutragen auch in den vergangenen Jahren nur sehr bedingt erfuumlllen Dies lag vor allem an der starken Naumlhe des Fuumlhrungspersonals auf der russischen Seite zum politischen Machtzentrum im Kreml die von Beginn an den Eindruck einer raquovon obenlaquo inszenierten und kontrollierten Veranstaltung naumlhrte Doch auch auf deutscher Seite wird der Petersburger Dialog bis heute von Personen dominiert die aus politischer und oumlkonomischer Opportunitaumlt dazu neigen Kritik am Kurs der russischen Fuumlhrung als Stoumlrung der raquodeutsch-russischen Freundschaftlaquo zu betrachten Zeit-weise kam es zu der paradoxen Situation dass kritische Aumluszligerungen zu Menschenrechtsverletzungen in Russland oder zum Vorgehen des Kremls gegenuumlber Georgien aus den Reihen der deutschen Delegation als raquoKalte-Kriegs-Rhetoriklaquo verteufelt wurden Nuumlchtern betrachtet waren die kritischen Stimmen aus der russischen und deutschen Zivilgesell-schaft in den letzten Jahren nur eine geduldete Minderheit die dem Petersburger Dialog den Anschein von Pluralis-mus und offener Diskussion verschaffte Ungeachtet dieser Kritik haben wir uns in der Vergangenheit am Petersburger Dialog beteiligt da wir grundsaumltzlich jedes Dialogpotenzial nutzen wollen und uns von der gemeinsamen Beteiligung mit unseren Partnern aus der russischen Zivilgesellschaft eine politische Absicherung dieser Zusammenarbeit erhofften

Diese ohnehin schwachen Hoffnungen wurden durch die Entwicklungen in diesem Jahr zerstoumlrt Vertreter unab-haumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen die auf der russischen Seite zum Petersburger Dialog eingeladen wer-den sind angesichts der politischen und juristischen Bedrohung der sie ausgesetzt sind in ihrer Entscheidung uumlber ihre Teilnahme nicht mehr frei Wenn sie der Einladung nicht folgen muumlssen sie weitere Repressalien befuumlrchten Uns denen die Freiheit der Entscheidung gegeben ist ist es nicht moumlglich durch Teilnahme am Petersburger Dialog in Sot-schi an der Aufstellung einer Potemkinschen Fassade namens raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo mitzuwirken waumlhrend die kritischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Russland als raquoAgentenlaquo diskreditiert und vielfach drangsaliert werden

Zugleich moumlchten wir unsere Bereitschaft unterstreichen an einer Reform des Petersburger Dialogs in organisa-torischer inhaltlicher und personeller Hinsicht mitzuwirken Eine solche Reform sollte darauf ausgerichtet sein uumlber die Auswahl der Formate Themen und Teilnehmer die tatsaumlchliche Lage der russischen Zivilgesellschaft in den Mit-telpunkt der Diskussion zu ruumlcken und einen offenen Dialog zu ermoumlglichen Wir sind ganz damit einverstanden dass gerade in kritischen Zeiten die Zusammenarbeit zwischen der russischen und deutschen Zivilgesellschaft gestaumlrkt wer-den muss Sofern der Petersburger Dialog in Zukunft dafuumlr ein Forum bietet werden wir uns gern daran beteiligen[Unterzeichner nicht veroumlffentlicht]Quelle Website der Boumlll-Stiftung lthttpwwwboelldede20141013reform-petersburger-dialog-ueberfaelliggt

offener Brief an den Vorsitzenden des Petersburger Dialogs lothar de maiziegravere vom 10 oktober 2014

- Offener Brief -HerrnDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des VorstandsPetersburger Dialog eVSchillerstraszlige 5910627 Berlin

Berlin 10 Oktober 2014Petersburger Dialog 2014 in SotschiSehr geehrter Herr de Maiziegravereals Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher zivilgesellschaftlicher Organisationen die seit der Gruumlndung des Petersburger Dialogs 2001 uumlber viele Jahre hinweg an dieser Veranstaltung teilgenommen haben moumlchten wir Ihnen gegenuumlber folgende Erklaumlrung abgeben

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Wir haben uns entschieden am 14 Petersburger Dialog in Sotschi nicht teilzunehmen der fuumlr den 29ndash31 Okto-ber angekuumlndigt worden ist Fuumlr diese Entscheidung die wir sorgfaumlltig diskutiert und abgewogen haben moumlchten wir drei Gruumlnde anfuumlhren1 Der Petersburger Dialog in seiner jetzigen Form steckt in einer Krise Von Jahr zu Jahr wird er seinem eigenem

Anspruch weniger gerecht Die Veranstaltung soll dem zivilgesellschaftlichen Dialog dienen Tatsaumlchlich sind Struktur Nominierungsverfahren und Programm des Petersburger Dialogs maszliggeblich von Akteuren aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert Unter diesen Voraussetzungen erfuumlllt der Petersburger Dialog leider nicht sein in seiner Satzung formuliertes Ziel ein raquooffenes Diskussionsforumlaquo zu sein das die raquoVerstaumlndigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Laumlnderlaquo foumlrdert Der Petersburger Dialog bedarf dringend einer grundlegenden Reform wie sie auch CDUCSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 eingefordert haben Gerne wuumlrden wir uns aktiv an einem Prozess zur Reformierung des Petersburger Dialogs beteiligen der auf eine pluralistische Zusam-mensetzung beider Lenkungsausschuumlsse und eine deutlich staumlrkere Ausrichtung auf unabhaumlngige zivilgesellschaft-liche Akteure zielt ohne den interdisziplinaumlren Ansatz der Veranstaltung aufzugeben

2 Die Situation in der sich Teile der Zivilgesellschaft in Russland befinden erfuumlllt uns mit groszliger Sorge Das betrifft auch Partnerorganisationen und Personen mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten Diese Organisa-tionen uumlben fuumlr Russland und daruumlber hinaus wichtige gesellschaftliche Funktionen aus Die Behinderung ihrer Arbeit durch buumlrokratische Huumlrden aber auch durch willkuumlrliche rechtliche Restriktionen und politische Diffa-mierung sind inakzeptabel Daruumlber koumlnnen wir nicht zur Tagesordnung uumlbergehen Wir wollen nicht zu Kron-zeugen fuumlr einen vorgeblich freien Austausch werden waumlhrend zugleich die kritische Zivilgesellschaft in Russland massiv und systematisch unter Druck gesetzt wird

3 In Teilen der Ukraine herrscht ein Kriegszustand fuumlr den die russische Fuumlhrung eine maszliggebliche Verantwor-tung traumlgt Wichtige Vertreter dieser Fuumlhrung spielen eine Schluumlsselrolle im Petersburger Dialog einschlieszliglich des fruumlheren Ersten Stellvertretenden Ministerpraumlsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden von Gazprom Wiktor Subkow der der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs ist Vor diesem Hin-tergrund moumlchten wir nicht durch unsere Teilnahme dazu beitragen dass eine Normalitaumlt in den deutsch-russi-schen Beziehungen simuliert wird die es derzeit wegen des Angriffs auf die politische Souveraumlnitaumlt und territo-riale Integritaumlt der Ukraine nicht geben kann

Wir waren und sind weiter sehr an einem offenen Dialog uumlber deutsch-russische Belange in einem gesamteuropaumli-schen Kontext interessiert und halten ihn fuumlr eine Bedingung guter Nachbarschaft und Kooperation Ein solcher Dia-log muss aber auch von beiden Seiten gewollt und ermoumlglicht werden Er darf zugleich nicht zum Nachteil Dritter gefuumlhrt werden Angesichts der aktuellen Lage und der bereits bekannt gewordenen Programmvorschlaumlge fuumlr Sotschi sehen wir auch diese Voraussetzung gefaumlhrdet

Dessen ungeachtet werden wir jede Moumlglichkeit nutzen unsere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Grup-pen und anderen Akteuren in Russland zu vertiefen und dieses Potential in einen bilateralen und europaumlischen Dia-log einzubringenMit freundlichen GruumlszligenRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter Politik Greenpeace eVQuelle lthttpwwwaustauschorgaktuelle-meldungennewsdetailarticle1offener-brie-1htmlno_cache=1ampcHash=0428c5bffdgt

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offener Brief des Vorsitzenden des Petersburger Dialogs vom 13 oktober 2014

AnRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich-Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace eVBerlin 13 Oktober 2014Ihr Schreiben vom 10 Oktober 2014Sehr geehrte Damen und HerrenIhren offenen Brief habe ich erhalten Dass Sie einen Brief aumlhnlichen Inhalts zunaumlchst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Auszligenminister verschickt haben verwundert mich Sie geben damit fuumlr die zivilgesell-schaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung die Sie fuumlr die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren

Ihre Nichtbeteiligung am Petersburger Dialog bedaure ich Denn es entspricht der Uumlberzeugung der meisten Mit-glieder des Vorstandes und des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs dass gerade angesichts zweifellos vorhan-dener Probleme fuumlr die Zivilgesellschaft die Sie teilweise benennen die offensive Auseinandersetzung zu solchen The-men gesucht werden muss Indem man sich solchen Gespraumlchen entzieht schadet man den Interessen der Betroffenen

Sie schreiben der Petersburger Dialog sei im Inneren zu reformieren da er von Vertretern aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert sei Diese Feststellung ist falsch und Sie wissen das Das auch in der Satzung des Petersbur-ger Dialogs beschriebene Konzept des Dialogs beruht auf einem breiten Gedankenaustausch aller gesellschaftlichen Kraumlfte Dazu gehoumlren die Bereiche Kultur Medien Bildung Wissenschaft und Kirchen genauso wie zahlreiche im Bereich der politischen sowie der sozialen Menschenrechte engagierte Einrichtungen die in ihrer Gesamtheit das deutsch-russische Verhaumlltnis beleben

Sie versuchen in Ihrem Brief den Petersburger Dialog auf das enge Feld einiger Vertreter der Zivilgesellschaft zu reduzieren die jenseits der korporierten Zivilgesellschaft angesiedelt sind und deren Interessenspektrum nur einen Teil des gesamten zivilgesellschaftlichen Engagements abdeckt

Ich verkenne nicht die ndash auch aber nicht nur ndash in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu Tage getretenen Probleme sowie die unterschiedlichen Folgen die sich aus einer raquogelenkten Demokratielaquo die in vielem nicht westli-chen Standards entspricht ergeben Dennoch Gemessen an weiten Bereichen der russischen Geschichte ist die Ent-wicklung seit 1991 ein Fortschritt Das daraus resultierende wenn auch im letzten Jahr stark eingetruumlbte Vertrauens-potential muss fuumlr die auf vielen Ebenen notwendigen Gespraumlchsforen genutzt und ausgebaut werden

Derartige Gespraumlche bedingen genauso Realismus wie intellektuelle Disziplin wozu auch gehoumlrt zu verstehen wie Russland die Probleme versteht Dies ndash und nicht Gespraumlchsverweigerung ndash ist die Voraussetzung um auf allen demokratischen gesellschaftlichen Ebenen ndash vom politischen Machtzentrum bis in die Randgruppen hinein ndash pro-blemorientierte Gespraumlche fuumlhren zu koumlnnen Dabei darf keine Seite fuumlr sich in Anspruch nehmen legitimere Inte-ressen zu vertreten als die andere

Das heiszligt Ein Gespraumlch raquoauf Augenhoumlhelaquo nicht von oben herab nicht moralisch belehrend aber mit klaren und ehrlichen Argumenten Dabei duumlrfen wir nicht verschweigen welche gesetzgeberischen aber auch politisch-morali-schen Standards wir fuumlr eine demokratische Gesellschaft im europaumlischen Kontext fuumlr unabdingbar halten

Der Petersburger Dialog wurde aus guten Gruumlnden als deutsch-russische Gemeinschaftseinrichtung konzipiert Da ist eine ndash oft muumlhsame ndash Kompromissfindung unausweichlich Dies ist Teil des Wertes auch der Tiefe aber auch der moralischen Qualitaumlt des Dialogs Das Ringen um kompromissfaumlhige Konzepte muss unser Anliegen bleiben nicht Vorverurteilung und GespraumlchsablehnungMit freundlichem GruszligDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des Vorstands Petersburger Dialog e VQuelle Website des Petersburger Dialogs lthttpwwwpetersburger-dialogcomoffener-brief-vom-13-oktober-2014gt

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offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

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9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

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14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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Sie koumlnnen die gesamte Chronik seit 1964 auch auf lthttpwwwlaender-analysenderusslandgt unter dem Link raquoChroniklaquo lesen

Die Russland-Analysen werden von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und von Mangold Consulting GmbH unterstuumltzt

Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

Abdruck und sonstige publizistische Nutzung sind nach Ruumlcksprache mit der Redaktion gestattetVerantwortlicher Redakteur Hans-Henning Schroumlder

Recherche Uumlbersetzungen und Sprachredaktion Christoph Laug Hartmut SchroumlderSatz Matthias Neumann

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ISSN 1613-3390 copy 2014 by Forschungsstelle Osteuropa BremenForschungsstelle Osteuropa bull Publikationsreferat bull Klagenfurter Str 3 bull 28359 Bremen bull Telefon +49 421-218-69600 bull Telefax +49 421-218-69607

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

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Die Laumlnder-Analysen bieten regelmaumlszligig kompetente Einschaumltzungen aktueller politischer wirtschaftlicher sozialer und kultureller Entwicklungen in Ostmitteleuropa und der GUS Sie machen das Wissen uumlber das die wissenschaft-liche Forschung in reichem Maszlige verfuumlgt fuumlr Politik Wirtschaft Medien und die interessierte Oumlffentlichkeit ver-fuumlgbar Autoren sind internationale Fachwissenschaftler und Experten

Die einzelnen Laumlnder-Analysen werden von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und der Deutschen Gesellschaft fuumlr Osteuropakunde jeweils mit unterschiedlichen Partnern und Sponsoren herausgegeben

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    • Eine neue Phase der Russland- und Ostpolitik hat begonnen
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                          • Marina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin
                          • Umfrage
                            • Uumlber die Zivilgesellschaft in Russland
                              • Dokumentation
                                • Luumlgen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des JustizministeriumsErklaumlrung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL
                                  • Notizen aus Moskau
                                    • Petersburger Dialog
                                      • Jens Siegert Moskau
                                      • Dokumentation
                                        • Briefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo
                                          • Chronik
                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 16: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

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jemandem in dessen engster Umgebung die naumlchste Idee zur Beschraumlnkung der Menschenrechte entsteht bis zur Verabschiedung und dem Inkrafttreten eines entsprechenden Foumlderalen Gesetzes nur eine Woche vergehen kann koumlnnen jene die Menschenrechtsar-

beit machen solche Schritte der Regierung weder aus-zuschlieszligen noch sie vorhersehen Es bleibt einem nur auf wirklich alle Szenarien gefasst zu sein auch auf die schlimmsten

Uumlbersetzung Hartmut Schroumlder

Uumlber den AutorPawel Chikow Vorsitzender der Interregionalen Assoziation der Buumlrgerrechtsorganisationen raquoAGORAlaquo Mitglied des Rats fuumlr die Entwicklung der Zivilgesellschaft und fuumlr Menschenrechte beim Praumlsidenten der Russischen Foumlderation

ANALYSE

ngos in russlandJens Siegert Moskau

zusammenfassungUnabhaumlngige russische NGOs sind seit Praumlsident Putins Amtsantritt Ziel staatlichen Drucks Die Auseinan-dersetzung mit diesem Druck hat bei den NGOs zu einer schrittweisen und beindruckenden Professionali-sierung beigetragen die wiederum geholfen hat trotz dieses Drucks nicht nur zu uumlberleben sondern auch ihre Arbeit weiter machen zu koumlnnen Das vor knapp zwei Jahren in Kraft getretene sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo stellt die NGOs vor eine neue harte Probe Zudem versucht der Staat erneut NGOs auch institutionell in raquogutelaquo und raquoboumlselaquo einzuteilen Dieser neue Versuch NGOs unter direkte staatliche Kontrol-le zu bringen gefaumlhrdet die Existenz unabhaumlngiger und staatskritischer NGOs in Russland

Putin und die ngosSeit Wladimir Putin vor nun schon fast 15 Jahren rus-sischer Praumlsident wurde versucht er sehr erfolgreich alle autonomen politischen Subjekte in Russland der direkten Kontrolle des Staates besser noch des Kremls zu unterwerfen In Wirtschaft und Politik ist das wei-testgehend gelungen Bei den Massenmedien sehr weit-gehend Blieben und bleiben die NGOs Sie haben sich als am widerstaumlndigsten erwiesen Das hat unterschied-liche Gruumlnde

Erstens galten NGOs im Kreml lange nicht als son-derlich gefaumlhrliche politische Bedrohung Das aumlnderte sich kurzzeitig 20042005 als der Kreml vor allem bei der sogenannten Orangenen Revolution in der Ukraine aus dem Ausland finanzierte NGOs als wichtige trei-bende Kraft der politischen Veraumlnderungen betrachtete Doch hielt diese seinerzeit stark uumlbertriebene Angst vor der Moumlglichkeit aumlhnlich raquoumstuumlrzlerischer Machen-schaftenlaquo in Russland nur recht kurz an Danach etwa ab Ende 2006 und bis zur Protestwelle gegen Wahlfaumll-schungen und die Wiederwahl von Wladimir Putin zum russischen Praumlsidenten im Winter 20112012 periodisch blieben die Aufmerksamkeit den NGOs gegenuumlber und das Verhaumlltnis zwischen Staat und NGOs ambivalent

Dieses Verhaumlltnis schwankt seit Putins Machtan-tritt zwischen dem Misstrauen des Staates allen auto-nomen potentiell eigenstaumlndigen politischen Subjekten gegenuumlber (die aus seiner Sicht streng kontrolliert gehouml-ren) und der Erkenntnis dass NGOs eine ganze Reihe wichtiger sozialer und politischer Funktionen ausfuumll-len die der Staat nicht oder nicht mehr zu gewaumlhrleis-ten in der Lage ist Auszligerdem erwiesen sich die NGOs nach weitgehender Abschaffung der Pressefreiheit und Gleichschaltung der (ohnehin schwachen und in vielen Bereichen dysfunktionalen) politischen Parteien fuumlr den Kreml als nuumltzlicher ja mitunter notwendiger Kommu-nikationskanal in die Gesellschaft

Die Uumlberlebensfaumlhigkeit der russischen ngosDas Uumlberleben unabhaumlngiger NGOs wurde bis heute auszligerdem durch ihre groszlige politische und institutio-nelle Lernfaumlhigkeit gewaumlhrleistet Unter dem staatli-chen Druck der vergangenen 15 Jahre ist die NGO-Arbeit in Russland in fast allen Bereichen professioneller geworden Das gilt insbesondere fuumlr die Einhaltung der in vielem widerspruumlchlichen oft geaumlnderten und uumlber Verwaltungsakte zu wahren buumlrokratischen Monstern

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aufgeblaumlhten die NGOs betreffenden Gesetze Kurz gesagt Vor allem Juristen Buchhalter Geschaumlftsfuumlh-rer die NGOs beraten oder in ihnen arbeiten aber auch viele Aktivisten sind schlicht besser schneller und pro-fessioneller als die staatliche Finanz- Justiz- oder sons-tige Verwaltung Einem in vielem legalistischen Staat gegenuumlber kostet diese staumlndige Professionalisierung (auch im Sinn einer Art raquolebenslangen Lernenslaquo) zwar viel Kraft und es muumlssen dafuumlr nicht geringe Ressour-cen eingesetzt werden aber sie verschafft solange es sich nicht um frontale Angriffe handelt immer wieder Raum und Zeit zum Weitermachen

Damit komme ich zum dritten Grund fuumlr die beson-dere Widerstaumlndigkeit von NGOs in Russland Es ist fuumlr einen Staat (und seine Staatsmaumlnner und -frauen) fuumlr den der Eigensinn der Menschen nur schwer vorstell-bar ist und der vom eigenen Zynismus geleitet hin-ter jedem und allem irgendwelchen raquofremden Maumlchtelaquo Verschwoumlrungen und politischen Utilitarismus vermutet ganz offenbar schwer vorstellbar dass zivilgesellschaftli-ches Engagement sozusagen aus sich selbst heraus oder aus einer bestimmten Situation oder einem bestimmten Ereignis einem Erlebnis oder einer Erfahrung heraus entsteht Administrative auch strafrechtliche Maszlig-nahmen gegen dieses Engagement laufen eben deshalb immer wieder zwar nicht voumlllig ins Leere (sie erschwe-ren dieses Engagement mitunter enorm) aber sie koumln-nen es nicht verhindern Es verlagert sich immer wieder und findet immer neue Formen und Foren

Die Verstaumlrkung der staatlichen kontrolleBis heute gab es unter Putin drei groumlszligere Versuche unab-haumlngige NGOs unter mehr oder weniger direkte staatli-che Kontrolle zu bringen und diejenigen die sich dagegen wehrten entweder zu marginalisieren oder auch zu schlie-szligen Der erste im Jahr 2001 endete mit einem oben schon angedeuteten Kompromiss der das Verhaumlltnis Kreml-NGOs in einem (allerdings jederzeit prekaumlren) Gleich-gewicht zwischen Konfrontation und Kooperation hielt

Der zweite Versuch endete in der Verabschiedung des raquoNGO-Gesetzeslaquo Ende 2005Anfang 2006 das den NGOs weitergehende Berichtspflichten auferlegte in der Praxis also Ressourcen band und bindet aber ebenfalls in der Praxis und entgegen anderslautenden Befuumlrchtungen nicht zu wesentlichen Einschraumlnkun-gen in der Arbeit russische NGOs fuumlhrte Die groumlszligte negative Wirkung dieses Versuches duumlrfte von zahlrei-chen oumlffentlichen Aumluszligerungen hochgestellter Politiker bis hin zu Putin ausgegangen sein NGOs seien raquoFeindelaquo raquoSchakale die um auslaumlndische Vertretungen streunenlaquo Dadurch wurde die Einstellung von Teilen der Gesell-schaft vor allem aber von weiten Teilen der Verwaltung zu NGOs grundsaumltzlich negativ gepraumlgt

Der dritte Versuch begann als Teil der staatlichen Reaktionen auf den Protestwinter 20112012 und haumllt bis heute an Sein wichtigster Bestandteil ist das soge-nannte raquoNGO-Agentengesetzlaquo das eigentlich kein eigenes Gesetz ist sondern aus einer Reihe dem NGO-Gesetz neu hinzugefuumlgter oder geaumlnderter Paragraphen besteht Diese Vorschriften verpflichten NGOs die raquosich politisch betaumltigenlaquo und Geld oder andere Zuwendun-gen aus dem Ausland erhalten sich beim Justizminis-terium als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren zu lassen Danach muumlssen sie jede oumlffentliche Aumluszligerung mit dem Zusatz raquoauslaumlndischer Agentlaquo versehen

Die Durchsetzung des AgentengesetzesTrotz erheblichen staatlichen raquoPressingslaquo der raquoUumlber-pruumlfunglaquo von mehr als 700 NGOs in ganz Russland durch Staatsanwaltschaft Justizministerium Finanz-amt und eine Reihe anderer Behoumlrden ab dem Fruumlhjahr 2013 hatte sich im Fruumlhjahr 2014 erst eine NGO als raquoauslaumlndischer Agentlaquo im entsprechenden Register des Justizministeriums eintragen lassen (lthttpunromin justruNKOForeignAgentaspxgt) Alle anderen selbst diejenigen NGOs die von den Behoumlrden als raquoAgentenlaquo eingestuft und teilweise mit empfindlichen Geldstra-fen belegt worden waren weigerten sich und weigern sich bis heute Viele NGOs klagten und klagen sowohl gegen das Gesetz als auch gegen die raquoUumlberpruumlfungenlaquo und die aus ihnen von den Justizbehoumlrden abgeleite-ten Bescheide und Anweisungen vor russischen Gerich-ten aber auch vor dem Europaumlischen Gerichtshof fuumlr Menschenrechte (EGMR) Eine Entscheidung des rus-sischen Verfassungsgerichts hat die raquoAgentenparagra-phenlaquo fuumlr verfassungskonform erklaumlrt wenn auch einige Einzelbestimmungen darunter die zu Mindeststrafen aufgehoben

Im Juni 2014 beschloss die Staatsduma eine Verschaumlr-fung der raquoAgentenlaquo-Paragraphen des NGO-Gesetzes Seither hat das Justizministerium das Recht NGOs auch ohne deren Zustimmung in das raquoAgentenlaquo-Register ein-zutragen Bis heute (21102014) hat es 15 NGOs getrof-fen Es ist damit zu rechnen das weitere folgen werden Justizminister Jurij Tschajka hat bereits 2013 im Foumlde-rationsrat von 24 NGOs gesprochen die nach Ansicht des Ministeriums raquoAgentenlaquo seien Auszligerdem wurden 2013 und 2014 mehr als 40 NGOs von der Staatsanwalt-schaft aufgefordert sich vorsorglich als raquoAgentenlaquo regis-trieren zu lassen da sie Geld aus dem Ausland bekaumlmen und Gefahr liefen sich raquopolitisch zu betaumltigenlaquo

Die reaktionen der ngos auf das AgentengesetzDie praktischen Reaktionen der NGOs auf diesen staat-lichen Druck sind unterschiedlich Einige NGOs wie

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die Wahlbeobachter von raquoGoloslaquo haben sich als juris-tische Personen aufgeloumlst oder sind wie die raquoJuristen fuumlr Verfassungsrechte und Freiheitlaquo dabei sich aufzu-loumlsen (ein juristisch und administrativ nicht ganz ein-facher und langwieriger Vorgang) Fast alle NGOs die sich aufloumlsen haben aber erklaumlrt ihre Arbeit auch ohne juristischen Status fortsetzen zu wollen Rechtlich ist das moumlglich Praktisch werden diese NGOs auf zahlreiche neue Probleme treffen wohl bis hin zur moumlglichen Kri-minalisierung einzelner Personen

Einige andere NGOs darunter das Menschenrechts-zentrum Memorial machen weiter wie bisher Sie fech-ten meist die Eintragung in das raquoAgentenregisterlaquo vor Gericht an (in der Regel ohne besonderen Erfolg) Das Menschenrechtszentrum Memorial aber auch einige andere NGOs wollen bis zum EGMR gehen unter ande-rem weil sie das Gesetz insgesamt fuumlr unmoralisch und verfassungswidrig haumllt

Eine weitere Reaktion ist eine Art Hase-und-Igel-Spiel mit den Behoumlrden Das kann sich in einem Geflecht von unterschiedlichen NGOs ausdruumlcken die unter-schiedliche Funktionen wahrnehmen Eine NGO macht politische Erklaumlrungen und betreibt Lobbying Ihre Aktivistinnen arbeiten ausschlieszliglich ehrenamt-lich Eine andere bekommt auslaumlndische Finanzierung fuumlr Projekte die auch nach der Definition von Staatsan-waltschaft und Justizministerium nicht raquopolitischlaquo sind Wieder andere NGOs weichen auf Organisationsformen (juristische Personen) jenseits des NGO-Gesetzes aus die dann nicht den raquoAgentenparagraphenlaquo unterliegen

Der Vorstoszlig gegen memorialAllerdings beschraumlnkt sich die staatliche Behinderung und Bedrohung von NGOs nicht auf das relativ neue Agentengesetz Alle anderen laumlnger erprobten adminis-trativen bis strafrechtlichen Instrumente bleiben eben-falls im Einsatz Juumlngstes und bekanntestes aber bei weitem nicht einziges Beispiel ist der Schlieszligungsan-trag des Justizministeriums vor dem Obersten Gericht gegen raquoMemorial Russlandlaquo raquoMemorial Russlandlaquo ist ein Netzwerk aus rund 50 regionalen und thematischen Memorial-Organisationen und selbst eine von mehr als 60 Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Internatio-nallaquo (Zum Memorial-Netzwerk siehe lthttprusslandboellblogorg20141011wie-funktioniert-memorial-ein-kleiner-wegweiser-durch-eine-zugegeben-kompli zierte-strukturgt) Bei einer der regelmaumlszligigen Pruumlfun-

gen stellte das Justizministerium Anfang 2012 also vor Beginn der jetzigen Repressionswelle gegen NGOs fest dass die seit Gruumlndung der Organisation geltende konfouml-derative Struktur von raquoMemorial Russlandlaquo raquonicht dem Gesetz entsprechelaquo und geaumlndert werden muumlsse Insbe-sondere behagt dem Justizministerium nicht dass die Mehrzahl der Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Russlandlaquo ihrerseits eigenstaumlndige juristische Personen sind raquoMemorial Russlandlaquo muumlsse sich zentralistisch organisieren und die regionalen Memorial-Organisa-tionen zu Filialen werden Ohne hier ins Detail gehen zu koumlnnen wuumlrde das aber zu weiteren Problemen fuumlh-ren die wiederum die Schlieszligung von Memorial durch das Justizministerium zum Ergebnis haumltten Memorial sucht einen Ausweg das Justizministerium betreibt die Schlieszligung Viele NGOs haben Probleme mit der Feu-erwehr dem Gesundheitsamt oder der Arbeitsschutzbe-houmlrde Beliebt ist in juumlngster Zeit auch die Kuumlndigung von Mietvertraumlgen (so unlaumlngst geschehen bei raquoGoloslaquo und der raquoBewegung fuumlr Menschenrechtelaquo)

soziale und politische ngosSeit dem Fruumlhjahr zeichnet sich noch ein weiterer Angriff auf unabhaumlngige und staatskritische NGOs ab Der von Michail Fedotow geleitete Zivilgesellschaftsrat beim Praumlsidenten beraumlt seit einiger Zeit eine erneute Aumlnde-rung des NGO-Gesetzes Er schlaumlgt vor die Agenten-paragraphen abzuschaffen und dafuumlr um den Befuumlrch-tungen des Kremls auf politische Einflussnahme (nicht nur aus dem Ausland) Rechnung zu tragen kuumlnftig eine Einteilung von NGOs in raquosozialelaquo und raquopolitischelaquo vor-zunehmen raquoSozialelaquo NGOs sollen diesen Vorschlaumlgen nach kuumlnftig steuerlich beguumlnstigt sein und staatliche Zuwendungen erhalten koumlnnen raquoPolitischelaquo NGOs wer-den hingegen von staatlicher Foumlrderung ausgeschlossen und sollen auf alle Zuwendungen insbesondere aber auf Zuwendungen aus dem Ausland einen noch fest-zulegenden Steuersatz zahlen Die Befuumlrworter dieser im Uumlbrigen im Zivilgesellschaftsrat nicht unumstrit-tenen Initiative verweisen darauf dass so die heute als raquoAgentenlaquo verfolgten NGOs eventuell noch gerettet wer-den koumlnnten waumlhrend staatliche Foumlrderung aller ande-ren verstaumlrkt wuumlrde Ein Gewinn also fuumlr alle Betei-ligten Tatsaumlchlich verbirgt sich hinter dem Vorschlag aber eine gefaumlhrliche Tendenz zur Entsolidarisierung in der NGO-Szene wie sie auch anderswo schon laumln-ger zu beobachten ist

Uumlber den AutorJens Siegert ist Diplompolitologe und leitet seit 1999 das Laumlnderbuumlro Russland der Heinrich Boumlll Stiftung in Mos-kau Davor arbeitete er in Moskau als Korrespondent fuumlr Radiostationen Zeitschriften und Zeitungen im deutsch-sprachigen Raum

Lesetipps finden Sie auf der naumlchsten Seite

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Lesetippsbull Siegert Jens Putin und die Zivilgesellschaft in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 12 06 2013

lthttprusslandboellblogorg20130612putin-und-die-zivilgesellschaftgtbull Siegert Jens Uumlber ein Jahr raquoNGO-Agentenlaquo-Jagd ndash eine Art Zwischenbericht in Russland-Blog (Hein-

rich-Boumlll-Stiftung Moskau) 4 Juni 2014 lthttprusslandboellblogorg20140604ueber-ein -jahr-agenten-jagd-eine-art-zwischenberichtgt

bull Siegert Jens Russische raquoNGO-Agentenjagdlaquo ndash eine Zwischenbilanz in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 7 Juni 2013 lthttprusslandboellblogorg20130607russische-ngo-agentenjagd-eine-zwischenbilanzgt

bull Siegert Jens Erklaumlrung Permer NGOs warum sie sich unter keinen Umstaumlnden als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren lassen in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 26 Mai 2013 lthttprusslandboellblogorg20130526erklarung-permer-ngos-warum-sie-sich-unter-keinen-umstanden-als-auslandische-agenten-registrieren-lassengt

bull Siegert Jens Memorial raquoNGO-Agentengesetzlaquo ist ungesetzlich und unmoralisch Keine freiwillige Registrierung als raquoauslaumlndischer Agentlaquo in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 22 September 2013 lthttpruss landboellblogorg20120922memorial-ngo-agentengesetz-ist-ungesetzlich-und-unmoralisch-keine-freiwillige-registrierung-als-auslandischer-agentgt

bull Siegert Jens Sozialer Wandel und politische Dynamik in Russland 201112 in Russland-Analysen Nr 245 19 Oktober 2012 lthttpwwwlaender-analysenderusslandpdfRusslandanalysen245pdfgt

ANALYSE

ein kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen engagements zur Unterstuumltzung und integration von migranten in russlandMarina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin

zusammenfassungObwohl die Wirtschaft Russlands aufgrund der ruumlcklaumlufigen Bevoumllkerungszahl auf Migranten angewiesen ist ist der Groszligteil der Bevoumllkerung des Landes Migranten gegenuumlber skeptisch und oft geradezu fremden-feindlich eingestellt Durch eine schlecht koordinierte staatliche Migrationspolitik ist die Lage der Arbeits-migranten meist prekaumlr Initiativen aus der Zivilgesellschaft versuchen die Situation der Migranten zu ver-bessern und leisten Aufklaumlrungsarbeit in der Bevoumllkerung sowie konkrete Hilfestellungen fuumlr Migranten Die Arbeit solcher Aktivisten wird jedoch oftmals durch staatliche Einmischung erschwert

immigration nach russland als gesellschaftliches ProblemDie widerspruumlchliche Migrationspolitik der russischen Regierung und die aufgeheizte Stimmung in der Bevoumll-kerung haben 2013 zu vermehrten xenophoben Uumlbergrif-fen auf Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien gefuumlhrt (siehe beispielsweise die Unruhen in Birjuljowo im Oktober 2013) Diese Entwicklung wirft die Frage auf welche Haltung die russische Zivilgesellschaft hierzu einnimmt Gibt es zivilgesellschaftliche Initiativen die dieser fremdenfeindlichen Stimmung entgegenwirken

In der russischen Oumlffentlichkeit ist oft von einer Flut von Arbeitsmigranten aus den GUS-Staaten die Rede doch in Wirklichkeit ist die Immigration nach Russ-land im internationalen Vergleich gering Zudem zeigen Zahlen der Staatlichen Statistikbehoumlrde raquoRosstatlaquo dass

die russische Wirtschaft aufgrund der demographischen Entwicklung in zunehmendem Maszlige Arbeitskraumlfte aus dem Ausland benoumltigt (bis 2030 ndash so die Prognose ndash soll die russische arbeitsfaumlhige Bevoumllkerung um 103 Mil-lionen Menschen abnehmen)

Trotzdem gibt es starke fremdenfeindliche Stimmun-gen die sich gegen Immigranten aus Zentralasien und dem Kaukasus richten Diese Ablehnung von Migran-ten hat zugenommen und schafft den Naumlhrboden fuumlr Pogrome wie 2006 in Kondopoga 2010 auf dem Mos-kauer Manegenplatz sowie 2013 in der Stadt Pugat-schow und dem Moskauer Vorort Birjuljowo Angst und Verachtung gegenuumlber Fremden ziehen sich durch alle Gesellschaftsschichten Sie werden als Kriminelle und Illegale stigmatisiert und nicht nur Nationalisten ver-wenden die Losung raquoRussland den Russenlaquo um Ras-

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sismus zu schuumlren und die Stimmung gegen Migranten weiter anzuheizen

es gibt keine migrationspolitikDiese interethnischen Konflikte spiegeln sich auch im russischen Alltag wieder Der durch den Foumlderalen Migrationsdienst praktizierte administrative und poli-zeiliche Umgang mit Migration ist nicht effektiv Eine Stigmatisierung der Migranten als potenzielle Krimi-nelle und eventuelle Uumlberlegungen zur Verschaumlrfung des Migrationsgesetzes koumlnnen die Probleme nicht loumlsen die gerade auch auf kommunaler Ebene anfallen Die nur situativen politischen Maszlignahmen fuumlhren mitunter zu einer Verschaumlrfung des Problems Eine uumlbergreifende Strategie existiert nicht die Politik weiszlig auf die Migra-tionsfrage keine Antwort Ein autoritaumlres zentralisier-tes System ist nicht im Stande die regionalen Probleme dieses riesigen Landes zu loumlsen deshalb liegt es vor allem an der Zivilgesellschaft sich diesen Themen zu widmen

zivilgesellschaftliche Projekte AufklaumlrungsarbeitIn Moskau und Sankt Petersburg gibt es verschiedene nichtstaatliche Projekte die sich sowohl fuumlr mehr Tole-ranz als auch fuumlr die Integration der Migranten einsetzen

Einige von ihnen bestehen schon mehrere Jahre Boris Romanow ist einer der Gruumlndervaumlter eines zivil-gesellschaftlichen Netzwerks zur Unterstuumltzung von Menschen mit Migrationshintergrund in Sankt Peters-burg Er arbeitet mit den unterschiedlichsten NGOs zusammen die zu Themen wie Toleranz Antirassis-mus Homophobie Antiziganismus und Antisemitis-mus arbeiten Finanziert durch das Goethe-Institut rief er 2012 raquoRespektlaquo ins Leben ein Comic-Projekt inter-nationaler Kuumlnstler mit dessen Hilfe Schuumller ihr Den-ken uumlber Fremde reflektieren und selbst in Frage stel-len koumlnnen Laut Romanow scheitern solche Projekte oft an der Buumlrokratie der Kommunen Durch das neue NGO-Gesetz gebe es kaum noch Kontaktmoumlglichkei-ten zu staatlichen Schulen erlaumlutert Romanow so dass eine Zusammenarbeit houmlchstens uumlber einzelne Lehrer nicht jedoch uumlber die Schuldirektion moumlglich sei Dies widerspreche dem Konzept zivilgesellschaftlicher Arbeit die vor allem jedermann offen stehen will Durch das geschlossene staatliche Schulsystem komme es selten zu einer Kooperation mit interessierten Lehrern Die Zusammenarbeit von Staat und Zivilgesellschaft ist unabdingbar macht aber die Finanzierung der Projekte schwierig da sie im Falle einer Unterstuumltzung auslaumln-discher Sponsoren unter das neue NGO-Gesetz fallen

Im Zuge der neuen NGO-Gesetzgebung wurde das Antidiskriminierungszentrum raquoMemoriallaquo in Sankt Petersburg geschlossen Dessen ehemaliger Mitarbei-

ter Andrej Jakimow ist Anthropologe Seine langjaumlh-rige Arbeit mit ethnischen Minderheiten wie Sinti und Roma Arbeitsmigranten und Staatenlosen macht ihn zu einem erfahrenen Koordinator der raquoStiftung zur Unter-stuumltzung und Entwicklung von Bildungs- und Sozial-projektenlaquo (raquoPSP-Fondlaquo) in Sankt Petersburg Auch fuumlr ihn zaumlhlt die aktive Aufklaumlrungsarbeit zu den wichtigs-ten Punkten seines zivilgesellschaftlichen Engagements Die juristische und psychologische Betreuung von Mig-ranten stehen neben der Sensibilisierung der russischen Bevoumllkerung im Zentrum seiner Arbeit Seiner Erfah-rung nach interessieren sich die OSZE und die UNO nur marginal fuumlr diese Themen also muumlssen die Pro-bleme der Arbeitsmigranten auf nationaler Ebene geloumlst werden Seine Kontakte zu verschiedenen Netzwerken in den Auswanderungslaumlndern helfen den Migranten sich schon vor der Einreise nach Russland auf den Aufenthalt vorzubereiten In der Zusammenarbeit von Staat und Experten sieht Jakimow eine Moumlglichkeit eine effek-tive Migrationspolitik zu entwickeln

fuumlr die Verbesserung der migrationspolitikAumlhnlich denken auch Wjatscheslaw Postawnin und Natalja Wlasowa die die Stiftung raquoMigrazija XXI weklaquo (raquoMigration im 21 Jahrhundertlaquo) gegruumlndet haben Sie selbst sind ehemalige Mitarbeiter des Foumlderalen Migra-tionsdienstes und kennen die staatliche Migrationspoli-tik von innen Die Regierung unter Putin scheint keiner-lei Loumlsungsansaumltze fuumlr die immer staumlrker zunehmende Xenophobie in Russland zu erarbeiten In den fuumlnf Jah-ren ihrer Existenz hat sich die Organisation in Mos-kau zu einem unabhaumlngigen intellektuellen und wissen-schaftlichen Zentrum entwickelt das Vorschlaumlge fuumlr die Verbesserung der staatlichen Migrationspolitik ausarbei-tet Diese Vorschlaumlge werden oft von der Administration des Praumlsidenten beruumlcksichtigt jedoch nicht sofort und ohne Nennung der Urheberschaft In Zusammenarbeit mit der Weltbank und dem Netzwerk raquoMirpallaquo (raquoMigra-tion and Remittance Peer-Assisted Learninglaquo) erstellt die Organisation Statistiken zu den Migrationsstroumlmen aus den GUS Staaten die oftmals stark von den offiziellen Zahlen des Foumlderalen Migrationsdienstes abweichen

fluumlchtlingsarbeitDie von Swetlana Gannuschkina einer wichtigen Men-schenrechtlerin in Russland 1990 mitbegruumlndete Orga-nisation raquoGrashdanskoje sodejstwijelaquo (raquoBuumlrgerhilfelaquo) beschaumlftigt sich nicht nur mit Arbeitsmigration sondern zu vier Fuumlnfteln mit Fluumlchtlingen Es war die erste Orga-nisation dieser Art in Moskau und wurde im Zusam-menhang mit dem Konflikt um Berg-Karabach und dem Krieg in Tschetschenien gegruumlndet um den Fluumlchtlin-gen aus diesen Regionen zu helfen Die Unterstuumltzung

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der Arbeitsmigranten umfasst juristische Konsultation und die Loumlsung administrativer Fragen z B bei nicht ausgezahlten Gehaumlltern Deportationen Einreisever-boten Die Organisation stellt juristischen Beistand bei unbegruumlndeten Klagen gegen Migranten hilft bei Kla-gen gegen Arbeitgeber wegen nicht ausgezahlter Loumlhne fuumlhrt ein Projekt gegen Hate Crimes durch und veran-staltet Spendenaktionen auf ihrer Webseite Besonders die aumlrztliche Versorgung ist wichtig da der staatliche Notdienst Migranten oft seine Hilfe verwehrt raquoGrash-danskoje sodejstwijelaquo arbeitet eng mit dem Fluumlchtlings-hilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) der Inter-nationalen Organisation fuumlr Migration (IOM) und mit dem Netzwerk raquoMigrazija i prawolaquo (raquoMigration und Rechtlaquo) einem Programm des Menschenrechtszentrums raquoMemoriallaquo zusammen Obwohl in der offiziellen Rhe-torik die Bedeutung der Migration fuumlr Russland unter-strichen wird (wie zum Beispiel in der raquoKonzeption der staatlichen Migrationspolitik 2025laquo) beobachtet man in der Praxis meist die stumme Hinnahme der Uumlber-griffe auf Arbeitsmigranten Nach dem Inkrafttreten des NGO-Gesetzes fand bei der Organisation eine Uumlberpruuml-fung durch die Staatsanwaltschaft statt Ob und wenn ja wie dieses Projekt weiterlaufen wird ist bis heute unklar

Arbeit mit fluumlchtlingskindernIm Rahmen der Organisation raquoBuumlrgerhilfelaquo gibt es zudem ein raquoZentrum fuumlr Integration und Unterricht fuumlr Fluumlchtlingskinderlaquo da das staatliche Programm mit dem Kinder mit Migrationshintergrund Russisch lernen nicht ausreichend ist

Aumlhnlich wie ihre Kollegen aus Moskau arbeiten die Freiwilligen des zivilgesellschaftlichen Projekts raquoDeti Peterburgalaquo (raquoKinder von Petersburglaquo) mit Kindern des-sen Eltern aus den unterschiedlichsten Gruumlnden nach Russland immigriert sind Zwei Projektkoordinatoren der Organisation raquo[Wahl]Beobachterlaquo Daniil Ljubarow und Irina Beljaewa haben 2012 raquoDeti Peterburgalaquo gegruumlndet Angefangen mit einem Angebot von Russisch-Grundkur-sen fuumlr Vorschuumller mit Migrationshintergrund hat sich dieses Programm mittlerweile so weit entwickelt dass Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre an sechs verschie-

denen Standorten in Sankt Petersburg an Russischkursen teilnehmen koumlnnen Bis 2014 hatte es noch nicht einmal feste Raumlumlichkeiten gegeben die Mitarbeiter der raquoDeti Peterburgalaquo organisierten sich ausschlieszliglich uumlber soziale Netzwerke Der virtuelle Raum verbindet diese Organi-sation auch mit anderen zivilgesellschaftlichen Projek-ten So zieht das Projekt nicht nur politische Aktivisten an sondern vor allem Paumldagogen Linguisten und Stu-denten die die Kurse vorbereiten und durchfuumlhren Der Aufbau von kreativen Zirkeln gehoumlrt genauso zur Arbeit von raquoDeti Peterburgalaquo wie die Koordination von Ausfluuml-gen in die Umgebung Museen oder Theatern Das Pro-jekt ist abhaumlngig von seinen Teilnehmern Die fehlen-den Sprachkenntnisse der Eltern fuumlhren oft zu groszligen Kommunikationsproblemen Aber auch die wechselnden und meist aumluszligerst schwierigen Arbeitszeiten der Eltern erschweren die Durchfuumlhrung des Projekts Die staumldti-sche Buumlrokratie versucht den Elan der Mitarbeiter zu bremsen Auch deshalb bleibt das Projekt nichtstaatlich

fazitMisstrauen gegenuumlber der Regierung soziale Probleme und Alltagsrassismus bewegen immer mehr Menschen dazu sich eigenstaumlndig mit der negativen Entwicklung beim Umgang mit Migranten zu beschaumlftigen Aus Inter-views mit den Mitarbeitern der verschiedenen Organisa-tion laumlsst sich schlieszligen dass eine russische Zivilgesell-schaft entstanden ist die die Migrationsfrage einerseits als Arbeit mit der Mehrheits- also russischen Bevoumllkerung betrachtet um diese zu sensibilisieren Anderseits gibt es Initiativen die vor allem konkrete Hilfe fuumlr Migranten leisten um deren alltaumlgliche Probleme zu minimieren

Die Zivilgesellschaft bemuumlht sich Vorurteile abzu-bauen die Migrationspolitik realistischer zu machen und Migranten wie Fluumlchtlingen konkrete Hilfestellung zu geben Die Behoumlrden sabotieren diese Arbeit In den Groszligstaumldten wird der Zuzug von Migranten restriktiv gehandhabt Arbeitgeber wissen um den oft schwierigen Status der Migranten und nutzen die Situation aus um die Migranten weiter auszubeuten Die Arbeit der Zivil-gesellschaft zur Sensibilisierung der russischen Bevoumllke-rung wird durch die offizielle Politik oft konterkariert

Uumlber die AutorenIm Rahmen des Projektkurses raquoZiviler Ungehorsam Gesellschaft und Staat in Osteuropalaquo reisten die Studierenden des Osteuropa-Instituts der Freien Universitaumlt Berlin Michael Bellmann und Kristina Arisov nach Moskau sowie Marina Grinfeld und Christina Huthmann nach St Petersburg um mit Aktivisten und Organisationen die sich fuumlr die Integration von Migranten in Russland einsetzen Interviews zu fuumlhren und die Position der Zivilgesellschaft zur Migrationsproblematik zu analysieren

Lesetippsbull Judah Ben Russiarsquos Migration Crisis in Survival 552013 Nr 6 S 123ndash131

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 22

bull Malakhov Vladimir S Russia as a New Immigration Country Policy Response and Public Debate in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1062ndash1079

bull Schenk Caress Controlling Immigration Manually Lessons from Moscow (Russia) in Europe-Asia Studies 652013 Nr 7 S 1444ndash1465

bull Spahn Susanne Die gelenkte Xenophobie Migration und nationale Frage in Russland Russland nur fuumlr Russen in Osteuropa 642014 Nr 7 S 55ndash67

bull Tipaldou Sofia Katrin Uba The Russian Radical Right Movement and Immigration Policy Do They Just Make Noise or Have an Impact as Well in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1080ndash1101

UmFRAGE

Uumlber die zivilgesellschaft in russland

zur zivilgesellschaftlichen und politischen Aktivitaumlt der russen

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 15 stellen sie sich vor ihre nachbarn schlagen eine gemeinsame muumlllsammelaktion in der nahegelege-nen Parkzone vor Was waumlren sie bereit zu uumlbernehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator der Aktionwerden

An der Aktionmitwirken

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 16 haben sie im vergangenen halbjahrJahr hellip

0 20 40 60 80 100

hellip an den Aktivitaumlten einer non-profit Organisation teilgenommen als Freiwilliger gearbeitet

hellip sich mit gesellschaftlichen Problemen an ihrem Wohnort beschaumlftigt

hellip an Groszligveranstaltungen Demonstrationen Streiks Kundgebungen Umzuumlgen teilgenommen

Ja Keine Antwort Nein

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 23

grafik 17 stellen sie sich vor dass es an ihrem Wohnort zu massenhaften Wahlfaumllschungen kommt irgend-jemand ruft zur Durchfuumlhrung von Protestaktionen gegen die Wahlfaumllschungen auf Was wuumlrden sie unternehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator dieser Aktionwerden

An dieser Protestaktionteilnehmen

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 18 Waren sie haben sie sich in den vergangenen einndashzwei Jahren hellip

0 20 40 60 80 100

hellip Mitglied einer politischen Partei

hellip Wahlbeobachter

hellip an der Arbeit einer Menschenrechtsorganisation beteiligt

hellip sich im Internet (in sozialen Netzwerken auf Foren) zu politischen Themen geaumluszligert

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

zur gesellschaftlichen Aktivitaumlt

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

grafik 19 haben sie persoumlnlich in den vergangenen zweindashdrei Jahren an der taumltigkeit einer gesellschaftlichen organisation teilgenommen Wenn ja wie genau (beliebige zahl an Antworten)

6

6

5

2

2

84

1

050

Habe an gesellschaftliche Organisationen gespendetoder andere materielle Hilfe geleistet

Habe an Wohltaumltigkeitsveranstaltungen teilgenommen(Konzerte Ausstellungen Wohltaumltigkeitslotterie Auktionen)

Habe Freiwilligenarbeit geleistet (kostenlos)

Habe gegen Entgelt in einer gesellschaftlichenOrganisation gearbeitet

Habe Informationen zu den Taumltigkeitenvon gesellschaftlichen Organisationen verteilt

Nicht teilgenommen

Anderes

Keine Antwort

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 24

grafik 20 haben ihnen irgendwann einmal gesellschaftliche organisationen geholfen

0 20 40 60 80 100

Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja mit Geld geholfen Ja auf andere Weise geholfen Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

Die oumlffentliche meinung zu ngos mit auslaumlndischer finanzierung (April 2013)

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 21 mit welcher meinung zur taumltigkeit russischer ngos stimmen sie am ehesten uumlberein

Sie bringen einen groszligen Nutzen

4

Sie bringen mehr Nutzen als Schaden

15Sie bringen ebenso viel

Nutzen wie Schaden23

Sie bringen mehr Schaden als Nutzen

18

Sie bringen weder Nutzen noch Schaden

13

Keine Antwort27

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 22 ist es fuumlr sie wichtig ob eine russische menschenrechtsorganisation aus einheimischen oder auslaumln-dischen mitteln finanziert wird

Sehr wichtig10

Eher wichtig34

Nicht besonders wichtig24

Vollkommen unwichtig18

Keine Antwort14

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 25

grafik 23 Welche ziele verfolgen westliche laumlnder und organisationen die russische ngos mit mitteln aus-statten

Einen verstaumlrkten Einfluss auf die russische

Innenpolitik42

Einen Kampf gegen den russischen Staat

19Eine Unterstuumltzung der

russischen Zivilgesellschaft

8

Kein besonderes Ziel russische NGOs werden wie andere aus standardisierten

internationalen Programmen unterstuumltzt

12

Keine Antwort19

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 24 Duumlrfen organisationen die sich mit dem schutz der Buumlrgerrechte beschaumlftigen und den staat kriti-sieren das recht haben mittel aus dem Ausland zu beziehen

Ja20

Nein56

Keine Antwort24

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 25 Unterstuumltzen sie harte sanktionen gegen ngos die einer politischen taumltigkeit nachgehen und gelder aus dem Ausland erhalten sich aber nicht nach dem gesetz als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren

Auf jeden Fall20

Eher ja32

Eher nein15

Auf keinen Fall5

Keine Antwort28

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

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luumlgen des fernsehkanals ntV und Beanstandungen des Justizministeriums erklaumlrung des menschenrechtszentrums memoriAl und der russischen gesellschaft

memoriAl

Die Behauptung bei NTV das russische Justizministerium habe die Liquidierung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL eingeleitet fuumlhrte heute zu etlichen Irritationen Das Menschenrechtszentrum und die Russische Gesell-schaft MEMORIAL (die Dachorganisation der russischen Memorial-Verbaumlnde) haben aus diesem Anlass nachste-hende Erklaumlrung abgegeben

Am 10 Oktober strahlte NTV unter dem Titel raquoAuszligergewoumlhnliches Ereignislaquo eine Sendung aus die aus boumlswil-ligen Luumlgen aber auch aus Fehlinformationen in Folge von Unkenntnis bestand

Die Arbeit des Menschenrechtszentrums MEMORIAL als Unterstuumltzung von Extremisten und Terroristen dar-zustellen ist eine infame Luumlge Auf Unkenntnis basiert hingegen die Behauptung das Justizministerium habe des-halb den Antrag gestellt das Menschenrechtszentrum MEMORIAL zu liquidieren

In Wirklichkeit hat das Justizministerium beim Obersten Gericht der Russischen Foumlderation nicht die Aufloumlsung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL beantragt Es geht hier vielmehr um eine andere Organisation naumlmlich die Russische Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIAL

Die russische Gesellschaft MEMORIAL wurde vom Justizministerium bereits 1992 registriert Bis heute befinden sich unter ihrem Dach verschiedene Memorial-Verbaumlnde die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen

Im Jahre 2012 20 Jahre nach der ersten Registrierung tauchten beim Justizministerium ploumltzlich Zweifel hin-sichtlich des russischen Rechtsstatus von Memorial auf obwohl der Gesellschaft praktisch dieselben regionalen Ver-baumlnde angehoumlren wie zuvor und sich die Gesetzeslage in dieser Frage in keinem Punkt geaumlndert hatte

Geaumlndert hat sich allerdings die Position des Justizministeriums das erneut einen raquodemokratischen Zentralismuslaquo anstrebt der nach der Abschaffung der fuumlhrenden Rolle der KPdSU nicht mehr aktuell schien Heute erklaumlrt das Jus-tizministerium nur jene gesellschaftlichen Vereinigungen koumlnnten der Russischen Gesellschaft MEMORIAL ange-houmlren die in ihrer Bezeichnung die Worte raquoVerband (otdelenie) der Russischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklauml-rung Sozialarbeit und Menschenrechte MEMORIALlaquo tragen

Die gesetzliche Vorschrift dass eine Organisation nur dann einen gesamtrussischen Status haben kann wenn sie in uumlber der Haumllfte der Foumlderationssubjekte Verbaumlnde unterhaumllt legt das Justizministerium jetzt dahingehend aus dass diese Verbaumlnde zwangslaumlufig einen Status als Regionalverbaumlnde haben muumlssten Das Vorhandensein von Stadt- und Bezirksverbaumlnden einer Organisation reicht die Beamten als Beleg dafuumlr nicht aus dass die Organisation in der betreffenden Region taumltig ist

Die Vorbehalte des Justizministeriums entbehren jeglicher Grundlage Nicht zufaumlllig erhielten wir auf Anfragen keine Hinweise auf eine Gesetzesnorm Es ist fuumlr uns inakzeptabel dass das Justizministerium das von der Verfas-sung garantierte Recht von Buumlrgern eine Vereinigung zu bilden gesetzwidrig einschraumlnken will Deshalb hat sich die Russische Gesellschaft MEMORIAL bereits 2012 entschlossen vor Gericht zu gehen

Einen Hinweis auf ein Gesetz haben wir auch nicht erhalten als wir 2013 die Forderungen des Justizministeriums im Moskauer Zamoskvorezki-Bezirksgericht und danach im Stadtgericht angefochten haben Beide Instanzen gaben wie nicht anders zu erwarten dem Justizministerium Recht Deshalb wird die Russische Gesellschaft MEMORIAL in Kuumlrze Klage beim Verfassungsgericht einreichen

Was den Antrag des Justizministeriums betrifft so hoffen wir dass das Oberste Gericht bei Behandlung dieses Antrags dem Gesetz und der Verfassung mehr Respekt entgegenbringen wird als die untergeordneten Gerichtsinstanzen

10 Oktober 2014Quelle Website von Memorial Deutschland lthttpwwwmemorialdeindexphpid=42amptx_ttnews[tt_news]=546amptx_ttnews[backPid]=3ampcHash=5bbe9b235a03fe09cba52ed5c8786b99gt

DOkUmENtAtION

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 28

NOtIzEN AUS mOSkAU

Petersburger DialogJens Siegert Moskau

Auf den ersten Blick sieht es so aus als ob ein (egal ob nun willentlich oder nicht) an die Oumlffentlich-

keit gelangter Brief einiger regelmaumlszligiger Teilnehmer des Petersburger Dialogs (PD) aus den Reihen deutscher NGOs an Bundeskanzlerin Merkel und Auszligenminis-ter Steinmeier die Verschiebung des fuumlr Ende Oktober in Sotschi geplanten groszligen Jahrestreffens verursacht haumltte In dem Brief bekraumlftigten die Autoren ihre nicht neue Kritik am PD und erklaumlrten warum sie dieses Jahr nicht teilnehmen wuumlrden Sie betonen dass die Absage kein Boykott sei und bieten ihrerseits einen Dialog zur Reform des Dialogs an Auf den zweiten Blick war der Brief selbstverstaumlndlich nur Anstoszlig aber nicht Grund fuumlr die Verschiebung Doch der Reihe nach

Die in dem Brief geaumluszligerte Kritik am PD ist wie gesagt nicht neu sie hat sie den PD von Anfang an begleitet Das liegt sicher auch an einem bis heute nicht korrigierten Geburtsfehler Ein durch Staats- und Regie-rungschefs initiierter raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo ist schon etwas verquer Das heiszligt nicht dass das nicht gehen koumlnnte Doch dazu haumltten sich die hochgestell-ten Initiatoren (der damalige russische Praumlsident und der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schrouml-der) und ihre (Interims-)Nachfolger spaumlter zuruumlckziehen muumlssen Das haben sie nicht Daran sind sie nicht (allein) Schuld Es war der PD der durch seine Lenkungsor-gane die enge zeitliche und oumlrtliche Verbindung mit den deutsch-russischen Regierungskonsultationen und die zeitweilige Anwesenheit von Praumlsident und Kanzlerin zum Grundstein seiner Wirkungsmaumlchtigkeit erklaumlrte

Auf deutscher Seite wurde versucht dieses Problem organisatorisch sozusagen oumlffentlich-rechtlich zu loumlsen indem moumlglichst alle interessierten politischen Spektren und gesellschaftlichen Gruppen am sogenannten Len-kungsausschuss beteiligt wurden Das gelang zumindest so gut dass es soweit mir bekannt bis heute keine grouml-szligeren Klagen uumlber Nichtberuumlcksichtigung oder Nicht-beteiligung gab Aber die Bundesregierung behielt weit-gehenden Einfluss nicht zuletzt uumlber den alljaumlhrlich sechsstelligen Zuschuss fuumlr die Durchfuumlhrung der Jah-restreffen Auszligerdem wurde der jeweilige Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses zwar nach Abstim-mungen mit den Beteiligten aber letztlich durch den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin bestimmt

In Russlands ist die Sache einfacher Von Anfang an wurde und wird gemacht wird was der Kreml will Schon der erste Vorsitzende des russischen Lenkungs-ausschusses Michail Gorbatschow (immerhin selbst ein ehemaliger Praumlsident) war wie er selbst einmal bekannte

nicht mehr als ein ndash schoumlne Ruumlckuumlbertragung aus dem Russischen ndash raquoSitz-Praumlsidentlaquo Der jetzige Vorsitzende Wiktor Subkow war Datschennachbar von Putin ers-ter stellvertretender Ministerpraumlsident und ist nun Auf-sichtsratsvorsitzender von Gazprom

Die Kritik dass nur eine Simulation eines raquozivilge-sellschaftlichen Dialogslaquo stattfinde wurde von einigen deutschen Teilnehmern bereits auf dem ersten Jahres-treffen des PD im April 2001 in St Petersburg geaumluszligert Es fehlten auf russischer Seite (in der seinerzeit noch ver-einigten Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo) Vertreter russischer NGOs Die Kritik kam an In Russ-land fuumlhrte sie (ohne dass ich hier jetzt ausfuumlhren kann wie) zum ersten Versuch des Kremls auch unabhaumln-gige NGOs in das korporative System der gelenkten Demokratie zu zwingen Der Versuch misslang weitge-hend und muumlndete in einer Art Waffenstillstand und der Gruumlndung eines raquoMenschenrechtsrats beim Praumlsi-dentenlaquo unter Einbeziehung von Vertretern unabhaumlngi-ger NGOs Beim PD wurde die Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo in ihre zwei Namensbestandteile geteilt und es gelang uumlber die Jahre in immer wieder unternommenen Anstrengungen auch die Teilnahme unabhaumlngiger russischer NGO-Vertreter durchzuset-zen Etwas spaumlter wurde diese Teilnahme sogar vor-sichtig institutionell abgesichert indem erst Ella Pam-filowa und spaumlter ihr Nachfolger Michail Fedotow als Vorsitzende des inzwischen zum raquoZivilgesellschaftsratlaquo umbenannten raquoMenschenrechtsratslaquo zu den russischen Koordinatoren der Arbeitsgruppe raquoZivilgesellschaftlaquo mit Einladungsrecht wurden (wobei die Einladungen selbst-verstaumlndlich mit der Praumlsidentenadministration abge-stimmt werden muumlssen) Das ist bis heute so

Die Verfasser des Briefes (zu denen ich bekenne mich auch ich gehoumlre) allesamt langjaumlhrige Teilneh-mer der Jahrestreffen des PD haben all die Jahre immer wieder auch oumlffentlich uumlber den Sinn und Unsinn ihrer Teilnahme und Unterstuumltzung diskutiert Letztendlich uumlberwogen die ganze Zeit uumlber zwei Uumlberlegungen Ers-tens ist ein Dialog auch und gerade auf offizieller Ebe-nen und mit offiziellen Vertretern des russischen Staates (wie auch mit Wissenschaftlern Unternehmern Journa-listen Priestern usw welcher politischen Couleur auch immer sie sein moumlgen) erst einmal besser als kein Dia-log Zweitens gingen wir all die Jahre davon aus dass die nicht ohne Muumlhen erreichte Teilnahme unabhaumln-giger russischen NGO-Vertreter fuumlr sie ihre Organisa-tionen aber auch die russische NGO-Szene insgesamt zumindest einen kleinen zusaumltzlichen Schutz gegen die

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 29

seit Putins Amtsantritt immer wieder uumlber das Land gehenden Repressionswellen bietet1 Was hat sich dieses Jahr geaumlndert Erst einmal nicht

so viel gegenuumlber dem Vorjahr Es war schon immer siehe oben eine schwierige Abwaumlgung ob die Teil-nahme am PD sich lohnt oder nicht vielmehr dazu beitraumlgt so zu tun als gaumlbe es in Russland die unein-geschraumlnkte und ungefaumlhrdete Moumlglichkeit sich zivilgesellschaftlich auch dort zu engagieren wo es dem Staat weh tut Zwei Ereignisse haben nun aber zumindest fuumlr die Autoren des Briefes das Pen-del zur anderen Seite ausschlagen lassen Die Kon-frontation zwischen dem Westen (ich weiszlig um die Bedingtheit des Begriffs verwende in der Kuumlrze hal-ber aber trotzdem) und Russland im Konflikt in der und um die Ukraine ist nicht einfach die Fortset-zung schon laumlnger existierender raquoMeinungsverschie-denheitenlaquo Sie ist tiefer und prinzipieller Es geht eben im Kern nicht in erster Linie um Geopolitik sondern wieder einmal um ich fuumlrchte hier weder den Pathos noch historische Analogien Freiheit und Demokratie in Europa

2 Die Repressionen gegen russische NGOs unsere prinzipiellen Partner in der Verteidigung von Demo-kratie und Freiheit haben mit dem sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo eine neue Qualitaumlt erreicht 15 NGOs sind inzwischen zwangsweise zu raquoauslaumln-dischen Agentenlaquo erklaumlrt worden anderen droht die Schlieszligung aufgrund anderer Gesetze Einige von ihnen waren sogar zum nun verschobenen Treffen in Sotschi eingeladen Sie mussten sich Gedanken machen ob eine Zusage oder eine Absage ihnen nicht schaden koumlnnte

Unter diesen Umstaumlnden halten die Verfasser des Brie-fes ihre Teilnahme am PD fuumlr nicht mehr moumlglich Sie fordern keinen Boykott wohl aber ein Nachdenken uumlber eine tiefgreifende Reform

Der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses Lothar de Maiziere hat in einem eigenen offenen Brief geantwortet und den Verfassern vorgeworfen den Dia-log verweigern und politisieren zu wollen Diese (Gegen-)Klage scheint mir angesichts der vielfaumlltigen Verbindun-gen und Dialogformen die die Organisationen hinter den Unterzeichnern des Briefes seit vielen Jahren und oft laumlnger als der PD organisieren an denen sie teil-nehmen und die sie foumlrdern nicht sonderlich stichhal-tig Doch die Auseinandersetzung geht tiefer De Mai-ziere behauptet in seinem Brief der PD mache bereits all das was die Kritiker fordern Genau das bezweifeln diese aber Die Auseinandersetzung geht also und vor allem darum was ein fruchtbarer Dialog zu leisten im Stande sein kann und leisten sollte Sie geht aber auch darum ob dieser Dialog zwischen zwei Gesellschaf-

ten stattfindet nach dem Motto hier die eine dort die andere oder ob sich die Seiten bei diesem Dialog inei-nander verschraumlnken

Die Verfasser des Briefes sind ganz offensichtlich mit ihrer Kritik nicht allein Schon bevor der Brief oumlffent-lich bekannt wurde hatten die Bundestagsabgeordne-ten Andreas Schockenhoff (CDUCSU) und Marieluise Beck (Buumlndnis 90 Die Gruumlnen) in oumlffentlichen Stel-lungnahmen Aumlhnliches gefordert und auch ihre Nicht-Teilnahme erklaumlrt Etwas spaumlter wurde bekannt dass auch der Russland-Beauftragte der Bundesregierung Gernot Erler nicht nach Sotschi fahren wollte Mehr noch Bereits seit dem Fruumlhsommer gab es Gespraumlche zwischen Kanzleramt und Auswaumlrtigem Amt mit dem Ziel den PD sowohl personell als auch strukturell zu reformieren Allerdings setze sich augenscheinlich die Sichtweise des Auswaumlrtigen Amtes durch alles vorerst beim Alten zu belassen da es auch so schon genug Pro-bleme im deutsch-russischen Verhaumlltnis gebe und man diesen Kanal nicht auch noch belasten oder gar gefaumlhr-den solle

Doch zum Herbst hat sich die Situation noch ein-mal veraumlndert Die Hoffnung die russische Fuumlhrung um Praumlsident Putin werde im Krieg in der Ostukraine ein-lenken ist selbst im Auswaumlrtigen Amt bis in die Spitze kaum noch zu finden Im Sommer bekam das russische Justizministerium zudem per erneuter Gesetzesaumlnde-rung das Recht NGOs zwangsweise zu raquoAgentenlaquo zu erklaumlren und macht seither rege Gebrauch davon Eine ganze Reihe russischer NGOs steht vor der Schlieszligung oder loumlst sich auf weil ihnen die vom Gesetz geforderte Selbstetikettierung als raquoauslaumlndische Agentenlaquo ethisch rechtlich und praktisch unmoumlglich ist

Es sieht so aus als haumltten die Verfasser des Briefes nur eine Tuumlr geoumlffnet hinter der andere darunter die Kanzlerin nur darauf gewartet haben durch sie hin-durch gehen zu koumlnnen ohne selbst der Tuumlroumlffnung geziehen zu werden

Ein wenig verwundert die erstaunlich milde russi-sche Reaktion Nach der kurzen Drohung eine Verschie-bung bedeute das Ende des PD lenkte Putin im Telefo-nat mit Merkel ein und fand tags darauf sogar oumlffentlich verstaumlndnisvolle Worte fuumlr die raquoProbleme der deutschen Seitelaquo Das duumlrfte zwei Gruumlnde haben Der eine ist dass trotz des haumlufiger gewordenen Deutschland-Bashings im russischen Staatsfernsehen (mit dem Ergebnis dass in Umfragen Deutschland aus der Kategorie raquoFreundlaquo in die Kategorie raquoFeindlaquo abgerutscht ist) Deutschland im Kreml immer noch als wichtigster raquostrategischerlaquo Part-ner im Westen und vor allem in der EU gilt Zudem ist Deutschland zweifellos ein Land dessen oumlffentliche Meinung (und damit Politik) aus russischer Sicht durch-aus beeinflussbar ist (was z B die kolportierten rund

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140 Millionen US-Dollar zum Aufbau eines deutsch-sprachigen Programms des staatlichen Auslandsfernse-hens raquoRussia Todaylaquo zeigen)

Der andere liegt in einem erneuten Strategiewech-sel (oder weniger ambitioniert Wechsel der Taktik) im Ukraine-Konflikt Die Sanktionen beiszligen inzwi-schen kraumlftig Die Rhetorik wurde daher gemildert Der Kreml ist ganz auf Frieden und dieser Ausdruck aus dem Sport sei erlaubt Ergebnissicherung bedacht (was uumlbrigens Putins grundsaumltzlicher Taktik auch im Inne-ren Russlands entspricht erst hart zuzuschlagen dann eine Schritt zuruumlck zu gehen und einen Kompromiss zu suchen nach dem es fuumlr seine Gegner nachher schlech-ter steht als vorher) Neues Ziel scheint nun also zu sein die raquoErrungenschaftenlaquo Krim (als Teil Russlands) und raquoNeurusslandlaquo (als neuen raquoFrozen Conflictlaquo) zu fixieren und trotzdem mit dem Westen wenn schon nicht gut-freund zu werden so doch zumindest erneut zu einem einigermaszligen vertraumlglichen Modus Vivendi zu gelan-gen Das Gas duumlrfte nach den Mailaumlnder Gespraumlchen

und bei allem Geknurre im Winter stroumlmen und auch im Nahen Osten stellt Moskau weniger Widerspenstig-keit in Aussicht

Was heiszligt das fuumlr die Zukunft des PD Erstmal ist sie offen Zuerst muss sich die deutsche Seite neu ord-nen (hier hat Putin sogar Recht) Nachdem sich Angela Merkel persoumlnlich um eine russische Akzeptanz fuumlr die Verschiebung von Sotschi bemuumlht hat kann ich mir allerdings nicht vorstellen dass es in einigen Wochen oder Monaten ein Zuruumlck zum status quo ante gibt Ob und wie sich ein neu aufgestellter deutscher Lenkungs-ausschuss mit einem neuen Konzept mit der russischen Seite verstaumlndigen kann laumlsst sich momentan kaum voraussagen Es ist zwar einen Versuch wert haumlngt aber wohl sehr von der dann herrschenden politischen Groszlig-wetterlage ab

Diesen und andere Texte finden Sie auf Jens Siegerts Russ-landblog lthttprusslandboellblogorggt

Lesetippbull Poumlrzgen Gemma Dringend reformbeduumlrftig Der Petersburger Dialog auf dem Pruumlfstand in Osteuropa 602010

Nr 10 S 59ndash81

DOkUmENtAtION

Briefwechsel uumlber die zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo

schreiben von nichtregierungsorganisationen und einzelpersonen an die Bundeskanzlerin und den Auszligenminister zum raquoPetersburger Dialoglaquo 2 oktober 2014 [nachtraumlglich veroumlffentlicht]

Berlin 02 Oktober 2014Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerals Personen die sich seit vielen Jahren intensiv im zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland engagieren wenden wir uns mit diesem Schreiben an Sie um zu erlaumlutern warum wir uns in diesem Jahr nicht am Petersburger Dialog beteiligen koumlnnen Zugleich moumlchten wir fuumlr eine Erneuerung des Petersburger Dialogs werben

In Reaktion auf die politische Wende in der Ukraine die durch eine breite gesellschaftliche Protestbewegung hervor-gerufen wurde hat die russische Fuumlhrung voumllkerrechtswidrig die Krim annektiert und einen unerklaumlrten Krieg neuen Typs im Osten der Ukraine begonnen Zugleich betreibt die Regierung unter Praumlsident Putin die systematische Ausschal-tung der letzten unabhaumlngigen Medien in Russland die Kriminalisierung aller Formen politischer Opposition und die Diskreditierung unabhaumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen als raquoauslaumlndische Agentenlaquo Mittlerweile wurden 12 russische Nichtregierungsorganisationen vom russischen Justizministerium zwangsweise auf die Liste raquoauslaumlndischer Agentenlaquo gesetzt und sind daher zukuumlnftig verpflichtet sich bei jeder oumlffentlichen Aumluszligerung wahrheitswidrig selbst als solche zu bezichtigen Zehn dieser Organisationen spielen in der deutschrussischen zivilgesellschaftlichen Zusammen-arbeit seit Jahren eine wichtige Rolle einige von ihnen haben mehrfach am Petersburger Dialog teilgenommen Gegen einige von ihnen sind bereits existenzbedrohende Strafgelder wegen Verstoszliges gegen das sog Agentengesetz verhaumlngt

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worden Es drohen Organisationsschlieszligungen und die Kriminalisierung der Vorstaumlnde Unter diesen inneren und aumluszlige-ren Bedingungen koumlnnen wir uns nicht an einer Neuauflage des Petersburger Dialogs in der bisherigen Form beteiligen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerder seinerzeit von Bundeskanzler Schroumlder und Praumlsident Putin initiierte Petersburger Dialog konnte die ihm zuge-

dachte Aufgabe zu einer Vertiefung und Verbreiterung der gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland beizutragen auch in den vergangenen Jahren nur sehr bedingt erfuumlllen Dies lag vor allem an der starken Naumlhe des Fuumlhrungspersonals auf der russischen Seite zum politischen Machtzentrum im Kreml die von Beginn an den Eindruck einer raquovon obenlaquo inszenierten und kontrollierten Veranstaltung naumlhrte Doch auch auf deutscher Seite wird der Petersburger Dialog bis heute von Personen dominiert die aus politischer und oumlkonomischer Opportunitaumlt dazu neigen Kritik am Kurs der russischen Fuumlhrung als Stoumlrung der raquodeutsch-russischen Freundschaftlaquo zu betrachten Zeit-weise kam es zu der paradoxen Situation dass kritische Aumluszligerungen zu Menschenrechtsverletzungen in Russland oder zum Vorgehen des Kremls gegenuumlber Georgien aus den Reihen der deutschen Delegation als raquoKalte-Kriegs-Rhetoriklaquo verteufelt wurden Nuumlchtern betrachtet waren die kritischen Stimmen aus der russischen und deutschen Zivilgesell-schaft in den letzten Jahren nur eine geduldete Minderheit die dem Petersburger Dialog den Anschein von Pluralis-mus und offener Diskussion verschaffte Ungeachtet dieser Kritik haben wir uns in der Vergangenheit am Petersburger Dialog beteiligt da wir grundsaumltzlich jedes Dialogpotenzial nutzen wollen und uns von der gemeinsamen Beteiligung mit unseren Partnern aus der russischen Zivilgesellschaft eine politische Absicherung dieser Zusammenarbeit erhofften

Diese ohnehin schwachen Hoffnungen wurden durch die Entwicklungen in diesem Jahr zerstoumlrt Vertreter unab-haumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen die auf der russischen Seite zum Petersburger Dialog eingeladen wer-den sind angesichts der politischen und juristischen Bedrohung der sie ausgesetzt sind in ihrer Entscheidung uumlber ihre Teilnahme nicht mehr frei Wenn sie der Einladung nicht folgen muumlssen sie weitere Repressalien befuumlrchten Uns denen die Freiheit der Entscheidung gegeben ist ist es nicht moumlglich durch Teilnahme am Petersburger Dialog in Sot-schi an der Aufstellung einer Potemkinschen Fassade namens raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo mitzuwirken waumlhrend die kritischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Russland als raquoAgentenlaquo diskreditiert und vielfach drangsaliert werden

Zugleich moumlchten wir unsere Bereitschaft unterstreichen an einer Reform des Petersburger Dialogs in organisa-torischer inhaltlicher und personeller Hinsicht mitzuwirken Eine solche Reform sollte darauf ausgerichtet sein uumlber die Auswahl der Formate Themen und Teilnehmer die tatsaumlchliche Lage der russischen Zivilgesellschaft in den Mit-telpunkt der Diskussion zu ruumlcken und einen offenen Dialog zu ermoumlglichen Wir sind ganz damit einverstanden dass gerade in kritischen Zeiten die Zusammenarbeit zwischen der russischen und deutschen Zivilgesellschaft gestaumlrkt wer-den muss Sofern der Petersburger Dialog in Zukunft dafuumlr ein Forum bietet werden wir uns gern daran beteiligen[Unterzeichner nicht veroumlffentlicht]Quelle Website der Boumlll-Stiftung lthttpwwwboelldede20141013reform-petersburger-dialog-ueberfaelliggt

offener Brief an den Vorsitzenden des Petersburger Dialogs lothar de maiziegravere vom 10 oktober 2014

- Offener Brief -HerrnDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des VorstandsPetersburger Dialog eVSchillerstraszlige 5910627 Berlin

Berlin 10 Oktober 2014Petersburger Dialog 2014 in SotschiSehr geehrter Herr de Maiziegravereals Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher zivilgesellschaftlicher Organisationen die seit der Gruumlndung des Petersburger Dialogs 2001 uumlber viele Jahre hinweg an dieser Veranstaltung teilgenommen haben moumlchten wir Ihnen gegenuumlber folgende Erklaumlrung abgeben

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Wir haben uns entschieden am 14 Petersburger Dialog in Sotschi nicht teilzunehmen der fuumlr den 29ndash31 Okto-ber angekuumlndigt worden ist Fuumlr diese Entscheidung die wir sorgfaumlltig diskutiert und abgewogen haben moumlchten wir drei Gruumlnde anfuumlhren1 Der Petersburger Dialog in seiner jetzigen Form steckt in einer Krise Von Jahr zu Jahr wird er seinem eigenem

Anspruch weniger gerecht Die Veranstaltung soll dem zivilgesellschaftlichen Dialog dienen Tatsaumlchlich sind Struktur Nominierungsverfahren und Programm des Petersburger Dialogs maszliggeblich von Akteuren aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert Unter diesen Voraussetzungen erfuumlllt der Petersburger Dialog leider nicht sein in seiner Satzung formuliertes Ziel ein raquooffenes Diskussionsforumlaquo zu sein das die raquoVerstaumlndigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Laumlnderlaquo foumlrdert Der Petersburger Dialog bedarf dringend einer grundlegenden Reform wie sie auch CDUCSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 eingefordert haben Gerne wuumlrden wir uns aktiv an einem Prozess zur Reformierung des Petersburger Dialogs beteiligen der auf eine pluralistische Zusam-mensetzung beider Lenkungsausschuumlsse und eine deutlich staumlrkere Ausrichtung auf unabhaumlngige zivilgesellschaft-liche Akteure zielt ohne den interdisziplinaumlren Ansatz der Veranstaltung aufzugeben

2 Die Situation in der sich Teile der Zivilgesellschaft in Russland befinden erfuumlllt uns mit groszliger Sorge Das betrifft auch Partnerorganisationen und Personen mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten Diese Organisa-tionen uumlben fuumlr Russland und daruumlber hinaus wichtige gesellschaftliche Funktionen aus Die Behinderung ihrer Arbeit durch buumlrokratische Huumlrden aber auch durch willkuumlrliche rechtliche Restriktionen und politische Diffa-mierung sind inakzeptabel Daruumlber koumlnnen wir nicht zur Tagesordnung uumlbergehen Wir wollen nicht zu Kron-zeugen fuumlr einen vorgeblich freien Austausch werden waumlhrend zugleich die kritische Zivilgesellschaft in Russland massiv und systematisch unter Druck gesetzt wird

3 In Teilen der Ukraine herrscht ein Kriegszustand fuumlr den die russische Fuumlhrung eine maszliggebliche Verantwor-tung traumlgt Wichtige Vertreter dieser Fuumlhrung spielen eine Schluumlsselrolle im Petersburger Dialog einschlieszliglich des fruumlheren Ersten Stellvertretenden Ministerpraumlsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden von Gazprom Wiktor Subkow der der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs ist Vor diesem Hin-tergrund moumlchten wir nicht durch unsere Teilnahme dazu beitragen dass eine Normalitaumlt in den deutsch-russi-schen Beziehungen simuliert wird die es derzeit wegen des Angriffs auf die politische Souveraumlnitaumlt und territo-riale Integritaumlt der Ukraine nicht geben kann

Wir waren und sind weiter sehr an einem offenen Dialog uumlber deutsch-russische Belange in einem gesamteuropaumli-schen Kontext interessiert und halten ihn fuumlr eine Bedingung guter Nachbarschaft und Kooperation Ein solcher Dia-log muss aber auch von beiden Seiten gewollt und ermoumlglicht werden Er darf zugleich nicht zum Nachteil Dritter gefuumlhrt werden Angesichts der aktuellen Lage und der bereits bekannt gewordenen Programmvorschlaumlge fuumlr Sotschi sehen wir auch diese Voraussetzung gefaumlhrdet

Dessen ungeachtet werden wir jede Moumlglichkeit nutzen unsere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Grup-pen und anderen Akteuren in Russland zu vertiefen und dieses Potential in einen bilateralen und europaumlischen Dia-log einzubringenMit freundlichen GruumlszligenRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter Politik Greenpeace eVQuelle lthttpwwwaustauschorgaktuelle-meldungennewsdetailarticle1offener-brie-1htmlno_cache=1ampcHash=0428c5bffdgt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 33

offener Brief des Vorsitzenden des Petersburger Dialogs vom 13 oktober 2014

AnRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich-Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace eVBerlin 13 Oktober 2014Ihr Schreiben vom 10 Oktober 2014Sehr geehrte Damen und HerrenIhren offenen Brief habe ich erhalten Dass Sie einen Brief aumlhnlichen Inhalts zunaumlchst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Auszligenminister verschickt haben verwundert mich Sie geben damit fuumlr die zivilgesell-schaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung die Sie fuumlr die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren

Ihre Nichtbeteiligung am Petersburger Dialog bedaure ich Denn es entspricht der Uumlberzeugung der meisten Mit-glieder des Vorstandes und des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs dass gerade angesichts zweifellos vorhan-dener Probleme fuumlr die Zivilgesellschaft die Sie teilweise benennen die offensive Auseinandersetzung zu solchen The-men gesucht werden muss Indem man sich solchen Gespraumlchen entzieht schadet man den Interessen der Betroffenen

Sie schreiben der Petersburger Dialog sei im Inneren zu reformieren da er von Vertretern aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert sei Diese Feststellung ist falsch und Sie wissen das Das auch in der Satzung des Petersbur-ger Dialogs beschriebene Konzept des Dialogs beruht auf einem breiten Gedankenaustausch aller gesellschaftlichen Kraumlfte Dazu gehoumlren die Bereiche Kultur Medien Bildung Wissenschaft und Kirchen genauso wie zahlreiche im Bereich der politischen sowie der sozialen Menschenrechte engagierte Einrichtungen die in ihrer Gesamtheit das deutsch-russische Verhaumlltnis beleben

Sie versuchen in Ihrem Brief den Petersburger Dialog auf das enge Feld einiger Vertreter der Zivilgesellschaft zu reduzieren die jenseits der korporierten Zivilgesellschaft angesiedelt sind und deren Interessenspektrum nur einen Teil des gesamten zivilgesellschaftlichen Engagements abdeckt

Ich verkenne nicht die ndash auch aber nicht nur ndash in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu Tage getretenen Probleme sowie die unterschiedlichen Folgen die sich aus einer raquogelenkten Demokratielaquo die in vielem nicht westli-chen Standards entspricht ergeben Dennoch Gemessen an weiten Bereichen der russischen Geschichte ist die Ent-wicklung seit 1991 ein Fortschritt Das daraus resultierende wenn auch im letzten Jahr stark eingetruumlbte Vertrauens-potential muss fuumlr die auf vielen Ebenen notwendigen Gespraumlchsforen genutzt und ausgebaut werden

Derartige Gespraumlche bedingen genauso Realismus wie intellektuelle Disziplin wozu auch gehoumlrt zu verstehen wie Russland die Probleme versteht Dies ndash und nicht Gespraumlchsverweigerung ndash ist die Voraussetzung um auf allen demokratischen gesellschaftlichen Ebenen ndash vom politischen Machtzentrum bis in die Randgruppen hinein ndash pro-blemorientierte Gespraumlche fuumlhren zu koumlnnen Dabei darf keine Seite fuumlr sich in Anspruch nehmen legitimere Inte-ressen zu vertreten als die andere

Das heiszligt Ein Gespraumlch raquoauf Augenhoumlhelaquo nicht von oben herab nicht moralisch belehrend aber mit klaren und ehrlichen Argumenten Dabei duumlrfen wir nicht verschweigen welche gesetzgeberischen aber auch politisch-morali-schen Standards wir fuumlr eine demokratische Gesellschaft im europaumlischen Kontext fuumlr unabdingbar halten

Der Petersburger Dialog wurde aus guten Gruumlnden als deutsch-russische Gemeinschaftseinrichtung konzipiert Da ist eine ndash oft muumlhsame ndash Kompromissfindung unausweichlich Dies ist Teil des Wertes auch der Tiefe aber auch der moralischen Qualitaumlt des Dialogs Das Ringen um kompromissfaumlhige Konzepte muss unser Anliegen bleiben nicht Vorverurteilung und GespraumlchsablehnungMit freundlichem GruszligDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des Vorstands Petersburger Dialog e VQuelle Website des Petersburger Dialogs lthttpwwwpetersburger-dialogcomoffener-brief-vom-13-oktober-2014gt

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offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

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9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

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14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

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                • Zivilgesellschaft und Staat in Russland
                  • Pavel Chikov Moskau
                  • Analyse
                    • NGOs in Russland
                      • Jens Siegert Moskau
                      • Analyse
                        • Ein Kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen Engagements zur Unterstuumltzung und Integration von Migranten in Russland
                          • Marina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin
                          • Umfrage
                            • Uumlber die Zivilgesellschaft in Russland
                              • Dokumentation
                                • Luumlgen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des JustizministeriumsErklaumlrung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL
                                  • Notizen aus Moskau
                                    • Petersburger Dialog
                                      • Jens Siegert Moskau
                                      • Dokumentation
                                        • Briefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo
                                          • Chronik
                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 17: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

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aufgeblaumlhten die NGOs betreffenden Gesetze Kurz gesagt Vor allem Juristen Buchhalter Geschaumlftsfuumlh-rer die NGOs beraten oder in ihnen arbeiten aber auch viele Aktivisten sind schlicht besser schneller und pro-fessioneller als die staatliche Finanz- Justiz- oder sons-tige Verwaltung Einem in vielem legalistischen Staat gegenuumlber kostet diese staumlndige Professionalisierung (auch im Sinn einer Art raquolebenslangen Lernenslaquo) zwar viel Kraft und es muumlssen dafuumlr nicht geringe Ressour-cen eingesetzt werden aber sie verschafft solange es sich nicht um frontale Angriffe handelt immer wieder Raum und Zeit zum Weitermachen

Damit komme ich zum dritten Grund fuumlr die beson-dere Widerstaumlndigkeit von NGOs in Russland Es ist fuumlr einen Staat (und seine Staatsmaumlnner und -frauen) fuumlr den der Eigensinn der Menschen nur schwer vorstell-bar ist und der vom eigenen Zynismus geleitet hin-ter jedem und allem irgendwelchen raquofremden Maumlchtelaquo Verschwoumlrungen und politischen Utilitarismus vermutet ganz offenbar schwer vorstellbar dass zivilgesellschaftli-ches Engagement sozusagen aus sich selbst heraus oder aus einer bestimmten Situation oder einem bestimmten Ereignis einem Erlebnis oder einer Erfahrung heraus entsteht Administrative auch strafrechtliche Maszlig-nahmen gegen dieses Engagement laufen eben deshalb immer wieder zwar nicht voumlllig ins Leere (sie erschwe-ren dieses Engagement mitunter enorm) aber sie koumln-nen es nicht verhindern Es verlagert sich immer wieder und findet immer neue Formen und Foren

Die Verstaumlrkung der staatlichen kontrolleBis heute gab es unter Putin drei groumlszligere Versuche unab-haumlngige NGOs unter mehr oder weniger direkte staatli-che Kontrolle zu bringen und diejenigen die sich dagegen wehrten entweder zu marginalisieren oder auch zu schlie-szligen Der erste im Jahr 2001 endete mit einem oben schon angedeuteten Kompromiss der das Verhaumlltnis Kreml-NGOs in einem (allerdings jederzeit prekaumlren) Gleich-gewicht zwischen Konfrontation und Kooperation hielt

Der zweite Versuch endete in der Verabschiedung des raquoNGO-Gesetzeslaquo Ende 2005Anfang 2006 das den NGOs weitergehende Berichtspflichten auferlegte in der Praxis also Ressourcen band und bindet aber ebenfalls in der Praxis und entgegen anderslautenden Befuumlrchtungen nicht zu wesentlichen Einschraumlnkun-gen in der Arbeit russische NGOs fuumlhrte Die groumlszligte negative Wirkung dieses Versuches duumlrfte von zahlrei-chen oumlffentlichen Aumluszligerungen hochgestellter Politiker bis hin zu Putin ausgegangen sein NGOs seien raquoFeindelaquo raquoSchakale die um auslaumlndische Vertretungen streunenlaquo Dadurch wurde die Einstellung von Teilen der Gesell-schaft vor allem aber von weiten Teilen der Verwaltung zu NGOs grundsaumltzlich negativ gepraumlgt

Der dritte Versuch begann als Teil der staatlichen Reaktionen auf den Protestwinter 20112012 und haumllt bis heute an Sein wichtigster Bestandteil ist das soge-nannte raquoNGO-Agentengesetzlaquo das eigentlich kein eigenes Gesetz ist sondern aus einer Reihe dem NGO-Gesetz neu hinzugefuumlgter oder geaumlnderter Paragraphen besteht Diese Vorschriften verpflichten NGOs die raquosich politisch betaumltigenlaquo und Geld oder andere Zuwendun-gen aus dem Ausland erhalten sich beim Justizminis-terium als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren zu lassen Danach muumlssen sie jede oumlffentliche Aumluszligerung mit dem Zusatz raquoauslaumlndischer Agentlaquo versehen

Die Durchsetzung des AgentengesetzesTrotz erheblichen staatlichen raquoPressingslaquo der raquoUumlber-pruumlfunglaquo von mehr als 700 NGOs in ganz Russland durch Staatsanwaltschaft Justizministerium Finanz-amt und eine Reihe anderer Behoumlrden ab dem Fruumlhjahr 2013 hatte sich im Fruumlhjahr 2014 erst eine NGO als raquoauslaumlndischer Agentlaquo im entsprechenden Register des Justizministeriums eintragen lassen (lthttpunromin justruNKOForeignAgentaspxgt) Alle anderen selbst diejenigen NGOs die von den Behoumlrden als raquoAgentenlaquo eingestuft und teilweise mit empfindlichen Geldstra-fen belegt worden waren weigerten sich und weigern sich bis heute Viele NGOs klagten und klagen sowohl gegen das Gesetz als auch gegen die raquoUumlberpruumlfungenlaquo und die aus ihnen von den Justizbehoumlrden abgeleite-ten Bescheide und Anweisungen vor russischen Gerich-ten aber auch vor dem Europaumlischen Gerichtshof fuumlr Menschenrechte (EGMR) Eine Entscheidung des rus-sischen Verfassungsgerichts hat die raquoAgentenparagra-phenlaquo fuumlr verfassungskonform erklaumlrt wenn auch einige Einzelbestimmungen darunter die zu Mindeststrafen aufgehoben

Im Juni 2014 beschloss die Staatsduma eine Verschaumlr-fung der raquoAgentenlaquo-Paragraphen des NGO-Gesetzes Seither hat das Justizministerium das Recht NGOs auch ohne deren Zustimmung in das raquoAgentenlaquo-Register ein-zutragen Bis heute (21102014) hat es 15 NGOs getrof-fen Es ist damit zu rechnen das weitere folgen werden Justizminister Jurij Tschajka hat bereits 2013 im Foumlde-rationsrat von 24 NGOs gesprochen die nach Ansicht des Ministeriums raquoAgentenlaquo seien Auszligerdem wurden 2013 und 2014 mehr als 40 NGOs von der Staatsanwalt-schaft aufgefordert sich vorsorglich als raquoAgentenlaquo regis-trieren zu lassen da sie Geld aus dem Ausland bekaumlmen und Gefahr liefen sich raquopolitisch zu betaumltigenlaquo

Die reaktionen der ngos auf das AgentengesetzDie praktischen Reaktionen der NGOs auf diesen staat-lichen Druck sind unterschiedlich Einige NGOs wie

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die Wahlbeobachter von raquoGoloslaquo haben sich als juris-tische Personen aufgeloumlst oder sind wie die raquoJuristen fuumlr Verfassungsrechte und Freiheitlaquo dabei sich aufzu-loumlsen (ein juristisch und administrativ nicht ganz ein-facher und langwieriger Vorgang) Fast alle NGOs die sich aufloumlsen haben aber erklaumlrt ihre Arbeit auch ohne juristischen Status fortsetzen zu wollen Rechtlich ist das moumlglich Praktisch werden diese NGOs auf zahlreiche neue Probleme treffen wohl bis hin zur moumlglichen Kri-minalisierung einzelner Personen

Einige andere NGOs darunter das Menschenrechts-zentrum Memorial machen weiter wie bisher Sie fech-ten meist die Eintragung in das raquoAgentenregisterlaquo vor Gericht an (in der Regel ohne besonderen Erfolg) Das Menschenrechtszentrum Memorial aber auch einige andere NGOs wollen bis zum EGMR gehen unter ande-rem weil sie das Gesetz insgesamt fuumlr unmoralisch und verfassungswidrig haumllt

Eine weitere Reaktion ist eine Art Hase-und-Igel-Spiel mit den Behoumlrden Das kann sich in einem Geflecht von unterschiedlichen NGOs ausdruumlcken die unter-schiedliche Funktionen wahrnehmen Eine NGO macht politische Erklaumlrungen und betreibt Lobbying Ihre Aktivistinnen arbeiten ausschlieszliglich ehrenamt-lich Eine andere bekommt auslaumlndische Finanzierung fuumlr Projekte die auch nach der Definition von Staatsan-waltschaft und Justizministerium nicht raquopolitischlaquo sind Wieder andere NGOs weichen auf Organisationsformen (juristische Personen) jenseits des NGO-Gesetzes aus die dann nicht den raquoAgentenparagraphenlaquo unterliegen

Der Vorstoszlig gegen memorialAllerdings beschraumlnkt sich die staatliche Behinderung und Bedrohung von NGOs nicht auf das relativ neue Agentengesetz Alle anderen laumlnger erprobten adminis-trativen bis strafrechtlichen Instrumente bleiben eben-falls im Einsatz Juumlngstes und bekanntestes aber bei weitem nicht einziges Beispiel ist der Schlieszligungsan-trag des Justizministeriums vor dem Obersten Gericht gegen raquoMemorial Russlandlaquo raquoMemorial Russlandlaquo ist ein Netzwerk aus rund 50 regionalen und thematischen Memorial-Organisationen und selbst eine von mehr als 60 Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Internatio-nallaquo (Zum Memorial-Netzwerk siehe lthttprusslandboellblogorg20141011wie-funktioniert-memorial-ein-kleiner-wegweiser-durch-eine-zugegeben-kompli zierte-strukturgt) Bei einer der regelmaumlszligigen Pruumlfun-

gen stellte das Justizministerium Anfang 2012 also vor Beginn der jetzigen Repressionswelle gegen NGOs fest dass die seit Gruumlndung der Organisation geltende konfouml-derative Struktur von raquoMemorial Russlandlaquo raquonicht dem Gesetz entsprechelaquo und geaumlndert werden muumlsse Insbe-sondere behagt dem Justizministerium nicht dass die Mehrzahl der Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Russlandlaquo ihrerseits eigenstaumlndige juristische Personen sind raquoMemorial Russlandlaquo muumlsse sich zentralistisch organisieren und die regionalen Memorial-Organisa-tionen zu Filialen werden Ohne hier ins Detail gehen zu koumlnnen wuumlrde das aber zu weiteren Problemen fuumlh-ren die wiederum die Schlieszligung von Memorial durch das Justizministerium zum Ergebnis haumltten Memorial sucht einen Ausweg das Justizministerium betreibt die Schlieszligung Viele NGOs haben Probleme mit der Feu-erwehr dem Gesundheitsamt oder der Arbeitsschutzbe-houmlrde Beliebt ist in juumlngster Zeit auch die Kuumlndigung von Mietvertraumlgen (so unlaumlngst geschehen bei raquoGoloslaquo und der raquoBewegung fuumlr Menschenrechtelaquo)

soziale und politische ngosSeit dem Fruumlhjahr zeichnet sich noch ein weiterer Angriff auf unabhaumlngige und staatskritische NGOs ab Der von Michail Fedotow geleitete Zivilgesellschaftsrat beim Praumlsidenten beraumlt seit einiger Zeit eine erneute Aumlnde-rung des NGO-Gesetzes Er schlaumlgt vor die Agenten-paragraphen abzuschaffen und dafuumlr um den Befuumlrch-tungen des Kremls auf politische Einflussnahme (nicht nur aus dem Ausland) Rechnung zu tragen kuumlnftig eine Einteilung von NGOs in raquosozialelaquo und raquopolitischelaquo vor-zunehmen raquoSozialelaquo NGOs sollen diesen Vorschlaumlgen nach kuumlnftig steuerlich beguumlnstigt sein und staatliche Zuwendungen erhalten koumlnnen raquoPolitischelaquo NGOs wer-den hingegen von staatlicher Foumlrderung ausgeschlossen und sollen auf alle Zuwendungen insbesondere aber auf Zuwendungen aus dem Ausland einen noch fest-zulegenden Steuersatz zahlen Die Befuumlrworter dieser im Uumlbrigen im Zivilgesellschaftsrat nicht unumstrit-tenen Initiative verweisen darauf dass so die heute als raquoAgentenlaquo verfolgten NGOs eventuell noch gerettet wer-den koumlnnten waumlhrend staatliche Foumlrderung aller ande-ren verstaumlrkt wuumlrde Ein Gewinn also fuumlr alle Betei-ligten Tatsaumlchlich verbirgt sich hinter dem Vorschlag aber eine gefaumlhrliche Tendenz zur Entsolidarisierung in der NGO-Szene wie sie auch anderswo schon laumln-ger zu beobachten ist

Uumlber den AutorJens Siegert ist Diplompolitologe und leitet seit 1999 das Laumlnderbuumlro Russland der Heinrich Boumlll Stiftung in Mos-kau Davor arbeitete er in Moskau als Korrespondent fuumlr Radiostationen Zeitschriften und Zeitungen im deutsch-sprachigen Raum

Lesetipps finden Sie auf der naumlchsten Seite

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Lesetippsbull Siegert Jens Putin und die Zivilgesellschaft in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 12 06 2013

lthttprusslandboellblogorg20130612putin-und-die-zivilgesellschaftgtbull Siegert Jens Uumlber ein Jahr raquoNGO-Agentenlaquo-Jagd ndash eine Art Zwischenbericht in Russland-Blog (Hein-

rich-Boumlll-Stiftung Moskau) 4 Juni 2014 lthttprusslandboellblogorg20140604ueber-ein -jahr-agenten-jagd-eine-art-zwischenberichtgt

bull Siegert Jens Russische raquoNGO-Agentenjagdlaquo ndash eine Zwischenbilanz in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 7 Juni 2013 lthttprusslandboellblogorg20130607russische-ngo-agentenjagd-eine-zwischenbilanzgt

bull Siegert Jens Erklaumlrung Permer NGOs warum sie sich unter keinen Umstaumlnden als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren lassen in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 26 Mai 2013 lthttprusslandboellblogorg20130526erklarung-permer-ngos-warum-sie-sich-unter-keinen-umstanden-als-auslandische-agenten-registrieren-lassengt

bull Siegert Jens Memorial raquoNGO-Agentengesetzlaquo ist ungesetzlich und unmoralisch Keine freiwillige Registrierung als raquoauslaumlndischer Agentlaquo in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 22 September 2013 lthttpruss landboellblogorg20120922memorial-ngo-agentengesetz-ist-ungesetzlich-und-unmoralisch-keine-freiwillige-registrierung-als-auslandischer-agentgt

bull Siegert Jens Sozialer Wandel und politische Dynamik in Russland 201112 in Russland-Analysen Nr 245 19 Oktober 2012 lthttpwwwlaender-analysenderusslandpdfRusslandanalysen245pdfgt

ANALYSE

ein kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen engagements zur Unterstuumltzung und integration von migranten in russlandMarina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin

zusammenfassungObwohl die Wirtschaft Russlands aufgrund der ruumlcklaumlufigen Bevoumllkerungszahl auf Migranten angewiesen ist ist der Groszligteil der Bevoumllkerung des Landes Migranten gegenuumlber skeptisch und oft geradezu fremden-feindlich eingestellt Durch eine schlecht koordinierte staatliche Migrationspolitik ist die Lage der Arbeits-migranten meist prekaumlr Initiativen aus der Zivilgesellschaft versuchen die Situation der Migranten zu ver-bessern und leisten Aufklaumlrungsarbeit in der Bevoumllkerung sowie konkrete Hilfestellungen fuumlr Migranten Die Arbeit solcher Aktivisten wird jedoch oftmals durch staatliche Einmischung erschwert

immigration nach russland als gesellschaftliches ProblemDie widerspruumlchliche Migrationspolitik der russischen Regierung und die aufgeheizte Stimmung in der Bevoumll-kerung haben 2013 zu vermehrten xenophoben Uumlbergrif-fen auf Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien gefuumlhrt (siehe beispielsweise die Unruhen in Birjuljowo im Oktober 2013) Diese Entwicklung wirft die Frage auf welche Haltung die russische Zivilgesellschaft hierzu einnimmt Gibt es zivilgesellschaftliche Initiativen die dieser fremdenfeindlichen Stimmung entgegenwirken

In der russischen Oumlffentlichkeit ist oft von einer Flut von Arbeitsmigranten aus den GUS-Staaten die Rede doch in Wirklichkeit ist die Immigration nach Russ-land im internationalen Vergleich gering Zudem zeigen Zahlen der Staatlichen Statistikbehoumlrde raquoRosstatlaquo dass

die russische Wirtschaft aufgrund der demographischen Entwicklung in zunehmendem Maszlige Arbeitskraumlfte aus dem Ausland benoumltigt (bis 2030 ndash so die Prognose ndash soll die russische arbeitsfaumlhige Bevoumllkerung um 103 Mil-lionen Menschen abnehmen)

Trotzdem gibt es starke fremdenfeindliche Stimmun-gen die sich gegen Immigranten aus Zentralasien und dem Kaukasus richten Diese Ablehnung von Migran-ten hat zugenommen und schafft den Naumlhrboden fuumlr Pogrome wie 2006 in Kondopoga 2010 auf dem Mos-kauer Manegenplatz sowie 2013 in der Stadt Pugat-schow und dem Moskauer Vorort Birjuljowo Angst und Verachtung gegenuumlber Fremden ziehen sich durch alle Gesellschaftsschichten Sie werden als Kriminelle und Illegale stigmatisiert und nicht nur Nationalisten ver-wenden die Losung raquoRussland den Russenlaquo um Ras-

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sismus zu schuumlren und die Stimmung gegen Migranten weiter anzuheizen

es gibt keine migrationspolitikDiese interethnischen Konflikte spiegeln sich auch im russischen Alltag wieder Der durch den Foumlderalen Migrationsdienst praktizierte administrative und poli-zeiliche Umgang mit Migration ist nicht effektiv Eine Stigmatisierung der Migranten als potenzielle Krimi-nelle und eventuelle Uumlberlegungen zur Verschaumlrfung des Migrationsgesetzes koumlnnen die Probleme nicht loumlsen die gerade auch auf kommunaler Ebene anfallen Die nur situativen politischen Maszlignahmen fuumlhren mitunter zu einer Verschaumlrfung des Problems Eine uumlbergreifende Strategie existiert nicht die Politik weiszlig auf die Migra-tionsfrage keine Antwort Ein autoritaumlres zentralisier-tes System ist nicht im Stande die regionalen Probleme dieses riesigen Landes zu loumlsen deshalb liegt es vor allem an der Zivilgesellschaft sich diesen Themen zu widmen

zivilgesellschaftliche Projekte AufklaumlrungsarbeitIn Moskau und Sankt Petersburg gibt es verschiedene nichtstaatliche Projekte die sich sowohl fuumlr mehr Tole-ranz als auch fuumlr die Integration der Migranten einsetzen

Einige von ihnen bestehen schon mehrere Jahre Boris Romanow ist einer der Gruumlndervaumlter eines zivil-gesellschaftlichen Netzwerks zur Unterstuumltzung von Menschen mit Migrationshintergrund in Sankt Peters-burg Er arbeitet mit den unterschiedlichsten NGOs zusammen die zu Themen wie Toleranz Antirassis-mus Homophobie Antiziganismus und Antisemitis-mus arbeiten Finanziert durch das Goethe-Institut rief er 2012 raquoRespektlaquo ins Leben ein Comic-Projekt inter-nationaler Kuumlnstler mit dessen Hilfe Schuumller ihr Den-ken uumlber Fremde reflektieren und selbst in Frage stel-len koumlnnen Laut Romanow scheitern solche Projekte oft an der Buumlrokratie der Kommunen Durch das neue NGO-Gesetz gebe es kaum noch Kontaktmoumlglichkei-ten zu staatlichen Schulen erlaumlutert Romanow so dass eine Zusammenarbeit houmlchstens uumlber einzelne Lehrer nicht jedoch uumlber die Schuldirektion moumlglich sei Dies widerspreche dem Konzept zivilgesellschaftlicher Arbeit die vor allem jedermann offen stehen will Durch das geschlossene staatliche Schulsystem komme es selten zu einer Kooperation mit interessierten Lehrern Die Zusammenarbeit von Staat und Zivilgesellschaft ist unabdingbar macht aber die Finanzierung der Projekte schwierig da sie im Falle einer Unterstuumltzung auslaumln-discher Sponsoren unter das neue NGO-Gesetz fallen

Im Zuge der neuen NGO-Gesetzgebung wurde das Antidiskriminierungszentrum raquoMemoriallaquo in Sankt Petersburg geschlossen Dessen ehemaliger Mitarbei-

ter Andrej Jakimow ist Anthropologe Seine langjaumlh-rige Arbeit mit ethnischen Minderheiten wie Sinti und Roma Arbeitsmigranten und Staatenlosen macht ihn zu einem erfahrenen Koordinator der raquoStiftung zur Unter-stuumltzung und Entwicklung von Bildungs- und Sozial-projektenlaquo (raquoPSP-Fondlaquo) in Sankt Petersburg Auch fuumlr ihn zaumlhlt die aktive Aufklaumlrungsarbeit zu den wichtigs-ten Punkten seines zivilgesellschaftlichen Engagements Die juristische und psychologische Betreuung von Mig-ranten stehen neben der Sensibilisierung der russischen Bevoumllkerung im Zentrum seiner Arbeit Seiner Erfah-rung nach interessieren sich die OSZE und die UNO nur marginal fuumlr diese Themen also muumlssen die Pro-bleme der Arbeitsmigranten auf nationaler Ebene geloumlst werden Seine Kontakte zu verschiedenen Netzwerken in den Auswanderungslaumlndern helfen den Migranten sich schon vor der Einreise nach Russland auf den Aufenthalt vorzubereiten In der Zusammenarbeit von Staat und Experten sieht Jakimow eine Moumlglichkeit eine effek-tive Migrationspolitik zu entwickeln

fuumlr die Verbesserung der migrationspolitikAumlhnlich denken auch Wjatscheslaw Postawnin und Natalja Wlasowa die die Stiftung raquoMigrazija XXI weklaquo (raquoMigration im 21 Jahrhundertlaquo) gegruumlndet haben Sie selbst sind ehemalige Mitarbeiter des Foumlderalen Migra-tionsdienstes und kennen die staatliche Migrationspoli-tik von innen Die Regierung unter Putin scheint keiner-lei Loumlsungsansaumltze fuumlr die immer staumlrker zunehmende Xenophobie in Russland zu erarbeiten In den fuumlnf Jah-ren ihrer Existenz hat sich die Organisation in Mos-kau zu einem unabhaumlngigen intellektuellen und wissen-schaftlichen Zentrum entwickelt das Vorschlaumlge fuumlr die Verbesserung der staatlichen Migrationspolitik ausarbei-tet Diese Vorschlaumlge werden oft von der Administration des Praumlsidenten beruumlcksichtigt jedoch nicht sofort und ohne Nennung der Urheberschaft In Zusammenarbeit mit der Weltbank und dem Netzwerk raquoMirpallaquo (raquoMigra-tion and Remittance Peer-Assisted Learninglaquo) erstellt die Organisation Statistiken zu den Migrationsstroumlmen aus den GUS Staaten die oftmals stark von den offiziellen Zahlen des Foumlderalen Migrationsdienstes abweichen

fluumlchtlingsarbeitDie von Swetlana Gannuschkina einer wichtigen Men-schenrechtlerin in Russland 1990 mitbegruumlndete Orga-nisation raquoGrashdanskoje sodejstwijelaquo (raquoBuumlrgerhilfelaquo) beschaumlftigt sich nicht nur mit Arbeitsmigration sondern zu vier Fuumlnfteln mit Fluumlchtlingen Es war die erste Orga-nisation dieser Art in Moskau und wurde im Zusam-menhang mit dem Konflikt um Berg-Karabach und dem Krieg in Tschetschenien gegruumlndet um den Fluumlchtlin-gen aus diesen Regionen zu helfen Die Unterstuumltzung

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der Arbeitsmigranten umfasst juristische Konsultation und die Loumlsung administrativer Fragen z B bei nicht ausgezahlten Gehaumlltern Deportationen Einreisever-boten Die Organisation stellt juristischen Beistand bei unbegruumlndeten Klagen gegen Migranten hilft bei Kla-gen gegen Arbeitgeber wegen nicht ausgezahlter Loumlhne fuumlhrt ein Projekt gegen Hate Crimes durch und veran-staltet Spendenaktionen auf ihrer Webseite Besonders die aumlrztliche Versorgung ist wichtig da der staatliche Notdienst Migranten oft seine Hilfe verwehrt raquoGrash-danskoje sodejstwijelaquo arbeitet eng mit dem Fluumlchtlings-hilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) der Inter-nationalen Organisation fuumlr Migration (IOM) und mit dem Netzwerk raquoMigrazija i prawolaquo (raquoMigration und Rechtlaquo) einem Programm des Menschenrechtszentrums raquoMemoriallaquo zusammen Obwohl in der offiziellen Rhe-torik die Bedeutung der Migration fuumlr Russland unter-strichen wird (wie zum Beispiel in der raquoKonzeption der staatlichen Migrationspolitik 2025laquo) beobachtet man in der Praxis meist die stumme Hinnahme der Uumlber-griffe auf Arbeitsmigranten Nach dem Inkrafttreten des NGO-Gesetzes fand bei der Organisation eine Uumlberpruuml-fung durch die Staatsanwaltschaft statt Ob und wenn ja wie dieses Projekt weiterlaufen wird ist bis heute unklar

Arbeit mit fluumlchtlingskindernIm Rahmen der Organisation raquoBuumlrgerhilfelaquo gibt es zudem ein raquoZentrum fuumlr Integration und Unterricht fuumlr Fluumlchtlingskinderlaquo da das staatliche Programm mit dem Kinder mit Migrationshintergrund Russisch lernen nicht ausreichend ist

Aumlhnlich wie ihre Kollegen aus Moskau arbeiten die Freiwilligen des zivilgesellschaftlichen Projekts raquoDeti Peterburgalaquo (raquoKinder von Petersburglaquo) mit Kindern des-sen Eltern aus den unterschiedlichsten Gruumlnden nach Russland immigriert sind Zwei Projektkoordinatoren der Organisation raquo[Wahl]Beobachterlaquo Daniil Ljubarow und Irina Beljaewa haben 2012 raquoDeti Peterburgalaquo gegruumlndet Angefangen mit einem Angebot von Russisch-Grundkur-sen fuumlr Vorschuumller mit Migrationshintergrund hat sich dieses Programm mittlerweile so weit entwickelt dass Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre an sechs verschie-

denen Standorten in Sankt Petersburg an Russischkursen teilnehmen koumlnnen Bis 2014 hatte es noch nicht einmal feste Raumlumlichkeiten gegeben die Mitarbeiter der raquoDeti Peterburgalaquo organisierten sich ausschlieszliglich uumlber soziale Netzwerke Der virtuelle Raum verbindet diese Organi-sation auch mit anderen zivilgesellschaftlichen Projek-ten So zieht das Projekt nicht nur politische Aktivisten an sondern vor allem Paumldagogen Linguisten und Stu-denten die die Kurse vorbereiten und durchfuumlhren Der Aufbau von kreativen Zirkeln gehoumlrt genauso zur Arbeit von raquoDeti Peterburgalaquo wie die Koordination von Ausfluuml-gen in die Umgebung Museen oder Theatern Das Pro-jekt ist abhaumlngig von seinen Teilnehmern Die fehlen-den Sprachkenntnisse der Eltern fuumlhren oft zu groszligen Kommunikationsproblemen Aber auch die wechselnden und meist aumluszligerst schwierigen Arbeitszeiten der Eltern erschweren die Durchfuumlhrung des Projekts Die staumldti-sche Buumlrokratie versucht den Elan der Mitarbeiter zu bremsen Auch deshalb bleibt das Projekt nichtstaatlich

fazitMisstrauen gegenuumlber der Regierung soziale Probleme und Alltagsrassismus bewegen immer mehr Menschen dazu sich eigenstaumlndig mit der negativen Entwicklung beim Umgang mit Migranten zu beschaumlftigen Aus Inter-views mit den Mitarbeitern der verschiedenen Organisa-tion laumlsst sich schlieszligen dass eine russische Zivilgesell-schaft entstanden ist die die Migrationsfrage einerseits als Arbeit mit der Mehrheits- also russischen Bevoumllkerung betrachtet um diese zu sensibilisieren Anderseits gibt es Initiativen die vor allem konkrete Hilfe fuumlr Migranten leisten um deren alltaumlgliche Probleme zu minimieren

Die Zivilgesellschaft bemuumlht sich Vorurteile abzu-bauen die Migrationspolitik realistischer zu machen und Migranten wie Fluumlchtlingen konkrete Hilfestellung zu geben Die Behoumlrden sabotieren diese Arbeit In den Groszligstaumldten wird der Zuzug von Migranten restriktiv gehandhabt Arbeitgeber wissen um den oft schwierigen Status der Migranten und nutzen die Situation aus um die Migranten weiter auszubeuten Die Arbeit der Zivil-gesellschaft zur Sensibilisierung der russischen Bevoumllke-rung wird durch die offizielle Politik oft konterkariert

Uumlber die AutorenIm Rahmen des Projektkurses raquoZiviler Ungehorsam Gesellschaft und Staat in Osteuropalaquo reisten die Studierenden des Osteuropa-Instituts der Freien Universitaumlt Berlin Michael Bellmann und Kristina Arisov nach Moskau sowie Marina Grinfeld und Christina Huthmann nach St Petersburg um mit Aktivisten und Organisationen die sich fuumlr die Integration von Migranten in Russland einsetzen Interviews zu fuumlhren und die Position der Zivilgesellschaft zur Migrationsproblematik zu analysieren

Lesetippsbull Judah Ben Russiarsquos Migration Crisis in Survival 552013 Nr 6 S 123ndash131

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bull Malakhov Vladimir S Russia as a New Immigration Country Policy Response and Public Debate in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1062ndash1079

bull Schenk Caress Controlling Immigration Manually Lessons from Moscow (Russia) in Europe-Asia Studies 652013 Nr 7 S 1444ndash1465

bull Spahn Susanne Die gelenkte Xenophobie Migration und nationale Frage in Russland Russland nur fuumlr Russen in Osteuropa 642014 Nr 7 S 55ndash67

bull Tipaldou Sofia Katrin Uba The Russian Radical Right Movement and Immigration Policy Do They Just Make Noise or Have an Impact as Well in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1080ndash1101

UmFRAGE

Uumlber die zivilgesellschaft in russland

zur zivilgesellschaftlichen und politischen Aktivitaumlt der russen

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 15 stellen sie sich vor ihre nachbarn schlagen eine gemeinsame muumlllsammelaktion in der nahegelege-nen Parkzone vor Was waumlren sie bereit zu uumlbernehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator der Aktionwerden

An der Aktionmitwirken

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 16 haben sie im vergangenen halbjahrJahr hellip

0 20 40 60 80 100

hellip an den Aktivitaumlten einer non-profit Organisation teilgenommen als Freiwilliger gearbeitet

hellip sich mit gesellschaftlichen Problemen an ihrem Wohnort beschaumlftigt

hellip an Groszligveranstaltungen Demonstrationen Streiks Kundgebungen Umzuumlgen teilgenommen

Ja Keine Antwort Nein

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grafik 17 stellen sie sich vor dass es an ihrem Wohnort zu massenhaften Wahlfaumllschungen kommt irgend-jemand ruft zur Durchfuumlhrung von Protestaktionen gegen die Wahlfaumllschungen auf Was wuumlrden sie unternehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator dieser Aktionwerden

An dieser Protestaktionteilnehmen

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 18 Waren sie haben sie sich in den vergangenen einndashzwei Jahren hellip

0 20 40 60 80 100

hellip Mitglied einer politischen Partei

hellip Wahlbeobachter

hellip an der Arbeit einer Menschenrechtsorganisation beteiligt

hellip sich im Internet (in sozialen Netzwerken auf Foren) zu politischen Themen geaumluszligert

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

zur gesellschaftlichen Aktivitaumlt

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

grafik 19 haben sie persoumlnlich in den vergangenen zweindashdrei Jahren an der taumltigkeit einer gesellschaftlichen organisation teilgenommen Wenn ja wie genau (beliebige zahl an Antworten)

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050

Habe an gesellschaftliche Organisationen gespendetoder andere materielle Hilfe geleistet

Habe an Wohltaumltigkeitsveranstaltungen teilgenommen(Konzerte Ausstellungen Wohltaumltigkeitslotterie Auktionen)

Habe Freiwilligenarbeit geleistet (kostenlos)

Habe gegen Entgelt in einer gesellschaftlichenOrganisation gearbeitet

Habe Informationen zu den Taumltigkeitenvon gesellschaftlichen Organisationen verteilt

Nicht teilgenommen

Anderes

Keine Antwort

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 24

grafik 20 haben ihnen irgendwann einmal gesellschaftliche organisationen geholfen

0 20 40 60 80 100

Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja mit Geld geholfen Ja auf andere Weise geholfen Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

Die oumlffentliche meinung zu ngos mit auslaumlndischer finanzierung (April 2013)

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 21 mit welcher meinung zur taumltigkeit russischer ngos stimmen sie am ehesten uumlberein

Sie bringen einen groszligen Nutzen

4

Sie bringen mehr Nutzen als Schaden

15Sie bringen ebenso viel

Nutzen wie Schaden23

Sie bringen mehr Schaden als Nutzen

18

Sie bringen weder Nutzen noch Schaden

13

Keine Antwort27

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 22 ist es fuumlr sie wichtig ob eine russische menschenrechtsorganisation aus einheimischen oder auslaumln-dischen mitteln finanziert wird

Sehr wichtig10

Eher wichtig34

Nicht besonders wichtig24

Vollkommen unwichtig18

Keine Antwort14

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 25

grafik 23 Welche ziele verfolgen westliche laumlnder und organisationen die russische ngos mit mitteln aus-statten

Einen verstaumlrkten Einfluss auf die russische

Innenpolitik42

Einen Kampf gegen den russischen Staat

19Eine Unterstuumltzung der

russischen Zivilgesellschaft

8

Kein besonderes Ziel russische NGOs werden wie andere aus standardisierten

internationalen Programmen unterstuumltzt

12

Keine Antwort19

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 24 Duumlrfen organisationen die sich mit dem schutz der Buumlrgerrechte beschaumlftigen und den staat kriti-sieren das recht haben mittel aus dem Ausland zu beziehen

Ja20

Nein56

Keine Antwort24

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 25 Unterstuumltzen sie harte sanktionen gegen ngos die einer politischen taumltigkeit nachgehen und gelder aus dem Ausland erhalten sich aber nicht nach dem gesetz als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren

Auf jeden Fall20

Eher ja32

Eher nein15

Auf keinen Fall5

Keine Antwort28

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 26

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luumlgen des fernsehkanals ntV und Beanstandungen des Justizministeriums erklaumlrung des menschenrechtszentrums memoriAl und der russischen gesellschaft

memoriAl

Die Behauptung bei NTV das russische Justizministerium habe die Liquidierung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL eingeleitet fuumlhrte heute zu etlichen Irritationen Das Menschenrechtszentrum und die Russische Gesell-schaft MEMORIAL (die Dachorganisation der russischen Memorial-Verbaumlnde) haben aus diesem Anlass nachste-hende Erklaumlrung abgegeben

Am 10 Oktober strahlte NTV unter dem Titel raquoAuszligergewoumlhnliches Ereignislaquo eine Sendung aus die aus boumlswil-ligen Luumlgen aber auch aus Fehlinformationen in Folge von Unkenntnis bestand

Die Arbeit des Menschenrechtszentrums MEMORIAL als Unterstuumltzung von Extremisten und Terroristen dar-zustellen ist eine infame Luumlge Auf Unkenntnis basiert hingegen die Behauptung das Justizministerium habe des-halb den Antrag gestellt das Menschenrechtszentrum MEMORIAL zu liquidieren

In Wirklichkeit hat das Justizministerium beim Obersten Gericht der Russischen Foumlderation nicht die Aufloumlsung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL beantragt Es geht hier vielmehr um eine andere Organisation naumlmlich die Russische Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIAL

Die russische Gesellschaft MEMORIAL wurde vom Justizministerium bereits 1992 registriert Bis heute befinden sich unter ihrem Dach verschiedene Memorial-Verbaumlnde die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen

Im Jahre 2012 20 Jahre nach der ersten Registrierung tauchten beim Justizministerium ploumltzlich Zweifel hin-sichtlich des russischen Rechtsstatus von Memorial auf obwohl der Gesellschaft praktisch dieselben regionalen Ver-baumlnde angehoumlren wie zuvor und sich die Gesetzeslage in dieser Frage in keinem Punkt geaumlndert hatte

Geaumlndert hat sich allerdings die Position des Justizministeriums das erneut einen raquodemokratischen Zentralismuslaquo anstrebt der nach der Abschaffung der fuumlhrenden Rolle der KPdSU nicht mehr aktuell schien Heute erklaumlrt das Jus-tizministerium nur jene gesellschaftlichen Vereinigungen koumlnnten der Russischen Gesellschaft MEMORIAL ange-houmlren die in ihrer Bezeichnung die Worte raquoVerband (otdelenie) der Russischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklauml-rung Sozialarbeit und Menschenrechte MEMORIALlaquo tragen

Die gesetzliche Vorschrift dass eine Organisation nur dann einen gesamtrussischen Status haben kann wenn sie in uumlber der Haumllfte der Foumlderationssubjekte Verbaumlnde unterhaumllt legt das Justizministerium jetzt dahingehend aus dass diese Verbaumlnde zwangslaumlufig einen Status als Regionalverbaumlnde haben muumlssten Das Vorhandensein von Stadt- und Bezirksverbaumlnden einer Organisation reicht die Beamten als Beleg dafuumlr nicht aus dass die Organisation in der betreffenden Region taumltig ist

Die Vorbehalte des Justizministeriums entbehren jeglicher Grundlage Nicht zufaumlllig erhielten wir auf Anfragen keine Hinweise auf eine Gesetzesnorm Es ist fuumlr uns inakzeptabel dass das Justizministerium das von der Verfas-sung garantierte Recht von Buumlrgern eine Vereinigung zu bilden gesetzwidrig einschraumlnken will Deshalb hat sich die Russische Gesellschaft MEMORIAL bereits 2012 entschlossen vor Gericht zu gehen

Einen Hinweis auf ein Gesetz haben wir auch nicht erhalten als wir 2013 die Forderungen des Justizministeriums im Moskauer Zamoskvorezki-Bezirksgericht und danach im Stadtgericht angefochten haben Beide Instanzen gaben wie nicht anders zu erwarten dem Justizministerium Recht Deshalb wird die Russische Gesellschaft MEMORIAL in Kuumlrze Klage beim Verfassungsgericht einreichen

Was den Antrag des Justizministeriums betrifft so hoffen wir dass das Oberste Gericht bei Behandlung dieses Antrags dem Gesetz und der Verfassung mehr Respekt entgegenbringen wird als die untergeordneten Gerichtsinstanzen

10 Oktober 2014Quelle Website von Memorial Deutschland lthttpwwwmemorialdeindexphpid=42amptx_ttnews[tt_news]=546amptx_ttnews[backPid]=3ampcHash=5bbe9b235a03fe09cba52ed5c8786b99gt

DOkUmENtAtION

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 28

NOtIzEN AUS mOSkAU

Petersburger DialogJens Siegert Moskau

Auf den ersten Blick sieht es so aus als ob ein (egal ob nun willentlich oder nicht) an die Oumlffentlich-

keit gelangter Brief einiger regelmaumlszligiger Teilnehmer des Petersburger Dialogs (PD) aus den Reihen deutscher NGOs an Bundeskanzlerin Merkel und Auszligenminis-ter Steinmeier die Verschiebung des fuumlr Ende Oktober in Sotschi geplanten groszligen Jahrestreffens verursacht haumltte In dem Brief bekraumlftigten die Autoren ihre nicht neue Kritik am PD und erklaumlrten warum sie dieses Jahr nicht teilnehmen wuumlrden Sie betonen dass die Absage kein Boykott sei und bieten ihrerseits einen Dialog zur Reform des Dialogs an Auf den zweiten Blick war der Brief selbstverstaumlndlich nur Anstoszlig aber nicht Grund fuumlr die Verschiebung Doch der Reihe nach

Die in dem Brief geaumluszligerte Kritik am PD ist wie gesagt nicht neu sie hat sie den PD von Anfang an begleitet Das liegt sicher auch an einem bis heute nicht korrigierten Geburtsfehler Ein durch Staats- und Regie-rungschefs initiierter raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo ist schon etwas verquer Das heiszligt nicht dass das nicht gehen koumlnnte Doch dazu haumltten sich die hochgestell-ten Initiatoren (der damalige russische Praumlsident und der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schrouml-der) und ihre (Interims-)Nachfolger spaumlter zuruumlckziehen muumlssen Das haben sie nicht Daran sind sie nicht (allein) Schuld Es war der PD der durch seine Lenkungsor-gane die enge zeitliche und oumlrtliche Verbindung mit den deutsch-russischen Regierungskonsultationen und die zeitweilige Anwesenheit von Praumlsident und Kanzlerin zum Grundstein seiner Wirkungsmaumlchtigkeit erklaumlrte

Auf deutscher Seite wurde versucht dieses Problem organisatorisch sozusagen oumlffentlich-rechtlich zu loumlsen indem moumlglichst alle interessierten politischen Spektren und gesellschaftlichen Gruppen am sogenannten Len-kungsausschuss beteiligt wurden Das gelang zumindest so gut dass es soweit mir bekannt bis heute keine grouml-szligeren Klagen uumlber Nichtberuumlcksichtigung oder Nicht-beteiligung gab Aber die Bundesregierung behielt weit-gehenden Einfluss nicht zuletzt uumlber den alljaumlhrlich sechsstelligen Zuschuss fuumlr die Durchfuumlhrung der Jah-restreffen Auszligerdem wurde der jeweilige Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses zwar nach Abstim-mungen mit den Beteiligten aber letztlich durch den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin bestimmt

In Russlands ist die Sache einfacher Von Anfang an wurde und wird gemacht wird was der Kreml will Schon der erste Vorsitzende des russischen Lenkungs-ausschusses Michail Gorbatschow (immerhin selbst ein ehemaliger Praumlsident) war wie er selbst einmal bekannte

nicht mehr als ein ndash schoumlne Ruumlckuumlbertragung aus dem Russischen ndash raquoSitz-Praumlsidentlaquo Der jetzige Vorsitzende Wiktor Subkow war Datschennachbar von Putin ers-ter stellvertretender Ministerpraumlsident und ist nun Auf-sichtsratsvorsitzender von Gazprom

Die Kritik dass nur eine Simulation eines raquozivilge-sellschaftlichen Dialogslaquo stattfinde wurde von einigen deutschen Teilnehmern bereits auf dem ersten Jahres-treffen des PD im April 2001 in St Petersburg geaumluszligert Es fehlten auf russischer Seite (in der seinerzeit noch ver-einigten Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo) Vertreter russischer NGOs Die Kritik kam an In Russ-land fuumlhrte sie (ohne dass ich hier jetzt ausfuumlhren kann wie) zum ersten Versuch des Kremls auch unabhaumln-gige NGOs in das korporative System der gelenkten Demokratie zu zwingen Der Versuch misslang weitge-hend und muumlndete in einer Art Waffenstillstand und der Gruumlndung eines raquoMenschenrechtsrats beim Praumlsi-dentenlaquo unter Einbeziehung von Vertretern unabhaumlngi-ger NGOs Beim PD wurde die Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo in ihre zwei Namensbestandteile geteilt und es gelang uumlber die Jahre in immer wieder unternommenen Anstrengungen auch die Teilnahme unabhaumlngiger russischer NGO-Vertreter durchzuset-zen Etwas spaumlter wurde diese Teilnahme sogar vor-sichtig institutionell abgesichert indem erst Ella Pam-filowa und spaumlter ihr Nachfolger Michail Fedotow als Vorsitzende des inzwischen zum raquoZivilgesellschaftsratlaquo umbenannten raquoMenschenrechtsratslaquo zu den russischen Koordinatoren der Arbeitsgruppe raquoZivilgesellschaftlaquo mit Einladungsrecht wurden (wobei die Einladungen selbst-verstaumlndlich mit der Praumlsidentenadministration abge-stimmt werden muumlssen) Das ist bis heute so

Die Verfasser des Briefes (zu denen ich bekenne mich auch ich gehoumlre) allesamt langjaumlhrige Teilneh-mer der Jahrestreffen des PD haben all die Jahre immer wieder auch oumlffentlich uumlber den Sinn und Unsinn ihrer Teilnahme und Unterstuumltzung diskutiert Letztendlich uumlberwogen die ganze Zeit uumlber zwei Uumlberlegungen Ers-tens ist ein Dialog auch und gerade auf offizieller Ebe-nen und mit offiziellen Vertretern des russischen Staates (wie auch mit Wissenschaftlern Unternehmern Journa-listen Priestern usw welcher politischen Couleur auch immer sie sein moumlgen) erst einmal besser als kein Dia-log Zweitens gingen wir all die Jahre davon aus dass die nicht ohne Muumlhen erreichte Teilnahme unabhaumln-giger russischen NGO-Vertreter fuumlr sie ihre Organisa-tionen aber auch die russische NGO-Szene insgesamt zumindest einen kleinen zusaumltzlichen Schutz gegen die

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 29

seit Putins Amtsantritt immer wieder uumlber das Land gehenden Repressionswellen bietet1 Was hat sich dieses Jahr geaumlndert Erst einmal nicht

so viel gegenuumlber dem Vorjahr Es war schon immer siehe oben eine schwierige Abwaumlgung ob die Teil-nahme am PD sich lohnt oder nicht vielmehr dazu beitraumlgt so zu tun als gaumlbe es in Russland die unein-geschraumlnkte und ungefaumlhrdete Moumlglichkeit sich zivilgesellschaftlich auch dort zu engagieren wo es dem Staat weh tut Zwei Ereignisse haben nun aber zumindest fuumlr die Autoren des Briefes das Pen-del zur anderen Seite ausschlagen lassen Die Kon-frontation zwischen dem Westen (ich weiszlig um die Bedingtheit des Begriffs verwende in der Kuumlrze hal-ber aber trotzdem) und Russland im Konflikt in der und um die Ukraine ist nicht einfach die Fortset-zung schon laumlnger existierender raquoMeinungsverschie-denheitenlaquo Sie ist tiefer und prinzipieller Es geht eben im Kern nicht in erster Linie um Geopolitik sondern wieder einmal um ich fuumlrchte hier weder den Pathos noch historische Analogien Freiheit und Demokratie in Europa

2 Die Repressionen gegen russische NGOs unsere prinzipiellen Partner in der Verteidigung von Demo-kratie und Freiheit haben mit dem sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo eine neue Qualitaumlt erreicht 15 NGOs sind inzwischen zwangsweise zu raquoauslaumln-dischen Agentenlaquo erklaumlrt worden anderen droht die Schlieszligung aufgrund anderer Gesetze Einige von ihnen waren sogar zum nun verschobenen Treffen in Sotschi eingeladen Sie mussten sich Gedanken machen ob eine Zusage oder eine Absage ihnen nicht schaden koumlnnte

Unter diesen Umstaumlnden halten die Verfasser des Brie-fes ihre Teilnahme am PD fuumlr nicht mehr moumlglich Sie fordern keinen Boykott wohl aber ein Nachdenken uumlber eine tiefgreifende Reform

Der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses Lothar de Maiziere hat in einem eigenen offenen Brief geantwortet und den Verfassern vorgeworfen den Dia-log verweigern und politisieren zu wollen Diese (Gegen-)Klage scheint mir angesichts der vielfaumlltigen Verbindun-gen und Dialogformen die die Organisationen hinter den Unterzeichnern des Briefes seit vielen Jahren und oft laumlnger als der PD organisieren an denen sie teil-nehmen und die sie foumlrdern nicht sonderlich stichhal-tig Doch die Auseinandersetzung geht tiefer De Mai-ziere behauptet in seinem Brief der PD mache bereits all das was die Kritiker fordern Genau das bezweifeln diese aber Die Auseinandersetzung geht also und vor allem darum was ein fruchtbarer Dialog zu leisten im Stande sein kann und leisten sollte Sie geht aber auch darum ob dieser Dialog zwischen zwei Gesellschaf-

ten stattfindet nach dem Motto hier die eine dort die andere oder ob sich die Seiten bei diesem Dialog inei-nander verschraumlnken

Die Verfasser des Briefes sind ganz offensichtlich mit ihrer Kritik nicht allein Schon bevor der Brief oumlffent-lich bekannt wurde hatten die Bundestagsabgeordne-ten Andreas Schockenhoff (CDUCSU) und Marieluise Beck (Buumlndnis 90 Die Gruumlnen) in oumlffentlichen Stel-lungnahmen Aumlhnliches gefordert und auch ihre Nicht-Teilnahme erklaumlrt Etwas spaumlter wurde bekannt dass auch der Russland-Beauftragte der Bundesregierung Gernot Erler nicht nach Sotschi fahren wollte Mehr noch Bereits seit dem Fruumlhsommer gab es Gespraumlche zwischen Kanzleramt und Auswaumlrtigem Amt mit dem Ziel den PD sowohl personell als auch strukturell zu reformieren Allerdings setze sich augenscheinlich die Sichtweise des Auswaumlrtigen Amtes durch alles vorerst beim Alten zu belassen da es auch so schon genug Pro-bleme im deutsch-russischen Verhaumlltnis gebe und man diesen Kanal nicht auch noch belasten oder gar gefaumlhr-den solle

Doch zum Herbst hat sich die Situation noch ein-mal veraumlndert Die Hoffnung die russische Fuumlhrung um Praumlsident Putin werde im Krieg in der Ostukraine ein-lenken ist selbst im Auswaumlrtigen Amt bis in die Spitze kaum noch zu finden Im Sommer bekam das russische Justizministerium zudem per erneuter Gesetzesaumlnde-rung das Recht NGOs zwangsweise zu raquoAgentenlaquo zu erklaumlren und macht seither rege Gebrauch davon Eine ganze Reihe russischer NGOs steht vor der Schlieszligung oder loumlst sich auf weil ihnen die vom Gesetz geforderte Selbstetikettierung als raquoauslaumlndische Agentenlaquo ethisch rechtlich und praktisch unmoumlglich ist

Es sieht so aus als haumltten die Verfasser des Briefes nur eine Tuumlr geoumlffnet hinter der andere darunter die Kanzlerin nur darauf gewartet haben durch sie hin-durch gehen zu koumlnnen ohne selbst der Tuumlroumlffnung geziehen zu werden

Ein wenig verwundert die erstaunlich milde russi-sche Reaktion Nach der kurzen Drohung eine Verschie-bung bedeute das Ende des PD lenkte Putin im Telefo-nat mit Merkel ein und fand tags darauf sogar oumlffentlich verstaumlndnisvolle Worte fuumlr die raquoProbleme der deutschen Seitelaquo Das duumlrfte zwei Gruumlnde haben Der eine ist dass trotz des haumlufiger gewordenen Deutschland-Bashings im russischen Staatsfernsehen (mit dem Ergebnis dass in Umfragen Deutschland aus der Kategorie raquoFreundlaquo in die Kategorie raquoFeindlaquo abgerutscht ist) Deutschland im Kreml immer noch als wichtigster raquostrategischerlaquo Part-ner im Westen und vor allem in der EU gilt Zudem ist Deutschland zweifellos ein Land dessen oumlffentliche Meinung (und damit Politik) aus russischer Sicht durch-aus beeinflussbar ist (was z B die kolportierten rund

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140 Millionen US-Dollar zum Aufbau eines deutsch-sprachigen Programms des staatlichen Auslandsfernse-hens raquoRussia Todaylaquo zeigen)

Der andere liegt in einem erneuten Strategiewech-sel (oder weniger ambitioniert Wechsel der Taktik) im Ukraine-Konflikt Die Sanktionen beiszligen inzwi-schen kraumlftig Die Rhetorik wurde daher gemildert Der Kreml ist ganz auf Frieden und dieser Ausdruck aus dem Sport sei erlaubt Ergebnissicherung bedacht (was uumlbrigens Putins grundsaumltzlicher Taktik auch im Inne-ren Russlands entspricht erst hart zuzuschlagen dann eine Schritt zuruumlck zu gehen und einen Kompromiss zu suchen nach dem es fuumlr seine Gegner nachher schlech-ter steht als vorher) Neues Ziel scheint nun also zu sein die raquoErrungenschaftenlaquo Krim (als Teil Russlands) und raquoNeurusslandlaquo (als neuen raquoFrozen Conflictlaquo) zu fixieren und trotzdem mit dem Westen wenn schon nicht gut-freund zu werden so doch zumindest erneut zu einem einigermaszligen vertraumlglichen Modus Vivendi zu gelan-gen Das Gas duumlrfte nach den Mailaumlnder Gespraumlchen

und bei allem Geknurre im Winter stroumlmen und auch im Nahen Osten stellt Moskau weniger Widerspenstig-keit in Aussicht

Was heiszligt das fuumlr die Zukunft des PD Erstmal ist sie offen Zuerst muss sich die deutsche Seite neu ord-nen (hier hat Putin sogar Recht) Nachdem sich Angela Merkel persoumlnlich um eine russische Akzeptanz fuumlr die Verschiebung von Sotschi bemuumlht hat kann ich mir allerdings nicht vorstellen dass es in einigen Wochen oder Monaten ein Zuruumlck zum status quo ante gibt Ob und wie sich ein neu aufgestellter deutscher Lenkungs-ausschuss mit einem neuen Konzept mit der russischen Seite verstaumlndigen kann laumlsst sich momentan kaum voraussagen Es ist zwar einen Versuch wert haumlngt aber wohl sehr von der dann herrschenden politischen Groszlig-wetterlage ab

Diesen und andere Texte finden Sie auf Jens Siegerts Russ-landblog lthttprusslandboellblogorggt

Lesetippbull Poumlrzgen Gemma Dringend reformbeduumlrftig Der Petersburger Dialog auf dem Pruumlfstand in Osteuropa 602010

Nr 10 S 59ndash81

DOkUmENtAtION

Briefwechsel uumlber die zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo

schreiben von nichtregierungsorganisationen und einzelpersonen an die Bundeskanzlerin und den Auszligenminister zum raquoPetersburger Dialoglaquo 2 oktober 2014 [nachtraumlglich veroumlffentlicht]

Berlin 02 Oktober 2014Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerals Personen die sich seit vielen Jahren intensiv im zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland engagieren wenden wir uns mit diesem Schreiben an Sie um zu erlaumlutern warum wir uns in diesem Jahr nicht am Petersburger Dialog beteiligen koumlnnen Zugleich moumlchten wir fuumlr eine Erneuerung des Petersburger Dialogs werben

In Reaktion auf die politische Wende in der Ukraine die durch eine breite gesellschaftliche Protestbewegung hervor-gerufen wurde hat die russische Fuumlhrung voumllkerrechtswidrig die Krim annektiert und einen unerklaumlrten Krieg neuen Typs im Osten der Ukraine begonnen Zugleich betreibt die Regierung unter Praumlsident Putin die systematische Ausschal-tung der letzten unabhaumlngigen Medien in Russland die Kriminalisierung aller Formen politischer Opposition und die Diskreditierung unabhaumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen als raquoauslaumlndische Agentenlaquo Mittlerweile wurden 12 russische Nichtregierungsorganisationen vom russischen Justizministerium zwangsweise auf die Liste raquoauslaumlndischer Agentenlaquo gesetzt und sind daher zukuumlnftig verpflichtet sich bei jeder oumlffentlichen Aumluszligerung wahrheitswidrig selbst als solche zu bezichtigen Zehn dieser Organisationen spielen in der deutschrussischen zivilgesellschaftlichen Zusammen-arbeit seit Jahren eine wichtige Rolle einige von ihnen haben mehrfach am Petersburger Dialog teilgenommen Gegen einige von ihnen sind bereits existenzbedrohende Strafgelder wegen Verstoszliges gegen das sog Agentengesetz verhaumlngt

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worden Es drohen Organisationsschlieszligungen und die Kriminalisierung der Vorstaumlnde Unter diesen inneren und aumluszlige-ren Bedingungen koumlnnen wir uns nicht an einer Neuauflage des Petersburger Dialogs in der bisherigen Form beteiligen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerder seinerzeit von Bundeskanzler Schroumlder und Praumlsident Putin initiierte Petersburger Dialog konnte die ihm zuge-

dachte Aufgabe zu einer Vertiefung und Verbreiterung der gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland beizutragen auch in den vergangenen Jahren nur sehr bedingt erfuumlllen Dies lag vor allem an der starken Naumlhe des Fuumlhrungspersonals auf der russischen Seite zum politischen Machtzentrum im Kreml die von Beginn an den Eindruck einer raquovon obenlaquo inszenierten und kontrollierten Veranstaltung naumlhrte Doch auch auf deutscher Seite wird der Petersburger Dialog bis heute von Personen dominiert die aus politischer und oumlkonomischer Opportunitaumlt dazu neigen Kritik am Kurs der russischen Fuumlhrung als Stoumlrung der raquodeutsch-russischen Freundschaftlaquo zu betrachten Zeit-weise kam es zu der paradoxen Situation dass kritische Aumluszligerungen zu Menschenrechtsverletzungen in Russland oder zum Vorgehen des Kremls gegenuumlber Georgien aus den Reihen der deutschen Delegation als raquoKalte-Kriegs-Rhetoriklaquo verteufelt wurden Nuumlchtern betrachtet waren die kritischen Stimmen aus der russischen und deutschen Zivilgesell-schaft in den letzten Jahren nur eine geduldete Minderheit die dem Petersburger Dialog den Anschein von Pluralis-mus und offener Diskussion verschaffte Ungeachtet dieser Kritik haben wir uns in der Vergangenheit am Petersburger Dialog beteiligt da wir grundsaumltzlich jedes Dialogpotenzial nutzen wollen und uns von der gemeinsamen Beteiligung mit unseren Partnern aus der russischen Zivilgesellschaft eine politische Absicherung dieser Zusammenarbeit erhofften

Diese ohnehin schwachen Hoffnungen wurden durch die Entwicklungen in diesem Jahr zerstoumlrt Vertreter unab-haumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen die auf der russischen Seite zum Petersburger Dialog eingeladen wer-den sind angesichts der politischen und juristischen Bedrohung der sie ausgesetzt sind in ihrer Entscheidung uumlber ihre Teilnahme nicht mehr frei Wenn sie der Einladung nicht folgen muumlssen sie weitere Repressalien befuumlrchten Uns denen die Freiheit der Entscheidung gegeben ist ist es nicht moumlglich durch Teilnahme am Petersburger Dialog in Sot-schi an der Aufstellung einer Potemkinschen Fassade namens raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo mitzuwirken waumlhrend die kritischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Russland als raquoAgentenlaquo diskreditiert und vielfach drangsaliert werden

Zugleich moumlchten wir unsere Bereitschaft unterstreichen an einer Reform des Petersburger Dialogs in organisa-torischer inhaltlicher und personeller Hinsicht mitzuwirken Eine solche Reform sollte darauf ausgerichtet sein uumlber die Auswahl der Formate Themen und Teilnehmer die tatsaumlchliche Lage der russischen Zivilgesellschaft in den Mit-telpunkt der Diskussion zu ruumlcken und einen offenen Dialog zu ermoumlglichen Wir sind ganz damit einverstanden dass gerade in kritischen Zeiten die Zusammenarbeit zwischen der russischen und deutschen Zivilgesellschaft gestaumlrkt wer-den muss Sofern der Petersburger Dialog in Zukunft dafuumlr ein Forum bietet werden wir uns gern daran beteiligen[Unterzeichner nicht veroumlffentlicht]Quelle Website der Boumlll-Stiftung lthttpwwwboelldede20141013reform-petersburger-dialog-ueberfaelliggt

offener Brief an den Vorsitzenden des Petersburger Dialogs lothar de maiziegravere vom 10 oktober 2014

- Offener Brief -HerrnDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des VorstandsPetersburger Dialog eVSchillerstraszlige 5910627 Berlin

Berlin 10 Oktober 2014Petersburger Dialog 2014 in SotschiSehr geehrter Herr de Maiziegravereals Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher zivilgesellschaftlicher Organisationen die seit der Gruumlndung des Petersburger Dialogs 2001 uumlber viele Jahre hinweg an dieser Veranstaltung teilgenommen haben moumlchten wir Ihnen gegenuumlber folgende Erklaumlrung abgeben

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 32

Wir haben uns entschieden am 14 Petersburger Dialog in Sotschi nicht teilzunehmen der fuumlr den 29ndash31 Okto-ber angekuumlndigt worden ist Fuumlr diese Entscheidung die wir sorgfaumlltig diskutiert und abgewogen haben moumlchten wir drei Gruumlnde anfuumlhren1 Der Petersburger Dialog in seiner jetzigen Form steckt in einer Krise Von Jahr zu Jahr wird er seinem eigenem

Anspruch weniger gerecht Die Veranstaltung soll dem zivilgesellschaftlichen Dialog dienen Tatsaumlchlich sind Struktur Nominierungsverfahren und Programm des Petersburger Dialogs maszliggeblich von Akteuren aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert Unter diesen Voraussetzungen erfuumlllt der Petersburger Dialog leider nicht sein in seiner Satzung formuliertes Ziel ein raquooffenes Diskussionsforumlaquo zu sein das die raquoVerstaumlndigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Laumlnderlaquo foumlrdert Der Petersburger Dialog bedarf dringend einer grundlegenden Reform wie sie auch CDUCSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 eingefordert haben Gerne wuumlrden wir uns aktiv an einem Prozess zur Reformierung des Petersburger Dialogs beteiligen der auf eine pluralistische Zusam-mensetzung beider Lenkungsausschuumlsse und eine deutlich staumlrkere Ausrichtung auf unabhaumlngige zivilgesellschaft-liche Akteure zielt ohne den interdisziplinaumlren Ansatz der Veranstaltung aufzugeben

2 Die Situation in der sich Teile der Zivilgesellschaft in Russland befinden erfuumlllt uns mit groszliger Sorge Das betrifft auch Partnerorganisationen und Personen mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten Diese Organisa-tionen uumlben fuumlr Russland und daruumlber hinaus wichtige gesellschaftliche Funktionen aus Die Behinderung ihrer Arbeit durch buumlrokratische Huumlrden aber auch durch willkuumlrliche rechtliche Restriktionen und politische Diffa-mierung sind inakzeptabel Daruumlber koumlnnen wir nicht zur Tagesordnung uumlbergehen Wir wollen nicht zu Kron-zeugen fuumlr einen vorgeblich freien Austausch werden waumlhrend zugleich die kritische Zivilgesellschaft in Russland massiv und systematisch unter Druck gesetzt wird

3 In Teilen der Ukraine herrscht ein Kriegszustand fuumlr den die russische Fuumlhrung eine maszliggebliche Verantwor-tung traumlgt Wichtige Vertreter dieser Fuumlhrung spielen eine Schluumlsselrolle im Petersburger Dialog einschlieszliglich des fruumlheren Ersten Stellvertretenden Ministerpraumlsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden von Gazprom Wiktor Subkow der der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs ist Vor diesem Hin-tergrund moumlchten wir nicht durch unsere Teilnahme dazu beitragen dass eine Normalitaumlt in den deutsch-russi-schen Beziehungen simuliert wird die es derzeit wegen des Angriffs auf die politische Souveraumlnitaumlt und territo-riale Integritaumlt der Ukraine nicht geben kann

Wir waren und sind weiter sehr an einem offenen Dialog uumlber deutsch-russische Belange in einem gesamteuropaumli-schen Kontext interessiert und halten ihn fuumlr eine Bedingung guter Nachbarschaft und Kooperation Ein solcher Dia-log muss aber auch von beiden Seiten gewollt und ermoumlglicht werden Er darf zugleich nicht zum Nachteil Dritter gefuumlhrt werden Angesichts der aktuellen Lage und der bereits bekannt gewordenen Programmvorschlaumlge fuumlr Sotschi sehen wir auch diese Voraussetzung gefaumlhrdet

Dessen ungeachtet werden wir jede Moumlglichkeit nutzen unsere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Grup-pen und anderen Akteuren in Russland zu vertiefen und dieses Potential in einen bilateralen und europaumlischen Dia-log einzubringenMit freundlichen GruumlszligenRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter Politik Greenpeace eVQuelle lthttpwwwaustauschorgaktuelle-meldungennewsdetailarticle1offener-brie-1htmlno_cache=1ampcHash=0428c5bffdgt

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offener Brief des Vorsitzenden des Petersburger Dialogs vom 13 oktober 2014

AnRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich-Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace eVBerlin 13 Oktober 2014Ihr Schreiben vom 10 Oktober 2014Sehr geehrte Damen und HerrenIhren offenen Brief habe ich erhalten Dass Sie einen Brief aumlhnlichen Inhalts zunaumlchst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Auszligenminister verschickt haben verwundert mich Sie geben damit fuumlr die zivilgesell-schaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung die Sie fuumlr die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren

Ihre Nichtbeteiligung am Petersburger Dialog bedaure ich Denn es entspricht der Uumlberzeugung der meisten Mit-glieder des Vorstandes und des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs dass gerade angesichts zweifellos vorhan-dener Probleme fuumlr die Zivilgesellschaft die Sie teilweise benennen die offensive Auseinandersetzung zu solchen The-men gesucht werden muss Indem man sich solchen Gespraumlchen entzieht schadet man den Interessen der Betroffenen

Sie schreiben der Petersburger Dialog sei im Inneren zu reformieren da er von Vertretern aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert sei Diese Feststellung ist falsch und Sie wissen das Das auch in der Satzung des Petersbur-ger Dialogs beschriebene Konzept des Dialogs beruht auf einem breiten Gedankenaustausch aller gesellschaftlichen Kraumlfte Dazu gehoumlren die Bereiche Kultur Medien Bildung Wissenschaft und Kirchen genauso wie zahlreiche im Bereich der politischen sowie der sozialen Menschenrechte engagierte Einrichtungen die in ihrer Gesamtheit das deutsch-russische Verhaumlltnis beleben

Sie versuchen in Ihrem Brief den Petersburger Dialog auf das enge Feld einiger Vertreter der Zivilgesellschaft zu reduzieren die jenseits der korporierten Zivilgesellschaft angesiedelt sind und deren Interessenspektrum nur einen Teil des gesamten zivilgesellschaftlichen Engagements abdeckt

Ich verkenne nicht die ndash auch aber nicht nur ndash in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu Tage getretenen Probleme sowie die unterschiedlichen Folgen die sich aus einer raquogelenkten Demokratielaquo die in vielem nicht westli-chen Standards entspricht ergeben Dennoch Gemessen an weiten Bereichen der russischen Geschichte ist die Ent-wicklung seit 1991 ein Fortschritt Das daraus resultierende wenn auch im letzten Jahr stark eingetruumlbte Vertrauens-potential muss fuumlr die auf vielen Ebenen notwendigen Gespraumlchsforen genutzt und ausgebaut werden

Derartige Gespraumlche bedingen genauso Realismus wie intellektuelle Disziplin wozu auch gehoumlrt zu verstehen wie Russland die Probleme versteht Dies ndash und nicht Gespraumlchsverweigerung ndash ist die Voraussetzung um auf allen demokratischen gesellschaftlichen Ebenen ndash vom politischen Machtzentrum bis in die Randgruppen hinein ndash pro-blemorientierte Gespraumlche fuumlhren zu koumlnnen Dabei darf keine Seite fuumlr sich in Anspruch nehmen legitimere Inte-ressen zu vertreten als die andere

Das heiszligt Ein Gespraumlch raquoauf Augenhoumlhelaquo nicht von oben herab nicht moralisch belehrend aber mit klaren und ehrlichen Argumenten Dabei duumlrfen wir nicht verschweigen welche gesetzgeberischen aber auch politisch-morali-schen Standards wir fuumlr eine demokratische Gesellschaft im europaumlischen Kontext fuumlr unabdingbar halten

Der Petersburger Dialog wurde aus guten Gruumlnden als deutsch-russische Gemeinschaftseinrichtung konzipiert Da ist eine ndash oft muumlhsame ndash Kompromissfindung unausweichlich Dies ist Teil des Wertes auch der Tiefe aber auch der moralischen Qualitaumlt des Dialogs Das Ringen um kompromissfaumlhige Konzepte muss unser Anliegen bleiben nicht Vorverurteilung und GespraumlchsablehnungMit freundlichem GruszligDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des Vorstands Petersburger Dialog e VQuelle Website des Petersburger Dialogs lthttpwwwpetersburger-dialogcomoffener-brief-vom-13-oktober-2014gt

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offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

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9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

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14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 40

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Die einzelnen Laumlnder-Analysen werden von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und der Deutschen Gesellschaft fuumlr Osteuropakunde jeweils mit unterschiedlichen Partnern und Sponsoren herausgegeben

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    • Eine neue Phase der Russland- und Ostpolitik hat begonnen
      • Karsten D Voigt Berlin
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                          • Umfrage
                            • Uumlber die Zivilgesellschaft in Russland
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                                  • Notizen aus Moskau
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                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 18: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 18

die Wahlbeobachter von raquoGoloslaquo haben sich als juris-tische Personen aufgeloumlst oder sind wie die raquoJuristen fuumlr Verfassungsrechte und Freiheitlaquo dabei sich aufzu-loumlsen (ein juristisch und administrativ nicht ganz ein-facher und langwieriger Vorgang) Fast alle NGOs die sich aufloumlsen haben aber erklaumlrt ihre Arbeit auch ohne juristischen Status fortsetzen zu wollen Rechtlich ist das moumlglich Praktisch werden diese NGOs auf zahlreiche neue Probleme treffen wohl bis hin zur moumlglichen Kri-minalisierung einzelner Personen

Einige andere NGOs darunter das Menschenrechts-zentrum Memorial machen weiter wie bisher Sie fech-ten meist die Eintragung in das raquoAgentenregisterlaquo vor Gericht an (in der Regel ohne besonderen Erfolg) Das Menschenrechtszentrum Memorial aber auch einige andere NGOs wollen bis zum EGMR gehen unter ande-rem weil sie das Gesetz insgesamt fuumlr unmoralisch und verfassungswidrig haumllt

Eine weitere Reaktion ist eine Art Hase-und-Igel-Spiel mit den Behoumlrden Das kann sich in einem Geflecht von unterschiedlichen NGOs ausdruumlcken die unter-schiedliche Funktionen wahrnehmen Eine NGO macht politische Erklaumlrungen und betreibt Lobbying Ihre Aktivistinnen arbeiten ausschlieszliglich ehrenamt-lich Eine andere bekommt auslaumlndische Finanzierung fuumlr Projekte die auch nach der Definition von Staatsan-waltschaft und Justizministerium nicht raquopolitischlaquo sind Wieder andere NGOs weichen auf Organisationsformen (juristische Personen) jenseits des NGO-Gesetzes aus die dann nicht den raquoAgentenparagraphenlaquo unterliegen

Der Vorstoszlig gegen memorialAllerdings beschraumlnkt sich die staatliche Behinderung und Bedrohung von NGOs nicht auf das relativ neue Agentengesetz Alle anderen laumlnger erprobten adminis-trativen bis strafrechtlichen Instrumente bleiben eben-falls im Einsatz Juumlngstes und bekanntestes aber bei weitem nicht einziges Beispiel ist der Schlieszligungsan-trag des Justizministeriums vor dem Obersten Gericht gegen raquoMemorial Russlandlaquo raquoMemorial Russlandlaquo ist ein Netzwerk aus rund 50 regionalen und thematischen Memorial-Organisationen und selbst eine von mehr als 60 Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Internatio-nallaquo (Zum Memorial-Netzwerk siehe lthttprusslandboellblogorg20141011wie-funktioniert-memorial-ein-kleiner-wegweiser-durch-eine-zugegeben-kompli zierte-strukturgt) Bei einer der regelmaumlszligigen Pruumlfun-

gen stellte das Justizministerium Anfang 2012 also vor Beginn der jetzigen Repressionswelle gegen NGOs fest dass die seit Gruumlndung der Organisation geltende konfouml-derative Struktur von raquoMemorial Russlandlaquo raquonicht dem Gesetz entsprechelaquo und geaumlndert werden muumlsse Insbe-sondere behagt dem Justizministerium nicht dass die Mehrzahl der Mitgliedsorganisationen von raquoMemorial Russlandlaquo ihrerseits eigenstaumlndige juristische Personen sind raquoMemorial Russlandlaquo muumlsse sich zentralistisch organisieren und die regionalen Memorial-Organisa-tionen zu Filialen werden Ohne hier ins Detail gehen zu koumlnnen wuumlrde das aber zu weiteren Problemen fuumlh-ren die wiederum die Schlieszligung von Memorial durch das Justizministerium zum Ergebnis haumltten Memorial sucht einen Ausweg das Justizministerium betreibt die Schlieszligung Viele NGOs haben Probleme mit der Feu-erwehr dem Gesundheitsamt oder der Arbeitsschutzbe-houmlrde Beliebt ist in juumlngster Zeit auch die Kuumlndigung von Mietvertraumlgen (so unlaumlngst geschehen bei raquoGoloslaquo und der raquoBewegung fuumlr Menschenrechtelaquo)

soziale und politische ngosSeit dem Fruumlhjahr zeichnet sich noch ein weiterer Angriff auf unabhaumlngige und staatskritische NGOs ab Der von Michail Fedotow geleitete Zivilgesellschaftsrat beim Praumlsidenten beraumlt seit einiger Zeit eine erneute Aumlnde-rung des NGO-Gesetzes Er schlaumlgt vor die Agenten-paragraphen abzuschaffen und dafuumlr um den Befuumlrch-tungen des Kremls auf politische Einflussnahme (nicht nur aus dem Ausland) Rechnung zu tragen kuumlnftig eine Einteilung von NGOs in raquosozialelaquo und raquopolitischelaquo vor-zunehmen raquoSozialelaquo NGOs sollen diesen Vorschlaumlgen nach kuumlnftig steuerlich beguumlnstigt sein und staatliche Zuwendungen erhalten koumlnnen raquoPolitischelaquo NGOs wer-den hingegen von staatlicher Foumlrderung ausgeschlossen und sollen auf alle Zuwendungen insbesondere aber auf Zuwendungen aus dem Ausland einen noch fest-zulegenden Steuersatz zahlen Die Befuumlrworter dieser im Uumlbrigen im Zivilgesellschaftsrat nicht unumstrit-tenen Initiative verweisen darauf dass so die heute als raquoAgentenlaquo verfolgten NGOs eventuell noch gerettet wer-den koumlnnten waumlhrend staatliche Foumlrderung aller ande-ren verstaumlrkt wuumlrde Ein Gewinn also fuumlr alle Betei-ligten Tatsaumlchlich verbirgt sich hinter dem Vorschlag aber eine gefaumlhrliche Tendenz zur Entsolidarisierung in der NGO-Szene wie sie auch anderswo schon laumln-ger zu beobachten ist

Uumlber den AutorJens Siegert ist Diplompolitologe und leitet seit 1999 das Laumlnderbuumlro Russland der Heinrich Boumlll Stiftung in Mos-kau Davor arbeitete er in Moskau als Korrespondent fuumlr Radiostationen Zeitschriften und Zeitungen im deutsch-sprachigen Raum

Lesetipps finden Sie auf der naumlchsten Seite

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 19

Lesetippsbull Siegert Jens Putin und die Zivilgesellschaft in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 12 06 2013

lthttprusslandboellblogorg20130612putin-und-die-zivilgesellschaftgtbull Siegert Jens Uumlber ein Jahr raquoNGO-Agentenlaquo-Jagd ndash eine Art Zwischenbericht in Russland-Blog (Hein-

rich-Boumlll-Stiftung Moskau) 4 Juni 2014 lthttprusslandboellblogorg20140604ueber-ein -jahr-agenten-jagd-eine-art-zwischenberichtgt

bull Siegert Jens Russische raquoNGO-Agentenjagdlaquo ndash eine Zwischenbilanz in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 7 Juni 2013 lthttprusslandboellblogorg20130607russische-ngo-agentenjagd-eine-zwischenbilanzgt

bull Siegert Jens Erklaumlrung Permer NGOs warum sie sich unter keinen Umstaumlnden als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren lassen in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 26 Mai 2013 lthttprusslandboellblogorg20130526erklarung-permer-ngos-warum-sie-sich-unter-keinen-umstanden-als-auslandische-agenten-registrieren-lassengt

bull Siegert Jens Memorial raquoNGO-Agentengesetzlaquo ist ungesetzlich und unmoralisch Keine freiwillige Registrierung als raquoauslaumlndischer Agentlaquo in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 22 September 2013 lthttpruss landboellblogorg20120922memorial-ngo-agentengesetz-ist-ungesetzlich-und-unmoralisch-keine-freiwillige-registrierung-als-auslandischer-agentgt

bull Siegert Jens Sozialer Wandel und politische Dynamik in Russland 201112 in Russland-Analysen Nr 245 19 Oktober 2012 lthttpwwwlaender-analysenderusslandpdfRusslandanalysen245pdfgt

ANALYSE

ein kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen engagements zur Unterstuumltzung und integration von migranten in russlandMarina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin

zusammenfassungObwohl die Wirtschaft Russlands aufgrund der ruumlcklaumlufigen Bevoumllkerungszahl auf Migranten angewiesen ist ist der Groszligteil der Bevoumllkerung des Landes Migranten gegenuumlber skeptisch und oft geradezu fremden-feindlich eingestellt Durch eine schlecht koordinierte staatliche Migrationspolitik ist die Lage der Arbeits-migranten meist prekaumlr Initiativen aus der Zivilgesellschaft versuchen die Situation der Migranten zu ver-bessern und leisten Aufklaumlrungsarbeit in der Bevoumllkerung sowie konkrete Hilfestellungen fuumlr Migranten Die Arbeit solcher Aktivisten wird jedoch oftmals durch staatliche Einmischung erschwert

immigration nach russland als gesellschaftliches ProblemDie widerspruumlchliche Migrationspolitik der russischen Regierung und die aufgeheizte Stimmung in der Bevoumll-kerung haben 2013 zu vermehrten xenophoben Uumlbergrif-fen auf Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien gefuumlhrt (siehe beispielsweise die Unruhen in Birjuljowo im Oktober 2013) Diese Entwicklung wirft die Frage auf welche Haltung die russische Zivilgesellschaft hierzu einnimmt Gibt es zivilgesellschaftliche Initiativen die dieser fremdenfeindlichen Stimmung entgegenwirken

In der russischen Oumlffentlichkeit ist oft von einer Flut von Arbeitsmigranten aus den GUS-Staaten die Rede doch in Wirklichkeit ist die Immigration nach Russ-land im internationalen Vergleich gering Zudem zeigen Zahlen der Staatlichen Statistikbehoumlrde raquoRosstatlaquo dass

die russische Wirtschaft aufgrund der demographischen Entwicklung in zunehmendem Maszlige Arbeitskraumlfte aus dem Ausland benoumltigt (bis 2030 ndash so die Prognose ndash soll die russische arbeitsfaumlhige Bevoumllkerung um 103 Mil-lionen Menschen abnehmen)

Trotzdem gibt es starke fremdenfeindliche Stimmun-gen die sich gegen Immigranten aus Zentralasien und dem Kaukasus richten Diese Ablehnung von Migran-ten hat zugenommen und schafft den Naumlhrboden fuumlr Pogrome wie 2006 in Kondopoga 2010 auf dem Mos-kauer Manegenplatz sowie 2013 in der Stadt Pugat-schow und dem Moskauer Vorort Birjuljowo Angst und Verachtung gegenuumlber Fremden ziehen sich durch alle Gesellschaftsschichten Sie werden als Kriminelle und Illegale stigmatisiert und nicht nur Nationalisten ver-wenden die Losung raquoRussland den Russenlaquo um Ras-

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sismus zu schuumlren und die Stimmung gegen Migranten weiter anzuheizen

es gibt keine migrationspolitikDiese interethnischen Konflikte spiegeln sich auch im russischen Alltag wieder Der durch den Foumlderalen Migrationsdienst praktizierte administrative und poli-zeiliche Umgang mit Migration ist nicht effektiv Eine Stigmatisierung der Migranten als potenzielle Krimi-nelle und eventuelle Uumlberlegungen zur Verschaumlrfung des Migrationsgesetzes koumlnnen die Probleme nicht loumlsen die gerade auch auf kommunaler Ebene anfallen Die nur situativen politischen Maszlignahmen fuumlhren mitunter zu einer Verschaumlrfung des Problems Eine uumlbergreifende Strategie existiert nicht die Politik weiszlig auf die Migra-tionsfrage keine Antwort Ein autoritaumlres zentralisier-tes System ist nicht im Stande die regionalen Probleme dieses riesigen Landes zu loumlsen deshalb liegt es vor allem an der Zivilgesellschaft sich diesen Themen zu widmen

zivilgesellschaftliche Projekte AufklaumlrungsarbeitIn Moskau und Sankt Petersburg gibt es verschiedene nichtstaatliche Projekte die sich sowohl fuumlr mehr Tole-ranz als auch fuumlr die Integration der Migranten einsetzen

Einige von ihnen bestehen schon mehrere Jahre Boris Romanow ist einer der Gruumlndervaumlter eines zivil-gesellschaftlichen Netzwerks zur Unterstuumltzung von Menschen mit Migrationshintergrund in Sankt Peters-burg Er arbeitet mit den unterschiedlichsten NGOs zusammen die zu Themen wie Toleranz Antirassis-mus Homophobie Antiziganismus und Antisemitis-mus arbeiten Finanziert durch das Goethe-Institut rief er 2012 raquoRespektlaquo ins Leben ein Comic-Projekt inter-nationaler Kuumlnstler mit dessen Hilfe Schuumller ihr Den-ken uumlber Fremde reflektieren und selbst in Frage stel-len koumlnnen Laut Romanow scheitern solche Projekte oft an der Buumlrokratie der Kommunen Durch das neue NGO-Gesetz gebe es kaum noch Kontaktmoumlglichkei-ten zu staatlichen Schulen erlaumlutert Romanow so dass eine Zusammenarbeit houmlchstens uumlber einzelne Lehrer nicht jedoch uumlber die Schuldirektion moumlglich sei Dies widerspreche dem Konzept zivilgesellschaftlicher Arbeit die vor allem jedermann offen stehen will Durch das geschlossene staatliche Schulsystem komme es selten zu einer Kooperation mit interessierten Lehrern Die Zusammenarbeit von Staat und Zivilgesellschaft ist unabdingbar macht aber die Finanzierung der Projekte schwierig da sie im Falle einer Unterstuumltzung auslaumln-discher Sponsoren unter das neue NGO-Gesetz fallen

Im Zuge der neuen NGO-Gesetzgebung wurde das Antidiskriminierungszentrum raquoMemoriallaquo in Sankt Petersburg geschlossen Dessen ehemaliger Mitarbei-

ter Andrej Jakimow ist Anthropologe Seine langjaumlh-rige Arbeit mit ethnischen Minderheiten wie Sinti und Roma Arbeitsmigranten und Staatenlosen macht ihn zu einem erfahrenen Koordinator der raquoStiftung zur Unter-stuumltzung und Entwicklung von Bildungs- und Sozial-projektenlaquo (raquoPSP-Fondlaquo) in Sankt Petersburg Auch fuumlr ihn zaumlhlt die aktive Aufklaumlrungsarbeit zu den wichtigs-ten Punkten seines zivilgesellschaftlichen Engagements Die juristische und psychologische Betreuung von Mig-ranten stehen neben der Sensibilisierung der russischen Bevoumllkerung im Zentrum seiner Arbeit Seiner Erfah-rung nach interessieren sich die OSZE und die UNO nur marginal fuumlr diese Themen also muumlssen die Pro-bleme der Arbeitsmigranten auf nationaler Ebene geloumlst werden Seine Kontakte zu verschiedenen Netzwerken in den Auswanderungslaumlndern helfen den Migranten sich schon vor der Einreise nach Russland auf den Aufenthalt vorzubereiten In der Zusammenarbeit von Staat und Experten sieht Jakimow eine Moumlglichkeit eine effek-tive Migrationspolitik zu entwickeln

fuumlr die Verbesserung der migrationspolitikAumlhnlich denken auch Wjatscheslaw Postawnin und Natalja Wlasowa die die Stiftung raquoMigrazija XXI weklaquo (raquoMigration im 21 Jahrhundertlaquo) gegruumlndet haben Sie selbst sind ehemalige Mitarbeiter des Foumlderalen Migra-tionsdienstes und kennen die staatliche Migrationspoli-tik von innen Die Regierung unter Putin scheint keiner-lei Loumlsungsansaumltze fuumlr die immer staumlrker zunehmende Xenophobie in Russland zu erarbeiten In den fuumlnf Jah-ren ihrer Existenz hat sich die Organisation in Mos-kau zu einem unabhaumlngigen intellektuellen und wissen-schaftlichen Zentrum entwickelt das Vorschlaumlge fuumlr die Verbesserung der staatlichen Migrationspolitik ausarbei-tet Diese Vorschlaumlge werden oft von der Administration des Praumlsidenten beruumlcksichtigt jedoch nicht sofort und ohne Nennung der Urheberschaft In Zusammenarbeit mit der Weltbank und dem Netzwerk raquoMirpallaquo (raquoMigra-tion and Remittance Peer-Assisted Learninglaquo) erstellt die Organisation Statistiken zu den Migrationsstroumlmen aus den GUS Staaten die oftmals stark von den offiziellen Zahlen des Foumlderalen Migrationsdienstes abweichen

fluumlchtlingsarbeitDie von Swetlana Gannuschkina einer wichtigen Men-schenrechtlerin in Russland 1990 mitbegruumlndete Orga-nisation raquoGrashdanskoje sodejstwijelaquo (raquoBuumlrgerhilfelaquo) beschaumlftigt sich nicht nur mit Arbeitsmigration sondern zu vier Fuumlnfteln mit Fluumlchtlingen Es war die erste Orga-nisation dieser Art in Moskau und wurde im Zusam-menhang mit dem Konflikt um Berg-Karabach und dem Krieg in Tschetschenien gegruumlndet um den Fluumlchtlin-gen aus diesen Regionen zu helfen Die Unterstuumltzung

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der Arbeitsmigranten umfasst juristische Konsultation und die Loumlsung administrativer Fragen z B bei nicht ausgezahlten Gehaumlltern Deportationen Einreisever-boten Die Organisation stellt juristischen Beistand bei unbegruumlndeten Klagen gegen Migranten hilft bei Kla-gen gegen Arbeitgeber wegen nicht ausgezahlter Loumlhne fuumlhrt ein Projekt gegen Hate Crimes durch und veran-staltet Spendenaktionen auf ihrer Webseite Besonders die aumlrztliche Versorgung ist wichtig da der staatliche Notdienst Migranten oft seine Hilfe verwehrt raquoGrash-danskoje sodejstwijelaquo arbeitet eng mit dem Fluumlchtlings-hilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) der Inter-nationalen Organisation fuumlr Migration (IOM) und mit dem Netzwerk raquoMigrazija i prawolaquo (raquoMigration und Rechtlaquo) einem Programm des Menschenrechtszentrums raquoMemoriallaquo zusammen Obwohl in der offiziellen Rhe-torik die Bedeutung der Migration fuumlr Russland unter-strichen wird (wie zum Beispiel in der raquoKonzeption der staatlichen Migrationspolitik 2025laquo) beobachtet man in der Praxis meist die stumme Hinnahme der Uumlber-griffe auf Arbeitsmigranten Nach dem Inkrafttreten des NGO-Gesetzes fand bei der Organisation eine Uumlberpruuml-fung durch die Staatsanwaltschaft statt Ob und wenn ja wie dieses Projekt weiterlaufen wird ist bis heute unklar

Arbeit mit fluumlchtlingskindernIm Rahmen der Organisation raquoBuumlrgerhilfelaquo gibt es zudem ein raquoZentrum fuumlr Integration und Unterricht fuumlr Fluumlchtlingskinderlaquo da das staatliche Programm mit dem Kinder mit Migrationshintergrund Russisch lernen nicht ausreichend ist

Aumlhnlich wie ihre Kollegen aus Moskau arbeiten die Freiwilligen des zivilgesellschaftlichen Projekts raquoDeti Peterburgalaquo (raquoKinder von Petersburglaquo) mit Kindern des-sen Eltern aus den unterschiedlichsten Gruumlnden nach Russland immigriert sind Zwei Projektkoordinatoren der Organisation raquo[Wahl]Beobachterlaquo Daniil Ljubarow und Irina Beljaewa haben 2012 raquoDeti Peterburgalaquo gegruumlndet Angefangen mit einem Angebot von Russisch-Grundkur-sen fuumlr Vorschuumller mit Migrationshintergrund hat sich dieses Programm mittlerweile so weit entwickelt dass Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre an sechs verschie-

denen Standorten in Sankt Petersburg an Russischkursen teilnehmen koumlnnen Bis 2014 hatte es noch nicht einmal feste Raumlumlichkeiten gegeben die Mitarbeiter der raquoDeti Peterburgalaquo organisierten sich ausschlieszliglich uumlber soziale Netzwerke Der virtuelle Raum verbindet diese Organi-sation auch mit anderen zivilgesellschaftlichen Projek-ten So zieht das Projekt nicht nur politische Aktivisten an sondern vor allem Paumldagogen Linguisten und Stu-denten die die Kurse vorbereiten und durchfuumlhren Der Aufbau von kreativen Zirkeln gehoumlrt genauso zur Arbeit von raquoDeti Peterburgalaquo wie die Koordination von Ausfluuml-gen in die Umgebung Museen oder Theatern Das Pro-jekt ist abhaumlngig von seinen Teilnehmern Die fehlen-den Sprachkenntnisse der Eltern fuumlhren oft zu groszligen Kommunikationsproblemen Aber auch die wechselnden und meist aumluszligerst schwierigen Arbeitszeiten der Eltern erschweren die Durchfuumlhrung des Projekts Die staumldti-sche Buumlrokratie versucht den Elan der Mitarbeiter zu bremsen Auch deshalb bleibt das Projekt nichtstaatlich

fazitMisstrauen gegenuumlber der Regierung soziale Probleme und Alltagsrassismus bewegen immer mehr Menschen dazu sich eigenstaumlndig mit der negativen Entwicklung beim Umgang mit Migranten zu beschaumlftigen Aus Inter-views mit den Mitarbeitern der verschiedenen Organisa-tion laumlsst sich schlieszligen dass eine russische Zivilgesell-schaft entstanden ist die die Migrationsfrage einerseits als Arbeit mit der Mehrheits- also russischen Bevoumllkerung betrachtet um diese zu sensibilisieren Anderseits gibt es Initiativen die vor allem konkrete Hilfe fuumlr Migranten leisten um deren alltaumlgliche Probleme zu minimieren

Die Zivilgesellschaft bemuumlht sich Vorurteile abzu-bauen die Migrationspolitik realistischer zu machen und Migranten wie Fluumlchtlingen konkrete Hilfestellung zu geben Die Behoumlrden sabotieren diese Arbeit In den Groszligstaumldten wird der Zuzug von Migranten restriktiv gehandhabt Arbeitgeber wissen um den oft schwierigen Status der Migranten und nutzen die Situation aus um die Migranten weiter auszubeuten Die Arbeit der Zivil-gesellschaft zur Sensibilisierung der russischen Bevoumllke-rung wird durch die offizielle Politik oft konterkariert

Uumlber die AutorenIm Rahmen des Projektkurses raquoZiviler Ungehorsam Gesellschaft und Staat in Osteuropalaquo reisten die Studierenden des Osteuropa-Instituts der Freien Universitaumlt Berlin Michael Bellmann und Kristina Arisov nach Moskau sowie Marina Grinfeld und Christina Huthmann nach St Petersburg um mit Aktivisten und Organisationen die sich fuumlr die Integration von Migranten in Russland einsetzen Interviews zu fuumlhren und die Position der Zivilgesellschaft zur Migrationsproblematik zu analysieren

Lesetippsbull Judah Ben Russiarsquos Migration Crisis in Survival 552013 Nr 6 S 123ndash131

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 22

bull Malakhov Vladimir S Russia as a New Immigration Country Policy Response and Public Debate in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1062ndash1079

bull Schenk Caress Controlling Immigration Manually Lessons from Moscow (Russia) in Europe-Asia Studies 652013 Nr 7 S 1444ndash1465

bull Spahn Susanne Die gelenkte Xenophobie Migration und nationale Frage in Russland Russland nur fuumlr Russen in Osteuropa 642014 Nr 7 S 55ndash67

bull Tipaldou Sofia Katrin Uba The Russian Radical Right Movement and Immigration Policy Do They Just Make Noise or Have an Impact as Well in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1080ndash1101

UmFRAGE

Uumlber die zivilgesellschaft in russland

zur zivilgesellschaftlichen und politischen Aktivitaumlt der russen

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 15 stellen sie sich vor ihre nachbarn schlagen eine gemeinsame muumlllsammelaktion in der nahegelege-nen Parkzone vor Was waumlren sie bereit zu uumlbernehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator der Aktionwerden

An der Aktionmitwirken

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 16 haben sie im vergangenen halbjahrJahr hellip

0 20 40 60 80 100

hellip an den Aktivitaumlten einer non-profit Organisation teilgenommen als Freiwilliger gearbeitet

hellip sich mit gesellschaftlichen Problemen an ihrem Wohnort beschaumlftigt

hellip an Groszligveranstaltungen Demonstrationen Streiks Kundgebungen Umzuumlgen teilgenommen

Ja Keine Antwort Nein

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 23

grafik 17 stellen sie sich vor dass es an ihrem Wohnort zu massenhaften Wahlfaumllschungen kommt irgend-jemand ruft zur Durchfuumlhrung von Protestaktionen gegen die Wahlfaumllschungen auf Was wuumlrden sie unternehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator dieser Aktionwerden

An dieser Protestaktionteilnehmen

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 18 Waren sie haben sie sich in den vergangenen einndashzwei Jahren hellip

0 20 40 60 80 100

hellip Mitglied einer politischen Partei

hellip Wahlbeobachter

hellip an der Arbeit einer Menschenrechtsorganisation beteiligt

hellip sich im Internet (in sozialen Netzwerken auf Foren) zu politischen Themen geaumluszligert

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

zur gesellschaftlichen Aktivitaumlt

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

grafik 19 haben sie persoumlnlich in den vergangenen zweindashdrei Jahren an der taumltigkeit einer gesellschaftlichen organisation teilgenommen Wenn ja wie genau (beliebige zahl an Antworten)

6

6

5

2

2

84

1

050

Habe an gesellschaftliche Organisationen gespendetoder andere materielle Hilfe geleistet

Habe an Wohltaumltigkeitsveranstaltungen teilgenommen(Konzerte Ausstellungen Wohltaumltigkeitslotterie Auktionen)

Habe Freiwilligenarbeit geleistet (kostenlos)

Habe gegen Entgelt in einer gesellschaftlichenOrganisation gearbeitet

Habe Informationen zu den Taumltigkeitenvon gesellschaftlichen Organisationen verteilt

Nicht teilgenommen

Anderes

Keine Antwort

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grafik 20 haben ihnen irgendwann einmal gesellschaftliche organisationen geholfen

0 20 40 60 80 100

Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja mit Geld geholfen Ja auf andere Weise geholfen Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

Die oumlffentliche meinung zu ngos mit auslaumlndischer finanzierung (April 2013)

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 21 mit welcher meinung zur taumltigkeit russischer ngos stimmen sie am ehesten uumlberein

Sie bringen einen groszligen Nutzen

4

Sie bringen mehr Nutzen als Schaden

15Sie bringen ebenso viel

Nutzen wie Schaden23

Sie bringen mehr Schaden als Nutzen

18

Sie bringen weder Nutzen noch Schaden

13

Keine Antwort27

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 22 ist es fuumlr sie wichtig ob eine russische menschenrechtsorganisation aus einheimischen oder auslaumln-dischen mitteln finanziert wird

Sehr wichtig10

Eher wichtig34

Nicht besonders wichtig24

Vollkommen unwichtig18

Keine Antwort14

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 25

grafik 23 Welche ziele verfolgen westliche laumlnder und organisationen die russische ngos mit mitteln aus-statten

Einen verstaumlrkten Einfluss auf die russische

Innenpolitik42

Einen Kampf gegen den russischen Staat

19Eine Unterstuumltzung der

russischen Zivilgesellschaft

8

Kein besonderes Ziel russische NGOs werden wie andere aus standardisierten

internationalen Programmen unterstuumltzt

12

Keine Antwort19

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 24 Duumlrfen organisationen die sich mit dem schutz der Buumlrgerrechte beschaumlftigen und den staat kriti-sieren das recht haben mittel aus dem Ausland zu beziehen

Ja20

Nein56

Keine Antwort24

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 25 Unterstuumltzen sie harte sanktionen gegen ngos die einer politischen taumltigkeit nachgehen und gelder aus dem Ausland erhalten sich aber nicht nach dem gesetz als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren

Auf jeden Fall20

Eher ja32

Eher nein15

Auf keinen Fall5

Keine Antwort28

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 26

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RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 27

luumlgen des fernsehkanals ntV und Beanstandungen des Justizministeriums erklaumlrung des menschenrechtszentrums memoriAl und der russischen gesellschaft

memoriAl

Die Behauptung bei NTV das russische Justizministerium habe die Liquidierung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL eingeleitet fuumlhrte heute zu etlichen Irritationen Das Menschenrechtszentrum und die Russische Gesell-schaft MEMORIAL (die Dachorganisation der russischen Memorial-Verbaumlnde) haben aus diesem Anlass nachste-hende Erklaumlrung abgegeben

Am 10 Oktober strahlte NTV unter dem Titel raquoAuszligergewoumlhnliches Ereignislaquo eine Sendung aus die aus boumlswil-ligen Luumlgen aber auch aus Fehlinformationen in Folge von Unkenntnis bestand

Die Arbeit des Menschenrechtszentrums MEMORIAL als Unterstuumltzung von Extremisten und Terroristen dar-zustellen ist eine infame Luumlge Auf Unkenntnis basiert hingegen die Behauptung das Justizministerium habe des-halb den Antrag gestellt das Menschenrechtszentrum MEMORIAL zu liquidieren

In Wirklichkeit hat das Justizministerium beim Obersten Gericht der Russischen Foumlderation nicht die Aufloumlsung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL beantragt Es geht hier vielmehr um eine andere Organisation naumlmlich die Russische Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIAL

Die russische Gesellschaft MEMORIAL wurde vom Justizministerium bereits 1992 registriert Bis heute befinden sich unter ihrem Dach verschiedene Memorial-Verbaumlnde die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen

Im Jahre 2012 20 Jahre nach der ersten Registrierung tauchten beim Justizministerium ploumltzlich Zweifel hin-sichtlich des russischen Rechtsstatus von Memorial auf obwohl der Gesellschaft praktisch dieselben regionalen Ver-baumlnde angehoumlren wie zuvor und sich die Gesetzeslage in dieser Frage in keinem Punkt geaumlndert hatte

Geaumlndert hat sich allerdings die Position des Justizministeriums das erneut einen raquodemokratischen Zentralismuslaquo anstrebt der nach der Abschaffung der fuumlhrenden Rolle der KPdSU nicht mehr aktuell schien Heute erklaumlrt das Jus-tizministerium nur jene gesellschaftlichen Vereinigungen koumlnnten der Russischen Gesellschaft MEMORIAL ange-houmlren die in ihrer Bezeichnung die Worte raquoVerband (otdelenie) der Russischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklauml-rung Sozialarbeit und Menschenrechte MEMORIALlaquo tragen

Die gesetzliche Vorschrift dass eine Organisation nur dann einen gesamtrussischen Status haben kann wenn sie in uumlber der Haumllfte der Foumlderationssubjekte Verbaumlnde unterhaumllt legt das Justizministerium jetzt dahingehend aus dass diese Verbaumlnde zwangslaumlufig einen Status als Regionalverbaumlnde haben muumlssten Das Vorhandensein von Stadt- und Bezirksverbaumlnden einer Organisation reicht die Beamten als Beleg dafuumlr nicht aus dass die Organisation in der betreffenden Region taumltig ist

Die Vorbehalte des Justizministeriums entbehren jeglicher Grundlage Nicht zufaumlllig erhielten wir auf Anfragen keine Hinweise auf eine Gesetzesnorm Es ist fuumlr uns inakzeptabel dass das Justizministerium das von der Verfas-sung garantierte Recht von Buumlrgern eine Vereinigung zu bilden gesetzwidrig einschraumlnken will Deshalb hat sich die Russische Gesellschaft MEMORIAL bereits 2012 entschlossen vor Gericht zu gehen

Einen Hinweis auf ein Gesetz haben wir auch nicht erhalten als wir 2013 die Forderungen des Justizministeriums im Moskauer Zamoskvorezki-Bezirksgericht und danach im Stadtgericht angefochten haben Beide Instanzen gaben wie nicht anders zu erwarten dem Justizministerium Recht Deshalb wird die Russische Gesellschaft MEMORIAL in Kuumlrze Klage beim Verfassungsgericht einreichen

Was den Antrag des Justizministeriums betrifft so hoffen wir dass das Oberste Gericht bei Behandlung dieses Antrags dem Gesetz und der Verfassung mehr Respekt entgegenbringen wird als die untergeordneten Gerichtsinstanzen

10 Oktober 2014Quelle Website von Memorial Deutschland lthttpwwwmemorialdeindexphpid=42amptx_ttnews[tt_news]=546amptx_ttnews[backPid]=3ampcHash=5bbe9b235a03fe09cba52ed5c8786b99gt

DOkUmENtAtION

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 28

NOtIzEN AUS mOSkAU

Petersburger DialogJens Siegert Moskau

Auf den ersten Blick sieht es so aus als ob ein (egal ob nun willentlich oder nicht) an die Oumlffentlich-

keit gelangter Brief einiger regelmaumlszligiger Teilnehmer des Petersburger Dialogs (PD) aus den Reihen deutscher NGOs an Bundeskanzlerin Merkel und Auszligenminis-ter Steinmeier die Verschiebung des fuumlr Ende Oktober in Sotschi geplanten groszligen Jahrestreffens verursacht haumltte In dem Brief bekraumlftigten die Autoren ihre nicht neue Kritik am PD und erklaumlrten warum sie dieses Jahr nicht teilnehmen wuumlrden Sie betonen dass die Absage kein Boykott sei und bieten ihrerseits einen Dialog zur Reform des Dialogs an Auf den zweiten Blick war der Brief selbstverstaumlndlich nur Anstoszlig aber nicht Grund fuumlr die Verschiebung Doch der Reihe nach

Die in dem Brief geaumluszligerte Kritik am PD ist wie gesagt nicht neu sie hat sie den PD von Anfang an begleitet Das liegt sicher auch an einem bis heute nicht korrigierten Geburtsfehler Ein durch Staats- und Regie-rungschefs initiierter raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo ist schon etwas verquer Das heiszligt nicht dass das nicht gehen koumlnnte Doch dazu haumltten sich die hochgestell-ten Initiatoren (der damalige russische Praumlsident und der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schrouml-der) und ihre (Interims-)Nachfolger spaumlter zuruumlckziehen muumlssen Das haben sie nicht Daran sind sie nicht (allein) Schuld Es war der PD der durch seine Lenkungsor-gane die enge zeitliche und oumlrtliche Verbindung mit den deutsch-russischen Regierungskonsultationen und die zeitweilige Anwesenheit von Praumlsident und Kanzlerin zum Grundstein seiner Wirkungsmaumlchtigkeit erklaumlrte

Auf deutscher Seite wurde versucht dieses Problem organisatorisch sozusagen oumlffentlich-rechtlich zu loumlsen indem moumlglichst alle interessierten politischen Spektren und gesellschaftlichen Gruppen am sogenannten Len-kungsausschuss beteiligt wurden Das gelang zumindest so gut dass es soweit mir bekannt bis heute keine grouml-szligeren Klagen uumlber Nichtberuumlcksichtigung oder Nicht-beteiligung gab Aber die Bundesregierung behielt weit-gehenden Einfluss nicht zuletzt uumlber den alljaumlhrlich sechsstelligen Zuschuss fuumlr die Durchfuumlhrung der Jah-restreffen Auszligerdem wurde der jeweilige Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses zwar nach Abstim-mungen mit den Beteiligten aber letztlich durch den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin bestimmt

In Russlands ist die Sache einfacher Von Anfang an wurde und wird gemacht wird was der Kreml will Schon der erste Vorsitzende des russischen Lenkungs-ausschusses Michail Gorbatschow (immerhin selbst ein ehemaliger Praumlsident) war wie er selbst einmal bekannte

nicht mehr als ein ndash schoumlne Ruumlckuumlbertragung aus dem Russischen ndash raquoSitz-Praumlsidentlaquo Der jetzige Vorsitzende Wiktor Subkow war Datschennachbar von Putin ers-ter stellvertretender Ministerpraumlsident und ist nun Auf-sichtsratsvorsitzender von Gazprom

Die Kritik dass nur eine Simulation eines raquozivilge-sellschaftlichen Dialogslaquo stattfinde wurde von einigen deutschen Teilnehmern bereits auf dem ersten Jahres-treffen des PD im April 2001 in St Petersburg geaumluszligert Es fehlten auf russischer Seite (in der seinerzeit noch ver-einigten Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo) Vertreter russischer NGOs Die Kritik kam an In Russ-land fuumlhrte sie (ohne dass ich hier jetzt ausfuumlhren kann wie) zum ersten Versuch des Kremls auch unabhaumln-gige NGOs in das korporative System der gelenkten Demokratie zu zwingen Der Versuch misslang weitge-hend und muumlndete in einer Art Waffenstillstand und der Gruumlndung eines raquoMenschenrechtsrats beim Praumlsi-dentenlaquo unter Einbeziehung von Vertretern unabhaumlngi-ger NGOs Beim PD wurde die Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo in ihre zwei Namensbestandteile geteilt und es gelang uumlber die Jahre in immer wieder unternommenen Anstrengungen auch die Teilnahme unabhaumlngiger russischer NGO-Vertreter durchzuset-zen Etwas spaumlter wurde diese Teilnahme sogar vor-sichtig institutionell abgesichert indem erst Ella Pam-filowa und spaumlter ihr Nachfolger Michail Fedotow als Vorsitzende des inzwischen zum raquoZivilgesellschaftsratlaquo umbenannten raquoMenschenrechtsratslaquo zu den russischen Koordinatoren der Arbeitsgruppe raquoZivilgesellschaftlaquo mit Einladungsrecht wurden (wobei die Einladungen selbst-verstaumlndlich mit der Praumlsidentenadministration abge-stimmt werden muumlssen) Das ist bis heute so

Die Verfasser des Briefes (zu denen ich bekenne mich auch ich gehoumlre) allesamt langjaumlhrige Teilneh-mer der Jahrestreffen des PD haben all die Jahre immer wieder auch oumlffentlich uumlber den Sinn und Unsinn ihrer Teilnahme und Unterstuumltzung diskutiert Letztendlich uumlberwogen die ganze Zeit uumlber zwei Uumlberlegungen Ers-tens ist ein Dialog auch und gerade auf offizieller Ebe-nen und mit offiziellen Vertretern des russischen Staates (wie auch mit Wissenschaftlern Unternehmern Journa-listen Priestern usw welcher politischen Couleur auch immer sie sein moumlgen) erst einmal besser als kein Dia-log Zweitens gingen wir all die Jahre davon aus dass die nicht ohne Muumlhen erreichte Teilnahme unabhaumln-giger russischen NGO-Vertreter fuumlr sie ihre Organisa-tionen aber auch die russische NGO-Szene insgesamt zumindest einen kleinen zusaumltzlichen Schutz gegen die

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 29

seit Putins Amtsantritt immer wieder uumlber das Land gehenden Repressionswellen bietet1 Was hat sich dieses Jahr geaumlndert Erst einmal nicht

so viel gegenuumlber dem Vorjahr Es war schon immer siehe oben eine schwierige Abwaumlgung ob die Teil-nahme am PD sich lohnt oder nicht vielmehr dazu beitraumlgt so zu tun als gaumlbe es in Russland die unein-geschraumlnkte und ungefaumlhrdete Moumlglichkeit sich zivilgesellschaftlich auch dort zu engagieren wo es dem Staat weh tut Zwei Ereignisse haben nun aber zumindest fuumlr die Autoren des Briefes das Pen-del zur anderen Seite ausschlagen lassen Die Kon-frontation zwischen dem Westen (ich weiszlig um die Bedingtheit des Begriffs verwende in der Kuumlrze hal-ber aber trotzdem) und Russland im Konflikt in der und um die Ukraine ist nicht einfach die Fortset-zung schon laumlnger existierender raquoMeinungsverschie-denheitenlaquo Sie ist tiefer und prinzipieller Es geht eben im Kern nicht in erster Linie um Geopolitik sondern wieder einmal um ich fuumlrchte hier weder den Pathos noch historische Analogien Freiheit und Demokratie in Europa

2 Die Repressionen gegen russische NGOs unsere prinzipiellen Partner in der Verteidigung von Demo-kratie und Freiheit haben mit dem sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo eine neue Qualitaumlt erreicht 15 NGOs sind inzwischen zwangsweise zu raquoauslaumln-dischen Agentenlaquo erklaumlrt worden anderen droht die Schlieszligung aufgrund anderer Gesetze Einige von ihnen waren sogar zum nun verschobenen Treffen in Sotschi eingeladen Sie mussten sich Gedanken machen ob eine Zusage oder eine Absage ihnen nicht schaden koumlnnte

Unter diesen Umstaumlnden halten die Verfasser des Brie-fes ihre Teilnahme am PD fuumlr nicht mehr moumlglich Sie fordern keinen Boykott wohl aber ein Nachdenken uumlber eine tiefgreifende Reform

Der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses Lothar de Maiziere hat in einem eigenen offenen Brief geantwortet und den Verfassern vorgeworfen den Dia-log verweigern und politisieren zu wollen Diese (Gegen-)Klage scheint mir angesichts der vielfaumlltigen Verbindun-gen und Dialogformen die die Organisationen hinter den Unterzeichnern des Briefes seit vielen Jahren und oft laumlnger als der PD organisieren an denen sie teil-nehmen und die sie foumlrdern nicht sonderlich stichhal-tig Doch die Auseinandersetzung geht tiefer De Mai-ziere behauptet in seinem Brief der PD mache bereits all das was die Kritiker fordern Genau das bezweifeln diese aber Die Auseinandersetzung geht also und vor allem darum was ein fruchtbarer Dialog zu leisten im Stande sein kann und leisten sollte Sie geht aber auch darum ob dieser Dialog zwischen zwei Gesellschaf-

ten stattfindet nach dem Motto hier die eine dort die andere oder ob sich die Seiten bei diesem Dialog inei-nander verschraumlnken

Die Verfasser des Briefes sind ganz offensichtlich mit ihrer Kritik nicht allein Schon bevor der Brief oumlffent-lich bekannt wurde hatten die Bundestagsabgeordne-ten Andreas Schockenhoff (CDUCSU) und Marieluise Beck (Buumlndnis 90 Die Gruumlnen) in oumlffentlichen Stel-lungnahmen Aumlhnliches gefordert und auch ihre Nicht-Teilnahme erklaumlrt Etwas spaumlter wurde bekannt dass auch der Russland-Beauftragte der Bundesregierung Gernot Erler nicht nach Sotschi fahren wollte Mehr noch Bereits seit dem Fruumlhsommer gab es Gespraumlche zwischen Kanzleramt und Auswaumlrtigem Amt mit dem Ziel den PD sowohl personell als auch strukturell zu reformieren Allerdings setze sich augenscheinlich die Sichtweise des Auswaumlrtigen Amtes durch alles vorerst beim Alten zu belassen da es auch so schon genug Pro-bleme im deutsch-russischen Verhaumlltnis gebe und man diesen Kanal nicht auch noch belasten oder gar gefaumlhr-den solle

Doch zum Herbst hat sich die Situation noch ein-mal veraumlndert Die Hoffnung die russische Fuumlhrung um Praumlsident Putin werde im Krieg in der Ostukraine ein-lenken ist selbst im Auswaumlrtigen Amt bis in die Spitze kaum noch zu finden Im Sommer bekam das russische Justizministerium zudem per erneuter Gesetzesaumlnde-rung das Recht NGOs zwangsweise zu raquoAgentenlaquo zu erklaumlren und macht seither rege Gebrauch davon Eine ganze Reihe russischer NGOs steht vor der Schlieszligung oder loumlst sich auf weil ihnen die vom Gesetz geforderte Selbstetikettierung als raquoauslaumlndische Agentenlaquo ethisch rechtlich und praktisch unmoumlglich ist

Es sieht so aus als haumltten die Verfasser des Briefes nur eine Tuumlr geoumlffnet hinter der andere darunter die Kanzlerin nur darauf gewartet haben durch sie hin-durch gehen zu koumlnnen ohne selbst der Tuumlroumlffnung geziehen zu werden

Ein wenig verwundert die erstaunlich milde russi-sche Reaktion Nach der kurzen Drohung eine Verschie-bung bedeute das Ende des PD lenkte Putin im Telefo-nat mit Merkel ein und fand tags darauf sogar oumlffentlich verstaumlndnisvolle Worte fuumlr die raquoProbleme der deutschen Seitelaquo Das duumlrfte zwei Gruumlnde haben Der eine ist dass trotz des haumlufiger gewordenen Deutschland-Bashings im russischen Staatsfernsehen (mit dem Ergebnis dass in Umfragen Deutschland aus der Kategorie raquoFreundlaquo in die Kategorie raquoFeindlaquo abgerutscht ist) Deutschland im Kreml immer noch als wichtigster raquostrategischerlaquo Part-ner im Westen und vor allem in der EU gilt Zudem ist Deutschland zweifellos ein Land dessen oumlffentliche Meinung (und damit Politik) aus russischer Sicht durch-aus beeinflussbar ist (was z B die kolportierten rund

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 30

140 Millionen US-Dollar zum Aufbau eines deutsch-sprachigen Programms des staatlichen Auslandsfernse-hens raquoRussia Todaylaquo zeigen)

Der andere liegt in einem erneuten Strategiewech-sel (oder weniger ambitioniert Wechsel der Taktik) im Ukraine-Konflikt Die Sanktionen beiszligen inzwi-schen kraumlftig Die Rhetorik wurde daher gemildert Der Kreml ist ganz auf Frieden und dieser Ausdruck aus dem Sport sei erlaubt Ergebnissicherung bedacht (was uumlbrigens Putins grundsaumltzlicher Taktik auch im Inne-ren Russlands entspricht erst hart zuzuschlagen dann eine Schritt zuruumlck zu gehen und einen Kompromiss zu suchen nach dem es fuumlr seine Gegner nachher schlech-ter steht als vorher) Neues Ziel scheint nun also zu sein die raquoErrungenschaftenlaquo Krim (als Teil Russlands) und raquoNeurusslandlaquo (als neuen raquoFrozen Conflictlaquo) zu fixieren und trotzdem mit dem Westen wenn schon nicht gut-freund zu werden so doch zumindest erneut zu einem einigermaszligen vertraumlglichen Modus Vivendi zu gelan-gen Das Gas duumlrfte nach den Mailaumlnder Gespraumlchen

und bei allem Geknurre im Winter stroumlmen und auch im Nahen Osten stellt Moskau weniger Widerspenstig-keit in Aussicht

Was heiszligt das fuumlr die Zukunft des PD Erstmal ist sie offen Zuerst muss sich die deutsche Seite neu ord-nen (hier hat Putin sogar Recht) Nachdem sich Angela Merkel persoumlnlich um eine russische Akzeptanz fuumlr die Verschiebung von Sotschi bemuumlht hat kann ich mir allerdings nicht vorstellen dass es in einigen Wochen oder Monaten ein Zuruumlck zum status quo ante gibt Ob und wie sich ein neu aufgestellter deutscher Lenkungs-ausschuss mit einem neuen Konzept mit der russischen Seite verstaumlndigen kann laumlsst sich momentan kaum voraussagen Es ist zwar einen Versuch wert haumlngt aber wohl sehr von der dann herrschenden politischen Groszlig-wetterlage ab

Diesen und andere Texte finden Sie auf Jens Siegerts Russ-landblog lthttprusslandboellblogorggt

Lesetippbull Poumlrzgen Gemma Dringend reformbeduumlrftig Der Petersburger Dialog auf dem Pruumlfstand in Osteuropa 602010

Nr 10 S 59ndash81

DOkUmENtAtION

Briefwechsel uumlber die zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo

schreiben von nichtregierungsorganisationen und einzelpersonen an die Bundeskanzlerin und den Auszligenminister zum raquoPetersburger Dialoglaquo 2 oktober 2014 [nachtraumlglich veroumlffentlicht]

Berlin 02 Oktober 2014Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerals Personen die sich seit vielen Jahren intensiv im zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland engagieren wenden wir uns mit diesem Schreiben an Sie um zu erlaumlutern warum wir uns in diesem Jahr nicht am Petersburger Dialog beteiligen koumlnnen Zugleich moumlchten wir fuumlr eine Erneuerung des Petersburger Dialogs werben

In Reaktion auf die politische Wende in der Ukraine die durch eine breite gesellschaftliche Protestbewegung hervor-gerufen wurde hat die russische Fuumlhrung voumllkerrechtswidrig die Krim annektiert und einen unerklaumlrten Krieg neuen Typs im Osten der Ukraine begonnen Zugleich betreibt die Regierung unter Praumlsident Putin die systematische Ausschal-tung der letzten unabhaumlngigen Medien in Russland die Kriminalisierung aller Formen politischer Opposition und die Diskreditierung unabhaumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen als raquoauslaumlndische Agentenlaquo Mittlerweile wurden 12 russische Nichtregierungsorganisationen vom russischen Justizministerium zwangsweise auf die Liste raquoauslaumlndischer Agentenlaquo gesetzt und sind daher zukuumlnftig verpflichtet sich bei jeder oumlffentlichen Aumluszligerung wahrheitswidrig selbst als solche zu bezichtigen Zehn dieser Organisationen spielen in der deutschrussischen zivilgesellschaftlichen Zusammen-arbeit seit Jahren eine wichtige Rolle einige von ihnen haben mehrfach am Petersburger Dialog teilgenommen Gegen einige von ihnen sind bereits existenzbedrohende Strafgelder wegen Verstoszliges gegen das sog Agentengesetz verhaumlngt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 31

worden Es drohen Organisationsschlieszligungen und die Kriminalisierung der Vorstaumlnde Unter diesen inneren und aumluszlige-ren Bedingungen koumlnnen wir uns nicht an einer Neuauflage des Petersburger Dialogs in der bisherigen Form beteiligen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerder seinerzeit von Bundeskanzler Schroumlder und Praumlsident Putin initiierte Petersburger Dialog konnte die ihm zuge-

dachte Aufgabe zu einer Vertiefung und Verbreiterung der gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland beizutragen auch in den vergangenen Jahren nur sehr bedingt erfuumlllen Dies lag vor allem an der starken Naumlhe des Fuumlhrungspersonals auf der russischen Seite zum politischen Machtzentrum im Kreml die von Beginn an den Eindruck einer raquovon obenlaquo inszenierten und kontrollierten Veranstaltung naumlhrte Doch auch auf deutscher Seite wird der Petersburger Dialog bis heute von Personen dominiert die aus politischer und oumlkonomischer Opportunitaumlt dazu neigen Kritik am Kurs der russischen Fuumlhrung als Stoumlrung der raquodeutsch-russischen Freundschaftlaquo zu betrachten Zeit-weise kam es zu der paradoxen Situation dass kritische Aumluszligerungen zu Menschenrechtsverletzungen in Russland oder zum Vorgehen des Kremls gegenuumlber Georgien aus den Reihen der deutschen Delegation als raquoKalte-Kriegs-Rhetoriklaquo verteufelt wurden Nuumlchtern betrachtet waren die kritischen Stimmen aus der russischen und deutschen Zivilgesell-schaft in den letzten Jahren nur eine geduldete Minderheit die dem Petersburger Dialog den Anschein von Pluralis-mus und offener Diskussion verschaffte Ungeachtet dieser Kritik haben wir uns in der Vergangenheit am Petersburger Dialog beteiligt da wir grundsaumltzlich jedes Dialogpotenzial nutzen wollen und uns von der gemeinsamen Beteiligung mit unseren Partnern aus der russischen Zivilgesellschaft eine politische Absicherung dieser Zusammenarbeit erhofften

Diese ohnehin schwachen Hoffnungen wurden durch die Entwicklungen in diesem Jahr zerstoumlrt Vertreter unab-haumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen die auf der russischen Seite zum Petersburger Dialog eingeladen wer-den sind angesichts der politischen und juristischen Bedrohung der sie ausgesetzt sind in ihrer Entscheidung uumlber ihre Teilnahme nicht mehr frei Wenn sie der Einladung nicht folgen muumlssen sie weitere Repressalien befuumlrchten Uns denen die Freiheit der Entscheidung gegeben ist ist es nicht moumlglich durch Teilnahme am Petersburger Dialog in Sot-schi an der Aufstellung einer Potemkinschen Fassade namens raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo mitzuwirken waumlhrend die kritischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Russland als raquoAgentenlaquo diskreditiert und vielfach drangsaliert werden

Zugleich moumlchten wir unsere Bereitschaft unterstreichen an einer Reform des Petersburger Dialogs in organisa-torischer inhaltlicher und personeller Hinsicht mitzuwirken Eine solche Reform sollte darauf ausgerichtet sein uumlber die Auswahl der Formate Themen und Teilnehmer die tatsaumlchliche Lage der russischen Zivilgesellschaft in den Mit-telpunkt der Diskussion zu ruumlcken und einen offenen Dialog zu ermoumlglichen Wir sind ganz damit einverstanden dass gerade in kritischen Zeiten die Zusammenarbeit zwischen der russischen und deutschen Zivilgesellschaft gestaumlrkt wer-den muss Sofern der Petersburger Dialog in Zukunft dafuumlr ein Forum bietet werden wir uns gern daran beteiligen[Unterzeichner nicht veroumlffentlicht]Quelle Website der Boumlll-Stiftung lthttpwwwboelldede20141013reform-petersburger-dialog-ueberfaelliggt

offener Brief an den Vorsitzenden des Petersburger Dialogs lothar de maiziegravere vom 10 oktober 2014

- Offener Brief -HerrnDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des VorstandsPetersburger Dialog eVSchillerstraszlige 5910627 Berlin

Berlin 10 Oktober 2014Petersburger Dialog 2014 in SotschiSehr geehrter Herr de Maiziegravereals Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher zivilgesellschaftlicher Organisationen die seit der Gruumlndung des Petersburger Dialogs 2001 uumlber viele Jahre hinweg an dieser Veranstaltung teilgenommen haben moumlchten wir Ihnen gegenuumlber folgende Erklaumlrung abgeben

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 32

Wir haben uns entschieden am 14 Petersburger Dialog in Sotschi nicht teilzunehmen der fuumlr den 29ndash31 Okto-ber angekuumlndigt worden ist Fuumlr diese Entscheidung die wir sorgfaumlltig diskutiert und abgewogen haben moumlchten wir drei Gruumlnde anfuumlhren1 Der Petersburger Dialog in seiner jetzigen Form steckt in einer Krise Von Jahr zu Jahr wird er seinem eigenem

Anspruch weniger gerecht Die Veranstaltung soll dem zivilgesellschaftlichen Dialog dienen Tatsaumlchlich sind Struktur Nominierungsverfahren und Programm des Petersburger Dialogs maszliggeblich von Akteuren aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert Unter diesen Voraussetzungen erfuumlllt der Petersburger Dialog leider nicht sein in seiner Satzung formuliertes Ziel ein raquooffenes Diskussionsforumlaquo zu sein das die raquoVerstaumlndigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Laumlnderlaquo foumlrdert Der Petersburger Dialog bedarf dringend einer grundlegenden Reform wie sie auch CDUCSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 eingefordert haben Gerne wuumlrden wir uns aktiv an einem Prozess zur Reformierung des Petersburger Dialogs beteiligen der auf eine pluralistische Zusam-mensetzung beider Lenkungsausschuumlsse und eine deutlich staumlrkere Ausrichtung auf unabhaumlngige zivilgesellschaft-liche Akteure zielt ohne den interdisziplinaumlren Ansatz der Veranstaltung aufzugeben

2 Die Situation in der sich Teile der Zivilgesellschaft in Russland befinden erfuumlllt uns mit groszliger Sorge Das betrifft auch Partnerorganisationen und Personen mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten Diese Organisa-tionen uumlben fuumlr Russland und daruumlber hinaus wichtige gesellschaftliche Funktionen aus Die Behinderung ihrer Arbeit durch buumlrokratische Huumlrden aber auch durch willkuumlrliche rechtliche Restriktionen und politische Diffa-mierung sind inakzeptabel Daruumlber koumlnnen wir nicht zur Tagesordnung uumlbergehen Wir wollen nicht zu Kron-zeugen fuumlr einen vorgeblich freien Austausch werden waumlhrend zugleich die kritische Zivilgesellschaft in Russland massiv und systematisch unter Druck gesetzt wird

3 In Teilen der Ukraine herrscht ein Kriegszustand fuumlr den die russische Fuumlhrung eine maszliggebliche Verantwor-tung traumlgt Wichtige Vertreter dieser Fuumlhrung spielen eine Schluumlsselrolle im Petersburger Dialog einschlieszliglich des fruumlheren Ersten Stellvertretenden Ministerpraumlsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden von Gazprom Wiktor Subkow der der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs ist Vor diesem Hin-tergrund moumlchten wir nicht durch unsere Teilnahme dazu beitragen dass eine Normalitaumlt in den deutsch-russi-schen Beziehungen simuliert wird die es derzeit wegen des Angriffs auf die politische Souveraumlnitaumlt und territo-riale Integritaumlt der Ukraine nicht geben kann

Wir waren und sind weiter sehr an einem offenen Dialog uumlber deutsch-russische Belange in einem gesamteuropaumli-schen Kontext interessiert und halten ihn fuumlr eine Bedingung guter Nachbarschaft und Kooperation Ein solcher Dia-log muss aber auch von beiden Seiten gewollt und ermoumlglicht werden Er darf zugleich nicht zum Nachteil Dritter gefuumlhrt werden Angesichts der aktuellen Lage und der bereits bekannt gewordenen Programmvorschlaumlge fuumlr Sotschi sehen wir auch diese Voraussetzung gefaumlhrdet

Dessen ungeachtet werden wir jede Moumlglichkeit nutzen unsere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Grup-pen und anderen Akteuren in Russland zu vertiefen und dieses Potential in einen bilateralen und europaumlischen Dia-log einzubringenMit freundlichen GruumlszligenRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter Politik Greenpeace eVQuelle lthttpwwwaustauschorgaktuelle-meldungennewsdetailarticle1offener-brie-1htmlno_cache=1ampcHash=0428c5bffdgt

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offener Brief des Vorsitzenden des Petersburger Dialogs vom 13 oktober 2014

AnRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich-Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace eVBerlin 13 Oktober 2014Ihr Schreiben vom 10 Oktober 2014Sehr geehrte Damen und HerrenIhren offenen Brief habe ich erhalten Dass Sie einen Brief aumlhnlichen Inhalts zunaumlchst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Auszligenminister verschickt haben verwundert mich Sie geben damit fuumlr die zivilgesell-schaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung die Sie fuumlr die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren

Ihre Nichtbeteiligung am Petersburger Dialog bedaure ich Denn es entspricht der Uumlberzeugung der meisten Mit-glieder des Vorstandes und des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs dass gerade angesichts zweifellos vorhan-dener Probleme fuumlr die Zivilgesellschaft die Sie teilweise benennen die offensive Auseinandersetzung zu solchen The-men gesucht werden muss Indem man sich solchen Gespraumlchen entzieht schadet man den Interessen der Betroffenen

Sie schreiben der Petersburger Dialog sei im Inneren zu reformieren da er von Vertretern aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert sei Diese Feststellung ist falsch und Sie wissen das Das auch in der Satzung des Petersbur-ger Dialogs beschriebene Konzept des Dialogs beruht auf einem breiten Gedankenaustausch aller gesellschaftlichen Kraumlfte Dazu gehoumlren die Bereiche Kultur Medien Bildung Wissenschaft und Kirchen genauso wie zahlreiche im Bereich der politischen sowie der sozialen Menschenrechte engagierte Einrichtungen die in ihrer Gesamtheit das deutsch-russische Verhaumlltnis beleben

Sie versuchen in Ihrem Brief den Petersburger Dialog auf das enge Feld einiger Vertreter der Zivilgesellschaft zu reduzieren die jenseits der korporierten Zivilgesellschaft angesiedelt sind und deren Interessenspektrum nur einen Teil des gesamten zivilgesellschaftlichen Engagements abdeckt

Ich verkenne nicht die ndash auch aber nicht nur ndash in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu Tage getretenen Probleme sowie die unterschiedlichen Folgen die sich aus einer raquogelenkten Demokratielaquo die in vielem nicht westli-chen Standards entspricht ergeben Dennoch Gemessen an weiten Bereichen der russischen Geschichte ist die Ent-wicklung seit 1991 ein Fortschritt Das daraus resultierende wenn auch im letzten Jahr stark eingetruumlbte Vertrauens-potential muss fuumlr die auf vielen Ebenen notwendigen Gespraumlchsforen genutzt und ausgebaut werden

Derartige Gespraumlche bedingen genauso Realismus wie intellektuelle Disziplin wozu auch gehoumlrt zu verstehen wie Russland die Probleme versteht Dies ndash und nicht Gespraumlchsverweigerung ndash ist die Voraussetzung um auf allen demokratischen gesellschaftlichen Ebenen ndash vom politischen Machtzentrum bis in die Randgruppen hinein ndash pro-blemorientierte Gespraumlche fuumlhren zu koumlnnen Dabei darf keine Seite fuumlr sich in Anspruch nehmen legitimere Inte-ressen zu vertreten als die andere

Das heiszligt Ein Gespraumlch raquoauf Augenhoumlhelaquo nicht von oben herab nicht moralisch belehrend aber mit klaren und ehrlichen Argumenten Dabei duumlrfen wir nicht verschweigen welche gesetzgeberischen aber auch politisch-morali-schen Standards wir fuumlr eine demokratische Gesellschaft im europaumlischen Kontext fuumlr unabdingbar halten

Der Petersburger Dialog wurde aus guten Gruumlnden als deutsch-russische Gemeinschaftseinrichtung konzipiert Da ist eine ndash oft muumlhsame ndash Kompromissfindung unausweichlich Dies ist Teil des Wertes auch der Tiefe aber auch der moralischen Qualitaumlt des Dialogs Das Ringen um kompromissfaumlhige Konzepte muss unser Anliegen bleiben nicht Vorverurteilung und GespraumlchsablehnungMit freundlichem GruszligDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des Vorstands Petersburger Dialog e VQuelle Website des Petersburger Dialogs lthttpwwwpetersburger-dialogcomoffener-brief-vom-13-oktober-2014gt

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offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

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9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

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14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 40

LESEhINwEIS

kostenlose e-mail-Dienste der forschungsstelle osteuropa und ihrer Partner auf wwwlaender-analysende

Die Laumlnder-Analysen bieten regelmaumlszligig kompetente Einschaumltzungen aktueller politischer wirtschaftlicher sozialer und kultureller Entwicklungen in Ostmitteleuropa und der GUS Sie machen das Wissen uumlber das die wissenschaft-liche Forschung in reichem Maszlige verfuumlgt fuumlr Politik Wirtschaft Medien und die interessierte Oumlffentlichkeit ver-fuumlgbar Autoren sind internationale Fachwissenschaftler und Experten

Die einzelnen Laumlnder-Analysen werden von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und der Deutschen Gesellschaft fuumlr Osteuropakunde jeweils mit unterschiedlichen Partnern und Sponsoren herausgegeben

Die Laumlnder-Analysen bieten regelmaumlszligig Kurzanalysen zu aktuellen Themen ergaumlnzt um Grafiken und Tabellen sowie Dokumentationen Zusaumltzlich gibt es eine Chronik aktueller Ereignisse

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  • Analyse
    • Eine neue Phase der Russland- und Ostpolitik hat begonnen
      • Karsten D Voigt Berlin
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                      • Analyse
                        • Ein Kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen Engagements zur Unterstuumltzung und Integration von Migranten in Russland
                          • Marina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin
                          • Umfrage
                            • Uumlber die Zivilgesellschaft in Russland
                              • Dokumentation
                                • Luumlgen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des JustizministeriumsErklaumlrung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL
                                  • Notizen aus Moskau
                                    • Petersburger Dialog
                                      • Jens Siegert Moskau
                                      • Dokumentation
                                        • Briefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo
                                          • Chronik
                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 19: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 19

Lesetippsbull Siegert Jens Putin und die Zivilgesellschaft in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 12 06 2013

lthttprusslandboellblogorg20130612putin-und-die-zivilgesellschaftgtbull Siegert Jens Uumlber ein Jahr raquoNGO-Agentenlaquo-Jagd ndash eine Art Zwischenbericht in Russland-Blog (Hein-

rich-Boumlll-Stiftung Moskau) 4 Juni 2014 lthttprusslandboellblogorg20140604ueber-ein -jahr-agenten-jagd-eine-art-zwischenberichtgt

bull Siegert Jens Russische raquoNGO-Agentenjagdlaquo ndash eine Zwischenbilanz in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 7 Juni 2013 lthttprusslandboellblogorg20130607russische-ngo-agentenjagd-eine-zwischenbilanzgt

bull Siegert Jens Erklaumlrung Permer NGOs warum sie sich unter keinen Umstaumlnden als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren lassen in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 26 Mai 2013 lthttprusslandboellblogorg20130526erklarung-permer-ngos-warum-sie-sich-unter-keinen-umstanden-als-auslandische-agenten-registrieren-lassengt

bull Siegert Jens Memorial raquoNGO-Agentengesetzlaquo ist ungesetzlich und unmoralisch Keine freiwillige Registrierung als raquoauslaumlndischer Agentlaquo in Russland-Blog (Heinrich-Boumlll-Stiftung Moskau) 22 September 2013 lthttpruss landboellblogorg20120922memorial-ngo-agentengesetz-ist-ungesetzlich-und-unmoralisch-keine-freiwillige-registrierung-als-auslandischer-agentgt

bull Siegert Jens Sozialer Wandel und politische Dynamik in Russland 201112 in Russland-Analysen Nr 245 19 Oktober 2012 lthttpwwwlaender-analysenderusslandpdfRusslandanalysen245pdfgt

ANALYSE

ein kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen engagements zur Unterstuumltzung und integration von migranten in russlandMarina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin

zusammenfassungObwohl die Wirtschaft Russlands aufgrund der ruumlcklaumlufigen Bevoumllkerungszahl auf Migranten angewiesen ist ist der Groszligteil der Bevoumllkerung des Landes Migranten gegenuumlber skeptisch und oft geradezu fremden-feindlich eingestellt Durch eine schlecht koordinierte staatliche Migrationspolitik ist die Lage der Arbeits-migranten meist prekaumlr Initiativen aus der Zivilgesellschaft versuchen die Situation der Migranten zu ver-bessern und leisten Aufklaumlrungsarbeit in der Bevoumllkerung sowie konkrete Hilfestellungen fuumlr Migranten Die Arbeit solcher Aktivisten wird jedoch oftmals durch staatliche Einmischung erschwert

immigration nach russland als gesellschaftliches ProblemDie widerspruumlchliche Migrationspolitik der russischen Regierung und die aufgeheizte Stimmung in der Bevoumll-kerung haben 2013 zu vermehrten xenophoben Uumlbergrif-fen auf Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien gefuumlhrt (siehe beispielsweise die Unruhen in Birjuljowo im Oktober 2013) Diese Entwicklung wirft die Frage auf welche Haltung die russische Zivilgesellschaft hierzu einnimmt Gibt es zivilgesellschaftliche Initiativen die dieser fremdenfeindlichen Stimmung entgegenwirken

In der russischen Oumlffentlichkeit ist oft von einer Flut von Arbeitsmigranten aus den GUS-Staaten die Rede doch in Wirklichkeit ist die Immigration nach Russ-land im internationalen Vergleich gering Zudem zeigen Zahlen der Staatlichen Statistikbehoumlrde raquoRosstatlaquo dass

die russische Wirtschaft aufgrund der demographischen Entwicklung in zunehmendem Maszlige Arbeitskraumlfte aus dem Ausland benoumltigt (bis 2030 ndash so die Prognose ndash soll die russische arbeitsfaumlhige Bevoumllkerung um 103 Mil-lionen Menschen abnehmen)

Trotzdem gibt es starke fremdenfeindliche Stimmun-gen die sich gegen Immigranten aus Zentralasien und dem Kaukasus richten Diese Ablehnung von Migran-ten hat zugenommen und schafft den Naumlhrboden fuumlr Pogrome wie 2006 in Kondopoga 2010 auf dem Mos-kauer Manegenplatz sowie 2013 in der Stadt Pugat-schow und dem Moskauer Vorort Birjuljowo Angst und Verachtung gegenuumlber Fremden ziehen sich durch alle Gesellschaftsschichten Sie werden als Kriminelle und Illegale stigmatisiert und nicht nur Nationalisten ver-wenden die Losung raquoRussland den Russenlaquo um Ras-

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 20

sismus zu schuumlren und die Stimmung gegen Migranten weiter anzuheizen

es gibt keine migrationspolitikDiese interethnischen Konflikte spiegeln sich auch im russischen Alltag wieder Der durch den Foumlderalen Migrationsdienst praktizierte administrative und poli-zeiliche Umgang mit Migration ist nicht effektiv Eine Stigmatisierung der Migranten als potenzielle Krimi-nelle und eventuelle Uumlberlegungen zur Verschaumlrfung des Migrationsgesetzes koumlnnen die Probleme nicht loumlsen die gerade auch auf kommunaler Ebene anfallen Die nur situativen politischen Maszlignahmen fuumlhren mitunter zu einer Verschaumlrfung des Problems Eine uumlbergreifende Strategie existiert nicht die Politik weiszlig auf die Migra-tionsfrage keine Antwort Ein autoritaumlres zentralisier-tes System ist nicht im Stande die regionalen Probleme dieses riesigen Landes zu loumlsen deshalb liegt es vor allem an der Zivilgesellschaft sich diesen Themen zu widmen

zivilgesellschaftliche Projekte AufklaumlrungsarbeitIn Moskau und Sankt Petersburg gibt es verschiedene nichtstaatliche Projekte die sich sowohl fuumlr mehr Tole-ranz als auch fuumlr die Integration der Migranten einsetzen

Einige von ihnen bestehen schon mehrere Jahre Boris Romanow ist einer der Gruumlndervaumlter eines zivil-gesellschaftlichen Netzwerks zur Unterstuumltzung von Menschen mit Migrationshintergrund in Sankt Peters-burg Er arbeitet mit den unterschiedlichsten NGOs zusammen die zu Themen wie Toleranz Antirassis-mus Homophobie Antiziganismus und Antisemitis-mus arbeiten Finanziert durch das Goethe-Institut rief er 2012 raquoRespektlaquo ins Leben ein Comic-Projekt inter-nationaler Kuumlnstler mit dessen Hilfe Schuumller ihr Den-ken uumlber Fremde reflektieren und selbst in Frage stel-len koumlnnen Laut Romanow scheitern solche Projekte oft an der Buumlrokratie der Kommunen Durch das neue NGO-Gesetz gebe es kaum noch Kontaktmoumlglichkei-ten zu staatlichen Schulen erlaumlutert Romanow so dass eine Zusammenarbeit houmlchstens uumlber einzelne Lehrer nicht jedoch uumlber die Schuldirektion moumlglich sei Dies widerspreche dem Konzept zivilgesellschaftlicher Arbeit die vor allem jedermann offen stehen will Durch das geschlossene staatliche Schulsystem komme es selten zu einer Kooperation mit interessierten Lehrern Die Zusammenarbeit von Staat und Zivilgesellschaft ist unabdingbar macht aber die Finanzierung der Projekte schwierig da sie im Falle einer Unterstuumltzung auslaumln-discher Sponsoren unter das neue NGO-Gesetz fallen

Im Zuge der neuen NGO-Gesetzgebung wurde das Antidiskriminierungszentrum raquoMemoriallaquo in Sankt Petersburg geschlossen Dessen ehemaliger Mitarbei-

ter Andrej Jakimow ist Anthropologe Seine langjaumlh-rige Arbeit mit ethnischen Minderheiten wie Sinti und Roma Arbeitsmigranten und Staatenlosen macht ihn zu einem erfahrenen Koordinator der raquoStiftung zur Unter-stuumltzung und Entwicklung von Bildungs- und Sozial-projektenlaquo (raquoPSP-Fondlaquo) in Sankt Petersburg Auch fuumlr ihn zaumlhlt die aktive Aufklaumlrungsarbeit zu den wichtigs-ten Punkten seines zivilgesellschaftlichen Engagements Die juristische und psychologische Betreuung von Mig-ranten stehen neben der Sensibilisierung der russischen Bevoumllkerung im Zentrum seiner Arbeit Seiner Erfah-rung nach interessieren sich die OSZE und die UNO nur marginal fuumlr diese Themen also muumlssen die Pro-bleme der Arbeitsmigranten auf nationaler Ebene geloumlst werden Seine Kontakte zu verschiedenen Netzwerken in den Auswanderungslaumlndern helfen den Migranten sich schon vor der Einreise nach Russland auf den Aufenthalt vorzubereiten In der Zusammenarbeit von Staat und Experten sieht Jakimow eine Moumlglichkeit eine effek-tive Migrationspolitik zu entwickeln

fuumlr die Verbesserung der migrationspolitikAumlhnlich denken auch Wjatscheslaw Postawnin und Natalja Wlasowa die die Stiftung raquoMigrazija XXI weklaquo (raquoMigration im 21 Jahrhundertlaquo) gegruumlndet haben Sie selbst sind ehemalige Mitarbeiter des Foumlderalen Migra-tionsdienstes und kennen die staatliche Migrationspoli-tik von innen Die Regierung unter Putin scheint keiner-lei Loumlsungsansaumltze fuumlr die immer staumlrker zunehmende Xenophobie in Russland zu erarbeiten In den fuumlnf Jah-ren ihrer Existenz hat sich die Organisation in Mos-kau zu einem unabhaumlngigen intellektuellen und wissen-schaftlichen Zentrum entwickelt das Vorschlaumlge fuumlr die Verbesserung der staatlichen Migrationspolitik ausarbei-tet Diese Vorschlaumlge werden oft von der Administration des Praumlsidenten beruumlcksichtigt jedoch nicht sofort und ohne Nennung der Urheberschaft In Zusammenarbeit mit der Weltbank und dem Netzwerk raquoMirpallaquo (raquoMigra-tion and Remittance Peer-Assisted Learninglaquo) erstellt die Organisation Statistiken zu den Migrationsstroumlmen aus den GUS Staaten die oftmals stark von den offiziellen Zahlen des Foumlderalen Migrationsdienstes abweichen

fluumlchtlingsarbeitDie von Swetlana Gannuschkina einer wichtigen Men-schenrechtlerin in Russland 1990 mitbegruumlndete Orga-nisation raquoGrashdanskoje sodejstwijelaquo (raquoBuumlrgerhilfelaquo) beschaumlftigt sich nicht nur mit Arbeitsmigration sondern zu vier Fuumlnfteln mit Fluumlchtlingen Es war die erste Orga-nisation dieser Art in Moskau und wurde im Zusam-menhang mit dem Konflikt um Berg-Karabach und dem Krieg in Tschetschenien gegruumlndet um den Fluumlchtlin-gen aus diesen Regionen zu helfen Die Unterstuumltzung

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 21

der Arbeitsmigranten umfasst juristische Konsultation und die Loumlsung administrativer Fragen z B bei nicht ausgezahlten Gehaumlltern Deportationen Einreisever-boten Die Organisation stellt juristischen Beistand bei unbegruumlndeten Klagen gegen Migranten hilft bei Kla-gen gegen Arbeitgeber wegen nicht ausgezahlter Loumlhne fuumlhrt ein Projekt gegen Hate Crimes durch und veran-staltet Spendenaktionen auf ihrer Webseite Besonders die aumlrztliche Versorgung ist wichtig da der staatliche Notdienst Migranten oft seine Hilfe verwehrt raquoGrash-danskoje sodejstwijelaquo arbeitet eng mit dem Fluumlchtlings-hilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) der Inter-nationalen Organisation fuumlr Migration (IOM) und mit dem Netzwerk raquoMigrazija i prawolaquo (raquoMigration und Rechtlaquo) einem Programm des Menschenrechtszentrums raquoMemoriallaquo zusammen Obwohl in der offiziellen Rhe-torik die Bedeutung der Migration fuumlr Russland unter-strichen wird (wie zum Beispiel in der raquoKonzeption der staatlichen Migrationspolitik 2025laquo) beobachtet man in der Praxis meist die stumme Hinnahme der Uumlber-griffe auf Arbeitsmigranten Nach dem Inkrafttreten des NGO-Gesetzes fand bei der Organisation eine Uumlberpruuml-fung durch die Staatsanwaltschaft statt Ob und wenn ja wie dieses Projekt weiterlaufen wird ist bis heute unklar

Arbeit mit fluumlchtlingskindernIm Rahmen der Organisation raquoBuumlrgerhilfelaquo gibt es zudem ein raquoZentrum fuumlr Integration und Unterricht fuumlr Fluumlchtlingskinderlaquo da das staatliche Programm mit dem Kinder mit Migrationshintergrund Russisch lernen nicht ausreichend ist

Aumlhnlich wie ihre Kollegen aus Moskau arbeiten die Freiwilligen des zivilgesellschaftlichen Projekts raquoDeti Peterburgalaquo (raquoKinder von Petersburglaquo) mit Kindern des-sen Eltern aus den unterschiedlichsten Gruumlnden nach Russland immigriert sind Zwei Projektkoordinatoren der Organisation raquo[Wahl]Beobachterlaquo Daniil Ljubarow und Irina Beljaewa haben 2012 raquoDeti Peterburgalaquo gegruumlndet Angefangen mit einem Angebot von Russisch-Grundkur-sen fuumlr Vorschuumller mit Migrationshintergrund hat sich dieses Programm mittlerweile so weit entwickelt dass Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre an sechs verschie-

denen Standorten in Sankt Petersburg an Russischkursen teilnehmen koumlnnen Bis 2014 hatte es noch nicht einmal feste Raumlumlichkeiten gegeben die Mitarbeiter der raquoDeti Peterburgalaquo organisierten sich ausschlieszliglich uumlber soziale Netzwerke Der virtuelle Raum verbindet diese Organi-sation auch mit anderen zivilgesellschaftlichen Projek-ten So zieht das Projekt nicht nur politische Aktivisten an sondern vor allem Paumldagogen Linguisten und Stu-denten die die Kurse vorbereiten und durchfuumlhren Der Aufbau von kreativen Zirkeln gehoumlrt genauso zur Arbeit von raquoDeti Peterburgalaquo wie die Koordination von Ausfluuml-gen in die Umgebung Museen oder Theatern Das Pro-jekt ist abhaumlngig von seinen Teilnehmern Die fehlen-den Sprachkenntnisse der Eltern fuumlhren oft zu groszligen Kommunikationsproblemen Aber auch die wechselnden und meist aumluszligerst schwierigen Arbeitszeiten der Eltern erschweren die Durchfuumlhrung des Projekts Die staumldti-sche Buumlrokratie versucht den Elan der Mitarbeiter zu bremsen Auch deshalb bleibt das Projekt nichtstaatlich

fazitMisstrauen gegenuumlber der Regierung soziale Probleme und Alltagsrassismus bewegen immer mehr Menschen dazu sich eigenstaumlndig mit der negativen Entwicklung beim Umgang mit Migranten zu beschaumlftigen Aus Inter-views mit den Mitarbeitern der verschiedenen Organisa-tion laumlsst sich schlieszligen dass eine russische Zivilgesell-schaft entstanden ist die die Migrationsfrage einerseits als Arbeit mit der Mehrheits- also russischen Bevoumllkerung betrachtet um diese zu sensibilisieren Anderseits gibt es Initiativen die vor allem konkrete Hilfe fuumlr Migranten leisten um deren alltaumlgliche Probleme zu minimieren

Die Zivilgesellschaft bemuumlht sich Vorurteile abzu-bauen die Migrationspolitik realistischer zu machen und Migranten wie Fluumlchtlingen konkrete Hilfestellung zu geben Die Behoumlrden sabotieren diese Arbeit In den Groszligstaumldten wird der Zuzug von Migranten restriktiv gehandhabt Arbeitgeber wissen um den oft schwierigen Status der Migranten und nutzen die Situation aus um die Migranten weiter auszubeuten Die Arbeit der Zivil-gesellschaft zur Sensibilisierung der russischen Bevoumllke-rung wird durch die offizielle Politik oft konterkariert

Uumlber die AutorenIm Rahmen des Projektkurses raquoZiviler Ungehorsam Gesellschaft und Staat in Osteuropalaquo reisten die Studierenden des Osteuropa-Instituts der Freien Universitaumlt Berlin Michael Bellmann und Kristina Arisov nach Moskau sowie Marina Grinfeld und Christina Huthmann nach St Petersburg um mit Aktivisten und Organisationen die sich fuumlr die Integration von Migranten in Russland einsetzen Interviews zu fuumlhren und die Position der Zivilgesellschaft zur Migrationsproblematik zu analysieren

Lesetippsbull Judah Ben Russiarsquos Migration Crisis in Survival 552013 Nr 6 S 123ndash131

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 22

bull Malakhov Vladimir S Russia as a New Immigration Country Policy Response and Public Debate in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1062ndash1079

bull Schenk Caress Controlling Immigration Manually Lessons from Moscow (Russia) in Europe-Asia Studies 652013 Nr 7 S 1444ndash1465

bull Spahn Susanne Die gelenkte Xenophobie Migration und nationale Frage in Russland Russland nur fuumlr Russen in Osteuropa 642014 Nr 7 S 55ndash67

bull Tipaldou Sofia Katrin Uba The Russian Radical Right Movement and Immigration Policy Do They Just Make Noise or Have an Impact as Well in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1080ndash1101

UmFRAGE

Uumlber die zivilgesellschaft in russland

zur zivilgesellschaftlichen und politischen Aktivitaumlt der russen

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 15 stellen sie sich vor ihre nachbarn schlagen eine gemeinsame muumlllsammelaktion in der nahegelege-nen Parkzone vor Was waumlren sie bereit zu uumlbernehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator der Aktionwerden

An der Aktionmitwirken

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 16 haben sie im vergangenen halbjahrJahr hellip

0 20 40 60 80 100

hellip an den Aktivitaumlten einer non-profit Organisation teilgenommen als Freiwilliger gearbeitet

hellip sich mit gesellschaftlichen Problemen an ihrem Wohnort beschaumlftigt

hellip an Groszligveranstaltungen Demonstrationen Streiks Kundgebungen Umzuumlgen teilgenommen

Ja Keine Antwort Nein

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 23

grafik 17 stellen sie sich vor dass es an ihrem Wohnort zu massenhaften Wahlfaumllschungen kommt irgend-jemand ruft zur Durchfuumlhrung von Protestaktionen gegen die Wahlfaumllschungen auf Was wuumlrden sie unternehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator dieser Aktionwerden

An dieser Protestaktionteilnehmen

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 18 Waren sie haben sie sich in den vergangenen einndashzwei Jahren hellip

0 20 40 60 80 100

hellip Mitglied einer politischen Partei

hellip Wahlbeobachter

hellip an der Arbeit einer Menschenrechtsorganisation beteiligt

hellip sich im Internet (in sozialen Netzwerken auf Foren) zu politischen Themen geaumluszligert

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

zur gesellschaftlichen Aktivitaumlt

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

grafik 19 haben sie persoumlnlich in den vergangenen zweindashdrei Jahren an der taumltigkeit einer gesellschaftlichen organisation teilgenommen Wenn ja wie genau (beliebige zahl an Antworten)

6

6

5

2

2

84

1

050

Habe an gesellschaftliche Organisationen gespendetoder andere materielle Hilfe geleistet

Habe an Wohltaumltigkeitsveranstaltungen teilgenommen(Konzerte Ausstellungen Wohltaumltigkeitslotterie Auktionen)

Habe Freiwilligenarbeit geleistet (kostenlos)

Habe gegen Entgelt in einer gesellschaftlichenOrganisation gearbeitet

Habe Informationen zu den Taumltigkeitenvon gesellschaftlichen Organisationen verteilt

Nicht teilgenommen

Anderes

Keine Antwort

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 24

grafik 20 haben ihnen irgendwann einmal gesellschaftliche organisationen geholfen

0 20 40 60 80 100

Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja mit Geld geholfen Ja auf andere Weise geholfen Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

Die oumlffentliche meinung zu ngos mit auslaumlndischer finanzierung (April 2013)

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 21 mit welcher meinung zur taumltigkeit russischer ngos stimmen sie am ehesten uumlberein

Sie bringen einen groszligen Nutzen

4

Sie bringen mehr Nutzen als Schaden

15Sie bringen ebenso viel

Nutzen wie Schaden23

Sie bringen mehr Schaden als Nutzen

18

Sie bringen weder Nutzen noch Schaden

13

Keine Antwort27

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 22 ist es fuumlr sie wichtig ob eine russische menschenrechtsorganisation aus einheimischen oder auslaumln-dischen mitteln finanziert wird

Sehr wichtig10

Eher wichtig34

Nicht besonders wichtig24

Vollkommen unwichtig18

Keine Antwort14

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 25

grafik 23 Welche ziele verfolgen westliche laumlnder und organisationen die russische ngos mit mitteln aus-statten

Einen verstaumlrkten Einfluss auf die russische

Innenpolitik42

Einen Kampf gegen den russischen Staat

19Eine Unterstuumltzung der

russischen Zivilgesellschaft

8

Kein besonderes Ziel russische NGOs werden wie andere aus standardisierten

internationalen Programmen unterstuumltzt

12

Keine Antwort19

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 24 Duumlrfen organisationen die sich mit dem schutz der Buumlrgerrechte beschaumlftigen und den staat kriti-sieren das recht haben mittel aus dem Ausland zu beziehen

Ja20

Nein56

Keine Antwort24

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 25 Unterstuumltzen sie harte sanktionen gegen ngos die einer politischen taumltigkeit nachgehen und gelder aus dem Ausland erhalten sich aber nicht nach dem gesetz als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren

Auf jeden Fall20

Eher ja32

Eher nein15

Auf keinen Fall5

Keine Antwort28

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 26

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luumlgen des fernsehkanals ntV und Beanstandungen des Justizministeriums erklaumlrung des menschenrechtszentrums memoriAl und der russischen gesellschaft

memoriAl

Die Behauptung bei NTV das russische Justizministerium habe die Liquidierung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL eingeleitet fuumlhrte heute zu etlichen Irritationen Das Menschenrechtszentrum und die Russische Gesell-schaft MEMORIAL (die Dachorganisation der russischen Memorial-Verbaumlnde) haben aus diesem Anlass nachste-hende Erklaumlrung abgegeben

Am 10 Oktober strahlte NTV unter dem Titel raquoAuszligergewoumlhnliches Ereignislaquo eine Sendung aus die aus boumlswil-ligen Luumlgen aber auch aus Fehlinformationen in Folge von Unkenntnis bestand

Die Arbeit des Menschenrechtszentrums MEMORIAL als Unterstuumltzung von Extremisten und Terroristen dar-zustellen ist eine infame Luumlge Auf Unkenntnis basiert hingegen die Behauptung das Justizministerium habe des-halb den Antrag gestellt das Menschenrechtszentrum MEMORIAL zu liquidieren

In Wirklichkeit hat das Justizministerium beim Obersten Gericht der Russischen Foumlderation nicht die Aufloumlsung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL beantragt Es geht hier vielmehr um eine andere Organisation naumlmlich die Russische Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIAL

Die russische Gesellschaft MEMORIAL wurde vom Justizministerium bereits 1992 registriert Bis heute befinden sich unter ihrem Dach verschiedene Memorial-Verbaumlnde die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen

Im Jahre 2012 20 Jahre nach der ersten Registrierung tauchten beim Justizministerium ploumltzlich Zweifel hin-sichtlich des russischen Rechtsstatus von Memorial auf obwohl der Gesellschaft praktisch dieselben regionalen Ver-baumlnde angehoumlren wie zuvor und sich die Gesetzeslage in dieser Frage in keinem Punkt geaumlndert hatte

Geaumlndert hat sich allerdings die Position des Justizministeriums das erneut einen raquodemokratischen Zentralismuslaquo anstrebt der nach der Abschaffung der fuumlhrenden Rolle der KPdSU nicht mehr aktuell schien Heute erklaumlrt das Jus-tizministerium nur jene gesellschaftlichen Vereinigungen koumlnnten der Russischen Gesellschaft MEMORIAL ange-houmlren die in ihrer Bezeichnung die Worte raquoVerband (otdelenie) der Russischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklauml-rung Sozialarbeit und Menschenrechte MEMORIALlaquo tragen

Die gesetzliche Vorschrift dass eine Organisation nur dann einen gesamtrussischen Status haben kann wenn sie in uumlber der Haumllfte der Foumlderationssubjekte Verbaumlnde unterhaumllt legt das Justizministerium jetzt dahingehend aus dass diese Verbaumlnde zwangslaumlufig einen Status als Regionalverbaumlnde haben muumlssten Das Vorhandensein von Stadt- und Bezirksverbaumlnden einer Organisation reicht die Beamten als Beleg dafuumlr nicht aus dass die Organisation in der betreffenden Region taumltig ist

Die Vorbehalte des Justizministeriums entbehren jeglicher Grundlage Nicht zufaumlllig erhielten wir auf Anfragen keine Hinweise auf eine Gesetzesnorm Es ist fuumlr uns inakzeptabel dass das Justizministerium das von der Verfas-sung garantierte Recht von Buumlrgern eine Vereinigung zu bilden gesetzwidrig einschraumlnken will Deshalb hat sich die Russische Gesellschaft MEMORIAL bereits 2012 entschlossen vor Gericht zu gehen

Einen Hinweis auf ein Gesetz haben wir auch nicht erhalten als wir 2013 die Forderungen des Justizministeriums im Moskauer Zamoskvorezki-Bezirksgericht und danach im Stadtgericht angefochten haben Beide Instanzen gaben wie nicht anders zu erwarten dem Justizministerium Recht Deshalb wird die Russische Gesellschaft MEMORIAL in Kuumlrze Klage beim Verfassungsgericht einreichen

Was den Antrag des Justizministeriums betrifft so hoffen wir dass das Oberste Gericht bei Behandlung dieses Antrags dem Gesetz und der Verfassung mehr Respekt entgegenbringen wird als die untergeordneten Gerichtsinstanzen

10 Oktober 2014Quelle Website von Memorial Deutschland lthttpwwwmemorialdeindexphpid=42amptx_ttnews[tt_news]=546amptx_ttnews[backPid]=3ampcHash=5bbe9b235a03fe09cba52ed5c8786b99gt

DOkUmENtAtION

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NOtIzEN AUS mOSkAU

Petersburger DialogJens Siegert Moskau

Auf den ersten Blick sieht es so aus als ob ein (egal ob nun willentlich oder nicht) an die Oumlffentlich-

keit gelangter Brief einiger regelmaumlszligiger Teilnehmer des Petersburger Dialogs (PD) aus den Reihen deutscher NGOs an Bundeskanzlerin Merkel und Auszligenminis-ter Steinmeier die Verschiebung des fuumlr Ende Oktober in Sotschi geplanten groszligen Jahrestreffens verursacht haumltte In dem Brief bekraumlftigten die Autoren ihre nicht neue Kritik am PD und erklaumlrten warum sie dieses Jahr nicht teilnehmen wuumlrden Sie betonen dass die Absage kein Boykott sei und bieten ihrerseits einen Dialog zur Reform des Dialogs an Auf den zweiten Blick war der Brief selbstverstaumlndlich nur Anstoszlig aber nicht Grund fuumlr die Verschiebung Doch der Reihe nach

Die in dem Brief geaumluszligerte Kritik am PD ist wie gesagt nicht neu sie hat sie den PD von Anfang an begleitet Das liegt sicher auch an einem bis heute nicht korrigierten Geburtsfehler Ein durch Staats- und Regie-rungschefs initiierter raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo ist schon etwas verquer Das heiszligt nicht dass das nicht gehen koumlnnte Doch dazu haumltten sich die hochgestell-ten Initiatoren (der damalige russische Praumlsident und der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schrouml-der) und ihre (Interims-)Nachfolger spaumlter zuruumlckziehen muumlssen Das haben sie nicht Daran sind sie nicht (allein) Schuld Es war der PD der durch seine Lenkungsor-gane die enge zeitliche und oumlrtliche Verbindung mit den deutsch-russischen Regierungskonsultationen und die zeitweilige Anwesenheit von Praumlsident und Kanzlerin zum Grundstein seiner Wirkungsmaumlchtigkeit erklaumlrte

Auf deutscher Seite wurde versucht dieses Problem organisatorisch sozusagen oumlffentlich-rechtlich zu loumlsen indem moumlglichst alle interessierten politischen Spektren und gesellschaftlichen Gruppen am sogenannten Len-kungsausschuss beteiligt wurden Das gelang zumindest so gut dass es soweit mir bekannt bis heute keine grouml-szligeren Klagen uumlber Nichtberuumlcksichtigung oder Nicht-beteiligung gab Aber die Bundesregierung behielt weit-gehenden Einfluss nicht zuletzt uumlber den alljaumlhrlich sechsstelligen Zuschuss fuumlr die Durchfuumlhrung der Jah-restreffen Auszligerdem wurde der jeweilige Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses zwar nach Abstim-mungen mit den Beteiligten aber letztlich durch den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin bestimmt

In Russlands ist die Sache einfacher Von Anfang an wurde und wird gemacht wird was der Kreml will Schon der erste Vorsitzende des russischen Lenkungs-ausschusses Michail Gorbatschow (immerhin selbst ein ehemaliger Praumlsident) war wie er selbst einmal bekannte

nicht mehr als ein ndash schoumlne Ruumlckuumlbertragung aus dem Russischen ndash raquoSitz-Praumlsidentlaquo Der jetzige Vorsitzende Wiktor Subkow war Datschennachbar von Putin ers-ter stellvertretender Ministerpraumlsident und ist nun Auf-sichtsratsvorsitzender von Gazprom

Die Kritik dass nur eine Simulation eines raquozivilge-sellschaftlichen Dialogslaquo stattfinde wurde von einigen deutschen Teilnehmern bereits auf dem ersten Jahres-treffen des PD im April 2001 in St Petersburg geaumluszligert Es fehlten auf russischer Seite (in der seinerzeit noch ver-einigten Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo) Vertreter russischer NGOs Die Kritik kam an In Russ-land fuumlhrte sie (ohne dass ich hier jetzt ausfuumlhren kann wie) zum ersten Versuch des Kremls auch unabhaumln-gige NGOs in das korporative System der gelenkten Demokratie zu zwingen Der Versuch misslang weitge-hend und muumlndete in einer Art Waffenstillstand und der Gruumlndung eines raquoMenschenrechtsrats beim Praumlsi-dentenlaquo unter Einbeziehung von Vertretern unabhaumlngi-ger NGOs Beim PD wurde die Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo in ihre zwei Namensbestandteile geteilt und es gelang uumlber die Jahre in immer wieder unternommenen Anstrengungen auch die Teilnahme unabhaumlngiger russischer NGO-Vertreter durchzuset-zen Etwas spaumlter wurde diese Teilnahme sogar vor-sichtig institutionell abgesichert indem erst Ella Pam-filowa und spaumlter ihr Nachfolger Michail Fedotow als Vorsitzende des inzwischen zum raquoZivilgesellschaftsratlaquo umbenannten raquoMenschenrechtsratslaquo zu den russischen Koordinatoren der Arbeitsgruppe raquoZivilgesellschaftlaquo mit Einladungsrecht wurden (wobei die Einladungen selbst-verstaumlndlich mit der Praumlsidentenadministration abge-stimmt werden muumlssen) Das ist bis heute so

Die Verfasser des Briefes (zu denen ich bekenne mich auch ich gehoumlre) allesamt langjaumlhrige Teilneh-mer der Jahrestreffen des PD haben all die Jahre immer wieder auch oumlffentlich uumlber den Sinn und Unsinn ihrer Teilnahme und Unterstuumltzung diskutiert Letztendlich uumlberwogen die ganze Zeit uumlber zwei Uumlberlegungen Ers-tens ist ein Dialog auch und gerade auf offizieller Ebe-nen und mit offiziellen Vertretern des russischen Staates (wie auch mit Wissenschaftlern Unternehmern Journa-listen Priestern usw welcher politischen Couleur auch immer sie sein moumlgen) erst einmal besser als kein Dia-log Zweitens gingen wir all die Jahre davon aus dass die nicht ohne Muumlhen erreichte Teilnahme unabhaumln-giger russischen NGO-Vertreter fuumlr sie ihre Organisa-tionen aber auch die russische NGO-Szene insgesamt zumindest einen kleinen zusaumltzlichen Schutz gegen die

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seit Putins Amtsantritt immer wieder uumlber das Land gehenden Repressionswellen bietet1 Was hat sich dieses Jahr geaumlndert Erst einmal nicht

so viel gegenuumlber dem Vorjahr Es war schon immer siehe oben eine schwierige Abwaumlgung ob die Teil-nahme am PD sich lohnt oder nicht vielmehr dazu beitraumlgt so zu tun als gaumlbe es in Russland die unein-geschraumlnkte und ungefaumlhrdete Moumlglichkeit sich zivilgesellschaftlich auch dort zu engagieren wo es dem Staat weh tut Zwei Ereignisse haben nun aber zumindest fuumlr die Autoren des Briefes das Pen-del zur anderen Seite ausschlagen lassen Die Kon-frontation zwischen dem Westen (ich weiszlig um die Bedingtheit des Begriffs verwende in der Kuumlrze hal-ber aber trotzdem) und Russland im Konflikt in der und um die Ukraine ist nicht einfach die Fortset-zung schon laumlnger existierender raquoMeinungsverschie-denheitenlaquo Sie ist tiefer und prinzipieller Es geht eben im Kern nicht in erster Linie um Geopolitik sondern wieder einmal um ich fuumlrchte hier weder den Pathos noch historische Analogien Freiheit und Demokratie in Europa

2 Die Repressionen gegen russische NGOs unsere prinzipiellen Partner in der Verteidigung von Demo-kratie und Freiheit haben mit dem sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo eine neue Qualitaumlt erreicht 15 NGOs sind inzwischen zwangsweise zu raquoauslaumln-dischen Agentenlaquo erklaumlrt worden anderen droht die Schlieszligung aufgrund anderer Gesetze Einige von ihnen waren sogar zum nun verschobenen Treffen in Sotschi eingeladen Sie mussten sich Gedanken machen ob eine Zusage oder eine Absage ihnen nicht schaden koumlnnte

Unter diesen Umstaumlnden halten die Verfasser des Brie-fes ihre Teilnahme am PD fuumlr nicht mehr moumlglich Sie fordern keinen Boykott wohl aber ein Nachdenken uumlber eine tiefgreifende Reform

Der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses Lothar de Maiziere hat in einem eigenen offenen Brief geantwortet und den Verfassern vorgeworfen den Dia-log verweigern und politisieren zu wollen Diese (Gegen-)Klage scheint mir angesichts der vielfaumlltigen Verbindun-gen und Dialogformen die die Organisationen hinter den Unterzeichnern des Briefes seit vielen Jahren und oft laumlnger als der PD organisieren an denen sie teil-nehmen und die sie foumlrdern nicht sonderlich stichhal-tig Doch die Auseinandersetzung geht tiefer De Mai-ziere behauptet in seinem Brief der PD mache bereits all das was die Kritiker fordern Genau das bezweifeln diese aber Die Auseinandersetzung geht also und vor allem darum was ein fruchtbarer Dialog zu leisten im Stande sein kann und leisten sollte Sie geht aber auch darum ob dieser Dialog zwischen zwei Gesellschaf-

ten stattfindet nach dem Motto hier die eine dort die andere oder ob sich die Seiten bei diesem Dialog inei-nander verschraumlnken

Die Verfasser des Briefes sind ganz offensichtlich mit ihrer Kritik nicht allein Schon bevor der Brief oumlffent-lich bekannt wurde hatten die Bundestagsabgeordne-ten Andreas Schockenhoff (CDUCSU) und Marieluise Beck (Buumlndnis 90 Die Gruumlnen) in oumlffentlichen Stel-lungnahmen Aumlhnliches gefordert und auch ihre Nicht-Teilnahme erklaumlrt Etwas spaumlter wurde bekannt dass auch der Russland-Beauftragte der Bundesregierung Gernot Erler nicht nach Sotschi fahren wollte Mehr noch Bereits seit dem Fruumlhsommer gab es Gespraumlche zwischen Kanzleramt und Auswaumlrtigem Amt mit dem Ziel den PD sowohl personell als auch strukturell zu reformieren Allerdings setze sich augenscheinlich die Sichtweise des Auswaumlrtigen Amtes durch alles vorerst beim Alten zu belassen da es auch so schon genug Pro-bleme im deutsch-russischen Verhaumlltnis gebe und man diesen Kanal nicht auch noch belasten oder gar gefaumlhr-den solle

Doch zum Herbst hat sich die Situation noch ein-mal veraumlndert Die Hoffnung die russische Fuumlhrung um Praumlsident Putin werde im Krieg in der Ostukraine ein-lenken ist selbst im Auswaumlrtigen Amt bis in die Spitze kaum noch zu finden Im Sommer bekam das russische Justizministerium zudem per erneuter Gesetzesaumlnde-rung das Recht NGOs zwangsweise zu raquoAgentenlaquo zu erklaumlren und macht seither rege Gebrauch davon Eine ganze Reihe russischer NGOs steht vor der Schlieszligung oder loumlst sich auf weil ihnen die vom Gesetz geforderte Selbstetikettierung als raquoauslaumlndische Agentenlaquo ethisch rechtlich und praktisch unmoumlglich ist

Es sieht so aus als haumltten die Verfasser des Briefes nur eine Tuumlr geoumlffnet hinter der andere darunter die Kanzlerin nur darauf gewartet haben durch sie hin-durch gehen zu koumlnnen ohne selbst der Tuumlroumlffnung geziehen zu werden

Ein wenig verwundert die erstaunlich milde russi-sche Reaktion Nach der kurzen Drohung eine Verschie-bung bedeute das Ende des PD lenkte Putin im Telefo-nat mit Merkel ein und fand tags darauf sogar oumlffentlich verstaumlndnisvolle Worte fuumlr die raquoProbleme der deutschen Seitelaquo Das duumlrfte zwei Gruumlnde haben Der eine ist dass trotz des haumlufiger gewordenen Deutschland-Bashings im russischen Staatsfernsehen (mit dem Ergebnis dass in Umfragen Deutschland aus der Kategorie raquoFreundlaquo in die Kategorie raquoFeindlaquo abgerutscht ist) Deutschland im Kreml immer noch als wichtigster raquostrategischerlaquo Part-ner im Westen und vor allem in der EU gilt Zudem ist Deutschland zweifellos ein Land dessen oumlffentliche Meinung (und damit Politik) aus russischer Sicht durch-aus beeinflussbar ist (was z B die kolportierten rund

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140 Millionen US-Dollar zum Aufbau eines deutsch-sprachigen Programms des staatlichen Auslandsfernse-hens raquoRussia Todaylaquo zeigen)

Der andere liegt in einem erneuten Strategiewech-sel (oder weniger ambitioniert Wechsel der Taktik) im Ukraine-Konflikt Die Sanktionen beiszligen inzwi-schen kraumlftig Die Rhetorik wurde daher gemildert Der Kreml ist ganz auf Frieden und dieser Ausdruck aus dem Sport sei erlaubt Ergebnissicherung bedacht (was uumlbrigens Putins grundsaumltzlicher Taktik auch im Inne-ren Russlands entspricht erst hart zuzuschlagen dann eine Schritt zuruumlck zu gehen und einen Kompromiss zu suchen nach dem es fuumlr seine Gegner nachher schlech-ter steht als vorher) Neues Ziel scheint nun also zu sein die raquoErrungenschaftenlaquo Krim (als Teil Russlands) und raquoNeurusslandlaquo (als neuen raquoFrozen Conflictlaquo) zu fixieren und trotzdem mit dem Westen wenn schon nicht gut-freund zu werden so doch zumindest erneut zu einem einigermaszligen vertraumlglichen Modus Vivendi zu gelan-gen Das Gas duumlrfte nach den Mailaumlnder Gespraumlchen

und bei allem Geknurre im Winter stroumlmen und auch im Nahen Osten stellt Moskau weniger Widerspenstig-keit in Aussicht

Was heiszligt das fuumlr die Zukunft des PD Erstmal ist sie offen Zuerst muss sich die deutsche Seite neu ord-nen (hier hat Putin sogar Recht) Nachdem sich Angela Merkel persoumlnlich um eine russische Akzeptanz fuumlr die Verschiebung von Sotschi bemuumlht hat kann ich mir allerdings nicht vorstellen dass es in einigen Wochen oder Monaten ein Zuruumlck zum status quo ante gibt Ob und wie sich ein neu aufgestellter deutscher Lenkungs-ausschuss mit einem neuen Konzept mit der russischen Seite verstaumlndigen kann laumlsst sich momentan kaum voraussagen Es ist zwar einen Versuch wert haumlngt aber wohl sehr von der dann herrschenden politischen Groszlig-wetterlage ab

Diesen und andere Texte finden Sie auf Jens Siegerts Russ-landblog lthttprusslandboellblogorggt

Lesetippbull Poumlrzgen Gemma Dringend reformbeduumlrftig Der Petersburger Dialog auf dem Pruumlfstand in Osteuropa 602010

Nr 10 S 59ndash81

DOkUmENtAtION

Briefwechsel uumlber die zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo

schreiben von nichtregierungsorganisationen und einzelpersonen an die Bundeskanzlerin und den Auszligenminister zum raquoPetersburger Dialoglaquo 2 oktober 2014 [nachtraumlglich veroumlffentlicht]

Berlin 02 Oktober 2014Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerals Personen die sich seit vielen Jahren intensiv im zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland engagieren wenden wir uns mit diesem Schreiben an Sie um zu erlaumlutern warum wir uns in diesem Jahr nicht am Petersburger Dialog beteiligen koumlnnen Zugleich moumlchten wir fuumlr eine Erneuerung des Petersburger Dialogs werben

In Reaktion auf die politische Wende in der Ukraine die durch eine breite gesellschaftliche Protestbewegung hervor-gerufen wurde hat die russische Fuumlhrung voumllkerrechtswidrig die Krim annektiert und einen unerklaumlrten Krieg neuen Typs im Osten der Ukraine begonnen Zugleich betreibt die Regierung unter Praumlsident Putin die systematische Ausschal-tung der letzten unabhaumlngigen Medien in Russland die Kriminalisierung aller Formen politischer Opposition und die Diskreditierung unabhaumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen als raquoauslaumlndische Agentenlaquo Mittlerweile wurden 12 russische Nichtregierungsorganisationen vom russischen Justizministerium zwangsweise auf die Liste raquoauslaumlndischer Agentenlaquo gesetzt und sind daher zukuumlnftig verpflichtet sich bei jeder oumlffentlichen Aumluszligerung wahrheitswidrig selbst als solche zu bezichtigen Zehn dieser Organisationen spielen in der deutschrussischen zivilgesellschaftlichen Zusammen-arbeit seit Jahren eine wichtige Rolle einige von ihnen haben mehrfach am Petersburger Dialog teilgenommen Gegen einige von ihnen sind bereits existenzbedrohende Strafgelder wegen Verstoszliges gegen das sog Agentengesetz verhaumlngt

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worden Es drohen Organisationsschlieszligungen und die Kriminalisierung der Vorstaumlnde Unter diesen inneren und aumluszlige-ren Bedingungen koumlnnen wir uns nicht an einer Neuauflage des Petersburger Dialogs in der bisherigen Form beteiligen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerder seinerzeit von Bundeskanzler Schroumlder und Praumlsident Putin initiierte Petersburger Dialog konnte die ihm zuge-

dachte Aufgabe zu einer Vertiefung und Verbreiterung der gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland beizutragen auch in den vergangenen Jahren nur sehr bedingt erfuumlllen Dies lag vor allem an der starken Naumlhe des Fuumlhrungspersonals auf der russischen Seite zum politischen Machtzentrum im Kreml die von Beginn an den Eindruck einer raquovon obenlaquo inszenierten und kontrollierten Veranstaltung naumlhrte Doch auch auf deutscher Seite wird der Petersburger Dialog bis heute von Personen dominiert die aus politischer und oumlkonomischer Opportunitaumlt dazu neigen Kritik am Kurs der russischen Fuumlhrung als Stoumlrung der raquodeutsch-russischen Freundschaftlaquo zu betrachten Zeit-weise kam es zu der paradoxen Situation dass kritische Aumluszligerungen zu Menschenrechtsverletzungen in Russland oder zum Vorgehen des Kremls gegenuumlber Georgien aus den Reihen der deutschen Delegation als raquoKalte-Kriegs-Rhetoriklaquo verteufelt wurden Nuumlchtern betrachtet waren die kritischen Stimmen aus der russischen und deutschen Zivilgesell-schaft in den letzten Jahren nur eine geduldete Minderheit die dem Petersburger Dialog den Anschein von Pluralis-mus und offener Diskussion verschaffte Ungeachtet dieser Kritik haben wir uns in der Vergangenheit am Petersburger Dialog beteiligt da wir grundsaumltzlich jedes Dialogpotenzial nutzen wollen und uns von der gemeinsamen Beteiligung mit unseren Partnern aus der russischen Zivilgesellschaft eine politische Absicherung dieser Zusammenarbeit erhofften

Diese ohnehin schwachen Hoffnungen wurden durch die Entwicklungen in diesem Jahr zerstoumlrt Vertreter unab-haumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen die auf der russischen Seite zum Petersburger Dialog eingeladen wer-den sind angesichts der politischen und juristischen Bedrohung der sie ausgesetzt sind in ihrer Entscheidung uumlber ihre Teilnahme nicht mehr frei Wenn sie der Einladung nicht folgen muumlssen sie weitere Repressalien befuumlrchten Uns denen die Freiheit der Entscheidung gegeben ist ist es nicht moumlglich durch Teilnahme am Petersburger Dialog in Sot-schi an der Aufstellung einer Potemkinschen Fassade namens raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo mitzuwirken waumlhrend die kritischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Russland als raquoAgentenlaquo diskreditiert und vielfach drangsaliert werden

Zugleich moumlchten wir unsere Bereitschaft unterstreichen an einer Reform des Petersburger Dialogs in organisa-torischer inhaltlicher und personeller Hinsicht mitzuwirken Eine solche Reform sollte darauf ausgerichtet sein uumlber die Auswahl der Formate Themen und Teilnehmer die tatsaumlchliche Lage der russischen Zivilgesellschaft in den Mit-telpunkt der Diskussion zu ruumlcken und einen offenen Dialog zu ermoumlglichen Wir sind ganz damit einverstanden dass gerade in kritischen Zeiten die Zusammenarbeit zwischen der russischen und deutschen Zivilgesellschaft gestaumlrkt wer-den muss Sofern der Petersburger Dialog in Zukunft dafuumlr ein Forum bietet werden wir uns gern daran beteiligen[Unterzeichner nicht veroumlffentlicht]Quelle Website der Boumlll-Stiftung lthttpwwwboelldede20141013reform-petersburger-dialog-ueberfaelliggt

offener Brief an den Vorsitzenden des Petersburger Dialogs lothar de maiziegravere vom 10 oktober 2014

- Offener Brief -HerrnDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des VorstandsPetersburger Dialog eVSchillerstraszlige 5910627 Berlin

Berlin 10 Oktober 2014Petersburger Dialog 2014 in SotschiSehr geehrter Herr de Maiziegravereals Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher zivilgesellschaftlicher Organisationen die seit der Gruumlndung des Petersburger Dialogs 2001 uumlber viele Jahre hinweg an dieser Veranstaltung teilgenommen haben moumlchten wir Ihnen gegenuumlber folgende Erklaumlrung abgeben

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Wir haben uns entschieden am 14 Petersburger Dialog in Sotschi nicht teilzunehmen der fuumlr den 29ndash31 Okto-ber angekuumlndigt worden ist Fuumlr diese Entscheidung die wir sorgfaumlltig diskutiert und abgewogen haben moumlchten wir drei Gruumlnde anfuumlhren1 Der Petersburger Dialog in seiner jetzigen Form steckt in einer Krise Von Jahr zu Jahr wird er seinem eigenem

Anspruch weniger gerecht Die Veranstaltung soll dem zivilgesellschaftlichen Dialog dienen Tatsaumlchlich sind Struktur Nominierungsverfahren und Programm des Petersburger Dialogs maszliggeblich von Akteuren aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert Unter diesen Voraussetzungen erfuumlllt der Petersburger Dialog leider nicht sein in seiner Satzung formuliertes Ziel ein raquooffenes Diskussionsforumlaquo zu sein das die raquoVerstaumlndigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Laumlnderlaquo foumlrdert Der Petersburger Dialog bedarf dringend einer grundlegenden Reform wie sie auch CDUCSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 eingefordert haben Gerne wuumlrden wir uns aktiv an einem Prozess zur Reformierung des Petersburger Dialogs beteiligen der auf eine pluralistische Zusam-mensetzung beider Lenkungsausschuumlsse und eine deutlich staumlrkere Ausrichtung auf unabhaumlngige zivilgesellschaft-liche Akteure zielt ohne den interdisziplinaumlren Ansatz der Veranstaltung aufzugeben

2 Die Situation in der sich Teile der Zivilgesellschaft in Russland befinden erfuumlllt uns mit groszliger Sorge Das betrifft auch Partnerorganisationen und Personen mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten Diese Organisa-tionen uumlben fuumlr Russland und daruumlber hinaus wichtige gesellschaftliche Funktionen aus Die Behinderung ihrer Arbeit durch buumlrokratische Huumlrden aber auch durch willkuumlrliche rechtliche Restriktionen und politische Diffa-mierung sind inakzeptabel Daruumlber koumlnnen wir nicht zur Tagesordnung uumlbergehen Wir wollen nicht zu Kron-zeugen fuumlr einen vorgeblich freien Austausch werden waumlhrend zugleich die kritische Zivilgesellschaft in Russland massiv und systematisch unter Druck gesetzt wird

3 In Teilen der Ukraine herrscht ein Kriegszustand fuumlr den die russische Fuumlhrung eine maszliggebliche Verantwor-tung traumlgt Wichtige Vertreter dieser Fuumlhrung spielen eine Schluumlsselrolle im Petersburger Dialog einschlieszliglich des fruumlheren Ersten Stellvertretenden Ministerpraumlsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden von Gazprom Wiktor Subkow der der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs ist Vor diesem Hin-tergrund moumlchten wir nicht durch unsere Teilnahme dazu beitragen dass eine Normalitaumlt in den deutsch-russi-schen Beziehungen simuliert wird die es derzeit wegen des Angriffs auf die politische Souveraumlnitaumlt und territo-riale Integritaumlt der Ukraine nicht geben kann

Wir waren und sind weiter sehr an einem offenen Dialog uumlber deutsch-russische Belange in einem gesamteuropaumli-schen Kontext interessiert und halten ihn fuumlr eine Bedingung guter Nachbarschaft und Kooperation Ein solcher Dia-log muss aber auch von beiden Seiten gewollt und ermoumlglicht werden Er darf zugleich nicht zum Nachteil Dritter gefuumlhrt werden Angesichts der aktuellen Lage und der bereits bekannt gewordenen Programmvorschlaumlge fuumlr Sotschi sehen wir auch diese Voraussetzung gefaumlhrdet

Dessen ungeachtet werden wir jede Moumlglichkeit nutzen unsere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Grup-pen und anderen Akteuren in Russland zu vertiefen und dieses Potential in einen bilateralen und europaumlischen Dia-log einzubringenMit freundlichen GruumlszligenRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter Politik Greenpeace eVQuelle lthttpwwwaustauschorgaktuelle-meldungennewsdetailarticle1offener-brie-1htmlno_cache=1ampcHash=0428c5bffdgt

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offener Brief des Vorsitzenden des Petersburger Dialogs vom 13 oktober 2014

AnRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich-Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace eVBerlin 13 Oktober 2014Ihr Schreiben vom 10 Oktober 2014Sehr geehrte Damen und HerrenIhren offenen Brief habe ich erhalten Dass Sie einen Brief aumlhnlichen Inhalts zunaumlchst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Auszligenminister verschickt haben verwundert mich Sie geben damit fuumlr die zivilgesell-schaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung die Sie fuumlr die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren

Ihre Nichtbeteiligung am Petersburger Dialog bedaure ich Denn es entspricht der Uumlberzeugung der meisten Mit-glieder des Vorstandes und des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs dass gerade angesichts zweifellos vorhan-dener Probleme fuumlr die Zivilgesellschaft die Sie teilweise benennen die offensive Auseinandersetzung zu solchen The-men gesucht werden muss Indem man sich solchen Gespraumlchen entzieht schadet man den Interessen der Betroffenen

Sie schreiben der Petersburger Dialog sei im Inneren zu reformieren da er von Vertretern aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert sei Diese Feststellung ist falsch und Sie wissen das Das auch in der Satzung des Petersbur-ger Dialogs beschriebene Konzept des Dialogs beruht auf einem breiten Gedankenaustausch aller gesellschaftlichen Kraumlfte Dazu gehoumlren die Bereiche Kultur Medien Bildung Wissenschaft und Kirchen genauso wie zahlreiche im Bereich der politischen sowie der sozialen Menschenrechte engagierte Einrichtungen die in ihrer Gesamtheit das deutsch-russische Verhaumlltnis beleben

Sie versuchen in Ihrem Brief den Petersburger Dialog auf das enge Feld einiger Vertreter der Zivilgesellschaft zu reduzieren die jenseits der korporierten Zivilgesellschaft angesiedelt sind und deren Interessenspektrum nur einen Teil des gesamten zivilgesellschaftlichen Engagements abdeckt

Ich verkenne nicht die ndash auch aber nicht nur ndash in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu Tage getretenen Probleme sowie die unterschiedlichen Folgen die sich aus einer raquogelenkten Demokratielaquo die in vielem nicht westli-chen Standards entspricht ergeben Dennoch Gemessen an weiten Bereichen der russischen Geschichte ist die Ent-wicklung seit 1991 ein Fortschritt Das daraus resultierende wenn auch im letzten Jahr stark eingetruumlbte Vertrauens-potential muss fuumlr die auf vielen Ebenen notwendigen Gespraumlchsforen genutzt und ausgebaut werden

Derartige Gespraumlche bedingen genauso Realismus wie intellektuelle Disziplin wozu auch gehoumlrt zu verstehen wie Russland die Probleme versteht Dies ndash und nicht Gespraumlchsverweigerung ndash ist die Voraussetzung um auf allen demokratischen gesellschaftlichen Ebenen ndash vom politischen Machtzentrum bis in die Randgruppen hinein ndash pro-blemorientierte Gespraumlche fuumlhren zu koumlnnen Dabei darf keine Seite fuumlr sich in Anspruch nehmen legitimere Inte-ressen zu vertreten als die andere

Das heiszligt Ein Gespraumlch raquoauf Augenhoumlhelaquo nicht von oben herab nicht moralisch belehrend aber mit klaren und ehrlichen Argumenten Dabei duumlrfen wir nicht verschweigen welche gesetzgeberischen aber auch politisch-morali-schen Standards wir fuumlr eine demokratische Gesellschaft im europaumlischen Kontext fuumlr unabdingbar halten

Der Petersburger Dialog wurde aus guten Gruumlnden als deutsch-russische Gemeinschaftseinrichtung konzipiert Da ist eine ndash oft muumlhsame ndash Kompromissfindung unausweichlich Dies ist Teil des Wertes auch der Tiefe aber auch der moralischen Qualitaumlt des Dialogs Das Ringen um kompromissfaumlhige Konzepte muss unser Anliegen bleiben nicht Vorverurteilung und GespraumlchsablehnungMit freundlichem GruszligDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des Vorstands Petersburger Dialog e VQuelle Website des Petersburger Dialogs lthttpwwwpetersburger-dialogcomoffener-brief-vom-13-oktober-2014gt

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offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

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9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

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14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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Die Russland-Analysen werden von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und von Mangold Consulting GmbH unterstuumltzt

Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

Abdruck und sonstige publizistische Nutzung sind nach Ruumlcksprache mit der Redaktion gestattetVerantwortlicher Redakteur Hans-Henning Schroumlder

Recherche Uumlbersetzungen und Sprachredaktion Christoph Laug Hartmut SchroumlderSatz Matthias Neumann

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

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Die einzelnen Laumlnder-Analysen werden von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und der Deutschen Gesellschaft fuumlr Osteuropakunde jeweils mit unterschiedlichen Partnern und Sponsoren herausgegeben

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                          • Umfrage
                            • Uumlber die Zivilgesellschaft in Russland
                              • Dokumentation
                                • Luumlgen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des JustizministeriumsErklaumlrung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL
                                  • Notizen aus Moskau
                                    • Petersburger Dialog
                                      • Jens Siegert Moskau
                                      • Dokumentation
                                        • Briefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo
                                          • Chronik
                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 20: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

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sismus zu schuumlren und die Stimmung gegen Migranten weiter anzuheizen

es gibt keine migrationspolitikDiese interethnischen Konflikte spiegeln sich auch im russischen Alltag wieder Der durch den Foumlderalen Migrationsdienst praktizierte administrative und poli-zeiliche Umgang mit Migration ist nicht effektiv Eine Stigmatisierung der Migranten als potenzielle Krimi-nelle und eventuelle Uumlberlegungen zur Verschaumlrfung des Migrationsgesetzes koumlnnen die Probleme nicht loumlsen die gerade auch auf kommunaler Ebene anfallen Die nur situativen politischen Maszlignahmen fuumlhren mitunter zu einer Verschaumlrfung des Problems Eine uumlbergreifende Strategie existiert nicht die Politik weiszlig auf die Migra-tionsfrage keine Antwort Ein autoritaumlres zentralisier-tes System ist nicht im Stande die regionalen Probleme dieses riesigen Landes zu loumlsen deshalb liegt es vor allem an der Zivilgesellschaft sich diesen Themen zu widmen

zivilgesellschaftliche Projekte AufklaumlrungsarbeitIn Moskau und Sankt Petersburg gibt es verschiedene nichtstaatliche Projekte die sich sowohl fuumlr mehr Tole-ranz als auch fuumlr die Integration der Migranten einsetzen

Einige von ihnen bestehen schon mehrere Jahre Boris Romanow ist einer der Gruumlndervaumlter eines zivil-gesellschaftlichen Netzwerks zur Unterstuumltzung von Menschen mit Migrationshintergrund in Sankt Peters-burg Er arbeitet mit den unterschiedlichsten NGOs zusammen die zu Themen wie Toleranz Antirassis-mus Homophobie Antiziganismus und Antisemitis-mus arbeiten Finanziert durch das Goethe-Institut rief er 2012 raquoRespektlaquo ins Leben ein Comic-Projekt inter-nationaler Kuumlnstler mit dessen Hilfe Schuumller ihr Den-ken uumlber Fremde reflektieren und selbst in Frage stel-len koumlnnen Laut Romanow scheitern solche Projekte oft an der Buumlrokratie der Kommunen Durch das neue NGO-Gesetz gebe es kaum noch Kontaktmoumlglichkei-ten zu staatlichen Schulen erlaumlutert Romanow so dass eine Zusammenarbeit houmlchstens uumlber einzelne Lehrer nicht jedoch uumlber die Schuldirektion moumlglich sei Dies widerspreche dem Konzept zivilgesellschaftlicher Arbeit die vor allem jedermann offen stehen will Durch das geschlossene staatliche Schulsystem komme es selten zu einer Kooperation mit interessierten Lehrern Die Zusammenarbeit von Staat und Zivilgesellschaft ist unabdingbar macht aber die Finanzierung der Projekte schwierig da sie im Falle einer Unterstuumltzung auslaumln-discher Sponsoren unter das neue NGO-Gesetz fallen

Im Zuge der neuen NGO-Gesetzgebung wurde das Antidiskriminierungszentrum raquoMemoriallaquo in Sankt Petersburg geschlossen Dessen ehemaliger Mitarbei-

ter Andrej Jakimow ist Anthropologe Seine langjaumlh-rige Arbeit mit ethnischen Minderheiten wie Sinti und Roma Arbeitsmigranten und Staatenlosen macht ihn zu einem erfahrenen Koordinator der raquoStiftung zur Unter-stuumltzung und Entwicklung von Bildungs- und Sozial-projektenlaquo (raquoPSP-Fondlaquo) in Sankt Petersburg Auch fuumlr ihn zaumlhlt die aktive Aufklaumlrungsarbeit zu den wichtigs-ten Punkten seines zivilgesellschaftlichen Engagements Die juristische und psychologische Betreuung von Mig-ranten stehen neben der Sensibilisierung der russischen Bevoumllkerung im Zentrum seiner Arbeit Seiner Erfah-rung nach interessieren sich die OSZE und die UNO nur marginal fuumlr diese Themen also muumlssen die Pro-bleme der Arbeitsmigranten auf nationaler Ebene geloumlst werden Seine Kontakte zu verschiedenen Netzwerken in den Auswanderungslaumlndern helfen den Migranten sich schon vor der Einreise nach Russland auf den Aufenthalt vorzubereiten In der Zusammenarbeit von Staat und Experten sieht Jakimow eine Moumlglichkeit eine effek-tive Migrationspolitik zu entwickeln

fuumlr die Verbesserung der migrationspolitikAumlhnlich denken auch Wjatscheslaw Postawnin und Natalja Wlasowa die die Stiftung raquoMigrazija XXI weklaquo (raquoMigration im 21 Jahrhundertlaquo) gegruumlndet haben Sie selbst sind ehemalige Mitarbeiter des Foumlderalen Migra-tionsdienstes und kennen die staatliche Migrationspoli-tik von innen Die Regierung unter Putin scheint keiner-lei Loumlsungsansaumltze fuumlr die immer staumlrker zunehmende Xenophobie in Russland zu erarbeiten In den fuumlnf Jah-ren ihrer Existenz hat sich die Organisation in Mos-kau zu einem unabhaumlngigen intellektuellen und wissen-schaftlichen Zentrum entwickelt das Vorschlaumlge fuumlr die Verbesserung der staatlichen Migrationspolitik ausarbei-tet Diese Vorschlaumlge werden oft von der Administration des Praumlsidenten beruumlcksichtigt jedoch nicht sofort und ohne Nennung der Urheberschaft In Zusammenarbeit mit der Weltbank und dem Netzwerk raquoMirpallaquo (raquoMigra-tion and Remittance Peer-Assisted Learninglaquo) erstellt die Organisation Statistiken zu den Migrationsstroumlmen aus den GUS Staaten die oftmals stark von den offiziellen Zahlen des Foumlderalen Migrationsdienstes abweichen

fluumlchtlingsarbeitDie von Swetlana Gannuschkina einer wichtigen Men-schenrechtlerin in Russland 1990 mitbegruumlndete Orga-nisation raquoGrashdanskoje sodejstwijelaquo (raquoBuumlrgerhilfelaquo) beschaumlftigt sich nicht nur mit Arbeitsmigration sondern zu vier Fuumlnfteln mit Fluumlchtlingen Es war die erste Orga-nisation dieser Art in Moskau und wurde im Zusam-menhang mit dem Konflikt um Berg-Karabach und dem Krieg in Tschetschenien gegruumlndet um den Fluumlchtlin-gen aus diesen Regionen zu helfen Die Unterstuumltzung

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der Arbeitsmigranten umfasst juristische Konsultation und die Loumlsung administrativer Fragen z B bei nicht ausgezahlten Gehaumlltern Deportationen Einreisever-boten Die Organisation stellt juristischen Beistand bei unbegruumlndeten Klagen gegen Migranten hilft bei Kla-gen gegen Arbeitgeber wegen nicht ausgezahlter Loumlhne fuumlhrt ein Projekt gegen Hate Crimes durch und veran-staltet Spendenaktionen auf ihrer Webseite Besonders die aumlrztliche Versorgung ist wichtig da der staatliche Notdienst Migranten oft seine Hilfe verwehrt raquoGrash-danskoje sodejstwijelaquo arbeitet eng mit dem Fluumlchtlings-hilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) der Inter-nationalen Organisation fuumlr Migration (IOM) und mit dem Netzwerk raquoMigrazija i prawolaquo (raquoMigration und Rechtlaquo) einem Programm des Menschenrechtszentrums raquoMemoriallaquo zusammen Obwohl in der offiziellen Rhe-torik die Bedeutung der Migration fuumlr Russland unter-strichen wird (wie zum Beispiel in der raquoKonzeption der staatlichen Migrationspolitik 2025laquo) beobachtet man in der Praxis meist die stumme Hinnahme der Uumlber-griffe auf Arbeitsmigranten Nach dem Inkrafttreten des NGO-Gesetzes fand bei der Organisation eine Uumlberpruuml-fung durch die Staatsanwaltschaft statt Ob und wenn ja wie dieses Projekt weiterlaufen wird ist bis heute unklar

Arbeit mit fluumlchtlingskindernIm Rahmen der Organisation raquoBuumlrgerhilfelaquo gibt es zudem ein raquoZentrum fuumlr Integration und Unterricht fuumlr Fluumlchtlingskinderlaquo da das staatliche Programm mit dem Kinder mit Migrationshintergrund Russisch lernen nicht ausreichend ist

Aumlhnlich wie ihre Kollegen aus Moskau arbeiten die Freiwilligen des zivilgesellschaftlichen Projekts raquoDeti Peterburgalaquo (raquoKinder von Petersburglaquo) mit Kindern des-sen Eltern aus den unterschiedlichsten Gruumlnden nach Russland immigriert sind Zwei Projektkoordinatoren der Organisation raquo[Wahl]Beobachterlaquo Daniil Ljubarow und Irina Beljaewa haben 2012 raquoDeti Peterburgalaquo gegruumlndet Angefangen mit einem Angebot von Russisch-Grundkur-sen fuumlr Vorschuumller mit Migrationshintergrund hat sich dieses Programm mittlerweile so weit entwickelt dass Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre an sechs verschie-

denen Standorten in Sankt Petersburg an Russischkursen teilnehmen koumlnnen Bis 2014 hatte es noch nicht einmal feste Raumlumlichkeiten gegeben die Mitarbeiter der raquoDeti Peterburgalaquo organisierten sich ausschlieszliglich uumlber soziale Netzwerke Der virtuelle Raum verbindet diese Organi-sation auch mit anderen zivilgesellschaftlichen Projek-ten So zieht das Projekt nicht nur politische Aktivisten an sondern vor allem Paumldagogen Linguisten und Stu-denten die die Kurse vorbereiten und durchfuumlhren Der Aufbau von kreativen Zirkeln gehoumlrt genauso zur Arbeit von raquoDeti Peterburgalaquo wie die Koordination von Ausfluuml-gen in die Umgebung Museen oder Theatern Das Pro-jekt ist abhaumlngig von seinen Teilnehmern Die fehlen-den Sprachkenntnisse der Eltern fuumlhren oft zu groszligen Kommunikationsproblemen Aber auch die wechselnden und meist aumluszligerst schwierigen Arbeitszeiten der Eltern erschweren die Durchfuumlhrung des Projekts Die staumldti-sche Buumlrokratie versucht den Elan der Mitarbeiter zu bremsen Auch deshalb bleibt das Projekt nichtstaatlich

fazitMisstrauen gegenuumlber der Regierung soziale Probleme und Alltagsrassismus bewegen immer mehr Menschen dazu sich eigenstaumlndig mit der negativen Entwicklung beim Umgang mit Migranten zu beschaumlftigen Aus Inter-views mit den Mitarbeitern der verschiedenen Organisa-tion laumlsst sich schlieszligen dass eine russische Zivilgesell-schaft entstanden ist die die Migrationsfrage einerseits als Arbeit mit der Mehrheits- also russischen Bevoumllkerung betrachtet um diese zu sensibilisieren Anderseits gibt es Initiativen die vor allem konkrete Hilfe fuumlr Migranten leisten um deren alltaumlgliche Probleme zu minimieren

Die Zivilgesellschaft bemuumlht sich Vorurteile abzu-bauen die Migrationspolitik realistischer zu machen und Migranten wie Fluumlchtlingen konkrete Hilfestellung zu geben Die Behoumlrden sabotieren diese Arbeit In den Groszligstaumldten wird der Zuzug von Migranten restriktiv gehandhabt Arbeitgeber wissen um den oft schwierigen Status der Migranten und nutzen die Situation aus um die Migranten weiter auszubeuten Die Arbeit der Zivil-gesellschaft zur Sensibilisierung der russischen Bevoumllke-rung wird durch die offizielle Politik oft konterkariert

Uumlber die AutorenIm Rahmen des Projektkurses raquoZiviler Ungehorsam Gesellschaft und Staat in Osteuropalaquo reisten die Studierenden des Osteuropa-Instituts der Freien Universitaumlt Berlin Michael Bellmann und Kristina Arisov nach Moskau sowie Marina Grinfeld und Christina Huthmann nach St Petersburg um mit Aktivisten und Organisationen die sich fuumlr die Integration von Migranten in Russland einsetzen Interviews zu fuumlhren und die Position der Zivilgesellschaft zur Migrationsproblematik zu analysieren

Lesetippsbull Judah Ben Russiarsquos Migration Crisis in Survival 552013 Nr 6 S 123ndash131

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bull Malakhov Vladimir S Russia as a New Immigration Country Policy Response and Public Debate in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1062ndash1079

bull Schenk Caress Controlling Immigration Manually Lessons from Moscow (Russia) in Europe-Asia Studies 652013 Nr 7 S 1444ndash1465

bull Spahn Susanne Die gelenkte Xenophobie Migration und nationale Frage in Russland Russland nur fuumlr Russen in Osteuropa 642014 Nr 7 S 55ndash67

bull Tipaldou Sofia Katrin Uba The Russian Radical Right Movement and Immigration Policy Do They Just Make Noise or Have an Impact as Well in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1080ndash1101

UmFRAGE

Uumlber die zivilgesellschaft in russland

zur zivilgesellschaftlichen und politischen Aktivitaumlt der russen

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 15 stellen sie sich vor ihre nachbarn schlagen eine gemeinsame muumlllsammelaktion in der nahegelege-nen Parkzone vor Was waumlren sie bereit zu uumlbernehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator der Aktionwerden

An der Aktionmitwirken

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 16 haben sie im vergangenen halbjahrJahr hellip

0 20 40 60 80 100

hellip an den Aktivitaumlten einer non-profit Organisation teilgenommen als Freiwilliger gearbeitet

hellip sich mit gesellschaftlichen Problemen an ihrem Wohnort beschaumlftigt

hellip an Groszligveranstaltungen Demonstrationen Streiks Kundgebungen Umzuumlgen teilgenommen

Ja Keine Antwort Nein

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grafik 17 stellen sie sich vor dass es an ihrem Wohnort zu massenhaften Wahlfaumllschungen kommt irgend-jemand ruft zur Durchfuumlhrung von Protestaktionen gegen die Wahlfaumllschungen auf Was wuumlrden sie unternehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator dieser Aktionwerden

An dieser Protestaktionteilnehmen

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 18 Waren sie haben sie sich in den vergangenen einndashzwei Jahren hellip

0 20 40 60 80 100

hellip Mitglied einer politischen Partei

hellip Wahlbeobachter

hellip an der Arbeit einer Menschenrechtsorganisation beteiligt

hellip sich im Internet (in sozialen Netzwerken auf Foren) zu politischen Themen geaumluszligert

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

zur gesellschaftlichen Aktivitaumlt

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

grafik 19 haben sie persoumlnlich in den vergangenen zweindashdrei Jahren an der taumltigkeit einer gesellschaftlichen organisation teilgenommen Wenn ja wie genau (beliebige zahl an Antworten)

6

6

5

2

2

84

1

050

Habe an gesellschaftliche Organisationen gespendetoder andere materielle Hilfe geleistet

Habe an Wohltaumltigkeitsveranstaltungen teilgenommen(Konzerte Ausstellungen Wohltaumltigkeitslotterie Auktionen)

Habe Freiwilligenarbeit geleistet (kostenlos)

Habe gegen Entgelt in einer gesellschaftlichenOrganisation gearbeitet

Habe Informationen zu den Taumltigkeitenvon gesellschaftlichen Organisationen verteilt

Nicht teilgenommen

Anderes

Keine Antwort

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grafik 20 haben ihnen irgendwann einmal gesellschaftliche organisationen geholfen

0 20 40 60 80 100

Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja mit Geld geholfen Ja auf andere Weise geholfen Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

Die oumlffentliche meinung zu ngos mit auslaumlndischer finanzierung (April 2013)

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 21 mit welcher meinung zur taumltigkeit russischer ngos stimmen sie am ehesten uumlberein

Sie bringen einen groszligen Nutzen

4

Sie bringen mehr Nutzen als Schaden

15Sie bringen ebenso viel

Nutzen wie Schaden23

Sie bringen mehr Schaden als Nutzen

18

Sie bringen weder Nutzen noch Schaden

13

Keine Antwort27

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 22 ist es fuumlr sie wichtig ob eine russische menschenrechtsorganisation aus einheimischen oder auslaumln-dischen mitteln finanziert wird

Sehr wichtig10

Eher wichtig34

Nicht besonders wichtig24

Vollkommen unwichtig18

Keine Antwort14

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 25

grafik 23 Welche ziele verfolgen westliche laumlnder und organisationen die russische ngos mit mitteln aus-statten

Einen verstaumlrkten Einfluss auf die russische

Innenpolitik42

Einen Kampf gegen den russischen Staat

19Eine Unterstuumltzung der

russischen Zivilgesellschaft

8

Kein besonderes Ziel russische NGOs werden wie andere aus standardisierten

internationalen Programmen unterstuumltzt

12

Keine Antwort19

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 24 Duumlrfen organisationen die sich mit dem schutz der Buumlrgerrechte beschaumlftigen und den staat kriti-sieren das recht haben mittel aus dem Ausland zu beziehen

Ja20

Nein56

Keine Antwort24

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 25 Unterstuumltzen sie harte sanktionen gegen ngos die einer politischen taumltigkeit nachgehen und gelder aus dem Ausland erhalten sich aber nicht nach dem gesetz als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren

Auf jeden Fall20

Eher ja32

Eher nein15

Auf keinen Fall5

Keine Antwort28

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

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luumlgen des fernsehkanals ntV und Beanstandungen des Justizministeriums erklaumlrung des menschenrechtszentrums memoriAl und der russischen gesellschaft

memoriAl

Die Behauptung bei NTV das russische Justizministerium habe die Liquidierung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL eingeleitet fuumlhrte heute zu etlichen Irritationen Das Menschenrechtszentrum und die Russische Gesell-schaft MEMORIAL (die Dachorganisation der russischen Memorial-Verbaumlnde) haben aus diesem Anlass nachste-hende Erklaumlrung abgegeben

Am 10 Oktober strahlte NTV unter dem Titel raquoAuszligergewoumlhnliches Ereignislaquo eine Sendung aus die aus boumlswil-ligen Luumlgen aber auch aus Fehlinformationen in Folge von Unkenntnis bestand

Die Arbeit des Menschenrechtszentrums MEMORIAL als Unterstuumltzung von Extremisten und Terroristen dar-zustellen ist eine infame Luumlge Auf Unkenntnis basiert hingegen die Behauptung das Justizministerium habe des-halb den Antrag gestellt das Menschenrechtszentrum MEMORIAL zu liquidieren

In Wirklichkeit hat das Justizministerium beim Obersten Gericht der Russischen Foumlderation nicht die Aufloumlsung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL beantragt Es geht hier vielmehr um eine andere Organisation naumlmlich die Russische Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIAL

Die russische Gesellschaft MEMORIAL wurde vom Justizministerium bereits 1992 registriert Bis heute befinden sich unter ihrem Dach verschiedene Memorial-Verbaumlnde die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen

Im Jahre 2012 20 Jahre nach der ersten Registrierung tauchten beim Justizministerium ploumltzlich Zweifel hin-sichtlich des russischen Rechtsstatus von Memorial auf obwohl der Gesellschaft praktisch dieselben regionalen Ver-baumlnde angehoumlren wie zuvor und sich die Gesetzeslage in dieser Frage in keinem Punkt geaumlndert hatte

Geaumlndert hat sich allerdings die Position des Justizministeriums das erneut einen raquodemokratischen Zentralismuslaquo anstrebt der nach der Abschaffung der fuumlhrenden Rolle der KPdSU nicht mehr aktuell schien Heute erklaumlrt das Jus-tizministerium nur jene gesellschaftlichen Vereinigungen koumlnnten der Russischen Gesellschaft MEMORIAL ange-houmlren die in ihrer Bezeichnung die Worte raquoVerband (otdelenie) der Russischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklauml-rung Sozialarbeit und Menschenrechte MEMORIALlaquo tragen

Die gesetzliche Vorschrift dass eine Organisation nur dann einen gesamtrussischen Status haben kann wenn sie in uumlber der Haumllfte der Foumlderationssubjekte Verbaumlnde unterhaumllt legt das Justizministerium jetzt dahingehend aus dass diese Verbaumlnde zwangslaumlufig einen Status als Regionalverbaumlnde haben muumlssten Das Vorhandensein von Stadt- und Bezirksverbaumlnden einer Organisation reicht die Beamten als Beleg dafuumlr nicht aus dass die Organisation in der betreffenden Region taumltig ist

Die Vorbehalte des Justizministeriums entbehren jeglicher Grundlage Nicht zufaumlllig erhielten wir auf Anfragen keine Hinweise auf eine Gesetzesnorm Es ist fuumlr uns inakzeptabel dass das Justizministerium das von der Verfas-sung garantierte Recht von Buumlrgern eine Vereinigung zu bilden gesetzwidrig einschraumlnken will Deshalb hat sich die Russische Gesellschaft MEMORIAL bereits 2012 entschlossen vor Gericht zu gehen

Einen Hinweis auf ein Gesetz haben wir auch nicht erhalten als wir 2013 die Forderungen des Justizministeriums im Moskauer Zamoskvorezki-Bezirksgericht und danach im Stadtgericht angefochten haben Beide Instanzen gaben wie nicht anders zu erwarten dem Justizministerium Recht Deshalb wird die Russische Gesellschaft MEMORIAL in Kuumlrze Klage beim Verfassungsgericht einreichen

Was den Antrag des Justizministeriums betrifft so hoffen wir dass das Oberste Gericht bei Behandlung dieses Antrags dem Gesetz und der Verfassung mehr Respekt entgegenbringen wird als die untergeordneten Gerichtsinstanzen

10 Oktober 2014Quelle Website von Memorial Deutschland lthttpwwwmemorialdeindexphpid=42amptx_ttnews[tt_news]=546amptx_ttnews[backPid]=3ampcHash=5bbe9b235a03fe09cba52ed5c8786b99gt

DOkUmENtAtION

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NOtIzEN AUS mOSkAU

Petersburger DialogJens Siegert Moskau

Auf den ersten Blick sieht es so aus als ob ein (egal ob nun willentlich oder nicht) an die Oumlffentlich-

keit gelangter Brief einiger regelmaumlszligiger Teilnehmer des Petersburger Dialogs (PD) aus den Reihen deutscher NGOs an Bundeskanzlerin Merkel und Auszligenminis-ter Steinmeier die Verschiebung des fuumlr Ende Oktober in Sotschi geplanten groszligen Jahrestreffens verursacht haumltte In dem Brief bekraumlftigten die Autoren ihre nicht neue Kritik am PD und erklaumlrten warum sie dieses Jahr nicht teilnehmen wuumlrden Sie betonen dass die Absage kein Boykott sei und bieten ihrerseits einen Dialog zur Reform des Dialogs an Auf den zweiten Blick war der Brief selbstverstaumlndlich nur Anstoszlig aber nicht Grund fuumlr die Verschiebung Doch der Reihe nach

Die in dem Brief geaumluszligerte Kritik am PD ist wie gesagt nicht neu sie hat sie den PD von Anfang an begleitet Das liegt sicher auch an einem bis heute nicht korrigierten Geburtsfehler Ein durch Staats- und Regie-rungschefs initiierter raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo ist schon etwas verquer Das heiszligt nicht dass das nicht gehen koumlnnte Doch dazu haumltten sich die hochgestell-ten Initiatoren (der damalige russische Praumlsident und der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schrouml-der) und ihre (Interims-)Nachfolger spaumlter zuruumlckziehen muumlssen Das haben sie nicht Daran sind sie nicht (allein) Schuld Es war der PD der durch seine Lenkungsor-gane die enge zeitliche und oumlrtliche Verbindung mit den deutsch-russischen Regierungskonsultationen und die zeitweilige Anwesenheit von Praumlsident und Kanzlerin zum Grundstein seiner Wirkungsmaumlchtigkeit erklaumlrte

Auf deutscher Seite wurde versucht dieses Problem organisatorisch sozusagen oumlffentlich-rechtlich zu loumlsen indem moumlglichst alle interessierten politischen Spektren und gesellschaftlichen Gruppen am sogenannten Len-kungsausschuss beteiligt wurden Das gelang zumindest so gut dass es soweit mir bekannt bis heute keine grouml-szligeren Klagen uumlber Nichtberuumlcksichtigung oder Nicht-beteiligung gab Aber die Bundesregierung behielt weit-gehenden Einfluss nicht zuletzt uumlber den alljaumlhrlich sechsstelligen Zuschuss fuumlr die Durchfuumlhrung der Jah-restreffen Auszligerdem wurde der jeweilige Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses zwar nach Abstim-mungen mit den Beteiligten aber letztlich durch den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin bestimmt

In Russlands ist die Sache einfacher Von Anfang an wurde und wird gemacht wird was der Kreml will Schon der erste Vorsitzende des russischen Lenkungs-ausschusses Michail Gorbatschow (immerhin selbst ein ehemaliger Praumlsident) war wie er selbst einmal bekannte

nicht mehr als ein ndash schoumlne Ruumlckuumlbertragung aus dem Russischen ndash raquoSitz-Praumlsidentlaquo Der jetzige Vorsitzende Wiktor Subkow war Datschennachbar von Putin ers-ter stellvertretender Ministerpraumlsident und ist nun Auf-sichtsratsvorsitzender von Gazprom

Die Kritik dass nur eine Simulation eines raquozivilge-sellschaftlichen Dialogslaquo stattfinde wurde von einigen deutschen Teilnehmern bereits auf dem ersten Jahres-treffen des PD im April 2001 in St Petersburg geaumluszligert Es fehlten auf russischer Seite (in der seinerzeit noch ver-einigten Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo) Vertreter russischer NGOs Die Kritik kam an In Russ-land fuumlhrte sie (ohne dass ich hier jetzt ausfuumlhren kann wie) zum ersten Versuch des Kremls auch unabhaumln-gige NGOs in das korporative System der gelenkten Demokratie zu zwingen Der Versuch misslang weitge-hend und muumlndete in einer Art Waffenstillstand und der Gruumlndung eines raquoMenschenrechtsrats beim Praumlsi-dentenlaquo unter Einbeziehung von Vertretern unabhaumlngi-ger NGOs Beim PD wurde die Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo in ihre zwei Namensbestandteile geteilt und es gelang uumlber die Jahre in immer wieder unternommenen Anstrengungen auch die Teilnahme unabhaumlngiger russischer NGO-Vertreter durchzuset-zen Etwas spaumlter wurde diese Teilnahme sogar vor-sichtig institutionell abgesichert indem erst Ella Pam-filowa und spaumlter ihr Nachfolger Michail Fedotow als Vorsitzende des inzwischen zum raquoZivilgesellschaftsratlaquo umbenannten raquoMenschenrechtsratslaquo zu den russischen Koordinatoren der Arbeitsgruppe raquoZivilgesellschaftlaquo mit Einladungsrecht wurden (wobei die Einladungen selbst-verstaumlndlich mit der Praumlsidentenadministration abge-stimmt werden muumlssen) Das ist bis heute so

Die Verfasser des Briefes (zu denen ich bekenne mich auch ich gehoumlre) allesamt langjaumlhrige Teilneh-mer der Jahrestreffen des PD haben all die Jahre immer wieder auch oumlffentlich uumlber den Sinn und Unsinn ihrer Teilnahme und Unterstuumltzung diskutiert Letztendlich uumlberwogen die ganze Zeit uumlber zwei Uumlberlegungen Ers-tens ist ein Dialog auch und gerade auf offizieller Ebe-nen und mit offiziellen Vertretern des russischen Staates (wie auch mit Wissenschaftlern Unternehmern Journa-listen Priestern usw welcher politischen Couleur auch immer sie sein moumlgen) erst einmal besser als kein Dia-log Zweitens gingen wir all die Jahre davon aus dass die nicht ohne Muumlhen erreichte Teilnahme unabhaumln-giger russischen NGO-Vertreter fuumlr sie ihre Organisa-tionen aber auch die russische NGO-Szene insgesamt zumindest einen kleinen zusaumltzlichen Schutz gegen die

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seit Putins Amtsantritt immer wieder uumlber das Land gehenden Repressionswellen bietet1 Was hat sich dieses Jahr geaumlndert Erst einmal nicht

so viel gegenuumlber dem Vorjahr Es war schon immer siehe oben eine schwierige Abwaumlgung ob die Teil-nahme am PD sich lohnt oder nicht vielmehr dazu beitraumlgt so zu tun als gaumlbe es in Russland die unein-geschraumlnkte und ungefaumlhrdete Moumlglichkeit sich zivilgesellschaftlich auch dort zu engagieren wo es dem Staat weh tut Zwei Ereignisse haben nun aber zumindest fuumlr die Autoren des Briefes das Pen-del zur anderen Seite ausschlagen lassen Die Kon-frontation zwischen dem Westen (ich weiszlig um die Bedingtheit des Begriffs verwende in der Kuumlrze hal-ber aber trotzdem) und Russland im Konflikt in der und um die Ukraine ist nicht einfach die Fortset-zung schon laumlnger existierender raquoMeinungsverschie-denheitenlaquo Sie ist tiefer und prinzipieller Es geht eben im Kern nicht in erster Linie um Geopolitik sondern wieder einmal um ich fuumlrchte hier weder den Pathos noch historische Analogien Freiheit und Demokratie in Europa

2 Die Repressionen gegen russische NGOs unsere prinzipiellen Partner in der Verteidigung von Demo-kratie und Freiheit haben mit dem sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo eine neue Qualitaumlt erreicht 15 NGOs sind inzwischen zwangsweise zu raquoauslaumln-dischen Agentenlaquo erklaumlrt worden anderen droht die Schlieszligung aufgrund anderer Gesetze Einige von ihnen waren sogar zum nun verschobenen Treffen in Sotschi eingeladen Sie mussten sich Gedanken machen ob eine Zusage oder eine Absage ihnen nicht schaden koumlnnte

Unter diesen Umstaumlnden halten die Verfasser des Brie-fes ihre Teilnahme am PD fuumlr nicht mehr moumlglich Sie fordern keinen Boykott wohl aber ein Nachdenken uumlber eine tiefgreifende Reform

Der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses Lothar de Maiziere hat in einem eigenen offenen Brief geantwortet und den Verfassern vorgeworfen den Dia-log verweigern und politisieren zu wollen Diese (Gegen-)Klage scheint mir angesichts der vielfaumlltigen Verbindun-gen und Dialogformen die die Organisationen hinter den Unterzeichnern des Briefes seit vielen Jahren und oft laumlnger als der PD organisieren an denen sie teil-nehmen und die sie foumlrdern nicht sonderlich stichhal-tig Doch die Auseinandersetzung geht tiefer De Mai-ziere behauptet in seinem Brief der PD mache bereits all das was die Kritiker fordern Genau das bezweifeln diese aber Die Auseinandersetzung geht also und vor allem darum was ein fruchtbarer Dialog zu leisten im Stande sein kann und leisten sollte Sie geht aber auch darum ob dieser Dialog zwischen zwei Gesellschaf-

ten stattfindet nach dem Motto hier die eine dort die andere oder ob sich die Seiten bei diesem Dialog inei-nander verschraumlnken

Die Verfasser des Briefes sind ganz offensichtlich mit ihrer Kritik nicht allein Schon bevor der Brief oumlffent-lich bekannt wurde hatten die Bundestagsabgeordne-ten Andreas Schockenhoff (CDUCSU) und Marieluise Beck (Buumlndnis 90 Die Gruumlnen) in oumlffentlichen Stel-lungnahmen Aumlhnliches gefordert und auch ihre Nicht-Teilnahme erklaumlrt Etwas spaumlter wurde bekannt dass auch der Russland-Beauftragte der Bundesregierung Gernot Erler nicht nach Sotschi fahren wollte Mehr noch Bereits seit dem Fruumlhsommer gab es Gespraumlche zwischen Kanzleramt und Auswaumlrtigem Amt mit dem Ziel den PD sowohl personell als auch strukturell zu reformieren Allerdings setze sich augenscheinlich die Sichtweise des Auswaumlrtigen Amtes durch alles vorerst beim Alten zu belassen da es auch so schon genug Pro-bleme im deutsch-russischen Verhaumlltnis gebe und man diesen Kanal nicht auch noch belasten oder gar gefaumlhr-den solle

Doch zum Herbst hat sich die Situation noch ein-mal veraumlndert Die Hoffnung die russische Fuumlhrung um Praumlsident Putin werde im Krieg in der Ostukraine ein-lenken ist selbst im Auswaumlrtigen Amt bis in die Spitze kaum noch zu finden Im Sommer bekam das russische Justizministerium zudem per erneuter Gesetzesaumlnde-rung das Recht NGOs zwangsweise zu raquoAgentenlaquo zu erklaumlren und macht seither rege Gebrauch davon Eine ganze Reihe russischer NGOs steht vor der Schlieszligung oder loumlst sich auf weil ihnen die vom Gesetz geforderte Selbstetikettierung als raquoauslaumlndische Agentenlaquo ethisch rechtlich und praktisch unmoumlglich ist

Es sieht so aus als haumltten die Verfasser des Briefes nur eine Tuumlr geoumlffnet hinter der andere darunter die Kanzlerin nur darauf gewartet haben durch sie hin-durch gehen zu koumlnnen ohne selbst der Tuumlroumlffnung geziehen zu werden

Ein wenig verwundert die erstaunlich milde russi-sche Reaktion Nach der kurzen Drohung eine Verschie-bung bedeute das Ende des PD lenkte Putin im Telefo-nat mit Merkel ein und fand tags darauf sogar oumlffentlich verstaumlndnisvolle Worte fuumlr die raquoProbleme der deutschen Seitelaquo Das duumlrfte zwei Gruumlnde haben Der eine ist dass trotz des haumlufiger gewordenen Deutschland-Bashings im russischen Staatsfernsehen (mit dem Ergebnis dass in Umfragen Deutschland aus der Kategorie raquoFreundlaquo in die Kategorie raquoFeindlaquo abgerutscht ist) Deutschland im Kreml immer noch als wichtigster raquostrategischerlaquo Part-ner im Westen und vor allem in der EU gilt Zudem ist Deutschland zweifellos ein Land dessen oumlffentliche Meinung (und damit Politik) aus russischer Sicht durch-aus beeinflussbar ist (was z B die kolportierten rund

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140 Millionen US-Dollar zum Aufbau eines deutsch-sprachigen Programms des staatlichen Auslandsfernse-hens raquoRussia Todaylaquo zeigen)

Der andere liegt in einem erneuten Strategiewech-sel (oder weniger ambitioniert Wechsel der Taktik) im Ukraine-Konflikt Die Sanktionen beiszligen inzwi-schen kraumlftig Die Rhetorik wurde daher gemildert Der Kreml ist ganz auf Frieden und dieser Ausdruck aus dem Sport sei erlaubt Ergebnissicherung bedacht (was uumlbrigens Putins grundsaumltzlicher Taktik auch im Inne-ren Russlands entspricht erst hart zuzuschlagen dann eine Schritt zuruumlck zu gehen und einen Kompromiss zu suchen nach dem es fuumlr seine Gegner nachher schlech-ter steht als vorher) Neues Ziel scheint nun also zu sein die raquoErrungenschaftenlaquo Krim (als Teil Russlands) und raquoNeurusslandlaquo (als neuen raquoFrozen Conflictlaquo) zu fixieren und trotzdem mit dem Westen wenn schon nicht gut-freund zu werden so doch zumindest erneut zu einem einigermaszligen vertraumlglichen Modus Vivendi zu gelan-gen Das Gas duumlrfte nach den Mailaumlnder Gespraumlchen

und bei allem Geknurre im Winter stroumlmen und auch im Nahen Osten stellt Moskau weniger Widerspenstig-keit in Aussicht

Was heiszligt das fuumlr die Zukunft des PD Erstmal ist sie offen Zuerst muss sich die deutsche Seite neu ord-nen (hier hat Putin sogar Recht) Nachdem sich Angela Merkel persoumlnlich um eine russische Akzeptanz fuumlr die Verschiebung von Sotschi bemuumlht hat kann ich mir allerdings nicht vorstellen dass es in einigen Wochen oder Monaten ein Zuruumlck zum status quo ante gibt Ob und wie sich ein neu aufgestellter deutscher Lenkungs-ausschuss mit einem neuen Konzept mit der russischen Seite verstaumlndigen kann laumlsst sich momentan kaum voraussagen Es ist zwar einen Versuch wert haumlngt aber wohl sehr von der dann herrschenden politischen Groszlig-wetterlage ab

Diesen und andere Texte finden Sie auf Jens Siegerts Russ-landblog lthttprusslandboellblogorggt

Lesetippbull Poumlrzgen Gemma Dringend reformbeduumlrftig Der Petersburger Dialog auf dem Pruumlfstand in Osteuropa 602010

Nr 10 S 59ndash81

DOkUmENtAtION

Briefwechsel uumlber die zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo

schreiben von nichtregierungsorganisationen und einzelpersonen an die Bundeskanzlerin und den Auszligenminister zum raquoPetersburger Dialoglaquo 2 oktober 2014 [nachtraumlglich veroumlffentlicht]

Berlin 02 Oktober 2014Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerals Personen die sich seit vielen Jahren intensiv im zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland engagieren wenden wir uns mit diesem Schreiben an Sie um zu erlaumlutern warum wir uns in diesem Jahr nicht am Petersburger Dialog beteiligen koumlnnen Zugleich moumlchten wir fuumlr eine Erneuerung des Petersburger Dialogs werben

In Reaktion auf die politische Wende in der Ukraine die durch eine breite gesellschaftliche Protestbewegung hervor-gerufen wurde hat die russische Fuumlhrung voumllkerrechtswidrig die Krim annektiert und einen unerklaumlrten Krieg neuen Typs im Osten der Ukraine begonnen Zugleich betreibt die Regierung unter Praumlsident Putin die systematische Ausschal-tung der letzten unabhaumlngigen Medien in Russland die Kriminalisierung aller Formen politischer Opposition und die Diskreditierung unabhaumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen als raquoauslaumlndische Agentenlaquo Mittlerweile wurden 12 russische Nichtregierungsorganisationen vom russischen Justizministerium zwangsweise auf die Liste raquoauslaumlndischer Agentenlaquo gesetzt und sind daher zukuumlnftig verpflichtet sich bei jeder oumlffentlichen Aumluszligerung wahrheitswidrig selbst als solche zu bezichtigen Zehn dieser Organisationen spielen in der deutschrussischen zivilgesellschaftlichen Zusammen-arbeit seit Jahren eine wichtige Rolle einige von ihnen haben mehrfach am Petersburger Dialog teilgenommen Gegen einige von ihnen sind bereits existenzbedrohende Strafgelder wegen Verstoszliges gegen das sog Agentengesetz verhaumlngt

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worden Es drohen Organisationsschlieszligungen und die Kriminalisierung der Vorstaumlnde Unter diesen inneren und aumluszlige-ren Bedingungen koumlnnen wir uns nicht an einer Neuauflage des Petersburger Dialogs in der bisherigen Form beteiligen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerder seinerzeit von Bundeskanzler Schroumlder und Praumlsident Putin initiierte Petersburger Dialog konnte die ihm zuge-

dachte Aufgabe zu einer Vertiefung und Verbreiterung der gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland beizutragen auch in den vergangenen Jahren nur sehr bedingt erfuumlllen Dies lag vor allem an der starken Naumlhe des Fuumlhrungspersonals auf der russischen Seite zum politischen Machtzentrum im Kreml die von Beginn an den Eindruck einer raquovon obenlaquo inszenierten und kontrollierten Veranstaltung naumlhrte Doch auch auf deutscher Seite wird der Petersburger Dialog bis heute von Personen dominiert die aus politischer und oumlkonomischer Opportunitaumlt dazu neigen Kritik am Kurs der russischen Fuumlhrung als Stoumlrung der raquodeutsch-russischen Freundschaftlaquo zu betrachten Zeit-weise kam es zu der paradoxen Situation dass kritische Aumluszligerungen zu Menschenrechtsverletzungen in Russland oder zum Vorgehen des Kremls gegenuumlber Georgien aus den Reihen der deutschen Delegation als raquoKalte-Kriegs-Rhetoriklaquo verteufelt wurden Nuumlchtern betrachtet waren die kritischen Stimmen aus der russischen und deutschen Zivilgesell-schaft in den letzten Jahren nur eine geduldete Minderheit die dem Petersburger Dialog den Anschein von Pluralis-mus und offener Diskussion verschaffte Ungeachtet dieser Kritik haben wir uns in der Vergangenheit am Petersburger Dialog beteiligt da wir grundsaumltzlich jedes Dialogpotenzial nutzen wollen und uns von der gemeinsamen Beteiligung mit unseren Partnern aus der russischen Zivilgesellschaft eine politische Absicherung dieser Zusammenarbeit erhofften

Diese ohnehin schwachen Hoffnungen wurden durch die Entwicklungen in diesem Jahr zerstoumlrt Vertreter unab-haumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen die auf der russischen Seite zum Petersburger Dialog eingeladen wer-den sind angesichts der politischen und juristischen Bedrohung der sie ausgesetzt sind in ihrer Entscheidung uumlber ihre Teilnahme nicht mehr frei Wenn sie der Einladung nicht folgen muumlssen sie weitere Repressalien befuumlrchten Uns denen die Freiheit der Entscheidung gegeben ist ist es nicht moumlglich durch Teilnahme am Petersburger Dialog in Sot-schi an der Aufstellung einer Potemkinschen Fassade namens raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo mitzuwirken waumlhrend die kritischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Russland als raquoAgentenlaquo diskreditiert und vielfach drangsaliert werden

Zugleich moumlchten wir unsere Bereitschaft unterstreichen an einer Reform des Petersburger Dialogs in organisa-torischer inhaltlicher und personeller Hinsicht mitzuwirken Eine solche Reform sollte darauf ausgerichtet sein uumlber die Auswahl der Formate Themen und Teilnehmer die tatsaumlchliche Lage der russischen Zivilgesellschaft in den Mit-telpunkt der Diskussion zu ruumlcken und einen offenen Dialog zu ermoumlglichen Wir sind ganz damit einverstanden dass gerade in kritischen Zeiten die Zusammenarbeit zwischen der russischen und deutschen Zivilgesellschaft gestaumlrkt wer-den muss Sofern der Petersburger Dialog in Zukunft dafuumlr ein Forum bietet werden wir uns gern daran beteiligen[Unterzeichner nicht veroumlffentlicht]Quelle Website der Boumlll-Stiftung lthttpwwwboelldede20141013reform-petersburger-dialog-ueberfaelliggt

offener Brief an den Vorsitzenden des Petersburger Dialogs lothar de maiziegravere vom 10 oktober 2014

- Offener Brief -HerrnDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des VorstandsPetersburger Dialog eVSchillerstraszlige 5910627 Berlin

Berlin 10 Oktober 2014Petersburger Dialog 2014 in SotschiSehr geehrter Herr de Maiziegravereals Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher zivilgesellschaftlicher Organisationen die seit der Gruumlndung des Petersburger Dialogs 2001 uumlber viele Jahre hinweg an dieser Veranstaltung teilgenommen haben moumlchten wir Ihnen gegenuumlber folgende Erklaumlrung abgeben

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Wir haben uns entschieden am 14 Petersburger Dialog in Sotschi nicht teilzunehmen der fuumlr den 29ndash31 Okto-ber angekuumlndigt worden ist Fuumlr diese Entscheidung die wir sorgfaumlltig diskutiert und abgewogen haben moumlchten wir drei Gruumlnde anfuumlhren1 Der Petersburger Dialog in seiner jetzigen Form steckt in einer Krise Von Jahr zu Jahr wird er seinem eigenem

Anspruch weniger gerecht Die Veranstaltung soll dem zivilgesellschaftlichen Dialog dienen Tatsaumlchlich sind Struktur Nominierungsverfahren und Programm des Petersburger Dialogs maszliggeblich von Akteuren aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert Unter diesen Voraussetzungen erfuumlllt der Petersburger Dialog leider nicht sein in seiner Satzung formuliertes Ziel ein raquooffenes Diskussionsforumlaquo zu sein das die raquoVerstaumlndigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Laumlnderlaquo foumlrdert Der Petersburger Dialog bedarf dringend einer grundlegenden Reform wie sie auch CDUCSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 eingefordert haben Gerne wuumlrden wir uns aktiv an einem Prozess zur Reformierung des Petersburger Dialogs beteiligen der auf eine pluralistische Zusam-mensetzung beider Lenkungsausschuumlsse und eine deutlich staumlrkere Ausrichtung auf unabhaumlngige zivilgesellschaft-liche Akteure zielt ohne den interdisziplinaumlren Ansatz der Veranstaltung aufzugeben

2 Die Situation in der sich Teile der Zivilgesellschaft in Russland befinden erfuumlllt uns mit groszliger Sorge Das betrifft auch Partnerorganisationen und Personen mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten Diese Organisa-tionen uumlben fuumlr Russland und daruumlber hinaus wichtige gesellschaftliche Funktionen aus Die Behinderung ihrer Arbeit durch buumlrokratische Huumlrden aber auch durch willkuumlrliche rechtliche Restriktionen und politische Diffa-mierung sind inakzeptabel Daruumlber koumlnnen wir nicht zur Tagesordnung uumlbergehen Wir wollen nicht zu Kron-zeugen fuumlr einen vorgeblich freien Austausch werden waumlhrend zugleich die kritische Zivilgesellschaft in Russland massiv und systematisch unter Druck gesetzt wird

3 In Teilen der Ukraine herrscht ein Kriegszustand fuumlr den die russische Fuumlhrung eine maszliggebliche Verantwor-tung traumlgt Wichtige Vertreter dieser Fuumlhrung spielen eine Schluumlsselrolle im Petersburger Dialog einschlieszliglich des fruumlheren Ersten Stellvertretenden Ministerpraumlsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden von Gazprom Wiktor Subkow der der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs ist Vor diesem Hin-tergrund moumlchten wir nicht durch unsere Teilnahme dazu beitragen dass eine Normalitaumlt in den deutsch-russi-schen Beziehungen simuliert wird die es derzeit wegen des Angriffs auf die politische Souveraumlnitaumlt und territo-riale Integritaumlt der Ukraine nicht geben kann

Wir waren und sind weiter sehr an einem offenen Dialog uumlber deutsch-russische Belange in einem gesamteuropaumli-schen Kontext interessiert und halten ihn fuumlr eine Bedingung guter Nachbarschaft und Kooperation Ein solcher Dia-log muss aber auch von beiden Seiten gewollt und ermoumlglicht werden Er darf zugleich nicht zum Nachteil Dritter gefuumlhrt werden Angesichts der aktuellen Lage und der bereits bekannt gewordenen Programmvorschlaumlge fuumlr Sotschi sehen wir auch diese Voraussetzung gefaumlhrdet

Dessen ungeachtet werden wir jede Moumlglichkeit nutzen unsere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Grup-pen und anderen Akteuren in Russland zu vertiefen und dieses Potential in einen bilateralen und europaumlischen Dia-log einzubringenMit freundlichen GruumlszligenRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter Politik Greenpeace eVQuelle lthttpwwwaustauschorgaktuelle-meldungennewsdetailarticle1offener-brie-1htmlno_cache=1ampcHash=0428c5bffdgt

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offener Brief des Vorsitzenden des Petersburger Dialogs vom 13 oktober 2014

AnRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich-Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace eVBerlin 13 Oktober 2014Ihr Schreiben vom 10 Oktober 2014Sehr geehrte Damen und HerrenIhren offenen Brief habe ich erhalten Dass Sie einen Brief aumlhnlichen Inhalts zunaumlchst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Auszligenminister verschickt haben verwundert mich Sie geben damit fuumlr die zivilgesell-schaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung die Sie fuumlr die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren

Ihre Nichtbeteiligung am Petersburger Dialog bedaure ich Denn es entspricht der Uumlberzeugung der meisten Mit-glieder des Vorstandes und des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs dass gerade angesichts zweifellos vorhan-dener Probleme fuumlr die Zivilgesellschaft die Sie teilweise benennen die offensive Auseinandersetzung zu solchen The-men gesucht werden muss Indem man sich solchen Gespraumlchen entzieht schadet man den Interessen der Betroffenen

Sie schreiben der Petersburger Dialog sei im Inneren zu reformieren da er von Vertretern aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert sei Diese Feststellung ist falsch und Sie wissen das Das auch in der Satzung des Petersbur-ger Dialogs beschriebene Konzept des Dialogs beruht auf einem breiten Gedankenaustausch aller gesellschaftlichen Kraumlfte Dazu gehoumlren die Bereiche Kultur Medien Bildung Wissenschaft und Kirchen genauso wie zahlreiche im Bereich der politischen sowie der sozialen Menschenrechte engagierte Einrichtungen die in ihrer Gesamtheit das deutsch-russische Verhaumlltnis beleben

Sie versuchen in Ihrem Brief den Petersburger Dialog auf das enge Feld einiger Vertreter der Zivilgesellschaft zu reduzieren die jenseits der korporierten Zivilgesellschaft angesiedelt sind und deren Interessenspektrum nur einen Teil des gesamten zivilgesellschaftlichen Engagements abdeckt

Ich verkenne nicht die ndash auch aber nicht nur ndash in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu Tage getretenen Probleme sowie die unterschiedlichen Folgen die sich aus einer raquogelenkten Demokratielaquo die in vielem nicht westli-chen Standards entspricht ergeben Dennoch Gemessen an weiten Bereichen der russischen Geschichte ist die Ent-wicklung seit 1991 ein Fortschritt Das daraus resultierende wenn auch im letzten Jahr stark eingetruumlbte Vertrauens-potential muss fuumlr die auf vielen Ebenen notwendigen Gespraumlchsforen genutzt und ausgebaut werden

Derartige Gespraumlche bedingen genauso Realismus wie intellektuelle Disziplin wozu auch gehoumlrt zu verstehen wie Russland die Probleme versteht Dies ndash und nicht Gespraumlchsverweigerung ndash ist die Voraussetzung um auf allen demokratischen gesellschaftlichen Ebenen ndash vom politischen Machtzentrum bis in die Randgruppen hinein ndash pro-blemorientierte Gespraumlche fuumlhren zu koumlnnen Dabei darf keine Seite fuumlr sich in Anspruch nehmen legitimere Inte-ressen zu vertreten als die andere

Das heiszligt Ein Gespraumlch raquoauf Augenhoumlhelaquo nicht von oben herab nicht moralisch belehrend aber mit klaren und ehrlichen Argumenten Dabei duumlrfen wir nicht verschweigen welche gesetzgeberischen aber auch politisch-morali-schen Standards wir fuumlr eine demokratische Gesellschaft im europaumlischen Kontext fuumlr unabdingbar halten

Der Petersburger Dialog wurde aus guten Gruumlnden als deutsch-russische Gemeinschaftseinrichtung konzipiert Da ist eine ndash oft muumlhsame ndash Kompromissfindung unausweichlich Dies ist Teil des Wertes auch der Tiefe aber auch der moralischen Qualitaumlt des Dialogs Das Ringen um kompromissfaumlhige Konzepte muss unser Anliegen bleiben nicht Vorverurteilung und GespraumlchsablehnungMit freundlichem GruszligDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des Vorstands Petersburger Dialog e VQuelle Website des Petersburger Dialogs lthttpwwwpetersburger-dialogcomoffener-brief-vom-13-oktober-2014gt

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offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 37

9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

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14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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Die Russland-Analysen werden von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und von Mangold Consulting GmbH unterstuumltzt

Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

Abdruck und sonstige publizistische Nutzung sind nach Ruumlcksprache mit der Redaktion gestattetVerantwortlicher Redakteur Hans-Henning Schroumlder

Recherche Uumlbersetzungen und Sprachredaktion Christoph Laug Hartmut SchroumlderSatz Matthias Neumann

Russland-Analysen-Layout Cengiz Kibaroglu Matthias Neumann und Michael ClemensAlle Ausgaben der Russland-Analysen sind mit Themen- und Autorenindex archiviert unter wwwlaender-analysende

Die Russland-Analysen werden im Rahmen eines Lizenzvertrages in das Internetangebot der Bundeszentrale fuumlr politische Bildung (wwwbpbde) aufgenommenDie Russland-Analysen werden im Rahmen der Datenbank World Affairs Online (WAO) ausgewertet und sind im Portal IREON wwwireon-portalde recherchierbar

ISSN 1613-3390 copy 2014 by Forschungsstelle Osteuropa BremenForschungsstelle Osteuropa bull Publikationsreferat bull Klagenfurter Str 3 bull 28359 Bremen bull Telefon +49 421-218-69600 bull Telefax +49 421-218-69607

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 40

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Die einzelnen Laumlnder-Analysen werden von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und der Deutschen Gesellschaft fuumlr Osteuropakunde jeweils mit unterschiedlichen Partnern und Sponsoren herausgegeben

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  • Analyse
    • Eine neue Phase der Russland- und Ostpolitik hat begonnen
      • Karsten D Voigt Berlin
      • Umfrage
        • Die Russland-Ukraine-Krise in russischen Umfragen
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                  • Pavel Chikov Moskau
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                        • Ein Kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen Engagements zur Unterstuumltzung und Integration von Migranten in Russland
                          • Marina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin
                          • Umfrage
                            • Uumlber die Zivilgesellschaft in Russland
                              • Dokumentation
                                • Luumlgen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des JustizministeriumsErklaumlrung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL
                                  • Notizen aus Moskau
                                    • Petersburger Dialog
                                      • Jens Siegert Moskau
                                      • Dokumentation
                                        • Briefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo
                                          • Chronik
                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 21: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 21

der Arbeitsmigranten umfasst juristische Konsultation und die Loumlsung administrativer Fragen z B bei nicht ausgezahlten Gehaumlltern Deportationen Einreisever-boten Die Organisation stellt juristischen Beistand bei unbegruumlndeten Klagen gegen Migranten hilft bei Kla-gen gegen Arbeitgeber wegen nicht ausgezahlter Loumlhne fuumlhrt ein Projekt gegen Hate Crimes durch und veran-staltet Spendenaktionen auf ihrer Webseite Besonders die aumlrztliche Versorgung ist wichtig da der staatliche Notdienst Migranten oft seine Hilfe verwehrt raquoGrash-danskoje sodejstwijelaquo arbeitet eng mit dem Fluumlchtlings-hilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) der Inter-nationalen Organisation fuumlr Migration (IOM) und mit dem Netzwerk raquoMigrazija i prawolaquo (raquoMigration und Rechtlaquo) einem Programm des Menschenrechtszentrums raquoMemoriallaquo zusammen Obwohl in der offiziellen Rhe-torik die Bedeutung der Migration fuumlr Russland unter-strichen wird (wie zum Beispiel in der raquoKonzeption der staatlichen Migrationspolitik 2025laquo) beobachtet man in der Praxis meist die stumme Hinnahme der Uumlber-griffe auf Arbeitsmigranten Nach dem Inkrafttreten des NGO-Gesetzes fand bei der Organisation eine Uumlberpruuml-fung durch die Staatsanwaltschaft statt Ob und wenn ja wie dieses Projekt weiterlaufen wird ist bis heute unklar

Arbeit mit fluumlchtlingskindernIm Rahmen der Organisation raquoBuumlrgerhilfelaquo gibt es zudem ein raquoZentrum fuumlr Integration und Unterricht fuumlr Fluumlchtlingskinderlaquo da das staatliche Programm mit dem Kinder mit Migrationshintergrund Russisch lernen nicht ausreichend ist

Aumlhnlich wie ihre Kollegen aus Moskau arbeiten die Freiwilligen des zivilgesellschaftlichen Projekts raquoDeti Peterburgalaquo (raquoKinder von Petersburglaquo) mit Kindern des-sen Eltern aus den unterschiedlichsten Gruumlnden nach Russland immigriert sind Zwei Projektkoordinatoren der Organisation raquo[Wahl]Beobachterlaquo Daniil Ljubarow und Irina Beljaewa haben 2012 raquoDeti Peterburgalaquo gegruumlndet Angefangen mit einem Angebot von Russisch-Grundkur-sen fuumlr Vorschuumller mit Migrationshintergrund hat sich dieses Programm mittlerweile so weit entwickelt dass Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre an sechs verschie-

denen Standorten in Sankt Petersburg an Russischkursen teilnehmen koumlnnen Bis 2014 hatte es noch nicht einmal feste Raumlumlichkeiten gegeben die Mitarbeiter der raquoDeti Peterburgalaquo organisierten sich ausschlieszliglich uumlber soziale Netzwerke Der virtuelle Raum verbindet diese Organi-sation auch mit anderen zivilgesellschaftlichen Projek-ten So zieht das Projekt nicht nur politische Aktivisten an sondern vor allem Paumldagogen Linguisten und Stu-denten die die Kurse vorbereiten und durchfuumlhren Der Aufbau von kreativen Zirkeln gehoumlrt genauso zur Arbeit von raquoDeti Peterburgalaquo wie die Koordination von Ausfluuml-gen in die Umgebung Museen oder Theatern Das Pro-jekt ist abhaumlngig von seinen Teilnehmern Die fehlen-den Sprachkenntnisse der Eltern fuumlhren oft zu groszligen Kommunikationsproblemen Aber auch die wechselnden und meist aumluszligerst schwierigen Arbeitszeiten der Eltern erschweren die Durchfuumlhrung des Projekts Die staumldti-sche Buumlrokratie versucht den Elan der Mitarbeiter zu bremsen Auch deshalb bleibt das Projekt nichtstaatlich

fazitMisstrauen gegenuumlber der Regierung soziale Probleme und Alltagsrassismus bewegen immer mehr Menschen dazu sich eigenstaumlndig mit der negativen Entwicklung beim Umgang mit Migranten zu beschaumlftigen Aus Inter-views mit den Mitarbeitern der verschiedenen Organisa-tion laumlsst sich schlieszligen dass eine russische Zivilgesell-schaft entstanden ist die die Migrationsfrage einerseits als Arbeit mit der Mehrheits- also russischen Bevoumllkerung betrachtet um diese zu sensibilisieren Anderseits gibt es Initiativen die vor allem konkrete Hilfe fuumlr Migranten leisten um deren alltaumlgliche Probleme zu minimieren

Die Zivilgesellschaft bemuumlht sich Vorurteile abzu-bauen die Migrationspolitik realistischer zu machen und Migranten wie Fluumlchtlingen konkrete Hilfestellung zu geben Die Behoumlrden sabotieren diese Arbeit In den Groszligstaumldten wird der Zuzug von Migranten restriktiv gehandhabt Arbeitgeber wissen um den oft schwierigen Status der Migranten und nutzen die Situation aus um die Migranten weiter auszubeuten Die Arbeit der Zivil-gesellschaft zur Sensibilisierung der russischen Bevoumllke-rung wird durch die offizielle Politik oft konterkariert

Uumlber die AutorenIm Rahmen des Projektkurses raquoZiviler Ungehorsam Gesellschaft und Staat in Osteuropalaquo reisten die Studierenden des Osteuropa-Instituts der Freien Universitaumlt Berlin Michael Bellmann und Kristina Arisov nach Moskau sowie Marina Grinfeld und Christina Huthmann nach St Petersburg um mit Aktivisten und Organisationen die sich fuumlr die Integration von Migranten in Russland einsetzen Interviews zu fuumlhren und die Position der Zivilgesellschaft zur Migrationsproblematik zu analysieren

Lesetippsbull Judah Ben Russiarsquos Migration Crisis in Survival 552013 Nr 6 S 123ndash131

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 22

bull Malakhov Vladimir S Russia as a New Immigration Country Policy Response and Public Debate in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1062ndash1079

bull Schenk Caress Controlling Immigration Manually Lessons from Moscow (Russia) in Europe-Asia Studies 652013 Nr 7 S 1444ndash1465

bull Spahn Susanne Die gelenkte Xenophobie Migration und nationale Frage in Russland Russland nur fuumlr Russen in Osteuropa 642014 Nr 7 S 55ndash67

bull Tipaldou Sofia Katrin Uba The Russian Radical Right Movement and Immigration Policy Do They Just Make Noise or Have an Impact as Well in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1080ndash1101

UmFRAGE

Uumlber die zivilgesellschaft in russland

zur zivilgesellschaftlichen und politischen Aktivitaumlt der russen

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 15 stellen sie sich vor ihre nachbarn schlagen eine gemeinsame muumlllsammelaktion in der nahegelege-nen Parkzone vor Was waumlren sie bereit zu uumlbernehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator der Aktionwerden

An der Aktionmitwirken

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 16 haben sie im vergangenen halbjahrJahr hellip

0 20 40 60 80 100

hellip an den Aktivitaumlten einer non-profit Organisation teilgenommen als Freiwilliger gearbeitet

hellip sich mit gesellschaftlichen Problemen an ihrem Wohnort beschaumlftigt

hellip an Groszligveranstaltungen Demonstrationen Streiks Kundgebungen Umzuumlgen teilgenommen

Ja Keine Antwort Nein

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 23

grafik 17 stellen sie sich vor dass es an ihrem Wohnort zu massenhaften Wahlfaumllschungen kommt irgend-jemand ruft zur Durchfuumlhrung von Protestaktionen gegen die Wahlfaumllschungen auf Was wuumlrden sie unternehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator dieser Aktionwerden

An dieser Protestaktionteilnehmen

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 18 Waren sie haben sie sich in den vergangenen einndashzwei Jahren hellip

0 20 40 60 80 100

hellip Mitglied einer politischen Partei

hellip Wahlbeobachter

hellip an der Arbeit einer Menschenrechtsorganisation beteiligt

hellip sich im Internet (in sozialen Netzwerken auf Foren) zu politischen Themen geaumluszligert

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

zur gesellschaftlichen Aktivitaumlt

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

grafik 19 haben sie persoumlnlich in den vergangenen zweindashdrei Jahren an der taumltigkeit einer gesellschaftlichen organisation teilgenommen Wenn ja wie genau (beliebige zahl an Antworten)

6

6

5

2

2

84

1

050

Habe an gesellschaftliche Organisationen gespendetoder andere materielle Hilfe geleistet

Habe an Wohltaumltigkeitsveranstaltungen teilgenommen(Konzerte Ausstellungen Wohltaumltigkeitslotterie Auktionen)

Habe Freiwilligenarbeit geleistet (kostenlos)

Habe gegen Entgelt in einer gesellschaftlichenOrganisation gearbeitet

Habe Informationen zu den Taumltigkeitenvon gesellschaftlichen Organisationen verteilt

Nicht teilgenommen

Anderes

Keine Antwort

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 24

grafik 20 haben ihnen irgendwann einmal gesellschaftliche organisationen geholfen

0 20 40 60 80 100

Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja mit Geld geholfen Ja auf andere Weise geholfen Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

Die oumlffentliche meinung zu ngos mit auslaumlndischer finanzierung (April 2013)

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 21 mit welcher meinung zur taumltigkeit russischer ngos stimmen sie am ehesten uumlberein

Sie bringen einen groszligen Nutzen

4

Sie bringen mehr Nutzen als Schaden

15Sie bringen ebenso viel

Nutzen wie Schaden23

Sie bringen mehr Schaden als Nutzen

18

Sie bringen weder Nutzen noch Schaden

13

Keine Antwort27

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 22 ist es fuumlr sie wichtig ob eine russische menschenrechtsorganisation aus einheimischen oder auslaumln-dischen mitteln finanziert wird

Sehr wichtig10

Eher wichtig34

Nicht besonders wichtig24

Vollkommen unwichtig18

Keine Antwort14

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 25

grafik 23 Welche ziele verfolgen westliche laumlnder und organisationen die russische ngos mit mitteln aus-statten

Einen verstaumlrkten Einfluss auf die russische

Innenpolitik42

Einen Kampf gegen den russischen Staat

19Eine Unterstuumltzung der

russischen Zivilgesellschaft

8

Kein besonderes Ziel russische NGOs werden wie andere aus standardisierten

internationalen Programmen unterstuumltzt

12

Keine Antwort19

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 24 Duumlrfen organisationen die sich mit dem schutz der Buumlrgerrechte beschaumlftigen und den staat kriti-sieren das recht haben mittel aus dem Ausland zu beziehen

Ja20

Nein56

Keine Antwort24

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 25 Unterstuumltzen sie harte sanktionen gegen ngos die einer politischen taumltigkeit nachgehen und gelder aus dem Ausland erhalten sich aber nicht nach dem gesetz als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren

Auf jeden Fall20

Eher ja32

Eher nein15

Auf keinen Fall5

Keine Antwort28

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 26

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RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 27

luumlgen des fernsehkanals ntV und Beanstandungen des Justizministeriums erklaumlrung des menschenrechtszentrums memoriAl und der russischen gesellschaft

memoriAl

Die Behauptung bei NTV das russische Justizministerium habe die Liquidierung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL eingeleitet fuumlhrte heute zu etlichen Irritationen Das Menschenrechtszentrum und die Russische Gesell-schaft MEMORIAL (die Dachorganisation der russischen Memorial-Verbaumlnde) haben aus diesem Anlass nachste-hende Erklaumlrung abgegeben

Am 10 Oktober strahlte NTV unter dem Titel raquoAuszligergewoumlhnliches Ereignislaquo eine Sendung aus die aus boumlswil-ligen Luumlgen aber auch aus Fehlinformationen in Folge von Unkenntnis bestand

Die Arbeit des Menschenrechtszentrums MEMORIAL als Unterstuumltzung von Extremisten und Terroristen dar-zustellen ist eine infame Luumlge Auf Unkenntnis basiert hingegen die Behauptung das Justizministerium habe des-halb den Antrag gestellt das Menschenrechtszentrum MEMORIAL zu liquidieren

In Wirklichkeit hat das Justizministerium beim Obersten Gericht der Russischen Foumlderation nicht die Aufloumlsung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL beantragt Es geht hier vielmehr um eine andere Organisation naumlmlich die Russische Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIAL

Die russische Gesellschaft MEMORIAL wurde vom Justizministerium bereits 1992 registriert Bis heute befinden sich unter ihrem Dach verschiedene Memorial-Verbaumlnde die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen

Im Jahre 2012 20 Jahre nach der ersten Registrierung tauchten beim Justizministerium ploumltzlich Zweifel hin-sichtlich des russischen Rechtsstatus von Memorial auf obwohl der Gesellschaft praktisch dieselben regionalen Ver-baumlnde angehoumlren wie zuvor und sich die Gesetzeslage in dieser Frage in keinem Punkt geaumlndert hatte

Geaumlndert hat sich allerdings die Position des Justizministeriums das erneut einen raquodemokratischen Zentralismuslaquo anstrebt der nach der Abschaffung der fuumlhrenden Rolle der KPdSU nicht mehr aktuell schien Heute erklaumlrt das Jus-tizministerium nur jene gesellschaftlichen Vereinigungen koumlnnten der Russischen Gesellschaft MEMORIAL ange-houmlren die in ihrer Bezeichnung die Worte raquoVerband (otdelenie) der Russischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklauml-rung Sozialarbeit und Menschenrechte MEMORIALlaquo tragen

Die gesetzliche Vorschrift dass eine Organisation nur dann einen gesamtrussischen Status haben kann wenn sie in uumlber der Haumllfte der Foumlderationssubjekte Verbaumlnde unterhaumllt legt das Justizministerium jetzt dahingehend aus dass diese Verbaumlnde zwangslaumlufig einen Status als Regionalverbaumlnde haben muumlssten Das Vorhandensein von Stadt- und Bezirksverbaumlnden einer Organisation reicht die Beamten als Beleg dafuumlr nicht aus dass die Organisation in der betreffenden Region taumltig ist

Die Vorbehalte des Justizministeriums entbehren jeglicher Grundlage Nicht zufaumlllig erhielten wir auf Anfragen keine Hinweise auf eine Gesetzesnorm Es ist fuumlr uns inakzeptabel dass das Justizministerium das von der Verfas-sung garantierte Recht von Buumlrgern eine Vereinigung zu bilden gesetzwidrig einschraumlnken will Deshalb hat sich die Russische Gesellschaft MEMORIAL bereits 2012 entschlossen vor Gericht zu gehen

Einen Hinweis auf ein Gesetz haben wir auch nicht erhalten als wir 2013 die Forderungen des Justizministeriums im Moskauer Zamoskvorezki-Bezirksgericht und danach im Stadtgericht angefochten haben Beide Instanzen gaben wie nicht anders zu erwarten dem Justizministerium Recht Deshalb wird die Russische Gesellschaft MEMORIAL in Kuumlrze Klage beim Verfassungsgericht einreichen

Was den Antrag des Justizministeriums betrifft so hoffen wir dass das Oberste Gericht bei Behandlung dieses Antrags dem Gesetz und der Verfassung mehr Respekt entgegenbringen wird als die untergeordneten Gerichtsinstanzen

10 Oktober 2014Quelle Website von Memorial Deutschland lthttpwwwmemorialdeindexphpid=42amptx_ttnews[tt_news]=546amptx_ttnews[backPid]=3ampcHash=5bbe9b235a03fe09cba52ed5c8786b99gt

DOkUmENtAtION

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 28

NOtIzEN AUS mOSkAU

Petersburger DialogJens Siegert Moskau

Auf den ersten Blick sieht es so aus als ob ein (egal ob nun willentlich oder nicht) an die Oumlffentlich-

keit gelangter Brief einiger regelmaumlszligiger Teilnehmer des Petersburger Dialogs (PD) aus den Reihen deutscher NGOs an Bundeskanzlerin Merkel und Auszligenminis-ter Steinmeier die Verschiebung des fuumlr Ende Oktober in Sotschi geplanten groszligen Jahrestreffens verursacht haumltte In dem Brief bekraumlftigten die Autoren ihre nicht neue Kritik am PD und erklaumlrten warum sie dieses Jahr nicht teilnehmen wuumlrden Sie betonen dass die Absage kein Boykott sei und bieten ihrerseits einen Dialog zur Reform des Dialogs an Auf den zweiten Blick war der Brief selbstverstaumlndlich nur Anstoszlig aber nicht Grund fuumlr die Verschiebung Doch der Reihe nach

Die in dem Brief geaumluszligerte Kritik am PD ist wie gesagt nicht neu sie hat sie den PD von Anfang an begleitet Das liegt sicher auch an einem bis heute nicht korrigierten Geburtsfehler Ein durch Staats- und Regie-rungschefs initiierter raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo ist schon etwas verquer Das heiszligt nicht dass das nicht gehen koumlnnte Doch dazu haumltten sich die hochgestell-ten Initiatoren (der damalige russische Praumlsident und der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schrouml-der) und ihre (Interims-)Nachfolger spaumlter zuruumlckziehen muumlssen Das haben sie nicht Daran sind sie nicht (allein) Schuld Es war der PD der durch seine Lenkungsor-gane die enge zeitliche und oumlrtliche Verbindung mit den deutsch-russischen Regierungskonsultationen und die zeitweilige Anwesenheit von Praumlsident und Kanzlerin zum Grundstein seiner Wirkungsmaumlchtigkeit erklaumlrte

Auf deutscher Seite wurde versucht dieses Problem organisatorisch sozusagen oumlffentlich-rechtlich zu loumlsen indem moumlglichst alle interessierten politischen Spektren und gesellschaftlichen Gruppen am sogenannten Len-kungsausschuss beteiligt wurden Das gelang zumindest so gut dass es soweit mir bekannt bis heute keine grouml-szligeren Klagen uumlber Nichtberuumlcksichtigung oder Nicht-beteiligung gab Aber die Bundesregierung behielt weit-gehenden Einfluss nicht zuletzt uumlber den alljaumlhrlich sechsstelligen Zuschuss fuumlr die Durchfuumlhrung der Jah-restreffen Auszligerdem wurde der jeweilige Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses zwar nach Abstim-mungen mit den Beteiligten aber letztlich durch den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin bestimmt

In Russlands ist die Sache einfacher Von Anfang an wurde und wird gemacht wird was der Kreml will Schon der erste Vorsitzende des russischen Lenkungs-ausschusses Michail Gorbatschow (immerhin selbst ein ehemaliger Praumlsident) war wie er selbst einmal bekannte

nicht mehr als ein ndash schoumlne Ruumlckuumlbertragung aus dem Russischen ndash raquoSitz-Praumlsidentlaquo Der jetzige Vorsitzende Wiktor Subkow war Datschennachbar von Putin ers-ter stellvertretender Ministerpraumlsident und ist nun Auf-sichtsratsvorsitzender von Gazprom

Die Kritik dass nur eine Simulation eines raquozivilge-sellschaftlichen Dialogslaquo stattfinde wurde von einigen deutschen Teilnehmern bereits auf dem ersten Jahres-treffen des PD im April 2001 in St Petersburg geaumluszligert Es fehlten auf russischer Seite (in der seinerzeit noch ver-einigten Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo) Vertreter russischer NGOs Die Kritik kam an In Russ-land fuumlhrte sie (ohne dass ich hier jetzt ausfuumlhren kann wie) zum ersten Versuch des Kremls auch unabhaumln-gige NGOs in das korporative System der gelenkten Demokratie zu zwingen Der Versuch misslang weitge-hend und muumlndete in einer Art Waffenstillstand und der Gruumlndung eines raquoMenschenrechtsrats beim Praumlsi-dentenlaquo unter Einbeziehung von Vertretern unabhaumlngi-ger NGOs Beim PD wurde die Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo in ihre zwei Namensbestandteile geteilt und es gelang uumlber die Jahre in immer wieder unternommenen Anstrengungen auch die Teilnahme unabhaumlngiger russischer NGO-Vertreter durchzuset-zen Etwas spaumlter wurde diese Teilnahme sogar vor-sichtig institutionell abgesichert indem erst Ella Pam-filowa und spaumlter ihr Nachfolger Michail Fedotow als Vorsitzende des inzwischen zum raquoZivilgesellschaftsratlaquo umbenannten raquoMenschenrechtsratslaquo zu den russischen Koordinatoren der Arbeitsgruppe raquoZivilgesellschaftlaquo mit Einladungsrecht wurden (wobei die Einladungen selbst-verstaumlndlich mit der Praumlsidentenadministration abge-stimmt werden muumlssen) Das ist bis heute so

Die Verfasser des Briefes (zu denen ich bekenne mich auch ich gehoumlre) allesamt langjaumlhrige Teilneh-mer der Jahrestreffen des PD haben all die Jahre immer wieder auch oumlffentlich uumlber den Sinn und Unsinn ihrer Teilnahme und Unterstuumltzung diskutiert Letztendlich uumlberwogen die ganze Zeit uumlber zwei Uumlberlegungen Ers-tens ist ein Dialog auch und gerade auf offizieller Ebe-nen und mit offiziellen Vertretern des russischen Staates (wie auch mit Wissenschaftlern Unternehmern Journa-listen Priestern usw welcher politischen Couleur auch immer sie sein moumlgen) erst einmal besser als kein Dia-log Zweitens gingen wir all die Jahre davon aus dass die nicht ohne Muumlhen erreichte Teilnahme unabhaumln-giger russischen NGO-Vertreter fuumlr sie ihre Organisa-tionen aber auch die russische NGO-Szene insgesamt zumindest einen kleinen zusaumltzlichen Schutz gegen die

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 29

seit Putins Amtsantritt immer wieder uumlber das Land gehenden Repressionswellen bietet1 Was hat sich dieses Jahr geaumlndert Erst einmal nicht

so viel gegenuumlber dem Vorjahr Es war schon immer siehe oben eine schwierige Abwaumlgung ob die Teil-nahme am PD sich lohnt oder nicht vielmehr dazu beitraumlgt so zu tun als gaumlbe es in Russland die unein-geschraumlnkte und ungefaumlhrdete Moumlglichkeit sich zivilgesellschaftlich auch dort zu engagieren wo es dem Staat weh tut Zwei Ereignisse haben nun aber zumindest fuumlr die Autoren des Briefes das Pen-del zur anderen Seite ausschlagen lassen Die Kon-frontation zwischen dem Westen (ich weiszlig um die Bedingtheit des Begriffs verwende in der Kuumlrze hal-ber aber trotzdem) und Russland im Konflikt in der und um die Ukraine ist nicht einfach die Fortset-zung schon laumlnger existierender raquoMeinungsverschie-denheitenlaquo Sie ist tiefer und prinzipieller Es geht eben im Kern nicht in erster Linie um Geopolitik sondern wieder einmal um ich fuumlrchte hier weder den Pathos noch historische Analogien Freiheit und Demokratie in Europa

2 Die Repressionen gegen russische NGOs unsere prinzipiellen Partner in der Verteidigung von Demo-kratie und Freiheit haben mit dem sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo eine neue Qualitaumlt erreicht 15 NGOs sind inzwischen zwangsweise zu raquoauslaumln-dischen Agentenlaquo erklaumlrt worden anderen droht die Schlieszligung aufgrund anderer Gesetze Einige von ihnen waren sogar zum nun verschobenen Treffen in Sotschi eingeladen Sie mussten sich Gedanken machen ob eine Zusage oder eine Absage ihnen nicht schaden koumlnnte

Unter diesen Umstaumlnden halten die Verfasser des Brie-fes ihre Teilnahme am PD fuumlr nicht mehr moumlglich Sie fordern keinen Boykott wohl aber ein Nachdenken uumlber eine tiefgreifende Reform

Der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses Lothar de Maiziere hat in einem eigenen offenen Brief geantwortet und den Verfassern vorgeworfen den Dia-log verweigern und politisieren zu wollen Diese (Gegen-)Klage scheint mir angesichts der vielfaumlltigen Verbindun-gen und Dialogformen die die Organisationen hinter den Unterzeichnern des Briefes seit vielen Jahren und oft laumlnger als der PD organisieren an denen sie teil-nehmen und die sie foumlrdern nicht sonderlich stichhal-tig Doch die Auseinandersetzung geht tiefer De Mai-ziere behauptet in seinem Brief der PD mache bereits all das was die Kritiker fordern Genau das bezweifeln diese aber Die Auseinandersetzung geht also und vor allem darum was ein fruchtbarer Dialog zu leisten im Stande sein kann und leisten sollte Sie geht aber auch darum ob dieser Dialog zwischen zwei Gesellschaf-

ten stattfindet nach dem Motto hier die eine dort die andere oder ob sich die Seiten bei diesem Dialog inei-nander verschraumlnken

Die Verfasser des Briefes sind ganz offensichtlich mit ihrer Kritik nicht allein Schon bevor der Brief oumlffent-lich bekannt wurde hatten die Bundestagsabgeordne-ten Andreas Schockenhoff (CDUCSU) und Marieluise Beck (Buumlndnis 90 Die Gruumlnen) in oumlffentlichen Stel-lungnahmen Aumlhnliches gefordert und auch ihre Nicht-Teilnahme erklaumlrt Etwas spaumlter wurde bekannt dass auch der Russland-Beauftragte der Bundesregierung Gernot Erler nicht nach Sotschi fahren wollte Mehr noch Bereits seit dem Fruumlhsommer gab es Gespraumlche zwischen Kanzleramt und Auswaumlrtigem Amt mit dem Ziel den PD sowohl personell als auch strukturell zu reformieren Allerdings setze sich augenscheinlich die Sichtweise des Auswaumlrtigen Amtes durch alles vorerst beim Alten zu belassen da es auch so schon genug Pro-bleme im deutsch-russischen Verhaumlltnis gebe und man diesen Kanal nicht auch noch belasten oder gar gefaumlhr-den solle

Doch zum Herbst hat sich die Situation noch ein-mal veraumlndert Die Hoffnung die russische Fuumlhrung um Praumlsident Putin werde im Krieg in der Ostukraine ein-lenken ist selbst im Auswaumlrtigen Amt bis in die Spitze kaum noch zu finden Im Sommer bekam das russische Justizministerium zudem per erneuter Gesetzesaumlnde-rung das Recht NGOs zwangsweise zu raquoAgentenlaquo zu erklaumlren und macht seither rege Gebrauch davon Eine ganze Reihe russischer NGOs steht vor der Schlieszligung oder loumlst sich auf weil ihnen die vom Gesetz geforderte Selbstetikettierung als raquoauslaumlndische Agentenlaquo ethisch rechtlich und praktisch unmoumlglich ist

Es sieht so aus als haumltten die Verfasser des Briefes nur eine Tuumlr geoumlffnet hinter der andere darunter die Kanzlerin nur darauf gewartet haben durch sie hin-durch gehen zu koumlnnen ohne selbst der Tuumlroumlffnung geziehen zu werden

Ein wenig verwundert die erstaunlich milde russi-sche Reaktion Nach der kurzen Drohung eine Verschie-bung bedeute das Ende des PD lenkte Putin im Telefo-nat mit Merkel ein und fand tags darauf sogar oumlffentlich verstaumlndnisvolle Worte fuumlr die raquoProbleme der deutschen Seitelaquo Das duumlrfte zwei Gruumlnde haben Der eine ist dass trotz des haumlufiger gewordenen Deutschland-Bashings im russischen Staatsfernsehen (mit dem Ergebnis dass in Umfragen Deutschland aus der Kategorie raquoFreundlaquo in die Kategorie raquoFeindlaquo abgerutscht ist) Deutschland im Kreml immer noch als wichtigster raquostrategischerlaquo Part-ner im Westen und vor allem in der EU gilt Zudem ist Deutschland zweifellos ein Land dessen oumlffentliche Meinung (und damit Politik) aus russischer Sicht durch-aus beeinflussbar ist (was z B die kolportierten rund

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 30

140 Millionen US-Dollar zum Aufbau eines deutsch-sprachigen Programms des staatlichen Auslandsfernse-hens raquoRussia Todaylaquo zeigen)

Der andere liegt in einem erneuten Strategiewech-sel (oder weniger ambitioniert Wechsel der Taktik) im Ukraine-Konflikt Die Sanktionen beiszligen inzwi-schen kraumlftig Die Rhetorik wurde daher gemildert Der Kreml ist ganz auf Frieden und dieser Ausdruck aus dem Sport sei erlaubt Ergebnissicherung bedacht (was uumlbrigens Putins grundsaumltzlicher Taktik auch im Inne-ren Russlands entspricht erst hart zuzuschlagen dann eine Schritt zuruumlck zu gehen und einen Kompromiss zu suchen nach dem es fuumlr seine Gegner nachher schlech-ter steht als vorher) Neues Ziel scheint nun also zu sein die raquoErrungenschaftenlaquo Krim (als Teil Russlands) und raquoNeurusslandlaquo (als neuen raquoFrozen Conflictlaquo) zu fixieren und trotzdem mit dem Westen wenn schon nicht gut-freund zu werden so doch zumindest erneut zu einem einigermaszligen vertraumlglichen Modus Vivendi zu gelan-gen Das Gas duumlrfte nach den Mailaumlnder Gespraumlchen

und bei allem Geknurre im Winter stroumlmen und auch im Nahen Osten stellt Moskau weniger Widerspenstig-keit in Aussicht

Was heiszligt das fuumlr die Zukunft des PD Erstmal ist sie offen Zuerst muss sich die deutsche Seite neu ord-nen (hier hat Putin sogar Recht) Nachdem sich Angela Merkel persoumlnlich um eine russische Akzeptanz fuumlr die Verschiebung von Sotschi bemuumlht hat kann ich mir allerdings nicht vorstellen dass es in einigen Wochen oder Monaten ein Zuruumlck zum status quo ante gibt Ob und wie sich ein neu aufgestellter deutscher Lenkungs-ausschuss mit einem neuen Konzept mit der russischen Seite verstaumlndigen kann laumlsst sich momentan kaum voraussagen Es ist zwar einen Versuch wert haumlngt aber wohl sehr von der dann herrschenden politischen Groszlig-wetterlage ab

Diesen und andere Texte finden Sie auf Jens Siegerts Russ-landblog lthttprusslandboellblogorggt

Lesetippbull Poumlrzgen Gemma Dringend reformbeduumlrftig Der Petersburger Dialog auf dem Pruumlfstand in Osteuropa 602010

Nr 10 S 59ndash81

DOkUmENtAtION

Briefwechsel uumlber die zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo

schreiben von nichtregierungsorganisationen und einzelpersonen an die Bundeskanzlerin und den Auszligenminister zum raquoPetersburger Dialoglaquo 2 oktober 2014 [nachtraumlglich veroumlffentlicht]

Berlin 02 Oktober 2014Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerals Personen die sich seit vielen Jahren intensiv im zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland engagieren wenden wir uns mit diesem Schreiben an Sie um zu erlaumlutern warum wir uns in diesem Jahr nicht am Petersburger Dialog beteiligen koumlnnen Zugleich moumlchten wir fuumlr eine Erneuerung des Petersburger Dialogs werben

In Reaktion auf die politische Wende in der Ukraine die durch eine breite gesellschaftliche Protestbewegung hervor-gerufen wurde hat die russische Fuumlhrung voumllkerrechtswidrig die Krim annektiert und einen unerklaumlrten Krieg neuen Typs im Osten der Ukraine begonnen Zugleich betreibt die Regierung unter Praumlsident Putin die systematische Ausschal-tung der letzten unabhaumlngigen Medien in Russland die Kriminalisierung aller Formen politischer Opposition und die Diskreditierung unabhaumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen als raquoauslaumlndische Agentenlaquo Mittlerweile wurden 12 russische Nichtregierungsorganisationen vom russischen Justizministerium zwangsweise auf die Liste raquoauslaumlndischer Agentenlaquo gesetzt und sind daher zukuumlnftig verpflichtet sich bei jeder oumlffentlichen Aumluszligerung wahrheitswidrig selbst als solche zu bezichtigen Zehn dieser Organisationen spielen in der deutschrussischen zivilgesellschaftlichen Zusammen-arbeit seit Jahren eine wichtige Rolle einige von ihnen haben mehrfach am Petersburger Dialog teilgenommen Gegen einige von ihnen sind bereits existenzbedrohende Strafgelder wegen Verstoszliges gegen das sog Agentengesetz verhaumlngt

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worden Es drohen Organisationsschlieszligungen und die Kriminalisierung der Vorstaumlnde Unter diesen inneren und aumluszlige-ren Bedingungen koumlnnen wir uns nicht an einer Neuauflage des Petersburger Dialogs in der bisherigen Form beteiligen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerder seinerzeit von Bundeskanzler Schroumlder und Praumlsident Putin initiierte Petersburger Dialog konnte die ihm zuge-

dachte Aufgabe zu einer Vertiefung und Verbreiterung der gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland beizutragen auch in den vergangenen Jahren nur sehr bedingt erfuumlllen Dies lag vor allem an der starken Naumlhe des Fuumlhrungspersonals auf der russischen Seite zum politischen Machtzentrum im Kreml die von Beginn an den Eindruck einer raquovon obenlaquo inszenierten und kontrollierten Veranstaltung naumlhrte Doch auch auf deutscher Seite wird der Petersburger Dialog bis heute von Personen dominiert die aus politischer und oumlkonomischer Opportunitaumlt dazu neigen Kritik am Kurs der russischen Fuumlhrung als Stoumlrung der raquodeutsch-russischen Freundschaftlaquo zu betrachten Zeit-weise kam es zu der paradoxen Situation dass kritische Aumluszligerungen zu Menschenrechtsverletzungen in Russland oder zum Vorgehen des Kremls gegenuumlber Georgien aus den Reihen der deutschen Delegation als raquoKalte-Kriegs-Rhetoriklaquo verteufelt wurden Nuumlchtern betrachtet waren die kritischen Stimmen aus der russischen und deutschen Zivilgesell-schaft in den letzten Jahren nur eine geduldete Minderheit die dem Petersburger Dialog den Anschein von Pluralis-mus und offener Diskussion verschaffte Ungeachtet dieser Kritik haben wir uns in der Vergangenheit am Petersburger Dialog beteiligt da wir grundsaumltzlich jedes Dialogpotenzial nutzen wollen und uns von der gemeinsamen Beteiligung mit unseren Partnern aus der russischen Zivilgesellschaft eine politische Absicherung dieser Zusammenarbeit erhofften

Diese ohnehin schwachen Hoffnungen wurden durch die Entwicklungen in diesem Jahr zerstoumlrt Vertreter unab-haumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen die auf der russischen Seite zum Petersburger Dialog eingeladen wer-den sind angesichts der politischen und juristischen Bedrohung der sie ausgesetzt sind in ihrer Entscheidung uumlber ihre Teilnahme nicht mehr frei Wenn sie der Einladung nicht folgen muumlssen sie weitere Repressalien befuumlrchten Uns denen die Freiheit der Entscheidung gegeben ist ist es nicht moumlglich durch Teilnahme am Petersburger Dialog in Sot-schi an der Aufstellung einer Potemkinschen Fassade namens raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo mitzuwirken waumlhrend die kritischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Russland als raquoAgentenlaquo diskreditiert und vielfach drangsaliert werden

Zugleich moumlchten wir unsere Bereitschaft unterstreichen an einer Reform des Petersburger Dialogs in organisa-torischer inhaltlicher und personeller Hinsicht mitzuwirken Eine solche Reform sollte darauf ausgerichtet sein uumlber die Auswahl der Formate Themen und Teilnehmer die tatsaumlchliche Lage der russischen Zivilgesellschaft in den Mit-telpunkt der Diskussion zu ruumlcken und einen offenen Dialog zu ermoumlglichen Wir sind ganz damit einverstanden dass gerade in kritischen Zeiten die Zusammenarbeit zwischen der russischen und deutschen Zivilgesellschaft gestaumlrkt wer-den muss Sofern der Petersburger Dialog in Zukunft dafuumlr ein Forum bietet werden wir uns gern daran beteiligen[Unterzeichner nicht veroumlffentlicht]Quelle Website der Boumlll-Stiftung lthttpwwwboelldede20141013reform-petersburger-dialog-ueberfaelliggt

offener Brief an den Vorsitzenden des Petersburger Dialogs lothar de maiziegravere vom 10 oktober 2014

- Offener Brief -HerrnDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des VorstandsPetersburger Dialog eVSchillerstraszlige 5910627 Berlin

Berlin 10 Oktober 2014Petersburger Dialog 2014 in SotschiSehr geehrter Herr de Maiziegravereals Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher zivilgesellschaftlicher Organisationen die seit der Gruumlndung des Petersburger Dialogs 2001 uumlber viele Jahre hinweg an dieser Veranstaltung teilgenommen haben moumlchten wir Ihnen gegenuumlber folgende Erklaumlrung abgeben

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Wir haben uns entschieden am 14 Petersburger Dialog in Sotschi nicht teilzunehmen der fuumlr den 29ndash31 Okto-ber angekuumlndigt worden ist Fuumlr diese Entscheidung die wir sorgfaumlltig diskutiert und abgewogen haben moumlchten wir drei Gruumlnde anfuumlhren1 Der Petersburger Dialog in seiner jetzigen Form steckt in einer Krise Von Jahr zu Jahr wird er seinem eigenem

Anspruch weniger gerecht Die Veranstaltung soll dem zivilgesellschaftlichen Dialog dienen Tatsaumlchlich sind Struktur Nominierungsverfahren und Programm des Petersburger Dialogs maszliggeblich von Akteuren aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert Unter diesen Voraussetzungen erfuumlllt der Petersburger Dialog leider nicht sein in seiner Satzung formuliertes Ziel ein raquooffenes Diskussionsforumlaquo zu sein das die raquoVerstaumlndigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Laumlnderlaquo foumlrdert Der Petersburger Dialog bedarf dringend einer grundlegenden Reform wie sie auch CDUCSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 eingefordert haben Gerne wuumlrden wir uns aktiv an einem Prozess zur Reformierung des Petersburger Dialogs beteiligen der auf eine pluralistische Zusam-mensetzung beider Lenkungsausschuumlsse und eine deutlich staumlrkere Ausrichtung auf unabhaumlngige zivilgesellschaft-liche Akteure zielt ohne den interdisziplinaumlren Ansatz der Veranstaltung aufzugeben

2 Die Situation in der sich Teile der Zivilgesellschaft in Russland befinden erfuumlllt uns mit groszliger Sorge Das betrifft auch Partnerorganisationen und Personen mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten Diese Organisa-tionen uumlben fuumlr Russland und daruumlber hinaus wichtige gesellschaftliche Funktionen aus Die Behinderung ihrer Arbeit durch buumlrokratische Huumlrden aber auch durch willkuumlrliche rechtliche Restriktionen und politische Diffa-mierung sind inakzeptabel Daruumlber koumlnnen wir nicht zur Tagesordnung uumlbergehen Wir wollen nicht zu Kron-zeugen fuumlr einen vorgeblich freien Austausch werden waumlhrend zugleich die kritische Zivilgesellschaft in Russland massiv und systematisch unter Druck gesetzt wird

3 In Teilen der Ukraine herrscht ein Kriegszustand fuumlr den die russische Fuumlhrung eine maszliggebliche Verantwor-tung traumlgt Wichtige Vertreter dieser Fuumlhrung spielen eine Schluumlsselrolle im Petersburger Dialog einschlieszliglich des fruumlheren Ersten Stellvertretenden Ministerpraumlsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden von Gazprom Wiktor Subkow der der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs ist Vor diesem Hin-tergrund moumlchten wir nicht durch unsere Teilnahme dazu beitragen dass eine Normalitaumlt in den deutsch-russi-schen Beziehungen simuliert wird die es derzeit wegen des Angriffs auf die politische Souveraumlnitaumlt und territo-riale Integritaumlt der Ukraine nicht geben kann

Wir waren und sind weiter sehr an einem offenen Dialog uumlber deutsch-russische Belange in einem gesamteuropaumli-schen Kontext interessiert und halten ihn fuumlr eine Bedingung guter Nachbarschaft und Kooperation Ein solcher Dia-log muss aber auch von beiden Seiten gewollt und ermoumlglicht werden Er darf zugleich nicht zum Nachteil Dritter gefuumlhrt werden Angesichts der aktuellen Lage und der bereits bekannt gewordenen Programmvorschlaumlge fuumlr Sotschi sehen wir auch diese Voraussetzung gefaumlhrdet

Dessen ungeachtet werden wir jede Moumlglichkeit nutzen unsere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Grup-pen und anderen Akteuren in Russland zu vertiefen und dieses Potential in einen bilateralen und europaumlischen Dia-log einzubringenMit freundlichen GruumlszligenRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter Politik Greenpeace eVQuelle lthttpwwwaustauschorgaktuelle-meldungennewsdetailarticle1offener-brie-1htmlno_cache=1ampcHash=0428c5bffdgt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 33

offener Brief des Vorsitzenden des Petersburger Dialogs vom 13 oktober 2014

AnRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich-Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace eVBerlin 13 Oktober 2014Ihr Schreiben vom 10 Oktober 2014Sehr geehrte Damen und HerrenIhren offenen Brief habe ich erhalten Dass Sie einen Brief aumlhnlichen Inhalts zunaumlchst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Auszligenminister verschickt haben verwundert mich Sie geben damit fuumlr die zivilgesell-schaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung die Sie fuumlr die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren

Ihre Nichtbeteiligung am Petersburger Dialog bedaure ich Denn es entspricht der Uumlberzeugung der meisten Mit-glieder des Vorstandes und des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs dass gerade angesichts zweifellos vorhan-dener Probleme fuumlr die Zivilgesellschaft die Sie teilweise benennen die offensive Auseinandersetzung zu solchen The-men gesucht werden muss Indem man sich solchen Gespraumlchen entzieht schadet man den Interessen der Betroffenen

Sie schreiben der Petersburger Dialog sei im Inneren zu reformieren da er von Vertretern aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert sei Diese Feststellung ist falsch und Sie wissen das Das auch in der Satzung des Petersbur-ger Dialogs beschriebene Konzept des Dialogs beruht auf einem breiten Gedankenaustausch aller gesellschaftlichen Kraumlfte Dazu gehoumlren die Bereiche Kultur Medien Bildung Wissenschaft und Kirchen genauso wie zahlreiche im Bereich der politischen sowie der sozialen Menschenrechte engagierte Einrichtungen die in ihrer Gesamtheit das deutsch-russische Verhaumlltnis beleben

Sie versuchen in Ihrem Brief den Petersburger Dialog auf das enge Feld einiger Vertreter der Zivilgesellschaft zu reduzieren die jenseits der korporierten Zivilgesellschaft angesiedelt sind und deren Interessenspektrum nur einen Teil des gesamten zivilgesellschaftlichen Engagements abdeckt

Ich verkenne nicht die ndash auch aber nicht nur ndash in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu Tage getretenen Probleme sowie die unterschiedlichen Folgen die sich aus einer raquogelenkten Demokratielaquo die in vielem nicht westli-chen Standards entspricht ergeben Dennoch Gemessen an weiten Bereichen der russischen Geschichte ist die Ent-wicklung seit 1991 ein Fortschritt Das daraus resultierende wenn auch im letzten Jahr stark eingetruumlbte Vertrauens-potential muss fuumlr die auf vielen Ebenen notwendigen Gespraumlchsforen genutzt und ausgebaut werden

Derartige Gespraumlche bedingen genauso Realismus wie intellektuelle Disziplin wozu auch gehoumlrt zu verstehen wie Russland die Probleme versteht Dies ndash und nicht Gespraumlchsverweigerung ndash ist die Voraussetzung um auf allen demokratischen gesellschaftlichen Ebenen ndash vom politischen Machtzentrum bis in die Randgruppen hinein ndash pro-blemorientierte Gespraumlche fuumlhren zu koumlnnen Dabei darf keine Seite fuumlr sich in Anspruch nehmen legitimere Inte-ressen zu vertreten als die andere

Das heiszligt Ein Gespraumlch raquoauf Augenhoumlhelaquo nicht von oben herab nicht moralisch belehrend aber mit klaren und ehrlichen Argumenten Dabei duumlrfen wir nicht verschweigen welche gesetzgeberischen aber auch politisch-morali-schen Standards wir fuumlr eine demokratische Gesellschaft im europaumlischen Kontext fuumlr unabdingbar halten

Der Petersburger Dialog wurde aus guten Gruumlnden als deutsch-russische Gemeinschaftseinrichtung konzipiert Da ist eine ndash oft muumlhsame ndash Kompromissfindung unausweichlich Dies ist Teil des Wertes auch der Tiefe aber auch der moralischen Qualitaumlt des Dialogs Das Ringen um kompromissfaumlhige Konzepte muss unser Anliegen bleiben nicht Vorverurteilung und GespraumlchsablehnungMit freundlichem GruszligDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des Vorstands Petersburger Dialog e VQuelle Website des Petersburger Dialogs lthttpwwwpetersburger-dialogcomoffener-brief-vom-13-oktober-2014gt

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offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

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9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

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14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

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          • Aus russischen Blogs
            • Nawalnyj Krim nasch
              • Analyse
                • Zivilgesellschaft und Staat in Russland
                  • Pavel Chikov Moskau
                  • Analyse
                    • NGOs in Russland
                      • Jens Siegert Moskau
                      • Analyse
                        • Ein Kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen Engagements zur Unterstuumltzung und Integration von Migranten in Russland
                          • Marina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin
                          • Umfrage
                            • Uumlber die Zivilgesellschaft in Russland
                              • Dokumentation
                                • Luumlgen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des JustizministeriumsErklaumlrung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL
                                  • Notizen aus Moskau
                                    • Petersburger Dialog
                                      • Jens Siegert Moskau
                                      • Dokumentation
                                        • Briefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo
                                          • Chronik
                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 22: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 22

bull Malakhov Vladimir S Russia as a New Immigration Country Policy Response and Public Debate in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1062ndash1079

bull Schenk Caress Controlling Immigration Manually Lessons from Moscow (Russia) in Europe-Asia Studies 652013 Nr 7 S 1444ndash1465

bull Spahn Susanne Die gelenkte Xenophobie Migration und nationale Frage in Russland Russland nur fuumlr Russen in Osteuropa 642014 Nr 7 S 55ndash67

bull Tipaldou Sofia Katrin Uba The Russian Radical Right Movement and Immigration Policy Do They Just Make Noise or Have an Impact as Well in Europe-Asia Studies 662014 Nr 7 S 1080ndash1101

UmFRAGE

Uumlber die zivilgesellschaft in russland

zur zivilgesellschaftlichen und politischen Aktivitaumlt der russen

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 15 stellen sie sich vor ihre nachbarn schlagen eine gemeinsame muumlllsammelaktion in der nahegelege-nen Parkzone vor Was waumlren sie bereit zu uumlbernehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator der Aktionwerden

An der Aktionmitwirken

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 16 haben sie im vergangenen halbjahrJahr hellip

0 20 40 60 80 100

hellip an den Aktivitaumlten einer non-profit Organisation teilgenommen als Freiwilliger gearbeitet

hellip sich mit gesellschaftlichen Problemen an ihrem Wohnort beschaumlftigt

hellip an Groszligveranstaltungen Demonstrationen Streiks Kundgebungen Umzuumlgen teilgenommen

Ja Keine Antwort Nein

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 23

grafik 17 stellen sie sich vor dass es an ihrem Wohnort zu massenhaften Wahlfaumllschungen kommt irgend-jemand ruft zur Durchfuumlhrung von Protestaktionen gegen die Wahlfaumllschungen auf Was wuumlrden sie unternehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator dieser Aktionwerden

An dieser Protestaktionteilnehmen

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 18 Waren sie haben sie sich in den vergangenen einndashzwei Jahren hellip

0 20 40 60 80 100

hellip Mitglied einer politischen Partei

hellip Wahlbeobachter

hellip an der Arbeit einer Menschenrechtsorganisation beteiligt

hellip sich im Internet (in sozialen Netzwerken auf Foren) zu politischen Themen geaumluszligert

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

zur gesellschaftlichen Aktivitaumlt

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

grafik 19 haben sie persoumlnlich in den vergangenen zweindashdrei Jahren an der taumltigkeit einer gesellschaftlichen organisation teilgenommen Wenn ja wie genau (beliebige zahl an Antworten)

6

6

5

2

2

84

1

050

Habe an gesellschaftliche Organisationen gespendetoder andere materielle Hilfe geleistet

Habe an Wohltaumltigkeitsveranstaltungen teilgenommen(Konzerte Ausstellungen Wohltaumltigkeitslotterie Auktionen)

Habe Freiwilligenarbeit geleistet (kostenlos)

Habe gegen Entgelt in einer gesellschaftlichenOrganisation gearbeitet

Habe Informationen zu den Taumltigkeitenvon gesellschaftlichen Organisationen verteilt

Nicht teilgenommen

Anderes

Keine Antwort

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 24

grafik 20 haben ihnen irgendwann einmal gesellschaftliche organisationen geholfen

0 20 40 60 80 100

Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja mit Geld geholfen Ja auf andere Weise geholfen Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

Die oumlffentliche meinung zu ngos mit auslaumlndischer finanzierung (April 2013)

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 21 mit welcher meinung zur taumltigkeit russischer ngos stimmen sie am ehesten uumlberein

Sie bringen einen groszligen Nutzen

4

Sie bringen mehr Nutzen als Schaden

15Sie bringen ebenso viel

Nutzen wie Schaden23

Sie bringen mehr Schaden als Nutzen

18

Sie bringen weder Nutzen noch Schaden

13

Keine Antwort27

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 22 ist es fuumlr sie wichtig ob eine russische menschenrechtsorganisation aus einheimischen oder auslaumln-dischen mitteln finanziert wird

Sehr wichtig10

Eher wichtig34

Nicht besonders wichtig24

Vollkommen unwichtig18

Keine Antwort14

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 25

grafik 23 Welche ziele verfolgen westliche laumlnder und organisationen die russische ngos mit mitteln aus-statten

Einen verstaumlrkten Einfluss auf die russische

Innenpolitik42

Einen Kampf gegen den russischen Staat

19Eine Unterstuumltzung der

russischen Zivilgesellschaft

8

Kein besonderes Ziel russische NGOs werden wie andere aus standardisierten

internationalen Programmen unterstuumltzt

12

Keine Antwort19

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 24 Duumlrfen organisationen die sich mit dem schutz der Buumlrgerrechte beschaumlftigen und den staat kriti-sieren das recht haben mittel aus dem Ausland zu beziehen

Ja20

Nein56

Keine Antwort24

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 25 Unterstuumltzen sie harte sanktionen gegen ngos die einer politischen taumltigkeit nachgehen und gelder aus dem Ausland erhalten sich aber nicht nach dem gesetz als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren

Auf jeden Fall20

Eher ja32

Eher nein15

Auf keinen Fall5

Keine Antwort28

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 26

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RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 27

luumlgen des fernsehkanals ntV und Beanstandungen des Justizministeriums erklaumlrung des menschenrechtszentrums memoriAl und der russischen gesellschaft

memoriAl

Die Behauptung bei NTV das russische Justizministerium habe die Liquidierung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL eingeleitet fuumlhrte heute zu etlichen Irritationen Das Menschenrechtszentrum und die Russische Gesell-schaft MEMORIAL (die Dachorganisation der russischen Memorial-Verbaumlnde) haben aus diesem Anlass nachste-hende Erklaumlrung abgegeben

Am 10 Oktober strahlte NTV unter dem Titel raquoAuszligergewoumlhnliches Ereignislaquo eine Sendung aus die aus boumlswil-ligen Luumlgen aber auch aus Fehlinformationen in Folge von Unkenntnis bestand

Die Arbeit des Menschenrechtszentrums MEMORIAL als Unterstuumltzung von Extremisten und Terroristen dar-zustellen ist eine infame Luumlge Auf Unkenntnis basiert hingegen die Behauptung das Justizministerium habe des-halb den Antrag gestellt das Menschenrechtszentrum MEMORIAL zu liquidieren

In Wirklichkeit hat das Justizministerium beim Obersten Gericht der Russischen Foumlderation nicht die Aufloumlsung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL beantragt Es geht hier vielmehr um eine andere Organisation naumlmlich die Russische Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIAL

Die russische Gesellschaft MEMORIAL wurde vom Justizministerium bereits 1992 registriert Bis heute befinden sich unter ihrem Dach verschiedene Memorial-Verbaumlnde die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen

Im Jahre 2012 20 Jahre nach der ersten Registrierung tauchten beim Justizministerium ploumltzlich Zweifel hin-sichtlich des russischen Rechtsstatus von Memorial auf obwohl der Gesellschaft praktisch dieselben regionalen Ver-baumlnde angehoumlren wie zuvor und sich die Gesetzeslage in dieser Frage in keinem Punkt geaumlndert hatte

Geaumlndert hat sich allerdings die Position des Justizministeriums das erneut einen raquodemokratischen Zentralismuslaquo anstrebt der nach der Abschaffung der fuumlhrenden Rolle der KPdSU nicht mehr aktuell schien Heute erklaumlrt das Jus-tizministerium nur jene gesellschaftlichen Vereinigungen koumlnnten der Russischen Gesellschaft MEMORIAL ange-houmlren die in ihrer Bezeichnung die Worte raquoVerband (otdelenie) der Russischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklauml-rung Sozialarbeit und Menschenrechte MEMORIALlaquo tragen

Die gesetzliche Vorschrift dass eine Organisation nur dann einen gesamtrussischen Status haben kann wenn sie in uumlber der Haumllfte der Foumlderationssubjekte Verbaumlnde unterhaumllt legt das Justizministerium jetzt dahingehend aus dass diese Verbaumlnde zwangslaumlufig einen Status als Regionalverbaumlnde haben muumlssten Das Vorhandensein von Stadt- und Bezirksverbaumlnden einer Organisation reicht die Beamten als Beleg dafuumlr nicht aus dass die Organisation in der betreffenden Region taumltig ist

Die Vorbehalte des Justizministeriums entbehren jeglicher Grundlage Nicht zufaumlllig erhielten wir auf Anfragen keine Hinweise auf eine Gesetzesnorm Es ist fuumlr uns inakzeptabel dass das Justizministerium das von der Verfas-sung garantierte Recht von Buumlrgern eine Vereinigung zu bilden gesetzwidrig einschraumlnken will Deshalb hat sich die Russische Gesellschaft MEMORIAL bereits 2012 entschlossen vor Gericht zu gehen

Einen Hinweis auf ein Gesetz haben wir auch nicht erhalten als wir 2013 die Forderungen des Justizministeriums im Moskauer Zamoskvorezki-Bezirksgericht und danach im Stadtgericht angefochten haben Beide Instanzen gaben wie nicht anders zu erwarten dem Justizministerium Recht Deshalb wird die Russische Gesellschaft MEMORIAL in Kuumlrze Klage beim Verfassungsgericht einreichen

Was den Antrag des Justizministeriums betrifft so hoffen wir dass das Oberste Gericht bei Behandlung dieses Antrags dem Gesetz und der Verfassung mehr Respekt entgegenbringen wird als die untergeordneten Gerichtsinstanzen

10 Oktober 2014Quelle Website von Memorial Deutschland lthttpwwwmemorialdeindexphpid=42amptx_ttnews[tt_news]=546amptx_ttnews[backPid]=3ampcHash=5bbe9b235a03fe09cba52ed5c8786b99gt

DOkUmENtAtION

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 28

NOtIzEN AUS mOSkAU

Petersburger DialogJens Siegert Moskau

Auf den ersten Blick sieht es so aus als ob ein (egal ob nun willentlich oder nicht) an die Oumlffentlich-

keit gelangter Brief einiger regelmaumlszligiger Teilnehmer des Petersburger Dialogs (PD) aus den Reihen deutscher NGOs an Bundeskanzlerin Merkel und Auszligenminis-ter Steinmeier die Verschiebung des fuumlr Ende Oktober in Sotschi geplanten groszligen Jahrestreffens verursacht haumltte In dem Brief bekraumlftigten die Autoren ihre nicht neue Kritik am PD und erklaumlrten warum sie dieses Jahr nicht teilnehmen wuumlrden Sie betonen dass die Absage kein Boykott sei und bieten ihrerseits einen Dialog zur Reform des Dialogs an Auf den zweiten Blick war der Brief selbstverstaumlndlich nur Anstoszlig aber nicht Grund fuumlr die Verschiebung Doch der Reihe nach

Die in dem Brief geaumluszligerte Kritik am PD ist wie gesagt nicht neu sie hat sie den PD von Anfang an begleitet Das liegt sicher auch an einem bis heute nicht korrigierten Geburtsfehler Ein durch Staats- und Regie-rungschefs initiierter raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo ist schon etwas verquer Das heiszligt nicht dass das nicht gehen koumlnnte Doch dazu haumltten sich die hochgestell-ten Initiatoren (der damalige russische Praumlsident und der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schrouml-der) und ihre (Interims-)Nachfolger spaumlter zuruumlckziehen muumlssen Das haben sie nicht Daran sind sie nicht (allein) Schuld Es war der PD der durch seine Lenkungsor-gane die enge zeitliche und oumlrtliche Verbindung mit den deutsch-russischen Regierungskonsultationen und die zeitweilige Anwesenheit von Praumlsident und Kanzlerin zum Grundstein seiner Wirkungsmaumlchtigkeit erklaumlrte

Auf deutscher Seite wurde versucht dieses Problem organisatorisch sozusagen oumlffentlich-rechtlich zu loumlsen indem moumlglichst alle interessierten politischen Spektren und gesellschaftlichen Gruppen am sogenannten Len-kungsausschuss beteiligt wurden Das gelang zumindest so gut dass es soweit mir bekannt bis heute keine grouml-szligeren Klagen uumlber Nichtberuumlcksichtigung oder Nicht-beteiligung gab Aber die Bundesregierung behielt weit-gehenden Einfluss nicht zuletzt uumlber den alljaumlhrlich sechsstelligen Zuschuss fuumlr die Durchfuumlhrung der Jah-restreffen Auszligerdem wurde der jeweilige Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses zwar nach Abstim-mungen mit den Beteiligten aber letztlich durch den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin bestimmt

In Russlands ist die Sache einfacher Von Anfang an wurde und wird gemacht wird was der Kreml will Schon der erste Vorsitzende des russischen Lenkungs-ausschusses Michail Gorbatschow (immerhin selbst ein ehemaliger Praumlsident) war wie er selbst einmal bekannte

nicht mehr als ein ndash schoumlne Ruumlckuumlbertragung aus dem Russischen ndash raquoSitz-Praumlsidentlaquo Der jetzige Vorsitzende Wiktor Subkow war Datschennachbar von Putin ers-ter stellvertretender Ministerpraumlsident und ist nun Auf-sichtsratsvorsitzender von Gazprom

Die Kritik dass nur eine Simulation eines raquozivilge-sellschaftlichen Dialogslaquo stattfinde wurde von einigen deutschen Teilnehmern bereits auf dem ersten Jahres-treffen des PD im April 2001 in St Petersburg geaumluszligert Es fehlten auf russischer Seite (in der seinerzeit noch ver-einigten Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo) Vertreter russischer NGOs Die Kritik kam an In Russ-land fuumlhrte sie (ohne dass ich hier jetzt ausfuumlhren kann wie) zum ersten Versuch des Kremls auch unabhaumln-gige NGOs in das korporative System der gelenkten Demokratie zu zwingen Der Versuch misslang weitge-hend und muumlndete in einer Art Waffenstillstand und der Gruumlndung eines raquoMenschenrechtsrats beim Praumlsi-dentenlaquo unter Einbeziehung von Vertretern unabhaumlngi-ger NGOs Beim PD wurde die Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo in ihre zwei Namensbestandteile geteilt und es gelang uumlber die Jahre in immer wieder unternommenen Anstrengungen auch die Teilnahme unabhaumlngiger russischer NGO-Vertreter durchzuset-zen Etwas spaumlter wurde diese Teilnahme sogar vor-sichtig institutionell abgesichert indem erst Ella Pam-filowa und spaumlter ihr Nachfolger Michail Fedotow als Vorsitzende des inzwischen zum raquoZivilgesellschaftsratlaquo umbenannten raquoMenschenrechtsratslaquo zu den russischen Koordinatoren der Arbeitsgruppe raquoZivilgesellschaftlaquo mit Einladungsrecht wurden (wobei die Einladungen selbst-verstaumlndlich mit der Praumlsidentenadministration abge-stimmt werden muumlssen) Das ist bis heute so

Die Verfasser des Briefes (zu denen ich bekenne mich auch ich gehoumlre) allesamt langjaumlhrige Teilneh-mer der Jahrestreffen des PD haben all die Jahre immer wieder auch oumlffentlich uumlber den Sinn und Unsinn ihrer Teilnahme und Unterstuumltzung diskutiert Letztendlich uumlberwogen die ganze Zeit uumlber zwei Uumlberlegungen Ers-tens ist ein Dialog auch und gerade auf offizieller Ebe-nen und mit offiziellen Vertretern des russischen Staates (wie auch mit Wissenschaftlern Unternehmern Journa-listen Priestern usw welcher politischen Couleur auch immer sie sein moumlgen) erst einmal besser als kein Dia-log Zweitens gingen wir all die Jahre davon aus dass die nicht ohne Muumlhen erreichte Teilnahme unabhaumln-giger russischen NGO-Vertreter fuumlr sie ihre Organisa-tionen aber auch die russische NGO-Szene insgesamt zumindest einen kleinen zusaumltzlichen Schutz gegen die

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 29

seit Putins Amtsantritt immer wieder uumlber das Land gehenden Repressionswellen bietet1 Was hat sich dieses Jahr geaumlndert Erst einmal nicht

so viel gegenuumlber dem Vorjahr Es war schon immer siehe oben eine schwierige Abwaumlgung ob die Teil-nahme am PD sich lohnt oder nicht vielmehr dazu beitraumlgt so zu tun als gaumlbe es in Russland die unein-geschraumlnkte und ungefaumlhrdete Moumlglichkeit sich zivilgesellschaftlich auch dort zu engagieren wo es dem Staat weh tut Zwei Ereignisse haben nun aber zumindest fuumlr die Autoren des Briefes das Pen-del zur anderen Seite ausschlagen lassen Die Kon-frontation zwischen dem Westen (ich weiszlig um die Bedingtheit des Begriffs verwende in der Kuumlrze hal-ber aber trotzdem) und Russland im Konflikt in der und um die Ukraine ist nicht einfach die Fortset-zung schon laumlnger existierender raquoMeinungsverschie-denheitenlaquo Sie ist tiefer und prinzipieller Es geht eben im Kern nicht in erster Linie um Geopolitik sondern wieder einmal um ich fuumlrchte hier weder den Pathos noch historische Analogien Freiheit und Demokratie in Europa

2 Die Repressionen gegen russische NGOs unsere prinzipiellen Partner in der Verteidigung von Demo-kratie und Freiheit haben mit dem sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo eine neue Qualitaumlt erreicht 15 NGOs sind inzwischen zwangsweise zu raquoauslaumln-dischen Agentenlaquo erklaumlrt worden anderen droht die Schlieszligung aufgrund anderer Gesetze Einige von ihnen waren sogar zum nun verschobenen Treffen in Sotschi eingeladen Sie mussten sich Gedanken machen ob eine Zusage oder eine Absage ihnen nicht schaden koumlnnte

Unter diesen Umstaumlnden halten die Verfasser des Brie-fes ihre Teilnahme am PD fuumlr nicht mehr moumlglich Sie fordern keinen Boykott wohl aber ein Nachdenken uumlber eine tiefgreifende Reform

Der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses Lothar de Maiziere hat in einem eigenen offenen Brief geantwortet und den Verfassern vorgeworfen den Dia-log verweigern und politisieren zu wollen Diese (Gegen-)Klage scheint mir angesichts der vielfaumlltigen Verbindun-gen und Dialogformen die die Organisationen hinter den Unterzeichnern des Briefes seit vielen Jahren und oft laumlnger als der PD organisieren an denen sie teil-nehmen und die sie foumlrdern nicht sonderlich stichhal-tig Doch die Auseinandersetzung geht tiefer De Mai-ziere behauptet in seinem Brief der PD mache bereits all das was die Kritiker fordern Genau das bezweifeln diese aber Die Auseinandersetzung geht also und vor allem darum was ein fruchtbarer Dialog zu leisten im Stande sein kann und leisten sollte Sie geht aber auch darum ob dieser Dialog zwischen zwei Gesellschaf-

ten stattfindet nach dem Motto hier die eine dort die andere oder ob sich die Seiten bei diesem Dialog inei-nander verschraumlnken

Die Verfasser des Briefes sind ganz offensichtlich mit ihrer Kritik nicht allein Schon bevor der Brief oumlffent-lich bekannt wurde hatten die Bundestagsabgeordne-ten Andreas Schockenhoff (CDUCSU) und Marieluise Beck (Buumlndnis 90 Die Gruumlnen) in oumlffentlichen Stel-lungnahmen Aumlhnliches gefordert und auch ihre Nicht-Teilnahme erklaumlrt Etwas spaumlter wurde bekannt dass auch der Russland-Beauftragte der Bundesregierung Gernot Erler nicht nach Sotschi fahren wollte Mehr noch Bereits seit dem Fruumlhsommer gab es Gespraumlche zwischen Kanzleramt und Auswaumlrtigem Amt mit dem Ziel den PD sowohl personell als auch strukturell zu reformieren Allerdings setze sich augenscheinlich die Sichtweise des Auswaumlrtigen Amtes durch alles vorerst beim Alten zu belassen da es auch so schon genug Pro-bleme im deutsch-russischen Verhaumlltnis gebe und man diesen Kanal nicht auch noch belasten oder gar gefaumlhr-den solle

Doch zum Herbst hat sich die Situation noch ein-mal veraumlndert Die Hoffnung die russische Fuumlhrung um Praumlsident Putin werde im Krieg in der Ostukraine ein-lenken ist selbst im Auswaumlrtigen Amt bis in die Spitze kaum noch zu finden Im Sommer bekam das russische Justizministerium zudem per erneuter Gesetzesaumlnde-rung das Recht NGOs zwangsweise zu raquoAgentenlaquo zu erklaumlren und macht seither rege Gebrauch davon Eine ganze Reihe russischer NGOs steht vor der Schlieszligung oder loumlst sich auf weil ihnen die vom Gesetz geforderte Selbstetikettierung als raquoauslaumlndische Agentenlaquo ethisch rechtlich und praktisch unmoumlglich ist

Es sieht so aus als haumltten die Verfasser des Briefes nur eine Tuumlr geoumlffnet hinter der andere darunter die Kanzlerin nur darauf gewartet haben durch sie hin-durch gehen zu koumlnnen ohne selbst der Tuumlroumlffnung geziehen zu werden

Ein wenig verwundert die erstaunlich milde russi-sche Reaktion Nach der kurzen Drohung eine Verschie-bung bedeute das Ende des PD lenkte Putin im Telefo-nat mit Merkel ein und fand tags darauf sogar oumlffentlich verstaumlndnisvolle Worte fuumlr die raquoProbleme der deutschen Seitelaquo Das duumlrfte zwei Gruumlnde haben Der eine ist dass trotz des haumlufiger gewordenen Deutschland-Bashings im russischen Staatsfernsehen (mit dem Ergebnis dass in Umfragen Deutschland aus der Kategorie raquoFreundlaquo in die Kategorie raquoFeindlaquo abgerutscht ist) Deutschland im Kreml immer noch als wichtigster raquostrategischerlaquo Part-ner im Westen und vor allem in der EU gilt Zudem ist Deutschland zweifellos ein Land dessen oumlffentliche Meinung (und damit Politik) aus russischer Sicht durch-aus beeinflussbar ist (was z B die kolportierten rund

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 30

140 Millionen US-Dollar zum Aufbau eines deutsch-sprachigen Programms des staatlichen Auslandsfernse-hens raquoRussia Todaylaquo zeigen)

Der andere liegt in einem erneuten Strategiewech-sel (oder weniger ambitioniert Wechsel der Taktik) im Ukraine-Konflikt Die Sanktionen beiszligen inzwi-schen kraumlftig Die Rhetorik wurde daher gemildert Der Kreml ist ganz auf Frieden und dieser Ausdruck aus dem Sport sei erlaubt Ergebnissicherung bedacht (was uumlbrigens Putins grundsaumltzlicher Taktik auch im Inne-ren Russlands entspricht erst hart zuzuschlagen dann eine Schritt zuruumlck zu gehen und einen Kompromiss zu suchen nach dem es fuumlr seine Gegner nachher schlech-ter steht als vorher) Neues Ziel scheint nun also zu sein die raquoErrungenschaftenlaquo Krim (als Teil Russlands) und raquoNeurusslandlaquo (als neuen raquoFrozen Conflictlaquo) zu fixieren und trotzdem mit dem Westen wenn schon nicht gut-freund zu werden so doch zumindest erneut zu einem einigermaszligen vertraumlglichen Modus Vivendi zu gelan-gen Das Gas duumlrfte nach den Mailaumlnder Gespraumlchen

und bei allem Geknurre im Winter stroumlmen und auch im Nahen Osten stellt Moskau weniger Widerspenstig-keit in Aussicht

Was heiszligt das fuumlr die Zukunft des PD Erstmal ist sie offen Zuerst muss sich die deutsche Seite neu ord-nen (hier hat Putin sogar Recht) Nachdem sich Angela Merkel persoumlnlich um eine russische Akzeptanz fuumlr die Verschiebung von Sotschi bemuumlht hat kann ich mir allerdings nicht vorstellen dass es in einigen Wochen oder Monaten ein Zuruumlck zum status quo ante gibt Ob und wie sich ein neu aufgestellter deutscher Lenkungs-ausschuss mit einem neuen Konzept mit der russischen Seite verstaumlndigen kann laumlsst sich momentan kaum voraussagen Es ist zwar einen Versuch wert haumlngt aber wohl sehr von der dann herrschenden politischen Groszlig-wetterlage ab

Diesen und andere Texte finden Sie auf Jens Siegerts Russ-landblog lthttprusslandboellblogorggt

Lesetippbull Poumlrzgen Gemma Dringend reformbeduumlrftig Der Petersburger Dialog auf dem Pruumlfstand in Osteuropa 602010

Nr 10 S 59ndash81

DOkUmENtAtION

Briefwechsel uumlber die zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo

schreiben von nichtregierungsorganisationen und einzelpersonen an die Bundeskanzlerin und den Auszligenminister zum raquoPetersburger Dialoglaquo 2 oktober 2014 [nachtraumlglich veroumlffentlicht]

Berlin 02 Oktober 2014Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerals Personen die sich seit vielen Jahren intensiv im zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland engagieren wenden wir uns mit diesem Schreiben an Sie um zu erlaumlutern warum wir uns in diesem Jahr nicht am Petersburger Dialog beteiligen koumlnnen Zugleich moumlchten wir fuumlr eine Erneuerung des Petersburger Dialogs werben

In Reaktion auf die politische Wende in der Ukraine die durch eine breite gesellschaftliche Protestbewegung hervor-gerufen wurde hat die russische Fuumlhrung voumllkerrechtswidrig die Krim annektiert und einen unerklaumlrten Krieg neuen Typs im Osten der Ukraine begonnen Zugleich betreibt die Regierung unter Praumlsident Putin die systematische Ausschal-tung der letzten unabhaumlngigen Medien in Russland die Kriminalisierung aller Formen politischer Opposition und die Diskreditierung unabhaumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen als raquoauslaumlndische Agentenlaquo Mittlerweile wurden 12 russische Nichtregierungsorganisationen vom russischen Justizministerium zwangsweise auf die Liste raquoauslaumlndischer Agentenlaquo gesetzt und sind daher zukuumlnftig verpflichtet sich bei jeder oumlffentlichen Aumluszligerung wahrheitswidrig selbst als solche zu bezichtigen Zehn dieser Organisationen spielen in der deutschrussischen zivilgesellschaftlichen Zusammen-arbeit seit Jahren eine wichtige Rolle einige von ihnen haben mehrfach am Petersburger Dialog teilgenommen Gegen einige von ihnen sind bereits existenzbedrohende Strafgelder wegen Verstoszliges gegen das sog Agentengesetz verhaumlngt

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worden Es drohen Organisationsschlieszligungen und die Kriminalisierung der Vorstaumlnde Unter diesen inneren und aumluszlige-ren Bedingungen koumlnnen wir uns nicht an einer Neuauflage des Petersburger Dialogs in der bisherigen Form beteiligen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerder seinerzeit von Bundeskanzler Schroumlder und Praumlsident Putin initiierte Petersburger Dialog konnte die ihm zuge-

dachte Aufgabe zu einer Vertiefung und Verbreiterung der gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland beizutragen auch in den vergangenen Jahren nur sehr bedingt erfuumlllen Dies lag vor allem an der starken Naumlhe des Fuumlhrungspersonals auf der russischen Seite zum politischen Machtzentrum im Kreml die von Beginn an den Eindruck einer raquovon obenlaquo inszenierten und kontrollierten Veranstaltung naumlhrte Doch auch auf deutscher Seite wird der Petersburger Dialog bis heute von Personen dominiert die aus politischer und oumlkonomischer Opportunitaumlt dazu neigen Kritik am Kurs der russischen Fuumlhrung als Stoumlrung der raquodeutsch-russischen Freundschaftlaquo zu betrachten Zeit-weise kam es zu der paradoxen Situation dass kritische Aumluszligerungen zu Menschenrechtsverletzungen in Russland oder zum Vorgehen des Kremls gegenuumlber Georgien aus den Reihen der deutschen Delegation als raquoKalte-Kriegs-Rhetoriklaquo verteufelt wurden Nuumlchtern betrachtet waren die kritischen Stimmen aus der russischen und deutschen Zivilgesell-schaft in den letzten Jahren nur eine geduldete Minderheit die dem Petersburger Dialog den Anschein von Pluralis-mus und offener Diskussion verschaffte Ungeachtet dieser Kritik haben wir uns in der Vergangenheit am Petersburger Dialog beteiligt da wir grundsaumltzlich jedes Dialogpotenzial nutzen wollen und uns von der gemeinsamen Beteiligung mit unseren Partnern aus der russischen Zivilgesellschaft eine politische Absicherung dieser Zusammenarbeit erhofften

Diese ohnehin schwachen Hoffnungen wurden durch die Entwicklungen in diesem Jahr zerstoumlrt Vertreter unab-haumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen die auf der russischen Seite zum Petersburger Dialog eingeladen wer-den sind angesichts der politischen und juristischen Bedrohung der sie ausgesetzt sind in ihrer Entscheidung uumlber ihre Teilnahme nicht mehr frei Wenn sie der Einladung nicht folgen muumlssen sie weitere Repressalien befuumlrchten Uns denen die Freiheit der Entscheidung gegeben ist ist es nicht moumlglich durch Teilnahme am Petersburger Dialog in Sot-schi an der Aufstellung einer Potemkinschen Fassade namens raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo mitzuwirken waumlhrend die kritischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Russland als raquoAgentenlaquo diskreditiert und vielfach drangsaliert werden

Zugleich moumlchten wir unsere Bereitschaft unterstreichen an einer Reform des Petersburger Dialogs in organisa-torischer inhaltlicher und personeller Hinsicht mitzuwirken Eine solche Reform sollte darauf ausgerichtet sein uumlber die Auswahl der Formate Themen und Teilnehmer die tatsaumlchliche Lage der russischen Zivilgesellschaft in den Mit-telpunkt der Diskussion zu ruumlcken und einen offenen Dialog zu ermoumlglichen Wir sind ganz damit einverstanden dass gerade in kritischen Zeiten die Zusammenarbeit zwischen der russischen und deutschen Zivilgesellschaft gestaumlrkt wer-den muss Sofern der Petersburger Dialog in Zukunft dafuumlr ein Forum bietet werden wir uns gern daran beteiligen[Unterzeichner nicht veroumlffentlicht]Quelle Website der Boumlll-Stiftung lthttpwwwboelldede20141013reform-petersburger-dialog-ueberfaelliggt

offener Brief an den Vorsitzenden des Petersburger Dialogs lothar de maiziegravere vom 10 oktober 2014

- Offener Brief -HerrnDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des VorstandsPetersburger Dialog eVSchillerstraszlige 5910627 Berlin

Berlin 10 Oktober 2014Petersburger Dialog 2014 in SotschiSehr geehrter Herr de Maiziegravereals Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher zivilgesellschaftlicher Organisationen die seit der Gruumlndung des Petersburger Dialogs 2001 uumlber viele Jahre hinweg an dieser Veranstaltung teilgenommen haben moumlchten wir Ihnen gegenuumlber folgende Erklaumlrung abgeben

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Wir haben uns entschieden am 14 Petersburger Dialog in Sotschi nicht teilzunehmen der fuumlr den 29ndash31 Okto-ber angekuumlndigt worden ist Fuumlr diese Entscheidung die wir sorgfaumlltig diskutiert und abgewogen haben moumlchten wir drei Gruumlnde anfuumlhren1 Der Petersburger Dialog in seiner jetzigen Form steckt in einer Krise Von Jahr zu Jahr wird er seinem eigenem

Anspruch weniger gerecht Die Veranstaltung soll dem zivilgesellschaftlichen Dialog dienen Tatsaumlchlich sind Struktur Nominierungsverfahren und Programm des Petersburger Dialogs maszliggeblich von Akteuren aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert Unter diesen Voraussetzungen erfuumlllt der Petersburger Dialog leider nicht sein in seiner Satzung formuliertes Ziel ein raquooffenes Diskussionsforumlaquo zu sein das die raquoVerstaumlndigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Laumlnderlaquo foumlrdert Der Petersburger Dialog bedarf dringend einer grundlegenden Reform wie sie auch CDUCSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 eingefordert haben Gerne wuumlrden wir uns aktiv an einem Prozess zur Reformierung des Petersburger Dialogs beteiligen der auf eine pluralistische Zusam-mensetzung beider Lenkungsausschuumlsse und eine deutlich staumlrkere Ausrichtung auf unabhaumlngige zivilgesellschaft-liche Akteure zielt ohne den interdisziplinaumlren Ansatz der Veranstaltung aufzugeben

2 Die Situation in der sich Teile der Zivilgesellschaft in Russland befinden erfuumlllt uns mit groszliger Sorge Das betrifft auch Partnerorganisationen und Personen mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten Diese Organisa-tionen uumlben fuumlr Russland und daruumlber hinaus wichtige gesellschaftliche Funktionen aus Die Behinderung ihrer Arbeit durch buumlrokratische Huumlrden aber auch durch willkuumlrliche rechtliche Restriktionen und politische Diffa-mierung sind inakzeptabel Daruumlber koumlnnen wir nicht zur Tagesordnung uumlbergehen Wir wollen nicht zu Kron-zeugen fuumlr einen vorgeblich freien Austausch werden waumlhrend zugleich die kritische Zivilgesellschaft in Russland massiv und systematisch unter Druck gesetzt wird

3 In Teilen der Ukraine herrscht ein Kriegszustand fuumlr den die russische Fuumlhrung eine maszliggebliche Verantwor-tung traumlgt Wichtige Vertreter dieser Fuumlhrung spielen eine Schluumlsselrolle im Petersburger Dialog einschlieszliglich des fruumlheren Ersten Stellvertretenden Ministerpraumlsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden von Gazprom Wiktor Subkow der der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs ist Vor diesem Hin-tergrund moumlchten wir nicht durch unsere Teilnahme dazu beitragen dass eine Normalitaumlt in den deutsch-russi-schen Beziehungen simuliert wird die es derzeit wegen des Angriffs auf die politische Souveraumlnitaumlt und territo-riale Integritaumlt der Ukraine nicht geben kann

Wir waren und sind weiter sehr an einem offenen Dialog uumlber deutsch-russische Belange in einem gesamteuropaumli-schen Kontext interessiert und halten ihn fuumlr eine Bedingung guter Nachbarschaft und Kooperation Ein solcher Dia-log muss aber auch von beiden Seiten gewollt und ermoumlglicht werden Er darf zugleich nicht zum Nachteil Dritter gefuumlhrt werden Angesichts der aktuellen Lage und der bereits bekannt gewordenen Programmvorschlaumlge fuumlr Sotschi sehen wir auch diese Voraussetzung gefaumlhrdet

Dessen ungeachtet werden wir jede Moumlglichkeit nutzen unsere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Grup-pen und anderen Akteuren in Russland zu vertiefen und dieses Potential in einen bilateralen und europaumlischen Dia-log einzubringenMit freundlichen GruumlszligenRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter Politik Greenpeace eVQuelle lthttpwwwaustauschorgaktuelle-meldungennewsdetailarticle1offener-brie-1htmlno_cache=1ampcHash=0428c5bffdgt

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offener Brief des Vorsitzenden des Petersburger Dialogs vom 13 oktober 2014

AnRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich-Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace eVBerlin 13 Oktober 2014Ihr Schreiben vom 10 Oktober 2014Sehr geehrte Damen und HerrenIhren offenen Brief habe ich erhalten Dass Sie einen Brief aumlhnlichen Inhalts zunaumlchst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Auszligenminister verschickt haben verwundert mich Sie geben damit fuumlr die zivilgesell-schaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung die Sie fuumlr die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren

Ihre Nichtbeteiligung am Petersburger Dialog bedaure ich Denn es entspricht der Uumlberzeugung der meisten Mit-glieder des Vorstandes und des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs dass gerade angesichts zweifellos vorhan-dener Probleme fuumlr die Zivilgesellschaft die Sie teilweise benennen die offensive Auseinandersetzung zu solchen The-men gesucht werden muss Indem man sich solchen Gespraumlchen entzieht schadet man den Interessen der Betroffenen

Sie schreiben der Petersburger Dialog sei im Inneren zu reformieren da er von Vertretern aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert sei Diese Feststellung ist falsch und Sie wissen das Das auch in der Satzung des Petersbur-ger Dialogs beschriebene Konzept des Dialogs beruht auf einem breiten Gedankenaustausch aller gesellschaftlichen Kraumlfte Dazu gehoumlren die Bereiche Kultur Medien Bildung Wissenschaft und Kirchen genauso wie zahlreiche im Bereich der politischen sowie der sozialen Menschenrechte engagierte Einrichtungen die in ihrer Gesamtheit das deutsch-russische Verhaumlltnis beleben

Sie versuchen in Ihrem Brief den Petersburger Dialog auf das enge Feld einiger Vertreter der Zivilgesellschaft zu reduzieren die jenseits der korporierten Zivilgesellschaft angesiedelt sind und deren Interessenspektrum nur einen Teil des gesamten zivilgesellschaftlichen Engagements abdeckt

Ich verkenne nicht die ndash auch aber nicht nur ndash in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu Tage getretenen Probleme sowie die unterschiedlichen Folgen die sich aus einer raquogelenkten Demokratielaquo die in vielem nicht westli-chen Standards entspricht ergeben Dennoch Gemessen an weiten Bereichen der russischen Geschichte ist die Ent-wicklung seit 1991 ein Fortschritt Das daraus resultierende wenn auch im letzten Jahr stark eingetruumlbte Vertrauens-potential muss fuumlr die auf vielen Ebenen notwendigen Gespraumlchsforen genutzt und ausgebaut werden

Derartige Gespraumlche bedingen genauso Realismus wie intellektuelle Disziplin wozu auch gehoumlrt zu verstehen wie Russland die Probleme versteht Dies ndash und nicht Gespraumlchsverweigerung ndash ist die Voraussetzung um auf allen demokratischen gesellschaftlichen Ebenen ndash vom politischen Machtzentrum bis in die Randgruppen hinein ndash pro-blemorientierte Gespraumlche fuumlhren zu koumlnnen Dabei darf keine Seite fuumlr sich in Anspruch nehmen legitimere Inte-ressen zu vertreten als die andere

Das heiszligt Ein Gespraumlch raquoauf Augenhoumlhelaquo nicht von oben herab nicht moralisch belehrend aber mit klaren und ehrlichen Argumenten Dabei duumlrfen wir nicht verschweigen welche gesetzgeberischen aber auch politisch-morali-schen Standards wir fuumlr eine demokratische Gesellschaft im europaumlischen Kontext fuumlr unabdingbar halten

Der Petersburger Dialog wurde aus guten Gruumlnden als deutsch-russische Gemeinschaftseinrichtung konzipiert Da ist eine ndash oft muumlhsame ndash Kompromissfindung unausweichlich Dies ist Teil des Wertes auch der Tiefe aber auch der moralischen Qualitaumlt des Dialogs Das Ringen um kompromissfaumlhige Konzepte muss unser Anliegen bleiben nicht Vorverurteilung und GespraumlchsablehnungMit freundlichem GruszligDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des Vorstands Petersburger Dialog e VQuelle Website des Petersburger Dialogs lthttpwwwpetersburger-dialogcomoffener-brief-vom-13-oktober-2014gt

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offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

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9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

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14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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Die Russland-Analysen werden von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und von Mangold Consulting GmbH unterstuumltzt

Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

Abdruck und sonstige publizistische Nutzung sind nach Ruumlcksprache mit der Redaktion gestattetVerantwortlicher Redakteur Hans-Henning Schroumlder

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ISSN 1613-3390 copy 2014 by Forschungsstelle Osteuropa BremenForschungsstelle Osteuropa bull Publikationsreferat bull Klagenfurter Str 3 bull 28359 Bremen bull Telefon +49 421-218-69600 bull Telefax +49 421-218-69607

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

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Die einzelnen Laumlnder-Analysen werden von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und der Deutschen Gesellschaft fuumlr Osteuropakunde jeweils mit unterschiedlichen Partnern und Sponsoren herausgegeben

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  • Analyse
    • Eine neue Phase der Russland- und Ostpolitik hat begonnen
      • Karsten D Voigt Berlin
      • Umfrage
        • Die Russland-Ukraine-Krise in russischen Umfragen
          • Aus russischen Blogs
            • Nawalnyj Krim nasch
              • Analyse
                • Zivilgesellschaft und Staat in Russland
                  • Pavel Chikov Moskau
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                    • NGOs in Russland
                      • Jens Siegert Moskau
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                          • Marina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin
                          • Umfrage
                            • Uumlber die Zivilgesellschaft in Russland
                              • Dokumentation
                                • Luumlgen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des JustizministeriumsErklaumlrung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL
                                  • Notizen aus Moskau
                                    • Petersburger Dialog
                                      • Jens Siegert Moskau
                                      • Dokumentation
                                        • Briefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo
                                          • Chronik
                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 23: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 23

grafik 17 stellen sie sich vor dass es an ihrem Wohnort zu massenhaften Wahlfaumllschungen kommt irgend-jemand ruft zur Durchfuumlhrung von Protestaktionen gegen die Wahlfaumllschungen auf Was wuumlrden sie unternehmen

0 20 40 60 80 100

Organisator dieser Aktionwerden

An dieser Protestaktionteilnehmen

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

grafik 18 Waren sie haben sie sich in den vergangenen einndashzwei Jahren hellip

0 20 40 60 80 100

hellip Mitglied einer politischen Partei

hellip Wahlbeobachter

hellip an der Arbeit einer Menschenrechtsorganisation beteiligt

hellip sich im Internet (in sozialen Netzwerken auf Foren) zu politischen Themen geaumluszligert

Ja Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen der raquoStiftung oumlffentliche Meinunglaquo vom 30ndash31 August 2014 N = 1000 Veroumlffentlicht am 12 September 2014 un-ter lthttpfomruObraz-zhizni11712gt

zur gesellschaftlichen Aktivitaumlt

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

grafik 19 haben sie persoumlnlich in den vergangenen zweindashdrei Jahren an der taumltigkeit einer gesellschaftlichen organisation teilgenommen Wenn ja wie genau (beliebige zahl an Antworten)

6

6

5

2

2

84

1

050

Habe an gesellschaftliche Organisationen gespendetoder andere materielle Hilfe geleistet

Habe an Wohltaumltigkeitsveranstaltungen teilgenommen(Konzerte Ausstellungen Wohltaumltigkeitslotterie Auktionen)

Habe Freiwilligenarbeit geleistet (kostenlos)

Habe gegen Entgelt in einer gesellschaftlichenOrganisation gearbeitet

Habe Informationen zu den Taumltigkeitenvon gesellschaftlichen Organisationen verteilt

Nicht teilgenommen

Anderes

Keine Antwort

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 24

grafik 20 haben ihnen irgendwann einmal gesellschaftliche organisationen geholfen

0 20 40 60 80 100

Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja mit Geld geholfen Ja auf andere Weise geholfen Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

Die oumlffentliche meinung zu ngos mit auslaumlndischer finanzierung (April 2013)

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 21 mit welcher meinung zur taumltigkeit russischer ngos stimmen sie am ehesten uumlberein

Sie bringen einen groszligen Nutzen

4

Sie bringen mehr Nutzen als Schaden

15Sie bringen ebenso viel

Nutzen wie Schaden23

Sie bringen mehr Schaden als Nutzen

18

Sie bringen weder Nutzen noch Schaden

13

Keine Antwort27

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 22 ist es fuumlr sie wichtig ob eine russische menschenrechtsorganisation aus einheimischen oder auslaumln-dischen mitteln finanziert wird

Sehr wichtig10

Eher wichtig34

Nicht besonders wichtig24

Vollkommen unwichtig18

Keine Antwort14

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 25

grafik 23 Welche ziele verfolgen westliche laumlnder und organisationen die russische ngos mit mitteln aus-statten

Einen verstaumlrkten Einfluss auf die russische

Innenpolitik42

Einen Kampf gegen den russischen Staat

19Eine Unterstuumltzung der

russischen Zivilgesellschaft

8

Kein besonderes Ziel russische NGOs werden wie andere aus standardisierten

internationalen Programmen unterstuumltzt

12

Keine Antwort19

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 24 Duumlrfen organisationen die sich mit dem schutz der Buumlrgerrechte beschaumlftigen und den staat kriti-sieren das recht haben mittel aus dem Ausland zu beziehen

Ja20

Nein56

Keine Antwort24

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 25 Unterstuumltzen sie harte sanktionen gegen ngos die einer politischen taumltigkeit nachgehen und gelder aus dem Ausland erhalten sich aber nicht nach dem gesetz als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren

Auf jeden Fall20

Eher ja32

Eher nein15

Auf keinen Fall5

Keine Antwort28

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 26

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RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 27

luumlgen des fernsehkanals ntV und Beanstandungen des Justizministeriums erklaumlrung des menschenrechtszentrums memoriAl und der russischen gesellschaft

memoriAl

Die Behauptung bei NTV das russische Justizministerium habe die Liquidierung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL eingeleitet fuumlhrte heute zu etlichen Irritationen Das Menschenrechtszentrum und die Russische Gesell-schaft MEMORIAL (die Dachorganisation der russischen Memorial-Verbaumlnde) haben aus diesem Anlass nachste-hende Erklaumlrung abgegeben

Am 10 Oktober strahlte NTV unter dem Titel raquoAuszligergewoumlhnliches Ereignislaquo eine Sendung aus die aus boumlswil-ligen Luumlgen aber auch aus Fehlinformationen in Folge von Unkenntnis bestand

Die Arbeit des Menschenrechtszentrums MEMORIAL als Unterstuumltzung von Extremisten und Terroristen dar-zustellen ist eine infame Luumlge Auf Unkenntnis basiert hingegen die Behauptung das Justizministerium habe des-halb den Antrag gestellt das Menschenrechtszentrum MEMORIAL zu liquidieren

In Wirklichkeit hat das Justizministerium beim Obersten Gericht der Russischen Foumlderation nicht die Aufloumlsung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL beantragt Es geht hier vielmehr um eine andere Organisation naumlmlich die Russische Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIAL

Die russische Gesellschaft MEMORIAL wurde vom Justizministerium bereits 1992 registriert Bis heute befinden sich unter ihrem Dach verschiedene Memorial-Verbaumlnde die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen

Im Jahre 2012 20 Jahre nach der ersten Registrierung tauchten beim Justizministerium ploumltzlich Zweifel hin-sichtlich des russischen Rechtsstatus von Memorial auf obwohl der Gesellschaft praktisch dieselben regionalen Ver-baumlnde angehoumlren wie zuvor und sich die Gesetzeslage in dieser Frage in keinem Punkt geaumlndert hatte

Geaumlndert hat sich allerdings die Position des Justizministeriums das erneut einen raquodemokratischen Zentralismuslaquo anstrebt der nach der Abschaffung der fuumlhrenden Rolle der KPdSU nicht mehr aktuell schien Heute erklaumlrt das Jus-tizministerium nur jene gesellschaftlichen Vereinigungen koumlnnten der Russischen Gesellschaft MEMORIAL ange-houmlren die in ihrer Bezeichnung die Worte raquoVerband (otdelenie) der Russischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklauml-rung Sozialarbeit und Menschenrechte MEMORIALlaquo tragen

Die gesetzliche Vorschrift dass eine Organisation nur dann einen gesamtrussischen Status haben kann wenn sie in uumlber der Haumllfte der Foumlderationssubjekte Verbaumlnde unterhaumllt legt das Justizministerium jetzt dahingehend aus dass diese Verbaumlnde zwangslaumlufig einen Status als Regionalverbaumlnde haben muumlssten Das Vorhandensein von Stadt- und Bezirksverbaumlnden einer Organisation reicht die Beamten als Beleg dafuumlr nicht aus dass die Organisation in der betreffenden Region taumltig ist

Die Vorbehalte des Justizministeriums entbehren jeglicher Grundlage Nicht zufaumlllig erhielten wir auf Anfragen keine Hinweise auf eine Gesetzesnorm Es ist fuumlr uns inakzeptabel dass das Justizministerium das von der Verfas-sung garantierte Recht von Buumlrgern eine Vereinigung zu bilden gesetzwidrig einschraumlnken will Deshalb hat sich die Russische Gesellschaft MEMORIAL bereits 2012 entschlossen vor Gericht zu gehen

Einen Hinweis auf ein Gesetz haben wir auch nicht erhalten als wir 2013 die Forderungen des Justizministeriums im Moskauer Zamoskvorezki-Bezirksgericht und danach im Stadtgericht angefochten haben Beide Instanzen gaben wie nicht anders zu erwarten dem Justizministerium Recht Deshalb wird die Russische Gesellschaft MEMORIAL in Kuumlrze Klage beim Verfassungsgericht einreichen

Was den Antrag des Justizministeriums betrifft so hoffen wir dass das Oberste Gericht bei Behandlung dieses Antrags dem Gesetz und der Verfassung mehr Respekt entgegenbringen wird als die untergeordneten Gerichtsinstanzen

10 Oktober 2014Quelle Website von Memorial Deutschland lthttpwwwmemorialdeindexphpid=42amptx_ttnews[tt_news]=546amptx_ttnews[backPid]=3ampcHash=5bbe9b235a03fe09cba52ed5c8786b99gt

DOkUmENtAtION

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 28

NOtIzEN AUS mOSkAU

Petersburger DialogJens Siegert Moskau

Auf den ersten Blick sieht es so aus als ob ein (egal ob nun willentlich oder nicht) an die Oumlffentlich-

keit gelangter Brief einiger regelmaumlszligiger Teilnehmer des Petersburger Dialogs (PD) aus den Reihen deutscher NGOs an Bundeskanzlerin Merkel und Auszligenminis-ter Steinmeier die Verschiebung des fuumlr Ende Oktober in Sotschi geplanten groszligen Jahrestreffens verursacht haumltte In dem Brief bekraumlftigten die Autoren ihre nicht neue Kritik am PD und erklaumlrten warum sie dieses Jahr nicht teilnehmen wuumlrden Sie betonen dass die Absage kein Boykott sei und bieten ihrerseits einen Dialog zur Reform des Dialogs an Auf den zweiten Blick war der Brief selbstverstaumlndlich nur Anstoszlig aber nicht Grund fuumlr die Verschiebung Doch der Reihe nach

Die in dem Brief geaumluszligerte Kritik am PD ist wie gesagt nicht neu sie hat sie den PD von Anfang an begleitet Das liegt sicher auch an einem bis heute nicht korrigierten Geburtsfehler Ein durch Staats- und Regie-rungschefs initiierter raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo ist schon etwas verquer Das heiszligt nicht dass das nicht gehen koumlnnte Doch dazu haumltten sich die hochgestell-ten Initiatoren (der damalige russische Praumlsident und der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schrouml-der) und ihre (Interims-)Nachfolger spaumlter zuruumlckziehen muumlssen Das haben sie nicht Daran sind sie nicht (allein) Schuld Es war der PD der durch seine Lenkungsor-gane die enge zeitliche und oumlrtliche Verbindung mit den deutsch-russischen Regierungskonsultationen und die zeitweilige Anwesenheit von Praumlsident und Kanzlerin zum Grundstein seiner Wirkungsmaumlchtigkeit erklaumlrte

Auf deutscher Seite wurde versucht dieses Problem organisatorisch sozusagen oumlffentlich-rechtlich zu loumlsen indem moumlglichst alle interessierten politischen Spektren und gesellschaftlichen Gruppen am sogenannten Len-kungsausschuss beteiligt wurden Das gelang zumindest so gut dass es soweit mir bekannt bis heute keine grouml-szligeren Klagen uumlber Nichtberuumlcksichtigung oder Nicht-beteiligung gab Aber die Bundesregierung behielt weit-gehenden Einfluss nicht zuletzt uumlber den alljaumlhrlich sechsstelligen Zuschuss fuumlr die Durchfuumlhrung der Jah-restreffen Auszligerdem wurde der jeweilige Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses zwar nach Abstim-mungen mit den Beteiligten aber letztlich durch den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin bestimmt

In Russlands ist die Sache einfacher Von Anfang an wurde und wird gemacht wird was der Kreml will Schon der erste Vorsitzende des russischen Lenkungs-ausschusses Michail Gorbatschow (immerhin selbst ein ehemaliger Praumlsident) war wie er selbst einmal bekannte

nicht mehr als ein ndash schoumlne Ruumlckuumlbertragung aus dem Russischen ndash raquoSitz-Praumlsidentlaquo Der jetzige Vorsitzende Wiktor Subkow war Datschennachbar von Putin ers-ter stellvertretender Ministerpraumlsident und ist nun Auf-sichtsratsvorsitzender von Gazprom

Die Kritik dass nur eine Simulation eines raquozivilge-sellschaftlichen Dialogslaquo stattfinde wurde von einigen deutschen Teilnehmern bereits auf dem ersten Jahres-treffen des PD im April 2001 in St Petersburg geaumluszligert Es fehlten auf russischer Seite (in der seinerzeit noch ver-einigten Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo) Vertreter russischer NGOs Die Kritik kam an In Russ-land fuumlhrte sie (ohne dass ich hier jetzt ausfuumlhren kann wie) zum ersten Versuch des Kremls auch unabhaumln-gige NGOs in das korporative System der gelenkten Demokratie zu zwingen Der Versuch misslang weitge-hend und muumlndete in einer Art Waffenstillstand und der Gruumlndung eines raquoMenschenrechtsrats beim Praumlsi-dentenlaquo unter Einbeziehung von Vertretern unabhaumlngi-ger NGOs Beim PD wurde die Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo in ihre zwei Namensbestandteile geteilt und es gelang uumlber die Jahre in immer wieder unternommenen Anstrengungen auch die Teilnahme unabhaumlngiger russischer NGO-Vertreter durchzuset-zen Etwas spaumlter wurde diese Teilnahme sogar vor-sichtig institutionell abgesichert indem erst Ella Pam-filowa und spaumlter ihr Nachfolger Michail Fedotow als Vorsitzende des inzwischen zum raquoZivilgesellschaftsratlaquo umbenannten raquoMenschenrechtsratslaquo zu den russischen Koordinatoren der Arbeitsgruppe raquoZivilgesellschaftlaquo mit Einladungsrecht wurden (wobei die Einladungen selbst-verstaumlndlich mit der Praumlsidentenadministration abge-stimmt werden muumlssen) Das ist bis heute so

Die Verfasser des Briefes (zu denen ich bekenne mich auch ich gehoumlre) allesamt langjaumlhrige Teilneh-mer der Jahrestreffen des PD haben all die Jahre immer wieder auch oumlffentlich uumlber den Sinn und Unsinn ihrer Teilnahme und Unterstuumltzung diskutiert Letztendlich uumlberwogen die ganze Zeit uumlber zwei Uumlberlegungen Ers-tens ist ein Dialog auch und gerade auf offizieller Ebe-nen und mit offiziellen Vertretern des russischen Staates (wie auch mit Wissenschaftlern Unternehmern Journa-listen Priestern usw welcher politischen Couleur auch immer sie sein moumlgen) erst einmal besser als kein Dia-log Zweitens gingen wir all die Jahre davon aus dass die nicht ohne Muumlhen erreichte Teilnahme unabhaumln-giger russischen NGO-Vertreter fuumlr sie ihre Organisa-tionen aber auch die russische NGO-Szene insgesamt zumindest einen kleinen zusaumltzlichen Schutz gegen die

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seit Putins Amtsantritt immer wieder uumlber das Land gehenden Repressionswellen bietet1 Was hat sich dieses Jahr geaumlndert Erst einmal nicht

so viel gegenuumlber dem Vorjahr Es war schon immer siehe oben eine schwierige Abwaumlgung ob die Teil-nahme am PD sich lohnt oder nicht vielmehr dazu beitraumlgt so zu tun als gaumlbe es in Russland die unein-geschraumlnkte und ungefaumlhrdete Moumlglichkeit sich zivilgesellschaftlich auch dort zu engagieren wo es dem Staat weh tut Zwei Ereignisse haben nun aber zumindest fuumlr die Autoren des Briefes das Pen-del zur anderen Seite ausschlagen lassen Die Kon-frontation zwischen dem Westen (ich weiszlig um die Bedingtheit des Begriffs verwende in der Kuumlrze hal-ber aber trotzdem) und Russland im Konflikt in der und um die Ukraine ist nicht einfach die Fortset-zung schon laumlnger existierender raquoMeinungsverschie-denheitenlaquo Sie ist tiefer und prinzipieller Es geht eben im Kern nicht in erster Linie um Geopolitik sondern wieder einmal um ich fuumlrchte hier weder den Pathos noch historische Analogien Freiheit und Demokratie in Europa

2 Die Repressionen gegen russische NGOs unsere prinzipiellen Partner in der Verteidigung von Demo-kratie und Freiheit haben mit dem sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo eine neue Qualitaumlt erreicht 15 NGOs sind inzwischen zwangsweise zu raquoauslaumln-dischen Agentenlaquo erklaumlrt worden anderen droht die Schlieszligung aufgrund anderer Gesetze Einige von ihnen waren sogar zum nun verschobenen Treffen in Sotschi eingeladen Sie mussten sich Gedanken machen ob eine Zusage oder eine Absage ihnen nicht schaden koumlnnte

Unter diesen Umstaumlnden halten die Verfasser des Brie-fes ihre Teilnahme am PD fuumlr nicht mehr moumlglich Sie fordern keinen Boykott wohl aber ein Nachdenken uumlber eine tiefgreifende Reform

Der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses Lothar de Maiziere hat in einem eigenen offenen Brief geantwortet und den Verfassern vorgeworfen den Dia-log verweigern und politisieren zu wollen Diese (Gegen-)Klage scheint mir angesichts der vielfaumlltigen Verbindun-gen und Dialogformen die die Organisationen hinter den Unterzeichnern des Briefes seit vielen Jahren und oft laumlnger als der PD organisieren an denen sie teil-nehmen und die sie foumlrdern nicht sonderlich stichhal-tig Doch die Auseinandersetzung geht tiefer De Mai-ziere behauptet in seinem Brief der PD mache bereits all das was die Kritiker fordern Genau das bezweifeln diese aber Die Auseinandersetzung geht also und vor allem darum was ein fruchtbarer Dialog zu leisten im Stande sein kann und leisten sollte Sie geht aber auch darum ob dieser Dialog zwischen zwei Gesellschaf-

ten stattfindet nach dem Motto hier die eine dort die andere oder ob sich die Seiten bei diesem Dialog inei-nander verschraumlnken

Die Verfasser des Briefes sind ganz offensichtlich mit ihrer Kritik nicht allein Schon bevor der Brief oumlffent-lich bekannt wurde hatten die Bundestagsabgeordne-ten Andreas Schockenhoff (CDUCSU) und Marieluise Beck (Buumlndnis 90 Die Gruumlnen) in oumlffentlichen Stel-lungnahmen Aumlhnliches gefordert und auch ihre Nicht-Teilnahme erklaumlrt Etwas spaumlter wurde bekannt dass auch der Russland-Beauftragte der Bundesregierung Gernot Erler nicht nach Sotschi fahren wollte Mehr noch Bereits seit dem Fruumlhsommer gab es Gespraumlche zwischen Kanzleramt und Auswaumlrtigem Amt mit dem Ziel den PD sowohl personell als auch strukturell zu reformieren Allerdings setze sich augenscheinlich die Sichtweise des Auswaumlrtigen Amtes durch alles vorerst beim Alten zu belassen da es auch so schon genug Pro-bleme im deutsch-russischen Verhaumlltnis gebe und man diesen Kanal nicht auch noch belasten oder gar gefaumlhr-den solle

Doch zum Herbst hat sich die Situation noch ein-mal veraumlndert Die Hoffnung die russische Fuumlhrung um Praumlsident Putin werde im Krieg in der Ostukraine ein-lenken ist selbst im Auswaumlrtigen Amt bis in die Spitze kaum noch zu finden Im Sommer bekam das russische Justizministerium zudem per erneuter Gesetzesaumlnde-rung das Recht NGOs zwangsweise zu raquoAgentenlaquo zu erklaumlren und macht seither rege Gebrauch davon Eine ganze Reihe russischer NGOs steht vor der Schlieszligung oder loumlst sich auf weil ihnen die vom Gesetz geforderte Selbstetikettierung als raquoauslaumlndische Agentenlaquo ethisch rechtlich und praktisch unmoumlglich ist

Es sieht so aus als haumltten die Verfasser des Briefes nur eine Tuumlr geoumlffnet hinter der andere darunter die Kanzlerin nur darauf gewartet haben durch sie hin-durch gehen zu koumlnnen ohne selbst der Tuumlroumlffnung geziehen zu werden

Ein wenig verwundert die erstaunlich milde russi-sche Reaktion Nach der kurzen Drohung eine Verschie-bung bedeute das Ende des PD lenkte Putin im Telefo-nat mit Merkel ein und fand tags darauf sogar oumlffentlich verstaumlndnisvolle Worte fuumlr die raquoProbleme der deutschen Seitelaquo Das duumlrfte zwei Gruumlnde haben Der eine ist dass trotz des haumlufiger gewordenen Deutschland-Bashings im russischen Staatsfernsehen (mit dem Ergebnis dass in Umfragen Deutschland aus der Kategorie raquoFreundlaquo in die Kategorie raquoFeindlaquo abgerutscht ist) Deutschland im Kreml immer noch als wichtigster raquostrategischerlaquo Part-ner im Westen und vor allem in der EU gilt Zudem ist Deutschland zweifellos ein Land dessen oumlffentliche Meinung (und damit Politik) aus russischer Sicht durch-aus beeinflussbar ist (was z B die kolportierten rund

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140 Millionen US-Dollar zum Aufbau eines deutsch-sprachigen Programms des staatlichen Auslandsfernse-hens raquoRussia Todaylaquo zeigen)

Der andere liegt in einem erneuten Strategiewech-sel (oder weniger ambitioniert Wechsel der Taktik) im Ukraine-Konflikt Die Sanktionen beiszligen inzwi-schen kraumlftig Die Rhetorik wurde daher gemildert Der Kreml ist ganz auf Frieden und dieser Ausdruck aus dem Sport sei erlaubt Ergebnissicherung bedacht (was uumlbrigens Putins grundsaumltzlicher Taktik auch im Inne-ren Russlands entspricht erst hart zuzuschlagen dann eine Schritt zuruumlck zu gehen und einen Kompromiss zu suchen nach dem es fuumlr seine Gegner nachher schlech-ter steht als vorher) Neues Ziel scheint nun also zu sein die raquoErrungenschaftenlaquo Krim (als Teil Russlands) und raquoNeurusslandlaquo (als neuen raquoFrozen Conflictlaquo) zu fixieren und trotzdem mit dem Westen wenn schon nicht gut-freund zu werden so doch zumindest erneut zu einem einigermaszligen vertraumlglichen Modus Vivendi zu gelan-gen Das Gas duumlrfte nach den Mailaumlnder Gespraumlchen

und bei allem Geknurre im Winter stroumlmen und auch im Nahen Osten stellt Moskau weniger Widerspenstig-keit in Aussicht

Was heiszligt das fuumlr die Zukunft des PD Erstmal ist sie offen Zuerst muss sich die deutsche Seite neu ord-nen (hier hat Putin sogar Recht) Nachdem sich Angela Merkel persoumlnlich um eine russische Akzeptanz fuumlr die Verschiebung von Sotschi bemuumlht hat kann ich mir allerdings nicht vorstellen dass es in einigen Wochen oder Monaten ein Zuruumlck zum status quo ante gibt Ob und wie sich ein neu aufgestellter deutscher Lenkungs-ausschuss mit einem neuen Konzept mit der russischen Seite verstaumlndigen kann laumlsst sich momentan kaum voraussagen Es ist zwar einen Versuch wert haumlngt aber wohl sehr von der dann herrschenden politischen Groszlig-wetterlage ab

Diesen und andere Texte finden Sie auf Jens Siegerts Russ-landblog lthttprusslandboellblogorggt

Lesetippbull Poumlrzgen Gemma Dringend reformbeduumlrftig Der Petersburger Dialog auf dem Pruumlfstand in Osteuropa 602010

Nr 10 S 59ndash81

DOkUmENtAtION

Briefwechsel uumlber die zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo

schreiben von nichtregierungsorganisationen und einzelpersonen an die Bundeskanzlerin und den Auszligenminister zum raquoPetersburger Dialoglaquo 2 oktober 2014 [nachtraumlglich veroumlffentlicht]

Berlin 02 Oktober 2014Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerals Personen die sich seit vielen Jahren intensiv im zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland engagieren wenden wir uns mit diesem Schreiben an Sie um zu erlaumlutern warum wir uns in diesem Jahr nicht am Petersburger Dialog beteiligen koumlnnen Zugleich moumlchten wir fuumlr eine Erneuerung des Petersburger Dialogs werben

In Reaktion auf die politische Wende in der Ukraine die durch eine breite gesellschaftliche Protestbewegung hervor-gerufen wurde hat die russische Fuumlhrung voumllkerrechtswidrig die Krim annektiert und einen unerklaumlrten Krieg neuen Typs im Osten der Ukraine begonnen Zugleich betreibt die Regierung unter Praumlsident Putin die systematische Ausschal-tung der letzten unabhaumlngigen Medien in Russland die Kriminalisierung aller Formen politischer Opposition und die Diskreditierung unabhaumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen als raquoauslaumlndische Agentenlaquo Mittlerweile wurden 12 russische Nichtregierungsorganisationen vom russischen Justizministerium zwangsweise auf die Liste raquoauslaumlndischer Agentenlaquo gesetzt und sind daher zukuumlnftig verpflichtet sich bei jeder oumlffentlichen Aumluszligerung wahrheitswidrig selbst als solche zu bezichtigen Zehn dieser Organisationen spielen in der deutschrussischen zivilgesellschaftlichen Zusammen-arbeit seit Jahren eine wichtige Rolle einige von ihnen haben mehrfach am Petersburger Dialog teilgenommen Gegen einige von ihnen sind bereits existenzbedrohende Strafgelder wegen Verstoszliges gegen das sog Agentengesetz verhaumlngt

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worden Es drohen Organisationsschlieszligungen und die Kriminalisierung der Vorstaumlnde Unter diesen inneren und aumluszlige-ren Bedingungen koumlnnen wir uns nicht an einer Neuauflage des Petersburger Dialogs in der bisherigen Form beteiligen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerder seinerzeit von Bundeskanzler Schroumlder und Praumlsident Putin initiierte Petersburger Dialog konnte die ihm zuge-

dachte Aufgabe zu einer Vertiefung und Verbreiterung der gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland beizutragen auch in den vergangenen Jahren nur sehr bedingt erfuumlllen Dies lag vor allem an der starken Naumlhe des Fuumlhrungspersonals auf der russischen Seite zum politischen Machtzentrum im Kreml die von Beginn an den Eindruck einer raquovon obenlaquo inszenierten und kontrollierten Veranstaltung naumlhrte Doch auch auf deutscher Seite wird der Petersburger Dialog bis heute von Personen dominiert die aus politischer und oumlkonomischer Opportunitaumlt dazu neigen Kritik am Kurs der russischen Fuumlhrung als Stoumlrung der raquodeutsch-russischen Freundschaftlaquo zu betrachten Zeit-weise kam es zu der paradoxen Situation dass kritische Aumluszligerungen zu Menschenrechtsverletzungen in Russland oder zum Vorgehen des Kremls gegenuumlber Georgien aus den Reihen der deutschen Delegation als raquoKalte-Kriegs-Rhetoriklaquo verteufelt wurden Nuumlchtern betrachtet waren die kritischen Stimmen aus der russischen und deutschen Zivilgesell-schaft in den letzten Jahren nur eine geduldete Minderheit die dem Petersburger Dialog den Anschein von Pluralis-mus und offener Diskussion verschaffte Ungeachtet dieser Kritik haben wir uns in der Vergangenheit am Petersburger Dialog beteiligt da wir grundsaumltzlich jedes Dialogpotenzial nutzen wollen und uns von der gemeinsamen Beteiligung mit unseren Partnern aus der russischen Zivilgesellschaft eine politische Absicherung dieser Zusammenarbeit erhofften

Diese ohnehin schwachen Hoffnungen wurden durch die Entwicklungen in diesem Jahr zerstoumlrt Vertreter unab-haumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen die auf der russischen Seite zum Petersburger Dialog eingeladen wer-den sind angesichts der politischen und juristischen Bedrohung der sie ausgesetzt sind in ihrer Entscheidung uumlber ihre Teilnahme nicht mehr frei Wenn sie der Einladung nicht folgen muumlssen sie weitere Repressalien befuumlrchten Uns denen die Freiheit der Entscheidung gegeben ist ist es nicht moumlglich durch Teilnahme am Petersburger Dialog in Sot-schi an der Aufstellung einer Potemkinschen Fassade namens raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo mitzuwirken waumlhrend die kritischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Russland als raquoAgentenlaquo diskreditiert und vielfach drangsaliert werden

Zugleich moumlchten wir unsere Bereitschaft unterstreichen an einer Reform des Petersburger Dialogs in organisa-torischer inhaltlicher und personeller Hinsicht mitzuwirken Eine solche Reform sollte darauf ausgerichtet sein uumlber die Auswahl der Formate Themen und Teilnehmer die tatsaumlchliche Lage der russischen Zivilgesellschaft in den Mit-telpunkt der Diskussion zu ruumlcken und einen offenen Dialog zu ermoumlglichen Wir sind ganz damit einverstanden dass gerade in kritischen Zeiten die Zusammenarbeit zwischen der russischen und deutschen Zivilgesellschaft gestaumlrkt wer-den muss Sofern der Petersburger Dialog in Zukunft dafuumlr ein Forum bietet werden wir uns gern daran beteiligen[Unterzeichner nicht veroumlffentlicht]Quelle Website der Boumlll-Stiftung lthttpwwwboelldede20141013reform-petersburger-dialog-ueberfaelliggt

offener Brief an den Vorsitzenden des Petersburger Dialogs lothar de maiziegravere vom 10 oktober 2014

- Offener Brief -HerrnDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des VorstandsPetersburger Dialog eVSchillerstraszlige 5910627 Berlin

Berlin 10 Oktober 2014Petersburger Dialog 2014 in SotschiSehr geehrter Herr de Maiziegravereals Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher zivilgesellschaftlicher Organisationen die seit der Gruumlndung des Petersburger Dialogs 2001 uumlber viele Jahre hinweg an dieser Veranstaltung teilgenommen haben moumlchten wir Ihnen gegenuumlber folgende Erklaumlrung abgeben

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Wir haben uns entschieden am 14 Petersburger Dialog in Sotschi nicht teilzunehmen der fuumlr den 29ndash31 Okto-ber angekuumlndigt worden ist Fuumlr diese Entscheidung die wir sorgfaumlltig diskutiert und abgewogen haben moumlchten wir drei Gruumlnde anfuumlhren1 Der Petersburger Dialog in seiner jetzigen Form steckt in einer Krise Von Jahr zu Jahr wird er seinem eigenem

Anspruch weniger gerecht Die Veranstaltung soll dem zivilgesellschaftlichen Dialog dienen Tatsaumlchlich sind Struktur Nominierungsverfahren und Programm des Petersburger Dialogs maszliggeblich von Akteuren aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert Unter diesen Voraussetzungen erfuumlllt der Petersburger Dialog leider nicht sein in seiner Satzung formuliertes Ziel ein raquooffenes Diskussionsforumlaquo zu sein das die raquoVerstaumlndigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Laumlnderlaquo foumlrdert Der Petersburger Dialog bedarf dringend einer grundlegenden Reform wie sie auch CDUCSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 eingefordert haben Gerne wuumlrden wir uns aktiv an einem Prozess zur Reformierung des Petersburger Dialogs beteiligen der auf eine pluralistische Zusam-mensetzung beider Lenkungsausschuumlsse und eine deutlich staumlrkere Ausrichtung auf unabhaumlngige zivilgesellschaft-liche Akteure zielt ohne den interdisziplinaumlren Ansatz der Veranstaltung aufzugeben

2 Die Situation in der sich Teile der Zivilgesellschaft in Russland befinden erfuumlllt uns mit groszliger Sorge Das betrifft auch Partnerorganisationen und Personen mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten Diese Organisa-tionen uumlben fuumlr Russland und daruumlber hinaus wichtige gesellschaftliche Funktionen aus Die Behinderung ihrer Arbeit durch buumlrokratische Huumlrden aber auch durch willkuumlrliche rechtliche Restriktionen und politische Diffa-mierung sind inakzeptabel Daruumlber koumlnnen wir nicht zur Tagesordnung uumlbergehen Wir wollen nicht zu Kron-zeugen fuumlr einen vorgeblich freien Austausch werden waumlhrend zugleich die kritische Zivilgesellschaft in Russland massiv und systematisch unter Druck gesetzt wird

3 In Teilen der Ukraine herrscht ein Kriegszustand fuumlr den die russische Fuumlhrung eine maszliggebliche Verantwor-tung traumlgt Wichtige Vertreter dieser Fuumlhrung spielen eine Schluumlsselrolle im Petersburger Dialog einschlieszliglich des fruumlheren Ersten Stellvertretenden Ministerpraumlsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden von Gazprom Wiktor Subkow der der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs ist Vor diesem Hin-tergrund moumlchten wir nicht durch unsere Teilnahme dazu beitragen dass eine Normalitaumlt in den deutsch-russi-schen Beziehungen simuliert wird die es derzeit wegen des Angriffs auf die politische Souveraumlnitaumlt und territo-riale Integritaumlt der Ukraine nicht geben kann

Wir waren und sind weiter sehr an einem offenen Dialog uumlber deutsch-russische Belange in einem gesamteuropaumli-schen Kontext interessiert und halten ihn fuumlr eine Bedingung guter Nachbarschaft und Kooperation Ein solcher Dia-log muss aber auch von beiden Seiten gewollt und ermoumlglicht werden Er darf zugleich nicht zum Nachteil Dritter gefuumlhrt werden Angesichts der aktuellen Lage und der bereits bekannt gewordenen Programmvorschlaumlge fuumlr Sotschi sehen wir auch diese Voraussetzung gefaumlhrdet

Dessen ungeachtet werden wir jede Moumlglichkeit nutzen unsere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Grup-pen und anderen Akteuren in Russland zu vertiefen und dieses Potential in einen bilateralen und europaumlischen Dia-log einzubringenMit freundlichen GruumlszligenRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter Politik Greenpeace eVQuelle lthttpwwwaustauschorgaktuelle-meldungennewsdetailarticle1offener-brie-1htmlno_cache=1ampcHash=0428c5bffdgt

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offener Brief des Vorsitzenden des Petersburger Dialogs vom 13 oktober 2014

AnRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich-Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace eVBerlin 13 Oktober 2014Ihr Schreiben vom 10 Oktober 2014Sehr geehrte Damen und HerrenIhren offenen Brief habe ich erhalten Dass Sie einen Brief aumlhnlichen Inhalts zunaumlchst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Auszligenminister verschickt haben verwundert mich Sie geben damit fuumlr die zivilgesell-schaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung die Sie fuumlr die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren

Ihre Nichtbeteiligung am Petersburger Dialog bedaure ich Denn es entspricht der Uumlberzeugung der meisten Mit-glieder des Vorstandes und des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs dass gerade angesichts zweifellos vorhan-dener Probleme fuumlr die Zivilgesellschaft die Sie teilweise benennen die offensive Auseinandersetzung zu solchen The-men gesucht werden muss Indem man sich solchen Gespraumlchen entzieht schadet man den Interessen der Betroffenen

Sie schreiben der Petersburger Dialog sei im Inneren zu reformieren da er von Vertretern aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert sei Diese Feststellung ist falsch und Sie wissen das Das auch in der Satzung des Petersbur-ger Dialogs beschriebene Konzept des Dialogs beruht auf einem breiten Gedankenaustausch aller gesellschaftlichen Kraumlfte Dazu gehoumlren die Bereiche Kultur Medien Bildung Wissenschaft und Kirchen genauso wie zahlreiche im Bereich der politischen sowie der sozialen Menschenrechte engagierte Einrichtungen die in ihrer Gesamtheit das deutsch-russische Verhaumlltnis beleben

Sie versuchen in Ihrem Brief den Petersburger Dialog auf das enge Feld einiger Vertreter der Zivilgesellschaft zu reduzieren die jenseits der korporierten Zivilgesellschaft angesiedelt sind und deren Interessenspektrum nur einen Teil des gesamten zivilgesellschaftlichen Engagements abdeckt

Ich verkenne nicht die ndash auch aber nicht nur ndash in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu Tage getretenen Probleme sowie die unterschiedlichen Folgen die sich aus einer raquogelenkten Demokratielaquo die in vielem nicht westli-chen Standards entspricht ergeben Dennoch Gemessen an weiten Bereichen der russischen Geschichte ist die Ent-wicklung seit 1991 ein Fortschritt Das daraus resultierende wenn auch im letzten Jahr stark eingetruumlbte Vertrauens-potential muss fuumlr die auf vielen Ebenen notwendigen Gespraumlchsforen genutzt und ausgebaut werden

Derartige Gespraumlche bedingen genauso Realismus wie intellektuelle Disziplin wozu auch gehoumlrt zu verstehen wie Russland die Probleme versteht Dies ndash und nicht Gespraumlchsverweigerung ndash ist die Voraussetzung um auf allen demokratischen gesellschaftlichen Ebenen ndash vom politischen Machtzentrum bis in die Randgruppen hinein ndash pro-blemorientierte Gespraumlche fuumlhren zu koumlnnen Dabei darf keine Seite fuumlr sich in Anspruch nehmen legitimere Inte-ressen zu vertreten als die andere

Das heiszligt Ein Gespraumlch raquoauf Augenhoumlhelaquo nicht von oben herab nicht moralisch belehrend aber mit klaren und ehrlichen Argumenten Dabei duumlrfen wir nicht verschweigen welche gesetzgeberischen aber auch politisch-morali-schen Standards wir fuumlr eine demokratische Gesellschaft im europaumlischen Kontext fuumlr unabdingbar halten

Der Petersburger Dialog wurde aus guten Gruumlnden als deutsch-russische Gemeinschaftseinrichtung konzipiert Da ist eine ndash oft muumlhsame ndash Kompromissfindung unausweichlich Dies ist Teil des Wertes auch der Tiefe aber auch der moralischen Qualitaumlt des Dialogs Das Ringen um kompromissfaumlhige Konzepte muss unser Anliegen bleiben nicht Vorverurteilung und GespraumlchsablehnungMit freundlichem GruszligDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des Vorstands Petersburger Dialog e VQuelle Website des Petersburger Dialogs lthttpwwwpetersburger-dialogcomoffener-brief-vom-13-oktober-2014gt

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offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

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9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

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14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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Sie koumlnnen die gesamte Chronik seit 1964 auch auf lthttpwwwlaender-analysenderusslandgt unter dem Link raquoChroniklaquo lesen

Die Russland-Analysen werden von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und von Mangold Consulting GmbH unterstuumltzt

Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

Abdruck und sonstige publizistische Nutzung sind nach Ruumlcksprache mit der Redaktion gestattetVerantwortlicher Redakteur Hans-Henning Schroumlder

Recherche Uumlbersetzungen und Sprachredaktion Christoph Laug Hartmut SchroumlderSatz Matthias Neumann

Russland-Analysen-Layout Cengiz Kibaroglu Matthias Neumann und Michael ClemensAlle Ausgaben der Russland-Analysen sind mit Themen- und Autorenindex archiviert unter wwwlaender-analysende

Die Russland-Analysen werden im Rahmen eines Lizenzvertrages in das Internetangebot der Bundeszentrale fuumlr politische Bildung (wwwbpbde) aufgenommenDie Russland-Analysen werden im Rahmen der Datenbank World Affairs Online (WAO) ausgewertet und sind im Portal IREON wwwireon-portalde recherchierbar

ISSN 1613-3390 copy 2014 by Forschungsstelle Osteuropa BremenForschungsstelle Osteuropa bull Publikationsreferat bull Klagenfurter Str 3 bull 28359 Bremen bull Telefon +49 421-218-69600 bull Telefax +49 421-218-69607

e-mail publikationsreferatosteuropauni-bremende bull Internet-Adresse httpwwwlaender-analysenderussland

22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

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Die einzelnen Laumlnder-Analysen werden von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und der Deutschen Gesellschaft fuumlr Osteuropakunde jeweils mit unterschiedlichen Partnern und Sponsoren herausgegeben

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  • Analyse
    • Eine neue Phase der Russland- und Ostpolitik hat begonnen
      • Karsten D Voigt Berlin
      • Umfrage
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          • Aus russischen Blogs
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                            • Uumlber die Zivilgesellschaft in Russland
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                                • Luumlgen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des JustizministeriumsErklaumlrung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL
                                  • Notizen aus Moskau
                                    • Petersburger Dialog
                                      • Jens Siegert Moskau
                                      • Dokumentation
                                        • Briefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo
                                          • Chronik
                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 24: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 24

grafik 20 haben ihnen irgendwann einmal gesellschaftliche organisationen geholfen

0 20 40 60 80 100

Insgesamt

Moskau und St Petersburg

Millionenstaumldte

Mehr als 500000 Einwohner

100-500000 Einwohner

Weniger als 100000 Einwohner

Dorf

Ja mit Geld geholfen Ja auf andere Weise geholfen Keine Antwort Nein

Quelle Umfragen des WZIOM vom 5ndash6 Juli 2014 N = 1600 Veroumlffentlicht am 10 Oktober 2014 unter lthttpwciomruindexphpid=459ampuid=115017gt

Die oumlffentliche meinung zu ngos mit auslaumlndischer finanzierung (April 2013)

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 21 mit welcher meinung zur taumltigkeit russischer ngos stimmen sie am ehesten uumlberein

Sie bringen einen groszligen Nutzen

4

Sie bringen mehr Nutzen als Schaden

15Sie bringen ebenso viel

Nutzen wie Schaden23

Sie bringen mehr Schaden als Nutzen

18

Sie bringen weder Nutzen noch Schaden

13

Keine Antwort27

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 22 ist es fuumlr sie wichtig ob eine russische menschenrechtsorganisation aus einheimischen oder auslaumln-dischen mitteln finanziert wird

Sehr wichtig10

Eher wichtig34

Nicht besonders wichtig24

Vollkommen unwichtig18

Keine Antwort14

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 25

grafik 23 Welche ziele verfolgen westliche laumlnder und organisationen die russische ngos mit mitteln aus-statten

Einen verstaumlrkten Einfluss auf die russische

Innenpolitik42

Einen Kampf gegen den russischen Staat

19Eine Unterstuumltzung der

russischen Zivilgesellschaft

8

Kein besonderes Ziel russische NGOs werden wie andere aus standardisierten

internationalen Programmen unterstuumltzt

12

Keine Antwort19

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 24 Duumlrfen organisationen die sich mit dem schutz der Buumlrgerrechte beschaumlftigen und den staat kriti-sieren das recht haben mittel aus dem Ausland zu beziehen

Ja20

Nein56

Keine Antwort24

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 25 Unterstuumltzen sie harte sanktionen gegen ngos die einer politischen taumltigkeit nachgehen und gelder aus dem Ausland erhalten sich aber nicht nach dem gesetz als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren

Auf jeden Fall20

Eher ja32

Eher nein15

Auf keinen Fall5

Keine Antwort28

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 26

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luumlgen des fernsehkanals ntV und Beanstandungen des Justizministeriums erklaumlrung des menschenrechtszentrums memoriAl und der russischen gesellschaft

memoriAl

Die Behauptung bei NTV das russische Justizministerium habe die Liquidierung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL eingeleitet fuumlhrte heute zu etlichen Irritationen Das Menschenrechtszentrum und die Russische Gesell-schaft MEMORIAL (die Dachorganisation der russischen Memorial-Verbaumlnde) haben aus diesem Anlass nachste-hende Erklaumlrung abgegeben

Am 10 Oktober strahlte NTV unter dem Titel raquoAuszligergewoumlhnliches Ereignislaquo eine Sendung aus die aus boumlswil-ligen Luumlgen aber auch aus Fehlinformationen in Folge von Unkenntnis bestand

Die Arbeit des Menschenrechtszentrums MEMORIAL als Unterstuumltzung von Extremisten und Terroristen dar-zustellen ist eine infame Luumlge Auf Unkenntnis basiert hingegen die Behauptung das Justizministerium habe des-halb den Antrag gestellt das Menschenrechtszentrum MEMORIAL zu liquidieren

In Wirklichkeit hat das Justizministerium beim Obersten Gericht der Russischen Foumlderation nicht die Aufloumlsung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL beantragt Es geht hier vielmehr um eine andere Organisation naumlmlich die Russische Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIAL

Die russische Gesellschaft MEMORIAL wurde vom Justizministerium bereits 1992 registriert Bis heute befinden sich unter ihrem Dach verschiedene Memorial-Verbaumlnde die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen

Im Jahre 2012 20 Jahre nach der ersten Registrierung tauchten beim Justizministerium ploumltzlich Zweifel hin-sichtlich des russischen Rechtsstatus von Memorial auf obwohl der Gesellschaft praktisch dieselben regionalen Ver-baumlnde angehoumlren wie zuvor und sich die Gesetzeslage in dieser Frage in keinem Punkt geaumlndert hatte

Geaumlndert hat sich allerdings die Position des Justizministeriums das erneut einen raquodemokratischen Zentralismuslaquo anstrebt der nach der Abschaffung der fuumlhrenden Rolle der KPdSU nicht mehr aktuell schien Heute erklaumlrt das Jus-tizministerium nur jene gesellschaftlichen Vereinigungen koumlnnten der Russischen Gesellschaft MEMORIAL ange-houmlren die in ihrer Bezeichnung die Worte raquoVerband (otdelenie) der Russischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklauml-rung Sozialarbeit und Menschenrechte MEMORIALlaquo tragen

Die gesetzliche Vorschrift dass eine Organisation nur dann einen gesamtrussischen Status haben kann wenn sie in uumlber der Haumllfte der Foumlderationssubjekte Verbaumlnde unterhaumllt legt das Justizministerium jetzt dahingehend aus dass diese Verbaumlnde zwangslaumlufig einen Status als Regionalverbaumlnde haben muumlssten Das Vorhandensein von Stadt- und Bezirksverbaumlnden einer Organisation reicht die Beamten als Beleg dafuumlr nicht aus dass die Organisation in der betreffenden Region taumltig ist

Die Vorbehalte des Justizministeriums entbehren jeglicher Grundlage Nicht zufaumlllig erhielten wir auf Anfragen keine Hinweise auf eine Gesetzesnorm Es ist fuumlr uns inakzeptabel dass das Justizministerium das von der Verfas-sung garantierte Recht von Buumlrgern eine Vereinigung zu bilden gesetzwidrig einschraumlnken will Deshalb hat sich die Russische Gesellschaft MEMORIAL bereits 2012 entschlossen vor Gericht zu gehen

Einen Hinweis auf ein Gesetz haben wir auch nicht erhalten als wir 2013 die Forderungen des Justizministeriums im Moskauer Zamoskvorezki-Bezirksgericht und danach im Stadtgericht angefochten haben Beide Instanzen gaben wie nicht anders zu erwarten dem Justizministerium Recht Deshalb wird die Russische Gesellschaft MEMORIAL in Kuumlrze Klage beim Verfassungsgericht einreichen

Was den Antrag des Justizministeriums betrifft so hoffen wir dass das Oberste Gericht bei Behandlung dieses Antrags dem Gesetz und der Verfassung mehr Respekt entgegenbringen wird als die untergeordneten Gerichtsinstanzen

10 Oktober 2014Quelle Website von Memorial Deutschland lthttpwwwmemorialdeindexphpid=42amptx_ttnews[tt_news]=546amptx_ttnews[backPid]=3ampcHash=5bbe9b235a03fe09cba52ed5c8786b99gt

DOkUmENtAtION

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NOtIzEN AUS mOSkAU

Petersburger DialogJens Siegert Moskau

Auf den ersten Blick sieht es so aus als ob ein (egal ob nun willentlich oder nicht) an die Oumlffentlich-

keit gelangter Brief einiger regelmaumlszligiger Teilnehmer des Petersburger Dialogs (PD) aus den Reihen deutscher NGOs an Bundeskanzlerin Merkel und Auszligenminis-ter Steinmeier die Verschiebung des fuumlr Ende Oktober in Sotschi geplanten groszligen Jahrestreffens verursacht haumltte In dem Brief bekraumlftigten die Autoren ihre nicht neue Kritik am PD und erklaumlrten warum sie dieses Jahr nicht teilnehmen wuumlrden Sie betonen dass die Absage kein Boykott sei und bieten ihrerseits einen Dialog zur Reform des Dialogs an Auf den zweiten Blick war der Brief selbstverstaumlndlich nur Anstoszlig aber nicht Grund fuumlr die Verschiebung Doch der Reihe nach

Die in dem Brief geaumluszligerte Kritik am PD ist wie gesagt nicht neu sie hat sie den PD von Anfang an begleitet Das liegt sicher auch an einem bis heute nicht korrigierten Geburtsfehler Ein durch Staats- und Regie-rungschefs initiierter raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo ist schon etwas verquer Das heiszligt nicht dass das nicht gehen koumlnnte Doch dazu haumltten sich die hochgestell-ten Initiatoren (der damalige russische Praumlsident und der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schrouml-der) und ihre (Interims-)Nachfolger spaumlter zuruumlckziehen muumlssen Das haben sie nicht Daran sind sie nicht (allein) Schuld Es war der PD der durch seine Lenkungsor-gane die enge zeitliche und oumlrtliche Verbindung mit den deutsch-russischen Regierungskonsultationen und die zeitweilige Anwesenheit von Praumlsident und Kanzlerin zum Grundstein seiner Wirkungsmaumlchtigkeit erklaumlrte

Auf deutscher Seite wurde versucht dieses Problem organisatorisch sozusagen oumlffentlich-rechtlich zu loumlsen indem moumlglichst alle interessierten politischen Spektren und gesellschaftlichen Gruppen am sogenannten Len-kungsausschuss beteiligt wurden Das gelang zumindest so gut dass es soweit mir bekannt bis heute keine grouml-szligeren Klagen uumlber Nichtberuumlcksichtigung oder Nicht-beteiligung gab Aber die Bundesregierung behielt weit-gehenden Einfluss nicht zuletzt uumlber den alljaumlhrlich sechsstelligen Zuschuss fuumlr die Durchfuumlhrung der Jah-restreffen Auszligerdem wurde der jeweilige Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses zwar nach Abstim-mungen mit den Beteiligten aber letztlich durch den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin bestimmt

In Russlands ist die Sache einfacher Von Anfang an wurde und wird gemacht wird was der Kreml will Schon der erste Vorsitzende des russischen Lenkungs-ausschusses Michail Gorbatschow (immerhin selbst ein ehemaliger Praumlsident) war wie er selbst einmal bekannte

nicht mehr als ein ndash schoumlne Ruumlckuumlbertragung aus dem Russischen ndash raquoSitz-Praumlsidentlaquo Der jetzige Vorsitzende Wiktor Subkow war Datschennachbar von Putin ers-ter stellvertretender Ministerpraumlsident und ist nun Auf-sichtsratsvorsitzender von Gazprom

Die Kritik dass nur eine Simulation eines raquozivilge-sellschaftlichen Dialogslaquo stattfinde wurde von einigen deutschen Teilnehmern bereits auf dem ersten Jahres-treffen des PD im April 2001 in St Petersburg geaumluszligert Es fehlten auf russischer Seite (in der seinerzeit noch ver-einigten Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo) Vertreter russischer NGOs Die Kritik kam an In Russ-land fuumlhrte sie (ohne dass ich hier jetzt ausfuumlhren kann wie) zum ersten Versuch des Kremls auch unabhaumln-gige NGOs in das korporative System der gelenkten Demokratie zu zwingen Der Versuch misslang weitge-hend und muumlndete in einer Art Waffenstillstand und der Gruumlndung eines raquoMenschenrechtsrats beim Praumlsi-dentenlaquo unter Einbeziehung von Vertretern unabhaumlngi-ger NGOs Beim PD wurde die Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo in ihre zwei Namensbestandteile geteilt und es gelang uumlber die Jahre in immer wieder unternommenen Anstrengungen auch die Teilnahme unabhaumlngiger russischer NGO-Vertreter durchzuset-zen Etwas spaumlter wurde diese Teilnahme sogar vor-sichtig institutionell abgesichert indem erst Ella Pam-filowa und spaumlter ihr Nachfolger Michail Fedotow als Vorsitzende des inzwischen zum raquoZivilgesellschaftsratlaquo umbenannten raquoMenschenrechtsratslaquo zu den russischen Koordinatoren der Arbeitsgruppe raquoZivilgesellschaftlaquo mit Einladungsrecht wurden (wobei die Einladungen selbst-verstaumlndlich mit der Praumlsidentenadministration abge-stimmt werden muumlssen) Das ist bis heute so

Die Verfasser des Briefes (zu denen ich bekenne mich auch ich gehoumlre) allesamt langjaumlhrige Teilneh-mer der Jahrestreffen des PD haben all die Jahre immer wieder auch oumlffentlich uumlber den Sinn und Unsinn ihrer Teilnahme und Unterstuumltzung diskutiert Letztendlich uumlberwogen die ganze Zeit uumlber zwei Uumlberlegungen Ers-tens ist ein Dialog auch und gerade auf offizieller Ebe-nen und mit offiziellen Vertretern des russischen Staates (wie auch mit Wissenschaftlern Unternehmern Journa-listen Priestern usw welcher politischen Couleur auch immer sie sein moumlgen) erst einmal besser als kein Dia-log Zweitens gingen wir all die Jahre davon aus dass die nicht ohne Muumlhen erreichte Teilnahme unabhaumln-giger russischen NGO-Vertreter fuumlr sie ihre Organisa-tionen aber auch die russische NGO-Szene insgesamt zumindest einen kleinen zusaumltzlichen Schutz gegen die

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seit Putins Amtsantritt immer wieder uumlber das Land gehenden Repressionswellen bietet1 Was hat sich dieses Jahr geaumlndert Erst einmal nicht

so viel gegenuumlber dem Vorjahr Es war schon immer siehe oben eine schwierige Abwaumlgung ob die Teil-nahme am PD sich lohnt oder nicht vielmehr dazu beitraumlgt so zu tun als gaumlbe es in Russland die unein-geschraumlnkte und ungefaumlhrdete Moumlglichkeit sich zivilgesellschaftlich auch dort zu engagieren wo es dem Staat weh tut Zwei Ereignisse haben nun aber zumindest fuumlr die Autoren des Briefes das Pen-del zur anderen Seite ausschlagen lassen Die Kon-frontation zwischen dem Westen (ich weiszlig um die Bedingtheit des Begriffs verwende in der Kuumlrze hal-ber aber trotzdem) und Russland im Konflikt in der und um die Ukraine ist nicht einfach die Fortset-zung schon laumlnger existierender raquoMeinungsverschie-denheitenlaquo Sie ist tiefer und prinzipieller Es geht eben im Kern nicht in erster Linie um Geopolitik sondern wieder einmal um ich fuumlrchte hier weder den Pathos noch historische Analogien Freiheit und Demokratie in Europa

2 Die Repressionen gegen russische NGOs unsere prinzipiellen Partner in der Verteidigung von Demo-kratie und Freiheit haben mit dem sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo eine neue Qualitaumlt erreicht 15 NGOs sind inzwischen zwangsweise zu raquoauslaumln-dischen Agentenlaquo erklaumlrt worden anderen droht die Schlieszligung aufgrund anderer Gesetze Einige von ihnen waren sogar zum nun verschobenen Treffen in Sotschi eingeladen Sie mussten sich Gedanken machen ob eine Zusage oder eine Absage ihnen nicht schaden koumlnnte

Unter diesen Umstaumlnden halten die Verfasser des Brie-fes ihre Teilnahme am PD fuumlr nicht mehr moumlglich Sie fordern keinen Boykott wohl aber ein Nachdenken uumlber eine tiefgreifende Reform

Der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses Lothar de Maiziere hat in einem eigenen offenen Brief geantwortet und den Verfassern vorgeworfen den Dia-log verweigern und politisieren zu wollen Diese (Gegen-)Klage scheint mir angesichts der vielfaumlltigen Verbindun-gen und Dialogformen die die Organisationen hinter den Unterzeichnern des Briefes seit vielen Jahren und oft laumlnger als der PD organisieren an denen sie teil-nehmen und die sie foumlrdern nicht sonderlich stichhal-tig Doch die Auseinandersetzung geht tiefer De Mai-ziere behauptet in seinem Brief der PD mache bereits all das was die Kritiker fordern Genau das bezweifeln diese aber Die Auseinandersetzung geht also und vor allem darum was ein fruchtbarer Dialog zu leisten im Stande sein kann und leisten sollte Sie geht aber auch darum ob dieser Dialog zwischen zwei Gesellschaf-

ten stattfindet nach dem Motto hier die eine dort die andere oder ob sich die Seiten bei diesem Dialog inei-nander verschraumlnken

Die Verfasser des Briefes sind ganz offensichtlich mit ihrer Kritik nicht allein Schon bevor der Brief oumlffent-lich bekannt wurde hatten die Bundestagsabgeordne-ten Andreas Schockenhoff (CDUCSU) und Marieluise Beck (Buumlndnis 90 Die Gruumlnen) in oumlffentlichen Stel-lungnahmen Aumlhnliches gefordert und auch ihre Nicht-Teilnahme erklaumlrt Etwas spaumlter wurde bekannt dass auch der Russland-Beauftragte der Bundesregierung Gernot Erler nicht nach Sotschi fahren wollte Mehr noch Bereits seit dem Fruumlhsommer gab es Gespraumlche zwischen Kanzleramt und Auswaumlrtigem Amt mit dem Ziel den PD sowohl personell als auch strukturell zu reformieren Allerdings setze sich augenscheinlich die Sichtweise des Auswaumlrtigen Amtes durch alles vorerst beim Alten zu belassen da es auch so schon genug Pro-bleme im deutsch-russischen Verhaumlltnis gebe und man diesen Kanal nicht auch noch belasten oder gar gefaumlhr-den solle

Doch zum Herbst hat sich die Situation noch ein-mal veraumlndert Die Hoffnung die russische Fuumlhrung um Praumlsident Putin werde im Krieg in der Ostukraine ein-lenken ist selbst im Auswaumlrtigen Amt bis in die Spitze kaum noch zu finden Im Sommer bekam das russische Justizministerium zudem per erneuter Gesetzesaumlnde-rung das Recht NGOs zwangsweise zu raquoAgentenlaquo zu erklaumlren und macht seither rege Gebrauch davon Eine ganze Reihe russischer NGOs steht vor der Schlieszligung oder loumlst sich auf weil ihnen die vom Gesetz geforderte Selbstetikettierung als raquoauslaumlndische Agentenlaquo ethisch rechtlich und praktisch unmoumlglich ist

Es sieht so aus als haumltten die Verfasser des Briefes nur eine Tuumlr geoumlffnet hinter der andere darunter die Kanzlerin nur darauf gewartet haben durch sie hin-durch gehen zu koumlnnen ohne selbst der Tuumlroumlffnung geziehen zu werden

Ein wenig verwundert die erstaunlich milde russi-sche Reaktion Nach der kurzen Drohung eine Verschie-bung bedeute das Ende des PD lenkte Putin im Telefo-nat mit Merkel ein und fand tags darauf sogar oumlffentlich verstaumlndnisvolle Worte fuumlr die raquoProbleme der deutschen Seitelaquo Das duumlrfte zwei Gruumlnde haben Der eine ist dass trotz des haumlufiger gewordenen Deutschland-Bashings im russischen Staatsfernsehen (mit dem Ergebnis dass in Umfragen Deutschland aus der Kategorie raquoFreundlaquo in die Kategorie raquoFeindlaquo abgerutscht ist) Deutschland im Kreml immer noch als wichtigster raquostrategischerlaquo Part-ner im Westen und vor allem in der EU gilt Zudem ist Deutschland zweifellos ein Land dessen oumlffentliche Meinung (und damit Politik) aus russischer Sicht durch-aus beeinflussbar ist (was z B die kolportierten rund

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140 Millionen US-Dollar zum Aufbau eines deutsch-sprachigen Programms des staatlichen Auslandsfernse-hens raquoRussia Todaylaquo zeigen)

Der andere liegt in einem erneuten Strategiewech-sel (oder weniger ambitioniert Wechsel der Taktik) im Ukraine-Konflikt Die Sanktionen beiszligen inzwi-schen kraumlftig Die Rhetorik wurde daher gemildert Der Kreml ist ganz auf Frieden und dieser Ausdruck aus dem Sport sei erlaubt Ergebnissicherung bedacht (was uumlbrigens Putins grundsaumltzlicher Taktik auch im Inne-ren Russlands entspricht erst hart zuzuschlagen dann eine Schritt zuruumlck zu gehen und einen Kompromiss zu suchen nach dem es fuumlr seine Gegner nachher schlech-ter steht als vorher) Neues Ziel scheint nun also zu sein die raquoErrungenschaftenlaquo Krim (als Teil Russlands) und raquoNeurusslandlaquo (als neuen raquoFrozen Conflictlaquo) zu fixieren und trotzdem mit dem Westen wenn schon nicht gut-freund zu werden so doch zumindest erneut zu einem einigermaszligen vertraumlglichen Modus Vivendi zu gelan-gen Das Gas duumlrfte nach den Mailaumlnder Gespraumlchen

und bei allem Geknurre im Winter stroumlmen und auch im Nahen Osten stellt Moskau weniger Widerspenstig-keit in Aussicht

Was heiszligt das fuumlr die Zukunft des PD Erstmal ist sie offen Zuerst muss sich die deutsche Seite neu ord-nen (hier hat Putin sogar Recht) Nachdem sich Angela Merkel persoumlnlich um eine russische Akzeptanz fuumlr die Verschiebung von Sotschi bemuumlht hat kann ich mir allerdings nicht vorstellen dass es in einigen Wochen oder Monaten ein Zuruumlck zum status quo ante gibt Ob und wie sich ein neu aufgestellter deutscher Lenkungs-ausschuss mit einem neuen Konzept mit der russischen Seite verstaumlndigen kann laumlsst sich momentan kaum voraussagen Es ist zwar einen Versuch wert haumlngt aber wohl sehr von der dann herrschenden politischen Groszlig-wetterlage ab

Diesen und andere Texte finden Sie auf Jens Siegerts Russ-landblog lthttprusslandboellblogorggt

Lesetippbull Poumlrzgen Gemma Dringend reformbeduumlrftig Der Petersburger Dialog auf dem Pruumlfstand in Osteuropa 602010

Nr 10 S 59ndash81

DOkUmENtAtION

Briefwechsel uumlber die zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo

schreiben von nichtregierungsorganisationen und einzelpersonen an die Bundeskanzlerin und den Auszligenminister zum raquoPetersburger Dialoglaquo 2 oktober 2014 [nachtraumlglich veroumlffentlicht]

Berlin 02 Oktober 2014Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerals Personen die sich seit vielen Jahren intensiv im zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland engagieren wenden wir uns mit diesem Schreiben an Sie um zu erlaumlutern warum wir uns in diesem Jahr nicht am Petersburger Dialog beteiligen koumlnnen Zugleich moumlchten wir fuumlr eine Erneuerung des Petersburger Dialogs werben

In Reaktion auf die politische Wende in der Ukraine die durch eine breite gesellschaftliche Protestbewegung hervor-gerufen wurde hat die russische Fuumlhrung voumllkerrechtswidrig die Krim annektiert und einen unerklaumlrten Krieg neuen Typs im Osten der Ukraine begonnen Zugleich betreibt die Regierung unter Praumlsident Putin die systematische Ausschal-tung der letzten unabhaumlngigen Medien in Russland die Kriminalisierung aller Formen politischer Opposition und die Diskreditierung unabhaumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen als raquoauslaumlndische Agentenlaquo Mittlerweile wurden 12 russische Nichtregierungsorganisationen vom russischen Justizministerium zwangsweise auf die Liste raquoauslaumlndischer Agentenlaquo gesetzt und sind daher zukuumlnftig verpflichtet sich bei jeder oumlffentlichen Aumluszligerung wahrheitswidrig selbst als solche zu bezichtigen Zehn dieser Organisationen spielen in der deutschrussischen zivilgesellschaftlichen Zusammen-arbeit seit Jahren eine wichtige Rolle einige von ihnen haben mehrfach am Petersburger Dialog teilgenommen Gegen einige von ihnen sind bereits existenzbedrohende Strafgelder wegen Verstoszliges gegen das sog Agentengesetz verhaumlngt

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worden Es drohen Organisationsschlieszligungen und die Kriminalisierung der Vorstaumlnde Unter diesen inneren und aumluszlige-ren Bedingungen koumlnnen wir uns nicht an einer Neuauflage des Petersburger Dialogs in der bisherigen Form beteiligen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerder seinerzeit von Bundeskanzler Schroumlder und Praumlsident Putin initiierte Petersburger Dialog konnte die ihm zuge-

dachte Aufgabe zu einer Vertiefung und Verbreiterung der gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland beizutragen auch in den vergangenen Jahren nur sehr bedingt erfuumlllen Dies lag vor allem an der starken Naumlhe des Fuumlhrungspersonals auf der russischen Seite zum politischen Machtzentrum im Kreml die von Beginn an den Eindruck einer raquovon obenlaquo inszenierten und kontrollierten Veranstaltung naumlhrte Doch auch auf deutscher Seite wird der Petersburger Dialog bis heute von Personen dominiert die aus politischer und oumlkonomischer Opportunitaumlt dazu neigen Kritik am Kurs der russischen Fuumlhrung als Stoumlrung der raquodeutsch-russischen Freundschaftlaquo zu betrachten Zeit-weise kam es zu der paradoxen Situation dass kritische Aumluszligerungen zu Menschenrechtsverletzungen in Russland oder zum Vorgehen des Kremls gegenuumlber Georgien aus den Reihen der deutschen Delegation als raquoKalte-Kriegs-Rhetoriklaquo verteufelt wurden Nuumlchtern betrachtet waren die kritischen Stimmen aus der russischen und deutschen Zivilgesell-schaft in den letzten Jahren nur eine geduldete Minderheit die dem Petersburger Dialog den Anschein von Pluralis-mus und offener Diskussion verschaffte Ungeachtet dieser Kritik haben wir uns in der Vergangenheit am Petersburger Dialog beteiligt da wir grundsaumltzlich jedes Dialogpotenzial nutzen wollen und uns von der gemeinsamen Beteiligung mit unseren Partnern aus der russischen Zivilgesellschaft eine politische Absicherung dieser Zusammenarbeit erhofften

Diese ohnehin schwachen Hoffnungen wurden durch die Entwicklungen in diesem Jahr zerstoumlrt Vertreter unab-haumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen die auf der russischen Seite zum Petersburger Dialog eingeladen wer-den sind angesichts der politischen und juristischen Bedrohung der sie ausgesetzt sind in ihrer Entscheidung uumlber ihre Teilnahme nicht mehr frei Wenn sie der Einladung nicht folgen muumlssen sie weitere Repressalien befuumlrchten Uns denen die Freiheit der Entscheidung gegeben ist ist es nicht moumlglich durch Teilnahme am Petersburger Dialog in Sot-schi an der Aufstellung einer Potemkinschen Fassade namens raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo mitzuwirken waumlhrend die kritischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Russland als raquoAgentenlaquo diskreditiert und vielfach drangsaliert werden

Zugleich moumlchten wir unsere Bereitschaft unterstreichen an einer Reform des Petersburger Dialogs in organisa-torischer inhaltlicher und personeller Hinsicht mitzuwirken Eine solche Reform sollte darauf ausgerichtet sein uumlber die Auswahl der Formate Themen und Teilnehmer die tatsaumlchliche Lage der russischen Zivilgesellschaft in den Mit-telpunkt der Diskussion zu ruumlcken und einen offenen Dialog zu ermoumlglichen Wir sind ganz damit einverstanden dass gerade in kritischen Zeiten die Zusammenarbeit zwischen der russischen und deutschen Zivilgesellschaft gestaumlrkt wer-den muss Sofern der Petersburger Dialog in Zukunft dafuumlr ein Forum bietet werden wir uns gern daran beteiligen[Unterzeichner nicht veroumlffentlicht]Quelle Website der Boumlll-Stiftung lthttpwwwboelldede20141013reform-petersburger-dialog-ueberfaelliggt

offener Brief an den Vorsitzenden des Petersburger Dialogs lothar de maiziegravere vom 10 oktober 2014

- Offener Brief -HerrnDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des VorstandsPetersburger Dialog eVSchillerstraszlige 5910627 Berlin

Berlin 10 Oktober 2014Petersburger Dialog 2014 in SotschiSehr geehrter Herr de Maiziegravereals Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher zivilgesellschaftlicher Organisationen die seit der Gruumlndung des Petersburger Dialogs 2001 uumlber viele Jahre hinweg an dieser Veranstaltung teilgenommen haben moumlchten wir Ihnen gegenuumlber folgende Erklaumlrung abgeben

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Wir haben uns entschieden am 14 Petersburger Dialog in Sotschi nicht teilzunehmen der fuumlr den 29ndash31 Okto-ber angekuumlndigt worden ist Fuumlr diese Entscheidung die wir sorgfaumlltig diskutiert und abgewogen haben moumlchten wir drei Gruumlnde anfuumlhren1 Der Petersburger Dialog in seiner jetzigen Form steckt in einer Krise Von Jahr zu Jahr wird er seinem eigenem

Anspruch weniger gerecht Die Veranstaltung soll dem zivilgesellschaftlichen Dialog dienen Tatsaumlchlich sind Struktur Nominierungsverfahren und Programm des Petersburger Dialogs maszliggeblich von Akteuren aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert Unter diesen Voraussetzungen erfuumlllt der Petersburger Dialog leider nicht sein in seiner Satzung formuliertes Ziel ein raquooffenes Diskussionsforumlaquo zu sein das die raquoVerstaumlndigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Laumlnderlaquo foumlrdert Der Petersburger Dialog bedarf dringend einer grundlegenden Reform wie sie auch CDUCSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 eingefordert haben Gerne wuumlrden wir uns aktiv an einem Prozess zur Reformierung des Petersburger Dialogs beteiligen der auf eine pluralistische Zusam-mensetzung beider Lenkungsausschuumlsse und eine deutlich staumlrkere Ausrichtung auf unabhaumlngige zivilgesellschaft-liche Akteure zielt ohne den interdisziplinaumlren Ansatz der Veranstaltung aufzugeben

2 Die Situation in der sich Teile der Zivilgesellschaft in Russland befinden erfuumlllt uns mit groszliger Sorge Das betrifft auch Partnerorganisationen und Personen mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten Diese Organisa-tionen uumlben fuumlr Russland und daruumlber hinaus wichtige gesellschaftliche Funktionen aus Die Behinderung ihrer Arbeit durch buumlrokratische Huumlrden aber auch durch willkuumlrliche rechtliche Restriktionen und politische Diffa-mierung sind inakzeptabel Daruumlber koumlnnen wir nicht zur Tagesordnung uumlbergehen Wir wollen nicht zu Kron-zeugen fuumlr einen vorgeblich freien Austausch werden waumlhrend zugleich die kritische Zivilgesellschaft in Russland massiv und systematisch unter Druck gesetzt wird

3 In Teilen der Ukraine herrscht ein Kriegszustand fuumlr den die russische Fuumlhrung eine maszliggebliche Verantwor-tung traumlgt Wichtige Vertreter dieser Fuumlhrung spielen eine Schluumlsselrolle im Petersburger Dialog einschlieszliglich des fruumlheren Ersten Stellvertretenden Ministerpraumlsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden von Gazprom Wiktor Subkow der der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs ist Vor diesem Hin-tergrund moumlchten wir nicht durch unsere Teilnahme dazu beitragen dass eine Normalitaumlt in den deutsch-russi-schen Beziehungen simuliert wird die es derzeit wegen des Angriffs auf die politische Souveraumlnitaumlt und territo-riale Integritaumlt der Ukraine nicht geben kann

Wir waren und sind weiter sehr an einem offenen Dialog uumlber deutsch-russische Belange in einem gesamteuropaumli-schen Kontext interessiert und halten ihn fuumlr eine Bedingung guter Nachbarschaft und Kooperation Ein solcher Dia-log muss aber auch von beiden Seiten gewollt und ermoumlglicht werden Er darf zugleich nicht zum Nachteil Dritter gefuumlhrt werden Angesichts der aktuellen Lage und der bereits bekannt gewordenen Programmvorschlaumlge fuumlr Sotschi sehen wir auch diese Voraussetzung gefaumlhrdet

Dessen ungeachtet werden wir jede Moumlglichkeit nutzen unsere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Grup-pen und anderen Akteuren in Russland zu vertiefen und dieses Potential in einen bilateralen und europaumlischen Dia-log einzubringenMit freundlichen GruumlszligenRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter Politik Greenpeace eVQuelle lthttpwwwaustauschorgaktuelle-meldungennewsdetailarticle1offener-brie-1htmlno_cache=1ampcHash=0428c5bffdgt

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offener Brief des Vorsitzenden des Petersburger Dialogs vom 13 oktober 2014

AnRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich-Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace eVBerlin 13 Oktober 2014Ihr Schreiben vom 10 Oktober 2014Sehr geehrte Damen und HerrenIhren offenen Brief habe ich erhalten Dass Sie einen Brief aumlhnlichen Inhalts zunaumlchst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Auszligenminister verschickt haben verwundert mich Sie geben damit fuumlr die zivilgesell-schaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung die Sie fuumlr die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren

Ihre Nichtbeteiligung am Petersburger Dialog bedaure ich Denn es entspricht der Uumlberzeugung der meisten Mit-glieder des Vorstandes und des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs dass gerade angesichts zweifellos vorhan-dener Probleme fuumlr die Zivilgesellschaft die Sie teilweise benennen die offensive Auseinandersetzung zu solchen The-men gesucht werden muss Indem man sich solchen Gespraumlchen entzieht schadet man den Interessen der Betroffenen

Sie schreiben der Petersburger Dialog sei im Inneren zu reformieren da er von Vertretern aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert sei Diese Feststellung ist falsch und Sie wissen das Das auch in der Satzung des Petersbur-ger Dialogs beschriebene Konzept des Dialogs beruht auf einem breiten Gedankenaustausch aller gesellschaftlichen Kraumlfte Dazu gehoumlren die Bereiche Kultur Medien Bildung Wissenschaft und Kirchen genauso wie zahlreiche im Bereich der politischen sowie der sozialen Menschenrechte engagierte Einrichtungen die in ihrer Gesamtheit das deutsch-russische Verhaumlltnis beleben

Sie versuchen in Ihrem Brief den Petersburger Dialog auf das enge Feld einiger Vertreter der Zivilgesellschaft zu reduzieren die jenseits der korporierten Zivilgesellschaft angesiedelt sind und deren Interessenspektrum nur einen Teil des gesamten zivilgesellschaftlichen Engagements abdeckt

Ich verkenne nicht die ndash auch aber nicht nur ndash in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu Tage getretenen Probleme sowie die unterschiedlichen Folgen die sich aus einer raquogelenkten Demokratielaquo die in vielem nicht westli-chen Standards entspricht ergeben Dennoch Gemessen an weiten Bereichen der russischen Geschichte ist die Ent-wicklung seit 1991 ein Fortschritt Das daraus resultierende wenn auch im letzten Jahr stark eingetruumlbte Vertrauens-potential muss fuumlr die auf vielen Ebenen notwendigen Gespraumlchsforen genutzt und ausgebaut werden

Derartige Gespraumlche bedingen genauso Realismus wie intellektuelle Disziplin wozu auch gehoumlrt zu verstehen wie Russland die Probleme versteht Dies ndash und nicht Gespraumlchsverweigerung ndash ist die Voraussetzung um auf allen demokratischen gesellschaftlichen Ebenen ndash vom politischen Machtzentrum bis in die Randgruppen hinein ndash pro-blemorientierte Gespraumlche fuumlhren zu koumlnnen Dabei darf keine Seite fuumlr sich in Anspruch nehmen legitimere Inte-ressen zu vertreten als die andere

Das heiszligt Ein Gespraumlch raquoauf Augenhoumlhelaquo nicht von oben herab nicht moralisch belehrend aber mit klaren und ehrlichen Argumenten Dabei duumlrfen wir nicht verschweigen welche gesetzgeberischen aber auch politisch-morali-schen Standards wir fuumlr eine demokratische Gesellschaft im europaumlischen Kontext fuumlr unabdingbar halten

Der Petersburger Dialog wurde aus guten Gruumlnden als deutsch-russische Gemeinschaftseinrichtung konzipiert Da ist eine ndash oft muumlhsame ndash Kompromissfindung unausweichlich Dies ist Teil des Wertes auch der Tiefe aber auch der moralischen Qualitaumlt des Dialogs Das Ringen um kompromissfaumlhige Konzepte muss unser Anliegen bleiben nicht Vorverurteilung und GespraumlchsablehnungMit freundlichem GruszligDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des Vorstands Petersburger Dialog e VQuelle Website des Petersburger Dialogs lthttpwwwpetersburger-dialogcomoffener-brief-vom-13-oktober-2014gt

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offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

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9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

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14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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Die Russland-Analysen werden von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und von Mangold Consulting GmbH unterstuumltzt

Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

Abdruck und sonstige publizistische Nutzung sind nach Ruumlcksprache mit der Redaktion gestattetVerantwortlicher Redakteur Hans-Henning Schroumlder

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

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Die einzelnen Laumlnder-Analysen werden von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und der Deutschen Gesellschaft fuumlr Osteuropakunde jeweils mit unterschiedlichen Partnern und Sponsoren herausgegeben

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                          • Umfrage
                            • Uumlber die Zivilgesellschaft in Russland
                              • Dokumentation
                                • Luumlgen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des JustizministeriumsErklaumlrung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL
                                  • Notizen aus Moskau
                                    • Petersburger Dialog
                                      • Jens Siegert Moskau
                                      • Dokumentation
                                        • Briefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo
                                          • Chronik
                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 25: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 25

grafik 23 Welche ziele verfolgen westliche laumlnder und organisationen die russische ngos mit mitteln aus-statten

Einen verstaumlrkten Einfluss auf die russische

Innenpolitik42

Einen Kampf gegen den russischen Staat

19Eine Unterstuumltzung der

russischen Zivilgesellschaft

8

Kein besonderes Ziel russische NGOs werden wie andere aus standardisierten

internationalen Programmen unterstuumltzt

12

Keine Antwort19

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 24 Duumlrfen organisationen die sich mit dem schutz der Buumlrgerrechte beschaumlftigen und den staat kriti-sieren das recht haben mittel aus dem Ausland zu beziehen

Ja20

Nein56

Keine Antwort24

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

grafik 25 Unterstuumltzen sie harte sanktionen gegen ngos die einer politischen taumltigkeit nachgehen und gelder aus dem Ausland erhalten sich aber nicht nach dem gesetz als raquoauslaumlndische Agentenlaquo registrieren

Auf jeden Fall20

Eher ja32

Eher nein15

Auf keinen Fall5

Keine Antwort28

Quelle Umfragen des Lewada-Zentrums vom 19ndash22 April 2013 N = 1601 Veroumlffentlicht am 17 Mai 2013 unter lthttpwwwle vadaruprint17-05-2013obshchestvennoe-mnenie-ob-nko-s-inostrannym-finansirovaniemgt

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luumlgen des fernsehkanals ntV und Beanstandungen des Justizministeriums erklaumlrung des menschenrechtszentrums memoriAl und der russischen gesellschaft

memoriAl

Die Behauptung bei NTV das russische Justizministerium habe die Liquidierung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL eingeleitet fuumlhrte heute zu etlichen Irritationen Das Menschenrechtszentrum und die Russische Gesell-schaft MEMORIAL (die Dachorganisation der russischen Memorial-Verbaumlnde) haben aus diesem Anlass nachste-hende Erklaumlrung abgegeben

Am 10 Oktober strahlte NTV unter dem Titel raquoAuszligergewoumlhnliches Ereignislaquo eine Sendung aus die aus boumlswil-ligen Luumlgen aber auch aus Fehlinformationen in Folge von Unkenntnis bestand

Die Arbeit des Menschenrechtszentrums MEMORIAL als Unterstuumltzung von Extremisten und Terroristen dar-zustellen ist eine infame Luumlge Auf Unkenntnis basiert hingegen die Behauptung das Justizministerium habe des-halb den Antrag gestellt das Menschenrechtszentrum MEMORIAL zu liquidieren

In Wirklichkeit hat das Justizministerium beim Obersten Gericht der Russischen Foumlderation nicht die Aufloumlsung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL beantragt Es geht hier vielmehr um eine andere Organisation naumlmlich die Russische Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIAL

Die russische Gesellschaft MEMORIAL wurde vom Justizministerium bereits 1992 registriert Bis heute befinden sich unter ihrem Dach verschiedene Memorial-Verbaumlnde die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen

Im Jahre 2012 20 Jahre nach der ersten Registrierung tauchten beim Justizministerium ploumltzlich Zweifel hin-sichtlich des russischen Rechtsstatus von Memorial auf obwohl der Gesellschaft praktisch dieselben regionalen Ver-baumlnde angehoumlren wie zuvor und sich die Gesetzeslage in dieser Frage in keinem Punkt geaumlndert hatte

Geaumlndert hat sich allerdings die Position des Justizministeriums das erneut einen raquodemokratischen Zentralismuslaquo anstrebt der nach der Abschaffung der fuumlhrenden Rolle der KPdSU nicht mehr aktuell schien Heute erklaumlrt das Jus-tizministerium nur jene gesellschaftlichen Vereinigungen koumlnnten der Russischen Gesellschaft MEMORIAL ange-houmlren die in ihrer Bezeichnung die Worte raquoVerband (otdelenie) der Russischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklauml-rung Sozialarbeit und Menschenrechte MEMORIALlaquo tragen

Die gesetzliche Vorschrift dass eine Organisation nur dann einen gesamtrussischen Status haben kann wenn sie in uumlber der Haumllfte der Foumlderationssubjekte Verbaumlnde unterhaumllt legt das Justizministerium jetzt dahingehend aus dass diese Verbaumlnde zwangslaumlufig einen Status als Regionalverbaumlnde haben muumlssten Das Vorhandensein von Stadt- und Bezirksverbaumlnden einer Organisation reicht die Beamten als Beleg dafuumlr nicht aus dass die Organisation in der betreffenden Region taumltig ist

Die Vorbehalte des Justizministeriums entbehren jeglicher Grundlage Nicht zufaumlllig erhielten wir auf Anfragen keine Hinweise auf eine Gesetzesnorm Es ist fuumlr uns inakzeptabel dass das Justizministerium das von der Verfas-sung garantierte Recht von Buumlrgern eine Vereinigung zu bilden gesetzwidrig einschraumlnken will Deshalb hat sich die Russische Gesellschaft MEMORIAL bereits 2012 entschlossen vor Gericht zu gehen

Einen Hinweis auf ein Gesetz haben wir auch nicht erhalten als wir 2013 die Forderungen des Justizministeriums im Moskauer Zamoskvorezki-Bezirksgericht und danach im Stadtgericht angefochten haben Beide Instanzen gaben wie nicht anders zu erwarten dem Justizministerium Recht Deshalb wird die Russische Gesellschaft MEMORIAL in Kuumlrze Klage beim Verfassungsgericht einreichen

Was den Antrag des Justizministeriums betrifft so hoffen wir dass das Oberste Gericht bei Behandlung dieses Antrags dem Gesetz und der Verfassung mehr Respekt entgegenbringen wird als die untergeordneten Gerichtsinstanzen

10 Oktober 2014Quelle Website von Memorial Deutschland lthttpwwwmemorialdeindexphpid=42amptx_ttnews[tt_news]=546amptx_ttnews[backPid]=3ampcHash=5bbe9b235a03fe09cba52ed5c8786b99gt

DOkUmENtAtION

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 28

NOtIzEN AUS mOSkAU

Petersburger DialogJens Siegert Moskau

Auf den ersten Blick sieht es so aus als ob ein (egal ob nun willentlich oder nicht) an die Oumlffentlich-

keit gelangter Brief einiger regelmaumlszligiger Teilnehmer des Petersburger Dialogs (PD) aus den Reihen deutscher NGOs an Bundeskanzlerin Merkel und Auszligenminis-ter Steinmeier die Verschiebung des fuumlr Ende Oktober in Sotschi geplanten groszligen Jahrestreffens verursacht haumltte In dem Brief bekraumlftigten die Autoren ihre nicht neue Kritik am PD und erklaumlrten warum sie dieses Jahr nicht teilnehmen wuumlrden Sie betonen dass die Absage kein Boykott sei und bieten ihrerseits einen Dialog zur Reform des Dialogs an Auf den zweiten Blick war der Brief selbstverstaumlndlich nur Anstoszlig aber nicht Grund fuumlr die Verschiebung Doch der Reihe nach

Die in dem Brief geaumluszligerte Kritik am PD ist wie gesagt nicht neu sie hat sie den PD von Anfang an begleitet Das liegt sicher auch an einem bis heute nicht korrigierten Geburtsfehler Ein durch Staats- und Regie-rungschefs initiierter raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo ist schon etwas verquer Das heiszligt nicht dass das nicht gehen koumlnnte Doch dazu haumltten sich die hochgestell-ten Initiatoren (der damalige russische Praumlsident und der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schrouml-der) und ihre (Interims-)Nachfolger spaumlter zuruumlckziehen muumlssen Das haben sie nicht Daran sind sie nicht (allein) Schuld Es war der PD der durch seine Lenkungsor-gane die enge zeitliche und oumlrtliche Verbindung mit den deutsch-russischen Regierungskonsultationen und die zeitweilige Anwesenheit von Praumlsident und Kanzlerin zum Grundstein seiner Wirkungsmaumlchtigkeit erklaumlrte

Auf deutscher Seite wurde versucht dieses Problem organisatorisch sozusagen oumlffentlich-rechtlich zu loumlsen indem moumlglichst alle interessierten politischen Spektren und gesellschaftlichen Gruppen am sogenannten Len-kungsausschuss beteiligt wurden Das gelang zumindest so gut dass es soweit mir bekannt bis heute keine grouml-szligeren Klagen uumlber Nichtberuumlcksichtigung oder Nicht-beteiligung gab Aber die Bundesregierung behielt weit-gehenden Einfluss nicht zuletzt uumlber den alljaumlhrlich sechsstelligen Zuschuss fuumlr die Durchfuumlhrung der Jah-restreffen Auszligerdem wurde der jeweilige Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses zwar nach Abstim-mungen mit den Beteiligten aber letztlich durch den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin bestimmt

In Russlands ist die Sache einfacher Von Anfang an wurde und wird gemacht wird was der Kreml will Schon der erste Vorsitzende des russischen Lenkungs-ausschusses Michail Gorbatschow (immerhin selbst ein ehemaliger Praumlsident) war wie er selbst einmal bekannte

nicht mehr als ein ndash schoumlne Ruumlckuumlbertragung aus dem Russischen ndash raquoSitz-Praumlsidentlaquo Der jetzige Vorsitzende Wiktor Subkow war Datschennachbar von Putin ers-ter stellvertretender Ministerpraumlsident und ist nun Auf-sichtsratsvorsitzender von Gazprom

Die Kritik dass nur eine Simulation eines raquozivilge-sellschaftlichen Dialogslaquo stattfinde wurde von einigen deutschen Teilnehmern bereits auf dem ersten Jahres-treffen des PD im April 2001 in St Petersburg geaumluszligert Es fehlten auf russischer Seite (in der seinerzeit noch ver-einigten Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo) Vertreter russischer NGOs Die Kritik kam an In Russ-land fuumlhrte sie (ohne dass ich hier jetzt ausfuumlhren kann wie) zum ersten Versuch des Kremls auch unabhaumln-gige NGOs in das korporative System der gelenkten Demokratie zu zwingen Der Versuch misslang weitge-hend und muumlndete in einer Art Waffenstillstand und der Gruumlndung eines raquoMenschenrechtsrats beim Praumlsi-dentenlaquo unter Einbeziehung von Vertretern unabhaumlngi-ger NGOs Beim PD wurde die Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo in ihre zwei Namensbestandteile geteilt und es gelang uumlber die Jahre in immer wieder unternommenen Anstrengungen auch die Teilnahme unabhaumlngiger russischer NGO-Vertreter durchzuset-zen Etwas spaumlter wurde diese Teilnahme sogar vor-sichtig institutionell abgesichert indem erst Ella Pam-filowa und spaumlter ihr Nachfolger Michail Fedotow als Vorsitzende des inzwischen zum raquoZivilgesellschaftsratlaquo umbenannten raquoMenschenrechtsratslaquo zu den russischen Koordinatoren der Arbeitsgruppe raquoZivilgesellschaftlaquo mit Einladungsrecht wurden (wobei die Einladungen selbst-verstaumlndlich mit der Praumlsidentenadministration abge-stimmt werden muumlssen) Das ist bis heute so

Die Verfasser des Briefes (zu denen ich bekenne mich auch ich gehoumlre) allesamt langjaumlhrige Teilneh-mer der Jahrestreffen des PD haben all die Jahre immer wieder auch oumlffentlich uumlber den Sinn und Unsinn ihrer Teilnahme und Unterstuumltzung diskutiert Letztendlich uumlberwogen die ganze Zeit uumlber zwei Uumlberlegungen Ers-tens ist ein Dialog auch und gerade auf offizieller Ebe-nen und mit offiziellen Vertretern des russischen Staates (wie auch mit Wissenschaftlern Unternehmern Journa-listen Priestern usw welcher politischen Couleur auch immer sie sein moumlgen) erst einmal besser als kein Dia-log Zweitens gingen wir all die Jahre davon aus dass die nicht ohne Muumlhen erreichte Teilnahme unabhaumln-giger russischen NGO-Vertreter fuumlr sie ihre Organisa-tionen aber auch die russische NGO-Szene insgesamt zumindest einen kleinen zusaumltzlichen Schutz gegen die

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 29

seit Putins Amtsantritt immer wieder uumlber das Land gehenden Repressionswellen bietet1 Was hat sich dieses Jahr geaumlndert Erst einmal nicht

so viel gegenuumlber dem Vorjahr Es war schon immer siehe oben eine schwierige Abwaumlgung ob die Teil-nahme am PD sich lohnt oder nicht vielmehr dazu beitraumlgt so zu tun als gaumlbe es in Russland die unein-geschraumlnkte und ungefaumlhrdete Moumlglichkeit sich zivilgesellschaftlich auch dort zu engagieren wo es dem Staat weh tut Zwei Ereignisse haben nun aber zumindest fuumlr die Autoren des Briefes das Pen-del zur anderen Seite ausschlagen lassen Die Kon-frontation zwischen dem Westen (ich weiszlig um die Bedingtheit des Begriffs verwende in der Kuumlrze hal-ber aber trotzdem) und Russland im Konflikt in der und um die Ukraine ist nicht einfach die Fortset-zung schon laumlnger existierender raquoMeinungsverschie-denheitenlaquo Sie ist tiefer und prinzipieller Es geht eben im Kern nicht in erster Linie um Geopolitik sondern wieder einmal um ich fuumlrchte hier weder den Pathos noch historische Analogien Freiheit und Demokratie in Europa

2 Die Repressionen gegen russische NGOs unsere prinzipiellen Partner in der Verteidigung von Demo-kratie und Freiheit haben mit dem sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo eine neue Qualitaumlt erreicht 15 NGOs sind inzwischen zwangsweise zu raquoauslaumln-dischen Agentenlaquo erklaumlrt worden anderen droht die Schlieszligung aufgrund anderer Gesetze Einige von ihnen waren sogar zum nun verschobenen Treffen in Sotschi eingeladen Sie mussten sich Gedanken machen ob eine Zusage oder eine Absage ihnen nicht schaden koumlnnte

Unter diesen Umstaumlnden halten die Verfasser des Brie-fes ihre Teilnahme am PD fuumlr nicht mehr moumlglich Sie fordern keinen Boykott wohl aber ein Nachdenken uumlber eine tiefgreifende Reform

Der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses Lothar de Maiziere hat in einem eigenen offenen Brief geantwortet und den Verfassern vorgeworfen den Dia-log verweigern und politisieren zu wollen Diese (Gegen-)Klage scheint mir angesichts der vielfaumlltigen Verbindun-gen und Dialogformen die die Organisationen hinter den Unterzeichnern des Briefes seit vielen Jahren und oft laumlnger als der PD organisieren an denen sie teil-nehmen und die sie foumlrdern nicht sonderlich stichhal-tig Doch die Auseinandersetzung geht tiefer De Mai-ziere behauptet in seinem Brief der PD mache bereits all das was die Kritiker fordern Genau das bezweifeln diese aber Die Auseinandersetzung geht also und vor allem darum was ein fruchtbarer Dialog zu leisten im Stande sein kann und leisten sollte Sie geht aber auch darum ob dieser Dialog zwischen zwei Gesellschaf-

ten stattfindet nach dem Motto hier die eine dort die andere oder ob sich die Seiten bei diesem Dialog inei-nander verschraumlnken

Die Verfasser des Briefes sind ganz offensichtlich mit ihrer Kritik nicht allein Schon bevor der Brief oumlffent-lich bekannt wurde hatten die Bundestagsabgeordne-ten Andreas Schockenhoff (CDUCSU) und Marieluise Beck (Buumlndnis 90 Die Gruumlnen) in oumlffentlichen Stel-lungnahmen Aumlhnliches gefordert und auch ihre Nicht-Teilnahme erklaumlrt Etwas spaumlter wurde bekannt dass auch der Russland-Beauftragte der Bundesregierung Gernot Erler nicht nach Sotschi fahren wollte Mehr noch Bereits seit dem Fruumlhsommer gab es Gespraumlche zwischen Kanzleramt und Auswaumlrtigem Amt mit dem Ziel den PD sowohl personell als auch strukturell zu reformieren Allerdings setze sich augenscheinlich die Sichtweise des Auswaumlrtigen Amtes durch alles vorerst beim Alten zu belassen da es auch so schon genug Pro-bleme im deutsch-russischen Verhaumlltnis gebe und man diesen Kanal nicht auch noch belasten oder gar gefaumlhr-den solle

Doch zum Herbst hat sich die Situation noch ein-mal veraumlndert Die Hoffnung die russische Fuumlhrung um Praumlsident Putin werde im Krieg in der Ostukraine ein-lenken ist selbst im Auswaumlrtigen Amt bis in die Spitze kaum noch zu finden Im Sommer bekam das russische Justizministerium zudem per erneuter Gesetzesaumlnde-rung das Recht NGOs zwangsweise zu raquoAgentenlaquo zu erklaumlren und macht seither rege Gebrauch davon Eine ganze Reihe russischer NGOs steht vor der Schlieszligung oder loumlst sich auf weil ihnen die vom Gesetz geforderte Selbstetikettierung als raquoauslaumlndische Agentenlaquo ethisch rechtlich und praktisch unmoumlglich ist

Es sieht so aus als haumltten die Verfasser des Briefes nur eine Tuumlr geoumlffnet hinter der andere darunter die Kanzlerin nur darauf gewartet haben durch sie hin-durch gehen zu koumlnnen ohne selbst der Tuumlroumlffnung geziehen zu werden

Ein wenig verwundert die erstaunlich milde russi-sche Reaktion Nach der kurzen Drohung eine Verschie-bung bedeute das Ende des PD lenkte Putin im Telefo-nat mit Merkel ein und fand tags darauf sogar oumlffentlich verstaumlndnisvolle Worte fuumlr die raquoProbleme der deutschen Seitelaquo Das duumlrfte zwei Gruumlnde haben Der eine ist dass trotz des haumlufiger gewordenen Deutschland-Bashings im russischen Staatsfernsehen (mit dem Ergebnis dass in Umfragen Deutschland aus der Kategorie raquoFreundlaquo in die Kategorie raquoFeindlaquo abgerutscht ist) Deutschland im Kreml immer noch als wichtigster raquostrategischerlaquo Part-ner im Westen und vor allem in der EU gilt Zudem ist Deutschland zweifellos ein Land dessen oumlffentliche Meinung (und damit Politik) aus russischer Sicht durch-aus beeinflussbar ist (was z B die kolportierten rund

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140 Millionen US-Dollar zum Aufbau eines deutsch-sprachigen Programms des staatlichen Auslandsfernse-hens raquoRussia Todaylaquo zeigen)

Der andere liegt in einem erneuten Strategiewech-sel (oder weniger ambitioniert Wechsel der Taktik) im Ukraine-Konflikt Die Sanktionen beiszligen inzwi-schen kraumlftig Die Rhetorik wurde daher gemildert Der Kreml ist ganz auf Frieden und dieser Ausdruck aus dem Sport sei erlaubt Ergebnissicherung bedacht (was uumlbrigens Putins grundsaumltzlicher Taktik auch im Inne-ren Russlands entspricht erst hart zuzuschlagen dann eine Schritt zuruumlck zu gehen und einen Kompromiss zu suchen nach dem es fuumlr seine Gegner nachher schlech-ter steht als vorher) Neues Ziel scheint nun also zu sein die raquoErrungenschaftenlaquo Krim (als Teil Russlands) und raquoNeurusslandlaquo (als neuen raquoFrozen Conflictlaquo) zu fixieren und trotzdem mit dem Westen wenn schon nicht gut-freund zu werden so doch zumindest erneut zu einem einigermaszligen vertraumlglichen Modus Vivendi zu gelan-gen Das Gas duumlrfte nach den Mailaumlnder Gespraumlchen

und bei allem Geknurre im Winter stroumlmen und auch im Nahen Osten stellt Moskau weniger Widerspenstig-keit in Aussicht

Was heiszligt das fuumlr die Zukunft des PD Erstmal ist sie offen Zuerst muss sich die deutsche Seite neu ord-nen (hier hat Putin sogar Recht) Nachdem sich Angela Merkel persoumlnlich um eine russische Akzeptanz fuumlr die Verschiebung von Sotschi bemuumlht hat kann ich mir allerdings nicht vorstellen dass es in einigen Wochen oder Monaten ein Zuruumlck zum status quo ante gibt Ob und wie sich ein neu aufgestellter deutscher Lenkungs-ausschuss mit einem neuen Konzept mit der russischen Seite verstaumlndigen kann laumlsst sich momentan kaum voraussagen Es ist zwar einen Versuch wert haumlngt aber wohl sehr von der dann herrschenden politischen Groszlig-wetterlage ab

Diesen und andere Texte finden Sie auf Jens Siegerts Russ-landblog lthttprusslandboellblogorggt

Lesetippbull Poumlrzgen Gemma Dringend reformbeduumlrftig Der Petersburger Dialog auf dem Pruumlfstand in Osteuropa 602010

Nr 10 S 59ndash81

DOkUmENtAtION

Briefwechsel uumlber die zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo

schreiben von nichtregierungsorganisationen und einzelpersonen an die Bundeskanzlerin und den Auszligenminister zum raquoPetersburger Dialoglaquo 2 oktober 2014 [nachtraumlglich veroumlffentlicht]

Berlin 02 Oktober 2014Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerals Personen die sich seit vielen Jahren intensiv im zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland engagieren wenden wir uns mit diesem Schreiben an Sie um zu erlaumlutern warum wir uns in diesem Jahr nicht am Petersburger Dialog beteiligen koumlnnen Zugleich moumlchten wir fuumlr eine Erneuerung des Petersburger Dialogs werben

In Reaktion auf die politische Wende in der Ukraine die durch eine breite gesellschaftliche Protestbewegung hervor-gerufen wurde hat die russische Fuumlhrung voumllkerrechtswidrig die Krim annektiert und einen unerklaumlrten Krieg neuen Typs im Osten der Ukraine begonnen Zugleich betreibt die Regierung unter Praumlsident Putin die systematische Ausschal-tung der letzten unabhaumlngigen Medien in Russland die Kriminalisierung aller Formen politischer Opposition und die Diskreditierung unabhaumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen als raquoauslaumlndische Agentenlaquo Mittlerweile wurden 12 russische Nichtregierungsorganisationen vom russischen Justizministerium zwangsweise auf die Liste raquoauslaumlndischer Agentenlaquo gesetzt und sind daher zukuumlnftig verpflichtet sich bei jeder oumlffentlichen Aumluszligerung wahrheitswidrig selbst als solche zu bezichtigen Zehn dieser Organisationen spielen in der deutschrussischen zivilgesellschaftlichen Zusammen-arbeit seit Jahren eine wichtige Rolle einige von ihnen haben mehrfach am Petersburger Dialog teilgenommen Gegen einige von ihnen sind bereits existenzbedrohende Strafgelder wegen Verstoszliges gegen das sog Agentengesetz verhaumlngt

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worden Es drohen Organisationsschlieszligungen und die Kriminalisierung der Vorstaumlnde Unter diesen inneren und aumluszlige-ren Bedingungen koumlnnen wir uns nicht an einer Neuauflage des Petersburger Dialogs in der bisherigen Form beteiligen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerder seinerzeit von Bundeskanzler Schroumlder und Praumlsident Putin initiierte Petersburger Dialog konnte die ihm zuge-

dachte Aufgabe zu einer Vertiefung und Verbreiterung der gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland beizutragen auch in den vergangenen Jahren nur sehr bedingt erfuumlllen Dies lag vor allem an der starken Naumlhe des Fuumlhrungspersonals auf der russischen Seite zum politischen Machtzentrum im Kreml die von Beginn an den Eindruck einer raquovon obenlaquo inszenierten und kontrollierten Veranstaltung naumlhrte Doch auch auf deutscher Seite wird der Petersburger Dialog bis heute von Personen dominiert die aus politischer und oumlkonomischer Opportunitaumlt dazu neigen Kritik am Kurs der russischen Fuumlhrung als Stoumlrung der raquodeutsch-russischen Freundschaftlaquo zu betrachten Zeit-weise kam es zu der paradoxen Situation dass kritische Aumluszligerungen zu Menschenrechtsverletzungen in Russland oder zum Vorgehen des Kremls gegenuumlber Georgien aus den Reihen der deutschen Delegation als raquoKalte-Kriegs-Rhetoriklaquo verteufelt wurden Nuumlchtern betrachtet waren die kritischen Stimmen aus der russischen und deutschen Zivilgesell-schaft in den letzten Jahren nur eine geduldete Minderheit die dem Petersburger Dialog den Anschein von Pluralis-mus und offener Diskussion verschaffte Ungeachtet dieser Kritik haben wir uns in der Vergangenheit am Petersburger Dialog beteiligt da wir grundsaumltzlich jedes Dialogpotenzial nutzen wollen und uns von der gemeinsamen Beteiligung mit unseren Partnern aus der russischen Zivilgesellschaft eine politische Absicherung dieser Zusammenarbeit erhofften

Diese ohnehin schwachen Hoffnungen wurden durch die Entwicklungen in diesem Jahr zerstoumlrt Vertreter unab-haumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen die auf der russischen Seite zum Petersburger Dialog eingeladen wer-den sind angesichts der politischen und juristischen Bedrohung der sie ausgesetzt sind in ihrer Entscheidung uumlber ihre Teilnahme nicht mehr frei Wenn sie der Einladung nicht folgen muumlssen sie weitere Repressalien befuumlrchten Uns denen die Freiheit der Entscheidung gegeben ist ist es nicht moumlglich durch Teilnahme am Petersburger Dialog in Sot-schi an der Aufstellung einer Potemkinschen Fassade namens raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo mitzuwirken waumlhrend die kritischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Russland als raquoAgentenlaquo diskreditiert und vielfach drangsaliert werden

Zugleich moumlchten wir unsere Bereitschaft unterstreichen an einer Reform des Petersburger Dialogs in organisa-torischer inhaltlicher und personeller Hinsicht mitzuwirken Eine solche Reform sollte darauf ausgerichtet sein uumlber die Auswahl der Formate Themen und Teilnehmer die tatsaumlchliche Lage der russischen Zivilgesellschaft in den Mit-telpunkt der Diskussion zu ruumlcken und einen offenen Dialog zu ermoumlglichen Wir sind ganz damit einverstanden dass gerade in kritischen Zeiten die Zusammenarbeit zwischen der russischen und deutschen Zivilgesellschaft gestaumlrkt wer-den muss Sofern der Petersburger Dialog in Zukunft dafuumlr ein Forum bietet werden wir uns gern daran beteiligen[Unterzeichner nicht veroumlffentlicht]Quelle Website der Boumlll-Stiftung lthttpwwwboelldede20141013reform-petersburger-dialog-ueberfaelliggt

offener Brief an den Vorsitzenden des Petersburger Dialogs lothar de maiziegravere vom 10 oktober 2014

- Offener Brief -HerrnDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des VorstandsPetersburger Dialog eVSchillerstraszlige 5910627 Berlin

Berlin 10 Oktober 2014Petersburger Dialog 2014 in SotschiSehr geehrter Herr de Maiziegravereals Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher zivilgesellschaftlicher Organisationen die seit der Gruumlndung des Petersburger Dialogs 2001 uumlber viele Jahre hinweg an dieser Veranstaltung teilgenommen haben moumlchten wir Ihnen gegenuumlber folgende Erklaumlrung abgeben

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Wir haben uns entschieden am 14 Petersburger Dialog in Sotschi nicht teilzunehmen der fuumlr den 29ndash31 Okto-ber angekuumlndigt worden ist Fuumlr diese Entscheidung die wir sorgfaumlltig diskutiert und abgewogen haben moumlchten wir drei Gruumlnde anfuumlhren1 Der Petersburger Dialog in seiner jetzigen Form steckt in einer Krise Von Jahr zu Jahr wird er seinem eigenem

Anspruch weniger gerecht Die Veranstaltung soll dem zivilgesellschaftlichen Dialog dienen Tatsaumlchlich sind Struktur Nominierungsverfahren und Programm des Petersburger Dialogs maszliggeblich von Akteuren aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert Unter diesen Voraussetzungen erfuumlllt der Petersburger Dialog leider nicht sein in seiner Satzung formuliertes Ziel ein raquooffenes Diskussionsforumlaquo zu sein das die raquoVerstaumlndigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Laumlnderlaquo foumlrdert Der Petersburger Dialog bedarf dringend einer grundlegenden Reform wie sie auch CDUCSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 eingefordert haben Gerne wuumlrden wir uns aktiv an einem Prozess zur Reformierung des Petersburger Dialogs beteiligen der auf eine pluralistische Zusam-mensetzung beider Lenkungsausschuumlsse und eine deutlich staumlrkere Ausrichtung auf unabhaumlngige zivilgesellschaft-liche Akteure zielt ohne den interdisziplinaumlren Ansatz der Veranstaltung aufzugeben

2 Die Situation in der sich Teile der Zivilgesellschaft in Russland befinden erfuumlllt uns mit groszliger Sorge Das betrifft auch Partnerorganisationen und Personen mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten Diese Organisa-tionen uumlben fuumlr Russland und daruumlber hinaus wichtige gesellschaftliche Funktionen aus Die Behinderung ihrer Arbeit durch buumlrokratische Huumlrden aber auch durch willkuumlrliche rechtliche Restriktionen und politische Diffa-mierung sind inakzeptabel Daruumlber koumlnnen wir nicht zur Tagesordnung uumlbergehen Wir wollen nicht zu Kron-zeugen fuumlr einen vorgeblich freien Austausch werden waumlhrend zugleich die kritische Zivilgesellschaft in Russland massiv und systematisch unter Druck gesetzt wird

3 In Teilen der Ukraine herrscht ein Kriegszustand fuumlr den die russische Fuumlhrung eine maszliggebliche Verantwor-tung traumlgt Wichtige Vertreter dieser Fuumlhrung spielen eine Schluumlsselrolle im Petersburger Dialog einschlieszliglich des fruumlheren Ersten Stellvertretenden Ministerpraumlsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden von Gazprom Wiktor Subkow der der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs ist Vor diesem Hin-tergrund moumlchten wir nicht durch unsere Teilnahme dazu beitragen dass eine Normalitaumlt in den deutsch-russi-schen Beziehungen simuliert wird die es derzeit wegen des Angriffs auf die politische Souveraumlnitaumlt und territo-riale Integritaumlt der Ukraine nicht geben kann

Wir waren und sind weiter sehr an einem offenen Dialog uumlber deutsch-russische Belange in einem gesamteuropaumli-schen Kontext interessiert und halten ihn fuumlr eine Bedingung guter Nachbarschaft und Kooperation Ein solcher Dia-log muss aber auch von beiden Seiten gewollt und ermoumlglicht werden Er darf zugleich nicht zum Nachteil Dritter gefuumlhrt werden Angesichts der aktuellen Lage und der bereits bekannt gewordenen Programmvorschlaumlge fuumlr Sotschi sehen wir auch diese Voraussetzung gefaumlhrdet

Dessen ungeachtet werden wir jede Moumlglichkeit nutzen unsere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Grup-pen und anderen Akteuren in Russland zu vertiefen und dieses Potential in einen bilateralen und europaumlischen Dia-log einzubringenMit freundlichen GruumlszligenRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter Politik Greenpeace eVQuelle lthttpwwwaustauschorgaktuelle-meldungennewsdetailarticle1offener-brie-1htmlno_cache=1ampcHash=0428c5bffdgt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 33

offener Brief des Vorsitzenden des Petersburger Dialogs vom 13 oktober 2014

AnRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich-Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace eVBerlin 13 Oktober 2014Ihr Schreiben vom 10 Oktober 2014Sehr geehrte Damen und HerrenIhren offenen Brief habe ich erhalten Dass Sie einen Brief aumlhnlichen Inhalts zunaumlchst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Auszligenminister verschickt haben verwundert mich Sie geben damit fuumlr die zivilgesell-schaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung die Sie fuumlr die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren

Ihre Nichtbeteiligung am Petersburger Dialog bedaure ich Denn es entspricht der Uumlberzeugung der meisten Mit-glieder des Vorstandes und des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs dass gerade angesichts zweifellos vorhan-dener Probleme fuumlr die Zivilgesellschaft die Sie teilweise benennen die offensive Auseinandersetzung zu solchen The-men gesucht werden muss Indem man sich solchen Gespraumlchen entzieht schadet man den Interessen der Betroffenen

Sie schreiben der Petersburger Dialog sei im Inneren zu reformieren da er von Vertretern aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert sei Diese Feststellung ist falsch und Sie wissen das Das auch in der Satzung des Petersbur-ger Dialogs beschriebene Konzept des Dialogs beruht auf einem breiten Gedankenaustausch aller gesellschaftlichen Kraumlfte Dazu gehoumlren die Bereiche Kultur Medien Bildung Wissenschaft und Kirchen genauso wie zahlreiche im Bereich der politischen sowie der sozialen Menschenrechte engagierte Einrichtungen die in ihrer Gesamtheit das deutsch-russische Verhaumlltnis beleben

Sie versuchen in Ihrem Brief den Petersburger Dialog auf das enge Feld einiger Vertreter der Zivilgesellschaft zu reduzieren die jenseits der korporierten Zivilgesellschaft angesiedelt sind und deren Interessenspektrum nur einen Teil des gesamten zivilgesellschaftlichen Engagements abdeckt

Ich verkenne nicht die ndash auch aber nicht nur ndash in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu Tage getretenen Probleme sowie die unterschiedlichen Folgen die sich aus einer raquogelenkten Demokratielaquo die in vielem nicht westli-chen Standards entspricht ergeben Dennoch Gemessen an weiten Bereichen der russischen Geschichte ist die Ent-wicklung seit 1991 ein Fortschritt Das daraus resultierende wenn auch im letzten Jahr stark eingetruumlbte Vertrauens-potential muss fuumlr die auf vielen Ebenen notwendigen Gespraumlchsforen genutzt und ausgebaut werden

Derartige Gespraumlche bedingen genauso Realismus wie intellektuelle Disziplin wozu auch gehoumlrt zu verstehen wie Russland die Probleme versteht Dies ndash und nicht Gespraumlchsverweigerung ndash ist die Voraussetzung um auf allen demokratischen gesellschaftlichen Ebenen ndash vom politischen Machtzentrum bis in die Randgruppen hinein ndash pro-blemorientierte Gespraumlche fuumlhren zu koumlnnen Dabei darf keine Seite fuumlr sich in Anspruch nehmen legitimere Inte-ressen zu vertreten als die andere

Das heiszligt Ein Gespraumlch raquoauf Augenhoumlhelaquo nicht von oben herab nicht moralisch belehrend aber mit klaren und ehrlichen Argumenten Dabei duumlrfen wir nicht verschweigen welche gesetzgeberischen aber auch politisch-morali-schen Standards wir fuumlr eine demokratische Gesellschaft im europaumlischen Kontext fuumlr unabdingbar halten

Der Petersburger Dialog wurde aus guten Gruumlnden als deutsch-russische Gemeinschaftseinrichtung konzipiert Da ist eine ndash oft muumlhsame ndash Kompromissfindung unausweichlich Dies ist Teil des Wertes auch der Tiefe aber auch der moralischen Qualitaumlt des Dialogs Das Ringen um kompromissfaumlhige Konzepte muss unser Anliegen bleiben nicht Vorverurteilung und GespraumlchsablehnungMit freundlichem GruszligDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des Vorstands Petersburger Dialog e VQuelle Website des Petersburger Dialogs lthttpwwwpetersburger-dialogcomoffener-brief-vom-13-oktober-2014gt

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offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

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9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

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14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

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                • Zivilgesellschaft und Staat in Russland
                  • Pavel Chikov Moskau
                  • Analyse
                    • NGOs in Russland
                      • Jens Siegert Moskau
                      • Analyse
                        • Ein Kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen Engagements zur Unterstuumltzung und Integration von Migranten in Russland
                          • Marina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin
                          • Umfrage
                            • Uumlber die Zivilgesellschaft in Russland
                              • Dokumentation
                                • Luumlgen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des JustizministeriumsErklaumlrung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL
                                  • Notizen aus Moskau
                                    • Petersburger Dialog
                                      • Jens Siegert Moskau
                                      • Dokumentation
                                        • Briefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo
                                          • Chronik
                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 26: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

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luumlgen des fernsehkanals ntV und Beanstandungen des Justizministeriums erklaumlrung des menschenrechtszentrums memoriAl und der russischen gesellschaft

memoriAl

Die Behauptung bei NTV das russische Justizministerium habe die Liquidierung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL eingeleitet fuumlhrte heute zu etlichen Irritationen Das Menschenrechtszentrum und die Russische Gesell-schaft MEMORIAL (die Dachorganisation der russischen Memorial-Verbaumlnde) haben aus diesem Anlass nachste-hende Erklaumlrung abgegeben

Am 10 Oktober strahlte NTV unter dem Titel raquoAuszligergewoumlhnliches Ereignislaquo eine Sendung aus die aus boumlswil-ligen Luumlgen aber auch aus Fehlinformationen in Folge von Unkenntnis bestand

Die Arbeit des Menschenrechtszentrums MEMORIAL als Unterstuumltzung von Extremisten und Terroristen dar-zustellen ist eine infame Luumlge Auf Unkenntnis basiert hingegen die Behauptung das Justizministerium habe des-halb den Antrag gestellt das Menschenrechtszentrum MEMORIAL zu liquidieren

In Wirklichkeit hat das Justizministerium beim Obersten Gericht der Russischen Foumlderation nicht die Aufloumlsung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL beantragt Es geht hier vielmehr um eine andere Organisation naumlmlich die Russische Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIAL

Die russische Gesellschaft MEMORIAL wurde vom Justizministerium bereits 1992 registriert Bis heute befinden sich unter ihrem Dach verschiedene Memorial-Verbaumlnde die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen

Im Jahre 2012 20 Jahre nach der ersten Registrierung tauchten beim Justizministerium ploumltzlich Zweifel hin-sichtlich des russischen Rechtsstatus von Memorial auf obwohl der Gesellschaft praktisch dieselben regionalen Ver-baumlnde angehoumlren wie zuvor und sich die Gesetzeslage in dieser Frage in keinem Punkt geaumlndert hatte

Geaumlndert hat sich allerdings die Position des Justizministeriums das erneut einen raquodemokratischen Zentralismuslaquo anstrebt der nach der Abschaffung der fuumlhrenden Rolle der KPdSU nicht mehr aktuell schien Heute erklaumlrt das Jus-tizministerium nur jene gesellschaftlichen Vereinigungen koumlnnten der Russischen Gesellschaft MEMORIAL ange-houmlren die in ihrer Bezeichnung die Worte raquoVerband (otdelenie) der Russischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklauml-rung Sozialarbeit und Menschenrechte MEMORIALlaquo tragen

Die gesetzliche Vorschrift dass eine Organisation nur dann einen gesamtrussischen Status haben kann wenn sie in uumlber der Haumllfte der Foumlderationssubjekte Verbaumlnde unterhaumllt legt das Justizministerium jetzt dahingehend aus dass diese Verbaumlnde zwangslaumlufig einen Status als Regionalverbaumlnde haben muumlssten Das Vorhandensein von Stadt- und Bezirksverbaumlnden einer Organisation reicht die Beamten als Beleg dafuumlr nicht aus dass die Organisation in der betreffenden Region taumltig ist

Die Vorbehalte des Justizministeriums entbehren jeglicher Grundlage Nicht zufaumlllig erhielten wir auf Anfragen keine Hinweise auf eine Gesetzesnorm Es ist fuumlr uns inakzeptabel dass das Justizministerium das von der Verfas-sung garantierte Recht von Buumlrgern eine Vereinigung zu bilden gesetzwidrig einschraumlnken will Deshalb hat sich die Russische Gesellschaft MEMORIAL bereits 2012 entschlossen vor Gericht zu gehen

Einen Hinweis auf ein Gesetz haben wir auch nicht erhalten als wir 2013 die Forderungen des Justizministeriums im Moskauer Zamoskvorezki-Bezirksgericht und danach im Stadtgericht angefochten haben Beide Instanzen gaben wie nicht anders zu erwarten dem Justizministerium Recht Deshalb wird die Russische Gesellschaft MEMORIAL in Kuumlrze Klage beim Verfassungsgericht einreichen

Was den Antrag des Justizministeriums betrifft so hoffen wir dass das Oberste Gericht bei Behandlung dieses Antrags dem Gesetz und der Verfassung mehr Respekt entgegenbringen wird als die untergeordneten Gerichtsinstanzen

10 Oktober 2014Quelle Website von Memorial Deutschland lthttpwwwmemorialdeindexphpid=42amptx_ttnews[tt_news]=546amptx_ttnews[backPid]=3ampcHash=5bbe9b235a03fe09cba52ed5c8786b99gt

DOkUmENtAtION

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NOtIzEN AUS mOSkAU

Petersburger DialogJens Siegert Moskau

Auf den ersten Blick sieht es so aus als ob ein (egal ob nun willentlich oder nicht) an die Oumlffentlich-

keit gelangter Brief einiger regelmaumlszligiger Teilnehmer des Petersburger Dialogs (PD) aus den Reihen deutscher NGOs an Bundeskanzlerin Merkel und Auszligenminis-ter Steinmeier die Verschiebung des fuumlr Ende Oktober in Sotschi geplanten groszligen Jahrestreffens verursacht haumltte In dem Brief bekraumlftigten die Autoren ihre nicht neue Kritik am PD und erklaumlrten warum sie dieses Jahr nicht teilnehmen wuumlrden Sie betonen dass die Absage kein Boykott sei und bieten ihrerseits einen Dialog zur Reform des Dialogs an Auf den zweiten Blick war der Brief selbstverstaumlndlich nur Anstoszlig aber nicht Grund fuumlr die Verschiebung Doch der Reihe nach

Die in dem Brief geaumluszligerte Kritik am PD ist wie gesagt nicht neu sie hat sie den PD von Anfang an begleitet Das liegt sicher auch an einem bis heute nicht korrigierten Geburtsfehler Ein durch Staats- und Regie-rungschefs initiierter raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo ist schon etwas verquer Das heiszligt nicht dass das nicht gehen koumlnnte Doch dazu haumltten sich die hochgestell-ten Initiatoren (der damalige russische Praumlsident und der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schrouml-der) und ihre (Interims-)Nachfolger spaumlter zuruumlckziehen muumlssen Das haben sie nicht Daran sind sie nicht (allein) Schuld Es war der PD der durch seine Lenkungsor-gane die enge zeitliche und oumlrtliche Verbindung mit den deutsch-russischen Regierungskonsultationen und die zeitweilige Anwesenheit von Praumlsident und Kanzlerin zum Grundstein seiner Wirkungsmaumlchtigkeit erklaumlrte

Auf deutscher Seite wurde versucht dieses Problem organisatorisch sozusagen oumlffentlich-rechtlich zu loumlsen indem moumlglichst alle interessierten politischen Spektren und gesellschaftlichen Gruppen am sogenannten Len-kungsausschuss beteiligt wurden Das gelang zumindest so gut dass es soweit mir bekannt bis heute keine grouml-szligeren Klagen uumlber Nichtberuumlcksichtigung oder Nicht-beteiligung gab Aber die Bundesregierung behielt weit-gehenden Einfluss nicht zuletzt uumlber den alljaumlhrlich sechsstelligen Zuschuss fuumlr die Durchfuumlhrung der Jah-restreffen Auszligerdem wurde der jeweilige Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses zwar nach Abstim-mungen mit den Beteiligten aber letztlich durch den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin bestimmt

In Russlands ist die Sache einfacher Von Anfang an wurde und wird gemacht wird was der Kreml will Schon der erste Vorsitzende des russischen Lenkungs-ausschusses Michail Gorbatschow (immerhin selbst ein ehemaliger Praumlsident) war wie er selbst einmal bekannte

nicht mehr als ein ndash schoumlne Ruumlckuumlbertragung aus dem Russischen ndash raquoSitz-Praumlsidentlaquo Der jetzige Vorsitzende Wiktor Subkow war Datschennachbar von Putin ers-ter stellvertretender Ministerpraumlsident und ist nun Auf-sichtsratsvorsitzender von Gazprom

Die Kritik dass nur eine Simulation eines raquozivilge-sellschaftlichen Dialogslaquo stattfinde wurde von einigen deutschen Teilnehmern bereits auf dem ersten Jahres-treffen des PD im April 2001 in St Petersburg geaumluszligert Es fehlten auf russischer Seite (in der seinerzeit noch ver-einigten Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo) Vertreter russischer NGOs Die Kritik kam an In Russ-land fuumlhrte sie (ohne dass ich hier jetzt ausfuumlhren kann wie) zum ersten Versuch des Kremls auch unabhaumln-gige NGOs in das korporative System der gelenkten Demokratie zu zwingen Der Versuch misslang weitge-hend und muumlndete in einer Art Waffenstillstand und der Gruumlndung eines raquoMenschenrechtsrats beim Praumlsi-dentenlaquo unter Einbeziehung von Vertretern unabhaumlngi-ger NGOs Beim PD wurde die Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo in ihre zwei Namensbestandteile geteilt und es gelang uumlber die Jahre in immer wieder unternommenen Anstrengungen auch die Teilnahme unabhaumlngiger russischer NGO-Vertreter durchzuset-zen Etwas spaumlter wurde diese Teilnahme sogar vor-sichtig institutionell abgesichert indem erst Ella Pam-filowa und spaumlter ihr Nachfolger Michail Fedotow als Vorsitzende des inzwischen zum raquoZivilgesellschaftsratlaquo umbenannten raquoMenschenrechtsratslaquo zu den russischen Koordinatoren der Arbeitsgruppe raquoZivilgesellschaftlaquo mit Einladungsrecht wurden (wobei die Einladungen selbst-verstaumlndlich mit der Praumlsidentenadministration abge-stimmt werden muumlssen) Das ist bis heute so

Die Verfasser des Briefes (zu denen ich bekenne mich auch ich gehoumlre) allesamt langjaumlhrige Teilneh-mer der Jahrestreffen des PD haben all die Jahre immer wieder auch oumlffentlich uumlber den Sinn und Unsinn ihrer Teilnahme und Unterstuumltzung diskutiert Letztendlich uumlberwogen die ganze Zeit uumlber zwei Uumlberlegungen Ers-tens ist ein Dialog auch und gerade auf offizieller Ebe-nen und mit offiziellen Vertretern des russischen Staates (wie auch mit Wissenschaftlern Unternehmern Journa-listen Priestern usw welcher politischen Couleur auch immer sie sein moumlgen) erst einmal besser als kein Dia-log Zweitens gingen wir all die Jahre davon aus dass die nicht ohne Muumlhen erreichte Teilnahme unabhaumln-giger russischen NGO-Vertreter fuumlr sie ihre Organisa-tionen aber auch die russische NGO-Szene insgesamt zumindest einen kleinen zusaumltzlichen Schutz gegen die

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seit Putins Amtsantritt immer wieder uumlber das Land gehenden Repressionswellen bietet1 Was hat sich dieses Jahr geaumlndert Erst einmal nicht

so viel gegenuumlber dem Vorjahr Es war schon immer siehe oben eine schwierige Abwaumlgung ob die Teil-nahme am PD sich lohnt oder nicht vielmehr dazu beitraumlgt so zu tun als gaumlbe es in Russland die unein-geschraumlnkte und ungefaumlhrdete Moumlglichkeit sich zivilgesellschaftlich auch dort zu engagieren wo es dem Staat weh tut Zwei Ereignisse haben nun aber zumindest fuumlr die Autoren des Briefes das Pen-del zur anderen Seite ausschlagen lassen Die Kon-frontation zwischen dem Westen (ich weiszlig um die Bedingtheit des Begriffs verwende in der Kuumlrze hal-ber aber trotzdem) und Russland im Konflikt in der und um die Ukraine ist nicht einfach die Fortset-zung schon laumlnger existierender raquoMeinungsverschie-denheitenlaquo Sie ist tiefer und prinzipieller Es geht eben im Kern nicht in erster Linie um Geopolitik sondern wieder einmal um ich fuumlrchte hier weder den Pathos noch historische Analogien Freiheit und Demokratie in Europa

2 Die Repressionen gegen russische NGOs unsere prinzipiellen Partner in der Verteidigung von Demo-kratie und Freiheit haben mit dem sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo eine neue Qualitaumlt erreicht 15 NGOs sind inzwischen zwangsweise zu raquoauslaumln-dischen Agentenlaquo erklaumlrt worden anderen droht die Schlieszligung aufgrund anderer Gesetze Einige von ihnen waren sogar zum nun verschobenen Treffen in Sotschi eingeladen Sie mussten sich Gedanken machen ob eine Zusage oder eine Absage ihnen nicht schaden koumlnnte

Unter diesen Umstaumlnden halten die Verfasser des Brie-fes ihre Teilnahme am PD fuumlr nicht mehr moumlglich Sie fordern keinen Boykott wohl aber ein Nachdenken uumlber eine tiefgreifende Reform

Der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses Lothar de Maiziere hat in einem eigenen offenen Brief geantwortet und den Verfassern vorgeworfen den Dia-log verweigern und politisieren zu wollen Diese (Gegen-)Klage scheint mir angesichts der vielfaumlltigen Verbindun-gen und Dialogformen die die Organisationen hinter den Unterzeichnern des Briefes seit vielen Jahren und oft laumlnger als der PD organisieren an denen sie teil-nehmen und die sie foumlrdern nicht sonderlich stichhal-tig Doch die Auseinandersetzung geht tiefer De Mai-ziere behauptet in seinem Brief der PD mache bereits all das was die Kritiker fordern Genau das bezweifeln diese aber Die Auseinandersetzung geht also und vor allem darum was ein fruchtbarer Dialog zu leisten im Stande sein kann und leisten sollte Sie geht aber auch darum ob dieser Dialog zwischen zwei Gesellschaf-

ten stattfindet nach dem Motto hier die eine dort die andere oder ob sich die Seiten bei diesem Dialog inei-nander verschraumlnken

Die Verfasser des Briefes sind ganz offensichtlich mit ihrer Kritik nicht allein Schon bevor der Brief oumlffent-lich bekannt wurde hatten die Bundestagsabgeordne-ten Andreas Schockenhoff (CDUCSU) und Marieluise Beck (Buumlndnis 90 Die Gruumlnen) in oumlffentlichen Stel-lungnahmen Aumlhnliches gefordert und auch ihre Nicht-Teilnahme erklaumlrt Etwas spaumlter wurde bekannt dass auch der Russland-Beauftragte der Bundesregierung Gernot Erler nicht nach Sotschi fahren wollte Mehr noch Bereits seit dem Fruumlhsommer gab es Gespraumlche zwischen Kanzleramt und Auswaumlrtigem Amt mit dem Ziel den PD sowohl personell als auch strukturell zu reformieren Allerdings setze sich augenscheinlich die Sichtweise des Auswaumlrtigen Amtes durch alles vorerst beim Alten zu belassen da es auch so schon genug Pro-bleme im deutsch-russischen Verhaumlltnis gebe und man diesen Kanal nicht auch noch belasten oder gar gefaumlhr-den solle

Doch zum Herbst hat sich die Situation noch ein-mal veraumlndert Die Hoffnung die russische Fuumlhrung um Praumlsident Putin werde im Krieg in der Ostukraine ein-lenken ist selbst im Auswaumlrtigen Amt bis in die Spitze kaum noch zu finden Im Sommer bekam das russische Justizministerium zudem per erneuter Gesetzesaumlnde-rung das Recht NGOs zwangsweise zu raquoAgentenlaquo zu erklaumlren und macht seither rege Gebrauch davon Eine ganze Reihe russischer NGOs steht vor der Schlieszligung oder loumlst sich auf weil ihnen die vom Gesetz geforderte Selbstetikettierung als raquoauslaumlndische Agentenlaquo ethisch rechtlich und praktisch unmoumlglich ist

Es sieht so aus als haumltten die Verfasser des Briefes nur eine Tuumlr geoumlffnet hinter der andere darunter die Kanzlerin nur darauf gewartet haben durch sie hin-durch gehen zu koumlnnen ohne selbst der Tuumlroumlffnung geziehen zu werden

Ein wenig verwundert die erstaunlich milde russi-sche Reaktion Nach der kurzen Drohung eine Verschie-bung bedeute das Ende des PD lenkte Putin im Telefo-nat mit Merkel ein und fand tags darauf sogar oumlffentlich verstaumlndnisvolle Worte fuumlr die raquoProbleme der deutschen Seitelaquo Das duumlrfte zwei Gruumlnde haben Der eine ist dass trotz des haumlufiger gewordenen Deutschland-Bashings im russischen Staatsfernsehen (mit dem Ergebnis dass in Umfragen Deutschland aus der Kategorie raquoFreundlaquo in die Kategorie raquoFeindlaquo abgerutscht ist) Deutschland im Kreml immer noch als wichtigster raquostrategischerlaquo Part-ner im Westen und vor allem in der EU gilt Zudem ist Deutschland zweifellos ein Land dessen oumlffentliche Meinung (und damit Politik) aus russischer Sicht durch-aus beeinflussbar ist (was z B die kolportierten rund

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140 Millionen US-Dollar zum Aufbau eines deutsch-sprachigen Programms des staatlichen Auslandsfernse-hens raquoRussia Todaylaquo zeigen)

Der andere liegt in einem erneuten Strategiewech-sel (oder weniger ambitioniert Wechsel der Taktik) im Ukraine-Konflikt Die Sanktionen beiszligen inzwi-schen kraumlftig Die Rhetorik wurde daher gemildert Der Kreml ist ganz auf Frieden und dieser Ausdruck aus dem Sport sei erlaubt Ergebnissicherung bedacht (was uumlbrigens Putins grundsaumltzlicher Taktik auch im Inne-ren Russlands entspricht erst hart zuzuschlagen dann eine Schritt zuruumlck zu gehen und einen Kompromiss zu suchen nach dem es fuumlr seine Gegner nachher schlech-ter steht als vorher) Neues Ziel scheint nun also zu sein die raquoErrungenschaftenlaquo Krim (als Teil Russlands) und raquoNeurusslandlaquo (als neuen raquoFrozen Conflictlaquo) zu fixieren und trotzdem mit dem Westen wenn schon nicht gut-freund zu werden so doch zumindest erneut zu einem einigermaszligen vertraumlglichen Modus Vivendi zu gelan-gen Das Gas duumlrfte nach den Mailaumlnder Gespraumlchen

und bei allem Geknurre im Winter stroumlmen und auch im Nahen Osten stellt Moskau weniger Widerspenstig-keit in Aussicht

Was heiszligt das fuumlr die Zukunft des PD Erstmal ist sie offen Zuerst muss sich die deutsche Seite neu ord-nen (hier hat Putin sogar Recht) Nachdem sich Angela Merkel persoumlnlich um eine russische Akzeptanz fuumlr die Verschiebung von Sotschi bemuumlht hat kann ich mir allerdings nicht vorstellen dass es in einigen Wochen oder Monaten ein Zuruumlck zum status quo ante gibt Ob und wie sich ein neu aufgestellter deutscher Lenkungs-ausschuss mit einem neuen Konzept mit der russischen Seite verstaumlndigen kann laumlsst sich momentan kaum voraussagen Es ist zwar einen Versuch wert haumlngt aber wohl sehr von der dann herrschenden politischen Groszlig-wetterlage ab

Diesen und andere Texte finden Sie auf Jens Siegerts Russ-landblog lthttprusslandboellblogorggt

Lesetippbull Poumlrzgen Gemma Dringend reformbeduumlrftig Der Petersburger Dialog auf dem Pruumlfstand in Osteuropa 602010

Nr 10 S 59ndash81

DOkUmENtAtION

Briefwechsel uumlber die zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo

schreiben von nichtregierungsorganisationen und einzelpersonen an die Bundeskanzlerin und den Auszligenminister zum raquoPetersburger Dialoglaquo 2 oktober 2014 [nachtraumlglich veroumlffentlicht]

Berlin 02 Oktober 2014Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerals Personen die sich seit vielen Jahren intensiv im zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland engagieren wenden wir uns mit diesem Schreiben an Sie um zu erlaumlutern warum wir uns in diesem Jahr nicht am Petersburger Dialog beteiligen koumlnnen Zugleich moumlchten wir fuumlr eine Erneuerung des Petersburger Dialogs werben

In Reaktion auf die politische Wende in der Ukraine die durch eine breite gesellschaftliche Protestbewegung hervor-gerufen wurde hat die russische Fuumlhrung voumllkerrechtswidrig die Krim annektiert und einen unerklaumlrten Krieg neuen Typs im Osten der Ukraine begonnen Zugleich betreibt die Regierung unter Praumlsident Putin die systematische Ausschal-tung der letzten unabhaumlngigen Medien in Russland die Kriminalisierung aller Formen politischer Opposition und die Diskreditierung unabhaumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen als raquoauslaumlndische Agentenlaquo Mittlerweile wurden 12 russische Nichtregierungsorganisationen vom russischen Justizministerium zwangsweise auf die Liste raquoauslaumlndischer Agentenlaquo gesetzt und sind daher zukuumlnftig verpflichtet sich bei jeder oumlffentlichen Aumluszligerung wahrheitswidrig selbst als solche zu bezichtigen Zehn dieser Organisationen spielen in der deutschrussischen zivilgesellschaftlichen Zusammen-arbeit seit Jahren eine wichtige Rolle einige von ihnen haben mehrfach am Petersburger Dialog teilgenommen Gegen einige von ihnen sind bereits existenzbedrohende Strafgelder wegen Verstoszliges gegen das sog Agentengesetz verhaumlngt

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worden Es drohen Organisationsschlieszligungen und die Kriminalisierung der Vorstaumlnde Unter diesen inneren und aumluszlige-ren Bedingungen koumlnnen wir uns nicht an einer Neuauflage des Petersburger Dialogs in der bisherigen Form beteiligen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerder seinerzeit von Bundeskanzler Schroumlder und Praumlsident Putin initiierte Petersburger Dialog konnte die ihm zuge-

dachte Aufgabe zu einer Vertiefung und Verbreiterung der gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland beizutragen auch in den vergangenen Jahren nur sehr bedingt erfuumlllen Dies lag vor allem an der starken Naumlhe des Fuumlhrungspersonals auf der russischen Seite zum politischen Machtzentrum im Kreml die von Beginn an den Eindruck einer raquovon obenlaquo inszenierten und kontrollierten Veranstaltung naumlhrte Doch auch auf deutscher Seite wird der Petersburger Dialog bis heute von Personen dominiert die aus politischer und oumlkonomischer Opportunitaumlt dazu neigen Kritik am Kurs der russischen Fuumlhrung als Stoumlrung der raquodeutsch-russischen Freundschaftlaquo zu betrachten Zeit-weise kam es zu der paradoxen Situation dass kritische Aumluszligerungen zu Menschenrechtsverletzungen in Russland oder zum Vorgehen des Kremls gegenuumlber Georgien aus den Reihen der deutschen Delegation als raquoKalte-Kriegs-Rhetoriklaquo verteufelt wurden Nuumlchtern betrachtet waren die kritischen Stimmen aus der russischen und deutschen Zivilgesell-schaft in den letzten Jahren nur eine geduldete Minderheit die dem Petersburger Dialog den Anschein von Pluralis-mus und offener Diskussion verschaffte Ungeachtet dieser Kritik haben wir uns in der Vergangenheit am Petersburger Dialog beteiligt da wir grundsaumltzlich jedes Dialogpotenzial nutzen wollen und uns von der gemeinsamen Beteiligung mit unseren Partnern aus der russischen Zivilgesellschaft eine politische Absicherung dieser Zusammenarbeit erhofften

Diese ohnehin schwachen Hoffnungen wurden durch die Entwicklungen in diesem Jahr zerstoumlrt Vertreter unab-haumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen die auf der russischen Seite zum Petersburger Dialog eingeladen wer-den sind angesichts der politischen und juristischen Bedrohung der sie ausgesetzt sind in ihrer Entscheidung uumlber ihre Teilnahme nicht mehr frei Wenn sie der Einladung nicht folgen muumlssen sie weitere Repressalien befuumlrchten Uns denen die Freiheit der Entscheidung gegeben ist ist es nicht moumlglich durch Teilnahme am Petersburger Dialog in Sot-schi an der Aufstellung einer Potemkinschen Fassade namens raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo mitzuwirken waumlhrend die kritischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Russland als raquoAgentenlaquo diskreditiert und vielfach drangsaliert werden

Zugleich moumlchten wir unsere Bereitschaft unterstreichen an einer Reform des Petersburger Dialogs in organisa-torischer inhaltlicher und personeller Hinsicht mitzuwirken Eine solche Reform sollte darauf ausgerichtet sein uumlber die Auswahl der Formate Themen und Teilnehmer die tatsaumlchliche Lage der russischen Zivilgesellschaft in den Mit-telpunkt der Diskussion zu ruumlcken und einen offenen Dialog zu ermoumlglichen Wir sind ganz damit einverstanden dass gerade in kritischen Zeiten die Zusammenarbeit zwischen der russischen und deutschen Zivilgesellschaft gestaumlrkt wer-den muss Sofern der Petersburger Dialog in Zukunft dafuumlr ein Forum bietet werden wir uns gern daran beteiligen[Unterzeichner nicht veroumlffentlicht]Quelle Website der Boumlll-Stiftung lthttpwwwboelldede20141013reform-petersburger-dialog-ueberfaelliggt

offener Brief an den Vorsitzenden des Petersburger Dialogs lothar de maiziegravere vom 10 oktober 2014

- Offener Brief -HerrnDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des VorstandsPetersburger Dialog eVSchillerstraszlige 5910627 Berlin

Berlin 10 Oktober 2014Petersburger Dialog 2014 in SotschiSehr geehrter Herr de Maiziegravereals Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher zivilgesellschaftlicher Organisationen die seit der Gruumlndung des Petersburger Dialogs 2001 uumlber viele Jahre hinweg an dieser Veranstaltung teilgenommen haben moumlchten wir Ihnen gegenuumlber folgende Erklaumlrung abgeben

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Wir haben uns entschieden am 14 Petersburger Dialog in Sotschi nicht teilzunehmen der fuumlr den 29ndash31 Okto-ber angekuumlndigt worden ist Fuumlr diese Entscheidung die wir sorgfaumlltig diskutiert und abgewogen haben moumlchten wir drei Gruumlnde anfuumlhren1 Der Petersburger Dialog in seiner jetzigen Form steckt in einer Krise Von Jahr zu Jahr wird er seinem eigenem

Anspruch weniger gerecht Die Veranstaltung soll dem zivilgesellschaftlichen Dialog dienen Tatsaumlchlich sind Struktur Nominierungsverfahren und Programm des Petersburger Dialogs maszliggeblich von Akteuren aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert Unter diesen Voraussetzungen erfuumlllt der Petersburger Dialog leider nicht sein in seiner Satzung formuliertes Ziel ein raquooffenes Diskussionsforumlaquo zu sein das die raquoVerstaumlndigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Laumlnderlaquo foumlrdert Der Petersburger Dialog bedarf dringend einer grundlegenden Reform wie sie auch CDUCSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 eingefordert haben Gerne wuumlrden wir uns aktiv an einem Prozess zur Reformierung des Petersburger Dialogs beteiligen der auf eine pluralistische Zusam-mensetzung beider Lenkungsausschuumlsse und eine deutlich staumlrkere Ausrichtung auf unabhaumlngige zivilgesellschaft-liche Akteure zielt ohne den interdisziplinaumlren Ansatz der Veranstaltung aufzugeben

2 Die Situation in der sich Teile der Zivilgesellschaft in Russland befinden erfuumlllt uns mit groszliger Sorge Das betrifft auch Partnerorganisationen und Personen mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten Diese Organisa-tionen uumlben fuumlr Russland und daruumlber hinaus wichtige gesellschaftliche Funktionen aus Die Behinderung ihrer Arbeit durch buumlrokratische Huumlrden aber auch durch willkuumlrliche rechtliche Restriktionen und politische Diffa-mierung sind inakzeptabel Daruumlber koumlnnen wir nicht zur Tagesordnung uumlbergehen Wir wollen nicht zu Kron-zeugen fuumlr einen vorgeblich freien Austausch werden waumlhrend zugleich die kritische Zivilgesellschaft in Russland massiv und systematisch unter Druck gesetzt wird

3 In Teilen der Ukraine herrscht ein Kriegszustand fuumlr den die russische Fuumlhrung eine maszliggebliche Verantwor-tung traumlgt Wichtige Vertreter dieser Fuumlhrung spielen eine Schluumlsselrolle im Petersburger Dialog einschlieszliglich des fruumlheren Ersten Stellvertretenden Ministerpraumlsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden von Gazprom Wiktor Subkow der der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs ist Vor diesem Hin-tergrund moumlchten wir nicht durch unsere Teilnahme dazu beitragen dass eine Normalitaumlt in den deutsch-russi-schen Beziehungen simuliert wird die es derzeit wegen des Angriffs auf die politische Souveraumlnitaumlt und territo-riale Integritaumlt der Ukraine nicht geben kann

Wir waren und sind weiter sehr an einem offenen Dialog uumlber deutsch-russische Belange in einem gesamteuropaumli-schen Kontext interessiert und halten ihn fuumlr eine Bedingung guter Nachbarschaft und Kooperation Ein solcher Dia-log muss aber auch von beiden Seiten gewollt und ermoumlglicht werden Er darf zugleich nicht zum Nachteil Dritter gefuumlhrt werden Angesichts der aktuellen Lage und der bereits bekannt gewordenen Programmvorschlaumlge fuumlr Sotschi sehen wir auch diese Voraussetzung gefaumlhrdet

Dessen ungeachtet werden wir jede Moumlglichkeit nutzen unsere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Grup-pen und anderen Akteuren in Russland zu vertiefen und dieses Potential in einen bilateralen und europaumlischen Dia-log einzubringenMit freundlichen GruumlszligenRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter Politik Greenpeace eVQuelle lthttpwwwaustauschorgaktuelle-meldungennewsdetailarticle1offener-brie-1htmlno_cache=1ampcHash=0428c5bffdgt

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offener Brief des Vorsitzenden des Petersburger Dialogs vom 13 oktober 2014

AnRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich-Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace eVBerlin 13 Oktober 2014Ihr Schreiben vom 10 Oktober 2014Sehr geehrte Damen und HerrenIhren offenen Brief habe ich erhalten Dass Sie einen Brief aumlhnlichen Inhalts zunaumlchst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Auszligenminister verschickt haben verwundert mich Sie geben damit fuumlr die zivilgesell-schaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung die Sie fuumlr die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren

Ihre Nichtbeteiligung am Petersburger Dialog bedaure ich Denn es entspricht der Uumlberzeugung der meisten Mit-glieder des Vorstandes und des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs dass gerade angesichts zweifellos vorhan-dener Probleme fuumlr die Zivilgesellschaft die Sie teilweise benennen die offensive Auseinandersetzung zu solchen The-men gesucht werden muss Indem man sich solchen Gespraumlchen entzieht schadet man den Interessen der Betroffenen

Sie schreiben der Petersburger Dialog sei im Inneren zu reformieren da er von Vertretern aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert sei Diese Feststellung ist falsch und Sie wissen das Das auch in der Satzung des Petersbur-ger Dialogs beschriebene Konzept des Dialogs beruht auf einem breiten Gedankenaustausch aller gesellschaftlichen Kraumlfte Dazu gehoumlren die Bereiche Kultur Medien Bildung Wissenschaft und Kirchen genauso wie zahlreiche im Bereich der politischen sowie der sozialen Menschenrechte engagierte Einrichtungen die in ihrer Gesamtheit das deutsch-russische Verhaumlltnis beleben

Sie versuchen in Ihrem Brief den Petersburger Dialog auf das enge Feld einiger Vertreter der Zivilgesellschaft zu reduzieren die jenseits der korporierten Zivilgesellschaft angesiedelt sind und deren Interessenspektrum nur einen Teil des gesamten zivilgesellschaftlichen Engagements abdeckt

Ich verkenne nicht die ndash auch aber nicht nur ndash in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu Tage getretenen Probleme sowie die unterschiedlichen Folgen die sich aus einer raquogelenkten Demokratielaquo die in vielem nicht westli-chen Standards entspricht ergeben Dennoch Gemessen an weiten Bereichen der russischen Geschichte ist die Ent-wicklung seit 1991 ein Fortschritt Das daraus resultierende wenn auch im letzten Jahr stark eingetruumlbte Vertrauens-potential muss fuumlr die auf vielen Ebenen notwendigen Gespraumlchsforen genutzt und ausgebaut werden

Derartige Gespraumlche bedingen genauso Realismus wie intellektuelle Disziplin wozu auch gehoumlrt zu verstehen wie Russland die Probleme versteht Dies ndash und nicht Gespraumlchsverweigerung ndash ist die Voraussetzung um auf allen demokratischen gesellschaftlichen Ebenen ndash vom politischen Machtzentrum bis in die Randgruppen hinein ndash pro-blemorientierte Gespraumlche fuumlhren zu koumlnnen Dabei darf keine Seite fuumlr sich in Anspruch nehmen legitimere Inte-ressen zu vertreten als die andere

Das heiszligt Ein Gespraumlch raquoauf Augenhoumlhelaquo nicht von oben herab nicht moralisch belehrend aber mit klaren und ehrlichen Argumenten Dabei duumlrfen wir nicht verschweigen welche gesetzgeberischen aber auch politisch-morali-schen Standards wir fuumlr eine demokratische Gesellschaft im europaumlischen Kontext fuumlr unabdingbar halten

Der Petersburger Dialog wurde aus guten Gruumlnden als deutsch-russische Gemeinschaftseinrichtung konzipiert Da ist eine ndash oft muumlhsame ndash Kompromissfindung unausweichlich Dies ist Teil des Wertes auch der Tiefe aber auch der moralischen Qualitaumlt des Dialogs Das Ringen um kompromissfaumlhige Konzepte muss unser Anliegen bleiben nicht Vorverurteilung und GespraumlchsablehnungMit freundlichem GruszligDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des Vorstands Petersburger Dialog e VQuelle Website des Petersburger Dialogs lthttpwwwpetersburger-dialogcomoffener-brief-vom-13-oktober-2014gt

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offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

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9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

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14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

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                                  • Notizen aus Moskau
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                                      • Dokumentation
                                        • Briefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo
                                          • Chronik
                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 27: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 27

luumlgen des fernsehkanals ntV und Beanstandungen des Justizministeriums erklaumlrung des menschenrechtszentrums memoriAl und der russischen gesellschaft

memoriAl

Die Behauptung bei NTV das russische Justizministerium habe die Liquidierung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL eingeleitet fuumlhrte heute zu etlichen Irritationen Das Menschenrechtszentrum und die Russische Gesell-schaft MEMORIAL (die Dachorganisation der russischen Memorial-Verbaumlnde) haben aus diesem Anlass nachste-hende Erklaumlrung abgegeben

Am 10 Oktober strahlte NTV unter dem Titel raquoAuszligergewoumlhnliches Ereignislaquo eine Sendung aus die aus boumlswil-ligen Luumlgen aber auch aus Fehlinformationen in Folge von Unkenntnis bestand

Die Arbeit des Menschenrechtszentrums MEMORIAL als Unterstuumltzung von Extremisten und Terroristen dar-zustellen ist eine infame Luumlge Auf Unkenntnis basiert hingegen die Behauptung das Justizministerium habe des-halb den Antrag gestellt das Menschenrechtszentrum MEMORIAL zu liquidieren

In Wirklichkeit hat das Justizministerium beim Obersten Gericht der Russischen Foumlderation nicht die Aufloumlsung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL beantragt Es geht hier vielmehr um eine andere Organisation naumlmlich die Russische Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIAL

Die russische Gesellschaft MEMORIAL wurde vom Justizministerium bereits 1992 registriert Bis heute befinden sich unter ihrem Dach verschiedene Memorial-Verbaumlnde die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen

Im Jahre 2012 20 Jahre nach der ersten Registrierung tauchten beim Justizministerium ploumltzlich Zweifel hin-sichtlich des russischen Rechtsstatus von Memorial auf obwohl der Gesellschaft praktisch dieselben regionalen Ver-baumlnde angehoumlren wie zuvor und sich die Gesetzeslage in dieser Frage in keinem Punkt geaumlndert hatte

Geaumlndert hat sich allerdings die Position des Justizministeriums das erneut einen raquodemokratischen Zentralismuslaquo anstrebt der nach der Abschaffung der fuumlhrenden Rolle der KPdSU nicht mehr aktuell schien Heute erklaumlrt das Jus-tizministerium nur jene gesellschaftlichen Vereinigungen koumlnnten der Russischen Gesellschaft MEMORIAL ange-houmlren die in ihrer Bezeichnung die Worte raquoVerband (otdelenie) der Russischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklauml-rung Sozialarbeit und Menschenrechte MEMORIALlaquo tragen

Die gesetzliche Vorschrift dass eine Organisation nur dann einen gesamtrussischen Status haben kann wenn sie in uumlber der Haumllfte der Foumlderationssubjekte Verbaumlnde unterhaumllt legt das Justizministerium jetzt dahingehend aus dass diese Verbaumlnde zwangslaumlufig einen Status als Regionalverbaumlnde haben muumlssten Das Vorhandensein von Stadt- und Bezirksverbaumlnden einer Organisation reicht die Beamten als Beleg dafuumlr nicht aus dass die Organisation in der betreffenden Region taumltig ist

Die Vorbehalte des Justizministeriums entbehren jeglicher Grundlage Nicht zufaumlllig erhielten wir auf Anfragen keine Hinweise auf eine Gesetzesnorm Es ist fuumlr uns inakzeptabel dass das Justizministerium das von der Verfas-sung garantierte Recht von Buumlrgern eine Vereinigung zu bilden gesetzwidrig einschraumlnken will Deshalb hat sich die Russische Gesellschaft MEMORIAL bereits 2012 entschlossen vor Gericht zu gehen

Einen Hinweis auf ein Gesetz haben wir auch nicht erhalten als wir 2013 die Forderungen des Justizministeriums im Moskauer Zamoskvorezki-Bezirksgericht und danach im Stadtgericht angefochten haben Beide Instanzen gaben wie nicht anders zu erwarten dem Justizministerium Recht Deshalb wird die Russische Gesellschaft MEMORIAL in Kuumlrze Klage beim Verfassungsgericht einreichen

Was den Antrag des Justizministeriums betrifft so hoffen wir dass das Oberste Gericht bei Behandlung dieses Antrags dem Gesetz und der Verfassung mehr Respekt entgegenbringen wird als die untergeordneten Gerichtsinstanzen

10 Oktober 2014Quelle Website von Memorial Deutschland lthttpwwwmemorialdeindexphpid=42amptx_ttnews[tt_news]=546amptx_ttnews[backPid]=3ampcHash=5bbe9b235a03fe09cba52ed5c8786b99gt

DOkUmENtAtION

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NOtIzEN AUS mOSkAU

Petersburger DialogJens Siegert Moskau

Auf den ersten Blick sieht es so aus als ob ein (egal ob nun willentlich oder nicht) an die Oumlffentlich-

keit gelangter Brief einiger regelmaumlszligiger Teilnehmer des Petersburger Dialogs (PD) aus den Reihen deutscher NGOs an Bundeskanzlerin Merkel und Auszligenminis-ter Steinmeier die Verschiebung des fuumlr Ende Oktober in Sotschi geplanten groszligen Jahrestreffens verursacht haumltte In dem Brief bekraumlftigten die Autoren ihre nicht neue Kritik am PD und erklaumlrten warum sie dieses Jahr nicht teilnehmen wuumlrden Sie betonen dass die Absage kein Boykott sei und bieten ihrerseits einen Dialog zur Reform des Dialogs an Auf den zweiten Blick war der Brief selbstverstaumlndlich nur Anstoszlig aber nicht Grund fuumlr die Verschiebung Doch der Reihe nach

Die in dem Brief geaumluszligerte Kritik am PD ist wie gesagt nicht neu sie hat sie den PD von Anfang an begleitet Das liegt sicher auch an einem bis heute nicht korrigierten Geburtsfehler Ein durch Staats- und Regie-rungschefs initiierter raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo ist schon etwas verquer Das heiszligt nicht dass das nicht gehen koumlnnte Doch dazu haumltten sich die hochgestell-ten Initiatoren (der damalige russische Praumlsident und der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schrouml-der) und ihre (Interims-)Nachfolger spaumlter zuruumlckziehen muumlssen Das haben sie nicht Daran sind sie nicht (allein) Schuld Es war der PD der durch seine Lenkungsor-gane die enge zeitliche und oumlrtliche Verbindung mit den deutsch-russischen Regierungskonsultationen und die zeitweilige Anwesenheit von Praumlsident und Kanzlerin zum Grundstein seiner Wirkungsmaumlchtigkeit erklaumlrte

Auf deutscher Seite wurde versucht dieses Problem organisatorisch sozusagen oumlffentlich-rechtlich zu loumlsen indem moumlglichst alle interessierten politischen Spektren und gesellschaftlichen Gruppen am sogenannten Len-kungsausschuss beteiligt wurden Das gelang zumindest so gut dass es soweit mir bekannt bis heute keine grouml-szligeren Klagen uumlber Nichtberuumlcksichtigung oder Nicht-beteiligung gab Aber die Bundesregierung behielt weit-gehenden Einfluss nicht zuletzt uumlber den alljaumlhrlich sechsstelligen Zuschuss fuumlr die Durchfuumlhrung der Jah-restreffen Auszligerdem wurde der jeweilige Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses zwar nach Abstim-mungen mit den Beteiligten aber letztlich durch den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin bestimmt

In Russlands ist die Sache einfacher Von Anfang an wurde und wird gemacht wird was der Kreml will Schon der erste Vorsitzende des russischen Lenkungs-ausschusses Michail Gorbatschow (immerhin selbst ein ehemaliger Praumlsident) war wie er selbst einmal bekannte

nicht mehr als ein ndash schoumlne Ruumlckuumlbertragung aus dem Russischen ndash raquoSitz-Praumlsidentlaquo Der jetzige Vorsitzende Wiktor Subkow war Datschennachbar von Putin ers-ter stellvertretender Ministerpraumlsident und ist nun Auf-sichtsratsvorsitzender von Gazprom

Die Kritik dass nur eine Simulation eines raquozivilge-sellschaftlichen Dialogslaquo stattfinde wurde von einigen deutschen Teilnehmern bereits auf dem ersten Jahres-treffen des PD im April 2001 in St Petersburg geaumluszligert Es fehlten auf russischer Seite (in der seinerzeit noch ver-einigten Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo) Vertreter russischer NGOs Die Kritik kam an In Russ-land fuumlhrte sie (ohne dass ich hier jetzt ausfuumlhren kann wie) zum ersten Versuch des Kremls auch unabhaumln-gige NGOs in das korporative System der gelenkten Demokratie zu zwingen Der Versuch misslang weitge-hend und muumlndete in einer Art Waffenstillstand und der Gruumlndung eines raquoMenschenrechtsrats beim Praumlsi-dentenlaquo unter Einbeziehung von Vertretern unabhaumlngi-ger NGOs Beim PD wurde die Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo in ihre zwei Namensbestandteile geteilt und es gelang uumlber die Jahre in immer wieder unternommenen Anstrengungen auch die Teilnahme unabhaumlngiger russischer NGO-Vertreter durchzuset-zen Etwas spaumlter wurde diese Teilnahme sogar vor-sichtig institutionell abgesichert indem erst Ella Pam-filowa und spaumlter ihr Nachfolger Michail Fedotow als Vorsitzende des inzwischen zum raquoZivilgesellschaftsratlaquo umbenannten raquoMenschenrechtsratslaquo zu den russischen Koordinatoren der Arbeitsgruppe raquoZivilgesellschaftlaquo mit Einladungsrecht wurden (wobei die Einladungen selbst-verstaumlndlich mit der Praumlsidentenadministration abge-stimmt werden muumlssen) Das ist bis heute so

Die Verfasser des Briefes (zu denen ich bekenne mich auch ich gehoumlre) allesamt langjaumlhrige Teilneh-mer der Jahrestreffen des PD haben all die Jahre immer wieder auch oumlffentlich uumlber den Sinn und Unsinn ihrer Teilnahme und Unterstuumltzung diskutiert Letztendlich uumlberwogen die ganze Zeit uumlber zwei Uumlberlegungen Ers-tens ist ein Dialog auch und gerade auf offizieller Ebe-nen und mit offiziellen Vertretern des russischen Staates (wie auch mit Wissenschaftlern Unternehmern Journa-listen Priestern usw welcher politischen Couleur auch immer sie sein moumlgen) erst einmal besser als kein Dia-log Zweitens gingen wir all die Jahre davon aus dass die nicht ohne Muumlhen erreichte Teilnahme unabhaumln-giger russischen NGO-Vertreter fuumlr sie ihre Organisa-tionen aber auch die russische NGO-Szene insgesamt zumindest einen kleinen zusaumltzlichen Schutz gegen die

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seit Putins Amtsantritt immer wieder uumlber das Land gehenden Repressionswellen bietet1 Was hat sich dieses Jahr geaumlndert Erst einmal nicht

so viel gegenuumlber dem Vorjahr Es war schon immer siehe oben eine schwierige Abwaumlgung ob die Teil-nahme am PD sich lohnt oder nicht vielmehr dazu beitraumlgt so zu tun als gaumlbe es in Russland die unein-geschraumlnkte und ungefaumlhrdete Moumlglichkeit sich zivilgesellschaftlich auch dort zu engagieren wo es dem Staat weh tut Zwei Ereignisse haben nun aber zumindest fuumlr die Autoren des Briefes das Pen-del zur anderen Seite ausschlagen lassen Die Kon-frontation zwischen dem Westen (ich weiszlig um die Bedingtheit des Begriffs verwende in der Kuumlrze hal-ber aber trotzdem) und Russland im Konflikt in der und um die Ukraine ist nicht einfach die Fortset-zung schon laumlnger existierender raquoMeinungsverschie-denheitenlaquo Sie ist tiefer und prinzipieller Es geht eben im Kern nicht in erster Linie um Geopolitik sondern wieder einmal um ich fuumlrchte hier weder den Pathos noch historische Analogien Freiheit und Demokratie in Europa

2 Die Repressionen gegen russische NGOs unsere prinzipiellen Partner in der Verteidigung von Demo-kratie und Freiheit haben mit dem sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo eine neue Qualitaumlt erreicht 15 NGOs sind inzwischen zwangsweise zu raquoauslaumln-dischen Agentenlaquo erklaumlrt worden anderen droht die Schlieszligung aufgrund anderer Gesetze Einige von ihnen waren sogar zum nun verschobenen Treffen in Sotschi eingeladen Sie mussten sich Gedanken machen ob eine Zusage oder eine Absage ihnen nicht schaden koumlnnte

Unter diesen Umstaumlnden halten die Verfasser des Brie-fes ihre Teilnahme am PD fuumlr nicht mehr moumlglich Sie fordern keinen Boykott wohl aber ein Nachdenken uumlber eine tiefgreifende Reform

Der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses Lothar de Maiziere hat in einem eigenen offenen Brief geantwortet und den Verfassern vorgeworfen den Dia-log verweigern und politisieren zu wollen Diese (Gegen-)Klage scheint mir angesichts der vielfaumlltigen Verbindun-gen und Dialogformen die die Organisationen hinter den Unterzeichnern des Briefes seit vielen Jahren und oft laumlnger als der PD organisieren an denen sie teil-nehmen und die sie foumlrdern nicht sonderlich stichhal-tig Doch die Auseinandersetzung geht tiefer De Mai-ziere behauptet in seinem Brief der PD mache bereits all das was die Kritiker fordern Genau das bezweifeln diese aber Die Auseinandersetzung geht also und vor allem darum was ein fruchtbarer Dialog zu leisten im Stande sein kann und leisten sollte Sie geht aber auch darum ob dieser Dialog zwischen zwei Gesellschaf-

ten stattfindet nach dem Motto hier die eine dort die andere oder ob sich die Seiten bei diesem Dialog inei-nander verschraumlnken

Die Verfasser des Briefes sind ganz offensichtlich mit ihrer Kritik nicht allein Schon bevor der Brief oumlffent-lich bekannt wurde hatten die Bundestagsabgeordne-ten Andreas Schockenhoff (CDUCSU) und Marieluise Beck (Buumlndnis 90 Die Gruumlnen) in oumlffentlichen Stel-lungnahmen Aumlhnliches gefordert und auch ihre Nicht-Teilnahme erklaumlrt Etwas spaumlter wurde bekannt dass auch der Russland-Beauftragte der Bundesregierung Gernot Erler nicht nach Sotschi fahren wollte Mehr noch Bereits seit dem Fruumlhsommer gab es Gespraumlche zwischen Kanzleramt und Auswaumlrtigem Amt mit dem Ziel den PD sowohl personell als auch strukturell zu reformieren Allerdings setze sich augenscheinlich die Sichtweise des Auswaumlrtigen Amtes durch alles vorerst beim Alten zu belassen da es auch so schon genug Pro-bleme im deutsch-russischen Verhaumlltnis gebe und man diesen Kanal nicht auch noch belasten oder gar gefaumlhr-den solle

Doch zum Herbst hat sich die Situation noch ein-mal veraumlndert Die Hoffnung die russische Fuumlhrung um Praumlsident Putin werde im Krieg in der Ostukraine ein-lenken ist selbst im Auswaumlrtigen Amt bis in die Spitze kaum noch zu finden Im Sommer bekam das russische Justizministerium zudem per erneuter Gesetzesaumlnde-rung das Recht NGOs zwangsweise zu raquoAgentenlaquo zu erklaumlren und macht seither rege Gebrauch davon Eine ganze Reihe russischer NGOs steht vor der Schlieszligung oder loumlst sich auf weil ihnen die vom Gesetz geforderte Selbstetikettierung als raquoauslaumlndische Agentenlaquo ethisch rechtlich und praktisch unmoumlglich ist

Es sieht so aus als haumltten die Verfasser des Briefes nur eine Tuumlr geoumlffnet hinter der andere darunter die Kanzlerin nur darauf gewartet haben durch sie hin-durch gehen zu koumlnnen ohne selbst der Tuumlroumlffnung geziehen zu werden

Ein wenig verwundert die erstaunlich milde russi-sche Reaktion Nach der kurzen Drohung eine Verschie-bung bedeute das Ende des PD lenkte Putin im Telefo-nat mit Merkel ein und fand tags darauf sogar oumlffentlich verstaumlndnisvolle Worte fuumlr die raquoProbleme der deutschen Seitelaquo Das duumlrfte zwei Gruumlnde haben Der eine ist dass trotz des haumlufiger gewordenen Deutschland-Bashings im russischen Staatsfernsehen (mit dem Ergebnis dass in Umfragen Deutschland aus der Kategorie raquoFreundlaquo in die Kategorie raquoFeindlaquo abgerutscht ist) Deutschland im Kreml immer noch als wichtigster raquostrategischerlaquo Part-ner im Westen und vor allem in der EU gilt Zudem ist Deutschland zweifellos ein Land dessen oumlffentliche Meinung (und damit Politik) aus russischer Sicht durch-aus beeinflussbar ist (was z B die kolportierten rund

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140 Millionen US-Dollar zum Aufbau eines deutsch-sprachigen Programms des staatlichen Auslandsfernse-hens raquoRussia Todaylaquo zeigen)

Der andere liegt in einem erneuten Strategiewech-sel (oder weniger ambitioniert Wechsel der Taktik) im Ukraine-Konflikt Die Sanktionen beiszligen inzwi-schen kraumlftig Die Rhetorik wurde daher gemildert Der Kreml ist ganz auf Frieden und dieser Ausdruck aus dem Sport sei erlaubt Ergebnissicherung bedacht (was uumlbrigens Putins grundsaumltzlicher Taktik auch im Inne-ren Russlands entspricht erst hart zuzuschlagen dann eine Schritt zuruumlck zu gehen und einen Kompromiss zu suchen nach dem es fuumlr seine Gegner nachher schlech-ter steht als vorher) Neues Ziel scheint nun also zu sein die raquoErrungenschaftenlaquo Krim (als Teil Russlands) und raquoNeurusslandlaquo (als neuen raquoFrozen Conflictlaquo) zu fixieren und trotzdem mit dem Westen wenn schon nicht gut-freund zu werden so doch zumindest erneut zu einem einigermaszligen vertraumlglichen Modus Vivendi zu gelan-gen Das Gas duumlrfte nach den Mailaumlnder Gespraumlchen

und bei allem Geknurre im Winter stroumlmen und auch im Nahen Osten stellt Moskau weniger Widerspenstig-keit in Aussicht

Was heiszligt das fuumlr die Zukunft des PD Erstmal ist sie offen Zuerst muss sich die deutsche Seite neu ord-nen (hier hat Putin sogar Recht) Nachdem sich Angela Merkel persoumlnlich um eine russische Akzeptanz fuumlr die Verschiebung von Sotschi bemuumlht hat kann ich mir allerdings nicht vorstellen dass es in einigen Wochen oder Monaten ein Zuruumlck zum status quo ante gibt Ob und wie sich ein neu aufgestellter deutscher Lenkungs-ausschuss mit einem neuen Konzept mit der russischen Seite verstaumlndigen kann laumlsst sich momentan kaum voraussagen Es ist zwar einen Versuch wert haumlngt aber wohl sehr von der dann herrschenden politischen Groszlig-wetterlage ab

Diesen und andere Texte finden Sie auf Jens Siegerts Russ-landblog lthttprusslandboellblogorggt

Lesetippbull Poumlrzgen Gemma Dringend reformbeduumlrftig Der Petersburger Dialog auf dem Pruumlfstand in Osteuropa 602010

Nr 10 S 59ndash81

DOkUmENtAtION

Briefwechsel uumlber die zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo

schreiben von nichtregierungsorganisationen und einzelpersonen an die Bundeskanzlerin und den Auszligenminister zum raquoPetersburger Dialoglaquo 2 oktober 2014 [nachtraumlglich veroumlffentlicht]

Berlin 02 Oktober 2014Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerals Personen die sich seit vielen Jahren intensiv im zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland engagieren wenden wir uns mit diesem Schreiben an Sie um zu erlaumlutern warum wir uns in diesem Jahr nicht am Petersburger Dialog beteiligen koumlnnen Zugleich moumlchten wir fuumlr eine Erneuerung des Petersburger Dialogs werben

In Reaktion auf die politische Wende in der Ukraine die durch eine breite gesellschaftliche Protestbewegung hervor-gerufen wurde hat die russische Fuumlhrung voumllkerrechtswidrig die Krim annektiert und einen unerklaumlrten Krieg neuen Typs im Osten der Ukraine begonnen Zugleich betreibt die Regierung unter Praumlsident Putin die systematische Ausschal-tung der letzten unabhaumlngigen Medien in Russland die Kriminalisierung aller Formen politischer Opposition und die Diskreditierung unabhaumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen als raquoauslaumlndische Agentenlaquo Mittlerweile wurden 12 russische Nichtregierungsorganisationen vom russischen Justizministerium zwangsweise auf die Liste raquoauslaumlndischer Agentenlaquo gesetzt und sind daher zukuumlnftig verpflichtet sich bei jeder oumlffentlichen Aumluszligerung wahrheitswidrig selbst als solche zu bezichtigen Zehn dieser Organisationen spielen in der deutschrussischen zivilgesellschaftlichen Zusammen-arbeit seit Jahren eine wichtige Rolle einige von ihnen haben mehrfach am Petersburger Dialog teilgenommen Gegen einige von ihnen sind bereits existenzbedrohende Strafgelder wegen Verstoszliges gegen das sog Agentengesetz verhaumlngt

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worden Es drohen Organisationsschlieszligungen und die Kriminalisierung der Vorstaumlnde Unter diesen inneren und aumluszlige-ren Bedingungen koumlnnen wir uns nicht an einer Neuauflage des Petersburger Dialogs in der bisherigen Form beteiligen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerder seinerzeit von Bundeskanzler Schroumlder und Praumlsident Putin initiierte Petersburger Dialog konnte die ihm zuge-

dachte Aufgabe zu einer Vertiefung und Verbreiterung der gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland beizutragen auch in den vergangenen Jahren nur sehr bedingt erfuumlllen Dies lag vor allem an der starken Naumlhe des Fuumlhrungspersonals auf der russischen Seite zum politischen Machtzentrum im Kreml die von Beginn an den Eindruck einer raquovon obenlaquo inszenierten und kontrollierten Veranstaltung naumlhrte Doch auch auf deutscher Seite wird der Petersburger Dialog bis heute von Personen dominiert die aus politischer und oumlkonomischer Opportunitaumlt dazu neigen Kritik am Kurs der russischen Fuumlhrung als Stoumlrung der raquodeutsch-russischen Freundschaftlaquo zu betrachten Zeit-weise kam es zu der paradoxen Situation dass kritische Aumluszligerungen zu Menschenrechtsverletzungen in Russland oder zum Vorgehen des Kremls gegenuumlber Georgien aus den Reihen der deutschen Delegation als raquoKalte-Kriegs-Rhetoriklaquo verteufelt wurden Nuumlchtern betrachtet waren die kritischen Stimmen aus der russischen und deutschen Zivilgesell-schaft in den letzten Jahren nur eine geduldete Minderheit die dem Petersburger Dialog den Anschein von Pluralis-mus und offener Diskussion verschaffte Ungeachtet dieser Kritik haben wir uns in der Vergangenheit am Petersburger Dialog beteiligt da wir grundsaumltzlich jedes Dialogpotenzial nutzen wollen und uns von der gemeinsamen Beteiligung mit unseren Partnern aus der russischen Zivilgesellschaft eine politische Absicherung dieser Zusammenarbeit erhofften

Diese ohnehin schwachen Hoffnungen wurden durch die Entwicklungen in diesem Jahr zerstoumlrt Vertreter unab-haumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen die auf der russischen Seite zum Petersburger Dialog eingeladen wer-den sind angesichts der politischen und juristischen Bedrohung der sie ausgesetzt sind in ihrer Entscheidung uumlber ihre Teilnahme nicht mehr frei Wenn sie der Einladung nicht folgen muumlssen sie weitere Repressalien befuumlrchten Uns denen die Freiheit der Entscheidung gegeben ist ist es nicht moumlglich durch Teilnahme am Petersburger Dialog in Sot-schi an der Aufstellung einer Potemkinschen Fassade namens raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo mitzuwirken waumlhrend die kritischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Russland als raquoAgentenlaquo diskreditiert und vielfach drangsaliert werden

Zugleich moumlchten wir unsere Bereitschaft unterstreichen an einer Reform des Petersburger Dialogs in organisa-torischer inhaltlicher und personeller Hinsicht mitzuwirken Eine solche Reform sollte darauf ausgerichtet sein uumlber die Auswahl der Formate Themen und Teilnehmer die tatsaumlchliche Lage der russischen Zivilgesellschaft in den Mit-telpunkt der Diskussion zu ruumlcken und einen offenen Dialog zu ermoumlglichen Wir sind ganz damit einverstanden dass gerade in kritischen Zeiten die Zusammenarbeit zwischen der russischen und deutschen Zivilgesellschaft gestaumlrkt wer-den muss Sofern der Petersburger Dialog in Zukunft dafuumlr ein Forum bietet werden wir uns gern daran beteiligen[Unterzeichner nicht veroumlffentlicht]Quelle Website der Boumlll-Stiftung lthttpwwwboelldede20141013reform-petersburger-dialog-ueberfaelliggt

offener Brief an den Vorsitzenden des Petersburger Dialogs lothar de maiziegravere vom 10 oktober 2014

- Offener Brief -HerrnDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des VorstandsPetersburger Dialog eVSchillerstraszlige 5910627 Berlin

Berlin 10 Oktober 2014Petersburger Dialog 2014 in SotschiSehr geehrter Herr de Maiziegravereals Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher zivilgesellschaftlicher Organisationen die seit der Gruumlndung des Petersburger Dialogs 2001 uumlber viele Jahre hinweg an dieser Veranstaltung teilgenommen haben moumlchten wir Ihnen gegenuumlber folgende Erklaumlrung abgeben

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Wir haben uns entschieden am 14 Petersburger Dialog in Sotschi nicht teilzunehmen der fuumlr den 29ndash31 Okto-ber angekuumlndigt worden ist Fuumlr diese Entscheidung die wir sorgfaumlltig diskutiert und abgewogen haben moumlchten wir drei Gruumlnde anfuumlhren1 Der Petersburger Dialog in seiner jetzigen Form steckt in einer Krise Von Jahr zu Jahr wird er seinem eigenem

Anspruch weniger gerecht Die Veranstaltung soll dem zivilgesellschaftlichen Dialog dienen Tatsaumlchlich sind Struktur Nominierungsverfahren und Programm des Petersburger Dialogs maszliggeblich von Akteuren aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert Unter diesen Voraussetzungen erfuumlllt der Petersburger Dialog leider nicht sein in seiner Satzung formuliertes Ziel ein raquooffenes Diskussionsforumlaquo zu sein das die raquoVerstaumlndigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Laumlnderlaquo foumlrdert Der Petersburger Dialog bedarf dringend einer grundlegenden Reform wie sie auch CDUCSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 eingefordert haben Gerne wuumlrden wir uns aktiv an einem Prozess zur Reformierung des Petersburger Dialogs beteiligen der auf eine pluralistische Zusam-mensetzung beider Lenkungsausschuumlsse und eine deutlich staumlrkere Ausrichtung auf unabhaumlngige zivilgesellschaft-liche Akteure zielt ohne den interdisziplinaumlren Ansatz der Veranstaltung aufzugeben

2 Die Situation in der sich Teile der Zivilgesellschaft in Russland befinden erfuumlllt uns mit groszliger Sorge Das betrifft auch Partnerorganisationen und Personen mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten Diese Organisa-tionen uumlben fuumlr Russland und daruumlber hinaus wichtige gesellschaftliche Funktionen aus Die Behinderung ihrer Arbeit durch buumlrokratische Huumlrden aber auch durch willkuumlrliche rechtliche Restriktionen und politische Diffa-mierung sind inakzeptabel Daruumlber koumlnnen wir nicht zur Tagesordnung uumlbergehen Wir wollen nicht zu Kron-zeugen fuumlr einen vorgeblich freien Austausch werden waumlhrend zugleich die kritische Zivilgesellschaft in Russland massiv und systematisch unter Druck gesetzt wird

3 In Teilen der Ukraine herrscht ein Kriegszustand fuumlr den die russische Fuumlhrung eine maszliggebliche Verantwor-tung traumlgt Wichtige Vertreter dieser Fuumlhrung spielen eine Schluumlsselrolle im Petersburger Dialog einschlieszliglich des fruumlheren Ersten Stellvertretenden Ministerpraumlsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden von Gazprom Wiktor Subkow der der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs ist Vor diesem Hin-tergrund moumlchten wir nicht durch unsere Teilnahme dazu beitragen dass eine Normalitaumlt in den deutsch-russi-schen Beziehungen simuliert wird die es derzeit wegen des Angriffs auf die politische Souveraumlnitaumlt und territo-riale Integritaumlt der Ukraine nicht geben kann

Wir waren und sind weiter sehr an einem offenen Dialog uumlber deutsch-russische Belange in einem gesamteuropaumli-schen Kontext interessiert und halten ihn fuumlr eine Bedingung guter Nachbarschaft und Kooperation Ein solcher Dia-log muss aber auch von beiden Seiten gewollt und ermoumlglicht werden Er darf zugleich nicht zum Nachteil Dritter gefuumlhrt werden Angesichts der aktuellen Lage und der bereits bekannt gewordenen Programmvorschlaumlge fuumlr Sotschi sehen wir auch diese Voraussetzung gefaumlhrdet

Dessen ungeachtet werden wir jede Moumlglichkeit nutzen unsere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Grup-pen und anderen Akteuren in Russland zu vertiefen und dieses Potential in einen bilateralen und europaumlischen Dia-log einzubringenMit freundlichen GruumlszligenRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter Politik Greenpeace eVQuelle lthttpwwwaustauschorgaktuelle-meldungennewsdetailarticle1offener-brie-1htmlno_cache=1ampcHash=0428c5bffdgt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 33

offener Brief des Vorsitzenden des Petersburger Dialogs vom 13 oktober 2014

AnRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich-Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace eVBerlin 13 Oktober 2014Ihr Schreiben vom 10 Oktober 2014Sehr geehrte Damen und HerrenIhren offenen Brief habe ich erhalten Dass Sie einen Brief aumlhnlichen Inhalts zunaumlchst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Auszligenminister verschickt haben verwundert mich Sie geben damit fuumlr die zivilgesell-schaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung die Sie fuumlr die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren

Ihre Nichtbeteiligung am Petersburger Dialog bedaure ich Denn es entspricht der Uumlberzeugung der meisten Mit-glieder des Vorstandes und des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs dass gerade angesichts zweifellos vorhan-dener Probleme fuumlr die Zivilgesellschaft die Sie teilweise benennen die offensive Auseinandersetzung zu solchen The-men gesucht werden muss Indem man sich solchen Gespraumlchen entzieht schadet man den Interessen der Betroffenen

Sie schreiben der Petersburger Dialog sei im Inneren zu reformieren da er von Vertretern aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert sei Diese Feststellung ist falsch und Sie wissen das Das auch in der Satzung des Petersbur-ger Dialogs beschriebene Konzept des Dialogs beruht auf einem breiten Gedankenaustausch aller gesellschaftlichen Kraumlfte Dazu gehoumlren die Bereiche Kultur Medien Bildung Wissenschaft und Kirchen genauso wie zahlreiche im Bereich der politischen sowie der sozialen Menschenrechte engagierte Einrichtungen die in ihrer Gesamtheit das deutsch-russische Verhaumlltnis beleben

Sie versuchen in Ihrem Brief den Petersburger Dialog auf das enge Feld einiger Vertreter der Zivilgesellschaft zu reduzieren die jenseits der korporierten Zivilgesellschaft angesiedelt sind und deren Interessenspektrum nur einen Teil des gesamten zivilgesellschaftlichen Engagements abdeckt

Ich verkenne nicht die ndash auch aber nicht nur ndash in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu Tage getretenen Probleme sowie die unterschiedlichen Folgen die sich aus einer raquogelenkten Demokratielaquo die in vielem nicht westli-chen Standards entspricht ergeben Dennoch Gemessen an weiten Bereichen der russischen Geschichte ist die Ent-wicklung seit 1991 ein Fortschritt Das daraus resultierende wenn auch im letzten Jahr stark eingetruumlbte Vertrauens-potential muss fuumlr die auf vielen Ebenen notwendigen Gespraumlchsforen genutzt und ausgebaut werden

Derartige Gespraumlche bedingen genauso Realismus wie intellektuelle Disziplin wozu auch gehoumlrt zu verstehen wie Russland die Probleme versteht Dies ndash und nicht Gespraumlchsverweigerung ndash ist die Voraussetzung um auf allen demokratischen gesellschaftlichen Ebenen ndash vom politischen Machtzentrum bis in die Randgruppen hinein ndash pro-blemorientierte Gespraumlche fuumlhren zu koumlnnen Dabei darf keine Seite fuumlr sich in Anspruch nehmen legitimere Inte-ressen zu vertreten als die andere

Das heiszligt Ein Gespraumlch raquoauf Augenhoumlhelaquo nicht von oben herab nicht moralisch belehrend aber mit klaren und ehrlichen Argumenten Dabei duumlrfen wir nicht verschweigen welche gesetzgeberischen aber auch politisch-morali-schen Standards wir fuumlr eine demokratische Gesellschaft im europaumlischen Kontext fuumlr unabdingbar halten

Der Petersburger Dialog wurde aus guten Gruumlnden als deutsch-russische Gemeinschaftseinrichtung konzipiert Da ist eine ndash oft muumlhsame ndash Kompromissfindung unausweichlich Dies ist Teil des Wertes auch der Tiefe aber auch der moralischen Qualitaumlt des Dialogs Das Ringen um kompromissfaumlhige Konzepte muss unser Anliegen bleiben nicht Vorverurteilung und GespraumlchsablehnungMit freundlichem GruszligDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des Vorstands Petersburger Dialog e VQuelle Website des Petersburger Dialogs lthttpwwwpetersburger-dialogcomoffener-brief-vom-13-oktober-2014gt

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offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

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9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

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14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

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                                        • Briefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo
                                          • Chronik
                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 28: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 28

NOtIzEN AUS mOSkAU

Petersburger DialogJens Siegert Moskau

Auf den ersten Blick sieht es so aus als ob ein (egal ob nun willentlich oder nicht) an die Oumlffentlich-

keit gelangter Brief einiger regelmaumlszligiger Teilnehmer des Petersburger Dialogs (PD) aus den Reihen deutscher NGOs an Bundeskanzlerin Merkel und Auszligenminis-ter Steinmeier die Verschiebung des fuumlr Ende Oktober in Sotschi geplanten groszligen Jahrestreffens verursacht haumltte In dem Brief bekraumlftigten die Autoren ihre nicht neue Kritik am PD und erklaumlrten warum sie dieses Jahr nicht teilnehmen wuumlrden Sie betonen dass die Absage kein Boykott sei und bieten ihrerseits einen Dialog zur Reform des Dialogs an Auf den zweiten Blick war der Brief selbstverstaumlndlich nur Anstoszlig aber nicht Grund fuumlr die Verschiebung Doch der Reihe nach

Die in dem Brief geaumluszligerte Kritik am PD ist wie gesagt nicht neu sie hat sie den PD von Anfang an begleitet Das liegt sicher auch an einem bis heute nicht korrigierten Geburtsfehler Ein durch Staats- und Regie-rungschefs initiierter raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo ist schon etwas verquer Das heiszligt nicht dass das nicht gehen koumlnnte Doch dazu haumltten sich die hochgestell-ten Initiatoren (der damalige russische Praumlsident und der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schrouml-der) und ihre (Interims-)Nachfolger spaumlter zuruumlckziehen muumlssen Das haben sie nicht Daran sind sie nicht (allein) Schuld Es war der PD der durch seine Lenkungsor-gane die enge zeitliche und oumlrtliche Verbindung mit den deutsch-russischen Regierungskonsultationen und die zeitweilige Anwesenheit von Praumlsident und Kanzlerin zum Grundstein seiner Wirkungsmaumlchtigkeit erklaumlrte

Auf deutscher Seite wurde versucht dieses Problem organisatorisch sozusagen oumlffentlich-rechtlich zu loumlsen indem moumlglichst alle interessierten politischen Spektren und gesellschaftlichen Gruppen am sogenannten Len-kungsausschuss beteiligt wurden Das gelang zumindest so gut dass es soweit mir bekannt bis heute keine grouml-szligeren Klagen uumlber Nichtberuumlcksichtigung oder Nicht-beteiligung gab Aber die Bundesregierung behielt weit-gehenden Einfluss nicht zuletzt uumlber den alljaumlhrlich sechsstelligen Zuschuss fuumlr die Durchfuumlhrung der Jah-restreffen Auszligerdem wurde der jeweilige Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses zwar nach Abstim-mungen mit den Beteiligten aber letztlich durch den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin bestimmt

In Russlands ist die Sache einfacher Von Anfang an wurde und wird gemacht wird was der Kreml will Schon der erste Vorsitzende des russischen Lenkungs-ausschusses Michail Gorbatschow (immerhin selbst ein ehemaliger Praumlsident) war wie er selbst einmal bekannte

nicht mehr als ein ndash schoumlne Ruumlckuumlbertragung aus dem Russischen ndash raquoSitz-Praumlsidentlaquo Der jetzige Vorsitzende Wiktor Subkow war Datschennachbar von Putin ers-ter stellvertretender Ministerpraumlsident und ist nun Auf-sichtsratsvorsitzender von Gazprom

Die Kritik dass nur eine Simulation eines raquozivilge-sellschaftlichen Dialogslaquo stattfinde wurde von einigen deutschen Teilnehmern bereits auf dem ersten Jahres-treffen des PD im April 2001 in St Petersburg geaumluszligert Es fehlten auf russischer Seite (in der seinerzeit noch ver-einigten Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo) Vertreter russischer NGOs Die Kritik kam an In Russ-land fuumlhrte sie (ohne dass ich hier jetzt ausfuumlhren kann wie) zum ersten Versuch des Kremls auch unabhaumln-gige NGOs in das korporative System der gelenkten Demokratie zu zwingen Der Versuch misslang weitge-hend und muumlndete in einer Art Waffenstillstand und der Gruumlndung eines raquoMenschenrechtsrats beim Praumlsi-dentenlaquo unter Einbeziehung von Vertretern unabhaumlngi-ger NGOs Beim PD wurde die Arbeitsgruppe raquoPolitik und Zivilgesellschaftlaquo in ihre zwei Namensbestandteile geteilt und es gelang uumlber die Jahre in immer wieder unternommenen Anstrengungen auch die Teilnahme unabhaumlngiger russischer NGO-Vertreter durchzuset-zen Etwas spaumlter wurde diese Teilnahme sogar vor-sichtig institutionell abgesichert indem erst Ella Pam-filowa und spaumlter ihr Nachfolger Michail Fedotow als Vorsitzende des inzwischen zum raquoZivilgesellschaftsratlaquo umbenannten raquoMenschenrechtsratslaquo zu den russischen Koordinatoren der Arbeitsgruppe raquoZivilgesellschaftlaquo mit Einladungsrecht wurden (wobei die Einladungen selbst-verstaumlndlich mit der Praumlsidentenadministration abge-stimmt werden muumlssen) Das ist bis heute so

Die Verfasser des Briefes (zu denen ich bekenne mich auch ich gehoumlre) allesamt langjaumlhrige Teilneh-mer der Jahrestreffen des PD haben all die Jahre immer wieder auch oumlffentlich uumlber den Sinn und Unsinn ihrer Teilnahme und Unterstuumltzung diskutiert Letztendlich uumlberwogen die ganze Zeit uumlber zwei Uumlberlegungen Ers-tens ist ein Dialog auch und gerade auf offizieller Ebe-nen und mit offiziellen Vertretern des russischen Staates (wie auch mit Wissenschaftlern Unternehmern Journa-listen Priestern usw welcher politischen Couleur auch immer sie sein moumlgen) erst einmal besser als kein Dia-log Zweitens gingen wir all die Jahre davon aus dass die nicht ohne Muumlhen erreichte Teilnahme unabhaumln-giger russischen NGO-Vertreter fuumlr sie ihre Organisa-tionen aber auch die russische NGO-Szene insgesamt zumindest einen kleinen zusaumltzlichen Schutz gegen die

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seit Putins Amtsantritt immer wieder uumlber das Land gehenden Repressionswellen bietet1 Was hat sich dieses Jahr geaumlndert Erst einmal nicht

so viel gegenuumlber dem Vorjahr Es war schon immer siehe oben eine schwierige Abwaumlgung ob die Teil-nahme am PD sich lohnt oder nicht vielmehr dazu beitraumlgt so zu tun als gaumlbe es in Russland die unein-geschraumlnkte und ungefaumlhrdete Moumlglichkeit sich zivilgesellschaftlich auch dort zu engagieren wo es dem Staat weh tut Zwei Ereignisse haben nun aber zumindest fuumlr die Autoren des Briefes das Pen-del zur anderen Seite ausschlagen lassen Die Kon-frontation zwischen dem Westen (ich weiszlig um die Bedingtheit des Begriffs verwende in der Kuumlrze hal-ber aber trotzdem) und Russland im Konflikt in der und um die Ukraine ist nicht einfach die Fortset-zung schon laumlnger existierender raquoMeinungsverschie-denheitenlaquo Sie ist tiefer und prinzipieller Es geht eben im Kern nicht in erster Linie um Geopolitik sondern wieder einmal um ich fuumlrchte hier weder den Pathos noch historische Analogien Freiheit und Demokratie in Europa

2 Die Repressionen gegen russische NGOs unsere prinzipiellen Partner in der Verteidigung von Demo-kratie und Freiheit haben mit dem sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo eine neue Qualitaumlt erreicht 15 NGOs sind inzwischen zwangsweise zu raquoauslaumln-dischen Agentenlaquo erklaumlrt worden anderen droht die Schlieszligung aufgrund anderer Gesetze Einige von ihnen waren sogar zum nun verschobenen Treffen in Sotschi eingeladen Sie mussten sich Gedanken machen ob eine Zusage oder eine Absage ihnen nicht schaden koumlnnte

Unter diesen Umstaumlnden halten die Verfasser des Brie-fes ihre Teilnahme am PD fuumlr nicht mehr moumlglich Sie fordern keinen Boykott wohl aber ein Nachdenken uumlber eine tiefgreifende Reform

Der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses Lothar de Maiziere hat in einem eigenen offenen Brief geantwortet und den Verfassern vorgeworfen den Dia-log verweigern und politisieren zu wollen Diese (Gegen-)Klage scheint mir angesichts der vielfaumlltigen Verbindun-gen und Dialogformen die die Organisationen hinter den Unterzeichnern des Briefes seit vielen Jahren und oft laumlnger als der PD organisieren an denen sie teil-nehmen und die sie foumlrdern nicht sonderlich stichhal-tig Doch die Auseinandersetzung geht tiefer De Mai-ziere behauptet in seinem Brief der PD mache bereits all das was die Kritiker fordern Genau das bezweifeln diese aber Die Auseinandersetzung geht also und vor allem darum was ein fruchtbarer Dialog zu leisten im Stande sein kann und leisten sollte Sie geht aber auch darum ob dieser Dialog zwischen zwei Gesellschaf-

ten stattfindet nach dem Motto hier die eine dort die andere oder ob sich die Seiten bei diesem Dialog inei-nander verschraumlnken

Die Verfasser des Briefes sind ganz offensichtlich mit ihrer Kritik nicht allein Schon bevor der Brief oumlffent-lich bekannt wurde hatten die Bundestagsabgeordne-ten Andreas Schockenhoff (CDUCSU) und Marieluise Beck (Buumlndnis 90 Die Gruumlnen) in oumlffentlichen Stel-lungnahmen Aumlhnliches gefordert und auch ihre Nicht-Teilnahme erklaumlrt Etwas spaumlter wurde bekannt dass auch der Russland-Beauftragte der Bundesregierung Gernot Erler nicht nach Sotschi fahren wollte Mehr noch Bereits seit dem Fruumlhsommer gab es Gespraumlche zwischen Kanzleramt und Auswaumlrtigem Amt mit dem Ziel den PD sowohl personell als auch strukturell zu reformieren Allerdings setze sich augenscheinlich die Sichtweise des Auswaumlrtigen Amtes durch alles vorerst beim Alten zu belassen da es auch so schon genug Pro-bleme im deutsch-russischen Verhaumlltnis gebe und man diesen Kanal nicht auch noch belasten oder gar gefaumlhr-den solle

Doch zum Herbst hat sich die Situation noch ein-mal veraumlndert Die Hoffnung die russische Fuumlhrung um Praumlsident Putin werde im Krieg in der Ostukraine ein-lenken ist selbst im Auswaumlrtigen Amt bis in die Spitze kaum noch zu finden Im Sommer bekam das russische Justizministerium zudem per erneuter Gesetzesaumlnde-rung das Recht NGOs zwangsweise zu raquoAgentenlaquo zu erklaumlren und macht seither rege Gebrauch davon Eine ganze Reihe russischer NGOs steht vor der Schlieszligung oder loumlst sich auf weil ihnen die vom Gesetz geforderte Selbstetikettierung als raquoauslaumlndische Agentenlaquo ethisch rechtlich und praktisch unmoumlglich ist

Es sieht so aus als haumltten die Verfasser des Briefes nur eine Tuumlr geoumlffnet hinter der andere darunter die Kanzlerin nur darauf gewartet haben durch sie hin-durch gehen zu koumlnnen ohne selbst der Tuumlroumlffnung geziehen zu werden

Ein wenig verwundert die erstaunlich milde russi-sche Reaktion Nach der kurzen Drohung eine Verschie-bung bedeute das Ende des PD lenkte Putin im Telefo-nat mit Merkel ein und fand tags darauf sogar oumlffentlich verstaumlndnisvolle Worte fuumlr die raquoProbleme der deutschen Seitelaquo Das duumlrfte zwei Gruumlnde haben Der eine ist dass trotz des haumlufiger gewordenen Deutschland-Bashings im russischen Staatsfernsehen (mit dem Ergebnis dass in Umfragen Deutschland aus der Kategorie raquoFreundlaquo in die Kategorie raquoFeindlaquo abgerutscht ist) Deutschland im Kreml immer noch als wichtigster raquostrategischerlaquo Part-ner im Westen und vor allem in der EU gilt Zudem ist Deutschland zweifellos ein Land dessen oumlffentliche Meinung (und damit Politik) aus russischer Sicht durch-aus beeinflussbar ist (was z B die kolportierten rund

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140 Millionen US-Dollar zum Aufbau eines deutsch-sprachigen Programms des staatlichen Auslandsfernse-hens raquoRussia Todaylaquo zeigen)

Der andere liegt in einem erneuten Strategiewech-sel (oder weniger ambitioniert Wechsel der Taktik) im Ukraine-Konflikt Die Sanktionen beiszligen inzwi-schen kraumlftig Die Rhetorik wurde daher gemildert Der Kreml ist ganz auf Frieden und dieser Ausdruck aus dem Sport sei erlaubt Ergebnissicherung bedacht (was uumlbrigens Putins grundsaumltzlicher Taktik auch im Inne-ren Russlands entspricht erst hart zuzuschlagen dann eine Schritt zuruumlck zu gehen und einen Kompromiss zu suchen nach dem es fuumlr seine Gegner nachher schlech-ter steht als vorher) Neues Ziel scheint nun also zu sein die raquoErrungenschaftenlaquo Krim (als Teil Russlands) und raquoNeurusslandlaquo (als neuen raquoFrozen Conflictlaquo) zu fixieren und trotzdem mit dem Westen wenn schon nicht gut-freund zu werden so doch zumindest erneut zu einem einigermaszligen vertraumlglichen Modus Vivendi zu gelan-gen Das Gas duumlrfte nach den Mailaumlnder Gespraumlchen

und bei allem Geknurre im Winter stroumlmen und auch im Nahen Osten stellt Moskau weniger Widerspenstig-keit in Aussicht

Was heiszligt das fuumlr die Zukunft des PD Erstmal ist sie offen Zuerst muss sich die deutsche Seite neu ord-nen (hier hat Putin sogar Recht) Nachdem sich Angela Merkel persoumlnlich um eine russische Akzeptanz fuumlr die Verschiebung von Sotschi bemuumlht hat kann ich mir allerdings nicht vorstellen dass es in einigen Wochen oder Monaten ein Zuruumlck zum status quo ante gibt Ob und wie sich ein neu aufgestellter deutscher Lenkungs-ausschuss mit einem neuen Konzept mit der russischen Seite verstaumlndigen kann laumlsst sich momentan kaum voraussagen Es ist zwar einen Versuch wert haumlngt aber wohl sehr von der dann herrschenden politischen Groszlig-wetterlage ab

Diesen und andere Texte finden Sie auf Jens Siegerts Russ-landblog lthttprusslandboellblogorggt

Lesetippbull Poumlrzgen Gemma Dringend reformbeduumlrftig Der Petersburger Dialog auf dem Pruumlfstand in Osteuropa 602010

Nr 10 S 59ndash81

DOkUmENtAtION

Briefwechsel uumlber die zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo

schreiben von nichtregierungsorganisationen und einzelpersonen an die Bundeskanzlerin und den Auszligenminister zum raquoPetersburger Dialoglaquo 2 oktober 2014 [nachtraumlglich veroumlffentlicht]

Berlin 02 Oktober 2014Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerals Personen die sich seit vielen Jahren intensiv im zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland engagieren wenden wir uns mit diesem Schreiben an Sie um zu erlaumlutern warum wir uns in diesem Jahr nicht am Petersburger Dialog beteiligen koumlnnen Zugleich moumlchten wir fuumlr eine Erneuerung des Petersburger Dialogs werben

In Reaktion auf die politische Wende in der Ukraine die durch eine breite gesellschaftliche Protestbewegung hervor-gerufen wurde hat die russische Fuumlhrung voumllkerrechtswidrig die Krim annektiert und einen unerklaumlrten Krieg neuen Typs im Osten der Ukraine begonnen Zugleich betreibt die Regierung unter Praumlsident Putin die systematische Ausschal-tung der letzten unabhaumlngigen Medien in Russland die Kriminalisierung aller Formen politischer Opposition und die Diskreditierung unabhaumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen als raquoauslaumlndische Agentenlaquo Mittlerweile wurden 12 russische Nichtregierungsorganisationen vom russischen Justizministerium zwangsweise auf die Liste raquoauslaumlndischer Agentenlaquo gesetzt und sind daher zukuumlnftig verpflichtet sich bei jeder oumlffentlichen Aumluszligerung wahrheitswidrig selbst als solche zu bezichtigen Zehn dieser Organisationen spielen in der deutschrussischen zivilgesellschaftlichen Zusammen-arbeit seit Jahren eine wichtige Rolle einige von ihnen haben mehrfach am Petersburger Dialog teilgenommen Gegen einige von ihnen sind bereits existenzbedrohende Strafgelder wegen Verstoszliges gegen das sog Agentengesetz verhaumlngt

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worden Es drohen Organisationsschlieszligungen und die Kriminalisierung der Vorstaumlnde Unter diesen inneren und aumluszlige-ren Bedingungen koumlnnen wir uns nicht an einer Neuauflage des Petersburger Dialogs in der bisherigen Form beteiligen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerder seinerzeit von Bundeskanzler Schroumlder und Praumlsident Putin initiierte Petersburger Dialog konnte die ihm zuge-

dachte Aufgabe zu einer Vertiefung und Verbreiterung der gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland beizutragen auch in den vergangenen Jahren nur sehr bedingt erfuumlllen Dies lag vor allem an der starken Naumlhe des Fuumlhrungspersonals auf der russischen Seite zum politischen Machtzentrum im Kreml die von Beginn an den Eindruck einer raquovon obenlaquo inszenierten und kontrollierten Veranstaltung naumlhrte Doch auch auf deutscher Seite wird der Petersburger Dialog bis heute von Personen dominiert die aus politischer und oumlkonomischer Opportunitaumlt dazu neigen Kritik am Kurs der russischen Fuumlhrung als Stoumlrung der raquodeutsch-russischen Freundschaftlaquo zu betrachten Zeit-weise kam es zu der paradoxen Situation dass kritische Aumluszligerungen zu Menschenrechtsverletzungen in Russland oder zum Vorgehen des Kremls gegenuumlber Georgien aus den Reihen der deutschen Delegation als raquoKalte-Kriegs-Rhetoriklaquo verteufelt wurden Nuumlchtern betrachtet waren die kritischen Stimmen aus der russischen und deutschen Zivilgesell-schaft in den letzten Jahren nur eine geduldete Minderheit die dem Petersburger Dialog den Anschein von Pluralis-mus und offener Diskussion verschaffte Ungeachtet dieser Kritik haben wir uns in der Vergangenheit am Petersburger Dialog beteiligt da wir grundsaumltzlich jedes Dialogpotenzial nutzen wollen und uns von der gemeinsamen Beteiligung mit unseren Partnern aus der russischen Zivilgesellschaft eine politische Absicherung dieser Zusammenarbeit erhofften

Diese ohnehin schwachen Hoffnungen wurden durch die Entwicklungen in diesem Jahr zerstoumlrt Vertreter unab-haumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen die auf der russischen Seite zum Petersburger Dialog eingeladen wer-den sind angesichts der politischen und juristischen Bedrohung der sie ausgesetzt sind in ihrer Entscheidung uumlber ihre Teilnahme nicht mehr frei Wenn sie der Einladung nicht folgen muumlssen sie weitere Repressalien befuumlrchten Uns denen die Freiheit der Entscheidung gegeben ist ist es nicht moumlglich durch Teilnahme am Petersburger Dialog in Sot-schi an der Aufstellung einer Potemkinschen Fassade namens raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo mitzuwirken waumlhrend die kritischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Russland als raquoAgentenlaquo diskreditiert und vielfach drangsaliert werden

Zugleich moumlchten wir unsere Bereitschaft unterstreichen an einer Reform des Petersburger Dialogs in organisa-torischer inhaltlicher und personeller Hinsicht mitzuwirken Eine solche Reform sollte darauf ausgerichtet sein uumlber die Auswahl der Formate Themen und Teilnehmer die tatsaumlchliche Lage der russischen Zivilgesellschaft in den Mit-telpunkt der Diskussion zu ruumlcken und einen offenen Dialog zu ermoumlglichen Wir sind ganz damit einverstanden dass gerade in kritischen Zeiten die Zusammenarbeit zwischen der russischen und deutschen Zivilgesellschaft gestaumlrkt wer-den muss Sofern der Petersburger Dialog in Zukunft dafuumlr ein Forum bietet werden wir uns gern daran beteiligen[Unterzeichner nicht veroumlffentlicht]Quelle Website der Boumlll-Stiftung lthttpwwwboelldede20141013reform-petersburger-dialog-ueberfaelliggt

offener Brief an den Vorsitzenden des Petersburger Dialogs lothar de maiziegravere vom 10 oktober 2014

- Offener Brief -HerrnDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des VorstandsPetersburger Dialog eVSchillerstraszlige 5910627 Berlin

Berlin 10 Oktober 2014Petersburger Dialog 2014 in SotschiSehr geehrter Herr de Maiziegravereals Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher zivilgesellschaftlicher Organisationen die seit der Gruumlndung des Petersburger Dialogs 2001 uumlber viele Jahre hinweg an dieser Veranstaltung teilgenommen haben moumlchten wir Ihnen gegenuumlber folgende Erklaumlrung abgeben

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Wir haben uns entschieden am 14 Petersburger Dialog in Sotschi nicht teilzunehmen der fuumlr den 29ndash31 Okto-ber angekuumlndigt worden ist Fuumlr diese Entscheidung die wir sorgfaumlltig diskutiert und abgewogen haben moumlchten wir drei Gruumlnde anfuumlhren1 Der Petersburger Dialog in seiner jetzigen Form steckt in einer Krise Von Jahr zu Jahr wird er seinem eigenem

Anspruch weniger gerecht Die Veranstaltung soll dem zivilgesellschaftlichen Dialog dienen Tatsaumlchlich sind Struktur Nominierungsverfahren und Programm des Petersburger Dialogs maszliggeblich von Akteuren aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert Unter diesen Voraussetzungen erfuumlllt der Petersburger Dialog leider nicht sein in seiner Satzung formuliertes Ziel ein raquooffenes Diskussionsforumlaquo zu sein das die raquoVerstaumlndigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Laumlnderlaquo foumlrdert Der Petersburger Dialog bedarf dringend einer grundlegenden Reform wie sie auch CDUCSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 eingefordert haben Gerne wuumlrden wir uns aktiv an einem Prozess zur Reformierung des Petersburger Dialogs beteiligen der auf eine pluralistische Zusam-mensetzung beider Lenkungsausschuumlsse und eine deutlich staumlrkere Ausrichtung auf unabhaumlngige zivilgesellschaft-liche Akteure zielt ohne den interdisziplinaumlren Ansatz der Veranstaltung aufzugeben

2 Die Situation in der sich Teile der Zivilgesellschaft in Russland befinden erfuumlllt uns mit groszliger Sorge Das betrifft auch Partnerorganisationen und Personen mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten Diese Organisa-tionen uumlben fuumlr Russland und daruumlber hinaus wichtige gesellschaftliche Funktionen aus Die Behinderung ihrer Arbeit durch buumlrokratische Huumlrden aber auch durch willkuumlrliche rechtliche Restriktionen und politische Diffa-mierung sind inakzeptabel Daruumlber koumlnnen wir nicht zur Tagesordnung uumlbergehen Wir wollen nicht zu Kron-zeugen fuumlr einen vorgeblich freien Austausch werden waumlhrend zugleich die kritische Zivilgesellschaft in Russland massiv und systematisch unter Druck gesetzt wird

3 In Teilen der Ukraine herrscht ein Kriegszustand fuumlr den die russische Fuumlhrung eine maszliggebliche Verantwor-tung traumlgt Wichtige Vertreter dieser Fuumlhrung spielen eine Schluumlsselrolle im Petersburger Dialog einschlieszliglich des fruumlheren Ersten Stellvertretenden Ministerpraumlsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden von Gazprom Wiktor Subkow der der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs ist Vor diesem Hin-tergrund moumlchten wir nicht durch unsere Teilnahme dazu beitragen dass eine Normalitaumlt in den deutsch-russi-schen Beziehungen simuliert wird die es derzeit wegen des Angriffs auf die politische Souveraumlnitaumlt und territo-riale Integritaumlt der Ukraine nicht geben kann

Wir waren und sind weiter sehr an einem offenen Dialog uumlber deutsch-russische Belange in einem gesamteuropaumli-schen Kontext interessiert und halten ihn fuumlr eine Bedingung guter Nachbarschaft und Kooperation Ein solcher Dia-log muss aber auch von beiden Seiten gewollt und ermoumlglicht werden Er darf zugleich nicht zum Nachteil Dritter gefuumlhrt werden Angesichts der aktuellen Lage und der bereits bekannt gewordenen Programmvorschlaumlge fuumlr Sotschi sehen wir auch diese Voraussetzung gefaumlhrdet

Dessen ungeachtet werden wir jede Moumlglichkeit nutzen unsere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Grup-pen und anderen Akteuren in Russland zu vertiefen und dieses Potential in einen bilateralen und europaumlischen Dia-log einzubringenMit freundlichen GruumlszligenRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter Politik Greenpeace eVQuelle lthttpwwwaustauschorgaktuelle-meldungennewsdetailarticle1offener-brie-1htmlno_cache=1ampcHash=0428c5bffdgt

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offener Brief des Vorsitzenden des Petersburger Dialogs vom 13 oktober 2014

AnRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich-Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace eVBerlin 13 Oktober 2014Ihr Schreiben vom 10 Oktober 2014Sehr geehrte Damen und HerrenIhren offenen Brief habe ich erhalten Dass Sie einen Brief aumlhnlichen Inhalts zunaumlchst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Auszligenminister verschickt haben verwundert mich Sie geben damit fuumlr die zivilgesell-schaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung die Sie fuumlr die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren

Ihre Nichtbeteiligung am Petersburger Dialog bedaure ich Denn es entspricht der Uumlberzeugung der meisten Mit-glieder des Vorstandes und des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs dass gerade angesichts zweifellos vorhan-dener Probleme fuumlr die Zivilgesellschaft die Sie teilweise benennen die offensive Auseinandersetzung zu solchen The-men gesucht werden muss Indem man sich solchen Gespraumlchen entzieht schadet man den Interessen der Betroffenen

Sie schreiben der Petersburger Dialog sei im Inneren zu reformieren da er von Vertretern aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert sei Diese Feststellung ist falsch und Sie wissen das Das auch in der Satzung des Petersbur-ger Dialogs beschriebene Konzept des Dialogs beruht auf einem breiten Gedankenaustausch aller gesellschaftlichen Kraumlfte Dazu gehoumlren die Bereiche Kultur Medien Bildung Wissenschaft und Kirchen genauso wie zahlreiche im Bereich der politischen sowie der sozialen Menschenrechte engagierte Einrichtungen die in ihrer Gesamtheit das deutsch-russische Verhaumlltnis beleben

Sie versuchen in Ihrem Brief den Petersburger Dialog auf das enge Feld einiger Vertreter der Zivilgesellschaft zu reduzieren die jenseits der korporierten Zivilgesellschaft angesiedelt sind und deren Interessenspektrum nur einen Teil des gesamten zivilgesellschaftlichen Engagements abdeckt

Ich verkenne nicht die ndash auch aber nicht nur ndash in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu Tage getretenen Probleme sowie die unterschiedlichen Folgen die sich aus einer raquogelenkten Demokratielaquo die in vielem nicht westli-chen Standards entspricht ergeben Dennoch Gemessen an weiten Bereichen der russischen Geschichte ist die Ent-wicklung seit 1991 ein Fortschritt Das daraus resultierende wenn auch im letzten Jahr stark eingetruumlbte Vertrauens-potential muss fuumlr die auf vielen Ebenen notwendigen Gespraumlchsforen genutzt und ausgebaut werden

Derartige Gespraumlche bedingen genauso Realismus wie intellektuelle Disziplin wozu auch gehoumlrt zu verstehen wie Russland die Probleme versteht Dies ndash und nicht Gespraumlchsverweigerung ndash ist die Voraussetzung um auf allen demokratischen gesellschaftlichen Ebenen ndash vom politischen Machtzentrum bis in die Randgruppen hinein ndash pro-blemorientierte Gespraumlche fuumlhren zu koumlnnen Dabei darf keine Seite fuumlr sich in Anspruch nehmen legitimere Inte-ressen zu vertreten als die andere

Das heiszligt Ein Gespraumlch raquoauf Augenhoumlhelaquo nicht von oben herab nicht moralisch belehrend aber mit klaren und ehrlichen Argumenten Dabei duumlrfen wir nicht verschweigen welche gesetzgeberischen aber auch politisch-morali-schen Standards wir fuumlr eine demokratische Gesellschaft im europaumlischen Kontext fuumlr unabdingbar halten

Der Petersburger Dialog wurde aus guten Gruumlnden als deutsch-russische Gemeinschaftseinrichtung konzipiert Da ist eine ndash oft muumlhsame ndash Kompromissfindung unausweichlich Dies ist Teil des Wertes auch der Tiefe aber auch der moralischen Qualitaumlt des Dialogs Das Ringen um kompromissfaumlhige Konzepte muss unser Anliegen bleiben nicht Vorverurteilung und GespraumlchsablehnungMit freundlichem GruszligDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des Vorstands Petersburger Dialog e VQuelle Website des Petersburger Dialogs lthttpwwwpetersburger-dialogcomoffener-brief-vom-13-oktober-2014gt

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offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

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9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

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14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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Die Russland-Analysen werden von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und von Mangold Consulting GmbH unterstuumltzt

Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

Abdruck und sonstige publizistische Nutzung sind nach Ruumlcksprache mit der Redaktion gestattetVerantwortlicher Redakteur Hans-Henning Schroumlder

Recherche Uumlbersetzungen und Sprachredaktion Christoph Laug Hartmut SchroumlderSatz Matthias Neumann

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ISSN 1613-3390 copy 2014 by Forschungsstelle Osteuropa BremenForschungsstelle Osteuropa bull Publikationsreferat bull Klagenfurter Str 3 bull 28359 Bremen bull Telefon +49 421-218-69600 bull Telefax +49 421-218-69607

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

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Die einzelnen Laumlnder-Analysen werden von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und der Deutschen Gesellschaft fuumlr Osteuropakunde jeweils mit unterschiedlichen Partnern und Sponsoren herausgegeben

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                      • Jens Siegert Moskau
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                        • Ein Kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen Engagements zur Unterstuumltzung und Integration von Migranten in Russland
                          • Marina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin
                          • Umfrage
                            • Uumlber die Zivilgesellschaft in Russland
                              • Dokumentation
                                • Luumlgen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des JustizministeriumsErklaumlrung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL
                                  • Notizen aus Moskau
                                    • Petersburger Dialog
                                      • Jens Siegert Moskau
                                      • Dokumentation
                                        • Briefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo
                                          • Chronik
                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 29: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 29

seit Putins Amtsantritt immer wieder uumlber das Land gehenden Repressionswellen bietet1 Was hat sich dieses Jahr geaumlndert Erst einmal nicht

so viel gegenuumlber dem Vorjahr Es war schon immer siehe oben eine schwierige Abwaumlgung ob die Teil-nahme am PD sich lohnt oder nicht vielmehr dazu beitraumlgt so zu tun als gaumlbe es in Russland die unein-geschraumlnkte und ungefaumlhrdete Moumlglichkeit sich zivilgesellschaftlich auch dort zu engagieren wo es dem Staat weh tut Zwei Ereignisse haben nun aber zumindest fuumlr die Autoren des Briefes das Pen-del zur anderen Seite ausschlagen lassen Die Kon-frontation zwischen dem Westen (ich weiszlig um die Bedingtheit des Begriffs verwende in der Kuumlrze hal-ber aber trotzdem) und Russland im Konflikt in der und um die Ukraine ist nicht einfach die Fortset-zung schon laumlnger existierender raquoMeinungsverschie-denheitenlaquo Sie ist tiefer und prinzipieller Es geht eben im Kern nicht in erster Linie um Geopolitik sondern wieder einmal um ich fuumlrchte hier weder den Pathos noch historische Analogien Freiheit und Demokratie in Europa

2 Die Repressionen gegen russische NGOs unsere prinzipiellen Partner in der Verteidigung von Demo-kratie und Freiheit haben mit dem sogenannten raquoNGO-Agentengesetzlaquo eine neue Qualitaumlt erreicht 15 NGOs sind inzwischen zwangsweise zu raquoauslaumln-dischen Agentenlaquo erklaumlrt worden anderen droht die Schlieszligung aufgrund anderer Gesetze Einige von ihnen waren sogar zum nun verschobenen Treffen in Sotschi eingeladen Sie mussten sich Gedanken machen ob eine Zusage oder eine Absage ihnen nicht schaden koumlnnte

Unter diesen Umstaumlnden halten die Verfasser des Brie-fes ihre Teilnahme am PD fuumlr nicht mehr moumlglich Sie fordern keinen Boykott wohl aber ein Nachdenken uumlber eine tiefgreifende Reform

Der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses Lothar de Maiziere hat in einem eigenen offenen Brief geantwortet und den Verfassern vorgeworfen den Dia-log verweigern und politisieren zu wollen Diese (Gegen-)Klage scheint mir angesichts der vielfaumlltigen Verbindun-gen und Dialogformen die die Organisationen hinter den Unterzeichnern des Briefes seit vielen Jahren und oft laumlnger als der PD organisieren an denen sie teil-nehmen und die sie foumlrdern nicht sonderlich stichhal-tig Doch die Auseinandersetzung geht tiefer De Mai-ziere behauptet in seinem Brief der PD mache bereits all das was die Kritiker fordern Genau das bezweifeln diese aber Die Auseinandersetzung geht also und vor allem darum was ein fruchtbarer Dialog zu leisten im Stande sein kann und leisten sollte Sie geht aber auch darum ob dieser Dialog zwischen zwei Gesellschaf-

ten stattfindet nach dem Motto hier die eine dort die andere oder ob sich die Seiten bei diesem Dialog inei-nander verschraumlnken

Die Verfasser des Briefes sind ganz offensichtlich mit ihrer Kritik nicht allein Schon bevor der Brief oumlffent-lich bekannt wurde hatten die Bundestagsabgeordne-ten Andreas Schockenhoff (CDUCSU) und Marieluise Beck (Buumlndnis 90 Die Gruumlnen) in oumlffentlichen Stel-lungnahmen Aumlhnliches gefordert und auch ihre Nicht-Teilnahme erklaumlrt Etwas spaumlter wurde bekannt dass auch der Russland-Beauftragte der Bundesregierung Gernot Erler nicht nach Sotschi fahren wollte Mehr noch Bereits seit dem Fruumlhsommer gab es Gespraumlche zwischen Kanzleramt und Auswaumlrtigem Amt mit dem Ziel den PD sowohl personell als auch strukturell zu reformieren Allerdings setze sich augenscheinlich die Sichtweise des Auswaumlrtigen Amtes durch alles vorerst beim Alten zu belassen da es auch so schon genug Pro-bleme im deutsch-russischen Verhaumlltnis gebe und man diesen Kanal nicht auch noch belasten oder gar gefaumlhr-den solle

Doch zum Herbst hat sich die Situation noch ein-mal veraumlndert Die Hoffnung die russische Fuumlhrung um Praumlsident Putin werde im Krieg in der Ostukraine ein-lenken ist selbst im Auswaumlrtigen Amt bis in die Spitze kaum noch zu finden Im Sommer bekam das russische Justizministerium zudem per erneuter Gesetzesaumlnde-rung das Recht NGOs zwangsweise zu raquoAgentenlaquo zu erklaumlren und macht seither rege Gebrauch davon Eine ganze Reihe russischer NGOs steht vor der Schlieszligung oder loumlst sich auf weil ihnen die vom Gesetz geforderte Selbstetikettierung als raquoauslaumlndische Agentenlaquo ethisch rechtlich und praktisch unmoumlglich ist

Es sieht so aus als haumltten die Verfasser des Briefes nur eine Tuumlr geoumlffnet hinter der andere darunter die Kanzlerin nur darauf gewartet haben durch sie hin-durch gehen zu koumlnnen ohne selbst der Tuumlroumlffnung geziehen zu werden

Ein wenig verwundert die erstaunlich milde russi-sche Reaktion Nach der kurzen Drohung eine Verschie-bung bedeute das Ende des PD lenkte Putin im Telefo-nat mit Merkel ein und fand tags darauf sogar oumlffentlich verstaumlndnisvolle Worte fuumlr die raquoProbleme der deutschen Seitelaquo Das duumlrfte zwei Gruumlnde haben Der eine ist dass trotz des haumlufiger gewordenen Deutschland-Bashings im russischen Staatsfernsehen (mit dem Ergebnis dass in Umfragen Deutschland aus der Kategorie raquoFreundlaquo in die Kategorie raquoFeindlaquo abgerutscht ist) Deutschland im Kreml immer noch als wichtigster raquostrategischerlaquo Part-ner im Westen und vor allem in der EU gilt Zudem ist Deutschland zweifellos ein Land dessen oumlffentliche Meinung (und damit Politik) aus russischer Sicht durch-aus beeinflussbar ist (was z B die kolportierten rund

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140 Millionen US-Dollar zum Aufbau eines deutsch-sprachigen Programms des staatlichen Auslandsfernse-hens raquoRussia Todaylaquo zeigen)

Der andere liegt in einem erneuten Strategiewech-sel (oder weniger ambitioniert Wechsel der Taktik) im Ukraine-Konflikt Die Sanktionen beiszligen inzwi-schen kraumlftig Die Rhetorik wurde daher gemildert Der Kreml ist ganz auf Frieden und dieser Ausdruck aus dem Sport sei erlaubt Ergebnissicherung bedacht (was uumlbrigens Putins grundsaumltzlicher Taktik auch im Inne-ren Russlands entspricht erst hart zuzuschlagen dann eine Schritt zuruumlck zu gehen und einen Kompromiss zu suchen nach dem es fuumlr seine Gegner nachher schlech-ter steht als vorher) Neues Ziel scheint nun also zu sein die raquoErrungenschaftenlaquo Krim (als Teil Russlands) und raquoNeurusslandlaquo (als neuen raquoFrozen Conflictlaquo) zu fixieren und trotzdem mit dem Westen wenn schon nicht gut-freund zu werden so doch zumindest erneut zu einem einigermaszligen vertraumlglichen Modus Vivendi zu gelan-gen Das Gas duumlrfte nach den Mailaumlnder Gespraumlchen

und bei allem Geknurre im Winter stroumlmen und auch im Nahen Osten stellt Moskau weniger Widerspenstig-keit in Aussicht

Was heiszligt das fuumlr die Zukunft des PD Erstmal ist sie offen Zuerst muss sich die deutsche Seite neu ord-nen (hier hat Putin sogar Recht) Nachdem sich Angela Merkel persoumlnlich um eine russische Akzeptanz fuumlr die Verschiebung von Sotschi bemuumlht hat kann ich mir allerdings nicht vorstellen dass es in einigen Wochen oder Monaten ein Zuruumlck zum status quo ante gibt Ob und wie sich ein neu aufgestellter deutscher Lenkungs-ausschuss mit einem neuen Konzept mit der russischen Seite verstaumlndigen kann laumlsst sich momentan kaum voraussagen Es ist zwar einen Versuch wert haumlngt aber wohl sehr von der dann herrschenden politischen Groszlig-wetterlage ab

Diesen und andere Texte finden Sie auf Jens Siegerts Russ-landblog lthttprusslandboellblogorggt

Lesetippbull Poumlrzgen Gemma Dringend reformbeduumlrftig Der Petersburger Dialog auf dem Pruumlfstand in Osteuropa 602010

Nr 10 S 59ndash81

DOkUmENtAtION

Briefwechsel uumlber die zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo

schreiben von nichtregierungsorganisationen und einzelpersonen an die Bundeskanzlerin und den Auszligenminister zum raquoPetersburger Dialoglaquo 2 oktober 2014 [nachtraumlglich veroumlffentlicht]

Berlin 02 Oktober 2014Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerals Personen die sich seit vielen Jahren intensiv im zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland engagieren wenden wir uns mit diesem Schreiben an Sie um zu erlaumlutern warum wir uns in diesem Jahr nicht am Petersburger Dialog beteiligen koumlnnen Zugleich moumlchten wir fuumlr eine Erneuerung des Petersburger Dialogs werben

In Reaktion auf die politische Wende in der Ukraine die durch eine breite gesellschaftliche Protestbewegung hervor-gerufen wurde hat die russische Fuumlhrung voumllkerrechtswidrig die Krim annektiert und einen unerklaumlrten Krieg neuen Typs im Osten der Ukraine begonnen Zugleich betreibt die Regierung unter Praumlsident Putin die systematische Ausschal-tung der letzten unabhaumlngigen Medien in Russland die Kriminalisierung aller Formen politischer Opposition und die Diskreditierung unabhaumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen als raquoauslaumlndische Agentenlaquo Mittlerweile wurden 12 russische Nichtregierungsorganisationen vom russischen Justizministerium zwangsweise auf die Liste raquoauslaumlndischer Agentenlaquo gesetzt und sind daher zukuumlnftig verpflichtet sich bei jeder oumlffentlichen Aumluszligerung wahrheitswidrig selbst als solche zu bezichtigen Zehn dieser Organisationen spielen in der deutschrussischen zivilgesellschaftlichen Zusammen-arbeit seit Jahren eine wichtige Rolle einige von ihnen haben mehrfach am Petersburger Dialog teilgenommen Gegen einige von ihnen sind bereits existenzbedrohende Strafgelder wegen Verstoszliges gegen das sog Agentengesetz verhaumlngt

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worden Es drohen Organisationsschlieszligungen und die Kriminalisierung der Vorstaumlnde Unter diesen inneren und aumluszlige-ren Bedingungen koumlnnen wir uns nicht an einer Neuauflage des Petersburger Dialogs in der bisherigen Form beteiligen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerder seinerzeit von Bundeskanzler Schroumlder und Praumlsident Putin initiierte Petersburger Dialog konnte die ihm zuge-

dachte Aufgabe zu einer Vertiefung und Verbreiterung der gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland beizutragen auch in den vergangenen Jahren nur sehr bedingt erfuumlllen Dies lag vor allem an der starken Naumlhe des Fuumlhrungspersonals auf der russischen Seite zum politischen Machtzentrum im Kreml die von Beginn an den Eindruck einer raquovon obenlaquo inszenierten und kontrollierten Veranstaltung naumlhrte Doch auch auf deutscher Seite wird der Petersburger Dialog bis heute von Personen dominiert die aus politischer und oumlkonomischer Opportunitaumlt dazu neigen Kritik am Kurs der russischen Fuumlhrung als Stoumlrung der raquodeutsch-russischen Freundschaftlaquo zu betrachten Zeit-weise kam es zu der paradoxen Situation dass kritische Aumluszligerungen zu Menschenrechtsverletzungen in Russland oder zum Vorgehen des Kremls gegenuumlber Georgien aus den Reihen der deutschen Delegation als raquoKalte-Kriegs-Rhetoriklaquo verteufelt wurden Nuumlchtern betrachtet waren die kritischen Stimmen aus der russischen und deutschen Zivilgesell-schaft in den letzten Jahren nur eine geduldete Minderheit die dem Petersburger Dialog den Anschein von Pluralis-mus und offener Diskussion verschaffte Ungeachtet dieser Kritik haben wir uns in der Vergangenheit am Petersburger Dialog beteiligt da wir grundsaumltzlich jedes Dialogpotenzial nutzen wollen und uns von der gemeinsamen Beteiligung mit unseren Partnern aus der russischen Zivilgesellschaft eine politische Absicherung dieser Zusammenarbeit erhofften

Diese ohnehin schwachen Hoffnungen wurden durch die Entwicklungen in diesem Jahr zerstoumlrt Vertreter unab-haumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen die auf der russischen Seite zum Petersburger Dialog eingeladen wer-den sind angesichts der politischen und juristischen Bedrohung der sie ausgesetzt sind in ihrer Entscheidung uumlber ihre Teilnahme nicht mehr frei Wenn sie der Einladung nicht folgen muumlssen sie weitere Repressalien befuumlrchten Uns denen die Freiheit der Entscheidung gegeben ist ist es nicht moumlglich durch Teilnahme am Petersburger Dialog in Sot-schi an der Aufstellung einer Potemkinschen Fassade namens raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo mitzuwirken waumlhrend die kritischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Russland als raquoAgentenlaquo diskreditiert und vielfach drangsaliert werden

Zugleich moumlchten wir unsere Bereitschaft unterstreichen an einer Reform des Petersburger Dialogs in organisa-torischer inhaltlicher und personeller Hinsicht mitzuwirken Eine solche Reform sollte darauf ausgerichtet sein uumlber die Auswahl der Formate Themen und Teilnehmer die tatsaumlchliche Lage der russischen Zivilgesellschaft in den Mit-telpunkt der Diskussion zu ruumlcken und einen offenen Dialog zu ermoumlglichen Wir sind ganz damit einverstanden dass gerade in kritischen Zeiten die Zusammenarbeit zwischen der russischen und deutschen Zivilgesellschaft gestaumlrkt wer-den muss Sofern der Petersburger Dialog in Zukunft dafuumlr ein Forum bietet werden wir uns gern daran beteiligen[Unterzeichner nicht veroumlffentlicht]Quelle Website der Boumlll-Stiftung lthttpwwwboelldede20141013reform-petersburger-dialog-ueberfaelliggt

offener Brief an den Vorsitzenden des Petersburger Dialogs lothar de maiziegravere vom 10 oktober 2014

- Offener Brief -HerrnDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des VorstandsPetersburger Dialog eVSchillerstraszlige 5910627 Berlin

Berlin 10 Oktober 2014Petersburger Dialog 2014 in SotschiSehr geehrter Herr de Maiziegravereals Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher zivilgesellschaftlicher Organisationen die seit der Gruumlndung des Petersburger Dialogs 2001 uumlber viele Jahre hinweg an dieser Veranstaltung teilgenommen haben moumlchten wir Ihnen gegenuumlber folgende Erklaumlrung abgeben

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Wir haben uns entschieden am 14 Petersburger Dialog in Sotschi nicht teilzunehmen der fuumlr den 29ndash31 Okto-ber angekuumlndigt worden ist Fuumlr diese Entscheidung die wir sorgfaumlltig diskutiert und abgewogen haben moumlchten wir drei Gruumlnde anfuumlhren1 Der Petersburger Dialog in seiner jetzigen Form steckt in einer Krise Von Jahr zu Jahr wird er seinem eigenem

Anspruch weniger gerecht Die Veranstaltung soll dem zivilgesellschaftlichen Dialog dienen Tatsaumlchlich sind Struktur Nominierungsverfahren und Programm des Petersburger Dialogs maszliggeblich von Akteuren aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert Unter diesen Voraussetzungen erfuumlllt der Petersburger Dialog leider nicht sein in seiner Satzung formuliertes Ziel ein raquooffenes Diskussionsforumlaquo zu sein das die raquoVerstaumlndigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Laumlnderlaquo foumlrdert Der Petersburger Dialog bedarf dringend einer grundlegenden Reform wie sie auch CDUCSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 eingefordert haben Gerne wuumlrden wir uns aktiv an einem Prozess zur Reformierung des Petersburger Dialogs beteiligen der auf eine pluralistische Zusam-mensetzung beider Lenkungsausschuumlsse und eine deutlich staumlrkere Ausrichtung auf unabhaumlngige zivilgesellschaft-liche Akteure zielt ohne den interdisziplinaumlren Ansatz der Veranstaltung aufzugeben

2 Die Situation in der sich Teile der Zivilgesellschaft in Russland befinden erfuumlllt uns mit groszliger Sorge Das betrifft auch Partnerorganisationen und Personen mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten Diese Organisa-tionen uumlben fuumlr Russland und daruumlber hinaus wichtige gesellschaftliche Funktionen aus Die Behinderung ihrer Arbeit durch buumlrokratische Huumlrden aber auch durch willkuumlrliche rechtliche Restriktionen und politische Diffa-mierung sind inakzeptabel Daruumlber koumlnnen wir nicht zur Tagesordnung uumlbergehen Wir wollen nicht zu Kron-zeugen fuumlr einen vorgeblich freien Austausch werden waumlhrend zugleich die kritische Zivilgesellschaft in Russland massiv und systematisch unter Druck gesetzt wird

3 In Teilen der Ukraine herrscht ein Kriegszustand fuumlr den die russische Fuumlhrung eine maszliggebliche Verantwor-tung traumlgt Wichtige Vertreter dieser Fuumlhrung spielen eine Schluumlsselrolle im Petersburger Dialog einschlieszliglich des fruumlheren Ersten Stellvertretenden Ministerpraumlsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden von Gazprom Wiktor Subkow der der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs ist Vor diesem Hin-tergrund moumlchten wir nicht durch unsere Teilnahme dazu beitragen dass eine Normalitaumlt in den deutsch-russi-schen Beziehungen simuliert wird die es derzeit wegen des Angriffs auf die politische Souveraumlnitaumlt und territo-riale Integritaumlt der Ukraine nicht geben kann

Wir waren und sind weiter sehr an einem offenen Dialog uumlber deutsch-russische Belange in einem gesamteuropaumli-schen Kontext interessiert und halten ihn fuumlr eine Bedingung guter Nachbarschaft und Kooperation Ein solcher Dia-log muss aber auch von beiden Seiten gewollt und ermoumlglicht werden Er darf zugleich nicht zum Nachteil Dritter gefuumlhrt werden Angesichts der aktuellen Lage und der bereits bekannt gewordenen Programmvorschlaumlge fuumlr Sotschi sehen wir auch diese Voraussetzung gefaumlhrdet

Dessen ungeachtet werden wir jede Moumlglichkeit nutzen unsere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Grup-pen und anderen Akteuren in Russland zu vertiefen und dieses Potential in einen bilateralen und europaumlischen Dia-log einzubringenMit freundlichen GruumlszligenRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter Politik Greenpeace eVQuelle lthttpwwwaustauschorgaktuelle-meldungennewsdetailarticle1offener-brie-1htmlno_cache=1ampcHash=0428c5bffdgt

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offener Brief des Vorsitzenden des Petersburger Dialogs vom 13 oktober 2014

AnRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich-Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace eVBerlin 13 Oktober 2014Ihr Schreiben vom 10 Oktober 2014Sehr geehrte Damen und HerrenIhren offenen Brief habe ich erhalten Dass Sie einen Brief aumlhnlichen Inhalts zunaumlchst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Auszligenminister verschickt haben verwundert mich Sie geben damit fuumlr die zivilgesell-schaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung die Sie fuumlr die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren

Ihre Nichtbeteiligung am Petersburger Dialog bedaure ich Denn es entspricht der Uumlberzeugung der meisten Mit-glieder des Vorstandes und des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs dass gerade angesichts zweifellos vorhan-dener Probleme fuumlr die Zivilgesellschaft die Sie teilweise benennen die offensive Auseinandersetzung zu solchen The-men gesucht werden muss Indem man sich solchen Gespraumlchen entzieht schadet man den Interessen der Betroffenen

Sie schreiben der Petersburger Dialog sei im Inneren zu reformieren da er von Vertretern aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert sei Diese Feststellung ist falsch und Sie wissen das Das auch in der Satzung des Petersbur-ger Dialogs beschriebene Konzept des Dialogs beruht auf einem breiten Gedankenaustausch aller gesellschaftlichen Kraumlfte Dazu gehoumlren die Bereiche Kultur Medien Bildung Wissenschaft und Kirchen genauso wie zahlreiche im Bereich der politischen sowie der sozialen Menschenrechte engagierte Einrichtungen die in ihrer Gesamtheit das deutsch-russische Verhaumlltnis beleben

Sie versuchen in Ihrem Brief den Petersburger Dialog auf das enge Feld einiger Vertreter der Zivilgesellschaft zu reduzieren die jenseits der korporierten Zivilgesellschaft angesiedelt sind und deren Interessenspektrum nur einen Teil des gesamten zivilgesellschaftlichen Engagements abdeckt

Ich verkenne nicht die ndash auch aber nicht nur ndash in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu Tage getretenen Probleme sowie die unterschiedlichen Folgen die sich aus einer raquogelenkten Demokratielaquo die in vielem nicht westli-chen Standards entspricht ergeben Dennoch Gemessen an weiten Bereichen der russischen Geschichte ist die Ent-wicklung seit 1991 ein Fortschritt Das daraus resultierende wenn auch im letzten Jahr stark eingetruumlbte Vertrauens-potential muss fuumlr die auf vielen Ebenen notwendigen Gespraumlchsforen genutzt und ausgebaut werden

Derartige Gespraumlche bedingen genauso Realismus wie intellektuelle Disziplin wozu auch gehoumlrt zu verstehen wie Russland die Probleme versteht Dies ndash und nicht Gespraumlchsverweigerung ndash ist die Voraussetzung um auf allen demokratischen gesellschaftlichen Ebenen ndash vom politischen Machtzentrum bis in die Randgruppen hinein ndash pro-blemorientierte Gespraumlche fuumlhren zu koumlnnen Dabei darf keine Seite fuumlr sich in Anspruch nehmen legitimere Inte-ressen zu vertreten als die andere

Das heiszligt Ein Gespraumlch raquoauf Augenhoumlhelaquo nicht von oben herab nicht moralisch belehrend aber mit klaren und ehrlichen Argumenten Dabei duumlrfen wir nicht verschweigen welche gesetzgeberischen aber auch politisch-morali-schen Standards wir fuumlr eine demokratische Gesellschaft im europaumlischen Kontext fuumlr unabdingbar halten

Der Petersburger Dialog wurde aus guten Gruumlnden als deutsch-russische Gemeinschaftseinrichtung konzipiert Da ist eine ndash oft muumlhsame ndash Kompromissfindung unausweichlich Dies ist Teil des Wertes auch der Tiefe aber auch der moralischen Qualitaumlt des Dialogs Das Ringen um kompromissfaumlhige Konzepte muss unser Anliegen bleiben nicht Vorverurteilung und GespraumlchsablehnungMit freundlichem GruszligDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des Vorstands Petersburger Dialog e VQuelle Website des Petersburger Dialogs lthttpwwwpetersburger-dialogcomoffener-brief-vom-13-oktober-2014gt

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offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

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9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

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14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

Abdruck und sonstige publizistische Nutzung sind nach Ruumlcksprache mit der Redaktion gestattetVerantwortlicher Redakteur Hans-Henning Schroumlder

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

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Die Laumlnder-Analysen bieten regelmaumlszligig kompetente Einschaumltzungen aktueller politischer wirtschaftlicher sozialer und kultureller Entwicklungen in Ostmitteleuropa und der GUS Sie machen das Wissen uumlber das die wissenschaft-liche Forschung in reichem Maszlige verfuumlgt fuumlr Politik Wirtschaft Medien und die interessierte Oumlffentlichkeit ver-fuumlgbar Autoren sind internationale Fachwissenschaftler und Experten

Die einzelnen Laumlnder-Analysen werden von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und der Deutschen Gesellschaft fuumlr Osteuropakunde jeweils mit unterschiedlichen Partnern und Sponsoren herausgegeben

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  • Analyse
    • Eine neue Phase der Russland- und Ostpolitik hat begonnen
      • Karsten D Voigt Berlin
      • Umfrage
        • Die Russland-Ukraine-Krise in russischen Umfragen
          • Aus russischen Blogs
            • Nawalnyj Krim nasch
              • Analyse
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                          • Marina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin
                          • Umfrage
                            • Uumlber die Zivilgesellschaft in Russland
                              • Dokumentation
                                • Luumlgen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des JustizministeriumsErklaumlrung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL
                                  • Notizen aus Moskau
                                    • Petersburger Dialog
                                      • Jens Siegert Moskau
                                      • Dokumentation
                                        • Briefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo
                                          • Chronik
                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 30: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

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140 Millionen US-Dollar zum Aufbau eines deutsch-sprachigen Programms des staatlichen Auslandsfernse-hens raquoRussia Todaylaquo zeigen)

Der andere liegt in einem erneuten Strategiewech-sel (oder weniger ambitioniert Wechsel der Taktik) im Ukraine-Konflikt Die Sanktionen beiszligen inzwi-schen kraumlftig Die Rhetorik wurde daher gemildert Der Kreml ist ganz auf Frieden und dieser Ausdruck aus dem Sport sei erlaubt Ergebnissicherung bedacht (was uumlbrigens Putins grundsaumltzlicher Taktik auch im Inne-ren Russlands entspricht erst hart zuzuschlagen dann eine Schritt zuruumlck zu gehen und einen Kompromiss zu suchen nach dem es fuumlr seine Gegner nachher schlech-ter steht als vorher) Neues Ziel scheint nun also zu sein die raquoErrungenschaftenlaquo Krim (als Teil Russlands) und raquoNeurusslandlaquo (als neuen raquoFrozen Conflictlaquo) zu fixieren und trotzdem mit dem Westen wenn schon nicht gut-freund zu werden so doch zumindest erneut zu einem einigermaszligen vertraumlglichen Modus Vivendi zu gelan-gen Das Gas duumlrfte nach den Mailaumlnder Gespraumlchen

und bei allem Geknurre im Winter stroumlmen und auch im Nahen Osten stellt Moskau weniger Widerspenstig-keit in Aussicht

Was heiszligt das fuumlr die Zukunft des PD Erstmal ist sie offen Zuerst muss sich die deutsche Seite neu ord-nen (hier hat Putin sogar Recht) Nachdem sich Angela Merkel persoumlnlich um eine russische Akzeptanz fuumlr die Verschiebung von Sotschi bemuumlht hat kann ich mir allerdings nicht vorstellen dass es in einigen Wochen oder Monaten ein Zuruumlck zum status quo ante gibt Ob und wie sich ein neu aufgestellter deutscher Lenkungs-ausschuss mit einem neuen Konzept mit der russischen Seite verstaumlndigen kann laumlsst sich momentan kaum voraussagen Es ist zwar einen Versuch wert haumlngt aber wohl sehr von der dann herrschenden politischen Groszlig-wetterlage ab

Diesen und andere Texte finden Sie auf Jens Siegerts Russ-landblog lthttprusslandboellblogorggt

Lesetippbull Poumlrzgen Gemma Dringend reformbeduumlrftig Der Petersburger Dialog auf dem Pruumlfstand in Osteuropa 602010

Nr 10 S 59ndash81

DOkUmENtAtION

Briefwechsel uumlber die zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo

schreiben von nichtregierungsorganisationen und einzelpersonen an die Bundeskanzlerin und den Auszligenminister zum raquoPetersburger Dialoglaquo 2 oktober 2014 [nachtraumlglich veroumlffentlicht]

Berlin 02 Oktober 2014Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerals Personen die sich seit vielen Jahren intensiv im zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland engagieren wenden wir uns mit diesem Schreiben an Sie um zu erlaumlutern warum wir uns in diesem Jahr nicht am Petersburger Dialog beteiligen koumlnnen Zugleich moumlchten wir fuumlr eine Erneuerung des Petersburger Dialogs werben

In Reaktion auf die politische Wende in der Ukraine die durch eine breite gesellschaftliche Protestbewegung hervor-gerufen wurde hat die russische Fuumlhrung voumllkerrechtswidrig die Krim annektiert und einen unerklaumlrten Krieg neuen Typs im Osten der Ukraine begonnen Zugleich betreibt die Regierung unter Praumlsident Putin die systematische Ausschal-tung der letzten unabhaumlngigen Medien in Russland die Kriminalisierung aller Formen politischer Opposition und die Diskreditierung unabhaumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen als raquoauslaumlndische Agentenlaquo Mittlerweile wurden 12 russische Nichtregierungsorganisationen vom russischen Justizministerium zwangsweise auf die Liste raquoauslaumlndischer Agentenlaquo gesetzt und sind daher zukuumlnftig verpflichtet sich bei jeder oumlffentlichen Aumluszligerung wahrheitswidrig selbst als solche zu bezichtigen Zehn dieser Organisationen spielen in der deutschrussischen zivilgesellschaftlichen Zusammen-arbeit seit Jahren eine wichtige Rolle einige von ihnen haben mehrfach am Petersburger Dialog teilgenommen Gegen einige von ihnen sind bereits existenzbedrohende Strafgelder wegen Verstoszliges gegen das sog Agentengesetz verhaumlngt

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worden Es drohen Organisationsschlieszligungen und die Kriminalisierung der Vorstaumlnde Unter diesen inneren und aumluszlige-ren Bedingungen koumlnnen wir uns nicht an einer Neuauflage des Petersburger Dialogs in der bisherigen Form beteiligen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerder seinerzeit von Bundeskanzler Schroumlder und Praumlsident Putin initiierte Petersburger Dialog konnte die ihm zuge-

dachte Aufgabe zu einer Vertiefung und Verbreiterung der gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland beizutragen auch in den vergangenen Jahren nur sehr bedingt erfuumlllen Dies lag vor allem an der starken Naumlhe des Fuumlhrungspersonals auf der russischen Seite zum politischen Machtzentrum im Kreml die von Beginn an den Eindruck einer raquovon obenlaquo inszenierten und kontrollierten Veranstaltung naumlhrte Doch auch auf deutscher Seite wird der Petersburger Dialog bis heute von Personen dominiert die aus politischer und oumlkonomischer Opportunitaumlt dazu neigen Kritik am Kurs der russischen Fuumlhrung als Stoumlrung der raquodeutsch-russischen Freundschaftlaquo zu betrachten Zeit-weise kam es zu der paradoxen Situation dass kritische Aumluszligerungen zu Menschenrechtsverletzungen in Russland oder zum Vorgehen des Kremls gegenuumlber Georgien aus den Reihen der deutschen Delegation als raquoKalte-Kriegs-Rhetoriklaquo verteufelt wurden Nuumlchtern betrachtet waren die kritischen Stimmen aus der russischen und deutschen Zivilgesell-schaft in den letzten Jahren nur eine geduldete Minderheit die dem Petersburger Dialog den Anschein von Pluralis-mus und offener Diskussion verschaffte Ungeachtet dieser Kritik haben wir uns in der Vergangenheit am Petersburger Dialog beteiligt da wir grundsaumltzlich jedes Dialogpotenzial nutzen wollen und uns von der gemeinsamen Beteiligung mit unseren Partnern aus der russischen Zivilgesellschaft eine politische Absicherung dieser Zusammenarbeit erhofften

Diese ohnehin schwachen Hoffnungen wurden durch die Entwicklungen in diesem Jahr zerstoumlrt Vertreter unab-haumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen die auf der russischen Seite zum Petersburger Dialog eingeladen wer-den sind angesichts der politischen und juristischen Bedrohung der sie ausgesetzt sind in ihrer Entscheidung uumlber ihre Teilnahme nicht mehr frei Wenn sie der Einladung nicht folgen muumlssen sie weitere Repressalien befuumlrchten Uns denen die Freiheit der Entscheidung gegeben ist ist es nicht moumlglich durch Teilnahme am Petersburger Dialog in Sot-schi an der Aufstellung einer Potemkinschen Fassade namens raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo mitzuwirken waumlhrend die kritischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Russland als raquoAgentenlaquo diskreditiert und vielfach drangsaliert werden

Zugleich moumlchten wir unsere Bereitschaft unterstreichen an einer Reform des Petersburger Dialogs in organisa-torischer inhaltlicher und personeller Hinsicht mitzuwirken Eine solche Reform sollte darauf ausgerichtet sein uumlber die Auswahl der Formate Themen und Teilnehmer die tatsaumlchliche Lage der russischen Zivilgesellschaft in den Mit-telpunkt der Diskussion zu ruumlcken und einen offenen Dialog zu ermoumlglichen Wir sind ganz damit einverstanden dass gerade in kritischen Zeiten die Zusammenarbeit zwischen der russischen und deutschen Zivilgesellschaft gestaumlrkt wer-den muss Sofern der Petersburger Dialog in Zukunft dafuumlr ein Forum bietet werden wir uns gern daran beteiligen[Unterzeichner nicht veroumlffentlicht]Quelle Website der Boumlll-Stiftung lthttpwwwboelldede20141013reform-petersburger-dialog-ueberfaelliggt

offener Brief an den Vorsitzenden des Petersburger Dialogs lothar de maiziegravere vom 10 oktober 2014

- Offener Brief -HerrnDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des VorstandsPetersburger Dialog eVSchillerstraszlige 5910627 Berlin

Berlin 10 Oktober 2014Petersburger Dialog 2014 in SotschiSehr geehrter Herr de Maiziegravereals Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher zivilgesellschaftlicher Organisationen die seit der Gruumlndung des Petersburger Dialogs 2001 uumlber viele Jahre hinweg an dieser Veranstaltung teilgenommen haben moumlchten wir Ihnen gegenuumlber folgende Erklaumlrung abgeben

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Wir haben uns entschieden am 14 Petersburger Dialog in Sotschi nicht teilzunehmen der fuumlr den 29ndash31 Okto-ber angekuumlndigt worden ist Fuumlr diese Entscheidung die wir sorgfaumlltig diskutiert und abgewogen haben moumlchten wir drei Gruumlnde anfuumlhren1 Der Petersburger Dialog in seiner jetzigen Form steckt in einer Krise Von Jahr zu Jahr wird er seinem eigenem

Anspruch weniger gerecht Die Veranstaltung soll dem zivilgesellschaftlichen Dialog dienen Tatsaumlchlich sind Struktur Nominierungsverfahren und Programm des Petersburger Dialogs maszliggeblich von Akteuren aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert Unter diesen Voraussetzungen erfuumlllt der Petersburger Dialog leider nicht sein in seiner Satzung formuliertes Ziel ein raquooffenes Diskussionsforumlaquo zu sein das die raquoVerstaumlndigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Laumlnderlaquo foumlrdert Der Petersburger Dialog bedarf dringend einer grundlegenden Reform wie sie auch CDUCSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 eingefordert haben Gerne wuumlrden wir uns aktiv an einem Prozess zur Reformierung des Petersburger Dialogs beteiligen der auf eine pluralistische Zusam-mensetzung beider Lenkungsausschuumlsse und eine deutlich staumlrkere Ausrichtung auf unabhaumlngige zivilgesellschaft-liche Akteure zielt ohne den interdisziplinaumlren Ansatz der Veranstaltung aufzugeben

2 Die Situation in der sich Teile der Zivilgesellschaft in Russland befinden erfuumlllt uns mit groszliger Sorge Das betrifft auch Partnerorganisationen und Personen mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten Diese Organisa-tionen uumlben fuumlr Russland und daruumlber hinaus wichtige gesellschaftliche Funktionen aus Die Behinderung ihrer Arbeit durch buumlrokratische Huumlrden aber auch durch willkuumlrliche rechtliche Restriktionen und politische Diffa-mierung sind inakzeptabel Daruumlber koumlnnen wir nicht zur Tagesordnung uumlbergehen Wir wollen nicht zu Kron-zeugen fuumlr einen vorgeblich freien Austausch werden waumlhrend zugleich die kritische Zivilgesellschaft in Russland massiv und systematisch unter Druck gesetzt wird

3 In Teilen der Ukraine herrscht ein Kriegszustand fuumlr den die russische Fuumlhrung eine maszliggebliche Verantwor-tung traumlgt Wichtige Vertreter dieser Fuumlhrung spielen eine Schluumlsselrolle im Petersburger Dialog einschlieszliglich des fruumlheren Ersten Stellvertretenden Ministerpraumlsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden von Gazprom Wiktor Subkow der der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs ist Vor diesem Hin-tergrund moumlchten wir nicht durch unsere Teilnahme dazu beitragen dass eine Normalitaumlt in den deutsch-russi-schen Beziehungen simuliert wird die es derzeit wegen des Angriffs auf die politische Souveraumlnitaumlt und territo-riale Integritaumlt der Ukraine nicht geben kann

Wir waren und sind weiter sehr an einem offenen Dialog uumlber deutsch-russische Belange in einem gesamteuropaumli-schen Kontext interessiert und halten ihn fuumlr eine Bedingung guter Nachbarschaft und Kooperation Ein solcher Dia-log muss aber auch von beiden Seiten gewollt und ermoumlglicht werden Er darf zugleich nicht zum Nachteil Dritter gefuumlhrt werden Angesichts der aktuellen Lage und der bereits bekannt gewordenen Programmvorschlaumlge fuumlr Sotschi sehen wir auch diese Voraussetzung gefaumlhrdet

Dessen ungeachtet werden wir jede Moumlglichkeit nutzen unsere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Grup-pen und anderen Akteuren in Russland zu vertiefen und dieses Potential in einen bilateralen und europaumlischen Dia-log einzubringenMit freundlichen GruumlszligenRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter Politik Greenpeace eVQuelle lthttpwwwaustauschorgaktuelle-meldungennewsdetailarticle1offener-brie-1htmlno_cache=1ampcHash=0428c5bffdgt

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offener Brief des Vorsitzenden des Petersburger Dialogs vom 13 oktober 2014

AnRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich-Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace eVBerlin 13 Oktober 2014Ihr Schreiben vom 10 Oktober 2014Sehr geehrte Damen und HerrenIhren offenen Brief habe ich erhalten Dass Sie einen Brief aumlhnlichen Inhalts zunaumlchst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Auszligenminister verschickt haben verwundert mich Sie geben damit fuumlr die zivilgesell-schaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung die Sie fuumlr die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren

Ihre Nichtbeteiligung am Petersburger Dialog bedaure ich Denn es entspricht der Uumlberzeugung der meisten Mit-glieder des Vorstandes und des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs dass gerade angesichts zweifellos vorhan-dener Probleme fuumlr die Zivilgesellschaft die Sie teilweise benennen die offensive Auseinandersetzung zu solchen The-men gesucht werden muss Indem man sich solchen Gespraumlchen entzieht schadet man den Interessen der Betroffenen

Sie schreiben der Petersburger Dialog sei im Inneren zu reformieren da er von Vertretern aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert sei Diese Feststellung ist falsch und Sie wissen das Das auch in der Satzung des Petersbur-ger Dialogs beschriebene Konzept des Dialogs beruht auf einem breiten Gedankenaustausch aller gesellschaftlichen Kraumlfte Dazu gehoumlren die Bereiche Kultur Medien Bildung Wissenschaft und Kirchen genauso wie zahlreiche im Bereich der politischen sowie der sozialen Menschenrechte engagierte Einrichtungen die in ihrer Gesamtheit das deutsch-russische Verhaumlltnis beleben

Sie versuchen in Ihrem Brief den Petersburger Dialog auf das enge Feld einiger Vertreter der Zivilgesellschaft zu reduzieren die jenseits der korporierten Zivilgesellschaft angesiedelt sind und deren Interessenspektrum nur einen Teil des gesamten zivilgesellschaftlichen Engagements abdeckt

Ich verkenne nicht die ndash auch aber nicht nur ndash in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu Tage getretenen Probleme sowie die unterschiedlichen Folgen die sich aus einer raquogelenkten Demokratielaquo die in vielem nicht westli-chen Standards entspricht ergeben Dennoch Gemessen an weiten Bereichen der russischen Geschichte ist die Ent-wicklung seit 1991 ein Fortschritt Das daraus resultierende wenn auch im letzten Jahr stark eingetruumlbte Vertrauens-potential muss fuumlr die auf vielen Ebenen notwendigen Gespraumlchsforen genutzt und ausgebaut werden

Derartige Gespraumlche bedingen genauso Realismus wie intellektuelle Disziplin wozu auch gehoumlrt zu verstehen wie Russland die Probleme versteht Dies ndash und nicht Gespraumlchsverweigerung ndash ist die Voraussetzung um auf allen demokratischen gesellschaftlichen Ebenen ndash vom politischen Machtzentrum bis in die Randgruppen hinein ndash pro-blemorientierte Gespraumlche fuumlhren zu koumlnnen Dabei darf keine Seite fuumlr sich in Anspruch nehmen legitimere Inte-ressen zu vertreten als die andere

Das heiszligt Ein Gespraumlch raquoauf Augenhoumlhelaquo nicht von oben herab nicht moralisch belehrend aber mit klaren und ehrlichen Argumenten Dabei duumlrfen wir nicht verschweigen welche gesetzgeberischen aber auch politisch-morali-schen Standards wir fuumlr eine demokratische Gesellschaft im europaumlischen Kontext fuumlr unabdingbar halten

Der Petersburger Dialog wurde aus guten Gruumlnden als deutsch-russische Gemeinschaftseinrichtung konzipiert Da ist eine ndash oft muumlhsame ndash Kompromissfindung unausweichlich Dies ist Teil des Wertes auch der Tiefe aber auch der moralischen Qualitaumlt des Dialogs Das Ringen um kompromissfaumlhige Konzepte muss unser Anliegen bleiben nicht Vorverurteilung und GespraumlchsablehnungMit freundlichem GruszligDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des Vorstands Petersburger Dialog e VQuelle Website des Petersburger Dialogs lthttpwwwpetersburger-dialogcomoffener-brief-vom-13-oktober-2014gt

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offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

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9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

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14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

Abdruck und sonstige publizistische Nutzung sind nach Ruumlcksprache mit der Redaktion gestattetVerantwortlicher Redakteur Hans-Henning Schroumlder

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

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                          • Marina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin
                          • Umfrage
                            • Uumlber die Zivilgesellschaft in Russland
                              • Dokumentation
                                • Luumlgen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des JustizministeriumsErklaumlrung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL
                                  • Notizen aus Moskau
                                    • Petersburger Dialog
                                      • Jens Siegert Moskau
                                      • Dokumentation
                                        • Briefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo
                                          • Chronik
                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 31: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

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worden Es drohen Organisationsschlieszligungen und die Kriminalisierung der Vorstaumlnde Unter diesen inneren und aumluszlige-ren Bedingungen koumlnnen wir uns nicht an einer Neuauflage des Petersburger Dialogs in der bisherigen Form beteiligen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Auszligenministerder seinerzeit von Bundeskanzler Schroumlder und Praumlsident Putin initiierte Petersburger Dialog konnte die ihm zuge-

dachte Aufgabe zu einer Vertiefung und Verbreiterung der gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland beizutragen auch in den vergangenen Jahren nur sehr bedingt erfuumlllen Dies lag vor allem an der starken Naumlhe des Fuumlhrungspersonals auf der russischen Seite zum politischen Machtzentrum im Kreml die von Beginn an den Eindruck einer raquovon obenlaquo inszenierten und kontrollierten Veranstaltung naumlhrte Doch auch auf deutscher Seite wird der Petersburger Dialog bis heute von Personen dominiert die aus politischer und oumlkonomischer Opportunitaumlt dazu neigen Kritik am Kurs der russischen Fuumlhrung als Stoumlrung der raquodeutsch-russischen Freundschaftlaquo zu betrachten Zeit-weise kam es zu der paradoxen Situation dass kritische Aumluszligerungen zu Menschenrechtsverletzungen in Russland oder zum Vorgehen des Kremls gegenuumlber Georgien aus den Reihen der deutschen Delegation als raquoKalte-Kriegs-Rhetoriklaquo verteufelt wurden Nuumlchtern betrachtet waren die kritischen Stimmen aus der russischen und deutschen Zivilgesell-schaft in den letzten Jahren nur eine geduldete Minderheit die dem Petersburger Dialog den Anschein von Pluralis-mus und offener Diskussion verschaffte Ungeachtet dieser Kritik haben wir uns in der Vergangenheit am Petersburger Dialog beteiligt da wir grundsaumltzlich jedes Dialogpotenzial nutzen wollen und uns von der gemeinsamen Beteiligung mit unseren Partnern aus der russischen Zivilgesellschaft eine politische Absicherung dieser Zusammenarbeit erhofften

Diese ohnehin schwachen Hoffnungen wurden durch die Entwicklungen in diesem Jahr zerstoumlrt Vertreter unab-haumlngiger zivilgesellschaftlicher Organisationen die auf der russischen Seite zum Petersburger Dialog eingeladen wer-den sind angesichts der politischen und juristischen Bedrohung der sie ausgesetzt sind in ihrer Entscheidung uumlber ihre Teilnahme nicht mehr frei Wenn sie der Einladung nicht folgen muumlssen sie weitere Repressalien befuumlrchten Uns denen die Freiheit der Entscheidung gegeben ist ist es nicht moumlglich durch Teilnahme am Petersburger Dialog in Sot-schi an der Aufstellung einer Potemkinschen Fassade namens raquoDialog der Zivilgesellschaftenlaquo mitzuwirken waumlhrend die kritischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Russland als raquoAgentenlaquo diskreditiert und vielfach drangsaliert werden

Zugleich moumlchten wir unsere Bereitschaft unterstreichen an einer Reform des Petersburger Dialogs in organisa-torischer inhaltlicher und personeller Hinsicht mitzuwirken Eine solche Reform sollte darauf ausgerichtet sein uumlber die Auswahl der Formate Themen und Teilnehmer die tatsaumlchliche Lage der russischen Zivilgesellschaft in den Mit-telpunkt der Diskussion zu ruumlcken und einen offenen Dialog zu ermoumlglichen Wir sind ganz damit einverstanden dass gerade in kritischen Zeiten die Zusammenarbeit zwischen der russischen und deutschen Zivilgesellschaft gestaumlrkt wer-den muss Sofern der Petersburger Dialog in Zukunft dafuumlr ein Forum bietet werden wir uns gern daran beteiligen[Unterzeichner nicht veroumlffentlicht]Quelle Website der Boumlll-Stiftung lthttpwwwboelldede20141013reform-petersburger-dialog-ueberfaelliggt

offener Brief an den Vorsitzenden des Petersburger Dialogs lothar de maiziegravere vom 10 oktober 2014

- Offener Brief -HerrnDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des VorstandsPetersburger Dialog eVSchillerstraszlige 5910627 Berlin

Berlin 10 Oktober 2014Petersburger Dialog 2014 in SotschiSehr geehrter Herr de Maiziegravereals Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher zivilgesellschaftlicher Organisationen die seit der Gruumlndung des Petersburger Dialogs 2001 uumlber viele Jahre hinweg an dieser Veranstaltung teilgenommen haben moumlchten wir Ihnen gegenuumlber folgende Erklaumlrung abgeben

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Wir haben uns entschieden am 14 Petersburger Dialog in Sotschi nicht teilzunehmen der fuumlr den 29ndash31 Okto-ber angekuumlndigt worden ist Fuumlr diese Entscheidung die wir sorgfaumlltig diskutiert und abgewogen haben moumlchten wir drei Gruumlnde anfuumlhren1 Der Petersburger Dialog in seiner jetzigen Form steckt in einer Krise Von Jahr zu Jahr wird er seinem eigenem

Anspruch weniger gerecht Die Veranstaltung soll dem zivilgesellschaftlichen Dialog dienen Tatsaumlchlich sind Struktur Nominierungsverfahren und Programm des Petersburger Dialogs maszliggeblich von Akteuren aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert Unter diesen Voraussetzungen erfuumlllt der Petersburger Dialog leider nicht sein in seiner Satzung formuliertes Ziel ein raquooffenes Diskussionsforumlaquo zu sein das die raquoVerstaumlndigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Laumlnderlaquo foumlrdert Der Petersburger Dialog bedarf dringend einer grundlegenden Reform wie sie auch CDUCSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 eingefordert haben Gerne wuumlrden wir uns aktiv an einem Prozess zur Reformierung des Petersburger Dialogs beteiligen der auf eine pluralistische Zusam-mensetzung beider Lenkungsausschuumlsse und eine deutlich staumlrkere Ausrichtung auf unabhaumlngige zivilgesellschaft-liche Akteure zielt ohne den interdisziplinaumlren Ansatz der Veranstaltung aufzugeben

2 Die Situation in der sich Teile der Zivilgesellschaft in Russland befinden erfuumlllt uns mit groszliger Sorge Das betrifft auch Partnerorganisationen und Personen mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten Diese Organisa-tionen uumlben fuumlr Russland und daruumlber hinaus wichtige gesellschaftliche Funktionen aus Die Behinderung ihrer Arbeit durch buumlrokratische Huumlrden aber auch durch willkuumlrliche rechtliche Restriktionen und politische Diffa-mierung sind inakzeptabel Daruumlber koumlnnen wir nicht zur Tagesordnung uumlbergehen Wir wollen nicht zu Kron-zeugen fuumlr einen vorgeblich freien Austausch werden waumlhrend zugleich die kritische Zivilgesellschaft in Russland massiv und systematisch unter Druck gesetzt wird

3 In Teilen der Ukraine herrscht ein Kriegszustand fuumlr den die russische Fuumlhrung eine maszliggebliche Verantwor-tung traumlgt Wichtige Vertreter dieser Fuumlhrung spielen eine Schluumlsselrolle im Petersburger Dialog einschlieszliglich des fruumlheren Ersten Stellvertretenden Ministerpraumlsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden von Gazprom Wiktor Subkow der der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs ist Vor diesem Hin-tergrund moumlchten wir nicht durch unsere Teilnahme dazu beitragen dass eine Normalitaumlt in den deutsch-russi-schen Beziehungen simuliert wird die es derzeit wegen des Angriffs auf die politische Souveraumlnitaumlt und territo-riale Integritaumlt der Ukraine nicht geben kann

Wir waren und sind weiter sehr an einem offenen Dialog uumlber deutsch-russische Belange in einem gesamteuropaumli-schen Kontext interessiert und halten ihn fuumlr eine Bedingung guter Nachbarschaft und Kooperation Ein solcher Dia-log muss aber auch von beiden Seiten gewollt und ermoumlglicht werden Er darf zugleich nicht zum Nachteil Dritter gefuumlhrt werden Angesichts der aktuellen Lage und der bereits bekannt gewordenen Programmvorschlaumlge fuumlr Sotschi sehen wir auch diese Voraussetzung gefaumlhrdet

Dessen ungeachtet werden wir jede Moumlglichkeit nutzen unsere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Grup-pen und anderen Akteuren in Russland zu vertiefen und dieses Potential in einen bilateralen und europaumlischen Dia-log einzubringenMit freundlichen GruumlszligenRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter Politik Greenpeace eVQuelle lthttpwwwaustauschorgaktuelle-meldungennewsdetailarticle1offener-brie-1htmlno_cache=1ampcHash=0428c5bffdgt

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offener Brief des Vorsitzenden des Petersburger Dialogs vom 13 oktober 2014

AnRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich-Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace eVBerlin 13 Oktober 2014Ihr Schreiben vom 10 Oktober 2014Sehr geehrte Damen und HerrenIhren offenen Brief habe ich erhalten Dass Sie einen Brief aumlhnlichen Inhalts zunaumlchst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Auszligenminister verschickt haben verwundert mich Sie geben damit fuumlr die zivilgesell-schaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung die Sie fuumlr die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren

Ihre Nichtbeteiligung am Petersburger Dialog bedaure ich Denn es entspricht der Uumlberzeugung der meisten Mit-glieder des Vorstandes und des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs dass gerade angesichts zweifellos vorhan-dener Probleme fuumlr die Zivilgesellschaft die Sie teilweise benennen die offensive Auseinandersetzung zu solchen The-men gesucht werden muss Indem man sich solchen Gespraumlchen entzieht schadet man den Interessen der Betroffenen

Sie schreiben der Petersburger Dialog sei im Inneren zu reformieren da er von Vertretern aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert sei Diese Feststellung ist falsch und Sie wissen das Das auch in der Satzung des Petersbur-ger Dialogs beschriebene Konzept des Dialogs beruht auf einem breiten Gedankenaustausch aller gesellschaftlichen Kraumlfte Dazu gehoumlren die Bereiche Kultur Medien Bildung Wissenschaft und Kirchen genauso wie zahlreiche im Bereich der politischen sowie der sozialen Menschenrechte engagierte Einrichtungen die in ihrer Gesamtheit das deutsch-russische Verhaumlltnis beleben

Sie versuchen in Ihrem Brief den Petersburger Dialog auf das enge Feld einiger Vertreter der Zivilgesellschaft zu reduzieren die jenseits der korporierten Zivilgesellschaft angesiedelt sind und deren Interessenspektrum nur einen Teil des gesamten zivilgesellschaftlichen Engagements abdeckt

Ich verkenne nicht die ndash auch aber nicht nur ndash in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu Tage getretenen Probleme sowie die unterschiedlichen Folgen die sich aus einer raquogelenkten Demokratielaquo die in vielem nicht westli-chen Standards entspricht ergeben Dennoch Gemessen an weiten Bereichen der russischen Geschichte ist die Ent-wicklung seit 1991 ein Fortschritt Das daraus resultierende wenn auch im letzten Jahr stark eingetruumlbte Vertrauens-potential muss fuumlr die auf vielen Ebenen notwendigen Gespraumlchsforen genutzt und ausgebaut werden

Derartige Gespraumlche bedingen genauso Realismus wie intellektuelle Disziplin wozu auch gehoumlrt zu verstehen wie Russland die Probleme versteht Dies ndash und nicht Gespraumlchsverweigerung ndash ist die Voraussetzung um auf allen demokratischen gesellschaftlichen Ebenen ndash vom politischen Machtzentrum bis in die Randgruppen hinein ndash pro-blemorientierte Gespraumlche fuumlhren zu koumlnnen Dabei darf keine Seite fuumlr sich in Anspruch nehmen legitimere Inte-ressen zu vertreten als die andere

Das heiszligt Ein Gespraumlch raquoauf Augenhoumlhelaquo nicht von oben herab nicht moralisch belehrend aber mit klaren und ehrlichen Argumenten Dabei duumlrfen wir nicht verschweigen welche gesetzgeberischen aber auch politisch-morali-schen Standards wir fuumlr eine demokratische Gesellschaft im europaumlischen Kontext fuumlr unabdingbar halten

Der Petersburger Dialog wurde aus guten Gruumlnden als deutsch-russische Gemeinschaftseinrichtung konzipiert Da ist eine ndash oft muumlhsame ndash Kompromissfindung unausweichlich Dies ist Teil des Wertes auch der Tiefe aber auch der moralischen Qualitaumlt des Dialogs Das Ringen um kompromissfaumlhige Konzepte muss unser Anliegen bleiben nicht Vorverurteilung und GespraumlchsablehnungMit freundlichem GruszligDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des Vorstands Petersburger Dialog e VQuelle Website des Petersburger Dialogs lthttpwwwpetersburger-dialogcomoffener-brief-vom-13-oktober-2014gt

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offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

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9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

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14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

Abdruck und sonstige publizistische Nutzung sind nach Ruumlcksprache mit der Redaktion gestattetVerantwortlicher Redakteur Hans-Henning Schroumlder

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ISSN 1613-3390 copy 2014 by Forschungsstelle Osteuropa BremenForschungsstelle Osteuropa bull Publikationsreferat bull Klagenfurter Str 3 bull 28359 Bremen bull Telefon +49 421-218-69600 bull Telefax +49 421-218-69607

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

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    • Eine neue Phase der Russland- und Ostpolitik hat begonnen
      • Karsten D Voigt Berlin
      • Umfrage
        • Die Russland-Ukraine-Krise in russischen Umfragen
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                          • Marina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin
                          • Umfrage
                            • Uumlber die Zivilgesellschaft in Russland
                              • Dokumentation
                                • Luumlgen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des JustizministeriumsErklaumlrung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL
                                  • Notizen aus Moskau
                                    • Petersburger Dialog
                                      • Jens Siegert Moskau
                                      • Dokumentation
                                        • Briefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo
                                          • Chronik
                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 32: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 32

Wir haben uns entschieden am 14 Petersburger Dialog in Sotschi nicht teilzunehmen der fuumlr den 29ndash31 Okto-ber angekuumlndigt worden ist Fuumlr diese Entscheidung die wir sorgfaumlltig diskutiert und abgewogen haben moumlchten wir drei Gruumlnde anfuumlhren1 Der Petersburger Dialog in seiner jetzigen Form steckt in einer Krise Von Jahr zu Jahr wird er seinem eigenem

Anspruch weniger gerecht Die Veranstaltung soll dem zivilgesellschaftlichen Dialog dienen Tatsaumlchlich sind Struktur Nominierungsverfahren und Programm des Petersburger Dialogs maszliggeblich von Akteuren aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert Unter diesen Voraussetzungen erfuumlllt der Petersburger Dialog leider nicht sein in seiner Satzung formuliertes Ziel ein raquooffenes Diskussionsforumlaquo zu sein das die raquoVerstaumlndigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Laumlnderlaquo foumlrdert Der Petersburger Dialog bedarf dringend einer grundlegenden Reform wie sie auch CDUCSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 eingefordert haben Gerne wuumlrden wir uns aktiv an einem Prozess zur Reformierung des Petersburger Dialogs beteiligen der auf eine pluralistische Zusam-mensetzung beider Lenkungsausschuumlsse und eine deutlich staumlrkere Ausrichtung auf unabhaumlngige zivilgesellschaft-liche Akteure zielt ohne den interdisziplinaumlren Ansatz der Veranstaltung aufzugeben

2 Die Situation in der sich Teile der Zivilgesellschaft in Russland befinden erfuumlllt uns mit groszliger Sorge Das betrifft auch Partnerorganisationen und Personen mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten Diese Organisa-tionen uumlben fuumlr Russland und daruumlber hinaus wichtige gesellschaftliche Funktionen aus Die Behinderung ihrer Arbeit durch buumlrokratische Huumlrden aber auch durch willkuumlrliche rechtliche Restriktionen und politische Diffa-mierung sind inakzeptabel Daruumlber koumlnnen wir nicht zur Tagesordnung uumlbergehen Wir wollen nicht zu Kron-zeugen fuumlr einen vorgeblich freien Austausch werden waumlhrend zugleich die kritische Zivilgesellschaft in Russland massiv und systematisch unter Druck gesetzt wird

3 In Teilen der Ukraine herrscht ein Kriegszustand fuumlr den die russische Fuumlhrung eine maszliggebliche Verantwor-tung traumlgt Wichtige Vertreter dieser Fuumlhrung spielen eine Schluumlsselrolle im Petersburger Dialog einschlieszliglich des fruumlheren Ersten Stellvertretenden Ministerpraumlsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden von Gazprom Wiktor Subkow der der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs ist Vor diesem Hin-tergrund moumlchten wir nicht durch unsere Teilnahme dazu beitragen dass eine Normalitaumlt in den deutsch-russi-schen Beziehungen simuliert wird die es derzeit wegen des Angriffs auf die politische Souveraumlnitaumlt und territo-riale Integritaumlt der Ukraine nicht geben kann

Wir waren und sind weiter sehr an einem offenen Dialog uumlber deutsch-russische Belange in einem gesamteuropaumli-schen Kontext interessiert und halten ihn fuumlr eine Bedingung guter Nachbarschaft und Kooperation Ein solcher Dia-log muss aber auch von beiden Seiten gewollt und ermoumlglicht werden Er darf zugleich nicht zum Nachteil Dritter gefuumlhrt werden Angesichts der aktuellen Lage und der bereits bekannt gewordenen Programmvorschlaumlge fuumlr Sotschi sehen wir auch diese Voraussetzung gefaumlhrdet

Dessen ungeachtet werden wir jede Moumlglichkeit nutzen unsere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Grup-pen und anderen Akteuren in Russland zu vertiefen und dieses Potential in einen bilateralen und europaumlischen Dia-log einzubringenMit freundlichen GruumlszligenRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter Politik Greenpeace eVQuelle lthttpwwwaustauschorgaktuelle-meldungennewsdetailarticle1offener-brie-1htmlno_cache=1ampcHash=0428c5bffdgt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 33

offener Brief des Vorsitzenden des Petersburger Dialogs vom 13 oktober 2014

AnRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich-Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace eVBerlin 13 Oktober 2014Ihr Schreiben vom 10 Oktober 2014Sehr geehrte Damen und HerrenIhren offenen Brief habe ich erhalten Dass Sie einen Brief aumlhnlichen Inhalts zunaumlchst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Auszligenminister verschickt haben verwundert mich Sie geben damit fuumlr die zivilgesell-schaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung die Sie fuumlr die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren

Ihre Nichtbeteiligung am Petersburger Dialog bedaure ich Denn es entspricht der Uumlberzeugung der meisten Mit-glieder des Vorstandes und des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs dass gerade angesichts zweifellos vorhan-dener Probleme fuumlr die Zivilgesellschaft die Sie teilweise benennen die offensive Auseinandersetzung zu solchen The-men gesucht werden muss Indem man sich solchen Gespraumlchen entzieht schadet man den Interessen der Betroffenen

Sie schreiben der Petersburger Dialog sei im Inneren zu reformieren da er von Vertretern aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert sei Diese Feststellung ist falsch und Sie wissen das Das auch in der Satzung des Petersbur-ger Dialogs beschriebene Konzept des Dialogs beruht auf einem breiten Gedankenaustausch aller gesellschaftlichen Kraumlfte Dazu gehoumlren die Bereiche Kultur Medien Bildung Wissenschaft und Kirchen genauso wie zahlreiche im Bereich der politischen sowie der sozialen Menschenrechte engagierte Einrichtungen die in ihrer Gesamtheit das deutsch-russische Verhaumlltnis beleben

Sie versuchen in Ihrem Brief den Petersburger Dialog auf das enge Feld einiger Vertreter der Zivilgesellschaft zu reduzieren die jenseits der korporierten Zivilgesellschaft angesiedelt sind und deren Interessenspektrum nur einen Teil des gesamten zivilgesellschaftlichen Engagements abdeckt

Ich verkenne nicht die ndash auch aber nicht nur ndash in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu Tage getretenen Probleme sowie die unterschiedlichen Folgen die sich aus einer raquogelenkten Demokratielaquo die in vielem nicht westli-chen Standards entspricht ergeben Dennoch Gemessen an weiten Bereichen der russischen Geschichte ist die Ent-wicklung seit 1991 ein Fortschritt Das daraus resultierende wenn auch im letzten Jahr stark eingetruumlbte Vertrauens-potential muss fuumlr die auf vielen Ebenen notwendigen Gespraumlchsforen genutzt und ausgebaut werden

Derartige Gespraumlche bedingen genauso Realismus wie intellektuelle Disziplin wozu auch gehoumlrt zu verstehen wie Russland die Probleme versteht Dies ndash und nicht Gespraumlchsverweigerung ndash ist die Voraussetzung um auf allen demokratischen gesellschaftlichen Ebenen ndash vom politischen Machtzentrum bis in die Randgruppen hinein ndash pro-blemorientierte Gespraumlche fuumlhren zu koumlnnen Dabei darf keine Seite fuumlr sich in Anspruch nehmen legitimere Inte-ressen zu vertreten als die andere

Das heiszligt Ein Gespraumlch raquoauf Augenhoumlhelaquo nicht von oben herab nicht moralisch belehrend aber mit klaren und ehrlichen Argumenten Dabei duumlrfen wir nicht verschweigen welche gesetzgeberischen aber auch politisch-morali-schen Standards wir fuumlr eine demokratische Gesellschaft im europaumlischen Kontext fuumlr unabdingbar halten

Der Petersburger Dialog wurde aus guten Gruumlnden als deutsch-russische Gemeinschaftseinrichtung konzipiert Da ist eine ndash oft muumlhsame ndash Kompromissfindung unausweichlich Dies ist Teil des Wertes auch der Tiefe aber auch der moralischen Qualitaumlt des Dialogs Das Ringen um kompromissfaumlhige Konzepte muss unser Anliegen bleiben nicht Vorverurteilung und GespraumlchsablehnungMit freundlichem GruszligDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des Vorstands Petersburger Dialog e VQuelle Website des Petersburger Dialogs lthttpwwwpetersburger-dialogcomoffener-brief-vom-13-oktober-2014gt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 34

offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

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9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

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14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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Die Russland-Analysen werden von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und von Mangold Consulting GmbH unterstuumltzt

Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

Abdruck und sonstige publizistische Nutzung sind nach Ruumlcksprache mit der Redaktion gestattetVerantwortlicher Redakteur Hans-Henning Schroumlder

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ISSN 1613-3390 copy 2014 by Forschungsstelle Osteuropa BremenForschungsstelle Osteuropa bull Publikationsreferat bull Klagenfurter Str 3 bull 28359 Bremen bull Telefon +49 421-218-69600 bull Telefax +49 421-218-69607

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 40

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                                  • Notizen aus Moskau
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                                      • Dokumentation
                                        • Briefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo
                                          • Chronik
                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 33: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

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offener Brief des Vorsitzenden des Petersburger Dialogs vom 13 oktober 2014

AnRalf Fuumlcks Vorstand Heinrich-Boumlll-StiftungStefan Melle Geschaumlftsfuumlhrer Deutsch-Russischer Austausch eVStefanie Schiffer Geschaumlftsfuumlhrerin Europaumlischer AustauschTobias Muumlnchmeyer Stv Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace eVBerlin 13 Oktober 2014Ihr Schreiben vom 10 Oktober 2014Sehr geehrte Damen und HerrenIhren offenen Brief habe ich erhalten Dass Sie einen Brief aumlhnlichen Inhalts zunaumlchst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Auszligenminister verschickt haben verwundert mich Sie geben damit fuumlr die zivilgesell-schaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung die Sie fuumlr die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren

Ihre Nichtbeteiligung am Petersburger Dialog bedaure ich Denn es entspricht der Uumlberzeugung der meisten Mit-glieder des Vorstandes und des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs dass gerade angesichts zweifellos vorhan-dener Probleme fuumlr die Zivilgesellschaft die Sie teilweise benennen die offensive Auseinandersetzung zu solchen The-men gesucht werden muss Indem man sich solchen Gespraumlchen entzieht schadet man den Interessen der Betroffenen

Sie schreiben der Petersburger Dialog sei im Inneren zu reformieren da er von Vertretern aus Staat Politik und Wirtschaft dominiert sei Diese Feststellung ist falsch und Sie wissen das Das auch in der Satzung des Petersbur-ger Dialogs beschriebene Konzept des Dialogs beruht auf einem breiten Gedankenaustausch aller gesellschaftlichen Kraumlfte Dazu gehoumlren die Bereiche Kultur Medien Bildung Wissenschaft und Kirchen genauso wie zahlreiche im Bereich der politischen sowie der sozialen Menschenrechte engagierte Einrichtungen die in ihrer Gesamtheit das deutsch-russische Verhaumlltnis beleben

Sie versuchen in Ihrem Brief den Petersburger Dialog auf das enge Feld einiger Vertreter der Zivilgesellschaft zu reduzieren die jenseits der korporierten Zivilgesellschaft angesiedelt sind und deren Interessenspektrum nur einen Teil des gesamten zivilgesellschaftlichen Engagements abdeckt

Ich verkenne nicht die ndash auch aber nicht nur ndash in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu Tage getretenen Probleme sowie die unterschiedlichen Folgen die sich aus einer raquogelenkten Demokratielaquo die in vielem nicht westli-chen Standards entspricht ergeben Dennoch Gemessen an weiten Bereichen der russischen Geschichte ist die Ent-wicklung seit 1991 ein Fortschritt Das daraus resultierende wenn auch im letzten Jahr stark eingetruumlbte Vertrauens-potential muss fuumlr die auf vielen Ebenen notwendigen Gespraumlchsforen genutzt und ausgebaut werden

Derartige Gespraumlche bedingen genauso Realismus wie intellektuelle Disziplin wozu auch gehoumlrt zu verstehen wie Russland die Probleme versteht Dies ndash und nicht Gespraumlchsverweigerung ndash ist die Voraussetzung um auf allen demokratischen gesellschaftlichen Ebenen ndash vom politischen Machtzentrum bis in die Randgruppen hinein ndash pro-blemorientierte Gespraumlche fuumlhren zu koumlnnen Dabei darf keine Seite fuumlr sich in Anspruch nehmen legitimere Inte-ressen zu vertreten als die andere

Das heiszligt Ein Gespraumlch raquoauf Augenhoumlhelaquo nicht von oben herab nicht moralisch belehrend aber mit klaren und ehrlichen Argumenten Dabei duumlrfen wir nicht verschweigen welche gesetzgeberischen aber auch politisch-morali-schen Standards wir fuumlr eine demokratische Gesellschaft im europaumlischen Kontext fuumlr unabdingbar halten

Der Petersburger Dialog wurde aus guten Gruumlnden als deutsch-russische Gemeinschaftseinrichtung konzipiert Da ist eine ndash oft muumlhsame ndash Kompromissfindung unausweichlich Dies ist Teil des Wertes auch der Tiefe aber auch der moralischen Qualitaumlt des Dialogs Das Ringen um kompromissfaumlhige Konzepte muss unser Anliegen bleiben nicht Vorverurteilung und GespraumlchsablehnungMit freundlichem GruszligDr hc Lothar de MaiziegravereVorsitzender des Vorstands Petersburger Dialog e VQuelle Website des Petersburger Dialogs lthttpwwwpetersburger-dialogcomoffener-brief-vom-13-oktober-2014gt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 34

offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 35

die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

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9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

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14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 39

Sie koumlnnen die gesamte Chronik seit 1964 auch auf lthttpwwwlaender-analysenderusslandgt unter dem Link raquoChroniklaquo lesen

Die Russland-Analysen werden von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und von Mangold Consulting GmbH unterstuumltzt

Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

Abdruck und sonstige publizistische Nutzung sind nach Ruumlcksprache mit der Redaktion gestattetVerantwortlicher Redakteur Hans-Henning Schroumlder

Recherche Uumlbersetzungen und Sprachredaktion Christoph Laug Hartmut SchroumlderSatz Matthias Neumann

Russland-Analysen-Layout Cengiz Kibaroglu Matthias Neumann und Michael ClemensAlle Ausgaben der Russland-Analysen sind mit Themen- und Autorenindex archiviert unter wwwlaender-analysende

Die Russland-Analysen werden im Rahmen eines Lizenzvertrages in das Internetangebot der Bundeszentrale fuumlr politische Bildung (wwwbpbde) aufgenommenDie Russland-Analysen werden im Rahmen der Datenbank World Affairs Online (WAO) ausgewertet und sind im Portal IREON wwwireon-portalde recherchierbar

ISSN 1613-3390 copy 2014 by Forschungsstelle Osteuropa BremenForschungsstelle Osteuropa bull Publikationsreferat bull Klagenfurter Str 3 bull 28359 Bremen bull Telefon +49 421-218-69600 bull Telefax +49 421-218-69607

e-mail publikationsreferatosteuropauni-bremende bull Internet-Adresse httpwwwlaender-analysenderussland

22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

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Die Laumlnder-Analysen bieten regelmaumlszligig kompetente Einschaumltzungen aktueller politischer wirtschaftlicher sozialer und kultureller Entwicklungen in Ostmitteleuropa und der GUS Sie machen das Wissen uumlber das die wissenschaft-liche Forschung in reichem Maszlige verfuumlgt fuumlr Politik Wirtschaft Medien und die interessierte Oumlffentlichkeit ver-fuumlgbar Autoren sind internationale Fachwissenschaftler und Experten

Die einzelnen Laumlnder-Analysen werden von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und der Deutschen Gesellschaft fuumlr Osteuropakunde jeweils mit unterschiedlichen Partnern und Sponsoren herausgegeben

Die Laumlnder-Analysen bieten regelmaumlszligig Kurzanalysen zu aktuellen Themen ergaumlnzt um Grafiken und Tabellen sowie Dokumentationen Zusaumltzlich gibt es eine Chronik aktueller Ereignisse

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                        • Ein Kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen Engagements zur Unterstuumltzung und Integration von Migranten in Russland
                          • Marina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin
                          • Umfrage
                            • Uumlber die Zivilgesellschaft in Russland
                              • Dokumentation
                                • Luumlgen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des JustizministeriumsErklaumlrung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL
                                  • Notizen aus Moskau
                                    • Petersburger Dialog
                                      • Jens Siegert Moskau
                                      • Dokumentation
                                        • Briefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo
                                          • Chronik
                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 34: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 34

offener Brief des Deutsch-russischen sozialforums vom 20 oktober 2014

FrauBundeskanzlerinDr Angela MerkelWilly-Brandt-Straszlige 110557 BerlinHerrnBundesauszligenministerDr Frank-Walter SteinmeierAuswaumlrtiges Amt11013 BerlinZukunft des Petersburger DialogsSehr verehrte Frau Bundeskanzlerinsehr geehrter Herr Bundesauszligenministermit groszliger Bestuumlrzung entnehmen wir der deutschen Presse dass der Petersburger Dialog in Sotschi auf Betreiben von fuumlnf deutschen Vereinen vorlaumlufig abgesagt wurde und seine weitere Existenz in Frage steht Wie kann es in einer Demo-kratie wie in Deutschland passieren dass sich eine kleine Minderheit ohne Mandat und Ruumlcksprache mit den Kollegen zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im deutsch-russischen Kontext erklaumlrt und einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern ihre Sichtweise aufzwingt Wie kann das offizielle Berlin sie dabei unterstuumltzen ohne die uumlbri-gen zivilgesellschaftlichen Akteure des Petersburger Dialogs zu Wort kommen zu lassen Durch die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi und insbesondere seine moumlgliche Aufloumlsung droht eine fuumlr uns essentielle Platt-form der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstrukti-ven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland zerstoumlrt zu werden

Wir die Unterzeichner sind deutsche und russische nichtstaatliche und staatliche Organisationen die im sozialen Bereich taumltig sind und die sich seit vielen Jahren im Petersburger Dialog undoder dem auf seine Initiative hin gegruumln-deten Sozialforum zivilgesellschaftlich engagieren Ziel unserer Arbeit ist die Verbesserung und der Ausbau der sozia-len Infrastruktur die Unterstuumltzung des sozialen Buumlrgerengagements der Aufbau moderner gesetzlicher Rahmen-bedingungen fuumlr die Sozialarbeit und nicht zuletzt die Integration aller Buumlrger ohne Ausnahme Grundlage unserer Arbeit ist ein vielfaumlltiger deutsch-russischer Fachaustausch

Fuumlr unsere Arbeit war und ist der Petersburger Dialog in vielfacher Hinsicht eine groszlige Hilfe In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft finden wir interessierte Gespraumlchspartner aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor aber auch was sehr wichtig ist Vertreter aus der Politik denen wir unsere Aktivitaumlten und Probleme nahe bringen koumlnnen Keinem uns bekannten deutsch-russischen Gremium gelingt es auf dieser Ebene Persoumlnlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft und aus Politik und Regierung miteinander ins Gespraumlch zu bringen Diese Kontakte sind lebens-notwendig fuumlr unsere Arbeit Die Begegnungen und Diskussionen in den Arbeitsgruppen Panels und Plena gelingen in der Breite und Vielfalt auf anderen Konferenzen nur selten Der Dialog oumlffnet Tuumlren und neue Wege der Zusam-menarbeit Hier seien die vielen Gespraumlche mit Vertretern bekannter und einflussreicher nichtstaatlicher Organisatio-nen wie raquoMemoriallaquo raquoAgoralaquo und raquoGrazhdanskoe sodejstvielaquo sowie die zahlreichen sozialen Aktivitaumlten im Rahmen deutsch-russischer Staumldtepartnerschaften erwaumlhnt Selbst russische Teilnehmer mit ausgesprochen kritischer Grund-haltung versichern uns immer wieder nachdruumlcklich (so auch juumlngst bei einem Treffen von uumlber 50 sozial engagier-ten zivilgesellschaftlichen Akteuren am 8 Oktober in der Deutschen Botschaft in Moskau) der Dialog sei bedeutsam und solle auf jeden Fall aufrecht erhalten werden weil er immer wieder einzigartige Moumlglichkeiten fuumlr konstruktive Gespraumlche zwischen den Vertretern des offiziellen Russlands und der Buumlrgergesellschaft schaffe

In Russland genieszligt der Petersburger Dialog weil Deutschland das Partnerland ist ein auszligerordentlich hohes politisches und gesellschaftliches Ansehen Dies ist wohl vor allem auf die tiefe Sehnsucht nach geordneten gerech-ten und menschlichen Verhaumlltnissen raquowie in Deutschlandlaquo zuruumlckzufuumlhren Zur hohen Reputation des Petersbur-ger Dialogs traumlgt ausschlaggebend die Mitwirkung der Regierungschefs beider Laumlnder bei wofuumlr wir uns bei Ihnen sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin ganz besonders bedanken moumlchten Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

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9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

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14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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Die Russland-Analysen werden von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und von Mangold Consulting GmbH unterstuumltzt

Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

Abdruck und sonstige publizistische Nutzung sind nach Ruumlcksprache mit der Redaktion gestattetVerantwortlicher Redakteur Hans-Henning Schroumlder

Recherche Uumlbersetzungen und Sprachredaktion Christoph Laug Hartmut SchroumlderSatz Matthias Neumann

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ISSN 1613-3390 copy 2014 by Forschungsstelle Osteuropa BremenForschungsstelle Osteuropa bull Publikationsreferat bull Klagenfurter Str 3 bull 28359 Bremen bull Telefon +49 421-218-69600 bull Telefax +49 421-218-69607

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 40

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Die einzelnen Laumlnder-Analysen werden von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und der Deutschen Gesellschaft fuumlr Osteuropakunde jeweils mit unterschiedlichen Partnern und Sponsoren herausgegeben

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                        • Ein Kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen Engagements zur Unterstuumltzung und Integration von Migranten in Russland
                          • Marina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin
                          • Umfrage
                            • Uumlber die Zivilgesellschaft in Russland
                              • Dokumentation
                                • Luumlgen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des JustizministeriumsErklaumlrung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL
                                  • Notizen aus Moskau
                                    • Petersburger Dialog
                                      • Jens Siegert Moskau
                                      • Dokumentation
                                        • Briefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo
                                          • Chronik
                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 35: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

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die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozial-forums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wieder fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwol-lend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrau-ensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden Permanente Kritik und Konfrontation wie sie von den fuumlnf genannten Vereinen geuumlbt werden blockieren dagegen eine solche Entwicklung Fuumlr soziale NGOs in Russ-land ist der Petersburger Dialog deshalb ein unverzichtbares Arbeitsinstrument zur Herstellung einer weiterfuumlhrenden Gespraumlchsebene zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein sichtbares Beispiel dafuumlr ist das voumll-lig neue Standing das zivilgesellschaftliche Einrichtungen der Behindertenarbeit im ganzen Gebiet Sverdlovsk nach dem Kongress fuumlr Behinderte mit uumlber 500 Teilnehmern 2012 in Jekaterinburg ploumltzlich bei staatlichen Stellen hat-ten (ltwwwsocialforum-dialogorgKongress_Jekaterinburghtmlgt)

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gel-ten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass uns dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGene-ralverdachtlaquo stehen die aber uumlber keine aktive Lobby aus westlichen Politikern und Medien verfuumlgen waumlren unmit-telbar davon betroffen

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin sehr geehrter Herr Bundesauszligenminister in der jetzigen Situation in der der neue Konflikt zwischen Ost und West in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst hat wiegen unsere Argumente schwerer als je zuvor Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht Im Namen der unzaumlhligen russischen nichtstaatlichen Organisationen denen an einer fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen Russland und Westeuropa gelegen ist moumlchten wir Sie bitten Lassen Sie nicht zu dass der Peters-burger Dialog fuumlr immer zum Schweigen gezwungen oder von einer kleinen Minderheit ausschlieszliglich zur Buumlhne fuumlr immer neue Anprangerungen der russischen Staatsmacht raquoreformiertlaquo wird Geben Sie uns die Chance diese bewaumlhrte Bruumlcke zwischen Deutschen und Russen als Buumlrger zu nutzen um friedlich und paritaumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenMit freundlichen GruumlszligenAnne HofingaVerantwortliche Sekretaumlrin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum im Rahmen des Petersburger Dialogs Vor-sitzende der Vorstaumlnde Zentrum fuumlr soziale Entwicklung und Selbsthilfe raquoPerspektivalaquo Moskau Perspektive Russland eV (vormals Ruszliglandhilfe eV) Frankfurt am Main(und 29 weitere Unerschriften)

Kommentare zum Inhalt des SchreibensraquoIch setze meine Unterschrift unter diesen Appell als Mensch der sowohl von ganzem Herzen als auch kraft seines Amtes schon lange mit der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft beschaumlftigt ist Ich bin aufrichtig uumlberzeugt davon dass zwischen den zivilgesellschaftlichen Instituten keine Hindernisse aufgebaut werden duumlrfenlaquoTatjana Margolina Perm Bevollmaumlchtigte fuumlr Menschenrechte des Gebietes PermraquoDie Bestrebung den raquoPetersburger Dialoglaquo zu schlieszligen (aufzugeben) ist eine klarer Beweis fuumlr die Staumlrkung der Posi-tion der raquoFalkenlaquo auf BEIDEN Seiten der Front der aktuellen Konflikte in Europa Der Dialog ist so notwendig wie die Luft zum Atmen ndash vor allem fuumlr die Gesellschaft um die schnelle und gefaumlhrliche Wiederbelebung der Gespens-ter und Konfrontationen des Kalten Krieges zu verhindernlaquoDr Ida Kuklina Moskau Bund der Komitees der Soldatenmuumltter Russlands Alternativer Nobelpreis 1996 (Right Livelihood Foundation)raquoEs kann nicht angehen dass die Heinrich Boumlll Stiftung mit Herrn Fuumlcks und Frau Beck und selbst der DeutschRus-sische Austausch sich in den Medien als selbsternannte Sprecher der Zivilgesellschaft praumlsentieren Wir als Stiftung West-Oumlstliche Begegnungen sehen uns jedenfalls durch sie nicht vertretenlaquoDr Helmut Domke Berlin Vorsitzender des Vorstands der Stiftung raquoWest-Oumlstliche Begegnungenlaquo

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 37

9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 38

14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 39

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Die Russland-Analysen werden von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und von Mangold Consulting GmbH unterstuumltzt

Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

Abdruck und sonstige publizistische Nutzung sind nach Ruumlcksprache mit der Redaktion gestattetVerantwortlicher Redakteur Hans-Henning Schroumlder

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 40

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Die Laumlnder-Analysen bieten regelmaumlszligig kompetente Einschaumltzungen aktueller politischer wirtschaftlicher sozialer und kultureller Entwicklungen in Ostmitteleuropa und der GUS Sie machen das Wissen uumlber das die wissenschaft-liche Forschung in reichem Maszlige verfuumlgt fuumlr Politik Wirtschaft Medien und die interessierte Oumlffentlichkeit ver-fuumlgbar Autoren sind internationale Fachwissenschaftler und Experten

Die einzelnen Laumlnder-Analysen werden von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und der Deutschen Gesellschaft fuumlr Osteuropakunde jeweils mit unterschiedlichen Partnern und Sponsoren herausgegeben

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                              • Dokumentation
                                • Luumlgen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des JustizministeriumsErklaumlrung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL
                                  • Notizen aus Moskau
                                    • Petersburger Dialog
                                      • Jens Siegert Moskau
                                      • Dokumentation
                                        • Briefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo
                                          • Chronik
                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 36: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

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raquoDanke Sie tun eine groszlige Tat indem Sie den Frieden zwischen den Menschen und Offenheit im Austausch schuumltzen Feindschaft braucht jetzt niemand insbesondere Voumllker die einander in Leid und Freude so nahe sind wie Deutsch-land und RusslandlaquoProf Dr Ilja Evtushenko Moskau Dekan der sonderpaumldagogischen Fakultaumlt der Moskauer Humanwissenschaftli-chen Scholochov-UniversitaumltraquoAls Initiator des im Brief erwaumlhnten Kongresses fuumlr Menschen mit Behinderungen in 2012 moumlchte ich anmerken Aufgrund der uumlberaus guten Erfahren [sic] wird zur Zeit daran gearbeitet 2017 in Jekaterinburg den ersten Weltkon-gress fuumlr Menschen mit Behinderungen zu realisieren Dafuumlr werden eine gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland und damit der Petersburger Dialog und sein Sozialforum benoumltigtlaquoThomas Kraus Berlin Initiator weltweiter Kongresse fuumlr Menschen mit Behinderungen raquoIn der Begegnung lebenlaquoQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

Pressemitteilung

Russische und deutsche Teilnehmer des Petersburger Dialogs und des Deutsch-Russischen Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs darunter Vertreter namhafter zivilgesellschaftlicher russischer und deutscher Organisatio-nen wendeten sich am letzten Montag mit einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin und den deutschen Auszligen-minister um entschieden gegen die vorlaumlufige Absage des Petersburger Dialogs in Sotschi zu protestieren Eine essen-tielle Plattform der deutsch-russischen Zusammenarbeit und ein unverzichtbares Instrument bei der Schaffung einer konstruktiven Gespraumlchsebene zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und staatlichen Organen in Russland steht damit in einer Situation nicht zur Verfuumlgung in der nur Gespraumlche helfen koumlnnen die neuen Spannungen zwischen Ost und West wieder abzubauen

Die Unterzeichner fragen wie es in einer gestandenen Demokratie wie in Deutschland passieren konnte dass die Boykott-Erklaumlrung von lediglich fuumlnf Teilnehmern die sich ohne Mandat zu Alleinvertretern der Zivilgesellschaft im Petersburger Dialog erklaumlrten auf Seiten des offiziellen Berlin zu einer einseitigen Absage des Petersburger Dialogs fuumlhrte ohne dass die uumlbrigen mehreren Hundert Teilnehmer zu Wort kommen konnten

Viele Projekte und Themen denen sich der Petersburger Dialog widmet erhalten in Russland zusaumltzliches Gewicht und positive Aufmerksamkeit Soziale NGOs die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hin-weisen koumlnnen dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind stellen immer wie-der fest dass ihre Anliegen ploumltzlich wohlwollend gepruumlft werden In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates der eine Vertrauensbasis schafft So koumlnnen mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersbur-ger Dialogs langfristig die Aumlngste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Buumlrgergesellschaft abgebaut werden

Durch die jaumlhrlich zunehmenden massiven oumlffentlichen Angriffe auf den Petersburger Dialog seitens einiger selbst-ernannter deutscher Verteidiger eines kleinen Teils der russischen Zivilgesellschaft die andere Stimmen nicht gelten lassen laumluft das hohe Ansehen des Petersburger Dialogs in Russland Gefahr so stark beschaumldigt zu werden dass dieses aumluszligerst hilfreiche Arbeitsinstrument fuumlr den langen Prozess gesellschaftlicher Veraumlnderungen in Russland bald nicht mehr zur Verfuumlgung stehen koumlnnte Hunderte von sozialen russischen Nichtregierungsorganisationen die ebenso wie die exponierten Menschenrechtsorganisationen im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter raquoGeneralverdachtlaquo stehen waumlren unmittelbar davon betroffen

Der neue Konflikt zwischen Ost und West hat in vielfaumlltiger Weise auch die Buumlrger beider Laumlnder erfasst Die Mitwirkung der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands am notwendigen Friedensprozess ist unverzichtbar Auch dafuumlr wird der Petersburger Dialog dringend als neutrale Gespraumlchsplattform gebraucht um friedlich und pari-taumltisch Loumlsungsansaumltze zu erarbeitenAnlage Brief an die Bundeskanzlerin und den BundesauszligenministerWeitere Hintergrundinformationen ltwwwfacebookcomAHofingagtMoskau den 23 Oktober 2014Anne HofingaQuelle lthttpwwwfacebookcomsocialforumdialoggt lthttpwwwsocialforum-dialogorggt

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9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

chRONIk

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 38

14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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Die Russland-Analysen werden von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und von Mangold Consulting GmbH unterstuumltzt

Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

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Russland-Analysen-Layout Cengiz Kibaroglu Matthias Neumann und Michael ClemensAlle Ausgaben der Russland-Analysen sind mit Themen- und Autorenindex archiviert unter wwwlaender-analysende

Die Russland-Analysen werden im Rahmen eines Lizenzvertrages in das Internetangebot der Bundeszentrale fuumlr politische Bildung (wwwbpbde) aufgenommenDie Russland-Analysen werden im Rahmen der Datenbank World Affairs Online (WAO) ausgewertet und sind im Portal IREON wwwireon-portalde recherchierbar

ISSN 1613-3390 copy 2014 by Forschungsstelle Osteuropa BremenForschungsstelle Osteuropa bull Publikationsreferat bull Klagenfurter Str 3 bull 28359 Bremen bull Telefon +49 421-218-69600 bull Telefax +49 421-218-69607

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

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                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 37: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 37

9 ndash 23 oktober 201409102014 Der Europaumlische Gerichtshof fuumlr Menschenrechte verurteilt Russland zur Zahlung von 12 Mio euro an russi-

sche Buumlrger deren Verwandte in Tschetschenien verschwunden sind Russland habe das Recht auf Leben das Verbot der Folter das Recht auf Freiheit und persoumlnliche Unversehrtheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz verletzt heiszligt es in dem Urteil

09102014 Die russische Zentralbank gibt aus Anlass der Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Foumlde-ration Gedenkmuumlnzen in den Umlauf

09102014 Sergej Menjajlo wird von der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt Sewastopol (Krim) zum Gouverneur der Stadt gewaumlhlt

10102014 In der Republik Tywa wird ein Hubschrauber vom Typ Mi-8 mit 12 Personen an Bord vermisst Nach einem Tag ergebnisloser Suche wird in der Republik am Abend der Notstand ausgerufen

10102014 Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilt Dmitrij Ischewskij wegen des Widerstands gegen Polizeibeamte und der Teilnahme an Massenunruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz am 6 Mai 2012 zu drei Jahren und zwei Monaten Lagerhaft

10102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr die Medienaufsicht raquoRoskomnadsorlaquo verwarnt die Zeitung raquoNowaja Gasetalaquo Die Jour-nalistin Julija Latynina habe in Ihrem Beitrag raquoWenn wir nicht der Westen sind wer sind wirlaquo Aumluszligerungen getan die unter das Extremismus-Gesetz fallen Roskomnadsor kann nach zwei Verwarnungen in einem Jahr bei Gericht den Entzug der Zeitungslizenz beantragen

10102014 Das russische Justizministerium beantragt beim Obersten Gericht die Schlieszligung der raquoRussischen Gesellschaft fuumlr historische Aufklaumlrung soziale Fuumlrsorge und Menschenrechte MEMORIALlaquo Es handelt sich um den Dach-verband verschiedener Memorial-Organisationen die in verschiedenen russischen Regionen taumltig sind und sich mit Menschenrechtsarbeit sozialer Fuumlrsorge und historischer Aufklaumlrung befassen Anfaumlnglich war gemeldet worden das Menschenrechtszentrum raquoMemoriallaquo werde geschlossen Das trifft nicht zu

10102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt in Minsk (Belarus) ein einem Treffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unab-haumlngiger Staaten (GUS) teil Im Zentrum stehen die wirtschaftliche und humanitaumlre Zusammenarbeit sowie die Kooperation von Polizei und Justiz Putin ruft erneut dazu auf Freihandelsabkommen einzelner GUS-Staaten mit westlichen Staaten mit dem Freihandelsvertrag der GUS zu harmonisieren Die Ukraine entsen-det keinen Vertreter zu dem Treffen

10102014 Praumlsident Putin nimmt in Minsk an einem Treffen der Staatschefs des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates teil anwesend sind auch die Praumlsidenten von Kasachstan Belorus Armenien und Kirgistan Dabei werden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ein Fahrplan zum Beitritt Kirgisiens verabschiedet

11102014 Ministerpraumlsident Dmitrij Medwedew unterzeichnet eine Verordnung zur Schaffung der Staatlichen Universi-taumlt Sewastopol (Krim) Zu diesem Zweck werden sieben bestehende Bildungseinrichtungen zusammengelegt

11102014 Auf einer auszligerplanmaumlszligigen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands werden der Kampf gegen den raquoIslami-schen Staatlaquo die Ausbreitung des Ebola-Virus sowie die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zu den USA thematisiert

11102014 Praumlsident Wladimir Putin weist Verteidigungsminister Sergej Schojgu an 17600 Soldaten die seit mehre-ren Monaten im Gebiet Rostow unweit der ukrainischen Grenze Uumlbungen abgehalten haben in ihre Stand-orte zuruumlckzurufen

13102014 Das russisch-deutsche Forum raquoPetersburger Dialoglaquo teilt mit dass das fuumlr Oktober in Sotschi geplante Tref-fen bis auf Weiteres verschoben wird

13102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr den Verbraucherschutz (Rospotrebnadsor) verhaumlngt einen vollstaumlndigen Einfuhrstopp auf Kaumlseprodukte aus der Ukraine

14102014 Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten in Anwesen-heit von Praumlsident Wladimir Putin Hauptthema ist die Frage der Menschenrechte in der Ukraine Putin wirft internationalen Menschenrechtsorganisationen vor die ukrainischen Rechtsverletzungen in der Ostukraine zu ignorieren Weitere Themen sind die Umsetzung des nationalen Plans zur Korruptionsbekaumlmpfung sowie die Ergebnisse des einheitlichen Wahltages

14102014 Praumlsident Putin haumllt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70 Geburtstag des Moskauer staatlichen Instituts fuumlr internationale Beziehungen (MGIMO) eine Rede Das MGIMO sei umso wichtiger in einer Zeit in der sich die alten Gegensaumltze verschaumlrfen und neue Krisen provoziert wuumlrden erklaumlrt Putin

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14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

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22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

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Die einzelnen Laumlnder-Analysen werden von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und der Deutschen Gesellschaft fuumlr Osteuropakunde jeweils mit unterschiedlichen Partnern und Sponsoren herausgegeben

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  • Analyse
    • Eine neue Phase der Russland- und Ostpolitik hat begonnen
      • Karsten D Voigt Berlin
      • Umfrage
        • Die Russland-Ukraine-Krise in russischen Umfragen
          • Aus russischen Blogs
            • Nawalnyj Krim nasch
              • Analyse
                • Zivilgesellschaft und Staat in Russland
                  • Pavel Chikov Moskau
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                      • Jens Siegert Moskau
                      • Analyse
                        • Ein Kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen Engagements zur Unterstuumltzung und Integration von Migranten in Russland
                          • Marina Grinfeld Michael Bellmann Christina Huthmann und Kristina Arisov Berlin
                          • Umfrage
                            • Uumlber die Zivilgesellschaft in Russland
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                                • Luumlgen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des JustizministeriumsErklaumlrung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL
                                  • Notizen aus Moskau
                                    • Petersburger Dialog
                                      • Jens Siegert Moskau
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                                        • Briefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo
                                          • Chronik
                                            • 9 ndash 23 Oktober 2014
Page 38: russland- analysen · AUs rUssischen Blogs ... die östlichen und westlichen Nachbarn Deutschlands. ... USA die wichtigste Ursache für die negativen interna-tionalen Entwicklungen

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 38

14102014 Praumlsident Putin bespricht in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Maszlig-nahmen zur Beilegung des Konfliktes in der Ostukraine Beide Seiten wollen den Dialog zur Regulierung des Gaskonfliktes fortsetzen

15102014 Der Rubelkurs gibt weiter nach Der Dollarkurs erreicht ein historisches Maximum von 41 Rubel pro Dol-lar Auch der Euro erreicht einen Houmlchstwert von 52 Rubel pro Euro Der Oumllpreis der Marke Brent faumlllt der-weil auf 85 US-$ pro Barrel

15102014 Praumlsident Wladimir Putin nimmt an einem Forum der raquoAllrussischen Volksfrontlaquo zu raquoQualitativer Bildung im Namen des Landeslaquo teil Anlass ist der 200 Geburtstag des Schriftstellers Michail Lermontow

16102014 Sicherheitskraumlfte toumlten bei einer Spezialoperation in Derbent (Dagestan) drei Untergrundkaumlmpfer

16102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft zu einem Staatsbesuch in Serbien ein und wird von Staatspraumlsident Tomis-lav Nikolić empfangen Im Rahmen eines Gespraumlches mit Premierminister Aleksandar Vučić werden mehrere Abkommen unterzeichnet unter anderem zur militaumlrtechnischen Zusammenarbeit Am Abend haumllt Putin eine Ansprache bei einer Militaumlrparade zum 70 Jahrestag der Befreiung Belgrads von der nationalsozialisti-schen Besatzung

16102014 Praumlsident Putin trifft am Abend zum 10 raquoAsien-Europalaquo-Forum in Mailand ein Nach einem Gespraumlch mit dem italienischen Staatspraumlsidenten Giorgio Napolitano bespricht er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation in der Ukraine die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zur Regulierung des Konfliktes in der Ostukraine und den Gasstreit mit der Ukraine Nach den offiziellen Treffen kommt Putin mit Silvio Berlus-coni zusammen

17102014 Praumlsident Wladimir Putin trifft im Rahmen des raquoAsien-Europalaquo Forums in Mailand mit Angela Merkel Francois Hollande und Petro Poroschenko zusammen Im Zentrum des Gespraumlchs steht die Regulierung des Konflikts in der Ukraine und des Gasstreits Dabei wird ein beschleunigter Gefangenenaustausch vereinbart Bei einem Gespraumlch zwischen Putin und Poroschenko wird eine Einigung uumlber den Gaspreis fuumlr die Winter-periode erreicht Die Ukraine bezieht demnach Erdgas fuumlr 385 US-$ pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse Zuvor muumlssen jedoch die ausstehenden Gasschulden beglichen werden

18102014 In Budjonnowsk (Region Stawropol) wird die 73 jaumlhrige Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Sektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo wegen Betrugsvorwurfs festgenommen und in Untersuchungshaft genommen Boga-tenkowa hatten den Tod russischer Soldaten im Gebiet Rostow im Juli und August untersucht und dem Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Praumlsidenten daruumlber berichtet

18102014 In Grosnyj (Republik Tschetschenien) wird der mutmaszligliche Organisator des Anschlags vom 5 Oktober bei einem Festnahmeversuch erschossen

18102014 Die Moskauer Polizei fuumlhrt Razzien zu Verstoumlszligen gegen die Migrationsvorschriften durch Dabei werden mehr als 450 raquoillegale Migrantenlaquo festegenommen

18102014 Bei dem Versuch einer Fahrzeugkontrolle in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) kommt es zu einem Feuergefecht Ein Verdaumlchtiger und ein Polizist werden getoumltet Ein weiterer Polizist wird verletzt

20102014 Ljudmila Bogatenkowa Vorsitzende einer Regionalsektion der raquoSoldatenmuumltterlaquo im Gebiet Stawropol wird unter Hausarrest gestellt

20102014 Jelena Panfilowa Vorsitzende der russischen Sektion von raquoTransparency Internationallaquo wird zur Vizepraumlsiden-tin der internationalen Organisation gewaumlhlt

20ndash21102014 Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo kollidiert der Firmenjet des franzoumlsischen Oumllkonzerns raquoTotallaquo mit einem Schneepflug Konzernchef Christophe de Margerie sowie drei Crewmitglieder kommen bei dem Ungluumlck ums Leben Praumlsident Wladimir Putin bekundet in einem Telegramm an den franzoumlsischen Praumlsidenten Francois Hollande sein Beileid

21102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhr- und Transitverbot fuumlr saumlmtliche Obst- und Gemuumlseprodukte aus der Ukraine Russland befuumlrchtet einen illegalen Re-Import landwirtschaftlicher Guumlter aus der EU die mit russischen Sanktionen belegt wurden

21102014 Praumlsident Wladimir Putin eroumlrtert in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko Fragen der Zusammenarbeit im Gassektor und des Friedensprozesses in der Ostukraine

22102014 Der Foumlderale Dienst fuumlr Veterinaumlr- und Phytosanitaumlraufsicht (Rosselchosnadsor) verhaumlngt ein Einfuhrstopp fuumlr saumlmtliche Fleischprodukte aus Moldawien der ab dem 27 Oktober gelten soll

RUSSLAND-ANALYSEN NR 284 24102014 39

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Herausgeber Forschungsstelle Osteuropa an der Universitaumlt Bremen und Deutsche Gesellschaft fuumlr OsteuropakundeDie Meinungen die in den Russland-Analysen geaumluszligert werden geben ausschlieszliglich die Auffassung der Autoren wieder

Abdruck und sonstige publizistische Nutzung sind nach Ruumlcksprache mit der Redaktion gestattetVerantwortlicher Redakteur Hans-Henning Schroumlder

Recherche Uumlbersetzungen und Sprachredaktion Christoph Laug Hartmut SchroumlderSatz Matthias Neumann

Russland-Analysen-Layout Cengiz Kibaroglu Matthias Neumann und Michael ClemensAlle Ausgaben der Russland-Analysen sind mit Themen- und Autorenindex archiviert unter wwwlaender-analysende

Die Russland-Analysen werden im Rahmen eines Lizenzvertrages in das Internetangebot der Bundeszentrale fuumlr politische Bildung (wwwbpbde) aufgenommenDie Russland-Analysen werden im Rahmen der Datenbank World Affairs Online (WAO) ausgewertet und sind im Portal IREON wwwireon-portalde recherchierbar

ISSN 1613-3390 copy 2014 by Forschungsstelle Osteuropa BremenForschungsstelle Osteuropa bull Publikationsreferat bull Klagenfurter Str 3 bull 28359 Bremen bull Telefon +49 421-218-69600 bull Telefax +49 421-218-69607

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22102014 Das russische Energieministerium genehmigt Antraumlge der Energiekonzerne raquoRosneftlaquo und raquoNowateklaquo die um Unterstuumltzung aus dem Nationalen Wohlstandsfond nachgesucht hatten Die Antraumlge von raquoRosneftlaquo uumlber mehr als 2 Billionen Rubel (ca 38 Mrd euro) und von raquoNowateklaquo uumlber 100 Mrd Rubel (ca 2 Mrd euro) muumlssen nun vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden Es ist vorgesehen dass Unternehmen die auf Grund der westli-chen Sanktionen keine Gelder auf den internationalen Kapitalmaumlrkten erhalten vom Staat unterstuumltzt wer-den Auch raquoLukoillaquo und raquoGazprom Neftlaquo planen uumlber den Nationalen Wohlstandsfond Mittel zu beantragen

22102014 Die russische Regierung weist der Krim 15 Mrd Rubel (ca 286 Mio euro) zu um den Haushalt 2015 auszugleichen

22102014 In Sotschi wird der 11 internationale Diskussionsclub raquoWaldajlaquo eroumlffnet Im Zentrum des dreitaumlgigen Exper-tenforums steht die multipolare Welt und die Rolle Russlands dort sowie die Regulierung internationaler Kon-flikte und die Situation in der Ukraine Analysiert werden sollen Faktoren der Erosion bestehender Institutio-nen und des internationalen Rechts Praumlsident Putins nimmt am Abschlussplenum teil

23102014 Die russische Regierung gewaumlhrt 2014 vier Unternehmen des Militaumlrisch-Industriellen Komplexes staatliche Kreditbuumlrgschaften in Houmlhe von insgesamt 885 Mrd Rubel (ca 170 Mio euro)

23102014 Der Generaldirektor des Moskauer Flughafens Wnukowo Andrej Djakow und sein Stellvertreter Sergej Soln-zew treten zuruumlck und reagieren damit auf das Flugzeugungluumlck am 20 Oktober bei dem der Konzernchef des Oumllkonzerns raquoTotallaquoChristophe de Margerie ums Leben kam Der Fahrer des Schneepflugs mit dem das Flugzeug kollidiert war wird von einem Moskauer Bezirksgericht bis zum 21 Dezember in Untersuchungs-haft gesetzt

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                  • Pavel Chikov Moskau
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                              • Dokumentation
                                • Luumlgen des Fernsehkanals NTV und Beanstandungen des JustizministeriumsErklaumlrung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL und der Russischen Gesellschaft MEMORIAL
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                                        • Briefwechsel uumlber die Zukunft des raquoPetersburger Dialogslaquo
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