Schattenläufer€¦ · In Ladakh, dem äußersten Norden Indiens, ist es Thomas Bauer (Text und...

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I NDIEN Stundenlang suchen wir steile Felswände nach einem der verbliebenen 360 Leoparden ab

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Stundenlang suchen wir steileFelswände nach einem der verbliebenen 360 Leoparden ab

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S c h a t t e n l ä u f e rIn Ladakh, dem äußersten Norden Indiens, ist es Thomas Bauer (Text undFotos) gelungen, einen Schneeleoparden in freier Wildbahn zu beobachten.Die Geschichte einer Spurensuche im Himalaya, die viel Geduld verlangte.

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st er das, Jigmet?“ Ich starre auf dieFelswand, die sich 60 Meter vor unsjäh erhebt. Der Boden scheint sich an

einer Stelle zu bewegen. Die Umrisse ei-nes großen Tiers schälen sich aus demschneebedeckten Hintergrund. Dann ste-he ich einem ausgewachsenen Schnee-leoparden gegenüber.Sein buschiger Schwanz, beinahe so

lang wie sein Körper, zuckt nervös. Erdreht den massigen Kopf in unsere Rich-tung und wittert, als wolle er herausfin-

den, welche Absichten wir hegen, ehe ersich würdevoll in höhere Lagen zurück-zieht und schließlich in einem Felsspaltverschwindet. Niemals zuvor habe ichein anmutigeres Tier gesehen. Die Hoffnung, einen der verbliebenen

300 Schneeleoparden Ladakhs in denrauen Berghängen des Himalaya zu ent-decken, ließ mich zu dieser Reise der be-sonderen Art aufbrechen. Zwei auf au-ßergewöhnliche Tierreisen spezialisierteAnbieter aus Berlin und Kalifornien ha-

ben sich zusammengetan, um Gästen inLadakh ein selten gewordenes Naturer-eignis zu bieten: eine Schneeleoparden-beobachtung in freier Wildbahn. Seit Jahren kooperieren sie deshalb mit

der Umweltschutzorganisation SnowLeopard Conservancy, die in LadakhsHauptstadt Leh sitzt. Deren Programmlei-ter, Jigmet Dadul, hat in seinem Lebenvermutlich mehr Schneeleoparden gese-hen als jeder andere. Er weiß, dass diescheuen Jäger ihrer Beute im Winter hi-

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Endlich eine Sichtung. Der gefleckte Schneeleopard streicht über eine Bergflanke

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nab in die Täler folgen. Dann kann mansie in Höhen zwischen 3.000 und 5.000Metern beobachten. Außerdem, vertrauter mir zu Beginn unserer Reise mit einemAugenzwinkern an, sind die ansonsteneinzelgängerischen Katzen dann auf Part-nersuche und insofern etwas abgelenkt.Geduld muss man dennoch aufbrin-

gen. Jeden Tag verlassen wir bei Sonnen-aufgang unser Zeltlager auf knapp 4.000Meter Höhe, folgen dem Verlauf mehre-rer Täler, überwinden Hügel und Fels-

spalten und tasten uns auf spiegelglatten,vereisten Flüssen voran. Bei minus 15Grad beißt jeder Atemzug in der Nase,das Wasser in den Trinkflaschen gefriertzu Eisklumpen. Die Höhe ist ungewohntund ich setze langsam und konzentrierteinen Schritt vor den anderen. „Genauwie eine Schildkröte“, bemerkt Jigmettaktvoll. Regelmäßig gehöre ich zu denLetzten, die eine Bewegung in der bizar-ren Mondlandschaft ausmachen. JigmetsAugen dagegen sind geübt darin, das

Terrain abzusuchen. Beinahe stündlichläuft ein Blauschaf, ein Steinbock oderein Fuchs vor die Linse seines Teleskops. Der Gedanke, dass der rauchgraue

Räuber, den wir so innig herbeiseh-nen, ganz in der Nähe ist und sich keineunserer Bewegungen entgehen lässt,macht unsere Suche zur Obsession. Nacheinigen Tagen halten wir jeden von derErosion verformten Felsen für einenSchneeleopardenkopf und vermuten denGefleckten hinter jedem noch so

Der Reporter beweist bei eisiger Kälte viel Geduld und beobachtet das Tarbung-Tal

Die Mägen knurren – Zeit für eine kurze Pause beim Leopard-Spotting

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Beim Aufstieg zeigt sich der Himalaya von seiner bunt-schönen Seite

Die Spurensuche mit Jigmet auf dem vereisten Fluss wird zur Rutschpartie

kleinen Gebüsch. Nachts besucht erunsere Träume. Tatsächlich verschmilzt die Bergkatze

zuweilen so gekonnt mit ihrer Umge-bung, dass man ihr in Teilen Ladakhs ma-gische Kräfte zuschreibt. In Liedern undErzählungen ist vom „Phantom der Ber-ge“ die Rede, dessen klagende Rufe denMenschen nachts den Schlaf rauben undKindern die Haare zu Berge stehen las-sen. Es ist dieses Heulen, der Paarungsrufdes Schneeleoparden, das bei westlichenBergsteigern immer wieder Gerüchteüber den Yeti befeuert.Dr. Rodney Jackson von der Snow Leo-

pard Conservancy lächelt, wenn er sol-che Geschichten hört. Die Faszination,

die von den letzten verbliebenen Schnee-leoparden unseres Planeten ausgeht,führt ihn seit über 30 Jahren auf die Spurder Tiere. Er hat früh erkannt, welchesPotenzial der Schneeleopard für die Ent-wicklung ländlicher Gebiete in Ladakhbesitzt. Und dass es sich lohnt, mit denMenschen vor Ort zusammenzuarbeiten,statt einander zu bekämpfen. „Wir setzen vor allem auf die Zusam-

menarbeit mit dörflichen Gemeinschaf-ten. In Ladakh haben wir ein Bildungs-programm initiiert, das Schulkindern dieVorteile eines funktionierenden Ökosys-tems nahebringt. Bauern gegenüber ar-gumentieren wir, dass der langfristigeNutzen durch den aufkommenden Tou-

rismus größer ist als der kurzfristige Scha-den, den ein Schneeleopard anrichtenkann. Gleichzeitig arbeiten wir daraufhin, dass die Gehege, in denen das Nutz-vieh nachts untergebracht ist, durch Elek-trozäune verstärkt werden. Auf dieseWeise wird von vornherein ausgeschlos-sen, dass ein Schneeleopard ein Schafoder eine Kuh reißt.“ Tierkunde als Unterrichtsfach und ein

modernes elektronisches Abwehrsystem:Dr. Jackson und sein Team haben ver-standen, welch kostbaren Schatz die rau-en Hänge des Himalaya beherbergen.Dabei wissen sie sich auf einer Linie mitden Grundüberzeugungen eines Volks-glaubens, der das Töten von Lebewesennur im äußersten Notfall erlaubt undlangfristig sinnvolle Lösungen favorisiert. In keinem anderen Land der Welt

drückt sich der Buddhismus so überzeu-gend und farbenfroh aus wie in Ladakh,das nach der Vertreibung des Dalai-Lamadurch die Chinesen das religiöse Erbe Ti-bets verwaltet. Auf Dächern und Brückenwehen Gebetsfahnen. Stupas in immerneuen Ausformungen zieren Anhöhen.

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Bäche treiben Gebetsmühlen an. Kloster-anlagen wie jene in Hemis und Thiksescheinen aus Felsen und auf Hügeln zuwachsen, so harmonisch fügen sie sich indie Umgebung ein. Hunderttausende Steine sind mit der

Formel verziert, die Gläubige mit unend-licher Geduld wiederholen: „Om manipadme hum“, ein Segensgebet für Kör-per, Geist und Seele. Im äußersten Norden Indiens, der im

Winter ausschließlich per Flugzeug er-reichbar ist, fühlt sich der Gast noch heu-te in eine andere Welt versetzt. Das giltan diesem Abend umso mehr, da wir unseren Triumph in Rumbak feiern. Alle20 Bewohner des Dorfs, das sich zwi-schen mehreren Sechstausendern in ei-ner Falte des Himalaya versteckt, sind zu-sammengekommen. Während sich „unser“ Schneeleopard

längst in ein einsames Versteck zurückge-zogen hat, singen und tanzen wir bis Mit-ternacht zu ladakhischer Volksmusik. Jig-met lächelt mir zu, und ich weiß, dass ichdie Ereignisse der vergangenen Tage niemehr vergessen werde. �

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SERVICE

LITERATUR

Seine Suche nach dem Schnee-leoparden dokumentiert Tho-mas Bauer ausführlich in sei-nem Reisebuch „Nurbu – imReich des Schneeleoparden“(166 S., Wiesenburg Verlag,16,90 €. ISBN: 3942063891).

DER REPORTER

Thomas Bauer (36) studierte inKonstanz, war Greenpeace-Mitarbeiter in Paris und Jour-nalist in Sydney. Inzwischen ar-beitet er für das Goethe-Institutin München. Ausgedehnte Rei-

sen führten ihn nach Osteuropa, Asien und Latein-amerika. Er umrundete Frankreich per Postrad, fuhrmit einer Rikscha durch 5 asiatische Länder, folgteder Donau in einem Paddelboot zum SchwarzenMeer und ging 2.500 km auf Jakobswegen bis zurspanischen Westküste. Seine Reisebücher errei-chen mehrere Auflagen. Mehr zum Autor unterwww.literaturnest.de

ANREISE

Mit Oman Air (www.omanair.com), Luft-hansa (www.lufthansa.com) oder Air India(www.airindia.com) nach Neu-Delhi ab540 €. Weiter ab 150 € nach Leh mit AirIndia, JetLite (www.jetlite.com), Jet Air-ways (www.jetairways.com) oder Go Air(www.goair.in).

VERANSTALTER

Die Reise in den Hemis-Nationalpark wirdvon dem Berliner Veranstalter Planeta Verde(www.planeta-verde.de) und dem kaliforni-schen Anbieter KarmaQuest (www.karma-quest.com) jeden Winter (Ende Februar/An fang März) angeboten. 17-tägige Schnee-leoparden-Trekkingreise ab 3.795 € inkl.Flug, VP, Transfer und Übernachtung. In Lehim modernen Mittelklassehotel „Omasila“(www.hotelomasila.com), unterwegs näch-tigt man in 1- oder 2-Mann-Zelten sowie beiGastfamilien in Rumbak.

WEB

www.india-tourism.com

Dieses Bild wurde mit versteckter Kamera der Snow Leopard Conservancy gemacht