Scheffler,1908,Moderne Baukunst

215
KARLSCHEFELER MODERNE BÄLKUN/r JULIUS ZEITLER LEIPZIG 1908

description

Scheffler,1908,Moderne Baukunst

Transcript of Scheffler,1908,Moderne Baukunst

  • KARLSCHEFELER

    MODERNE BLKUN/r

    JULIUS ZEITLER LEIPZIG 1908

  • n f\( . s a

    4o- \1is*0

    IM AUFTRAGE VON HANS VON M LLER GEDRUCKT VON W. DRUGULIN IN LEIPZIG

  • vo-W

    .St>

    ^0

    , 1^

    4-.

    A

    W.

    I N H A L TScirc

    Einleitung . .. .. ........................................................................... i

    E r s te R e ih e :Stein und E is e n ............................... ........................ ................ ..... 7Das M ie ts h a u s ............................... ..................................................... 1 3Das G esch ftsh au s............... . .. .. .. .. .. .. .. .. 4aHeim sttten................................................................................................. 64

    Z w e it e R e ih e :Sakralbaukunst................................................................................ 8yAkademische B aukunst........................................................................... 103Das Denkmal .......................................................................................... 128Vom R e s ta u r ie re n ........................................................................... *. 147

    D r i t te R e ih e :Kunstgewerbe .......................................................................................... 15 7Erziehungsfragen .. ............................................................. 169

  • R E G IS T E R DER A B B IL D U N G E Nnach Seite

    C. R. Ashbee in London: Landhaus zu Colswold in England .. 80 Peter Behrens in Dsseldorf: Tonhaus auf der Clner Aus

    stellung 1906 ............................ .. .. ... .. 99----------- Musiksaal auf der Dresdener Ausstellung 1906 ,, 120D inklage - P aulus in Berlin: Mietshaus in B erlin .............. 14Martin D lfe r in Dresden: Dortmunder Stadttheater . . . . 40August En deil in Berlin: Festsaal in Berlin (D etail).............. 16Jo sef H offm ann in Wien: Sanatorium Purkersdorf (Eingang) j 6 Ludwig H offm ann in Berlin: Kapelle des Virchow-Kranken-

    hauses in B e r lin ............................................... .. 88Wilhelm K reis in Dresden: Bismarck-Denkmal [Entwurf] .. 128 L o rin g c^-Phipps in Boston: Landhaus zu Newton bei Boston

    in Amerika .............. .................................. .. .. 80Alfred M essel in Berlin: Das Haus Schulte in Berlin (von der

    Neuen Wilhelmstrae aus; D eta il) ............................ 3 1----------- Das Haus Wertheim in Berlin (von der Vostrae aus) 48----------- Landhaus in Wannsee bei Berlin ............................ 75----------- Vornehmes Stadthaus in Berlin (Gartenansicht) .. .. 104Hermann M uthesius in Nicolassee bei Berlin: Landhaus

    [Entwurf] ............................ .. .. ............... 72Hans P oelzig in Breslau: Landhaus in Breslau ..................... 64Richard R iem er schm id in Pasing bei Mnchen: Musikzimmer

    auf der Dresdener Ausstellung 1906 ..................... 184Paul Schultze-N aum burgin Saaleck bei Bad Kosen: Treppen

    haus in einem Privathause zu Swinemnde............... 17 6Emanuel von Seid l in Mnchen: Landhaus am Walchsee .. 112

  • Register der Abbildungen V IInach Seite

    Henry van de V elde in Weimar: Vorraum fr das WeimarerM u se u m ..................................... . ....................................... 8

    ----------- Ezimmer auf der Dresdener Ausstellung 1906 .. 160Emil Rudolf W ei in Friedenau bei Berlin: Achteckiges

    Wohnzimmer auf der Dresdener Ausstellung 1906(zwei Aufnahmen) ...................................................... 168

    Ein gutes und ein schlechtes Reiterstandbild............................ 136Das Schwabentor zu Freiburg im Breisgau vor und nach der

    Restaurierung ............................................................. .. ryx

    Verfasser und Verleger danken auch an dieser Stelle den Herren B eh ren s, D in k lage 6 P aulus, D lfe r , E n d e il, Jo s e f H o ffmann, L u d w ig H offm an n , M essel, M uthesius, Schultze- N aum burg, S e id l, van de V elde und W ei fr gtige Hergabe von Vorlagen, sowie den Herren K reis, P oelz ig und R iem er- schm id fr die Erlaubnis, ihre Arbeiten zu reproduzieren.

    Die Tontzungen sind hergestellt von M eisenbach, R iffa rth 6- Co. in Schneberg bei Berlin und gedruckt bei H. S. Herm ann in Berlin.

  • Einleitung.

    Fr die in diesem Buch enthaltenen Abhandlungen Ober die wichtigsten Fragen moderner Baukunst sind, w o sic sich au f vorhandene Werke beziehen, fast berall Beispiele aus Berlin benutzt worden. Wenn der Anlass dazu auch vor allem durch den Zufall des Domizils geschaffen worden ist, so trifft es sich doch, dass auch die freie Wahl in Deutschland nicht w ohl Beispiele auffinden knnte, die fr das Wesen der modernen Baukunst, im guten und schlechten Sinne, so instruktiv zu wirken vermchten. In Grossstdten w ie Mnchen oder Dresden wre der Verfasser gezwungen gewesen, mehr Rcksicht auf lokale Entwicklungsbedingungen zu nehmen, als fr die Beurteilung allgemeiner Fragen ntzlich ist. In dem viel neueren Berlin ist aber eine besondere Eigenart alten oder neuen Datums nicht zu bercksichtigen; es herrscht vielmehr eine Indifferenz, die gewiss mit Bezug auf den Charakter des Stadtbildes sehr zu beklagen ist, die aber fr die hier in Frage stehenden Zwecke willkommene Bedingungen schafft. Denn nur diese etwas schlaffe und physiognomielose Bereitschaft, alles N eue, sei es gut oder schlecht, aufzunehmen, erlaubt es, mit berliner Verhltnissen zu exemplifizieren. Umsomehr, als der Unfhigkeit zu einer starken lokalen Eigenart eine Kraft entgegensteht, die sich in keiner ndern Stadt Deutschlands so unverhllt zeigt. Diese Kraft ist freilich nicht ein W ille, sondern nur ein vager Instinkt, derselbe Entwicklungsinstinkt, den w ir in allen Grossstdten an der Arbeit sehen und der durchaus internationalen Charakters ist. Als deutsche Stadt zhlt Berlin erst hinter vielen kleinen Provinzstdten; aber als Grossstadt

  • typus ist sic in der Entwicklung voraus. Frher als an andere Orten traten hier im Getriebe der sich rapide vervielfltigenden wirtschaftlichen Interessen Fragen auf, denen eines Tages berall praktisch die Antwort gesucht werden muss, w eil die Form der Grossstadt in Zukunft die Art der Kleinstadt entscheidend beeinflussen w ird. Die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen, woraus die moderne Architektur ihre Lebenskrfte zieht, sind in den wichtigsten Punkten einander gleich, ob es sich nun um England, Amerika, Deutschland oder um einen ndern Industriestaat handelt. Der Kosmopolitismus baut die Stdte und auch die Huser. Das Problem von Stein und Eisen ist international; das Geschftshaus entsteht bei uns w ie jenseits des Ozeans au f Grund von Forderungen, die sich um Heimatsgedanken nicht kmmern; die neue kunstgewerbliche Bewegung umfasst die halbe zivilisierte W elt; das Dilemma in der Sakralbaukunst findet man in allen protestantischen Lndern und sogar die schwierigen Fragen innerhalb der Monumentalbaukunst sind nicht allein mit nationalen Traditionen zu lsen. Die Zeit weist au f eine Kunst der Zukunft, die nicht von einem Volke, sondern von einer ganzen Rasse der germanischen - geschaffen werden soll. Gewiss werden in dieser internationalen Kunst des demokratischen Zeitalters Nuancen und Unterschiede enthalten sein. Innerhalb der allgemeinen Renaissance wird es sicher eine przise deutsche Note geben, w ie es ja schon einmal zur Zeit der ersten Renaissance der Fall war. Darber aber vor der Zeit zu sprechen, wre Phantasterei. Zuerst gilt es, au f die primitiven Anfnge, au f das Gemeinsame, nicht au f das Trennende hinzuweisen; und darum mssen die primren internationalen Krfte nach Gebhr bercksichtigt werden. Diese aber sind es, die in Berlin am leichtesten von allen deutschen Stdten Eingang finden, weil wenig Widerstnde lokaler Natur zu berwinden sind; und darum bieten sich in dieser Stadt die besten Beispiele.

    Es handelt sich fr die Architektur heute nicht zuerst darum, Das zu schaffen, was der eklektizistische Sinn unsrer Zeit

  • das Schne nennt, sondern darum, das Notwendige hervorzubringen. Nichts ist wichtiger als die Einsicht, dass es K raftvergeudung wre, nach einem Programm idealisierender W illkr zu arbeiten. In solcher Weise knnen einzelne interessante Bauten entstehen; nie eine Baukunst. W ir haben uns vielmehr das Programm von den Krften der Zeit, die dem W illen des Einzelnen entzogen sind, geben zu lassen. Die sozialen Notdurftsbildungen knnen allein reale Ausgangspunkte sein. Die Kunst, vor allem die Gemeinschaftsideen dienende Baukunst, darf von einem ernsthaften Geschlecht, das Wert darauf legt, modern das heisst: lebensvoll zu heissen, nicht als Spiel benutzt, nicht der W illkr preisgegeben werden, sondern muss als ein Organismus betrachtet werden, der sich an den Mchten des sozialen Lebens entwickelt, w ie der Naturorganismus sich in der Anpassung an Krfte der Natur ausbildet. Was die Wissenschaft, die mit dem Namen Darwin verknpft ist, vom Leben der Pflanzen, Tiere und Menschen lehrt, kann man sehr wohl auf die Entwicklungsgesetze der Baukunst bertragen. Sogar dieselben Einschrnkungen gelten hier w ie dort. Diese Einsicht ist noch bei weitem nicht genug verbreitet; man glaubt, Kunst und Leben sei zweierlei, das Schne sei ein Etwas, das unter denselben Umstnden anders sein knne.

    Diese Aufstze mchten wirken helfen, dass dieser freilich bequeme Irrtum zerstrt w ird. Wenn es sich unmittelbar auch um Besprechung konkreter Flle handelt, so zielt die Endabsicht darber doch weit hinaus. Die Probleme, die der Tag zur Diskussion stellt, sind allgemeine Zeitprobleme, die bescheiden a u f eine Profanarchitektur gerichteten Hoffnungen werden, zu Ende gedacht, zu Kulturhoffnungen, und was dem Leser im Anfang als eine Gedankenverknpfung erscheinen m ag, die ihn wohl interessiert, aber nicht nher angcht, w eil sie, so denkt er, Berufssache ist, das stellt sich beim Eindringen als eine Forderung an jede arbeitskrftige und verantwortlichkeitsfrohe Persnlichkeit dar. Als eine Forderung, der sich nur entziehen wird, wer die hhere Idee des Lebens nicht gelten lsst.

  • Erste Reihe:

    Stein und Eisen.

    Das Mietshaus.

    Das Geschftshaus.

    Heimsttten.

  • Stein und Eisen.

    Es gibt zwei Arten von Zweckmssigkeit. Die eine schafft handgreifliche Ntzlichkeitswerte und die andere nur mittelbar ntzliche Erkenntniswerte. A u f allen Gebieten des Lebens, wo immer geistig beherrschte Krfte arbeiten, ist dieser Dualismus zu spren; und berall ordnet sich die zweite, geistigere Art der ersten materiellen mit innerer Notwendigkeit ber. In der Kunst betont der aufs Utilitaristische gerichtete Zwcckgedanke das naturalistisch Stoffliche, whrend der Zwecksinn des idealen Erkenntniswillens die schne Stilform produziert. Diese steht in ihrer nur dem Gesetz unterworfenen Freiheit hher als die aaturalistische Form , die immer durch profane Rcksichten angefesselt ist. W o die eine den Tageszwecken dient, bezieht sich die andere auf Gedanken der Ewigkeit.

    Whrend der Naturalismus in Poesie, Malerei und Musik durch nichts legitimiert w ird als durch die Unfhigkeit der Knstler und die Empfindungslosigkeit ihres Publikums, fordert die Baukunst eine scharfe, praktische Trennung. Innerhalb ihres Gebietes ist der profane Nutzzweck berall dort unvermeidbar, w o die Architektur fr greifbare Bedrfnisse, fr die leibliche Notdurft zu sorgen hat. Die Baukunst ist in ihrem grsseren, wenn auch nicht wichtigeren Teil, im Gegensatz zu den anderen Knsten, eine angewandte Kunst. Sie dient abwechselnd beiden Arten von Zweckmssigkeit: der einer nchternen Ntzlichkeit, und der einer idealen Erkenntniskraft. Die reine Sdlform , das heisst: das abgeleitete und zur Abstraktion erhobene Schne ist nur mglich in Architekturen, die dem niederen Bedrfnis entrckt sind. W o Zwecke des Wohnens, der Arbeit, der Ver

  • teidigung usw. einzukleiden sind, w o der Naturalismus der Notdurft das entscheidende Wort hat, erschweren oder verbieten solche usscrliche Bedingungen das Streben nach der rein darstellenden Schnheitsform.

    Was in den anderen Knsten Schwche ist, w ird darum in der angewandten Baukunst zur Tugend. Ist es dort stets eine Unvollkommenheit, wenn der Knstler das profane Bedrfnis nicht berwinden kann, so ist es ein Zeichen der Fhigkeit, der Logik und der Konsequenz, wenn sich der Architekt, der Nutzbauten zu schaffen hat, dem Bedrfnis ganz hingibt und sich von ihm die Gedanken diktieren lsst. Wenn der Zw eck aller Kunstarbeit das Schne sein so ll, so muss fr die Profanarchitektur eine Einschrnkung gemacht werden, weil sie nur eine Halbkunst ist. Ihr vornehmster Zw eck bleibt stets das Ntzliche das ja auch in gewisser Weise schn sein kann und sie verzichtet bewusst au f die hheren Reprsentativformen der Monumentalbaukunst, die ihr nicht gemss sind.

    Diese beiden entscheidenden Tendenzen ussern sich schon in der Grundrissbildung. Whrend der Grundriss des Wohnhauses, der fr die Verteidigung bestimmten Burg, des Geschftsgebudes von den mannichfachsten Bedrfnissen bestimmt w ird und darum naturgemss charakteristisch unregelmssig ist, gestaltet sich der Grundriss fr Reprsentativbauten, fr Tempel, Kirchen, Palste, stets w ie von selbst symmetrisch. Im ersten Fall wird von innen nach aussen gebaut: der Wohnzweck bestimmt die Gliederung der Massen; im zweiten Fall aber wird im wesentlichen von aussen nach innen gebaut: das Bedrfnis ordnet sich einer reprsentativen Schnheitsidee unter. Diese Zwieteilung ist in der Baugeschichte aller Vlker zu erkennen, und je mehr w ir eine Epoche ihrer Baukunst wegen preisen, um so strenger ist in ihr auch stets die Scheidung des Ntzlichkeitsprinzips vom Reprsentationsprinzip vollzogen worden. In richtiger Einsicht der verschiedenartigen Bedingungen hat man es dann nicht versucht, das Widerstrebende zu vermischen. Es sind wohl

  • Schmuckformen, die die Tempelbaukunst geschaffen hatte, in mehr oder weniger bescheidener Weise fr das Wohnhaus verwendet w orden; auch ist es in berkultivierten Zustnden nicht selten vorgekommen, dass die Grenze zwischen Nutzbau und Monumentalarchitektur verwischt wurde und dass die Reprsentativformen vom unbeschrnkten Ichgefhl allzureich fr niedere Zwecke missbraucht wurden. Dieses Schauspiel wiederholt sich sogar regelmssig in Verfall Zeiten, wenn die Produktionskraft versiegt und die Schnheitsformen ihrer ethischen Bedeutung entkleidet, dem sthetischen Spieltrieb der Allgemeinheit freigegeben sind. Niemals aber ist doch der Grundgedanke des praktischen Dualismus davon berhrt worden; niemals bis in unsre Zeit, w o w ir das Schauspiel einer ernstgemeinten Rivalitt zwischen Mietswohnungen und Palsten, Brsen und Tempeln, Konzerthallen und Kirchen sehen, w o eine gemeinen Nutzzwecken dienende Architektur sich in einem Kleide monumentaler Reprsentativformen ihrer Wesensart schmt und w o die Unmglichkeit nicht begriffen w ird , ein Gebilde der N ot ebenso zu gestalten w ie eines der frei dichtenden Phantasie.

    Die Verschiedenartigkeit der Zwecke spiegelt sich natur- gemss nicht nur im Grund- und Aufriss und in den Schmuck- formen wieder, sondern auch in der Materialverwendung. Wo ein ntzlicher Zw eck mglichst praktisch erreicht werden soll, sind andere Mittel ntig als dort, w o reine Schnhcitswirkung das Ziel ist. Im ersten Fall ist das Material w ichtig, insofern es der Notdurft vorteilhaft ist, das heisst: insofern es leicht zu beschaffen und bequem zu bearbeiten ist; im zweiten Fall gilt die Forderung, dass sich in dem M aterial, whrend es den praktischen Ansprchen gengt, die Formen, die die Phantasie erfindet, plastisch ausprgen lassen. Die Geschichte lehrt, dass es nie eine Monumentalarchitektur gegeben hat, die sich nicht des Steins bedient htte, whrend der Nutzbau daneben stets die mannigfachsten Materialien verwandt hat. Es ist offenbar unmglich, mittels des Holzes wahrhaft schne Bauwerke zu

  • schaffen. Was mit diesem Material gemacht werden kann, haben die Chinesen und Japaner gezeigt. Ihre Tempel und turmartigen Anlagen sind zuweilen w ohl von einer gewissen grotesken Monumentalitt; aber die edle Baukunst grossen Stils ist es doch nicht. Andere Vlker, die nur das Holz benutzen oder eine gemischte Material Verwendung haben, sind nicht glcklicher gewesen. Im Profanbau ist das Holz dagegen von je mit vielem Glck angewandt w orden, und man hat damit die feinsten sthetischen Wirkungen naturalistischer, das heisst also: zweckdienlicher Art erreicht.

    Die Unterscheidung, w orauf es ankommt, w ird bezeichnet, wenn w ir von Steinarchitektur und von Holzkonstruktion sprechen. Konstruktion ist nicht Kunst. Der Konstrukteur tut das Notwendige, und er sinnt hchstens noch darauf, w ie er dieses verbergen oder verschnern knnte; der Knstler aber geht hierber w eit hinaus, denn er nimmt die Arbeit des Konstrukteurs als selbstverstndliche Voraussetzung und sucht den darin verborgen liegenden Sinn gleichnishaft durch freie Form- bildungen zu illustrieren. Dem Konstrukteur gengt es, wenn er den Funktionen der Bauglieder genau Rechnung trgt; der Knstler aber behandelt die Funktion als etwas Seelisches und schafft mittels der Kunstform diesem Seelischen einen Krper, der die innere Kraft ausdrckt. Dort herrscht der Zw eck selbstherrlich; hier denkt der Mensch darber. Der Knstler ent- materialisiert die Materie, indem er an Stelle der Notwendigkeit das Symbol dafr setzt und indem er alle Krfte, die er als D ruck, Spannung, A ngriff und Widerstand im Gebude ttig w eiss, anthropomorphosiert. Die Konstruktion gehrt der N atur, denn auch diese konstruiert in allen lebendigen Organismen; die Kunstform aber gehrt allein dem Menschen, und ist unmglich ohne dessen Schpferkraft. Darum ist es ntig, dass der Knstler, wenn er die freie Form bilden w ill, auch seinem Material gegenber frei ist. Und dies ist er nur, wenn er aus der Masse herausarbeiten kann. Das Funktionsglied, der Holzbalken, beispielsweise, lsst im besten Falle die Verzierung

  • zu; die Kunstform grossen Stils aber ist niemals etwas Hinzugefgtes, sondern immer die Sache selbst. Darum bedarf die Baukunstj w ie die Skulptur, einer Masse, die alle Mglichkeiten zulsst, einer Masse, w ie sie nur der Stein darbietet, sei er nun natrlich gewachsen oder knstlich nachgeahmt.

    Auch im Steinbau muss freilich technischen Bedingungen Rechnung getragen werden; aber die Konstruktion tritt dort nie an die Oberflche, w eil die Krfte ber die ganze Masse verteilt sind. U nd, was noch wichtiger ist: die Konstruktion ist dort immer schon die Grundlage eines Stilgedankens. Die Beschftigung mit der geschichtlichen Entwicklung der Baustile gibt einen klaren Beweis, w ie die Technik mit dem Stilgedanken zusammenhngt. Das Prinzip der griechischen Baukunst beruht darauf, das horizontal Lastende vertikal zu sttzen; die Grsse des von Mauern und Sulen getragenen Steinblocks bestimmt Mass und Charakter der Raumgestaltung. Die Etrusker lernten aus keilfrmigen Steinen das Gewlbe bilden, und diese Erfindung erzeugte ganz von selbst Raumideen, w ie sie in der rmischen Baukunst und am konsequentesten spter im romanischen Stil ausgebildet wurden. Das gotische Spitzbogenprinzip ist au f die spter gewonnene Fhigkeit zurckzu fhren, den ungeheuren Druck, den die mittlere Partie des runden Gewlbes auszuhalten hat * umsomehr, je weiter die Spannung ist durch das Herausschneiden dieser Mitte aufzuheben. Die M glichkeit, in dieser Weise grosse Hhen zu erreichen, ist voll ausgenutzt w orden, und die Stilformen haben sich dem Kon- struktionsprinzip wiederum eng angeschlossen. Die Technik w ar immer die Mutter der Stilgedanken. Aber auch eine w irklich gebrkrftige Mutter. Denn man kann die Technik eigentlich nicht einen Nutzwert nennen, sondern vielmehr eine Entdeckung innerhalb des Spiels der fundamentalsten Naturkrfte. Sie ist von vornherein schon hherer A rt, weil sie nicht von der N otdurft, die sich meistens einfacher und praktischer behelfen kann, gesucht und gefunden w ird. Das Bedrfnis, den Raumgedanken einem eng umschriebenen Zweck

  • anzupassen, ist durchaus profan; aber das Problem , wie ein Lagerndes gesttzt, eine Decke gewlbt oder ein Bogen konstruiert werden kann, gehrt ins Bereich der geometrischstatischen Phantasie und damit ins Gebiet jener hheren, au f Erkenntnis gegrndeten Zweckmssigkeit. Man weiss darum auch niemals zu sagen, wenn man au f die Entwicklung der Baustile blickt, ob diese die Folgen zuflliger technischer Erfindungen sind, oder ob ein dunkles Formgefhl die Erfindung hervorgerufen hat. Wahrscheinlich hat beides immer zusammengewirkt. Amerika ist schliesslich durch Zufall entdeckt w orden; aber doch erst, als ein feiner Instinkt Schiffe zum Zw eck der Entdeckung ausgerstet hatte. Die Stile sind geworden, w ie w ir sie heute kennen, indem das technisch Gegebene knstlerisch von der gestaltenden Phantasie, von den der Notwendigkeit nachtastendcn Instinkten abgewandelt wurde. Und dieses eben ist nur in der Steinbaukunst mglich. N ur dort vermag die innere Vision sich an dem Kam pf von Kraft und Widerstand zu entznden, nur dort rckt dem anschauen- den Geist das Notwendige ins Licht der hheren Idee. Im Holzbau dagegen schlicsst die Konstruktion mit sich selbst ab. Es ist nur Spielraum fr einiges Ornament, w eil alles offen zutage liegt; es bleibt kein Geheimnis, w eil keine Masse vorhanden ist. Keine Flche! Diese aber ist Voraussetzung aller architektonischen Kunstform, wie die Handlung Voraussetzung des Dramas ist. Fr den Bildhauer bedeutet ja ebenfalls das Skelett an sich gar nichts; erst die Masse des lebendigen Fleisches und der Muskeln, die sich berall sichtbar auf das darunterliegende Gerippe bezieht, w ird fr ihn zum Gegenstand der Kunst.

    Da das Steinmaterial am weitesten der Fhigkeit, verborgenen Krftespielen Formgleichnisse zu finden, entgegenkommt, sind in ihm Bildungen von grsser Vollkommenheit mglich geworden. Und diese Formen sind immer auf andere Materialien dann bertragen worden. Der spezifische Materialcharakter ist stets ohne Bedenken, der Kunstidee zuliebe, hintangesetzt

  • worden, soweit die technischen Bedingungen es irgend zuliessen. In Schrnken aus Holz sind steinerne TempeJarchitekturen wiederholt oder variiert w orden, auf Tongetssen sieht man Verzierungen, die ursprnglich fr die Fassade gedacht waren und auch innerhalb der Metallbearbeitung setzt sich, wo es irgend angeht, die architektonische Form durch. Nachdem einmal eine tiefsinnige architektonische Kausalittsidee ihren reinen formalen Ausdruck gefunden hat, kmmert sie sich nicht mehr um den tatschlichen Zusammenhang von Sein und Schein in jedem einzelnen Fa ll, sondern wendet die wertvolle Formel gleichmssig an. Den Besitz w irklich lebendiger Schnheitsformen haben die Menschen immer sehr hoch geschtzt und dieses Ergebnis einer hheren Erkenntnis der profanen Logik ohne Bedenken vorangestellt. Zweierlei Kunstformen, fr den Reprsentativbau und fr die Nutzarchitektur, hat es nie gegeben; der Schmuck am Zweckbau stammte immer irgendwie von der edlen Bauform ab. Aber man hat dafr in allen starken Epochen auf die Kunstform berhaupt verzichtet, w o es in der Zweckarchitektur ntig war.

    In unseren Tagen des Naturalismus in allen Knsten ist das Prinzip verkndet w orden, es mssten fr jedes Material und aus dessen Eigenart heraus besondere Kunstformen entw ickelt werden. Diese mssten sich ergeben, einerseits aus der formalen Klarlegung der Funktionen, die ein Material innerhalb einer Zweckidee ausbt und andrerseits aus den technischen Bearbeitungsbedingungen mit besonderen Werkzeugen. Das Holz also msste andere Kunstformen aufweisen w ie der Stein und das Metall wieder andere wie diese beiden Materialien. W re dieses Raisonnement richtig, so wrde die Kunstform weniger etwas subjektiv zu Schaffendes sein, als etwas objektiv Gegebenes, was doch keineswegs der Fall ist. Dieser Grundsatz konnte Geltung erlangen, w eil w ir eine eigne Baukunst nicht haben und sie au f dem Wege ber den Naturalismus des materiellen Zweckgedankens zu gewinnen hoffen. N ur mit Rcksicht au f diese Hoffnung ist dem Gedankengang ein ge

  • wisser Wert nicht abzusprechen. Es usscrt sich darin ein aufs Rechte zielender Instinkt, der sich nur in der Begrndung ver- g re ift*)

    A u f diesem Punkte kehrt sich das Problem um , und es zeigt sich der Zusammenhang, der zwischen Reprsentativkunst und Nutzarchitektur besteht. Die reinen, abstrakten Kunstformen sind nmlich doch nicht absolut freie Bildungen der Phantasie, sondern zum grossen Teil aus naturalistischer Erfahrung und Anschauung entstanden. Die M otive der griechischen Baukunst sind ursprnglich aus der Holzkonstruktion hervorgegangen. Die profane Materialnotwendigkeit ist also zum Ausgangspunkt von Formen geworden, worin sich das nachtastende Gefhl fr Kausalitt so genial ausdrckt, dass sie sich ber zwei Jahrtausende erhalten konnten und noch jetzt so lebendig wirken wie zur Zeit ihrer Entstehung. Aus Balkenkpfen z. B. sind reine Stilformen entwickelt, die an einen Zw eck nicht mehr erinnern, vollkommen entmateriali- siert erscheinen und nun als hohe dekorative Werte gelten. Der Realittssinn hat den Grund geschaffen, worin die Phantasiebildungen wurzeln. Der erfindende Geist konnte nicht anders, als vom konkreten Einzelfall ausgehen, wenn er nicht in Phantasterei enden w ollte; er hat im Notwendigen das Gesetzliche gesucht, w ie es jeder Dichter, jeder Musiker tut, wenn sie das Schne schaffen w ollen , und ist so zu unsterblichen Resultaten gekommen.

    * *

    M it diesen kurzen Betrachtungen allgemeiner Natur ist die Frage nach der Verwendungsmglichkeit des Eisens in der Baukunst eigentlich schon beantwortet. Noch viel mehr als

    *) brigens sei in Parenthese gesagt: fast jeder gesunde In stink t begrndet sich flsch, weil ein Unbewusstes oder nu r halb Bewusstes sich nicht selbst erklren kann. Darum sollte n u n berall im Leben nicht soviel au f logische Grnde geben, sondern m ehr a u f die w irkende Kraft b licken; sic a llein lebt noch fort, w enn die Grnde lngst m it allen W inden verw eht sind.

  • das Holz ist das Eisen ein Konstruktionsmaterial, und noch mehr schliesst es darum die freie Kunstform aus. Von plastischer Krperlichkeit ist bei diesem Material fast gar nicht mehr die Rede; an Stelle des Holzbalkens tritt ein dnnes Stab werk, die grssten Lasten werden von schlanken Sttzen getragen, und Flche ist nur herzustellen, w enn, in der Art des Fachwerks, die Lcken zwischen den Schienen mit Stcinmateriai ausgefllt werden. Alle Versuche, dem Eisen unmittelbar Kunstformen abzugewinnen, sind bisher gescheitert und werden auch fernerhin nicht glcken. N ur mittelbar vermag auch diese Materiai- frage au f die hohe Baukunst zurckzu wirken.

    Das Eisen spielt in der Zweckarchitektur unsrer Zeit eine bedeutende Rolle und hat durch seine spezifischen statischen Eigenschaften in manchen Punkten ganz neue Bedingungen geschaffen. Von vornherein ist es charakteristisch, dass es nicht der Architekt ist, der die Mglichkeiten des Eisenbaues organisiert, sondern dass ein neuer Beruf entstehen musste, um der modernen praktischen Aufgaben Herr zu werden: die Ingenieurwissenschaft. Diese w ill prinzipiell etwas anderes als die Baukunst. Der Ingenieur geht von der Rechnung aus, der Architekt von der Kunstidee. Es bringt beide einander nicht nher, dass in jeder Rechnung schon der Keim einer Schnheit liegt, und dass die vollendete Kunstform im innersten Wesen durchaus mathematisch messbar ist. Denn den Ingenieur interessiert die Schnheit, die zwischen seinen Zahlenkolonnen heimlich lebt, sehr w enig; und der Bauknstler setzt das Mathemathische der Schnheit stets als einen Empfindungswert voraus. Auch die verschiedenartigen Aufgaben beider sind nicht geeignet, eine Verstndigung herbeizufhren. Eine Begegnung findet nur a u f einem relativ kleinen Gebiete statt.

    Seit der Ingenieur technische Schwierigkeiten spielend berwindet und vom Zeichentisch aus die gewaltigsten Materialmassen meistert, hat der reine Eisenbau einen Charakter bekommen, dem es nicht an Zgen heroischer Monumentalitt gebricht. Diese Monumentalitt w irkt umsomehr auf den

  • modernen Menschen * als er von den historischen Kunst formen bersttigt ist und nach eignem Besitz ausschaut. Es ist verstndlich, dass Menschen, die sich reinen Sinnes nach einer grossgearteten Baukunst sehnen und doch erkennen, dass dieser Sehnsucht in absehbarer Zeit Erfllung nicht werden kann, sich von der primitiv raffinierten Grossartigkeit gewisser In- genieurwerkc fesseln lassen. Vor einem Bauwerk wie die Firth o f Forthbrcke mag man starke Impressionen erleben; mit einem fast sthetischen Vergngen sieht man das Innere einer gewaltigen Bahnhofshalle, und fast knstlerische Empfindungen sprt man vor der majesttischen Kraft einer arbeitenden Dynamomaschine, vor den herben Formen eines Kriegsschiffes oder nur vor der harten Grazie eines Krahns. Was in allen Fllen so stark berhrt, ist einerseits die absolute Phrasenlosig- keit, und anderseits die Form gewordene, mathematisch exakte Logik. Die Phantasie wird produktiv; sie beeinflusst das Auge, die strenden Nebensachen nicht zu sehen, vervollkommnet das Primitive und trumt sich die Konstruktion, w orin die Schnheit schlummert w ie die Blume im Keim, zu einer Kunst empor. Trotzdem kann das Ingenieurwerk niemals Kunst werden, weil es ihm an Freiheit gebricht. Auch liegt eine Veranlassung, diese Konstruktionen knstlerisch zu steigern, nicht vor, w eil es sich allein um den Dienst ntzlicher Zwecke und praktischer Bedrfnisse handelt. Die Hoffnungen, die von den modernsten und ernsthaftesten Geistern an die Bedeutung der Ingenieurarbeit fr die Kunst geknpft werden, sind verstndlich; aber w ir mssen uns trotzdem klar werden, dass der Wunsch in diesem Falle der Vater des Gedankens gewesen ist.

    Zweckbauten sind stets am schnsten, wenn sie konsequent im Rahmen ihrer Bedingungen bleiben. Dem Eisenbau ist eine A rt von Schnheit zweiten Grades eigen, eine gebundene Konstruktionsschnheit und eine besondere Stilidee. Die Konsequenz: das ist der Stil des Eisens. Da die Rechnung die entscheidenden Werte prgt, muss es auch bei der Rechnung bleiben, und fremde Gedanken mssen ferne gehalten werden.

  • AUGUST ENDELL FESTSAAL IN BERLIN (Detail)

  • Eine Eisenbahnbriicke mit mchtiger Spannung w irkt nie schn im hheren Sinne, vor allem nicht in der Landschaft, w eil sie nicht, w ie eine Steinbrcke, gewachsen erscheint, w eil es ihrem Gestrhn, das berall die Luft hindurchblicken lsst, an Masse fehlt; aber man empfngt doch den Eindruck von Kraft und Mchtigkeit. Wenn alle unsere Bauwerke zugrunde gingen und nur solche Ingenieurwerke der N achwelt erhalten blieben, mssten die Enkel hohe Achtung vor der khnen Intelligenz unserer Zeit gewinnen. Aber diese Gebilde mssen dann nur sein wollen, was sie sind. Es ist Wahnsinn, die hhere sthetik retten zu w ollen, indem man den Eisenkonstruktionen historische Kunstformen gesellt. N ie geht das zweckvoll Ntzliche, das naturalistisch Charakteristische mit dem zwecklosen Schnen zusammen. Es sind zwei Welten. Darum wirken unsere Eisenbrcken so hsslich, wenn ihr M auerwerk in irgend einem S til gebildet, mit Trmchen und Ornamenten verziert worden ist. W o es unvermeidlich ist, Stein und Eisen nebeneinander zu verwenden, muss auch die Steinmasse naturalistisch behandelt sein. Das heisst: die Funktionszwecke auch des Steins mssen klar zum Ausdruck gebracht werden, unvermittelt, wie es die Notwendigkeit gerade fgt. An den Bauten der Berliner Hochbahn haben w ir gesehen, w ie grotesk das Ergebnis ist, wenn architektonische Dekoration ber die hssliche Eisenkonstruktion hinwegtuschen so ll.* N ur fremde Bestandteile

    * Die Erbauer der Berliner Hochbahn haben ihre Verpflichtung der Kunst gegenber missverstanden und sich w illig dem Verlangen des Herrn Jederm ann gefgt, der da dekretierte, eiserne Konstruktionen seien hsslich und darum nach Mgliclikeit architektonisch Zu umkleiden . D er Ingenieur hat dem A rchitekten die Reprsentation tiberlassen, und aus der Verquickung zw eier unvereinbarer Formenwelten ist e in Bastard hervorgegangen, wie ihn nur bergangszeiten so scheusslich und charakterlos produzieren knnen. Das G rundbel bei allen ffentlichen Bauten ist, dass auch im Staate der aristokratischen Kunst das allgemeine W ahlrecht gilt. W enn jeder steuerkrftige Brger durch den Mund eines Kommissars Bercksichtigung seiner sthetischen M einung erzwingen kann , w ird die Kunst allgemach zum Mdchen ftir alle. Heim Bau der Hochbahn sind die Stimmen der schnheitstrunkenen Pfahl

  • beleidigen das Auge, nie aber Notwendigkeiten. Das allein Charaktervolle ist das Bekenntnis zu dem was ist. Die Einzelformen an Werken des Eisenbaues haben sich aus den Bedingungen der Lagerung, der Querschnitte usw. zu ergeben. Der Ingenieur kann auch innerhalb seiner profanen Aufgaben Geschmack entwickeln, wenn er das Detail nur in strenger Relation zur Idee des Ganzen und des Entstehungsprozesses ausbildet und fremdartige Anschauungsweisen ausschliesst. Die unleugbare Schnheit einer Maschine, eines Automobils ist nur Resultat eines solchen, auf alles Unwesentliche verzichtenden Geschmacks. Aber hiergegen wird im allgemeinen unerhrt

    brger, w ie es in einer liberalen Gem einde verstndlich ist, ausschlaggebend gewesen; es hiess, das eiserne Gerst verunziere die Strasse nnd en tw erte die Gipsschnheit der Fassaden. A u f das neue, notwendige Verkehrsmittel verachten, w ollte m an dagegen ebensowenig. Im Berliner Strassenbild w irken die Eisenkonstruktionen frem d, weil die Hauptstadt physiognomielos ist. Nur au f wenigen Punkten hat m an den Eindruck der Geschftsstadt. In den Vororten werden Fabriken gebaut, an der Peripherie Geschfte gemacht und in der inneren Stadt p fercht m an sich in dunkeln Etagen zusam m en; ber jeden Baum, der geopfert w erden muss, erhebt sich ein sentim entales Geschrei, aher zugleich mchte m an es New York in der weltstdtischen Lebensform zuvortun. D er Brger w ill in den Strassen vor allem eine Palastarchirekmr, mchte aus seiner Kaiserstadt zugleich eine Zentrale der Arbeit und ein brgerliches Versailles m achen; dass e r in seinem Stuckschloss ber einer s tinkenden Stehbierhalle w ohnt, vom H offenster aus in zw anzig andere W ohnungen sieht und in dieser proletarischen Daseinsform der Sklave aller W elt ist, m erk t er aber gar nicht. Ein dem profanen Bedrfnis entsprechendes Unternehm en, w ie die H ochbahn, setzt die m oderne Gressstadt voraus, wie sie sich in Am erika ausbildet: die Stadt frs Geschft, das Land zum Wuhnen, fordert als Folie Geschftshuser w ie das von W ertheim, Bahnhfe, Fabriken, H afenpltze und die primitive M onumentalitt him m elhoher Speicher. \ b r den T ren von Offiziers- und Beamtenwohnungen, h inter zwanzigjhrigen Bumchen ist das Eisen freilich frem d und hsslich. D er Begriff des Charaktervollen bedingt als Grundlage das Organische; das Nebeneinander des parvenu- h a ft Kleinstdtischen neben dem Grossstdtischen lsst das Ingenieurwerk, w o es sich rein erhalten hat, als fremdes Element erscheinen und hat andererseits nun das schlimme Kompromiss gezeitigt. Die A rchitekten haben sich m it der unmglichen Aufgabe herum geqult, den Zweckstil dekorativ zu vervollkom m nen, Stein nnd Eisen organisch za vereinen.

  • gesndigt. Man glaubt zu verschnern, wenn man eiserne Sttzen w ie griechische Sulen ausbildet und knstlerische Steinformen auf das Eisen bertrgt. Dabei lsst schon der Massstab diese Kunstformen in Eisen karikiert erscheinen. Das Eisen verbietet eben jede willkrliche Verzierung. Selbst die Schnitzereien und Bemalungen, die den Holzbau so reizvoll machen knnen, sind unmglich, weil es dem Eisen ganz an Plastik fehlt, w eil es nur als Linie wirken kann. Und die Linie bedeutet in der Baukunst nichts, die Masse alles.

    Die einzige M glichkeit der Formbildung zeigt sich im Profanbau. Das in Wohngebuden, Warenhusern usw. ver-

    Als die Bahn noch m itten im Bau war, gab es hier an d da Sensationen. berhaupt: m an erlebt in der Gegenwart die strksten architektonischen Eindrcke von halbfertigen Bauwerken. Fin Rohbau ohne T ren und Fenster, ungeputzt, in dem feinen, verstaubten Ton mrkischer Ziegel, m it der deutlichen, vom Gipsornam ent noch ungebrochenen T endenz vertikalen Strebens, im m onum entalen Verhltnis der grossen undetaillierten Massen, w irkt in aller dsteren Prim itivitt schn oder doch stark. Frchterlich wird das moderne Etagenhaus erst im fernen Westen Berlins und in jeder Grossstadt kann m an es tglich beobachten -, w enn das Kunsthandwerk sich hineinmischt. Ebenso war es bei der Hochbahn.

    So lange die konstruktive Absicht allein am W erke war, das Gerippe noch, nnverkleidet, die Bestimmung und Funktion jedes Teils zeigte und die Montage sozusagen von den K notenpunkten des statischen Problems ans ih r W erk begann , w irkte der Anblick dieser Prim itivitten o ft wie ein Kunstversprechen.

    Auch sind den A rchitekten hier nnd da schne Form en gelungen. An der Kreuzung der Potsdamer Strasse zum Beispiel gibt es vier T rger, die in Form nnd Verhltnis knstlerisch sind. Kapitl und Fuss der schlanken, nach unten verjngten Streben sind aus Formationen, wie die Statik sie forderte, aus den Lagerungs- und Materialbedingungen abgeleitet. A ls diese berzeugend und elegant profilierten Snlen den kolossalen, schn geschwungenen Brckenbogen trugen und das Ganze im brennenden M ennigerot durch den Nebel der Strasse leuchtete, verursachte dieses Stck moderner T echnik ohne weiteres sthetischen Genuss. Am Nollendorfplatz sind Beispiele anderer A rt von derselben W ucht zu sehen. Je tz t ist das alles schwer nachzuprfen, denn der A rchitekt hat m it sezessionistischen O rnam enten die keusche Schnheit berufsmssig verdorben und die ursprnglichen Verhltnisse durch dicke Sandsteinmauem zur Karikatur gemacht. Solche wertvolle Formen sind

  • wandte Trgergeblk, die Sttzen und Pfeiler, mssen, soweit sie in Innenrumen dienen, aus Grnden der Feuersicherheit mit einer Putzschicht umkleidet werden. Denn das unmittelbar der Hitze ausgesetzte Eisen wrde sich biegen und die Mauern mit sich reissen. Bisher haben die Architekten diese neue sich darbietende Aufgabe leicht genommen und die Ummantelung irgendwie mit Ornamenten oder Blmchen verziert; und doch ist hier die M glichkeit gegeben, lebendige Formen zu erfinden, wenn das Bestreben herrscht, die Konstruktionsmotive in dem Putzmaterial sichtbar zu illustrieren. Dasselbe gilt bei der ganz allgemeinen Verwendung von eisernen Trgem

    olfenbar in ih rer Reinheit m ehr zufllig entstanden, denn zwanzig Schritte weiter sieht m an andere T rger, die in allen Proportionen abscheulich sind. Es fehlt in der Ingenieurarbeit eben ganz die artistische Disziplin und hhere Einsicht. D ie Logik der Tatsachen erzeugt berall Stilkeime; aber nu r durch Zufall entwickeln diese sich hier und da einmal. Das ganze Schaffen ist trockene Wissenschaft, und n u r eine knstlerisch geschulte Intelligenz knnte m it Auswhlen, Verstrken und Vereinfachen etwas Typisches aus der N otwendigkeit ableiten. Der Ingenieur geht stets den bequem sten Weg, rechnet aus Sparsamkeit m it den Lagerbestnden der Eisenwerke und verw endet lieber zehn vorrtige Profilstbe, als dass er sich zwei neue herstellen liesse. D aher das Zuviel, das langweilige, verwirrende G estrhn gleichartiger Details. Man muss schon zu abstrahieren, den Blick a u f die Knotenpunkte der Konstruktion zu konzentrieren verstehen, um sich sthetische Anregung zu verschaffen.

    A u f der Strassenbahn hrte ich einst ein Gesprch ber die im Ban befindliche Hochbahn. Ein w rdiger H err beklagte sich ber die Hsslichkeit des roten Eisens, w orauf sein Begleiter sagte: Lassen Sie nur, w en n die Sache erst eine schne Steinfrbe hat . . Das ist ganz der Standpunkt des m odernen G ebildeten: Eisen muss Steinfarbe haben. A rnheim geht noch w eiter; er streicht die Aussenseite seiner m it prachtvollen Stahlplatten gepanzerten Geldschrnke holzfarben an und im itiert geschnitzte Renaissanceom am ente darauf. Und w ie schn ist doch die natrliche Farbe des Eisens, das M ennigerot, welche stilkrftige Farbigkeit brachten die Gerste der Hochbahn ins Srrassenb'tld, als sie noch in der Grundfarbe dastanden! Aber freilich: gegen solchen Radikalismus erhebt der Brger entschieden Einspruch. Mit der Stcucrquittung in der H and fordert e r Bercksichtigung seines Geschmacks und erkennt nu r die dekorative Lge als das Gute, W ahre und Schne an.

  • an der Fassade. Die besonderen Grssen- und Formverhltnissc von so eingekleideten Sttzen oder Deckenbalken sagen dem Auge, dass unter der Putzschicht Eisen ist. Und die Querschnittformen und Profile des Eisens sind nie zu verkennen. Aus diesem natrlich Gegebenen knnen bescheidene Kunstformen entwickelt werden. Knstler w ie Riemerschmid, M hring, Obrist, van de Velde haben es schon versucht, und es ist vor allen diesem letzten Knstler im Osthausmuseum (Hagen i. W .) sehr glcklich gelungen. V or van de Veldes Putzformen erkennt man sofort, dass Eisen darunter ist; sie sind aus dem Notwendigen abgeleitet und zeigen doch die Tendenz zur Befreiung vom profanen Zw eck. Wenn die Formen sich nach dieser Richtung logisch entwickeln knnen, werden sie einst einen Grad erreichen, w o es gleichgltig ist, ob sie tatschlich noch die Funktionen des Eisens erklren, oder ob sie nur ihrer selbst wegen da sind. Die aus dem Naturalismus des xinmittel- baren Zweckes gewonnenen Schnheitsideen knnen, w ie die Geschichte lehrt, wenn ein gewisser Reifepunkt erreicht ist, diesen Zweck ignorieren und sich als Phantasiebildungen vervollkommnen. Wie sich die griechische Idealform von der praktischen Holzkonstruktion ableiten lsst, knnten sich also fr eine Baukunst der Zukunft neue Formen aus der Verwendung des Eisens gewinnen lassen. Hier ist ein schmaler Weg, um aus dem Labyrinth der historischen Stile zu Eigenem zu gelangen; ein Prinzip zeigt sich, das zu lebendigen Resultaten fhren kann, ob es nun auf das Eisen oder au f ein anderes Material angewandt w ird. Es scheint, als htte das Eisen in der Profanarchitektur nicht die grosse Zukunft, wovon man vor kurzem noch getrumt hat; denn die Trgereisen werden hier und dort schon von neu erfundenen, sehr widerstandsfhigen betonartigen Massen verdrngt. Fr die Kunst ist das alles nur w ichtig, wenn sie fhig ist, aus Zweckbildungen schne Form abzuleiten und wenn sie, sobald es geschehen ist, die Anregung wieder vergessen kann, um die abstrahierte Form in die hohe Stilkunst zu retten. A lle Konstruktion d arf

  • nur Ausgangspunkt sein. Vom Zweckgedanken empfngt die gestaltende Phantasie den Anstoss, dann entfernt sie sich w eit vom Profanen, und erst wenn ihr die reife Schnheitsform gelungen ist, lsst sie sich, Almosen austeilend, zur Nutzarchitektur wieder herab. Aus der Verwendung des Eisens w ird der Kunstgedanke also nur so Nutzen ziehen knnen, dass er sich vom Notwendigen, vom Naturalismus der Funktion anregen lsst, um diese Anregung dann so schnell w ie mglich in einem Erhhungsprozess zu vergessen. Es ist nicht einzusehen, in welch anderer Weise das Eisen Anlass zu neuen Schnheitsbildungen werden knnte. Wenigstens nicht unmittelbar. M ittelbar w ird zweifellos der Anblick der seltsamen Monumentalitt der Eisenbauten die Phantasie der Knstler befruchten. Man kann diese Annahme schon in den Formbildungen des neuen Kunstgewerbes, die ja unverkennbar zur Architektur drngen, besttigt finden. Wenn w ir einst eine eigene grosse Baukunst haben sollten, w ird ihre Eigenart sicherlich in mehr als einem Zug an den herben, fast gotischen Ernst derlngenieurbauten erinnern. Es wird noch eine weite Wanderung ntig sein, bevor dauernde Resultate erzielt werden knnen; das Eisen w ird der Baukunst der Zukunft aber um so bessere Dienste leisten, je weniger cs beansprucht, ein Kunstmaterial zu sein.

  • Unsere talentvollsten Baumeister bemhen sich, wenn sie die Aufgabe zu lsen haben, in einer Strassenflucht von Mietshusern eine Lcke zu fllen, ihre Arbeit von der Umgebung vorteilhaft abzuheben und durch die geistvollsten Mittel der Sondcrbetrachtung zu empfehlen. Man findet au f einem Gang durch die Strassen der Grossstadt an vielen Stellen diese guten Einzelleistungen und sie wirken dann inmitten der mit Stuckornamenten berladenen Kasernen und Reihenhuser w ie musikalische Tne im wsten Lrm der Strasse. Gegenber dem Banal-Protzigen erscheint ja schon die Einfachheit vornehm, neben dem brutalen Konventionalismus sieht das Emphindene w ie eine schpferische Tat aus. Dass solche Bauten das Bessere darstellen, steht ausser allem Zw eifel, denn der Unterschied ist in der Regel zu gross, als dass es nur einer Beweisfhrung bedrfte. Dadurch entsteht nun aber ein Irrtum: man nimmt das Bessere fr das Vorbildliche. Man erhebt die Forderung nach dem persnlichen Stadthaus. Ermdet und angeekelt von den frchterlichen Zumutungen, die das moderne Massenquartier an das Anstandsgefhl, an die Nerven des vornehm empfindenden Menschen stellt, glaubt man die Rettung nur in diesen knstlerischen Sonderbestrebungen suchen zu sollen. Und doch ist solche naheliegende Folgerung falsch. Denn die Zukunft des fr viele Mietsparteien bestimmten Stadthauses ist nicht so sehr ein Problem knstlerischer als eines sozialer Art. Wenn irgendw o, so ist hier das allgemeine Bedrfnis, das sich zwar selbst nicht kennt aber nichtsdestoweniger w irk t, der Stadtbaumeister der Zukunft. W ird dem Profanbauknstler

  • die artistische Einsamkeit berall zum Verderben, so doch nirgend mehr als innerhalb einer Ttigkeit, die mit der Kunst vor der Hand fast gar nichts zu tun hat. Der Architekt ist in diesem Falle ganz au f Gemeinschaftsinstinkte angewiesen, seine knstlerische Freiheit w ird ausgeschaltet oder ist doch nur zu retten, wenn sie sich in freiw illige Einordnung verwandelt und das Wnschenswerte, das nur das Notwendige sein kann, ist allein zu schaffen, wenn er sich einem Ganzen als dienendes Glied anschliesst. Interessant, anregend, selbst wertvoll sind gewiss sehr oft die Werke der Originalitt suchenden Knstler; aber sie knnen nie fruchtbar und im besten Sinne ntzlich werden.

    Ein Beispiel aus dem Gebiet des Literarischen kann zum Vergleich herangezogen werden. W ir erfrischcn uns umsomehr an dem persnlichen Stil , ja , sogar an der persnlichen Orthographie eines Schriftstellers wenn er geistreich ist , je mehr w ir angeekelt sind von dem entsetzlich verkommenen Deutsch unserer Tageszeitungen. Und dennoch ist damit nicht gesagt, dass der originelle Schriftsteller der Allgemeinheit gegenber Recht behlt. Denn die Sprachc ist, w ie die Profanarchitektur, etwas Lebendiges, das sich nur als Ganzes und vom ganzen Volke fortentwickeln lsst. Der Einzelne vermag nur sehr wenig einzuwirken und nachhaltig nur dann, wenn er im Sinne der unsichtbaren Entwicklungstendenzen schafft. Es h ilft auch kein Entsetzen, wenn man sieht, w ie ein V olk den guten alten Besitz, den uns unsere Klassiker in der Sprache geschaffen haben, aus der Fland gibt und dafr etwas Minderwertiges, oder doch vorlufig noch Minderwertiges ergreift. Das Lebensgesetz w ill es, dass das Bedrfnis sich seine eigenen Formen prgt; und gegen das historisch gewordene Bedrfnis sich stemmen, heisst, einen Eisenbahnzug mit der Hand aufhalten wollen. An notwendigen sozialen Entwicklungen nehmen stets die mannichfaltigsten Krfte, die fernsten Ursachen teil. Der Einzelne kennt oder achtet diese nicht leicht ihrem Gewichte nach, bis vollzogene Tatsachen sich Beachtung erzwingen. So geht es vor allem innerhalb der Gebiete der Zweckarchitektur.

  • DINKLAGE
  • Das sthetische Empfinden persnlicher Knstler bedeutet sehr w enig J die allgemeine N orm , w ie sie sich aus tausend heterogenen Einflssen bildet, behlt schliesslich Recht. Nicht nur in dem banalen Sinne, w eil sie dem vereinzelten Originellen gegenber durch die Quantitt erdrckend w irkt, sondern auch im geistigen, im entscheidenden Sinne. Unter den schrecklichen Formen barbarischen Ungeschmacks, eitler Ratlosigkeit und anmassender Unbildung lebt und atmet eine Notwendigkeit. Und w o eine Notwendigkeit ist, da ist auch die Schnheit, sei sie auch nur primitiver A r t , nicht fern. sthetische Charakterzge, die aus dem Notwendigen hervorgehen, sind cs allein, die Wert haben, w o es g ilt, das umfassende Problem unsrer grossstdtischen Profanarchitektur in A ngriff zu nehmen. Es ist eine tiefsinnigere Arbeit, eine wertvollere H ilfe fr die Entwicklung, wenn der Weg der erkenntnisstarken Entsagung beschritten w ird , als wenn mit grossem Aufwand Lieblingsplne des sthetisierenden Bcsscrwissens realisiert oder mit Anstrengung Formen geschaffen werden, die kein allgemeines Bedrfnis verlangt.

    Man w ird sich gewhnen mssen, den Grundriss unserer Etagenwohnungen, finde man ihn auch noch so bel und verbesserungswrdig, als einen sozialen Organismus, als Produkt unumgnglicher Einflsse zu betrachten. Das besondere Bedrfnis, das Einm alige, w ie es in jenen exeptionellen Stadthusern zum Ausdruck kommt, gilt nicht innerhalb des grossen Kreises, w o viele sozialen und wirtschaftlichen Krfte gegen- und miteinander wirken, um architektonische Zweckgebilde zu erzeugen. Es ist zu beachten, dass der moderne Stadtbewohner nur in den seltensten Fllen whrend lngerer Zeit in derselben Wohnung bleibt. Die Berufspflichten, die Verschiebung der Vermgensverhltnisse und andere ussere Ursachen bringen es mit sich, dass der Mieter etwa in Zwischenrumen von drei oder f n f Jahren die Wohnung wechselt. Beim Umzug erwartet dieser Normalmieter nun nicht etwa einen ndern Grundriss; im Gegenteil, er w ill berall fr einen hnlichen Mietspreis

  • eine annhernd gleiche Einteilung und Anordnung der Rume vorfinden. Seine M bel sind fr bestimmte konventionelle Rume gedacht, seine Gewohnheiten haben sich der alten Raumdisposition angepasst, w ie darauf der ganze Haushalt zugeschnitten ist. Die Stadtgegend wird oft gewechselt, schon darum, w eil die weiten Entfernungen der Grossstadt oder andere Unzutrglichkeiten es fordern; aber es w ird eigentlich immer dieselbe Wohnung mitgenommen. W ir finden in Bercksichtigung dieser natrlichen Forderung darum mehr oder weniger in jeder Grossstadt Normalwohnungen, w orin sich der mit dem Grundriss Vertraute sofort zurechtfinden kann. D ie Uniformitt fr Wohnungen gleichen Mietspreises ist das Prinzip, das unbewusst berall angestrebt w ird. Es kommt hinzu, dass die Grundstckspreise von Jahr zu Jahr steigen und dass der Hausbau sich nur rentiert, wenn der verfgbare Raum aufs usserste ausgenutzt ist. Dem hier einsetzenden Spekulantenwillen tritt dann freilich die Baupolizei mit ihren Bestimmungen fr die Hygiene und Sicherheit entgegen. Aus dem Gegeneinanderwirken dieser beider W illen und mit Bercksichtigung der Forderungen des Publikums ergibt sich fast notwendig schon die einzige mgliche Grundrissform. Es ist eine fast mathematische Aufgabe, an der Hand der Verbote und Bestimmungen der Polizei, den vorhandenen Raum aufs usserste auszunutzen. Unter den gegebenen Umstnden und unter Voraussetzung des normalen rechteckigen Bauplatzes kann das Ergebnis der Zimmerverteilung kaum anders sein; es ist ein glattes Rechenexempel. Von dieser Seite drngt die Entwicklung also auch zur Uniformitt des Grundrisses, w eil die berall gleiche Ursache: die lukrative Ausnutzung des Platzes, immer wieder zur selben Lsung kommt.

    Die Bewohner gewhnen sich mit der Zeit an diese Gebilde der wirtschaftlichen N ot, um so leichter, als sie kostbare ICultur- berlieferungen nicht hinter sich haben und die Gewohnheit verklrt ihnen diese Rume sogar poetisch. Solche gemtlich gewordene Gewohnheit kann sich wiederum nur als Forderung,

  • als konservierende Kraft ussern; den Grundriss, worin man seine Kindheit verbracht hat, w ird man nie wieder ganz los, die Raumdisposition liegt einem im Blut und ist ein Stck Erinnerungsleben geworden. Unwillkrlich fordert der Instinkt etwas hnliches. Und zu allen diesen Faktoren, die aut Uniformitt abzielen, kommt dann die unwgbare aber vielleicht strkste K raft: die sich Gestalten prgende Lebensform. Selbst dann noch, wenn man von Formlosigkeiten der allgemeinen Lebensfhrung sprechen muss w ie es heute der Fall ist , ist es eine unleugbare Tatsache, dass diese Formlosigkeiten berall gleicher Art und immer die Wirkungen gleicher Ursachen sind, dass sie als Merkmale grsserer Gemeinschaften und darum ihrer Natur nach als soziale Notwendigkeiten gelten mssen. Die Reprsentationssucht der heutigen Gross- stadtbevlkerung, die jenen den Grundriss bildenden Krften die Richtung in so mancher Beziehung weist, muss durchaus als ein Schicksal hingenommen werden. Man kann nach seiner Fhigkeit dazu beitragen, die Menschen eines besseren zu belehren, so dass aus der sittlichen Erziehung einst die allgemeine Forderung nach besseren Grundrissen hervorgeht. Insofern ist jeder Volkserzieher auch architektonisch ttig. Aber es hat nicht den geringsten Wert, wenn der Architekt ein Etagenhaus baut, das vielleicht fr Menschen passen mag, die nach hundert Jahren leben, das jetzt aber unbewohnt bleibt. Schlechte Lebensformen eines Volkes sind verdriesslich fr den feineren Geist, aber sie mssen w ohl oder bel hingenommen werden w ie das schlechte Wetter. W ie alle Organismen der Erde schliesslich Notgebilde genannt werden knnen, w eil sie durch Anpassung entstanden sind, so kann man im hheren Sinne alle Taten der Baukunst Notgebilde nennen. Auch sie sind geworden in der Anpassung, im M ilieu sozialer W irklichkeiten. Die Urkraft, der bildende primre Trieb ist hier und dort vorhanden; die Form jedoch entsteht allein in dem K am pf dieses Triebes mit dem usseren Widerstand. W ieviel mehr gilt das fr Werke der Nutzarchitektur, die nur eine Halbkunst ist.

  • Diese sozialen Lebensformen zielen nun ebenfalls au f die Uniformitt des Grundrisses. M an muss" bei uns vom an der Strasse einen Salon und ein Wohnzimmer mit Erker oder Balkon haben. M ag das lcherlich sein; der Umstand allein , dass die Majoritt fest an dieses Bedrfnis glaubt, gengt, um es im hheren Sinne zu legitimieren. Das mag sehr wenig aristokratisch klingen; aber man w ird sehen, dass w ir mit dieser Einsicht dem Schnen oder doch dem Charaktervollen sehr viel nher kommen, als mit dem Einsamkeitsdnkel. Denn diese gemeinsamen Instinkte der Bevlkerung, die den Grundriss der Massenquartiere bilden helfen und die gewiss in all ihrer Brutalitt fr den kultivierteren Menschen schwer zu ertragen sind, mssen doch als Resultat weitausholender Entwicklungen betrachtet werden. Freilich nur als vorlufiges Resultat, weil noch alles im Fluss, im bergang ist. Brutaler Fortschrittswille und plumpe Genussgier liegen hart neben sentimentaler Traditionsseligkeit, die anspruchsvollste Prunksucht a u f der einen Seite w ird ergnzt durch proletarische Anspruchslosigkeit und die ganze Entwicklung macht oft den Eindruck des Zuflligen. Dennoch steht hinter aller Unerfreulichkeit eine Tendenz, die langsam sichtet, zusammenfasst und reguliert und die aus dem W irrwarr die gemeinsame Form heraushebt. Am deutlichsten erkennt man das in Berlin, wenn man die Grundrissbildung und Bauweise der Jahre nach dem Kriege, also der Grnderzeit, mit der heutigen Ttigkeit vergleicht. V or dreissig Jahren und noch bis in die neunziger Jahre hinein herrschte ein buntes Vielerlei. Erinnerungen aus der Schinkelzeit, aus dem Brgerleben der Revolutionszeit, alte Stadthaustraditionen und der Schematismus des Spekulantentums: das alles ging w irr durcheinander. Man suchte stets das Besondere, ohne sich doch vom Zwang nivellierender Einflsse befreien zu knnen. Erst in den letzten Jahren sprt man die Merkmale grsserer Einheitlichkeit.

    Uniformitt ist also das Prinzip der modernen Stadthauswohnung. Wer das Besondere w ill, muss aufs Land ziehen.

  • Alle mitwirkenden Krfte zielen darauf, jede nach dem Masse ihrer W ichtigkeit fr das Gesamtleben; eines bedingt immer so sehr das andere, und alles zwingt so sehr zur Einheitlichkeit, dass sich die rechte Einsicht des Weges bald bewusst wird. Die Konsequenzen ergeben sich dann in der logischen Fortfhrung fast von selbst. Ans dem Grundriss geht der Aufriss folgerichtig hervor. Die Forderung nach Uniformitt des Grundrisses erweitert sich also dahin, dass auch fr die Fassade das vllig Gleichartige gefordert w ird. Tatschlich wird dem auch schon Rechnung getragen. Das Rechenexempel, entstanden aus Spckulantenwillen und baupolizeilicher Vorschrift, ergibt berall, w o es sich um Wohnungen gleicher A rt, das heisst: gleichen Mietspreises handelt, die gleichen Maasse und Verhltnisse. Um die wahren Tendenzen unsrer Stadthausarchitektur zu erkennen, muss man sich die langen Strassenzge von Neubauten, w ie sie in jedem Jahr entstehen, ansehen, wenn die Huser noch im Rohbau dastehen. Die Linien der Dachgesimse laufen berall in gleicher H he, die Stockwerke entsprechen in verschiedenen Husern einander genau, die Fensteranordnung ist berall dieselbe und ebenso sicht man regelmssig die Erkervorbauten wiederkehren. Man knnte denken, die Strassenflucht w re von einem einzigen Baumeister gebaut worden und doch arbeiten ein Dutzend Unternehmer daran. Die Ursache solcher Gleichartigkeit ist, dass in Wahrheit auch nur ein einziger Architekt an der Arbeit ist: das allgemeine Bedrfnis. Wenigstens, solange die Gebude noch im Rohbau sind. Die Verschiedenheiten beginnen erst, wenn dieser tchtige und seines Willens sichere unsichtbare Architekt vor den Menschen zurcktreten muss. Denn diese sind tricht und anmassend genug, sich fr klger zu halten. Die selbstttig entstandene Uniformitt hlt der rechte Bauunternehmer fr die grsste Schande und das Publikum bestrkt ihn leider noch immer darin. Ist der Rohbau vollendet, so zeigt sich in der Dachkonstruktion, die vom Bedrfnis nicht vorher bestimmt werden kann, zum ersten der Individualismus". Ein Haus vomNachbarhaus zu unterscheiden,

  • gilt als Grundsatz und da es unter diesen Umstnden schwierig ist, das zu tun, werden alle Mittel der akademischen Stil Wissenschaften zu H ilfe gerufen. Das berall gleiche Baugerippe wird hier mit Renaissance, dort mit Gotik bekleidet, das uniforme Gerst wird mit einem bermass sinnloser Ornamente in allen historischen Stilen, bis zum Jugendstil weggetuscht. Zeit und Notwendigkeit bieten den Menschen unsrer Zeit eine ausbildungsfhige Form dar; aber w ie au f so vielen anderen Gebieten wird sie missachtet und gar als lstig empfunden. Die bewusste Entwicklungsidee tritt der unbewussten feindlich gegenber und w ir sehen eine Selbstvernichtung aus dem Mangel an Selbsterkenntnis hervorgehen. Die Folge ist, dass die Huserfront nach der Vollendung nur noch sehr bedingt uniform w irk t, dass die Verschiedenheiten sich vielmehr dem Auge gewaltsam aufdrngen. W o vorher einfache Linien, symmetrische Massen, w o Rhythmus und Geschlossenheit war, da springt hier eine Giebelverzicrung ins Auge, dort ein Fensterornament. Eine wilde Formenschlacht tritt anstelle der wohlttigen R uh e, tausend ornamentale Einzelheiten drngen sich frech hervor und da dieser ganze Stuck aufwand aufs usserste geschmacklos ist, w ird dem Auge zur Pein, w as vorher wohltuend war.

    Man muss nur unvoreingenommen zu blicken verstehen. W ie das Kostm einer Buerin, die Uniform eines Soldaten nicht eigentlich schn sind, einzeln gesehen, w ie sie es aber werden, sobald sie in grsserer Anzahl auftreten, w eil dann der Intellekt die darin zum Ausdruck kommende Kulturidee mit geniesst und w eil die Wiederholung des Gleichen stets den Eindruck einer gewissen Monumentalitt macht, so ist auch das einzelne typische Etagenhaus im Rohbau nicht eigentlich schn. Tritt es aber zurck in die Reihe gleichgearteter Gebude, so wird der Anblick sofort charaktervoll, monumental und sogar schn. Keine Phrase strt dann das A uge, ungebrochen w irkt der krftige Rhythmus der horizontalen Erkervorbauten, w ohlttig berhrt die Symmetrie der in guten Ver

  • hltnissen angebrachten Fensterffnungen; das Bild beruhigt, w o man doch gewohnt ist, von dem Vielzuvielen einer Strassen- ansicht verwirrt zu werden. Zw ingt der T rieb , das Schne berall zu suchen, das Auge in der Grossstadt die Impressionen malerisch zu nehmen und von der architektonischen Form ganz zu abstrahieren, so hat man vor diesen Rohbauten endlich wieder einen rein architektonischen Genuss, wenn nicht dem G rade, so doch der Art nach wie vor alten Bauwerken. Der Genuss aber geht ausschliesslich daraus hervor, dass man Bedrfnisse logisch und ohne Phrasen eingekleidet sieht und dass diese Bedrfnisse allgemein sind. Es spricht sich ein Wollen aus oder doch ein Mssen und darum auch ein Charakter; es zeigt sich dieser Charakter und sofort entsteht auch eine gewisse Art des Schnen.

    Vor solchen Rohbauten kann man einen Traum nicht geringer Art trumen. Man braucht nur vorauszusetzen, die Menschen wren konsequent und nhmen die Entwicklungsidee, der sie doch alle dienen, im Bewusstsein auf, liessen die kindischen Phrasen und Spielereien zu Hause und lernten sich beschrnken. Oder man setze nur eine ideale Polizei voraus, die imstande w re , das sogenannte sthetische ebenso streng einzuschrnken, w ie sie den Spekulationstrieb eindmmt. Wenn das aber der Fall wre was vor der Hand freilich noch utopisch ist , so entstnde ohne weiteres ein Stadtbild von ausgesprochenem Charakter. Es ist nur ntig , dass den Anregungen der Konstruktion, w ie sie im Rohbau zum Ausdruck kommt, Folge gegeben wird. W ie jeder Profanbau hat das Mietshaus nichts mit idealen Schmuckformen zu tun und bedarf der Dekoration n u r, soweit sie sich natrlich aus dem Material und der Bauweise ergibt. A lle die knstlich ange- klcbten Gesimse, die nichts bezeichnen und illustrieren, die angeschraubten Konsole und Kartuschen sind Unsinn. Ganz zu schweigen von den Gipsgttinnen, Balustraden, Lwenkpfen und dem ganzen Apparat toll gewordener Spekulantenphantasie, Diese rgsten bertreibungen verschwinden doch schon mehr

  • und mehr aus den neuen Strassen. Was aber geblieben ist von der Grnderornamentik, gengt gerade, um die starke Stilidee des Gerstes zu verdecken und zu verderben. Dieser Stilidee ist nur gemss, was sich logisch aus den Massen entwickeln lsst. Die grsste Einfachheit ist Pflicht. Genau so uniform wie die Rohbauten sollten die fertig geputzten Huser sein und sie wren es, wenn unsere Architekten sich fhig zeigten, aus den Anleitungen der Notwendigkeit etwas Knstlerisches zu schaffen. Hier liegt ihre eigentliche Aufgabe in der Mietshausarchitcktur, nicht in der Konzeption von Ausnahmeschpfungen. Jede Phrase wre zu vermeiden. Da die Gesimstormen, diese Bildungen der Steinbaukunst, gegenstandslos geworden sind, wren sie durch Profile zu ersetzen, die den Formen der Eisentrger ber Fenstern und Tren und an anderen notwendigen Stellen folgen. Da es sich um Zweckbaukunst handelt, gehe man auch vom Zw eck aus. Im Rohbau zeigt sich fast immer eine sehr reizvolle Profilierung gewisser Flchen durch das R e lie f vor- und zurckspringender Mauersteine; ein Bau kurz vor dem Putzen w irkt sthetisch oft ausserordentlich fein. Die Motive bieten sich frmlich dar. Es gibt da gemauerte Pilaster, die in den Verhltnissen geradezu knstlerisch w irken ; die aus Brettern zusammengezimmerten Rundbogen, die das gewlbte M auerwerk in den ersten Tagen, solange der Kalk noch nicht gebunden hat, tragen, geben oft originelle und sehr charaktervolle Formen fr die Holzkonstruktion von Oberfenstern; ein Profil, das ntig w ird , um das Traufwasser von der Wand abzuhalten, kann eine grosse Masse beleben, wenn der Architekt nicht nach Griechenland schielt, sondern an die Bestimmung des Baugliedes denkt. Man braucht nicht zu frchten, dass unsere Stadthuser au f diesem Wege de und kahl werden. Blickt man jetzt eine Strasse hinab, so weigert sich das A uge, alle die tausend Ornamentdctails aufzunehmen und gergert sucht es sich vergeblich im Getriebe einen Ruhe- punkt. Blickt man dagegen an einer Reihe von Rohbauten hinab, so gengt das Tempo der Erkervorsprnge schon allein,

  • A L F R E D M E S S E L D A S H A U S S C H U L T E IN B E R L IN (von der Neuen W ilhclmstrae a u s ; Detail)

  • um das Gefhl der de nicht aufkommen zu lassen. Denkt man sich die Huser in konsequenter Weise vollendet, w ie es angedeutet w urde, so hat das Auge gerade das Mass von Beschftigung, das ihm angenehm ist. Das Ornament einer Strasse von Mietshusern sollte nur in den blumengeschmckten Balkons, in den Menschen und Wagen auf der Gasse und in den Reizen der Beleuchtung bestehen. Alles andere ist ein Zuviel. Und welche wundervolle Aufgaben fr die so vernachlssigte Kunst des Putzbaues bieten sich hier. Das achtzehnte Jahrhundert hat uns gezeigt, welche Feinheiten im Putz mit den allergeringsten M itteln erzielt werden knnen. Eine Linie, eine Profilierung, richtig angebracht, gengen o ft, um eine grosse Flche mit Leben zu erfllen. Wo ist die Poesie der Flchen geblieben! Gerade indem unsere Architekten ganz modern sind, haben sie die beste Gelegenheit, w ahre, lebendige Traditionen zu zeigen. Das noch Benutzbare aus dem Erbe frherer Zeiten bietet sich von selbst dar, wenn der Baumeister nur ganz dem lebensvollen Zweck folgt. Denn alles Leben ist verwandt und reicht sich ber die Jahrhunderte hinweg die Hand. Vielleicht gelangten w ir auch auf diesem Wege der Selbstbestimmung zu einer neuen und rationellen Art des Ziegelbaues. Die Wirkungen malerischer Natur in den Rohbauten sind oft hinreissend. Auch dieser Hinweis w ird nicht beachtet. Wer die Augen zu ffnen versteht, kann au f einem Gang durch die Stadtteile des Westens, w o Strassenzge neu entstehen, mehr von Baukunst lernen, als in Museen und Schulen. Wann endlich werden unsre Architekten, wann w ird das Publikum diese eindringlich natrliche Stimme des Lebens und der Notwendigkeit vernehmen, wann werden sie sich selbst in den Werken ihres Instinkts erkennen 1

    Man pflegt der Argumentation, das Trgergeblk der Bauten knnte Ausgangspunkt neuartiger Profilierungen werden, mit der Behauptung entgegenzutreten, das Eisen habe in der Form von Trgern seine Rolle bald ausgespielt. Eine von Eisenstben durchsetzte Betonmasse sei das Material der Zukunft. Es ist aber gleichgltig, ob sich das.Baumaterial w irklich ndert

  • oder nicht. N ur darauf kommt es an, dass in jedem Falle die notwendige Konstruktion zum Ausgangspunkt von Neubildungen gcmacht wird. Wenigstens in der Zweckarchitektur. Wenn jene Betonmasse eingefhrt w ird, werden wahrscheinlich riesige Eisenrahmen ntig, worin die Betonplatten verankert werden. In diesem Falle wrde sich der Charakter der Architekturformen eben aus diesen Prmissen ergeben und es ist zweifellos, dass auch dann ein charakteristisches Gebilde entstehen wrde. N icht um bestimmte Formen handelt es sich ja, sondern darum, dass sich der Mensch in der Zweckbaukunst derselben Sachlichkeit, Phrasenlosigkeit und gewissenhaften Ehrlichkeit befleissige, w ie er es im geschftlichen Leben tut oder doch zu tun stolz vorgibt.

    Mietshuser sind nicht freistehende Einzelhuser, w ie es die franzsischen Palste waren, und es ist darum Wahnsinn, sie diesen gleich bilden zu wollen. Es handelt sich bei dem Problem vielmehr um Reihenhuser, um ein ganzes Bausystem. Die sthetik weist wieder einmal einen W eg, der im Sozialen ausmndet. Wenn es vor den Rohbauten jetzt bereits scheint, als ob ein Baumeister die ganze Strasse gebildet htte, so braucht man diese Anregung nur zu verfolgen, um zu einer sehr wichtigen Schlussfolgerung zu gelangen. Diese besteht in der Einsicht, dass die Entwickelung ber den Einzelbau hinw eg zur Herstellung ganzer Huserblocks drangt. N icht aus sthetischen, sondern aus wirtschaftlichen Grnden. In unserer Zeit des Genossenschaftswesens ist auch der Gedanke aufgetaucht, es mchten sich immer gewisse Gruppen von Mietern zu Wirtschaftsgemeinschaften zusammentun. Das ist nicht eine willkrliche Utopie, sondern eine natrliche Idee, aus der N ot der Zustnde geboren. Im einzelnen und nach der Seite der wirtschaftlichen und sozialen W irkung kann der Plan hier nicht besprochen werden. Es muss die Konstatierung gengen, dass er stetig an Boden gewinnt und dass man ihn in England schon in vielen, in Deutschland in einigen Punkten verwirklicht hat. Die Verfechter der Idee fordern gemeinsame Kchen und Er

  • holungsrume, Tum - und Spielhallen fr die Kinder, grosse Waschkchen mit gemeinsamem Personal, verstndige Anlagen zur Teppichreinigung, zentrale Heizungs- und Lichtanlagen, gemeinsamen Hinkauf der Nahrungsmittel und manches andere, was alle Parteien des Hauses oder gar eines Huserblocks zu Mitgliedern einer kleinen festgefPgten Gemeinschaft machen wrde. Der Zweck ist die Verbilligung und Erleichterung des Wohncns und soviel auch gegen die Plne einzuwenden sein mag, so ist doch nicht zu leugnen, dass sie dem Zuge der notwendigen Entwickelung zu entsprechen scheinen. Es gibt bei uns Beamtenwohnungen, die in bewusster Weise blockartig gruppiert sind. Die Komplexe sind von vier Strassen begrenzt und es herrscht innerhalb dieses kleinen Reiches eine Art Kommunismus, der zwar noch sehr bescheidener Art ist, aber doch zu denken gibt. Zum wirtschaftlichen Zusammenschluss drngen heute ja alle Verhltnisse. W ir stehen erst am Anfang der allgemeinen Demokratisierung; darauf weist nicht zuletzt diese merkwrdige Stadthausarchitektur hin. Solche Entwickelung mag der mit dem Erbe aristokratisch denkender Zeiten Belastete voll geheimen Schauders betrachten: er w ird doch zugeben mssen, dass die endliche Konsequenz des Begonnenen als etwas Wnschenswertes erscheint, wenn man dagegen hlt, was bisher produziert worden ist. Jeder feste Zustand, jede Form der Beschrnkung, mgen sie noch so drckend fr das Individualittsbewusstsein erscheinen, sind fruchtbarer als die Zerfahrenheit und Schrankenlosigkeit unserer Tage. Es ist nicht einmal gesagt, dass das imaginre Stadtbild der Zukunft dster und traurig sein muss. Sobald der W ille , der heute erst ein vager Instinkt ist, sich seiner selbst bewusst w ird, ist weiteren Mglichkeiten der Weg geebnet. Es sind schon Plne aufgetaucht, wonach der als Einheit gedachte Huserblock einen grossen Gartenhof umschliessen soll. Die bewohnten Zimmer sollen von der Strassenfront entfernt und an diesen Garten gelegt werden, whrend die Wirtschaftsrume ihre Fenster nach der Strasse bekommen. In den Garten wren Flgel so hinein

  • zubauen, dass jeder Wohnung gnstige Besonnung gesichert w ird. Der Architekt, der dem Publikum diesen Plan vorgelegt hat, konnte den Beweis erbringen, dass die Rentabilitt der benutzten Grundflche ebenso gross sein wrde, w ie unter den jetzt geltenden Bedingungen. Heute klingt dieser Vorschlag noch utopisch. Wenn aber konsequent fortgesetzt w ird, was w ir berall beginnen sehen, so kann die Verwirklichung nher sein als man denkt. Schon aus dem ganz profanen Grund, w eil die grosse Bodenflche des Baublocks viel rationeller ausgenutzt werden kann als die kleine Bauparzelle mit ihren vielen winzigen, polizeilich vorgeschriebenen Hfen. M it dem Blocksystem ist ein Anfang schon gemacht; daraus kann sich natrlich die Wirtschaftsgemeinschaft ergeben und existiert die erst, so ist fr fernere Verbesserungen Tr und T or geffnet. M an muss immer daran denken, dass der sozial-wirtschaftliche Gedanke sich auf diesem Gebiete sogleich formal architektonisch umsetzt. Die geringsten Kleinigkeiten sprechen mit. W ie der Schornstein in der englischen Landhausarchitektur zu einem wirkungsvollen Bauglied geworden ist, so knnen profane Zweckbildungen der Mietshausarchitektur zu Motiven werden. Man darf nur nicht an Tempelkunst denken; es handelt sich einzig darum, vernnftig zu sein, sachlich und selbstbewusst.

    Ganz tricht ist cs, nur die Schnheit alter Stadtbilder gelten zu lassen. Frher waren die Voraussetzungen absolut andere und es ist unsinnig und unmglich, die einst organisch entstandenen W irkungen auf die Verhltnisse unserer Grossstdte bertragen zu wollen. Jeder Einzelne baute sich, w ie es jetzt noch in den Drfern ist, in alter Zeit ein Haus nach seinen speziellen Bedrfnissen. Jeder tat fr sich das Logische und aus diesem sprechenden Nebeneinander zieht der Nachgeborene nun seine Erkenntnis, die ihm zum Genuss wird. In der alten Architektur w ird ihm die Geschichte lebendig. Leider f llt ihm aber dann nicht ein, das einzig wrdige Verfahren fr ihn wre, ebenfalls Geschichte zu machen. In der Grossstadt

  • werden die Wohnungen auf Vorrat gebaut. Daher ist, gegenber den malerischen Prospekten alter Stdte, woran viele Jahrhunderte gebaut haben, die Uniformitt das Charakteristische der modernen Stadt. Und w eil dieses notwendig ist, wird es auch schon erscheinen. Eine nicht geringe Monumentalwirkung wre es, wenn das Auge anstatt der einzelnen Fassaden die es, der geraden Strassen wegen, nur verkrzt zu sehen bekommt ganze Komplexe umfasste, wenn ein Rhythmus den Blick fhrte, anregte und beruhigte. Die City wird mit der Zeit immer mehr Geschftsgegend. Dort werden sich wahrscheinlich die Geschftshuser einst hnlich gruppieren, w ie die Mietswohnungen. Die Geschfte gleicher A rt zeigen schon jetzt wieder eine entschiedene Tendenz zur Nachbarschaft, wie man in Berlin am Hausvogteiplatz, w o die Konfektion dominiert, oder in der Behrenstrasse, der Gegend der Banken, beobachten kann. Der alte Zunftbrauch scheint sich im grossen Massstabc zu wiederholen, w ie er es auch in der Organisation der grossen Warenhuser schon tut. Neben diesen Gruppen von Geschftshusern werden die Monumentalbauten ihren Platz finden und weiter draussen beginnt das Blocksystem der Wohnhuser mit grossen Gartenhfen.

    In dem Augenblick, w o diese Konsequenz nur angestrebt w ird, gibt es keine K luft mehr zwischen den Resten alter Kunst und dem Neuen. Wer es gesehen hat, w ie natrlich und charaktervoll in Rostock z. B. ein modernes Wertheimhaus neben der alten gotischen Kirche steht, wird es begreifen, dass lebendige, aus sozialen Bedrfnissen gewachsene Architekturen, dienten sie nun einem profanen Zw eck oder einem Idealgedanken, ber alle Jahrhunderte hinweg verwandt sind. N ur ehrlich konsequent und ntzlich mssen sie sein, nicht scheinen wollen, was sie nicht sind und in der Beschrnkung den inneren Reichtum suchen. Traditionen knpfen sich dann erst zwischen Vergangenheit und Gegenwart, wenn sie nicht gesucht, sondern in der Beschftigung mit den wirkenden Krften des Lebens gefunden werden.

  • H ier ist nicht von kindlichen Utopien die Rede. Keine Voraussetzung ist willkrlich konstruiert. W re das der Fall, so strzte das ganze Gedankengebude zusammen w ie ein Kartenhaus. Im Gegenteil, aus den Anleitungen der Erfahrung, aus den Wirklichkeiten der Strasse, fliesst w ie von selbst die hier dargelegte Schlussfolgerung. Der Beweis, dass es sich bei der Kraft, die die ersten Versuche einer charaktervollen Stadthausarchitektur zu schaffen jetzt unternimmt, nicht um ein soziales Mssen handelt, w ird schwer zu erbringen sein. V orsicht in der Hoffnung kann freilich nie schaden; auch ist zuzugeben, dass niemals ganz reine Bildungen entstehen knnen, w o so viele Kpfe mitarbeiten. Ohne Schlacken und Gebrechen wird die Form nie sein, die von einer Majoritt stammt. Verbesserungen sind aber nur in der angegebenen Richtung mglich, weil sie allein die Phantasterei ausschliesst und au f dem Boden der Realitten bleibt. Es soll gewiss keine Zukunftsmusik gemacht werden. Wer so weit nicht vorausschaucn mag, beschrnke sich au f die Frderung der allernchsten Aufgaben. Alle Fingerzeige sind in den unwillkrlichen Schnheiten, in der ungewollten Monumentalitt vieler Rohbauten gegeben. Dass w ir vom fertigen Haus dasselbe verlangen, w as der Rohbau uns zufllig gewhrt: das wird nicht zu viel verlangt sein. Das Natrliche und Vernnftige soll ja nicht neu geschaffen, sondern nur erhalten und im besten Falle ausgebiidet werden. Die wesentliche Arbeit besteht im Fortlassen des Falschen. Das ist wohl nicht utopisch. Der Einzelne fragt freilich nach wie vor, w o er mit seinem guten W illen einsetzen knnte, da ihm, als Mieter, doch jeder unmittelbare Einfluss fehle. Er muss den Weg gehen, den die W irtschaftsentwicklung berall weist: den zum genossenschaftlichen Zusammenschluss. Fr die Arbeiter sorgt meistens eine mchtige Instanz, und die Beamten sind schon durch den Beruf eine Art Genossenschaft; eine Schar von Mietern verschiedener Berufe, die Zusammenschluss anstrebt, kann sich als eine Gemeinschaft freilich nicht so leicht organisieren. Unmglich ist die Aufgabe aber gewiss nicht, sobald

  • das richtig erkannte Bedrfnis die Individuen erst zusammenfhrt. W ie weit die Absichten solcher Genossenschaft zielen wrden, wre vorerst unwesentlich; es w ird sogar gut sein, wenn vorderhand nur die nchsten Aufgaben in A ngriff genommen werden. Zweifellos finden sich fr gengend grosse Mictcrverbnde aber Unternehmer. Und sicherlich auch Architekten, die ihre akademischen Pseudoideale zu vergessen willens sind, um sich ganz in den Dienst gesunder Sachlichkeit zu stellen.

  • Das Gesetz der Trgheit, das im Geistigen so wirksam ist w ie im Materiellen, verhindert cs am meisten in der Architektur, dass Aufgaben der Zeit sofort logisch aus den Zweckgedanken, aus usseren oder inneren Notwendigkeiten entwickelt werden. Wenn es immerhin mglich ist, dass starke Begabungen in Poesie und Malerei die Entwickelung ruckartig durch ihre persnliche Kraft beschleunigen, so ist ein so unmittelbares Eingreifen in der weniger vom Individualismus als vom Geiste der Gesamtheit abhngigen Baukunst doch nur in ganz seltenen Fllen mglich. Dort ist es schon grsser Gewinn, wenn aut einem bestimmten Punkte eine schpferische Persnlichkeit ein vollstndiges Resume der unsichtbar fortschreitenden Arbeit gibt, jener Arbeit, die geleistet w ird, man weiss nicht von welchem Geist und von welchem W illen, die aber doch unaufhaltsam, w ie nach vorgezeichnetem Plan getan w ird, als wre sie eine Naturnotwendigkeit. Eben darum, weil diese Arbeit in der Tat von etwas wie einer Naturkraft ausgeht, w eil es soziale Gewalten sind, die ihr Anstoss und Richtung geben, ist sie im wesentlichen dem genialen Eigenwillen entrckt. W ie sich der W ille in der Natur organische Lebensformen schafft, und erst durch ihr konkretes Dasein kenntlich w ird, so erkennt man auch in den sichtbaren Formen der Baukunst erst die allgemeinen Bedrfnisse des Gesamtwillens, die sozialen Krfte, die doch das Primre sind. Bis zu gewissen Graden gilt dieses freilich fr alle Knste; aber dieser Geist der Allgemeinheit muss um so entscheidender und der persnliche Eigenwille des Einzelnen muss um so bedingter sein, je

  • mehr eine Kunst durch ihren dogmatischen Formalismus die individuellen Empfindungsgrade beschrnkt, das Mannichfache durch ein paar erschpfende Formgebote ausdrckt und je mehr an Stelle der vieldeutigen persnlichen Bedrfnisse, w ie sic in Poesie und Malerei Ausdruck suchen, die eindeutigen Bedrfnisse ganzer Vlker treten.

    Warme Knstlernaturen oder geniale Einsame finden sich niemals unter den Architekten. Gewichtige Stimmen fordern zwar jetzt fr den Baumeister, der in unsern Tagen nur noch als Vertreter einer praktischen Wissenschaft oder gar als Geschftsmann gilt, den Titel eines Knstlers zurck. Denn so sprechen diese Stimmen die Arbeit des Baumeisters ist ebenso sehr knstlerischer Natur, wie die des Malers oder Bildhauers; ja, mehr noch, w eil sie in gewissem Sinne die Malerei und Skulptur in sich schliesst. Diese an sich lobenswerte Forderung verfhrt aber zum Irrtum. Obwohl fr eine K ultur die Baukunst die Bedeutsamste aller Knste ist , w eil sie allein der bildenden Raumkunst die rechten Grundlagen zu schaffen vermag und obwohl in ihren Formen sich am deutlichsten der in einem Punkt gesammelte Geist eines Volkes oder gar einer Rasse ausspricht, so ist daraus doch nicht zu schlicssen, der Bauknstler sei in demselben Masse wie der Maler, Dichter oder Musiker eine Knstlerindividualitt. Man mag in der Geschichte suchen, w o man w ill: nie wird man einem Architekten begegnen, der eine faustisch ringende Persnlichkeit w ar, w ie Dante, Michelangelo, Rembrandt oder Beethoven. Denn die Baukunst schliesst das au f strkste Individualitt gegrndete Genie ebenso aus, w ie die Religion cs innerhalb der Priesterherrschaft, das Gesetz es innerhalb des Richterstandes tut. Die Formel ist das Herrschende und sie lsst nur Diener, wenn auch solche sehr verschiedener Grade, zu. Mehr als irgend ein anderer Knstler ist der Architekt auch von seiner Zeit abhngig; ohne Auftrag kann er nicht bauen, das heisst: sich nicht entwickeln. Wenn ihn nicht ein Bedrfnis ruft, kann er nicht schaffen. Darum ist er nur zur Hlfte Knstler und

  • erhlt den genialen Schwung immer nur vom Genie einer Epoche. Die Natur ist konsequent aber nie grausam und sie hat die Begabung fr die Baukunst darum so organisiert und an solche seelischen Bedrfnisse geknpft, dass ihr der Sinn fr Beschrnkung, Einordnung und Bescheidung natrlich gegeben ist. Niemals ist der Architekt ein sorgenvoller Grbler oder titanischer Trotzer, sondern ein Weltmann. Ein Weltmann mit einer Nuance ins geheimrtlich Gelehrte, ins Malknstlerische oder ins Kaufmnnische.

    Auch bei Betrachtungen ber die Entwickelung des Geschftshauses muss ebensoviel von dem unermdlichen Baumeister, der sozialer W ille heisst, die Rede sein w ie vom einzelnen Knstler. Und von dem einzelnen Knstler wieder um so mehr, je konsequenter und rckhaltloser er sich als Diener einer notwendigen sozialen Tendenz bekennt.

    Da die Voraussetzungen fr die Disposition des Geschftshauses sehr klar und einfach sind, sollte man meinen, es htte sich die notwendige Form bald finden mssen. Nichtsdestoweniger haben aber auch dort jene Mchte des Beharrungsvermgens, jene Gesetze der Trgheit das Tempo und den Charakter des Werdeganges bestimmt. Zuerst, als die grossstdtische Bauttigkeit mit der schnellen wirtschaftlichen Expansion nicht Schritt zu halten vermochte, wurden die Geschfte meistens in stdtischen Wohnhusern betrieben. Fr Kontor-, Warenlager- und selbst Verkaufszwecke mietete man Etagenwohnungen und richtete sich dort ein. Bei spteren Neubauten htte man freilich gleich die Unbehaglichkeit der Anpassung an unzweckmssige Rume vermeiden knnen; aber auch in den zunchst gebauten Geschftshusern ist dem Bedrfnis nur w enig Rechnung getragen worden. Man wagte aus konservativer Scheu das Fassadenprinzip des Wohnhauses mit seinen regelmssigen Fenstern und Stockwerkteilungen nicht anzu- rhren und richtete sich bei schlechtem Licht und kleinen, unpraktisch verbundenen Rumen lieber notdrftig ein, als dass man die gewohnte, nicht einmal wertvolle Form geopfert htte.

  • Die Hauptschuld trug immer die Scheu, das Gewordene fr etwas Unsicheres aufzugeben, die philisterhafte Furcht vor der Konsequenz und vielleicht auch ein dunkles Gefhl, das Ge- schftswescn sei in allen seinen Ausdrucksformen unschn und msse mit Kulissen verdeckt werden. Niemals bertncht man ja die Aussenseiten lieber mit Romantik und Dekoration, als wenn man sich in seinem Tun und Handeln unsicher fhlt. Darum hat sich in der Folge das Bedrfnis immer nur stckweis durchgesetzt und umbildende K raft bewiesen. Zuerst hat man die einzelnen Fenster zweckvoll zusammengefasst, dann an Stelle der Wohnstuben grssere Rume angelegt und den Grundriss so disponiert, dass der Zw eck des Wohnens ausgeschaltet wurde. Das musste natrlich au f die Fassade zurckwirken und da mit der Zeit immer mehr Neubauten fr reine Geschftszwecke ntig geworden sind, ist es sogar schon zu einer Art von Gruppierung gekommen. Es sind Bureauhuser und Verkaufshallen entstanden von eigentmlichem Charakter, aber immer noch mehr oder weniger deutlich mit dem Hinweis au f den Ursprung im Etagenwohnhaus. In Berlin ist die stufenweise Entwickelung an vielen bergangsbildungen noch genau zu verfolgen. Die Geschftshuser am Hausvogteiplatz sehen noch ganz zwitterhaft aus, die grossen Blocks an der Kaiser Wilhelmstrasse erinnern, trotzdem sich dort das moderne Bedrfnis zum erstenmal deutlich durchgesctzt hat, immer noch in entscheidenden Punkten an das Fassadenprinzip des Etagenhauses und auch das viclgerhmte Equitablegcbude an der Leipzigerstrasse ist noch eine arge Halbheit. Der Wohnhausgedanke sollte dort berwunden werden und blieb doch im wesentlichen bestehen, w eil der begabte Erbauer wieder nicht von der Idiosynkrasie loskommen konnte, ein Geschftshaus in der Residenz msse etwas reprsentativ Palastartiges haben. Immer w ar es noch die alte Bauweise von aussen nach innen: zuerst die Reprsentation, dann das Bedrfnis. So entstanden Gebilde aus Stein, Eisen und Glas, den Strassenfronten eng eingefgt, die aber mit den Bauformen des freistehenden Palastes

  • unsinnig verziert wurden, die nicht Geschftshaus und nicht Wohnhaus sind, sondern richtige Ubergangsschpfungen, mit denen etwas Rechtes nicht anzufangen ist.

    Zu ganz reinen Resultaten wre es wahrscheinlich bis heute noch nicht gekommen, wenn nicht im rechten Augenblick ein Knstler w ie Messel die Entwickelungsideen der Zeit aufgenommen und, untersttzt durch khne und verstndige Bauherren, sie einem Reifepunktc zugefhrt htte. Das Verdienst dieses Mannes ist ausserordentlich. N icht dass er etwa ein selten genialischer, phnomenischer Knstler w re ; aber er hat zum erstenmal das falsche Prinzip, das Kompromis ganz aufgegeben, die Konsequenz gezogen und ist durch solche Logik zu Resultaten gelangt, deren schulbildende, gesunde W irkung schon jetzt berall zu spren ist. Es ist ihm nicht leicht geworden, in der Gegenwart die Tugenden bauknstlerischer Konsequenz zu ben; denn w ir stehen am Abschluss einer Epoche, die fr den Architekten nicht leicht schlimmer gedacht werden kann. Van de Velde hat einmal geschrieben, er denke oft mit Schaudern daran, dass er verdammt sein konnte, ums Jahr 1 8 3 0 zu leben; fr den deutschen Architekten htte er eine schlimmere Zeit nennen knnen: die um 18 7 0 . Im Anfang des vorigen Jahrhunderts wre der erfinderische Belgier mit seiner Gross- stadtkunst wahrscheinlich nicht in eine kleine Residenz gedrngt worden, sondern htte in Berlin zu wirken und vielleicht gar zu bauen vermocht; denn er wre damals ja auch ein anderer gewesen. Statt mit der Schwester Friedrich Nietzsches htte er m it Henriette Herz geplaudert und im Salon der klugen Rahel geistreichen Mnnern und Frauen seine Tendenzen entwickelt. Was aber wre aus ihm geworden, wenn er 1 8 7 0 in Berlin, inmitten des lrmenden Reichsillusionismus, gelebt htte! Vor den Kriegen konnte man in Berlin doch von einer Baukunst sprechen. Das meiste von dem, was in dieser verpnten Epigonenperiode entstanden ist, gibt dem Stadtbilde der Residenz noch heute das Geprge: Brandenburgertor, Museum, Nationalgalerie, Bauakademie, Neue Wache und Schauspielhaus; ferner

  • die Palais und Privathuser im Schinkelstil. Was hat die Grnderzeit dem bis heute entgegenzusetzen als die ungeheure Quantitt? Neben Mnnern wie Langhans, Schinkel, Strack, Stler und selbst Wsemann noch stehen die Hitzig, Raschdorff, Ende, Kayser und Grossheim, Schwechten, Otzen, als Epigonen der Epigonen, in Bildung heuchelnder Unkultur. Dreissig Jahre lang hat der Sieges- und Einheitsrausch entsetzlich verdummend auf unsre Kunst gewirkt. Jetzt erst regt sichs wieder und die um die Mitte des Jahrhunderts abgebrochene Entwickelung wird fortgesetzt. Freilich haben sich inzwischen diese Verhltnisse sehr gendert. Damals forderte ein wenn auch epigonischer, so doch reiner und mutiger Idealismus von der Baukunst eine wrdevolle Reprsentation; heute verlangt ein ernsthafter Rationalismus Bauformen fr profane wirtschaftliche Bedrfnisse. Dort w ar es mehr ein innerer, hier ist cs vor allem ein usserer Zwang. In der Zwischenperiode aber, die noch lngst nicht beendet ist, sind nur frivole W illkr und planlose Verlegenheit fr die Stil-und Formenwahl etnscheidend gewesen.

    Messels Leistung besttigt wieder die alte Erfahrung, die Wenige nur begreifen w ollen: dass jede tchtigc Kunstarbeit auch immer, ohne es zu w ollen, einen ethischen Wert hervorbringt. Als man nicht wagte, dem fordernden Bedrfnis zu folgen, bemntelte man es mit den Phrasen von der Notwendigkeit der Traditionen , mit den Redensarten von den berlieferten Formenschtzen und ewigen Schnheiten . Was man aber schuf, w ar beschmendes Epigonenwerk, kleinlich und anmassend zugleich. Die Architektur als Kunst schien tot, es gab keine M usik mehr in der Baukunst, sondern nur noch Gerusche, keine lebendige sthetik, sondern im besten Fall Wissenschaft. Die Architcktenvereine feierten alljhrlich ihren M eister" Schinkel mit pathetischen Worten und schwuren, in seinem Geist weiter zu arbeiten. Sie glaubten cs zu tun, wenn sie ach Gott, ja, w ie er! die Formen der Alten benutzten. Noch heute aber begreifen erst Wenige,

  • w o Schinkels, des Klassizisten eigentliche Strke liegt, w o das ungeheuer Moderne seiner Gesamtleistung zu suchen ist. Der erste, der wieder versucht hat, Erbe dieses letzten Berliner Baumeisters grossen Stils zu werden, ist Messel. An seinen Warenhusern sieht man nun erst, was ntig w ar, um die unterbrochene Entwickelung fortzusetzen. Es w ar ntig, dasselbe zu tun, was Schinkel in seinen lebendigsten Bauten getan hat: dem gross erfassten Bedrfnis ein Kleid zu schaffen, ohne auf anderes zu sehen, als au f die Forderungen der Logik, der Vernunft