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Schizophrenie

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Leitfaden Kinder- und Jugendpsychotherapie

Band 14

Schizophrenievon Dr. med. Rainer Huppert und Dipl.-Psych. Norbert Kienzle

Herausgeber der Reihe:

Prof. Dr. Manfred Döpfner, Prof. Dr. Gerd Lehmkuhl,Prof. Dr. Franz Petermann

vonRainer Huppert und Norbert Kienzle †

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GöttiNGeN · BeRN · WieN · PaRiS · OxfORd · PRaG · tORONtO CamBRidGe, ma · amSteRdam · KOPeNHaGeN · StOCKHOLm

Schizophrenie

vonRainer Huppert und Norbert Kienzle †

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Satz: Grafik-Design Fischer, Weimar Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, KemptenPrinted in GermanyAuf säurefreiem Papier gedruckt

ISBN 978-3-8017-2051-3

© 2010 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KGGöttingen • Bern • Wien • Paris • Oxford • Prag • TorontoCambridge, MA • Amsterdam • Kopenhagen • StockholmRohnsweg 25, 37085 Göttingen

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat für die Wiedergabe aller in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen etc.) mit Autoren bzw. Herausgebern große Mühe darauf verwandt, diese Angaben genau entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Wer-kes abzudrucken. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verant-wortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

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Dr. med. Rainer Huppert, geb. 1954. 1973-1979 Studium der Humanmedizin und Romanistik in Frankfurt/Main. Weiterbildung zum Facharzt für Nervenheilkunde und Psychiatrie. Langjährige Tätigkeit im Bereich Erwachsenenpsychiatrie und Neurologie. Anschließend Weiterbildung zum Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Seit 1998 Oberarzt der Jugendpsychiatrischen Abteilung Rottmannshöhe des Heckscher-Klinikums für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, München.

Dipl.-Psych. Norbert Kienzle (1955-2008). 1978-1984 Studium der Psychologie in Konstanz. Psychologischer Psychotherapeut, Verhaltenstherapeut, Supervisor und Dozent. Mehrjährige Tätigkeit im Bereich der Erwachsenenpsychiatrie. 1988-2008 Mitarbeiter der Jugendpsychiat-rischen Abteilung Rottmannshöhe des Heckscher-Klinikums für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, München.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Einleitung: Grundlagen und Aufbau des Buches

Trotz in vielerlei Hinsicht stark veränderten Betreuungsbedingungen und erweitertenBehandlungsmöglichkeiten, trotz immenser Forschungsbemühungen gehören die schi-zophrenen Psychosen nach wie vor zu den schwersten psychischen Erkrankungen.Dieses um so mehr, als die Frage, „warum sich gerade in der Zeit der größten Vitali-tät – nämlich um das 20. Lebensjahr – die schwersten Geisteskrankheiten häufen“,(Kretschmer, 1972) weiter im Raum steht.

Die Vielfalt der Erscheinungsbilder, die Komplexität der Störung machen multimo-dale Sichtweisen und Behandlungsansätze ebenso wie multiprofessionelle Zusam-menarbeit notwendig. Aber auch jenseits des Klinischen müssen die schizophrenenPsychosen als paradigmatisch für viele ätiologische, nosologische und therapeutischeModelle gelten. Angesichts des durch die Erkrankung gestellten sehr breiten Problem-spektrums erscheint es für einen Leitfaden, der sich primär kinder- und jugendpsycho-therapeutisch orientieren soll, tunlich, die vielen Facetten dieses Störungsbildes, wennauch in gedrängter Form, darzustellen und die obsolete Polarität neuropsychiatrischerund psychologisch-psychotherapeutischer Akzentsetzungen zu vermeiden.

Der vorliegende Leitfaden soll Grundlage evaluierter diagnostischer und therapeuti-scher Maßnahmen sein. Er steht vor allem im Einklang mit den Richt- und Leitliniendeutscher und internationaler kinder- und jugendpsychiatrischer sowie psychiatri-scher Fachgesellschaften, z. B. den aktuellen Leitlinien zu Diagnostik und Therapievon psychischen Störungen im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter, die von der Deut-schen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psycho-therapie der Bundesarbeitsgemeinschaft leitender Klinikärzte für Kinder- und Jugend-psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie und dem Berufsverband der Ärztefür Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (2007) her-ausgegeben werden, sowie den Praxisleitlinien in Psychiatrie und Psychotherapie, Be-handlungsleitlinie Schizophrenie (Gaebel et al., 2006), die die Deutsche Gesellschaftfür Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde verantwortet.

Der Leitfaden gliedert sich in insgesamt sechs Kapitel:

Kapitel 1 bietet eine Einführung in das Thema und liefert eine Definition derErkrankung, eine gedrängte historische Rekapitulation der paradigmatischenStellung schizophrener Psychosen sowie der Besonderheiten der Erkrankungim Kindes- und Jugendalter.

Im zweiten Kapitel wird der Stand der Forschung hinsichtlich Symptomatik,Klassifikation und Diagnose, Ätiologie und Pathogenese, Epidemiologie, Ver-lauf und Prognose sowie der aktuellen Behandlungsprinzipien dargestellt.

Im dritten Kapitel werden die Leitlinien zur Diagnostik, Verlaufskontrolle undTherapie sowie ihre Umsetzung in die klinische Praxis vorgestellt.

Im vierten Kapitel werden Verfahren zur Diagnostik, Verlaufkontrolle undzur Therapie kurz beschrieben.

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Kapitel 5 enthält Materialien, die zur Diagnostik, Verlaufskontrolle und Be-handlung eingesetzt werden können.

Im sechsten Kapitel wird anhand eines Fallbeispiels die Umsetzung der Leit-linien illustriert.

Übersicht über die Leitlinien zur Diagnostik, Verlaufs kontrolle und zur Therapie der Schizophrenie im Kindes- und Jugendalter

Ergänzt wird dieser Band durch einen Ratgeber Schizophrenie (Huppert & Kienzle,2010). Der Ratgeber informiert Eltern, Erzieher und Angehörige über Symptomatik,Ursachen, Verlauf und Behandlungsmöglichkeiten von schizophrenen Störungen imKindes- und Jugendalter. Jugendliche erhalten Ratschläge zur Selbsthilfe.

L1 Exploration des Patienten

L2 Anamnese

L3 Psychopathologischer Befund und Verhaltensanalyse

L4 Somatisch- neurologische Diagnostik

L5 Testpsychologische Untersuchungen

L6 Diagnosestellung

L7 Früherkennung

L8 Verlaufskontrolle

L9 Allgemeine Behandlungsprinzipien

L10 Pharmakotherapie

L11 Psychotherapie/ Verhaltenstherapie

L12 Angehörigen- und Elternarbeit

L13 Langzeittherapie – Langzeitverlauf

EinleitungVI

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Inhaltsverzeichnis

1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

1.1 Definition und historische Entwicklung der diagnostischen Kategorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

1.2 Besonderheiten schizophrener Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2

2 Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

2.1 Symptomatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

2.2 Klassifikation, Diagnose und Differenzial diagnose . . . . . . . . . . . . . . 14

2.2.1 Allgemeine diagnostische Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

2.2.2 Unterformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

2.2.3 Differenzialdiagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

2.3 Ätiologie und Pathogenese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

2.3.2 Endophänotypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

2.3.3 Neuroanatomische Auffälligkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

2.3.4 Biochemische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

2.3.5 Neuropsychologische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

2.3.6 Psychodynamische und psychosoziale Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . 27

2.3.7 Vulnerabilitäts-Stress-Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

2.4 Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

2.5 Verlauf und Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

2.5.1 Verlaufscharakteristika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

2.5.2 Erkrankungsbeginn und Früherkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

2.5.3 Verlaufstypologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

2.5.4 Verläufe früh beginnender Schizophrenien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

2.5.5 Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

2.5.6 Suizid als Krankheitsausgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

2.5.7 Komorbide Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

2.6 Aktuelle Therapiestrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

2.6.1 Pharmakotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

2.6.1.1 Neuroleptika/Antipsychotika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

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2.6.1.2 Weitere pharmakologische Behandlungsoptionen . . . . . . . . . . . . . . . 44

2.6.2 Psychotherapeutische Behandlungsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

2.6.2.1 Psychoedukation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

2.6.2.2 Verhaltenstherapeutische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

2.6.3 Soziotherapeutische Interventionsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

2.6.3.1 Rehabilitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

2.6.3.2 Ambulante Interventionsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

3 Leitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

3.1 Leitlinien zu Diagnostik und Verlaufskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

3.1.1 Exploration des Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

3.1.2 Anamnese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

3.1.3 Psychopathologischer Befund und Verhaltensanalyse . . . . . . . . . . . . 71

3.1.4 Somatisch-neurologische Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

3.1.5 Testpsychologische Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

3.1.6 Diagnosestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

3.1.7 Früherkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88

3.1.8 Verlaufskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92

3.2 Leitlinien zur Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

3.2.1 Allgemeine Behandlungsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

3.2.2 Pharmakotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

3.2.3 Psychotherapeutische Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

3.2.4 Angehörigen- und Elternarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

3.2.5 Langzeittherapie und Langzeitverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

4 Verfahren zur Diagnostik und Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144

4.1 Verfahren zur Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

4.1.1 Manual zur Dokumentation psychiatrischer Befunde der Arbeitsgemeinschaft für Methodik und Dokumentation in der Psychiatrie (AMDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

4.1.2 Psychopathologisches Befundsystem für Kinder und Jugendliche (CASCAP-D) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146

4.1.3 Positive and Negative Syndrome Scale (PANSS) . . . . . . . . . . . . . . . . 147

InhaltVIII

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4.1.4 Schedules for Clinical Assessment in Neuropsychiatry, Deutsche Ausgabe (SCAN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148

4.1.5 Kiddies Schedule for Affektive Disorders and Schizophrenie Present/Life Time (K-SADS-PL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

4.1.6 Eppendorfer Schizophrenie Inventar (ESI) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150

4.1.7 Frankfurter Beschwerde-Fragebogen (FBF) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150

4.1.8 Symptomliste zur Früherkennung (ERIraos – Early Recognition Inventory) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

4.1.9 Internationale Diagnosencheckliste für ICD-10 (IDCL): Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

4.2 Verfahren zur Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

4.2.1 Integriertes Psychologisches Therapieprogramm bei schizophrenen Erkrankungen (IPT) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

4.2.2 Therapiemanuale Psychoedukation und Krankheitsbewältigung (PKB) und Therapieprogramm Wohnen, Arbeit, Freizeit (WAF) . . . . 152

4.2.3 Kognitiv-verhaltenstherapeutisches Behandlungsmanual zur Rezidivprophylaxe bei schizophrenen Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . 153

4.2.4 Familienbetreuung schizophrener Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

5 Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

M01 Checkliste zur Exploration und Verhaltensbeobachtung psychotischer Kernsymptome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156

M02 Anamnese- und Explorationsschema für Risikoelemente schizophrener Psychosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

M03 Checkliste zur Früherkennung (ERIraos – Early Recognition Inventory) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

M04 Kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen in der Behandlung schizophrener Jugendlicher (IPT-Weiterentwicklung) . . 162

M05 Beispiel für Wochenstrukturplan bei Negativsymptomatik . . . . . . . . 163

6 Falldarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

6.1 Stationäre Behandlungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

6.2 Nachstationärer Behandlungsabschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173

Inhalt IX

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1 Einführung

Schizophrene Erkrankungen sind in vielerlei Hinsicht außergewöhnlichbedeutsam. Mit einer regional leicht differierenden Jahresinzidenzratevon 0,1 bis 0,48 betrifft diese Störung etwa 1 % der Weltbevölkerung, miteiner aktuellen globalen Prävalenz gerechnet also mehr als 20 MillionenMenschen. Schizophrenien gehören zu den 10 am häufigsten zu einer Be-hinderung führenden Erkrankungen und gelten trotz des Anstiegs derDiagnosen aus dem demenziellen Spektrum als teuerste psychiatrischeErkrankung überhaupt. Die Krankheitskosten pro Jahr für die BRD wer-den auf ca. 5 Milliarden Euro geschätzt und bewegen sich damit in Grö-ßenordnungen von Volkskrankheiten wie Diabetes und Bluthochdruck.Etwa 10 % der Betroffenen sind dauerhaft behindert, mehr als 80 % imVerlauf nicht oder nicht mehr vollzeitbeschäftigt (Janssen et al., 2006).

1.1 Definition und historische Entwicklung der diagnostischen Kategorie

Bereits beim Versuch, die Krankheit Schizophrenie zu definieren, zeigensich viele Schwierigkeiten, die jegliches diagnostisches Konzept dieserErkrankung aufwirft bis hin zur Infragestellung der klinischen EntitätSchizo phrenie selbst. Sie ist eine schwere seelische Erkrankung, die meistzwischen dem 15. und 35. Lebensjahr beginnt, in Psychopathologie undVerlauf große Vielfalt aufweist. Zentrale Symptome sind Störungen desDenkens (Form und Ordnung: Zerfahrenheit, Vorbeireden; Inhalt: Wahn),des Ich-Erlebens (Beeinflussung von Gedanken und Handlungen vonaußen), der Wahrnehmung (Halluzinationen), des Gefühlslebens (inadä-quater, verflachter Affekt), des Antriebs (Apathie), des Bewegungsablaufs(Erregung, Stupor, Stereotypien) und entwicklungs- und persönlichkeits-fremde Verhaltensänderungen (autistischer Rückzug, Unstetigkeit), dieüber mindestens einen Monat bestehen und für die keine organische Er-krankung ursächlich ist. Hypothesen zur Verursachung integrieren mul-tifaktoriell genetische Belastungen, Auffälligkeiten der Hirnentwicklung,peristatische und individuelle Risikofaktoren, die eine individuelle, durchWirksamwerden weiterer Stressoren die psychotische Manifestation bah-nende Vulnerabilität konstellieren. Die Erkrankungen zeigen symptoma -tologische Akzente (z. B. Wahn und Halluzinationen, formale Denkstö-rungen, Affekt- und Antriebsstörungen, Bewegungs störungen), die zurAbgrenzung von Subtypen geführt haben. Verlaufsformen reichen vonchronischer Persistenz schizophrener Symptome über episodische Mani -festationen mit oder ohne vollständige Rückbildung zu vor allem Af-fekt, Antrieb und Persönlichkeit prägenden Symptomen des sogenann-ten schizophrenen Wesenswandels mit negativen Auswirkungen auf diemeisten psychosozialen Funktionen (soziale Integration und Bindung,Schule, Ausbildung, Beruf).

große epide-miologischeRelevanz

vielfältigeSymptoma-tologie undVerlaufs -formen

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In der Geschichte der Psychiatrie nimmt die Schizophrenie eine zentralePosition ein und galt bereits vor den bedeutsamen nosologischen Kon-zeptionen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert als Pro-totyp einer Geisteskrankheit überhaupt. Eugen Bleuler verwendete dasWort Schizophrenie erstmals 1911 im Titel einer Monografie, die er derGruppe der Schizophrenien widmete. Bereits vor Bleuler hatte Emil Krae-pelin (1896) mit seinem Konzept der Dementia praecox einen wesent-lichen nosografischen Grundstock zu heutigen Diagnose- und Klassifi-kationssystemen geliefert.

1.2 Besonderheiten schizophrener Erkrankungenim Kindes- und Jugendalter

Störungsbilder wie der frühkindliche Autismus (Kanner, 1943), die De-mentia infantilis (Heller, 1912) und das aus analytischer Perspektive ent-wickelte Konzept symbiontischer Psychosen (Mahler, 1952) wurden langein den einschlägigen Klassifikations- und Diagnoseinstrumenten als Un -terformen bzw. Varianten kindlicher Erscheinungsformen schizophrenerPsychosen angesehen und erst mit der ICD-10 und dem DSM-IV den tief-greifenden Entwicklungsstörungen zugeordnet.

Auch wenn Entwicklungsbesonderheiten und familiärem Umfeld im Kin-des- und Jugendalter bei psychischen Störungen generell ein erhebliche-rer Stellenwert zugemessen werden muss als im Erwachsenenalter, konn-ten die klassifikatorischen Abgrenzungen einer kindlichen Schizophreniemit verbesserter Operationalisierung forschungsbasierter Diagnosekri-terien nicht aufrechterhalten werden und wurden mit der ICD-10 wiederaufgehoben. Für kindliche, juvenile und adulte Schizophrenieformen gel-ten also die gleichen diagnostischen Kriterien, die sich vor allem aus denvon Kraepelin (1896), Bleuler (1911) und Kurt Schneider (1950) for-mulierten Symptomkonstellationen dieser Erkrankung rekrutieren.

Wie im Erwachsenenbereich war auch die Behandlung kindlicher undjuveniler Schizophrenien in der Vorneuroleptika-Ära durch eine breite,kaum evaluierte, aus heutiger Sicht merkwürdig bis unverständlich an-mutende Palette von Optionen gekennzeichnet. Neben somatischen The-rapieformen, die unterschiedliche Medikamentengruppen und Substan-zen ebenso zur Anwendung brachten wie die sogenannten großen Kuren,also Insulin-, Analeptika-induzierte-, Elektroschock-Behandlungen gabes auch eine lange Tradition psychotherapeutischer, nicht zuletzt auchpsychoanalytischer Behandlungsansätze (u. a. Fromm-Reichmann, 1943;Benedetti, 1983), die einer wissenschaftlichen Effizienzevaluation nurunzureichend standhielten und denen in der Basisversorgung auch inihrer Weiterentwicklung nur geringer Stellenwert zugewiesen wird.

Kapitel 12

historischenosologi-

sche Kon-zepte

Autismus – Schizo -

phrenie

alters -abhängige

Schizo -phrenie -formen?

Behand -lungs -

ansätze

01-03 Schizophrenie_Leitfaden 20.01.10 11:40 Seite 2

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Den multifaktoriellen pathogenetischen Konzepten schizophrener Psy -chosen korrespondiert heute ein multimodaler Therapieansatz, der beider Schwerpunktsetzung von dem jeweiligen klinischen Erscheinungs-bild der Erkrankung und dem Verlaufsstadium wesentlich bestimmt wird.In diesen sind biologische (vor allem psychopharmakologische) und psy -chosoziale, also psychotherapeutische und soziotherapeutische Behand-lungsformen integriert (Möller, 2008). Der Ausbau psychosozialer the-rapeutischer Strategien ist Teil der als Paradigmenwechsel beschriebenenVeränderung von einer kustodial-passiv-rezeptiven Haltung aufseiten desPatienten und seiner Angehörigen zu einer transparent-partizipierend-aktiven therapeutischen Begegnung (Bäuml & Kraemer, 2002). Eine kli-nisch flexible Orientierung auf der Basis soliden Wissens und strukturierteVorgaben sind für diese Begegnung auf therapeutischer Seite gefordert.Einen Beitrag hierzu will der vorliegende Band leisten.

Einführung 3

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2 Stand der Forschung

2.1 Symptomatik

Die deskriptive Erfassung charakteristischer klinischer psychopathologi-scher Syndrome stellt weiterhin den zentralen Baustein der Schizophre-niediagnostik dar. Nachdem alle psychischen Funktionen betroffen seinkönnen, bietet die Symptomatologie ein unter den psychiatrischen Er-krankungen ungewöhnlich vielfältiges Spektrum individueller psy cho -pathologischer Erscheinungsbilder und Ausprägungsformen nicht nurinterindividuell, sondern im Verlauf der Erkrankung auch intraindividuell.Neben der identifizierbaren Beeinträchtigung aller grundlegenden psy-chischen Funktionen leiden viele Patienten darüber hinaus an einer Viel-zahl auf die Psychose und deren Auswirkungen zurückzuführenden Er-lebens- und Befindensveränderungen, die mitunter schlecht verbalisierbarsind, häufig unspezifisch und vage und dennoch auf besonders charakte-ristische Weise zur „schizophrenen“ Erschütterung von Selbst- und Welt-erleben beitragen, beispielsweise das Zeiterleben, die Raumempfindungund die Identifizierung von Kausalitäten betreffen.

Um diese symptomatologische Vielfalt zu ordnen, sind Beiträge verschie-denerAutoren und Schulen in die aktuellen Klassifikationssysteme ICD-10und DSM-IV-R eingegangen. Bereits Eugen Bleuler (1911) unterschiedzwischen den seiner Auffassung nach pathognomonischen Grundsymp-tomen Autismus, Ambivalenz, Parathymie, Denkzerfahrenheit, sowieden sehr charakteristischen Formen gestörten Ich-Erlebens, der schizo -phrenen Depersonalisation und trennte sie von den akzessorischen Symp-tomen wie Wahn, Sinnestäuschungen, katatonen Symptomen sowieAuf fäl lig keiten von Schrift und Sprachausdruck. Kurt Schneider (1950)beschrieb neun Erstrangsymptome aus den Bereichen Störung der Sin-neswahrnehmung, Ich-Erleben, inhaltliches Denken, denen seiner Auf-fassung nach bei der Diagnosestellung besondere Dignität zukommt.Diesen ordnete Schneider Symptome zweiten Ranges nach, die erst imklinischen Gesamtzusammenhang die schizophrene Diagnose begründenkönnten.

Insbesondere im Hinblick auf ätiologische Modellvorstellungen gewanndie Unterteilung schizophrener Symptome in sogenannte Positiv- bzw.Plussymptome und Negativ- bzw. Minussymptome an Bedeutung (An-dreasen, 1982), an die sich eine von Crow (1985) formulierte Differen-zierung in eine Typ I und Typ II genannte Verlaufsform anschloss. AlsPositiv- bzw. Plussymptome werden Phänomene bezeichnet, die nichtzum Erscheinungsbild normaler psychischer Funktionen zu zählensind (Zubin, 1985). Zu den Positiv-/Plussymptomen zählen nach die-ser Auffassung Wahn, Halluzinationen, Inkohärenz und Zerfahrenheit

deskriptivePsycho -

pathologie

Unterteilungder

Symptome

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Stand der Forschung 5

symptoma-tologischeOperationa-lisierung

des formalen Denkens, Verhaltensdesorganisation, Störungen des Ich-Erlebens. Hinzu treten kognitive Leistungsdefizite wie Störungen derAufmerksamkeitsfokussierung, intellektuelle Einbußen, Störungen vonMerkfähigkeit und Gedächtnis sowie sensorische Defizite (Cutting,2005), die auch bei Negativ-/Minussymptomen gesehen werden, undhier neben affektive Nivellierung, Antriebsverarmung und sozialen Rück-zug treten.

Symptomatologisch lehnt sich das Konzept der Basisstörungen, das aufHuber (1957) zurückgeht und seit den 1970er Jahren mit den Forschungs-ergebnissen von Süllwold (1977) angereichert wurde, einerseits an dievon Kurt Schneider genannten Erstrangsymptome an, ergänzt und ver-feinert diese, indem es mit der Erfassung der zunächst uncharakteristi-schen und nur subjektiv erlebbaren Basisdefizienzen Übergangsreihenzu Erstrangsymptomen formuliert.

Operationalisierende Empirie dominiert die psychopathologische Erhe-bung schizophrener Symptomatologie und hat idiografisch-hermeneuti-sche Ansätze (Mundt & Lang, 1987) aus der klinischen Praxis weitgehendverdrängt. Sprachmächtige Beschreibungen schizophrener Phänomenesind gegenüber definierten Merkmalskatalogen in den Hintergrund ge-treten. Vor allem neuropsychologische Untersuchungen haben der Er-fassung schizophrener Symptome Facetten hinzugefügt, die vor allem fürdie subjektiv erlebte Perspektive des Erkrankten bedeutsam sind, aller-dings in einem klinischen Befund als solche nicht auftauchen. Die breiteschizophrene Symptomenpalette ohne verzerrende konzeptuelle Voran-nahmen zu konventionieren und kommunizierbar zu machen, führte zuSymptominventaren, wie sie von der Arbeitsgemeinschaft für Methodikund Dokumentation in der Psychiatrie (AMDP) entwickelt wurden. MitHilfe computergestützter Datenerfassungsverfahren wurden überzufäl-lig häufig auftretende Symptomverbände ermittelt, die als charakteristi-sche Symptomverbände (Syndrome) verschiedene Bereiche schizophre-nen Erlebens abbilden sollen.

Für die im Folgenden dargestellten psychopathologischen Parameterneurale Korrelate zu identifizieren und in kognitions- und neuropsycho-logische Erklärungsmodelle zu integrieren, werden wissenschaftlich aufder Basis u. a. struktureller und funktioneller bildgebender Forschungs-ansätze intensive Versuche unternommen. Je nach Symptom sind unter-schiedliche Hirnregionen und funktionelle Netzwerke in diese Modelleeinbezogen. Von konsistenten Gesamt hypothesen, die die vielen, alsvielversprechend zu wertenden, teils widersprüchlichen Einzelaspekteüber Modelle hinaus verbinden, kann derzeit aber noch nicht gespro-chen werden, so dass in diesem Rahmen auf entsprechende Literaturverwiesen wird (Kircher & Gauggel, 2008).

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Psychopathologische Symptome

a) Störungen des formalen Denkens

Merkmale:

AMDP-Merkmale: Gehemmt, verlangsamt, umständlich, eingeengt, perseverie-rend, Grübeln, Gedankendrängen, Ideenflucht, Vorbeireden, Inkohärenz, Zerfah -renheit, Neologismen.

Weitere: Verdichtung, Kontamination, „Wortsalat“, Palilalie, Logoklonie, Konkre -tismus, Verarmung, Sperrung, Begriffsverschiebung, Entgleisung, sprunghaftesund verschrobenes Denken, assoziative Lockerung, Kataphasien, Paraphasien.Erkennbar viele deskriptive Überschneidungen.

Insbesondere Störungen des Gedankengangs, die auch außerhalb affek-tiver Ausnahmeverfassungen beobachtet werden, begründen den Eindruckvon Verwirrtheit und Fremdheit schizophrenen Erlebens. Im sprachlichenAusdruck betreffen sie syntaktische, semantische und pragmatische Struk-turen oft in unterschiedlicher Weise und berühren grundsätzliche Fragendes Zusammenhangs von Denken und Sprache.

Formale Störungen können im ungünstigen Fall den gesamten Krank-heitsverlauf über persistieren, klingen aber in aller Regel nach einer aku-ten Manifestation eines Schubes zunächst wieder ab, um bei Chronifizie-rung der Erkrankung Denken und Kommunikationsstil unter Umständenfortschreitend zu beeinträchtigen. Sowohl im Querschnitt eines akutenSchubes als auch im weiteren Verlauf können sie mitunter nur themen-und situationsbezogen auftreten. In einem strukturierten Gespräch fal-len sie bisweilen wenig auf, insbesondere Inkohärenz und Zerfahrenheitwerden häufig erst im freien Monologisieren oder Nacherzählen einesvorgegebenen Textes mit dem Verlust des „roten Fadens“, Entgleisun-gen, inhaltlichen und Klangassoziationen deutlich. Formalen Denkstö-rungen kommt keine schizophreniespezifische Dignität zu. Sie sind eherals Störung eines funktionellen Systems und nicht als Symptom einereinzelnen Erkrankung aufzufassen (Kirner et al., 2008).

Kognitions- und neuropsychologische Arbeiten haben auf die Komplexitätder an der Sprachproduktion Gesunder beteiligter Prozesse ebenso hin-gewiesen wie auf das vielfältige Erscheinungsbild formaler Denkstörun-gen. Ohne bereits über ein auch nur annähernd vollständiges Bild dieserVorgänge zu verfügen, wird bei den formalen Denkstörungen Schizo -phrener vor allem auf eine gestörte Aktivierung von Wortassoziations-feldern, Defizite der sprachlichen Exekutivfunktionen in Form unzu -reichender Planung eigener Äußerungen, deren gestörte Kontrolle undgestörte interne Fehlerkorrektur hingewiesen. Kommunikative Defiziteauf der Ebene der Umsetzung von Sprache in einem pragmatischen Kon-text sowie Störungen des Bedeutungsbewusstseins, die kommunikative

Kapitel 26

Zerfahren-heit alsGrund-

symptom

Denkstö-rung/

Sprach -störung

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Begegnung und Annahmen über das Denken des Gegenübers beeinflussenbzw. beeinträchtigen, kommen hier ebenfalls zum Tragen (Kirner et al.,2008). Für schizophrene Psychosen spezifische Störungen im Sinne „einerschizophrenen Sprache“ haben sich bei allen breiten Überschneidungenpräverbaler Denkabläufe und der Sprachproduktionskette weder für dasformale Denken noch für Sprechen, Sprache oder Pragmatik finden las-sen (Chaika, 1974).

b) Wahn

Merkmale:

AMDP-Merkmale: Wahnstimmung, Wahnwahrnehmung, Wahneinfall, Wahnge-danke, systematisierter Wahn sowie Wahndynamik.

Wahnthemen: Beziehungswahn, Beeinträchtigungswahn, Verfolgungswahn, Eifer-suchtswahn, Schuldwahn, Verarmungswahn, hypochondrischer Wahn sowie Grö-ßenwahn und andere Inhalte.

Obzwar eines der kennzeichnendsten und häufigsten schizophrenen Symp-tome – im Verlauf der Erkrankung entwickeln etwa vier Fünftel aller Er-krankten zumindest passager Wahnsymptome – sind Wahnbildungen nichtpathognomonisch für schizophrene Psycho sen. Formal als Störung desUrteils gewertet, zwingt das breite Spektrum kulturell determinierter Er-le bensformen zu Relativierungen und Modifikationen der lange maßgeb-lichen Wahnkriterien von Jaspers (1973): Außergewöhnliche, üblicher-weise nur mentalen Zuständen und nicht dem intersubjektiven Raumeigene subjektive Gewissheit, durch widersprechende Erfah rungen nichtüberwindbare Unkorrigierbarkeit und meist Unvereinbarkeit mit der Re-alität. Der Wahn imponiert zunächst als ein Konstrukt einzelner Gedan-ken, Einfälle und Wahrnehmungen, der durch die Wahnarbeit zu einemGedankengebäude konkreter Bezüge und Konstellationen, dem Wahn-system, ausgestaltet werden kann. Mit dem Inhalt der wahnhaften Über-zeugung inkompatible Er fahrungen führen nicht zu einer Modifikationoder gar Korrektur des Wahns, sondern werden auf der Basis einer aufder Höhe des Wahns oft imperativen Evi denz, die für den Wahnkrankenjede Begründungsbemühung entbehrlich macht, durch Umdeutungen derWahnkonstruktion assimiliert. Insofern sind Wahnbildungen durch dieüblichen Anpassungsprozesse kognitiver Verarbeitungen wie Überzeugt-werden, Einsicht, konkrete Überprüfung bei zugespitzter Krankheitsaus-prägung nicht korrigierbar.

Der postulierten „Uneinfühlbarkeit“ des Wahns haben kognitionspsy cho -logische Arbeiten eine Reihe von theoretischen Ansätzen zur Pathoge-nese des Wahns gegenübergestellt. Hier sind der von Kinder man (1994)beschriebene Attributionsstil, in den affektive Dispositionen (Scham,

Stand der Forschung 7

Wahn -kriterien

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Angst, Depressivität, Kontrollbedürfnis, Erleben von Ohnmacht, Sünden-bockzuschreibungen) eingehen, ebenso zu nennen wie das als voreiligesSchlussfolgern konzeptualisierte Defi zit abstrakt-logischen Denkens(Kapur, 2003). Die Hypothese einer affektiv begründeten Belastungs -intoleranz gegenüber vagen, für das Individuum undurch schaubaren Erlebenskonstellationen greift Beobachtungen affektiver Entlastungenauf, wenn aus der Un durchschaubarkeit der meist ängstlichen Wahnstim -mung das paranoide Evidenzerlebnis die Welt für den Kranken in wahn-haft verzerrter Form wieder durchschaubar macht (Conrad, 1958). Einepräferenzielle Selektion wahnbezogener Wahrnehmungen und Reize wirdkognitionspsy chologisch als Störung der attentionalen Verarbeitung be-schrieben und spiegelt auf kogni tiver Ebene die klinischen Formulie-rungen der Assimilation von Wahrnehmungen unter die Wahnhypotheseund das mit vielen psychodynamischen Ableitungen versehene Wahn be -dürfnis wider. Das Fehlen sozialer Korrektive zunächst geringgradigerAuffälligkeiten bei der oft progredienten sozialen Isolierung psycho-tisch Erkrankter ist in dem Gefüge ebenso zu berücksichtigen wie ange-nommene idiosynkratische Schwierigkeiten bei der Reizverar beitung,die das anomale (wahnhafte) Erleben anstoßen soll.

Für die klinische Praxis gibt es einige wesentliche hilfreiche Charakteris-tika, um Wahn phänomene von anderen Gedankenkonstrukten abzugren-zen. Jedes Für und Wider eines Gedankens wird von subjektiven Einstel-lungen getragen. Die in Frage stehende (wahn hafte) Überzeugung haltenandere Personen für nicht glaubhaft, sie wird nicht geteilt. Es be steht ofteine hochgradige gedankliche und affektive Fixierung auf das Wahnerle-ben. Mitunter fällt es dem Wahnkranken schwer, überhaupt ein anderesThema anzusprechen. Wahn hat meist einen persönlichen Bezug zu Per-son und Lebenswelt des Kranken und besteht seltener aus ungewöhn-lichen, bisweilen bizarren Überzeugungen religiösen, politi schen oderwissenschaftlichen Inhalts. In seinem sozialen Umfeld erwachsen demWahn kranken in aller Regel schnell Konflikte und Auseinandersetzun-gen. Wenn ihn die Stärke des wahnhaften Evidenzerlebens überwältigt,unterwirft sich der Kranke dem Wahn (im Gegensatz zum Zwangserle-ben). In aller Regel ist ein Wahn im psychopathologischen Sinn ein in-dividuelles Phänomen, der Inhalt wird von der gesellschaftlichen Einheit,in der sich der Erkrankte bewegt, nicht geteilt.

Der Wahn des schizophren Erkrankenden entwickelt sich im Verlauf desBeginns der Psy chose meist über ein Stadium einer ängstlich angespann-ten Wahnstimmung, in der suk zessive abnormes Bedeutungserleben, ab-norme Beziehungssetzung, Eigenbeziehungen, Zentralitätserleben be-stimmend werden und sich durch einen progredienten Ausschluss vonZufällen auf die hohe subjektive Wahngewissheit hinentwickeln. Wahn-wahrneh mungen und Wahneinfälle können unverbunden nebeneinanderstehen, sich aber auch bei entsprechender Dauer der Erkrankung zu einemWahngebäude verdichten und syste matisieren. Die Komplexität von Wahr-

Kapitel 28

Wahnent-wicklung

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nehmen und Erleben wird auf die Perspektive des Wahns reduziert. Wahn-phänomene können von einer sehr unterschiedlichen affektiven Dynamikgetragen werden, die für die Handlungs- und Erlebensrelevanz wesent-lich ist. Führen hochakute Wahnsyndrome mitunter zu wesensfremdenTaten, können affektiv entkoppelte bzw. von geringer Dynamik getra-gene Wahnbildungen den Kranken (u. U. von einer bei Schizophrenen alsdoppelte Buchführung bezeichneten Erlebensspaltung) mit variierenderlebenspraktischer Relevanz über lange Zeit begleiten. Bisweilen werdenWahngedanken aus halluzinatorischem Erleben abgeleitet.

In einer multimodalen psychiatrischen Behandlung, die eine adäquatepsy chopharmakolo gische Behandlung ebenso einschließt wie verhaltens -therapeutische Maßnahmen, wobei letztere von den dargestellten kogni-tionspsychologischen Formulierungen sicherlich profi tiert haben (Lincoln,2006), wird ein sukzessiver Distanzierungsprozess von den Wahn inhaltenangestrebt. Insbesondere bei chronifizierten und systematisierten Wahn-formen stellt sich dieses oft als sehr schwierig dar. Auch psychodyna-misch nachvollziehbare Schwierigkeiten resultieren mitunter aus derBehandlungsforderung, dass der Wahnkranke mit dem Wahn einen Teileiner bisweilen in die Persönlichkeit integrierten, diese über eine langeZeit formende und verformende Erlebenswelt aufgeben soll. Depres-sive Re aktionen bis hin zu Suizidalität sind hier zu beachten. In allerRegel bedeutet aber die Wahndistanzierung für den Kranken eine erheb-liche affektive Entlastung. Ausgestaltete Wahngebäude, wie sie im Ver-lauf früher sehr oft gesehen wurden, sind bei Jugendlichen eher seltenund kommen auch im Erwachsenenalter durch die meist frühzeitig ein-setzende neuroleptische Behandlung oft dann nicht mehr zur Entwick-lung. Gerade derartige systematisierte Wahnbildungen bei Schizophrenensind eine besonders schwierige therapeutische Her ausforderung, derenZiel sich mitunter mit dem Erreichen einer affektiven Entkopplung bzw.einer dynamischen Reduktion bei weiter bestehendem, aber nicht mehrhandlungsrelevantem Wahnerleben bescheiden muss.

Magische Erlebens- und Denkstrukturen des Kindes- und beginnendenJugendalters, fantastische Ausgestaltungen, Fantasiewelten, Tagträume-reien entsprechend dispo nierter Kinder und Jugendlicher werfen für dieseAltersgruppe im Hinblick auf die Beurtei lung des Symptoms Wahn mit-unter zusätzliche differenzialdiagnostische Schwierigkeiten auf. Sicher-heit in der Realitätsbewertung von Gedanken, Wahrnehmungen und Er-lebnissen ist ein Entwick lungsprozess auf die Fähigkeit hin, die eigenePerspektive mittels eines Überstiegs, das heißt einer Übernahme der Per-spektive anderer zu überprüfen (Theory of Mind-Konstrukt). Die formaleNähe kindlicher und krankhafter Realitätsbezugsauffälligkeiten hatLempp (1972) heraus gearbeitet. Auch vor dem Hintergrund der Sprach-entwicklung und der Entwicklung formaler kognitiver Strukturen werdenWahnbildungen bei Kindern unter zehn Jahren im Rahmen kindlicherPsychosen eher selten gesehen.

Stand der Forschung 9

Wahnverlauf

Wahn beiKindern undJugend-lichen

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c) Sinnestäuschungen

Merkmale:

AMDP-Merkmale: Illusionen, Phonemata (Stimmenhören), Akoasmen (nicht ver-bale akustische Halluzinationen), Halluzinationen auf anderen Sinnesgebieten(optisch, olfaktorisch, gustatorisch, taktil), Coenästhesien.

Illusionen oder illusionäre Verkennungen sind pathologisch falsche Wahr-nehmungen real vorhandener Objekte (Gegenstände, Personen). Sie er-wachsen meist aus einer besonders drängenden affektiven Verfassung,bei spielsweise im Sinne von Affektillusionen bei Angst. Sie werden beiakuten schizophrenen Störungen hoher Affektdynamik beobachtet, sindaber nicht typisch.

Als Halluzinationen werden Wahrnehmungen bezeichnet, denen keinexterner Reiz oder Objekt im Außenfeld der Realität zugrunde liegt. Beietwa der Hälfte aller schizophrenen Psychosen werden im VerlaufHalluzinationen erlebt, besonders charakteristisch ist das Stimmenhö-ren, wenngleich nicht pathognomonisch. Halluzinationen auf anderenSinnes gebieten werden deutlich seltener beobachtet (Cutting & Dunne,1989). Die Phonemata bei Schizophrenen werden als beschimpfend, be-fehlend, kommentierend beschrieben, mit unter Stimmen, die mehrerenPersonen zugeordnet werden und über den Patienten spre chen (dialogi-sche Stimmen). Sie zeigen häufig eine pronominale Umkehr in die drittePer son, meist ist dem Kranken die Zuordnung zum Geschlecht des „Spre-chers“ möglich, sel ten ist dem Kranken die Stimme bekannt. Häufigkeit,Intensität und Ausmaß der subjekti ven Beeinträchtigung fluktuieren imVerlauf. Die stark variierende Handlungs- bzw. Erlebensrelevanz kann beidurch andere Krankheitsbereiche einge schränkter oder gar fehlender Kri-tik- und Steuerungsfähigkeit im Ernstfall zu überraschen den, mitunterfür den Betreffenden und/oder die Umgebung gefährlichen Handlungenfüh ren. Im Hinblick auf Selbst- und Fremdgefährdung werden immerwieder imperative Stim men bedeutsam, beschimpfenden Stimmen kommthäufig ein quälender Charakter zu. Es sind aber auch diese abnormenakustischen Erlebnisse, die gerade bei chronisch Schizo phrenen zu „Be-gleitern“ des autistisch abgekapselten Erkrankten werden können. Ausklinischer Sicht stehen akustische Halluzinationen mitunter in einem oftnicht sicher abgrenzbaren Erlebniskontinuum zu anderen Phänomen wieGedankenlautwerden und illusionären Verkennungen.

Kapitel 210

Dominanzakustischer

Halluzina-tionen

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d) Ich-Störungen

Merkmale:

AMDP-Merkmale: Derealisation: Störung des Gefühls des Erlebens anderer Per -sonen und Umwelt, De personalisation: Störung des Einheitserlebens im Augen-blick, der Identität im Zeitverlauf und der Ich-Umwelt-Grenze; Störung der Ich-haftigkeit: Gedankenausbreitung, Gedanken entzug, Gedankeneingebung sowieandere Erlebnisse, mit denen Fühlen, Streben, Wollen oder Handeln als von außengemacht erlebt werden (Fremdbeeinflussung).

Auch wenn Ich-Störungen bei einer Reihe anderer Erkrankungen undAusnahme verfassungen (z. B. Müdigkeit, Angst, Rauschzuständen) vor-kommen, repräsentieren sie in ihrer Gesamtheit einen besonders charak-teristischen Symptombereich. Die zentrale Stellung dieser Symptomehat neben der möglichst differenzierten Erfassung der vielschichtigenErlebnisse zu verschiedenen Ansätzen geführt, Ich-Störun gen nicht nurzu beschreiben, sondern auch mit experimentellen Verfahren zu überprü-fen (Kircher, 2003). Ausgangspunkte dabei waren Untersuchungen ba-saler psychologischer und neurobiologi scher Mechanismen der Selbst-repräsentation (Kircher & Gauggel, 2008). Funktionelle Modelle, die aufdie Unterscheidung von eigenen und fremden Bewegungen Bezug neh-men, – mit dem als Reafferenzprinzip bezeichneten Kontrollmechanismusunterscheidet das Gehirn zwischen selbst durchgeführten und anderenBewegungen – beziehen darüber hinaus das Konzept der Spiegelneuroneals Grundlage von Imitationsverhalten ein.

e) Antrieb und Psychomotorik

Merkmale:

AMDP-Merkmale: antriebsarm, antriebsgehemmt, antriebsgesteigert, motorischunruhig, Parakinesen, ma niriert, bizarr, mutistisch.

Unter Antrieb subsumiert das AMDP eine vom Willen weitgehend un-abhängig wirksam werdende Kraft, die als Grundlage quantitativ einstuf-barer seelischer Funktionen wie Tempo, Intensität und Ausdauer von Han-deln und Denken wirkt. Umschreibend werden als Elemente des AntriebsElan, Schwung, Initiativereichtum, Tatkraft, Intentionalität genannt. An-trieb schlägt sich einer seits im Aktivitätsniveau, andererseits in Erschei-nungsbild und Ausprägung der Psycho motorik, also vor allem Mimikund Gestik, nieder. Quantitative Antriebsveränderungen können als An-triebs minderung, Reduktion oder Verarmung bis hin zum Antriebsver-lust auftreten, stehen ne ben affektiven Auffälligkeiten aber insbesondereim Zentrum der Negativsymptomatik. Antriebsstörungen sind für den

Stand der Forschung 11

besonderscharakteris-tischerSymptom -bereich

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Kapitel 212

Ambivalenzund Para-

thymie alsGrund-

symptome

Außenstehenden in ihren Auswirkungen nur mittelbar an der Veränderungdes Aktivitätsausmaßes erkennbar, letztlich subjektive Merk male und Ge -genstand häufiger Klagen. Das stuporöse Bild, meist mit Mutismus ein-her gehend, ist die Extremausprägung einer Antriebsstörung. Die Antriebs -hemmung, d. h. die subjektiv als Blockade erlebte Antriebsstörung beierhaltener Intentionalität, ist für depres sive Syndrome charakte ristisch.Zu den Antriebsstörungen zu rechnen sind auch Antriebssteigerung undmotori sche Unruhe bis hin zum Erregungszustand. Auch eine Steigerungdes Redeflusses (Lo gorrhoe) kann Symptom einerAntriebssteigerung sein.Diese Verfassungen werden meist bei akuten psychotischen Zuständen be-obachtet.

Neben den quantitativen Veränderungen des Bewegungsbildes in Ausmaßund Umfang wie Bewegungssturm bis hin zum völligen Antriebsverlust,Hem mung und Stupor, Verharren, mitunter als Katalepsie in bizarren Hal-tungen und Flexibilitas cerea (wächserne Biegsamkeit), die oft vom Sis-tieren jeglicher sprachlicher Äußerungen (Mutismus) begleitet sind, kön-nen mitunter eine Reihe qualitati ver psychomotorischer Auffälligkeitenbeobachtet werden: Stereotypien, (also Pa rakinesen), abnorme Bewe-gungsabläufe in Mimik, Gestik und Ausdruck; Manie rismen, Bizarre-rien: auffällig seltsame, gezierte, skurrile Bewegungen; an sprachli chenAuf fälligkeiten Logoklonien, Palilalien (Wortwie derholungen) und Ne-gativismen (Gegenteil zu aufgeforderter Bewegung) sowie die Ambi-tendenz (motorische Unentschiedenheit) als motorischer Ausdruck vonAmbivalenz.

f) Störungen der Affektivität

Merkmale:

AMDP-Merkmale: Ratlos, Gefühl der Gefühllosigkeit, affektarm, Störung der Vi-talgefühle, deprimiert, hoffnungslos, ängstlich, euphorisch, dysphorisch, gereizt,innerlich unruhig, klagsam-jammrig, Insuffizienzgefühle, gesteigertes Selbstwert-gefühl, Schuldgefühl, Verarmungs gefühle, ambivalent, Parathymie, affektlabil,affektinkontinent, affektstarr.

Störungen des Gefühlslebens gehören zu den gravierendsten, in das Selbst-erle ben und die sozialen Bezüge am tiefsten eingreifenden Auffälligkeitenschizophrener Er krankungen. Bleuler (1911) sah in der Parathymie, einercharakteristischen Inkongruenz von Affekt und Situation oder sprachli-chem Kontext, die bei etwa einem Fünftel der akut Erkrankten vorkommt(Andreasen, 1979), eine der Grundstörungen der Erkrankung. Ob zwaraffektive Symptome das Persönlichkeitsbild des Erkrankten, Kommuni-kations- und soziale Integrationsfähigkeit und Resonanz mit am deutlichs -ten determinieren und die Ei gentümlichkeit des affektiven Ausdrucks, derKontaktaufnahme und -gestaltung als besonders typisch angesehen wer-

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