Schokolade: Nicht nur süsser Genuss

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70 Prozent des weltweit gehandelten Kakaos kommt aus Westafrika. Menschenunwürdige Arbeitsbedingungen – dazu gehört auch Kinder- arbeit – sind auf den Kakaoplantagen der Elfenbeinküste und Ghana üblich und werden von den Schokoladeherstellern seit Jahren bewusst in Kauf genommen. Die jahrelange Weigerung der Schokoladeindustrie, ihre Finanzflüsse offenzulegen, trägt zudem zur aktuellen Krise in der Elfenbeinküste seit den Präsidentschaftswahlen Ende 2010 bei. EVB-KONSUM-INFO SCHOGGI 01_MäRZ_11 SCHOKOLADE NICHT NUR SüSSER GENUSS 01

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70 Prozent des weltweit gehandelten Kakaos kommt aus Westafrika. Menschenunwürdige Arbeitsbedingungen – dazu gehört auch Kinder- arbeit – sind auf den Kakaoplantagen der Elfenbeinküste und Ghana üblich und werden von den Schokoladeherstellern seit Jahren bewusst in Kauf genommen. Die jahrelange Weigerung der Schokoladeindus trie, ihre Finanzflüsse offenzulegen, trägt zudem zur aktuellen Krise in der Elfenbeinküste seit den Präsidentschaftswahlen Ende 2010 bei.

Transcript of Schokolade: Nicht nur süsser Genuss

70 Prozent des weltweit gehandelten Kakaos kommt aus Westafrika. Menschenunwürdige Arbeitsbedingungen – dazu gehört auch Kinder-arbeit – sind auf den Kakaoplantagen der Elfenbeinküste und Ghana üblich und werden von den Schokoladeherstellern seit Jahren bewusst in Kauf genommen. Die jahrelange Weigerung der Schokoladeindus trie, ihre Finanzflüsse offenzulegen, trägt zudem zur aktuellen Krise in der Elfenbeinküste seit den Präsidentschaftswahlen Ende 2010 bei.

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SchokoladeNicht Nur SüSSer GeNuSS

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Weltweitbauenrund5,5MillionenKleinbäuerinnenund-bauernKakaoan.EtwaeinDrit-tel des weltweit verwerteten Kakaos stammt aus der Elfenbeinküste. Ghana ist mit fast20ProzentdieNummerzweiimWettbewerbumdenKakaohandel.Nigeria,Kamerun,In-donesien, Brasilien und Ecuador produzieren den Rest. Die Kleinbauern verkaufen denKakaoankakaoverarbeitendeUnternehmen,welcheVorproduktefürdieSchokoladeher-stellerproduzieren.DerWeltmarktfürdieKakaoverarbeitungwiefürdieSchokoladepro-duktionwirdvoneinigenwenigenUnternehmenbeherrscht.BeiihnenfindetderLöwen-anteilderWertschöpfungstatt.Soentfallennichteinmal5ProzentderProduktionskosteneinerTafelSchokoladeaufdieKakaoanbauländer.

DiesozialenundökologischenProblemebeiderProduktionvonKakaohabeninderVergangenheit wiederholt für Schlagzeilen gesorgt: Niedrige und infolge von Preis-schwankungen unsichere Einkommen, schlechte Arbeitsbedingungen und KinderarbeitsindindenAnbaugebieten,voralleminWestafrika,weitverbreitet.DieVerantwortungderKakao-‐undderSchokoladenindustriefürdiemenschenunwürdigenZuständeinihrerZu-liefererketterücktaufgrundihrerMarktmachtgezwungenermassenindenMittelpunktderDebatte.StattdieeigeneLieferkettezukontrollierenundgegenMissständevorzugehen,nutzensiedieoftschwachenstaatlichenStrukturenderAnbauländerfüreigeneVorteileundmachensichzuKomplizenundVerursachernvonMenschenrechtsverletzungen.

ImJahr2001hatdieKakao-undSchokoladebranchemitdemHarkin-Engel-ProtokolleinefreiwilligeSelbstverpflichtungunterzeichnetundversprochen,denschlimmstenFor-menvonKinderarbeit,KinderhandelundZwangsarbeitvonErwachsenenaufdenKakao-farmeninderElfenbeinküsteundGhanabis2005einEndezusetzen.Darüberhinaussoll-tedieIndustriegemeinsammitandereninteressiertenPartnernbiszum1.Juli2005Stan-dardsfüreineZertifizierungentwickeln.DieFristwurdemehrmalsverlängert,diegesetztenZielebisheutenichterreicht.

Seit den Präsidentschaftswahlen im November 2010 streiten sich der abgewählte Präsident Gbagbo und der neue, aber machtlose Präsident Ouattara um die Macht und den Kakao. Ein Kakaoexport verbot soll dem Wahlverlierer den Geldhahn zudrehen. Verlierer sind vor allem die Bauernfamilien, die auf ihrem Kakao sitzenbleiben und keine Möglichkeit haben, die Bohnen fachgerecht zu lagern. Die Weigerung der Industrie, den Forderungen nach transparenten Finanz- und Rohstoffflüssen nachzukommen, hat schon den Bürger - krieg 2002 – 2007 finanziert – und nährt nun auch diese politische Krise.

Aktuelle Lage in der Elfenbeinküste im märz 2011

ÜBErBliCK

Produktions- und Lieferkette von Kakao und Schokolade

Kleinproduzenten Zwischenhändler Exporteure

KakaoverarbeiterBarry Callebaut [CH], ADM, Cargill, Petra Foods, Blommer

SchokoladefirmenNestlé [CH], Mars, Hershey’s, Kraft Foods, Ferrero

DetailhandelKonsumentinnen und Konsumenten

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FoKuS: KindErarBEit

WiChtigE aKtEurE

DieamerikanischeUniversitätTulanehatdenUmsetzungsprozessdesHarkin-Engel-Proto-kollsbegleitetundzeigtanhanddergesammeltenDatenerheblicheMissständeimKakao-anbauauf:ImJahr2009arbeiteteninderElfenbeinküsterund820000KinderinderKakao-branche.Beirund260000davonistdieArbeitsohart,dasssienichtmehrmitdenKon-ventionen138und182derInternationalenArbeitsorganisation(ILO)vereinbarsind.GhanaweistähnlicheZahlenauf,obschondieRegierungbestrebtist,ausbeuterischeKinderarbeitzubekämpfen.WeiterhinsehrproblematischistderHandelmitKindernausMaliundBur-kina Faso, die zur Arbeit auf die Kakaofarmen verkauft werden. Einer der wichtigstenGründe fürdieEinstellungvonKindern fürdieKakaoernte istdiegeringereBezahlung:KindererhaltennurhalbsovielwieErwachsene.DiewichtigsteUrsachevonausbeuteri-scherKinderarbeit sinddieniedrigenEinkommenderBauernfamilien.UmKinderarbeitbekämpfenzukönnen,verlangendieBauernmehrAufklärungüberdieschädlichenFolgenvonKinderarbeit,Kredite,umArbeitskräfteanstellenzukönnen,undeinenhöherenPreisfürihrenKakao.

InderSchokoladeindustrieunterscheidetmanzwischenderkakaoverarbeitendenIndus-trieundderMarkenindustrie.ZumerstenSektorgehörenwenigerbekannteFirmenwiedieSchweizerFirmaBarryCallebaut,derUS-GigantCargill,ADM,PetraFoodsundBlommer.DiewichtigstenMarkenproduzentensindKraftFoods,Nestlé,Mars,Hershey’sundFerrero.DiesezehnFirmendominierendenKakao-undSchokolademarktundbildeneinOligopol.SiehättensomitaucheinengrossenEinflussaufdieDurchsetzungderMenschenrechteimKakaosektor.DerweltweiteUmsatzmitdemVertriebvonSchokoladeundkakaohaltigenSüssigkeitenlagimJahr2009beirund107MilliardenFranken(inderSchweizlagerbei1,7MilliardenFranken).DiefünfgrösstenKonzernehattendaraneinenMarktanteilvon52,3Prozent.

12,6 %, 372 000 t

NestléLion, Kit-Kat, Cailler, Smarties, Chokito, Kalak, After Eight

5,8 %, 170 000 t

Hershey’sChocolate Bar, Chocolate Drops, Nuggets, Syrup

14,5 %, 430 000 t

MarsMars, Bounty, Milky Way, Snickers, M&M’s

4,5 %, 135 000 t

FerreroKinder, Duplo, Nutella, Ferrero Rocher, Ferreroküsschen, Mon Chéri

14,9 %, 440 000 t

Kraft FoodsMilka, Suchard, Daim, Mozartkugel, Toblerone

47,7%, 1 431 000 t

Übrige Unternehmen

Marktanteile der grossen Schokoladeproduzenten (2010)*

* Die Angaben beruhen auf verschiedenen Quellenangaben und können je nach Grund-annahmen variieren.

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380000TonnenKakaokaufteNestléimJahr2010ein,über10ProzentderWeltproduktion.WeilNestléfürrund90ProzentseinerKakaobohnenkeineAngabenzuderenUrsprungma-chenkannoderwill,istdieWahrscheinlichkeitsehrgross,dassderKonzernWarebezieht,dieunterVerletzungenderMenschenrechteproduziertwordensind.

MitderLancierungdesKakao-PlansEnde2009stehtNestlézuihrerVerantwortungundverspricht,dieLebenssituationderKakaobauernfamilienverbessernzuwollen.DerKakao-Planbetrifft1,5ProzentvonNestlésKakaoverbrauch,undesgibteinigegewichtigeKritik-punktedaran:Nestléverarbeitetseitüber80JahrenKakaoundkenntdieZuständeaufdenKakaofarmennichterstseitzweiJahren–nichtzuletzt,weildieFirmaüberihrePreispoli-tikdasElendaufdenKakaofarmenaktivmitgestaltethat.NachderjahrzehntelangenAus-beutungschlägtderKonzernnocheinzweitesMalProfitundnutztnundiedarausentstan-deneNotderBauernfamilienalsMarketinginstrument.ZudemschafftNestléneueAbhän-gigkeiten,indemesdenBauernKakaopflanzungenverschenktundsiesodemRisikoeinesPreiszerfallsaussetzt,ohnedabeidasRisikomitzutragen.Sinnvollerwärees,strukturelleProblemewiedieschwankendenundletztlichzutiefenPreiseanzugehen.FürdieVerbes-serungderSituationistesnotwendig,alleProdukterückverfolgenzukönnen,einenMin-destpreisfürKakaozugarantierenundeinSystemzuentwickeln,dasdieEinhaltungderMenschenrechteindenLieferkettengarantiert.

DieEntwicklunginderKakaoundSchokoladenbranchezeigtdieGrenzenfreiwilligerPro-zesseimBereichUnternehmensverantwortungauf.VieleInitiativenfokussierenaufhöhereErträge,mitdemArgument,alspositivenNebeneffektauchdiesozialenundökologischenProblemezulösen.EineweiterebeliebteMethodeistdieAufklärungüberunddasVerbotvon Kinderarbeit, ohne dabei jedoch die Eigenverantwortung für deren Ursachen anzu-erkennen(z.B. tiefePreise,keine langfristigenVerträge,keineVorfinanzierungen...). ImVerlaufderletztenzweiJahrehabenvereinzelteSchweizerFirmenangefangen,ProjekteimBereichnachhaltigerKakao-Beschaffungzuinitiieren.EineBeurteilungüberderenErfolgeistzumjetzigenZeitpunktnochverfrüht.

GleichzeitighatsichdieAnzahlLabel,dieeinenachhaltigeSchokoladeproduktionver-sprechen,indenletztenJahrenvergrössert.DiefürdenKakaobereichinderSchweizwich-tigstensind:MaxHavelaar(fairtrade),RainforestAlliance,UtzundBio.WeltweitsindabernurdreiProzentderganzenKakaoproduktionzertifiziert.WichtigeElementewieMindest-preiseunddieFörderungvonKleinproduzentenwerdenallerdingsnurvonMaxHavelaarerfüllt,derenMarktanteilinderSchweizfürSchokolade0,5Prozentausmacht.

DieSchweizerinnenundSchweizeressenmit12KiloproKopfammeistenSchokolade.DasLandistfürdiegutenQualitätsschokoladenweltbekannt,undesbeherbergtmitBarryCallebaut,NestléundLindtdreiSchokoladefirmen,diezudeneinflussreichstenderWeltgehören. Obschon nur ein Bruchteil der von ihnen produzierten Kakaoprodukte in dieSchweizgelangt,werdendiemarktpolitischenEntscheidehiergefällt.DieBereitschaftderSchweizerSchoggi-Branche,AuskunftüberdieHerkunftihresKakaos,dieAusgestaltungihrerLieferkettenunddieEinkaufspolitikzugeben,haterstimVerlaufderletztenzweiJahreetwaszugenommen.SiehabenjetzteingrösseresInteresse,KakaobohnendirektbeiKooperativenimglobalenSüdenzubeziehen.AllerdingssinddiedarausresultierendenProjekteblosseinTropfenaufdenheissenStein,damitihnennureingeringerTeildesSchweizerKakaobedarfsgedecktwird.DieUnternehmenwissennachwievornicht,wo-herderGrossteilihrerKakaobohnenkommt–besondersbeiderKakaobuttergibteserheb-licheMängel.HochglanzbroschürenundFeel-Good-WebsitessollendenKonsumierenden

FallBEiSpiEl – nEStlé

naChhaltigE

initiativEn

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dasGefühlgeben,dieUnternehmennähmen ihreVerantwortungwahr. InWahrheithatsichdieLagedermeistenBauernfamilienjedochnichtverändert.LehrenausderaktuellenKrisenlageinderElfenbeinküstemüssenauchdieSchweizerSchokoladefirmenziehen,diesichseitJahrenweigern,ihreFinanzflüsseoffenzulegenunddamitkorrupteRegimesbe-günstigen.TrotzderhohenWeltmarktpreiseunddiverserSchreckmomenteanderKakao-börseübersganzeJahrhindurchkonntesichderUmsatzderSchweizerSchoggi-IndustrieimJahr2010um2,4Prozentauf1,743MilliardenFrankensteigern.

• PrüfenundbevorzugenSiebeijedemKauf zuerstdasBio-undFairtrade-Angebot. • KennenSieHerkunftundHerstellungsbedingungen IhrerLieblingsschokoladenicht,dannfragenSiedenHersteller, obdaringarantiertkeineKinderarbeitsteckt. • GeniessenSiedieSchokoladeimBewusstsein, dassvielArbeitdarinsteckt. • ...undessenSieweiterhinSchoggi,damitdieProduzenten imSüdendavonprofitieren.

Legendenhabeichnochnichtgesetzt...

Wussten sie, dass...

. . . ein Drittel des weltweit gehan-delten Kakaos aus der Elfenbeinküste kommt?

. . . die meisten schokoladeunter-nehmen nicht wis-sen, woher der in ihrer schokolade verarbeitete Kakao stammt?

. . . schweizerinnen und schweizer im Durchschnitt 12 Kilo schokolade pro Jahr essen?

. . . die Kakaobauern-familien meist in bitterer Armut leben?

KonSumtippS/

SElBEr aKtiv WErdEn

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WEitErFÜhrEndE

inFormationEn

–ErklärungvonBern(EvB).2010.SchweizerSchokoladefirmenprofile. www.evb.ch/p15218.html

–TulaneReports.2008–2010.OversightofPublicandPrivateInitiativestoEliminate theWorstFormsofChildLaborintheCocoaSectorinCôted’IvoireandGhana. www.childlabor-payson.org

–FriedelHütz-Adams.2010.MenschenrechteimAnbauvonKakao. EineBestandsaufnahmederInitiativenderKakao-undSchokoladenindustrie.

–FriedelHütz-Adams.2009.DiedunklenSeitenderSchokolade. GrossePreisschwankungen–schlechteArbeitsbedingungenderKleinbauern.

–TCC.2010.CocoaBarometer.

–TCC.2009.CocoaBarometer.

–Oxfam.2008.TowardsaSustainableCocoaChain. Powerandpossibilitieswithinthe cocoaandchocolatesector.

–GlobalWitness.2007. HotChocolate:HowCocoaFuelled theConflictinCôted’Ivoire. www.globalwitness.org