Schottisch hoch zwei - Nova Scotia

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SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de D onnie Campbell zeigt auf den McLellan-Bach. „Das ist das sauberste Wasser auf ganz Cape Breton Island“, sagt er stolz. Muss es auch, denn aus dem Bach wird das Wasser entnommen, mit dem der einzige Single-Malt-Whisky Nord- amerikas gebrannt wird. Und Campbell ist Manager der Brennerei in Glenville, die diesen herstellt. Die Destillerie liegt abgelegen, es gibt keine Nachbarn. Hin- ter dem Gebäude ragt ein Hügel in die Hö- he, und es gibt sehr viel Wald– ganz Nova Scotia ist voll von Bäumen. Cape Breton Island ist der nördliche Teil von Nova Sco- tia, Neuschottland. Donnie Campbell kann gut erzählen, er wirkt kompetent. Stolz erklärt er sei- nen Besuchern, wie sein Whisky herge- stellt wird. Dann geht er von der Brenne- rei zur Scheune, wo die Fässer gelagert werden, nennt den Alkoholgehalt einer Sorte, verrät deren Alter, und schließlich erwähnt er beiläufig, dass gerade ein Bär über das Gelände gelaufen sei. Denn das ist nichts Besonderes hier. Bären gibt es fast so viele wie Bäume. Überall ist Wald. Laubwald. Mischwald. Nadelwald. Weih- nachtsbäume sind neben Hummer und Blaubeeren der Exportschlager Nova Scotias – angeblich ist die kanadische Provinz der größte Weihnachtsbaum- Lieferant der Welt. Außer Wald und Bären gibt es viel Was- ser und viele Schotten, das heißt: Nach- kommen von Schotten, die 1773 damit be- gannen, diese Region zu besiedeln, denn in ihrer Heimat war das Leben unerträg- lich geworden. Die Schotten hatten 1746 die Schlacht von Culloden gegen engli- sche Truppen verloren. Angeblich hatte der Kampf nur eine Stunde gedauert. Die Sieger zerstörten danach das Clansystem der Schotten, verboten ihnen, Gälisch zu sprechen, Kilts zu tragen und Dudelsack zu spielen – die Schotten durften keine Schotten mehr sein. Um ihre Kultur zu retten, so dachten sie damals, mussten sie ihre Heimat verlassen. Die ersten 184 Aus- wanderer fuhren 1773 mit dem Schiff Hector über den Atlantik nach Nordame- rika. Die Versprechungen der Schleuser waren groß: ein Haus für jede Familie, Proviant für ein ganzes Jahr und frucht- baren Boden für alle sollte es geben. Doch was die armen und nur gälisch sprechen- den Kolonialisten am 15. September 1773 vorfanden, war: Wald. Kein Haus, kein Essen. In den überlieferten Schriften heißt es, einige Siedler hätten sich auf den Boden geworfen und geweint. Dann standen sie auf, holzten den Wald nieder, fingen Fische und bauten Häuser. Es entstand der Ort Pictou. In Pictou gibt es heute Straßenschilder auf Englisch und Gälisch, vor dem Gedenkgelände „The Hector Heritage Quay“ bläst ein Dudelsackspieler, der Nachbau der Hector ist am Steg ange- täut. Das Schiff wankt ein wenig, seine Segel flattern. Es ist ein windiger Tag. In einem großen, hölzernen Haus der Erinne- rung hängen bunte Bahnen aus Stoff. Die Symbolik ist blau für das Meer, weiß für die Gischt und grün für den Wald von Pictou. Durchzogen wird der Stoff von schwarzen Linien – im Gedenken an die- jenigen, die auf dem Weg von Schottland nach Kanada gestorben sind. Wo die echte Hector abgeblieben ist, weiß man nicht. In Pictou hat man das Schiff nachgebaut, einschließlich der auf- gemalten, potemkinschen Luken für Ka- nonen, die Piraten abschrecken sollten. Man kann hinabsteigen in den Bauch des Schiffes, in dem die Passagiere in Stock- betten geschlafen haben, in kleinen, schä- bigen Gestellen. Die Menschen damals waren kleiner als heute. Aber selbst für sie dürfte es hier drin klaustrophobisch eng gewesen sein. Kapitän der Hector war der in England geborene, 35-jährige John Speirs. Als das Schiff in Schottland ablegen wollte, kam ein Dudelsackspie- ler an Bord, der nicht für die Reise be- zahlt hatte. Speirs wollte ihn vom Schiff werfen, doch die Passagiere protestier- ten. Der Dudelsackspieler war ein Sym- bol – für Schottland, für die Heimat, für den Stolz. Er blieb. Die elfwöchige Überfahrt muss eine Tortur gewesen sein. Es waren Ratten an Bord, und Krankheiten wie die Pocken grassierten. 18 Passagiere starben, unter ihnen viele Kinder. Am Ende musste das Wasser rationiert werden, und die ver- schimmelten Essensreste wurden an den letzten Tagen der Reise gegessen, um nicht zu verhungern. Heute haben vier von fünf Bewohnern Nova Scotias Vorfahren von den briti- schen Inseln. Trotzdem war die keltische Sprache hier einmal vom Aussterben be- droht, besonders schlimm war es in den siebziger und achtziger Jahren. Mittler- weile beherrschen wieder etwa 5000 Men- schen Gälisch – vor allem junge Leute. Angeblich ist es cool, Gälisch sprechen zu können, genauso wie es cool ist, im Kilt zu heiraten. Cape Breton Island ist nun neben Schottland und Irland die einzige Region der Erde, wo Gälisch noch Alltags- sprache ist. Sie wird an zwei Highschools gelehrt – und am Gaelic College of Celtic Arts and Crafts in St. Ann’s auf Cape Breton Island. Das College in St. Ann’s ist in langgezo- genen, kargen, grauen Gebäuden unterge- bracht; kurz geschnittener Rasen füllt die Lücken zwischen den Häusern. Das hat etwas von Schottland, von Irland, zumal auch hier der Wind über das weitläufige Gelände pfeift. Das College wurde 1938 gegründet, zunächst, um die gälische Sprache zu erhalten. Heute wird hier das gesamte schottische Erbe gepflegt. Die Sommerschule bietet Seminare an: Dudel- sack spielen, Geschichten erzählen, We- ben, keltische Musik spielen oder Tanzen. Die Schüler kommen aus aller Welt, aus Australien, aus Deutschland, natürlich auch aus Schottland. Manche fertigen Kilts an, andere trocknen Stoffe und singen keltische Lieder dazu – man nennt das „milling frolic“. Lehrer und Schüler führen es vor. Es sind meist ältere Teilnehmer, gesetzte Menschen mit Gesichtern, die rot glühen vor Freude und Anstrengung. Es ist eine einfache, fröhliche Arbeit, die man ge- meinsam macht. Für Besucher mag das Ganze etwas befremdlich wirken, aber für die Teilnehmer ist es offensichtlich ein großer Spaß. Sie werfen den Stoff über den Tisch, sie lächeln, sie singen: „He-ho, he-ho.“ Und sie sind stolz hier am College. Bilder an den Wänden erzäh- len von ausgewanderten Schotten oder de- ren Nachfahren, die etwas Großes gewor- den sind: der in Schottland geborene James Ramsey MacDonald zum Beispiel, er wurde 1924 Premierminister der ersten Labour-Regierung Großbritanniens. Auch die keltische Musik drohte auszu- sterben. Anfang der 1970er Jahre waren die meisten Musiker sehr alt, die Jugend interessierte sich eher für die Beatles. Lo- kale Radio- und Fernsehsender berichte- ten über die Not der keltischen Musik auf Cape Breton Island, und alle, die mit die- ser Musik zu tun hatten, ob sie nun Jig oder Reel oder was auch immer liebten, ließen sich motivieren, um das Ende abzu- wenden. Bei einem Festival in Glendale traten 120 Musiker auf – vor 10 000 Zuhö- rern. Heute wird keltische Musik auf Cape Breton Island wieder unterrichtet, und es gibt hier zwischen 300 und 400 Vio- linisten, Gitarristen, Pianisten und Mund- harmonikaspieler. Weben, Geschichten erzählen, Dudel- sack spielen, Tanzen, Musik, Sprache – das ist vermutlich mehr als das, was viele Schotten in Schottland tun, um ihre Kul- tur zu pflegen. Die Neuschotten sind in ge- wisser Weise schottischer als die Schot- ten. Und wenn etwas Schottisches fehlt, dann fahren sie zurück in die alte Heimat und holen es. So wie Bruce Jardine. Er hatte 1990 die Whisky-Destillerie in Glen- ville gegründet, aber zuvor eine einjähri- ge Bildungsreise durch Schottland ge- macht, wo er viele Brennereien besichtig- te. „Er kam als Brennmeister zurück“, sagt Manager Donnie Campbell, „und die technische Ausstattung der Destillerie stammt ebenfalls aus Schottland.“ Ärger hatte Jardine auch mitgebracht, denn die Schotten in Schottland können sehr eigen sein. Er musste einen neunjäh- rigen Rechtsstreit mit der schottischen Whiskey-Vereinigung darüber führen, ob sein Produkt das Glen – gälisch für „Tal“ – im Namen führen durfte. Nach vielen Urteilen und Revisionen stand schließ- lich fest: es durfte. Das Ganze hat Nerven gekostet, aber es machte sich bezahlt. Der öffentlich ausgetragene Rechtsstreit hat Jardines kanadischen Whisky bekannt gemacht. GERHARD FISCHER REISE Halifax ist ein netter, harmlos klin- gender Name. Aber er steht auch für Katastrophen. Eine Maschine der Swiss Air stürzte 1998 vor Halifax ab. 1917 ex- plodierte ein Munitionsschiff im Hafen, verwüstete die halbe Stadt, 2000 Men- schen kamen dabei ums Leben. Und dann war da im April 1912 noch der Un- tergang der Titanic. Der Kreuzfahrtdampfer stieß zwar in einiger Entfernung vor Neufundland mit dem Eisberg zusammen und sank, aber die Folgen betrafen auch die Hauptstadt von Neuschottland. Schiffe aus Halifax sammelten Überlebende auf – und Ertrunkene, 150 von ihnen Protestanten, die nun auf dem Friedhof Fairview Lawn Cemetery am Rand der Stadt begraben sind. Schlichte graue Marmorsteine stehen hier aneinanderge- reiht, auf manchen sind Namen zu le- sen, auf anderen nicht. Zum Beispiel der von J. Ackerman, der als einer von vielen am 14. April 1912 mit der Titanic untergegangen ist. Zwei seiner Enkel ha- ben einen Zettel mit einer Nachricht auf seinem Grab hinterlassen. Im Meeresmuseum im Hafen kann man Überreste der Titanic ansehen, zum Beispiel einen hölzernen Liege- stuhl vom Deck des Schiffes. Man habe nicht viel, heißt es im Museum, aber das wenige sei „einzigartig“. Berührend sind die Dinge schon, sehr berührend sogar, etwa die winzigen Lederschuhe eines Kindes, das mit der Titanic unter- ging. So traurig will man die Besucher dann aber auch nicht gehen lassen. Und deshalb gibt es eine Sonderausstellung, die pralle Lebensfreude zeigt – eine Schau über schwule Seefahrer, die aus Liverpool geholt worden ist. In Großbritannien war Homosexuali- tät in den fünfziger und sechziger Jah- ren verboten, das Leben an Land des- halb sehr schwierig. Also gingen viele Schwule auf Schiffe – auf manchen war laut Ausstellung mehr als die Hälfte der Stewards homosexuell. Vor den Passagieren wurde das zwar verborgen, aber nach Dienstschluss feierte die Mannschaft – im Meeresmuse- um sind Bilder von ausgelassenen Matrosen zu sehen. Manche trugen auch Frauenkleider, etwa Jane, ein Steward aus Liverpool. Reederei und Kapitän hatten anscheinend nichts dagegen – schwule Crew-Mitglieder, heißt es in der Ausstellung, seien willkommen ge- wesen, „wegen ihrer Sauberkeit, ihres Humors, ihres Perfektionismus und ihres weiblichen Touchs“. Das Museum in Halifax hat die Liver- pooler Ausstellung um einen hiesigen Teil erweitert. Einige Tafeln zeigen den Alltag auf kanadischen Schiffen – vor al- lem auf jenen aus Nova Scotia. Sie er- zählen vom Leben der lesbischen Helen und des schwulen Frank. In Nova Sco- tia hatte man vor allem große Schiffe, und auf denen wurde Homosexualität eher geduldet als auf den kleinen – ver- mutlich, weil es dort weniger aufgefal- len ist. Ganz so frei ist man also selbst auf hoher See nicht gewesen. gfi DEFGH Donnerstag, 29. September 2011 • Nr. 225 • Seite V3/2 Informationen Schottisch hoch zwei In Pictou in der kanadischen Provinz Nova Scotia wird das Erbe der alten Heimat gepflegt, eine Aufgabe, die man hier sehr ernst nimmt Die Jüngeren finden es cool, Gälisch zu sprechen und Kilt zu tragen Damen und Herren der Meere In Halifax lernt man viel über die „Titanic“ und schwule Matrosen Glenville Pictou Halifax NOVA SCOTIA Cape Breton Island KANADA SZ-Karte 200 km Sankt- Lorenz- Golf ATLANTIK USA Jane, ein Stewart aus Liverpool, trug gerne Frauenkleider Gekommen, um zu bleiben: Die Hector brachte 1773 die ersten Schotten nach Nova Scotia. In Pictou ist heute ein Nachbau des Schiffs zu sehen. Foto: Tony Hamblin/FLPA/Mauritius/Imagebroker Anreise: Condor fliegt bis zu drei Mal wöchentlich ab/bis Frankfurt nonstop nach Halifax, ab 448 Euro. Unterkunft: Inverary Resort, Doppelzimmer ab etwa 83 Euro, Baddeck, Cape Breton Island, www.inveraryresort.com Weitere Auskünfte: Nova Scotia Tourism, Schwarzbachstr. 32, 40822 Mettmann. Tel.: 02104/79 74 54, E-Mail: [email protected], www.novascotia.com Was kommt heute unter den Hammer und zu welchem Preis? Nerven bewahren und sparen – so funktioniert die große Rück- wärtsauktion. Je länger Sie warten, desto günstiger wird der Preis. Aber warten Sie nicht zu lange, sonst schlägt ein Anderer zu. Der Kaufdown mit täglich wechselnden Angeboten. kaufdown.de Die Auktion, bei der der Preis sinkt. 4 x ein ganzes Hotel für ein Wochenende exklusiv für Sie. Ob Weihnachtsfeier, Geburtstag oder Hochzeit - buchen Sie ein Hotel im Chiemgau für bis zu 20 Personen, powered by Der Steinweidenhof. SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de escholz SZ20110929S1462159

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Donnie Campbell zeigt auf denMcLellan-Bach. „Das ist dassauberste Wasser auf ganzCape Breton Island“, sagt er

stolz. Muss es auch, denn aus dem Bachwird das Wasser entnommen, mit demder einzige Single-Malt-Whisky Nord-amerikas gebrannt wird. Und Campbellist Manager der Brennerei in Glenville,die diesen herstellt. Die Destillerie liegtabgelegen, es gibt keine Nachbarn. Hin-ter dem Gebäude ragt ein Hügel in die Hö-he, und es gibt sehr viel Wald– ganz NovaScotia ist voll von Bäumen. Cape BretonIsland ist der nördliche Teil von Nova Sco-tia, Neuschottland.

Donnie Campbell kann gut erzählen,er wirkt kompetent. Stolz erklärt er sei-nen Besuchern, wie sein Whisky herge-stellt wird. Dann geht er von der Brenne-rei zur Scheune, wo die Fässer gelagertwerden, nennt den Alkoholgehalt einerSorte, verrät deren Alter, und schließlicherwähnt er beiläufig, dass gerade ein Bärüber das Gelände gelaufen sei. Denn dasist nichts Besonderes hier. Bären gibt esfast so viele wie Bäume. Überall ist Wald.Laubwald. Mischwald. Nadelwald. Weih-nachtsbäume sind neben Hummer undBlaubeeren der Exportschlager NovaScotias – angeblich ist die kanadischeProvinz der größte Weihnachtsbaum-Lieferant der Welt.

Außer Wald und Bären gibt es viel Was-ser und viele Schotten, das heißt: Nach-kommen von Schotten, die 1773 damit be-gannen, diese Region zu besiedeln, dennin ihrer Heimat war das Leben unerträg-lich geworden. Die Schotten hatten 1746die Schlacht von Culloden gegen engli-sche Truppen verloren. Angeblich hatteder Kampf nur eine Stunde gedauert. DieSieger zerstörten danach das Clansystemder Schotten, verboten ihnen, Gälisch zusprechen, Kilts zu tragen und Dudelsackzu spielen – die Schotten durften keineSchotten mehr sein. Um ihre Kultur zuretten, so dachten sie damals, mussten sieihre Heimat verlassen. Die ersten 184 Aus-wanderer fuhren 1773 mit dem Schiff

Hector über den Atlantik nach Nordame-rika. Die Versprechungen der Schleuserwaren groß: ein Haus für jede Familie,Proviant für ein ganzes Jahr und frucht-baren Boden für alle sollte es geben. Dochwas die armen und nur gälisch sprechen-den Kolonialisten am 15. September 1773vorfanden, war: Wald. Kein Haus, keinEssen. In den überlieferten Schriftenheißt es, einige Siedler hätten sich aufden Boden geworfen und geweint. Dannstanden sie auf, holzten den Wald nieder,fingen Fische und bauten Häuser. Esentstand der Ort Pictou.

In Pictou gibt es heute Straßenschilderauf Englisch und Gälisch, vor demGedenkgelände „The Hector HeritageQuay“ bläst ein Dudelsackspieler, derNachbau der Hector ist am Steg ange-täut. Das Schiff wankt ein wenig, seineSegel flattern. Es ist ein windiger Tag. In

einem großen, hölzernen Haus der Erinne-rung hängen bunte Bahnen aus Stoff. DieSymbolik ist blau für das Meer, weiß fürdie Gischt und grün für den Wald vonPictou. Durchzogen wird der Stoff vonschwarzen Linien – im Gedenken an die-jenigen, die auf dem Weg von Schottlandnach Kanada gestorben sind.

Wo die echte Hector abgeblieben ist,weiß man nicht. In Pictou hat man dasSchiff nachgebaut, einschließlich der auf-gemalten, potemkinschen Luken für Ka-nonen, die Piraten abschrecken sollten.Man kann hinabsteigen in den Bauch desSchiffes, in dem die Passagiere in Stock-betten geschlafen haben, in kleinen, schä-bigen Gestellen. Die Menschen damalswaren kleiner als heute. Aber selbst fürsie dürfte es hier drin klaustrophobisch

eng gewesen sein. Kapitän der Hectorwar der in England geborene, 35-jährigeJohn Speirs. Als das Schiff in Schottlandablegen wollte, kam ein Dudelsackspie-ler an Bord, der nicht für die Reise be-zahlt hatte. Speirs wollte ihn vom Schiffwerfen, doch die Passagiere protestier-ten. Der Dudelsackspieler war ein Sym-bol – für Schottland, für die Heimat, fürden Stolz. Er blieb.

Die elfwöchige Überfahrt muss eineTortur gewesen sein. Es waren Ratten anBord, und Krankheiten wie die Pockengrassierten. 18 Passagiere starben, unterihnen viele Kinder. Am Ende musste dasWasser rationiert werden, und die ver-schimmelten Essensreste wurden an denletzten Tagen der Reise gegessen, umnicht zu verhungern.

Heute haben vier von fünf BewohnernNova Scotias Vorfahren von den briti-schen Inseln. Trotzdem war die keltischeSprache hier einmal vom Aussterben be-droht, besonders schlimm war es in densiebziger und achtziger Jahren. Mittler-weile beherrschen wieder etwa 5000 Men-schen Gälisch – vor allem junge Leute.Angeblich ist es cool, Gälisch sprechen zukönnen, genauso wie es cool ist, im Kiltzu heiraten. Cape Breton Island ist nunneben Schottland und Irland die einzigeRegion der Erde, wo Gälisch noch Alltags-sprache ist. Sie wird an zwei Highschoolsgelehrt – und am Gaelic College of CelticArts and Crafts in St. Ann’s auf CapeBreton Island.

Das College in St. Ann’s ist in langgezo-genen, kargen, grauen Gebäuden unterge-bracht; kurz geschnittener Rasen füllt dieLücken zwischen den Häusern. Das hatetwas von Schottland, von Irland, zumalauch hier der Wind über das weitläufigeGelände pfeift. Das College wurde 1938gegründet, zunächst, um die gälischeSprache zu erhalten. Heute wird hier dasgesamte schottische Erbe gepflegt. DieSommerschule bietet Seminare an: Dudel-sack spielen, Geschichten erzählen, We-ben, keltische Musik spielen oder Tanzen.Die Schüler kommen aus aller Welt, aus

Australien, aus Deutschland, natürlichauch aus Schottland. Manche fertigenKilts an, andere trocknen Stoffe undsingen keltische Lieder dazu – man nenntdas „milling frolic“.

Lehrer und Schüler führen es vor. Essind meist ältere Teilnehmer, gesetzteMenschen mit Gesichtern, die rot glühenvor Freude und Anstrengung. Es ist eineeinfache, fröhliche Arbeit, die man ge-meinsam macht. Für Besucher mag dasGanze etwas befremdlich wirken, aberfür die Teilnehmer ist es offensichtlichein großer Spaß. Sie werfen den Stoffüber den Tisch, sie lächeln, sie singen:„He-ho, he-ho.“ Und sie sind stolz hieram College. Bilder an den Wänden erzäh-len von ausgewanderten Schotten oder de-ren Nachfahren, die etwas Großes gewor-den sind: der in Schottland geborene

James Ramsey MacDonald zum Beispiel,er wurde 1924 Premierminister der erstenLabour-Regierung Großbritanniens.

Auch die keltische Musik drohte auszu-sterben. Anfang der 1970er Jahre warendie meisten Musiker sehr alt, die Jugendinteressierte sich eher für die Beatles. Lo-kale Radio- und Fernsehsender berichte-ten über die Not der keltischen Musik aufCape Breton Island, und alle, die mit die-ser Musik zu tun hatten, ob sie nun Jigoder Reel oder was auch immer liebten,ließen sich motivieren, um das Ende abzu-wenden. Bei einem Festival in Glendaletraten 120 Musiker auf – vor 10 000 Zuhö-rern. Heute wird keltische Musik aufCape Breton Island wieder unterrichtet,und es gibt hier zwischen 300 und 400 Vio-linisten, Gitarristen, Pianisten und Mund-harmonikaspieler.

Weben, Geschichten erzählen, Dudel-sack spielen, Tanzen, Musik, Sprache –das ist vermutlich mehr als das, was vieleSchotten in Schottland tun, um ihre Kul-tur zu pflegen. Die Neuschotten sind in ge-wisser Weise schottischer als die Schot-ten. Und wenn etwas Schottisches fehlt,dann fahren sie zurück in die alte Heimatund holen es. So wie Bruce Jardine. Erhatte 1990 die Whisky-Destillerie in Glen-ville gegründet, aber zuvor eine einjähri-ge Bildungsreise durch Schottland ge-macht, wo er viele Brennereien besichtig-te. „Er kam als Brennmeister zurück“,sagt Manager Donnie Campbell, „und dietechnische Ausstattung der Destilleriestammt ebenfalls aus Schottland.“

Ärger hatte Jardine auch mitgebracht,denn die Schotten in Schottland könnensehr eigen sein. Er musste einen neunjäh-rigen Rechtsstreit mit der schottischenWhiskey-Vereinigung darüber führen, obsein Produkt das Glen – gälisch für „Tal“– im Namen führen durfte. Nach vielenUrteilen und Revisionen stand schließ-lich fest: es durfte. Das Ganze hat Nervengekostet, aber es machte sich bezahlt. Deröffentlich ausgetragene Rechtsstreit hatJardines kanadischen Whisky bekanntgemacht. GERHARD FISCHER

REISE

Halifax ist ein netter, harmlos klin-gender Name. Aber er steht auch fürKatastrophen. Eine Maschine der SwissAir stürzte 1998 vor Halifax ab. 1917 ex-plodierte ein Munitionsschiff im Hafen,verwüstete die halbe Stadt, 2000 Men-schen kamen dabei ums Leben. Unddann war da im April 1912 noch der Un-tergang der Titanic.

Der Kreuzfahrtdampfer stieß zwar ineiniger Entfernung vor Neufundlandmit dem Eisberg zusammen und sank,aber die Folgen betrafen auch dieHauptstadt von Neuschottland. Schiffeaus Halifax sammelten Überlebendeauf – und Ertrunkene, 150 von ihnenProtestanten, die nun auf dem FriedhofFairview Lawn Cemetery am Rand derStadt begraben sind. Schlichte graueMarmorsteine stehen hier aneinanderge-reiht, auf manchen sind Namen zu le-sen, auf anderen nicht. Zum Beispielder von J. Ackerman, der als einer vonvielen am 14. April 1912 mit der Titanicuntergegangen ist. Zwei seiner Enkel ha-ben einen Zettel mit einer Nachrichtauf seinem Grab hinterlassen.

Im Meeresmuseum im Hafen kannman Überreste der Titanic ansehen,zum Beispiel einen hölzernen Liege-stuhl vom Deck des Schiffes. Man habenicht viel, heißt es im Museum, aber daswenige sei „einzigartig“. Berührendsind die Dinge schon, sehr berührendsogar, etwa die winzigen Lederschuheeines Kindes, das mit der Titanic unter-ging. So traurig will man die Besucherdann aber auch nicht gehen lassen. Unddeshalb gibt es eine Sonderausstellung,die pralle Lebensfreude zeigt – eineSchau über schwule Seefahrer, die ausLiverpool geholt worden ist.

In Großbritannien war Homosexuali-tät in den fünfziger und sechziger Jah-ren verboten, das Leben an Land des-halb sehr schwierig. Also gingen vieleSchwule auf Schiffe – auf manchen warlaut Ausstellung mehr als die Hälfte derStewards homosexuell.

Vor den Passagieren wurde das zwarverborgen, aber nach Dienstschlussfeierte die Mannschaft – im Meeresmuse-um sind Bilder von ausgelassenenMatrosen zu sehen. Manche trugen auchFrauenkleider, etwa Jane, ein Stewardaus Liverpool. Reederei und Kapitänhatten anscheinend nichts dagegen –schwule Crew-Mitglieder, heißt es inder Ausstellung, seien willkommen ge-wesen, „wegen ihrer Sauberkeit, ihresHumors, ihres Perfektionismus undihres weiblichen Touchs“.

Das Museum in Halifax hat die Liver-pooler Ausstellung um einen hiesigenTeil erweitert. Einige Tafeln zeigen denAlltag auf kanadischen Schiffen – vor al-lem auf jenen aus Nova Scotia. Sie er-zählen vom Leben der lesbischen Helenund des schwulen Frank. In Nova Sco-tia hatte man vor allem große Schiffe,und auf denen wurde Homosexualitäteher geduldet als auf den kleinen – ver-mutlich, weil es dort weniger aufgefal-len ist. Ganz so frei ist man also selbstauf hoher See nicht gewesen. gfi

DEFGH Donnerstag, 29. September 2011 • Nr. 225 • Seite V3/2

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Schottisch hoch zweiIn Pictou in der kanadischen Provinz Nova Scotia wird das Erbe der alten Heimat gepflegt, eine Aufgabe, die man hier sehr ernst nimmt

Die Jüngeren finden escool, Gälisch zu sprechenund Kilt zu tragen

Damen und Herrender MeereIn Halifax lernt man viel über die„Titanic“ und schwule Matrosen

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Gekommen, um zu bleiben: Die Hector brachte 1773 die ersten Schotten nach Nova Scotia. In Pictou ist heute ein Nachbau des Schiffs zu sehen. Foto: Tony Hamblin/FLPA/Mauritius/Imagebroker

Anreise: Condor fliegt bis zu drei Malwöchentlich ab/bis Frankfurt nonstop nachHalifax, ab 448 Euro.Unterkunft: Inverary Resort,Doppelzimmer ab etwa 83 Euro,Baddeck, Cape Breton Island,www.inveraryresort.comWeitere Auskünfte: Nova Scotia Tourism,Schwarzbachstr. 32, 40822 Mettmann.Tel.: 02104/79 74 54,E-Mail: [email protected],www.novascotia.com

Was kommt heute unter den Hammer und zu welchem Preis?

Nerven bewahren und sparen – so funktioniert die große Rück-wärtsauktion. Je länger Sie warten, desto günstiger wird der Preis.Aber warten Sie nicht zu lange, sonst schlägt ein Anderer zu. Der Kaufdown mit täglich wechselnden Angeboten.

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