Schule und Jugendhilfe Was tun mit den Schwierigen?€¦ · Schulabsentismus Schulersatzmaßnahme...

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Priv. Doz. Dr. Menno Baumann Schule und Jugendhilfe – Was tun mit den Schwierigen?

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Priv. Doz. Dr. Menno Baumann

Schule und Jugendhilfe – Was tun mit den Schwierigen?

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Inklusion ist keine Methode des gemeinsamen Unterrichts von Kindern und Jugendlichen mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf.

Selbst zu Hochzeiten des Förderschulsystems standen den 0,39% verfügbaren Förderschulplätzen vorsichtig geschätzte 3-4 % Kinder mit massiven Verhaltensproblemen gegenüber!

Gleichzeitig haben wir eine Reihe von Kindern und Jugendlichen, bei denen wir die Integration selbst in Kleinstgruppen kaum bewerkstelligen können!

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Inklusion (verstanden als Verwirklichung von Teilhabe

an Gesellschaft und Bildung) ist eine Aufgabe der Schulentwicklung!

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Kernprobleme der aktuellen Situation:

1.) Die Zielsetzung der Inklusion ist eine Gesellschaft, in der jeder vollberechtigt teilhaben darf, AUCH WENN er im Vergleich zur Mehrheitsgesellschaft Besonderheiten aufweist.

2.) Alle Bemühungen ambulanter und niedrigschelliger Maßnahmen für Kinder und Jugendliche mit Verhaltensstörungen führen derzeit nicht zu einer Verminderung von Aussonderung.

-- Dies gilt aber für Menschen mit Verhaltensstörungen nur sehr bedingt (Beispiele: Gewalt, Delinquenz oder sexuelle Übergriffe)

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Kernprobleme der aktuellen Situation:

3.) Mit der Ausdifferenzierung des Hilfesystems sowohl in Schule als auch in Jugendhilfe wurden für jedes System auch Ausstiegsszenarien implementiert.

In der Konsequenz führt dies zu spezifischen Delegations-mechanismen, die der Logik des Hilfesystems immanent sind:

- „Prinzip des Durchreichens“ i.d.R. bei Verschärfung der Maßnahmen

-„Nicht-Zuständigkeits-Erklärung“

- „Institutionelles Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom“

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Die zunehmende Differenzierung von Unterstützung führt also in vermeintlich schwierigen Fallverläufen gerade NICHT zu einer besseren Versorgung, sondern zu Prozessen - der Parallelität - des Nacheinanders - des Gegeneinanders von Hilfen und Professionen

Verschärfendes Problem: Das Kind wird zum „Profi“, pädagogische Bemühungen zu boykottieren, gegeneinander auszuspielen und letztlich wieder abzuschütteln!

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Jgdl.

Phasen des Rückzuges aus gesellschaftlichen Bezügen:

Phasen des gesellschaftlichen Versuches, Jugendlichen in Strukturen zu zwingen

Physische Abwesenheit Jugendhilfe

KJP

Justiz

Problem: Prozess beschleunigt sich!!!

Schulabsentismus

Schulersatzmaßnahme

Parallelversetzungen/ Susendierungen

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Offene Frage: Wie soll es weitergehen mit der Inklusion derjenigen Schüler und Schülerinnen, die wir schon heute nicht integrieren können?

Gefahr: Delegation von Hochkrisenklientel aus dem Bildungssystem heraus -> in Richtung KJP, JVA, Straße, Jugendhilfe etc.

oder: die Wiederentdeckung der Unbeschulbarkeit!

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Die Antwort auf die im Rahmen der Inklusion begonnenen Bemühungen der Nichtaussonderung und Destigmatisierung kann und darf nicht eine sprunghafte Zunahme von psychiatrischen Diagnosen oder der Zuschreibung einer seelischen Behinderung (§ 35a SGB VIII) und der explosionsartigen Zunahme so genannter „Integrationshelfer“ sein.

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Perspektiven der Förderung oder:

Die „Klaviatur pädagogischer Unterstützungssysteme“

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Jugendhilfe Schule Sichtweisen

Hilfe

Kontrolle

+

+

Bildung

Selektion

=

=

Idealsicht: Bildung + Hilfe

Betroffenensicht: Selektion + Kontrolle

Kritik 1: Schule: Bildung/ Jugendhilfe: mangelnde Kontrolle

Kritik 2: Jugendhilfe: Hilfe/ Schule: Selektion

Nach Reiser 2000

Zur Systemlogik der Kooperation von Schule und Jugendhilfe

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Perspektiven einer Intensivbeschulung in Kooperation von Schule und Jugendhilfe

Eine radikale Haltung des Halten-Wollens – Aufspüren von Ausgrenzungsimpulsen

Vermeidung von Machtkämpfen zu Gunsten einer Haltung der Deeskalation

Verstehende Zugänge als Grundlage von Kommunikation

Schaffung von flexiblen Strukturen, die ein Halten ermöglichen

= flexible Einzelfallhilfen

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Was brauche ich?

situativ: Möglichkeiten der Deeskalation, des Aushaltens, des immer wieder neu Startens

perspektivisch/ planerisch: Möglichkeiten der Diagnostik, des gemeinsam getragenen Fallverständnisses und der Ziel- und Perspektivplanung

als unerlässlicher Rückhalt: Möglichkeiten des Luftholens, des Zeitgewinns und des Verteilens auf viele Schultern – Trotz Kontinuität

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Erziehung und Förderung in natürlichen Kontexten durch Familie, Erzieher, Lehrer, Vereine etc.

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Individuelle Fallberatung, Hilfekonferenz

Förder- und Hilfe-planung/ Diagnostik/ Anamnese

Kriseninterventionen/ Konfliktmanagement/ Unterrichtsbegleitung

Krisengespräche/ Aushandlung von Betreuungsverträgen

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Freizeitbereich

Lernwerkstätten/ Dezentralisierte Lern-orte / gemeindenahe Praktikumsbetriebe Soziale Gruppenarbeit

(auch im Vormittags-bereich)

Vollstationäre Angebote

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Stufe 0:

Stufe 1: präventive und nicht-kategorisierende Unterstützung

Stufe 2: Individuelle, fallbezogene Unterstützung

Stufe 3: Intensive Intervention kurzfristige Betreu-ungsübernahme

Abbildung 1: Die „Klaviatur“ pädagogischer Unterstützungsmöglichkeiten

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Welche Angebotsstrukturen brauchen wir?

Vollstationäre Aufnahmen in sehr flexiblen Settings

Möglichkeiten flankierender Hilfen für bestehende „Regel-Settings“

Ambulante, niedrigschwellige Hilfen

Kontinuität

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Eine empirische Untersuchung zur Effektivität von Schulsozialarbeit in der Entwicklung inklusiver Schule

Baumann et. al. i. Vorb.

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Cluster 1: Input - Variablen

Ebene „Konzept“:

KGS Grf.

KGS Wiesm.

Mobiler Dienst ESE

Jugend-pflege

Amt f. Kinder,

Jugend und Familie

Jugendhilfe-träger (Trent,

Leinertift)

Netzwerk-stellen:

2 SozPäd. 1 Psych.

Gemeinsames Konzept zur inklusiven Kinder- und Jugendarbeit

Vernetzung in regelmäßigen Besprechungen

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Cluster 3: Prozess - Variablen

a) Welches Methodenspektrum ist im Rahmen des Bildungsnetzwerkes etabliert worden?

Offen genannte Methoden:

> Beratung von Lehrkräften

> Förderplanung

> Gezielte Förderung junger Menschen/ Einzelbetreuung > Fallbesprechungen

> Team-Teaching

> Soziale Gruppenarbeit mit Schulklassen

> Gemeinsame Elterngespräche

> Gemeinsame Fortbildung/ SchilF/ interdisziplinäre Arbeitskreise

> Mediation/ Konfliktlösungen

> Vermittlung in Kontakt- und Freizeitsituationen

> Sozialtraining

> Beratung junger Menschen > Vermittlung von Hilfen

> Begleitung zu Hilfeplangesprächen

Verbesserung der Integration

> Vernetzung mit anderen Institutionen

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Kontakt: [email protected] Literatur: Baumann, Menno: Verstehende Subjektlogische Diagnostik bei Verhaltensstörungen; Hamburg, 2009 Baumann, Menno: Kinder, die Systeme sprengen – Wenn Jugendliche und Erziehungshilfe aneinander scheitern; Baltmannsweiler, 2010 Baumann, Menno: Systemsprenger in der Schule – Der Ansatz der AktiF-Gruppe. In: Evangelische Jugendhilfe 4/2011; S. 210-218 Reiser, Helmut: Schule und Jugendhilfe. Probleme und Chancen einer schwierigen Partnerschaft. In: System Schule, (4) 4/2000; S. 110-116