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Ansprechstellen im Land NRW zur Palliativversorgung, Hospizarbeit und Angehörigenbegleitung Juli 2017 Ausgabe 72 Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen Schwerpunkt: HUMOR, KUNST UND MUSIK IN HOSPIZ- UND PALLIATIVARBEIT

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Ansprechstellen imLand NRW zurPalliativversorgung,Hospizarbeit undAngehörigenbegleitung

Juli 2017 Ausgabe 72Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen

Schwerpunkt:HUMOR, KUNST UND MUSIK IN HOSPIZ- UND PALLIATIVARBEIT

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Liebe Leserinnen und Leser,

Humor, Kunst oder Musik bereichern unser Leben, machen es vielfältiger undbunter. Sie sind in der Lage, auch ohneSprache zu vermitteln, worum es unsMenschen im tiefsten Inneren geht. Oder,wie Paul Klee sagt: „Die Kunst gibt nichtdas Sichtbare wieder, sondern machtsichtbar.“ Jenseits einer gewissen Hemm-

schwelle wird deutlich, dass sie als therapeutischeArbeit auch und gerade bei Sterbenden geeignetsind, den Zugang zu öffnen: zu sich selbst in derEndlichkeit und im Abschied, aber auch zu den eigenen Kraftquellen und den tröstlichen Anteilen.Es gelingt, wenn sich Patientinnen und Patientenbewusst oder unbewusst auf die Suche danach begeben möchten und es wird möglich, wenn dieTherapeutinnen und Therapeuten die Tür dafür öffnen. Entstehen aus dieser Arbeit dann vertonteoder gemalte „Bilder“ oder andere Erinnerungs -stücke, die das Wesen des sterbenden Menschenausmachen, dann sind sie zugleich Therapie undTrost für Nahestehende und Mitarbeitende. UnsereAutorinnen und Autoren beschreiben dies in ihrenBeiträgen auf eindrucksvolle Weise.

Ich wünsche Ihnen eine gute Lektüre!

Ihre

Gerlinde Dingerkus

Editorial

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INFORMATION

Hospiz- und Palliativtage NRW Frank Gunzelmann 4

„ … und die Welt steht still ...“Interview mit Stefan Weiller 6

Als öffneten wir SchleusenInterview mit Christoph Maria Herbst 10

SCHWERPUNKTHUMOR, KUNST UND MUSIK IN HOSPIZ- UND PALLIATIVARBEIT

Wann wird Humor nicht mehr belächelt? Eckart von Hirschhausen 12

Lachen erlaubt!?Humorarbeit im Hospiz- und PalliativbereichSusanne Hill 14

Kunsttherapie – Ausdruck ohne WorteHarald Gruber, Ria Kortum 17

Musiktherapeutische Behandlungseffekte in derPalliativmedizin Hans Ulrich Schmidt 20

Veranstaltungen 23

Inhalt

IMPRESSUM

HerausgeberALPHA - Ansprechstellen im Land Nordrhein-Westfalen zurPalliativversorgung, Hospizarbeit und Angehörigenbegleitung

RedaktionAnsprechstelle im Land Nordrhein-Westfalen zur Palliativversorgung, Hospizarbeit undAngehörigenbegleitungim Landesteil Westfalen-LippeSigrid KießlingFriedrich-Ebert-Straße 157-159, 48153 MünsterTel.: 02 51 - 23 08 48, Fax: 02 51 - 23 65 [email protected], www.alpha-nrw.de

LayoutArt Applied, Hafenweg 26, 48155Münster

DruckBuschmann, Münster

Auflage2500

Die im Hospiz-Dialog-NRW veröffentlichten Artikel gebennicht unbedingt die Auffassung der Redaktion und der Herausgeber wieder. Für unverlangt eingesandte Manuskriptewird keine Gewähr übernommen. Fotos der Autoren mit Zustimmung der abgebildeten Personen.

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HOSPIZ- UND PALLIATIVTAGE NRW FRANK GUNZELMANN

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haben das primäre Ziel, durch eine leicht irritieren-de, durchaus humorvolle aber doch angemesseneHerangehensweise die innere Abwehr gegenüberdem Thema Sterben, Tod und Trauer zu überwin-den. Sie sollen Neugier auf die Angebote der Hospizarbeit und Palliativversorgung in NRW wecken und sind so entwickelt, dass sie dem Themenfeld die Schwere nehmen. Die Betonungliegt im Sinne des Mottos „Jeder Moment ist Leben“darauf, dass sich Leben bis zuletzt in allen seinenFacetten entfalten kann: traurig, fröhlich, nach-denklich oder hoffnungsvoll.

Neben den Plakaten und Postkarten wird noch einFlyer erstellt, der in kurzer Form über die Angeboteder Hospizarbeit und Palliativversorgung infor-miert.Alle Werbematerialien können Sie voraussichtlichab Ende Juli kostenfrei über die Internetseite desMGEPA bestellen.

Zentrale Veranstaltung Die Auftaktveranstaltung zu den Hospiz- und Pallia -tivtagen findet am 13. Oktober 2017 von 10.00 Uhrbis 15.30 Uhr in der Rheinterrasse Düsseldorf statt.Bei dieser Veranstaltung kommen Betroffene sowieBegleiterinnen und Begleiter zu Wort. Es werdenVersorgungsmöglichkeiten der Hospiz- und Pallia-tivlandschaft aufgezeigt und es wird darüber dis kutiert, wie die gesellschaftliche Auseinander-setzung mit dem Lebensende weiter gefördert werden kann. Die Teilnahme an der Veranstaltungist kos tenfrei, die Einladungen werden noch vorden Sommerferien versendet.

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D ie Vorbereitungen der Hospiz- und Palli-ativtage NRW schreiten voran und wirinformieren Sie in dieser Ausgabe desHospiz-Dialoges über die aktuellen Ent-

wicklungen.

Meldung Ihrer Veranstaltung(en)Seit Ende April sind Sie herzlich eingeladen, Ihrezu diesem Anlass geplanten Veranstaltungen aufder Seite von ALPHA NRW (www.alpha-nrw.de) zumelden. Klicken Sie dort unter der Rubrik Neuig-keiten auf „Anmeldung Veranstaltung Hospiz- undPalliativtage NRW 13. bis 15. Oktober 2017“. Es öff-net sich unmittelbar eine Seite mit dem Anmelde-formular. Sie können bis zu drei Veranstaltungenmelden. Alle Einträge werden gesammelt, aufbe-reitet und im Anschluss auf der Internetseite www.hospiz-und-palliativtage.nrw.de veröffentlicht.

Weitere Veranstalter zur Teilnahme ermunternZur Teilnahme aufgerufen sind auch Veranstalter,die nicht unmittelbar im Hospiz- und Palliativbe-reich angesiedelt sind, sich aber auch mit den The-men Sterben, Tod und Trauer befassen (Gemein-den, Galerien, Schulen, Orchester, Chöre, Sportver-eine etc.). Kennen Sie potenzielle Veranstalter oderplanen Sie gemeinsame Aktionen? Gern können Sieweitere Veranstalter ansprechen und sie zur Mel-dung von Veranstaltungen ermuntern!

WerbematerialienZur Bewerbung der Hospiz- und Palliativtage wurdenin Zusammenarbeit mit einer Kölner Werbeagenturunter anderem die vier abgebildeten Plakat- undPostkartenmotive erstellt. Diese Werbe elemente

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Bei Fragen rund um die Hospiz- und PalliativtageNRW können Sie sich gern mit uns in Verbindungsetzen.

[email protected] oder Tel.: 02 28 - 74 65 47

„ … UND DIE WELT STEHT STILL ...“Interview mit Stefan Weiller

S tefan Weiller hat ein Sozialpädagogikstudium abgeschlossen, sechs Semester Innenarchitekturstudiert und war Lehrbeauftragter an der Evangelischen Hochschule Darmstadt und der Hoch-schule Rhein-Main in Wiesbaden. Er lebt als freischaffender Künstler und Autor in Frankfurt.Vor der Konzertreihe „ … und die Welt steht still … – Letzte Lieder und Geschichten am Leben-

sende“ setzte er Kunstprojekte zu den Bereichen häusliche Gewalt oder Wohnungslosigkeit um. Kürzlicherschien sein Buch: „Letzte Lieder – Sterbende erzählen von der Musik ihres Lebens“.

Was waren IhreBeweggründe zumProjekt „LetzteLieder“?Der Impuls dazuliegt einige Jahrezurück. Ich wolltedamals eine Repor-tage in einem Hos -piz in Hessen vor-bereiten. Dazu warich mit einer Frauverabredet, die erstkürzlich in das Hos -piz eingezogen undbereit war, mit mirüber ihre Erfahrun-gen zu reden. ImVorfeld war ichdurchaus besorgt:

Wie kann ich meine Fragen stellen, gibt es Tabu-themen, gibt es Fragen, die unangenehm oder unangemessen sind? Ich habe festgestellt, dass ichgedanklich an einige Klischees geriet, weil mir vieleBefürchtungen durch den Kopf und das Herz gingen. Ich dachte: Hospiz = Trauer, Dunkelheit und Tod.

Das hat sich allerdings später nicht bestätigt. DasHospiz begegnete mir licht und freundlich. Als ichin das Zimmer meiner Interviewpartnerin kam,klang „Immer wieder Sonntags“ von Cindy undBert. Mit fröhlicher Schlagermusik hatte ich im Hos -piz nicht gerechnet. Die Frau, die ich interviewendurfte, war eine begeisterte Musikliebhaberin undhatte viele Stationen ihres Lebens mit Musik ver-knüpft. Wir hatten ein zweistündiges Gespräch mitsowohl ernsten als auch heiteren Passagen.Mir wurde klar, es muss mehr aus diesem Erlebniswerden als ein Zeitungsbericht. Das war der ImpulsStefan Weiler © Lena Obst

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für das Buch „Letzte Lieder –Sterbende erzählen von der Mu-sik ihres Lebens“.

Ich habe zunächst in zwei Hospi-zen nachgefragt, ob ich weitereMenschen ansprechen darf, wo-bei es thematisch nicht nur umMusik ging, sondern um die Situ-ation der Menschen jetzt und umdie Gefühle am Lebensende. Ichbegab mich also nicht nur aufmusikalische Spurensuche. Mirwurden die Türen geöffnet undmit jedem Tag wuchs die Lust,auch eine Konzertreihe entste-hen zu lassen. So kam es damit2013 zur Premiere in Frankfurt amMain. Mittlerweile war ich bei über 130 Menschenin mehr als 20 Hospizen und bei Menschen zu Hau-se zu Gast, die von einem ambulanten Hospizdienstbegleitet werden.

Die Besonderheit ist, dass ich vor jedem Konzert inder jeweiligen Stadt sterbende Menschen treffeund mit ihnen über die Musik spreche.

Wie haben Sie die Reaktionen der von Ihneninterviewten Menschen wahrgenommen?So unterschiedlich wie die Menschen sind ihre Ge-schichten. Zunächst einmal laden mich wirklich nurdie Menschen ein, die Lust, Interesse und Kraft ha-ben, über ihr Leben und Ster-ben zu sprechen. Ich bekom-me recht viele Einladungen,die Idee erschließt sich offen-bar vielen Menschen. Abermitunter kann es sein, dassMenschen bei unserer Be-gegnung nur noch die Ener-gie für eine kurze Begegnung haben. Manche Ge-sprächspartner sind zwei Tage später verstorbenoder sogar nochmal aus dem Hospiz ausgezogen.Ich werde empfangen mit witzigen, aber auch an-rührenden Geschichten und mit wunderbarer Mu-sik. Die Menschen haben sich vorbereitet; mankönnte sagen, sie haben etwas mit mir vor und wis-sen genau, wo das Gespräch hingehen soll.

Was hatte für Sie eine Bedeutung bei der Aus-wahl der Lesenden?Ich wünschte mir für die Textvorträge bei den Kon-zerten Komödianten. Die Konzertreihe „Letzte Lie-der“ braucht Menschen, die in der Lage sind, das

Leichte und das Tiefe gleichermaßen überzeugendzum Ausdruck zu bringen. Alle Komödianten, dieich kenne, können auch im ernsten Fach überzeu-gen. Wohingegen manche „ernsthafte“ Schauspie-ler aber überhaupt nicht lustig sind, selbst wennsie es versuchen.

Christoph Maria Herbst ist einfach großartig: Erkann Menschen zum Lachen bringen, aber sie auchtief anrühren. Das ist der Grund, warum ich geradeihn angefragt hatte. Er spielt in seiner bekanntenStromberg-Rolle ja eher einen Widerling … hat aberso wirklich gar nichts davon, wenn man ihm begeg-net oder wenn er in der Konzertreihe „ ... und die

Welt steht still ...“ Texte rezitiert!

Zu Leslie Malton habe ich einejahrelange enge Verbindung. Sieist eine empathische Frau undgroßartige Schauspielerin, dieauch ungeheuer witzig seinkann. Diese Begabungen

braucht ein Projekt, in dem es ums Sterben geht,auch, weil Humor eine Brücke ist, die sicher übertiefe Abgründe führen kann.

Haben Sie mit dieser Resonanz gerechnet … undwas bedeutet diese für Sie?Man kann es nicht planen. Ich hatte es erhofft. Zu-mal bei der allerersten Aufführung viele Eingelade-ne weggeblieben sind, weil sie einen belastendenAbend befürchteten. Nach dem ersten Konzert hates sich herumgesprochen, dass es eine vielsagen-de Tiefe besaß und gleichzeitig eine flirrende Leich-tigkeit aufwies. Das Projekt war plötzlich größerals wir selbst. Alle waren wir in diesem Projekt

» So unterschiedlich wiedie Menschen sind ihreGeschichten und ihre Lieder.

Impressionen aus der Veranstaltung © Ralf Kopp & Marc Bartolo

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irgendwie vereint – ob am Le-ben oder nicht.Danach haben Leute nachge-fragt: Kommt das noch mal?Jetzt würden wir es gern se-hen. Wir haben gehört, es istgar nicht schrecklich. Insofern hat es mich und unsalle überwältigt. Die LetztenLieder sind sozusagen „gro-ßes Theater und das wahreLeben“.

Es ist ein sehr großer Auf-wand damit verbunden. Wirhaben pro Konzert eine Vor-laufzeit von anderthalb bisdrei Jahren. In diesen Konzer-ten ist viel Kraft gebündelt, viel Mühe, viel Leiden-schaft. Es lohnt sich, zu kommen und sich daraufeinzulassen. Das Projekt hat meine Sicht auf dasLeben deutlich verändert. Ich bin darüber mutigergeworden, mich schwierigen Themen zu stellen.

Ist es mit so einem Projekt möglich, zur Enttabuisierung beizutragen?Dieses Projekt ist ein niedrigschwelliger Zugangzum Thema Hospiz, es braucht keinerlei Vorkennt-nisse. Wir haben eine große Vielfalt an aktuellerPopmusik, Rock, Rap, bis hin zu Barockmusik;

irgendwas ist immerdabei, wo man sichwiederentdeckt – et-wa eine Melodie ausder Kindheit oder einLied, zu dem man alsjunger Mensch tanz-te. Es ist ein emotio-naler Anknüpfungs-punkt, wenn ich imKonzert sitze und höre, was ein ster-bender Mensch über

sein Lied erzählt und was er über das Sterben sagt.Und vielleicht ist einem als Besucher eines der Lieder bekannt und hat für mich als Zuhörer eineBedeutung. Dadurch entsteht Verbundenheit unddie Fragen des sterbenden Menschen werden plötz-lich auch zu meinen eigenen.

Aber es ist ganz klar: Eine Fachveranstaltung istgenauso wenig zu ersetzen, wie auch dieses Pro-jekt nicht zu ersetzen ist.

Wie sehen Sie den Umgang unserer Gesellschaftmit dem Thema?Ich merke es jetzt beim Buch: Redaktionen habenSorge, ob sie dieses Buch tatsächlich ankündigenkönnen oder ob es für die Leser eine Zumutung bedeuten könnte, weil es darin doch explizit umdas Sterben geht. Bei einer Welt voller dramati-scher Nachrichten wollen die Menschen vielleichtdoch lieber etwas Leichteres? Einerseits versteheich die Berührungsangst, andererseits denke ich:wie schade! Man sollte aus meiner Sicht offenerüber die letzten Dinge, das Sterben, die Ängstesprechen. Es gibt das Tabu im Umgang mit demSterben immer noch – und leider auch allerlei Kli-schees rund um Hospize. Daran hat sich zwar schonetwas getan, aber lange noch nicht so viel, wie esfür einen angstfreieren Umgang nötig wäre. Auch ich hatte ja anfangs ein von Klischees durch-setztes Bild vom Sterben und sah vor allem dieTrauer und die Sorge. Aber Lebensqualität ist biszum Schluss möglich. Und mittlerweile ist der Um-gang mit dieser Lebensphase ein Teil meines Jah-reslaufes geworden, ohne jedoch zur Gewohnheitgeworden zu sein oder etwas von seiner Anrührungzu verlieren.

Ich treffe Menschen, von denen ich weiß, sie wer-den sehr bald sterben und etwas von ihnen bleibttrotzdem hier. Dies anzunehmen, ist für mich na-türlicher geworden. Trotzdem: Der Tod ist furchtbar.Es ist durch nichts, durch kein Wort und kein Liedabzumildern, „Sterben ist“, so wie es mir ein Mannim Hospiz in aller unverblümten Offenheit sagte,„einfach scheiße“. Er hat recht. Aber wir müssenund können trotzdem einen Umgang damit finden.Wenn ich informiert bin, dann habe ich eine Chance,

» Wenn ich informiert bin,dann habe ich eine Chance, auch in Zeitenschwerster KrankheitLebens qualität zu erhalten oder neu zu definieren.

Impressionen aus der Veranstaltung © Ralf Kopp & Marc Bartolo

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auch in Zeiten schwerster Krankheit Lebensqualitätzu erhalten oder neu zu definieren. Deswegen wünsche ich mir, dass die Menschen das Projektals Impuls nutzen, Berührungsängste abzubauen,sich zu informieren, sich zu fragen: „Was würde ichmachen?“ Es ist wichtig, in der Krisensituation nichtkopflos zu werden oder sich verloren zu fühlen,sondern zu wissen, da sind meine Anker, da findeich Ruhe und Halt.

Für mich selbst wünsche ich mir, mit meiner Familieüber meine Sorgen offen sprechen zu können undangesichts des sich irgendwann ankündigendenTodes nicht in Ratlosigkeit oder stumme Verzweif-lung abzugleiten. Und deshalb wünsche ich mir, mitmeinem Buch und der Konzert -reihe die Auseinandersetzungmit den großen Fragen des Le-bens anstoßen zu können: Wiewollen wir leben? Wie wollen wirsterben?

Was meinen Sie, an welchemPunkt der Auseinandersetzungbefinden wir uns? Wir dürfen das Thema Sterbennicht ins stille Kämmerlein undFacheinrichtungen wegsperren.Wir sind schon viele Schritteweiter, aber wir suchen nochnach einem angemessen offe-nen Umgang mit dem Tod. ZumBeispiel wissen viele Menschennicht, wie sie sterben wollen. Fürviele scheint das stationäre Hos -piz der einzig gute Ort. Anderer-seits, das legen Befragungen na-he, wollen Menschen bevorzugt im vertrauten Umfeld sterben. Eine Frau hat mir gesagt, sie fühlesich gut aufgehoben im Hospiz, bedauere aber,dass in den Nebenzimmern nur gestorben wird. Sieselber sterbe zwar auch. Aber sie fände es schön,wenn neben ihr ein Kind geboren würde, wenn ne-ben ihr Alltag gelebt werden würde und sie ein Teildes Lebens bleiben könnte. Noch mehr Selbstbe-stimmung anzutreffen und noch mehr Bereitschaftin der Familie, in der Nachbarschaft, im Freundes-kreis, das Sterben als natürlichen Teil des Lebensanzunehmen, das war ihr Wunsch. Sie hoffte, dassdas Umfeld verdammt noch mal lerne, damit um-zugehen und nicht vor Sterbenden zurückweicheim Sinne von: Oh Gott, da kann man nicht mehrhingehen. Manche Menschen ziehen sich in besterAbsicht von einem schwerstkranken Angehörigen

oder Freund zurück mit dem Gedanken: Stirb du damal in Ruhe, wir wollen dich auch gar nicht stören!

Ihr Projekt ist auf mehrere Jahre angelegt – anwelchem Punkt sind Sie aktuell und wie geht esweiter?2010 hat es begonnen mit den ersten Interviews;2013 fanden die ersten Aufführungen statt. Die Ver-öffentlichung eines Teils der Geschichten in mei-nem Buch war eine Wegmarke, die mich persönlichsehr freut. Wer den Weg zu dem Buch findet, derlässt sich anrühren, der will mehr wissen, der gehtmit den gesammelten Geschichten um. Eine Frausagte mir: „Ich lese alle paar Tage eine Geschichteund denke darüber nach.“ Wunderbar.

Und das Interesse an der Konzertreihe ist sehr groß.Aktuell arbeite ich an neuen Aufführungen zum Bei-spiel in Köln, Lingen oder München. Ich darf nachwie vor Menschen in Hospizen treffen. Ich erkenne,es gibt so viele Methoden, Wege, Möglichkeiten,die letzte Lebensphase zu gestalten, wie es Men-schen gibt. Für die Konzerte ist es jedoch nicht nö-tig, immer neue Geschichten und Lieder zu sam-meln, denn aus der aktuellen Sammlung entstehenanrührende, faszinierende und vielsagende Kon-zertabende. Also werde ich das Projekt Letzte Lie-der eines Tages abschließen und mich neuen The-men zuwenden.

Schon jetzt arbeite ich an zwei neuen Buchprojek-ten, eines davon befasst sich mit der Trauer vonAngehörigen.

Hansi Jochmann © Ralf Kopp & Marc Bartolo

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ALS ÖFFNETEN WIR SCHLEUSENInterview mit Christoph Maria Herbst

C hristoph Maria Herbst, 1966 in Wuppertal geboren, ist Schauspieler sowie Synchron- und Hör-buchsprecher. Er wirkt bei Stefan Weillers Projekt „ … und die Welt steht still …“ als Rezitator mitund ist seit 2011 Schirmherr des Kinder- und Jugendhos pizes Balthasar in Olpe.

Was war Ihre erste Reaktion,als Stefan Weiller an Sie her-antrat mit der Frage, an die-sem Projekt mitzuwirken?Spontan reagierte ich, wie si-cher die meisten Menschenreagieren, wenn sie sich mitTod und Sterben konfrontiertsehen: abwehrend, verdrän-gend, Tabu tabu sein lassenwollend. Zum Glück bin ichaber ein sehr neugierigerMensch, der versucht, offen zusein für Unbekanntes und gernauch Gewagtes probiert. Undso beschäftigte ich mich inten-siver mit seiner Arbeit und ver-stand den großen Gedankenhinter dem Projekt, nämlichnicht einen Totentanz zu absol-

vieren, sondern das Leben zufeiern und die Menschen daranzu erinnern, dass es ein Lebenvor dem Tod gibt.

Wie haben Sie die Reaktionenund Emotionen in den Veran-staltungen erlebt? Die Menschen, darunter auchoft Angehörige und Freunde vonmir, sind außer sich, außer sichvor ganz vielem: Freude, Ge-lächter, Tränen, Traurigkeit. Sel-ten habe ich die Amplituden inalle Richtungen so stark aus-schlagen sehen, als öffneten wiran dem Abend Schleusen.

Der Tod sei der große Gleichma-cher, heißt es. Das mag sein.Christoph Maria Herbst @ Christian Hartmann

Gibt es etwas, was Sie unseren Leserinnen undLesern, von denen die meisten ja in der Hospiz-und Palliativversorgung tätig sind, mitteilenmöchten?

Ich empfinde tiefen Respekt und Dankbarkeitgegenüber den im Hospizbereich tätigen Men-schen. Dieses Projekt wäre gar nicht möglich ge-wesen, wenn ich nicht Partner hätte in den Hospi-zen, in Hospizdiensten und SAPV-Teams, die mirdie Türen geöffnet haben.

Ich bin persönlich sehr dankbar und erlebe dieseDankbarkeit auch bei den Menschen in den Hospi-zen und in den Familien, die Begleitung erfahren.Beistand und Nähe ist ein Schlüssel gegen diesestumme Ratlosigkeit in Zeiten der Not. Miteinanderzu reden und gemeinsam das Schweigen auszuhal-ten, hilft sehr.

Ich habe tiefen Respekt vor allen, die in diesem Be-reich arbeiten, sich dem immer wieder stellen undden Tod so zum Teil ihres Lebens machen. Das istein großes Geschenk. Ich würde mir für alle wün-schen, dass sie anständig und würdig bezahlt wer-den und beste Bedingungen vorfinden. Es gibt indiesem Bereich darüber hinaus so viele ehrenamt-lich tätige, großartige Menschen. Meist arbeitenFrauen in diesem Feld des Ehrenamts. Und hiermein Appell an die Männer: Traut Euch endlich!Frauen machen das wunderbar, aber Männer kön-nen es auch. Sie müssen sich nur endlich mal auf-raffen und sich trauen.

Informationen unter www.stefan-weiller.de oder unter www.letzte-lieder.de

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Was ich auf jeden Fall sagen kann, ist, dass dieMenschen, die bisher dabei waren, aus allen Al-tersstufen und allen sozialen Schichten kommen.So unterschiedlich sie auch sein mögen, so gleichsind sie doch in ihrem Erleben dieses Abends.

Haben Sie einige der Hospiz bewohner, derenTexte Sie lesen, noch kennengelernt?Gelesen werden ausschließlich die Texte Verstor-bener allein schon, um dem Titel des Abends ge-recht zu werden – „Letzte Lieder. Sterbende erzäh-len.“ Immer mal wieder aber kommt es vor, dassein Interviewter unserem Abend beiwohnen kann.Das ist natürlich ganz wunderbar, aber seine Wortewerden dann nicht vorgelesen.

Gibt es Lieder, Texte, die Sie besonders berührthaben oder berühren?Ach, da gibt es so viele. Sei es die Aufforderung andie Lebenden, endlich zu leben, Dinge nicht vor sichherzuschieben und sich von dem, was einem nichtguttut, trennen zu sollen. Der alte Herr, der sich aufder Fahrt zum Hospiz von allem verabschiedet:tschüss, Baum!, tschüss, Vogel!, tschüss, blauerHimmel!, der kleine Junge mit der lebensverkürzen-den Krankheit, der keine Angst hat, denn seineMutter ist ja da, seine Schwester und sein Vater.So könnte ich endlos weiterzitieren.

Was, glauben Sie, ist für die Hinterbliebenenwichtig? Kann eine solche „Hinterlassenschaft“zu einer besseren Verarbeitung des Verlustesbeitragen?

Das denke ich unbedingt. Der oder die Verstorbenelebt auf diese Weise ein Stück weiter, eingebettetin diese grandiose Inszenierung Stefan Weillers,die von so wunderbaren Sängerinnen und Sängern,Musikensembles und Solisten, Tänzerinnen, Spre-cherinnen und Sprechern performed wird. Das ver-mag nur die Kunst. In seinem ureigensten letztenLied schwingt der Verstorbene quasi nach.

Seit 2011 sind Sie, Herr Herbst, Pate des Kinder-hospizes Balthasar und erleben dort die er-krankten Kinder und Jugendlichen, die Angehöri-gen und auch die Mitarbeitenden. Wie erlebenSie diese „Hospizwelt“?Es fällt mir leichter, Ihnen zu sagen, wie ich sie nicht

erlebe, nämlich als Dunkelkammer, als einen Ortdes Schmerzes und Alleinseins, als Tabuzone, inder Verdrängung großgeschrieben wird. Es ist, umdoch noch zu versuchen, es positiv auszudrücken,eine bejahende, lichtdurchflutete Welt, in der Eh-renamtliche und Festangestellte Wunder wirken,denn sie öffnen die Arme, sie trösten, sie lachen,sie spielen, sie weinen. Sie leben zusammen mitden Gästen des Hospizes und deren Familien füreine Zeit ein gemeinsames Leben. Den Angehörigenzur Entlastung, den Gästen zur Freude. Ich selberhabe schon immer höchsten Respekt vor Menschengehabt, die Dinge tun oder können, die ich nichtvermag. Vielleicht können Sie nun annähernd mei-nen Respekt vor den dortigen Menschen erahnen.

Was verbinden Sie persönlich mit dem Sterbenund dem Weiterleben?Ich persönlich lebe in der Zuversicht, dass das hiernicht alles sein kann. Ob ich dies zu wissen meine,lediglich glaube oder ob ich dies empfinde, spieltkeine Rolle. Ich lebe in dieser Hoffnung, nicht inder Erwartung, und bekanntermaßen stirbt dieHoffnung ja zu allerletzt ...

» Die Menschen sind außer sich vor Freude und Trauer, vorGelächter und Tränen.

» Die Hospizwelt ist keine Dunkelkammer,sondern eine bejahende,lichtdurchflutete Welt.

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- Juli 2017/7212 SCHWERPUNKT

S tellen Sie sich vor, Sie werden auf einerParty jemandem vorgestellt als Humor-forscher. Was werden die ersten Fragensein? Kann man davon leben? Haben Sie

was Richtiges gelernt? Oder: Jetzt mal im Ernst, wasmachen Sie wirklich?

Ich träume davon, dass es in einer Generation ge-lingen wird, die Humorforschung in eine anerkann-te Wissenschaft überführt zu haben, mit mehrerenLehrstühlen in Deutschland, als Inhalt in allen me-dizinischen und therapeutischen Berufen, und mitPartys, wo man sich schämt, wenn man Jurist, Ver-waltungsdirektor oder Steuerberater ist.

Barbara Wild leitetneben ihrer thera-peutischen Arbeit ei-ne Pilotstudie am Ro-bert-Bosch-Kranken-haus. Dort bringt einTheaterpädagogemit dem Manual vonPaul McGhee und ei-genen Erweiterungeneiner Gruppe vonpsychosomatischenHerzpatienten bei,wieder Leichtigkeit inihr Leben zu bringenund sich von ihrenÄngsten humorvollzu distanzieren. DieTeilnehmer sind be-geistert, weitereGruppen sind ange-laufen und ob sichder subjektive Ein-druck auch in den ob-jektiven kardiologi-schen Messwertenspiegelt, zeigt sichhoffentlich dem-nächst in der Auswer-tung.

Die Humorarbeit wird oft mit Clowns im Kranken-haus gleichgesetzt. Das war zwar historisch der Be-ginn, aber es ist nur ein Teil des Potentials. An er-wachsenen Patienten nach einem Schlaganfalluntersuchen Psychologen der Humboldt-Univer-sität Berlin gerade, ob eine stationäre Interventionmit Clowns den Therapieerfolg steigern und die de-

WANN WIRD HUMOR NICHT MEHR BELÄCHELT? ECKART VON HIRSCHHAUSEN

Eckart von Hirschhausen © Michael Zargarinejad

» Humorforschung in eine anerkannte Wissenschaft zu überführen, wäre ein Traum.

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pressiven Begleitsymptome der neurologischen Er-krankung mindern kann. Und auch auf zahlreichenPalliativstationen und Hospizen gibt es inzwischeneine Reihe von Humorprojekten frei nach dem Motto von George Bernhard Shaw: „Das Leben hörtnicht auf komisch zu sein, wenn wir sterben. Sowenig wie es aufhört ernst zu sein, wenn wir lachen.“

„Pflegezeit ist Lebenszeit!“ Und das sollte für beideSeiten gelten, für Patienten und Pflegende. Aberwer hat noch Zeit? Wenn Zeit Geld ist und gespartwird, wird am grausamsten an Zuwendung gespart,denn das fällt erst einmal nicht so auf. Ich habe sel-ber noch an der Universitätsklinik in Berlin gear-beitet, die heute zur Charité gehört. Es ist das größteKlinikum Europas. Was die wenigsten noch wissen:Das Wort Charité kommt nicht von Share holder Va-lue. Charité kommt von Caritas, der Nächstenliebe.Sich um kranke Menschen zu kümmern, war ur-sprünglich im christlichen Abendland ein Akt derBarmherzigkeit. Ein Patient ist kein Kunde, sondernein leidender Mensch. Und die wichtigste Fragesollte auch nicht sein, wie mache ich mit dem 20%Rendite, sondern: Was kann dem helfen?

„Humor ist Tragik plus Zeit.“ Humor ist überhauptnichts Oberflächliches, sondern das tiefe Einver-ständnis in die Absurdität unserer Existenz. Wirkommen aus Staub, wir werden zu Staub, deshalbmeinen die meisten Menschen, es müsste danndoch im Leben darum gehen, viel Staub aufzuwir-beln. Und alle Religionen und weisen Menschender Welt sind sich in dem Punkte einig – darum gehtes nicht. Wir können an den Widersprüchen derWelt verzweifeln, oder wir können darüber lachen.In den letzten Jahren fin-det ein Umdenken in derPsychologie statt, vonden Defiziten und Di -agnosen hin zu denRessourcen und Resi-lienzfaktoren. Wasschützt uns vor Burn-Out und Depression?Was gibt uns Kraft, wo tanken wir auf, wofür stehenwir morgens überhaupt auf?

Meine Stiftung „HUMOR HILFT HEILEN“ versucht,heilsame Stimmung im Krankenhaus zu fördern.Clowns im Krankenhaus waren die ersten „Eisbre-cher“, anfangs auf den Kinderstationen, dann beiErwachsenen und inzwischen auch sehr erfolgreichin der Geriatrie, der Altenpflege, der Palliativmedi-

zin. Wie die Hospizbewegung ist die Idee etwa seit20 Jahren Teil einer Gegenkultur zur industrialisier-ten Medizin. Der große Vorteil der Clowns: Sie ste-hen außerhalb der Hierarchien, sie können sich ihreZeit frei einteilen, sie sind die „Joker“ der Zuwen-dung und können dorthin gehen, wo sie gerade ge-braucht werden.

Gute Clowns leisten großartige Arbeit, leider sindnicht alle gut. Die Idee wurde auch von halbgutenClowns als „Arbeitsmarkt“ entdeckt, weshalb dieKliniken und Heime dringend darauf achten sollten,mit wem sie zusammenarbeiten. Der „Dachverbandfür Clowns im Krankenhaus“ und „HUMOR HILFTHEILEN“ haben Qualitätsstandards definiert undhelfen gerne bei Weiterbildung und Coaching derGruppen vor Ort. Die Clowns sollten zu zweit gehen,Supervision und Weiterbildung bekommen, künst-lerisch-pädagogisch Profis sein und bezahlt wer-den, d. h. langfristig könnte hier ein neuer Gesund-heitsberuf entstehen, wie in den Niederlanden oderder Schweiz schon flächendeckend realisiert.

Je länger ich die Humorarbeit unterstütze, destowichtiger werden mir die Pflegekräfte. Ausgerech-net die idealistischen und hoch motivierten bren-nen am schnellsten aus, wenn ihre Ansprüche unddie Realität aufeinanderprallen. Und die flexiblenund mehrfach Begabten wechseln das Terrain, weilsie keine Aufstiegs- und Entwicklungschancen se-hen. Wenn die Lokführer oder die Piloten streiken,kommt man ein paar Tage nicht von A nach B. Aberwenn die Pflege streikt, kommt keiner mehr vomBett aufs Klo. Und nach zwölf Stunden ist jedemklar, was schlimmer ist.  Alle reden von „personali-sierter Medizin“, sparen aber gleichzeitig am Per-

sonal. Dort gibt es Natur-talente der guten Laune,die kommen in ein Zim-mer und verbreiten Hei-terkeit und Hoffnung, woimmer sie hinkommen.Und es gibt andere Na-turtalente, die machenes genau andersherum.

Und es gibt viele dazwischen, die in die eine oderandere Richtung „kippen“ können. Seit mehrerenJahren führen wir „Humor in der Pflege“ Workshopsdurch, wo in Teams von 15 Teilnehmern in drei Stun-den geübt, gespielt und reflektiert wird. Wie geheich in Kontakt mit jemandem, was nehme ich alleswahr, was unterscheidet wertschätzenden von iro-nischem Humor, wie kann ich mit peinlichen Situa-tionen leichter umgehen und wie sorge ich als Pfle-

» Was gibt uns Kraft? Wo tanken wir auf? Ressourcen, Resilienz,heilsame Faktoren stehen immermehr im Vordergrund.

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gekraft so gut für mich,dass ein Lächeln nicht„aufgesetzt“ werdenmuss, sondern aus mirheraus strahlt? In einembislang deutschlandweit einmaligen Projekt schultdas Johanneswerk in Bielefeld 2500 Mitarbeiter mitdiesem Konzept, das vom Team des unvergleich-lichen Willibald Ruch der Universität Zürich unddem Altersinstitut Dortmund wissenschaftlich be-gleitet wird.

Mich wundert nach wie vor, wie hartnäckig sich Vor-urteile gegen Humor in Deutschland halten, wasvielleicht an einer starken psychoanalytischen Tra-dition liegt. Salopp gesagt: Nicht immer, wenn einereine Schraube locker hat, liegt es an der Mutter.

Humor ist nicht nur Verdrängung und Fehl-leistung, Humor ist vorallem stimmungsaufhel-lend und resilienzför-

dernd! Und Lachen lindert Schmerzen. Wer es nichtglaubt, möge sich zweimal mit einem Hammer aufden eigenen Daumen hauen. Einmal allein, unddann nochmal in Gesellschaft. Sie spüren denUnterschied!

Eckart von [email protected]

www.humor-hilft-heilen.deHier finden Interessierte auch Informationen und

Fördermöglichkeiten für Workshops

» Humor ist stimmungsaufhellendund resilienzfördernd.

durch die Luft. Herr F. stimmt lautstark in das Liedein – mit Tränen in den Augen. S achte klopfen wir an die Zimmertür und

öffnen: Im Bett liegt ein etwa 70-jährigerMann, der uns ungläubig an-schaut: „Ist Karneval oder

so?“ Wir stellen uns höflich vor und er-klären, dass wir eigentlich immer so aus-sehen und uns aber gerade heute für ihnbesonders hübsch gemacht haben.Außerdem sei Karneval dieses Jahrschon im Februar gewesen. Da muss erlachen und bittet uns herein. Nach aus-giebiger Begutachtung unserer buntenKleidung fallen ihm unsere Instrumenteins Auge. Er erzählt uns, dass er früherselber jahrelang im Männerchor gesun-gen habe. Seemannslieder wären seineliebsten gewesen. Sofort schnappt sichKlara ihr Akkordeon und los geht’s: „Ander Nordseeküste …“ Karlottas Gischt inForm großer Seifenblasen schwebt

LACHEN ERLAUBT!?Humorarbeit im Hospiz- und Palliativbereich

SUSANNE HILL

Ein herzlicher Kontakt auf Augenhöhe: Susanne Hill mit einem Bewohner© Christian Weische

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Wir sind Klinikclowns und besuchen Menschen inherausfordernden Situationen. Unser VereinClownskontakt e. V. hat sich auf die Arbeit mit älte-ren Menschen spezialisiert, das heißt, wir gehenin Seniorenheime, Pflegeeinrichtungen, Kliniken,Hospize und auf Palliativstationen. Einmal im Mo-nat sind wir auf der Palliativstation des KlinikumsHerford zu Besuch. Eine kleine Station mit nur achtZimmern. Für uns ist das gut so, denn hier, wo dieZeit der Patienten begrenzt ist, können wir umsomehr Zeit gebrauchen. Meistens treffen wir auf unsunbekannte Menschen, die selten schon Kontaktmit Klinikclowns gehabt haben und denen im ers -ten Moment alles andere als zum Lachen zumuteist. Dafür braucht es eine gute Intuition und vielFingerspitzengefühl. Und manchmal sogar eine Er-klärung dessen, wer wir sind und was wir tun. Den-noch scheinen die Menschen schnell zu spüren,dass wir nichts von ihnen wollen oder erwarten.Sie dürfen so sein, wie sie in dem Moment sind.Alle Gefühle sind erlaubt und unsere Anwesenheitöffnet schnell die Herzen. Die Begegnungen mitden Menschen hier sind intensiver als in anderenBereichen. Ohne es direkt anzusprechen, wissenwir alle um die Schwere der Situation. Das ist spür-bar. Und dennoch – oder vielleicht gerade deshalb –freuen sich viele über unseren Besuch.

Frau Dr. Walter, Ärztin für Neurologie und Palliativ-medizin: „Von fast allen Patienten kommt ein posi-tives Feedback und sie sind noch mehrere Tagefröhlicher und ausgeglichener… offen für die klei-nen Freuden des Lebens trotz aller Schwere ihresWeges.“

Im nächsten Zimmer erwartet uns Frau S. mit ihremMann, der neben dem Bett sitzt und ihre Hand hält.Neugierig erkundigen wir uns, ob sie denn auchverheiratet seien und wenn ja, wie lange. Da Frau S.

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sich selbst nicht mehr gut mitteilen kann,erzählt uns ihr Mann voller Stolz, dasssie letztes Jahr Goldene Hochzeit gefeierthaben. Wir freuen uns, so pünktlich gra-tulieren zu dürfen! Karlotta zückt das Geschenk aus der Tasche: ein roter Herz-luftballon, der nun mit Hilfe von Herrn S.aufgepustet wird. Schon ertönen leiseim Hintergrund die ersten Klänge vonKlaras Akkordeon: „Du, Du liegst mir amHerzen ...“ Der Ballon fliegt durch dasZimmer und das Ehepaar strahlt, als obdie Feier erst gestern gewesen sei. Esliegt ganz viel Liebe in der Luft.

Manchmal sind unsere Besuche sanft und still,dann wieder laut und fröhlich. Häufig gibt es ernsteMomente und plötzlich wird wieder lautstark ge-lacht. Meis -tens alleszusammenin einemZimmer beieinem Be-such. Dasist das Schöne an unserer Arbeit mit Humor: AlleFacetten, alle Gefühle dürfen erlebt und gelebt wer-den. Es geht nicht um künstliche Aufheiterung oderSpaß in Situationen, in denen es unpassend wäre,sondern um einen authentischen Kontakt, der un-ser Gegenüber für einen kurzen Moment in eine an-

dere Welt entführt. Wir spielen mit dem, was da ist.Oder da sein könnte. Auf der Suche nach ein wenigmehr Leichtigkeit, einem heiteren Moment oder ei-nem befreienden Lachen und als Gegenpol zur

» Manchen ist zu Beginn allesandere als zum Lachen zumute.

Über ein Ständchen freuen sich nicht nur Geburtstagkinder © Klinikum Herford

Clownin Karlotta (Kirsten Moritz) und Clownin Klara (Susanne Hill) im Seifenblaseneinsatz © Klinikum Herford

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wusstsein für Präsenz im Arbeitsalltag geschaffen.Fähigkeiten, die jeder Mensch hat, die allerdingsin Stresssituationen schnell verloren gehen und indiesem Rahmen konkret geübt werden. Trotz deranfänglichen Skepsis dem Thema Humor gegenü-ber dauert es meistens nicht lange, und die Teil-nehmer sind begeistert bei der Sache. So geht esauch hier nicht darum, auf Kommando lustig zusein oder immer nur zu lachen, sondern sein Be-wusstsein und das Miteinander zu schulen, ummehr Leichtigkeit, Freude und damit auch Zufrie-denheit und Gesundheit in den Arbeitsalltag zu in-tegrieren. Davon wiederum profitieren nicht nur dieMitarbeitenden, sondern vor allem auch die Patien-ten und deren Angehörige.

Dr. Walter: „Dinge, die nicht zu ändern sind, lassensich leichter mit Humor ertragen. Manchmal nutzeich humorvolle Bemerkungen, um eine Situationzu deeskalieren oder um uns gemeinsam von derSchwere einer Situation zu distanzieren. In gewis-ser Hinsicht gibt es dann Parallelen zur Situationder Patienten: Diese müssen ihre Erkrankung ak-zeptieren, während auch ich bestimmte Seiten der

Arbeit, die ich insge-samt sehr gerne undoft auch mit Leiden-schaft tue, nicht aus ei-gener Kraft verändernkann, akzeptierenmuss.“ Unser Clownsbesuchfür heute geht zu Ende.Gerade wollen wir uns

von den Pflegern verabschieden, als Herr B. lang-sam in seinem Rollstuhl um die Ecke kommt. Ebennoch hatten wir gemeinsam in seinem Zimmer leisegesungen, aber da sein Bettnachbar schlief, wag-ten wir kein Tänzchen. „Ob die Aufforderung immernoch gelte?“, fragt er Karlotta augenzwinkernd. Dielässt nicht lange bitten, und schon schweben siezu den Klängen des Schneewalzers durch den Flur.Und das mitten im Sommer!

Susanne HillKlinikclownin und Humortrainerin

Clownskontakt e.V. Unter den Linden 25

32052 HerfordTel.: 0 52 21 - 3 82 21 70www.clownskontakt.de

www.humorhilftheilen.de

Schwere und Ernsthaftigkeit der Situation. Das spü-ren auch die Angehörigen für die unsere Anwesen-heit oftmals eine große Entlastung und Unterstüt-zung sein kann. Für einen Moment darf gelacht undgeweint werden.

Auch die Pfleger, die dort arbeiten, profitieren vonunseren Besuchen: „Es ist schön, zu sehen und zuhören, wie positiv die Patienten und Angehörigendie Clownsbesuche wahr-nehmen. Danach herrschtoft eine viel entspanntereund befreitere Atmosphä-re.” Nutzen die Mitarbeiterund Mitarbeiterinnen sel-ber bewusst Humor in ih-rem Arbeitsalltag? „Einer-seits im Umgang mit Kolle-gen, um ein harmonischesKlima beizubehalten. Im Kontakt mit den Patientenerzeugt es das Gefühl, als Mensch behandelt zuwerden und nicht ausschließlich als Angehörigeroder Patient. Manchmal auch als Ventil, um be-sonders belastende Situationen zu entspannen.”

Um gezielt die Humorfähigkeit und damit die Resi-lienz der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu unter-stützen, hat die Dr. Eckart von Hirschhausen Stif-tung „Humor Hilft Heilen“ im Jahr 2013 ein speziellkonzipiertes Humortraining nach Michael Christen-sen (amerikanischer Begründer der Klinikclowne-rie) ins Leben gerufen und hierfür eigens Humor-trainer ausbilden lassen. Diese Humorworkshopsbieten dem Klinikpersonal die Möglichkeit, sichspielerisch mit dem Thema zu beschäftigen. Durchganz praktische Übungen werden Wahrnehmungsowie Achtsamkeit und Kontaktgestaltung geför-dert. Es entsteht eine wertschätzende Atmosphäre.Der Teamgeist wird positiv beeinflusst und das Be-

» Nicht nur die Patienten oder Bewohner, sondern auch die Angehörigen und die Mitarbei-tenden nehmen die Clowns -besuche positiv wahr.

Musik öffnet die Herzen und verbindet! © Christian Weische

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Übergeordnete Ziele der KunsttherapieKunsttherapie, d. h. Therapie mit bildnerischen Mit-teln (z. B. Zeichnen, Malen, Plastizieren, Fotogra-fieren usw.) wird in der Pallia-tivmedizin als begleitende Be-handlungsmethode eingesetzt,um Patienten im Umgang mitihrer Erkrankung, ihrem Ster-ben und damit verbundenenVerarbeitungsprozessen unter-schiedlicher Belastungsfakto-ren (Schmerzen, Angst, Traueru. a.) mit den Mitteln einer non-verbalen, ästhetisch-gestalteri-schen Tätigkeit zu unterstützen.Der Einsatz der künstlerischenMedien zielt auf eine Erweiterung von Wahrneh-mungs-, Erfahrungs- und Interaktionsdimensionenmit sich selbst und seiner Umgebung.

Die Ziele lassen sich weiter differenzieren in:

Symptom-, Schmerz-, Stressreduktion undAblenkungDie unmittelbare Entlastung und Entspannung beiakuten Schmerz, Angst- und Spannungszuständenist ein zentrales Ziel der Kunsttherapie in der Pallia -tivversorgung (Evertz, 2012). Während der Konzen-tration auf den künstlerischen Prozess könnenSchmerzen und Symptome nachlassen oder ver-gessen werden (Lefevre et al., 2016; Wood, 2013).

Aktivierung, Ressourcenförderung und Selbsterhaltung Ein ressourcenorientiertes Vorgehen ist hilfreich,um verbleibende, zum Teil „vergessene“ Fähigkei-ten der Patienten zu aktivieren und Gefühle desKontrollverlustes und passiven Ausgeliefertseinszu kompensieren (Niederreiter, 2005). Der Patientkann sich als autonom und selbstwirksam erleben.

Auseinandersetzung mit Krankheit, Tod undSterbenOft fällt der nonverbale Ausdruck existenziell be-drohlicher Themen leichter, als sie in Worte zu fas-sen. Das eigene Leben kann mit bildnerischen Mit-

D urch eine mittlerweile jahrzehntelangeAnwendung der Künstlerischen Thera-pien wissen wir, dass Menschen dentherapeutisch begleiteten Schritt des

künstlerischen Ausdrucks, eines „Ausdrucks ohneWorte“, häufig als eine völlig neue Erfahrung emp-finden. Gerade in Phasen der tiefen Irritation, beispielsweise im Umgang mit schwierigen Erleb-nissen oder des Abschiednehmens von Angehöri-gen können therapeutische Angebote mit kreativenMitteln etwas Besonderes, manchmal auch Verun-sicherndes sein. Erwachsene Menschen erinnernsich häufig an ihre Schulerfahrungen, die nicht sel-ten mit dem Satz kommentiert werden: „Ich konntein der Schule schon nicht malen“. Die eigene Krea-tivität wird verbunden mit Vorstellungen wie: Daskann ich machen, wenn es mir gut geht; dann, wennich Zeit habe und mir jemand zeigt, wie ich zu einem„schönen Ergebnis“ komme. Diese Art Vorstellun-gen der Patienten, aber auch der begleitenden Per-sonen sind angesichts der Umstände in der Pallia-tiv- oder Hospizsituation durchaus verständlich.

Sowohl für die Betroffenen und Angehörigen wieauch für die professionellen Helfer ist es deshalbwichtig, hier eine wesentliche Unterscheidung zumachen: Kunsttherapie wird in diesem Zusammen-hang als ein Mittel des Selbstausdrucks und derSelbsterfahrung verstanden und nicht unbedingtals eine Möglichkeit des „schönen Zeitvertreibs“.Kreativität ist, Hartmut Rosa zufolge, ein grundle-gendes Bedürfnis des Menschen nach Resonanz:„Die Sehnsucht nach resonanten Weltbeziehungenund die Verarbeitung von (oft extremen) Entfrem-dungserfahrungen bilden den Hauptantriebsmotorsowohl der künstlerischen Produktion als auch derRezeption.“ (Rosa, 2016: 484) Kunsttherapie, indiesem Sinne verstanden und angeboten, wird vonPatienten und Angehörigen in der Palliativversor-gung als sehr unterstützend erlebt. Sie fühlen sichauf eine neue Weise verstanden und in ihrer mo-mentanen Situation auf unterschiedlichen Ebenenentlastet, wie auch die Ziele der Kunsttherapie indiesem Feld aufzeigen und erste Forschungsergeb-nisse bestätigen.

KUNSTTHERAPIE –AUSDRUCK OHNE WORTEHARALD GRUBER UND RIA KORTUM

Prof. Dr. Harald Gruber

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Perspektiverweiterung im BehandlungsteamNeben der kommunikativen und überdauerndenBedeutung der Bildwerke können diese diagnosti-sche Qualitäten für das Behandlungsteam enthal-ten. Der Zugang zum Patienten, zu seinen Bedürf-nissen, Wünschen und Lebensthemen wird vertieftund erweitert, sodass der Diskurs darüber letztlichdie patientenorientierte Behandlungsplanung und-umsetzung unterstützen kann (Feen-Calligan,2008; Petersdorff, 2005; Zammit, 2001).

ForschungsaspekteIn fünf beschreibenden Studien wurde die Wirkungder kunsttherapeutischen Behandlung bei Patien-ten in der Palliativversorgung untersucht. Den Ergebnissen zufolge wird Kunsttherapie grundsätz-lich von Patienten gut angenommen, um positiveErinnerungen und persönliche Themen zu aktivie-ren (Elkis-Abuhoff et al., 2008; Lin et al., 2012; Kochet al., 2016). Sie wird als emotional entspannend,wohltuend, beruhigend, die Aufmerksamkeit(ab)lenkend und soziale Wirkungen erzeugend erlebt (Rhondali et al., 2013; Laridon-Valentini etal., 2015; Lin et al., 2012). Weitere systematischeBefunde zeigen auf, dass durch die KunsttherapieBelastungen in einzelnen Symptombereichen, wieDepression, Traurigkeit, Angst, Müdigkeit, Fatigueund Schmerz reduziert und Lebensqualität und

Wohlbefinden verbessert werden können(Elkis-Abuhoff et al., 2008; Rhondali etal., 2013; Laridon-Valentini et al., 2015;Lefevre et al., 2016). Die Befundlagemuss jedoch zurückhaltend interpretiertwerden, da unterschiedliche Untersu-chungsmethoden eingesetzt und nur inEinzelfällen mit hinreichend großen oderkontrollierten Stichproben gearbeitetwurde.

FazitWie die Erkenntnisse aus Studien undlangjährigen Erfahrungen zeigen, kannKunsttherapie mit ihren besonderenMöglichkeiten des bildnerisch/kreativenAusdrucks für Menschen am Ende ihresLebens eine sehr hilfreiche Unterstüt-zung sein. Allerdings kann sie, wie vielesandere auch, nicht pauschal eingesetzt

teln reflektiert, bearbeitet undneu eingeordnet werden. Nichtselten enthalten Bildinhaltevon Palliativpatienten unaus-sprechliche Themen, Wünscheund Hoffnungen, zum Teil auchunbewusste oder vorbewussteInhalte (Niederreiter, 2005).

Sinnsuche und Spiritualität Durch erweiterte Erfahrungsräume in der Gestal-tung werden spirituelle und religiöse Dimensionenberührt, was besonders in der Palliativversorgung,in der die Endlichkeit des Menschen in den Vorder-grund tritt, einen wichtigen Stellenwert einnehmenkann. Unbewusstes oder Unerklärliches kann sich – manchmal mit eindrucksvoller Klarheit – inder Gestaltung zeigen (Herborn, 2011; Specht,1995).

Kommunikation und Bezug zu sozialem UmfeldÜber das Werk als Kommunikat wird eine neue Artder Begegnung auch mit Angehörigen, Freundenund Mitarbeitenden des Behandlungsteams er-möglicht. Patienten können aus der Isolation geholtwerden, heilsame, klärende und hilfreiche Dialogemit Angehörigen können stattfinden (Schick, 2013).Manchmal reicht es schon, wenn das überpräsenteThema der Erkrankung für eine Weile in den Hinter-grund rücken kann und die Kunst zum wesentlichenGesprächsinhalt wird (Rhondali et al., 2013). DieGestaltung kann zudem für Patienten und Angehö-rige eine wichtige Funktion als „bleibende Erinne-rung“ einnehmen.

H. L. „Begegnungen“ 1996

» Die entstandenen Bilder habennicht nur eine kommunikative und überdauernde, sondern aucheine diagnotische Bedeutung.

Dr. Ria Kortum

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Literaturverzeichnis

Elkis-Abuhoff, D. L.; Goldblatt, R. B.; Gaydos, M.; Corrato, S.(2008). Effects of Clay Manipulation on Somatic Dysfunc-tion and Emotional Distress in Patients with Parkinson’s Disease. In: Art Therapy: Journal of American Art TherapyAssociation 25 (3), S. 122-128.

Evertz, K. (2012). Bilder als Lebenszeichen- Kunsttherapie. In:Aulbert, E., Nauck F. und Radbruch, L. (Hg.): Lehrbuch derPalliativmedizin. Stuttgart, S. 1208-1230.

Feen-Calligan, H. (2008). How Do We Care for People? Introdu-cing a Special Issue on Art Therapy in Palliative Care. In:Art Therapy: Journal of American Art Therapy Association25 (3), S. 106-107.

Herborn, E. (2011). Kunsttherapeutische Forschung mit Sterbenden? In: Petersen, P., Gruber, H. und Tüpker, R. (Hg.).Forschungsmethoden künstlerischer Therapien. 2. Aufl.Wiesbaden: Reichert Verlag, S. 209-216.

Koch, S. C.; Gruber, H.; Kortum, R.; Reichelt, S.; Martin, L.;Warth, M.; Radbruch, L. (2016). Künstlerische Therapienin der Palliativversorgung – ein Review. In: Hospiz 1, S. 20-25.

Laridon-Valentini, F.; Mouawad, R.; Mateescu, C.; Spano, J. P.;Khayat, D. (2015). Impact of Art Therapy on the Quality ofLife of Cancer Patients: the Salpetriere Hospital Experience.Poster Congress 2015, 2015.

Lefevre, C.; Ledoux, M.; Filbet, M. (2016). Art Therapy amongPalliative Cancer Patients: Aesthetic Dimensions and Im-pacts on Symptoms. In: Palliative & Supportive Care 14 (4),S. 376-380.

Lin, M.-H.; Moh, S.-L.; Kuo, Y.-C.; Wu, P.-Y.; Lin, C.-L.; Tsai, M.-H. et al. (2012). Art Therapy for Terminal Cancer Patients ina Hospice Palliative Care Unit in Taiwan. In: Palliative &Supportive Care 10 (01), S. 51-57.

Niederreiter, L. (2005). Kunsttherapie mit Sterbenden und Trau-ernden. In: W. Burgheim (Hg.): Im Dialog mit Sterbendenund Trauernden. Zuhören, reden, sich verstehen. Merching:Forum Verlag Herkert, S. 123-148.

Petersdorff, A. von (2005). Aussage und Bedeutung von Patientenbildern für Therapieentscheidungen in der Pallia -tivmedizin. Kann Kunsttherapie die ärzliche Therapieent-scheidung beeinflussen? Zwei Fallbeispiele. In: Zeitschriftfür Palliativmedizin 1, S. 11-19.

Rhondali, W.; Lasserre, E.; Filbet, M. (2013). Art Therapy amongPalliative Care Inpatients with Advanced Cancer. In: Journalof Palliative Medicine 27 (6), S. 571-572.

Schick, I. S. (2013): Wagnis Kunsttherapie. Verborgenes ge-stalten – Lebensspuren finden. In: Die Hospiz Zeitschrift 15(57), S. 28-29.

Specht, A. (1995). Kunsttherapie in der Sterbebegleitung. In:Musik-, Tanz- und Kunsttherapie 6 (2), S. 96-100.

Wood, D. (2013). Home Hospice Care and the Arts: Arts @ theBedside. In: Omega: Journal of Death and Dying 67 (1-2),S. 241-246.

Zammit, C. (2001). The Art of Healing: A Journey Through Can-cer: Implications for Art Therapy. In: Art Therapy: Journal ofAmerican Art Therapy Association 18 (1), S. 27-36.

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werden. Die Betroffenen brauchen häufig eine ih-nen und der Situation angemessene Erläuterung,um zu verstehen, warum dieses spezielle Angebotgerade jetzt für sie hilfreich sein kann. Manchmalsollte dies auch vorab gemeinsam mit den Ange-hörigen überlegt werden.

In der Vermittlung und Unterstützung dieses Ange-botes haben wir es meist auch mit unseren eigenendiesbezüglichen Erfahrungen zu tun und sind des-wegen aufgefordert mit und für den Anderen nochgenauer hinzuhören und hinzuspüren.

Prof. Dr. Harald Gruber Dipl. Kunsttherapeut (FH). Langjährige klinische

Erfahrung im Bereich Sucht, Psychiatrie und Onkologie. Forschungsschwerpunkt: Onkologie,

Palliativmedizin, Bildanalyse und spezifischeWirkfaktoren der Künstlerischen Therapien.

Professor für KunsttherapieLeiter des Fachbereichs für Künstlerische Therapien& Therapiewissenschaft an der Alanus Hochschule

Dr. Ria Kortum Dipl. Rehabilitationswissenschaftlerin/

Heilpädagogin mit Schwerpunkt Kunsttherapie,Musiktherapie (Uni). Langjährige Erfahrung im

Bereich Kinderkardiologie, Kinderonkologie. Forschungsschwerpunkt: chronische Erkrankungenim Kindes- und Jugendalter, (heil-) pädagogische

und ressourcenorientierte Kunsttherapie. Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich

künstlerische Therapien & Therapiewissenschaftan der Alanus Hochschule

Prof. Dr. Harald GruberDr. Ria Kortum

Fachbereich Künstlerische Therapien & Therapiewissenschaft

Alanus Hochschule für Kunst und GesellschaftAlanus University of Arts and Social Sciences

Villestraße 353347 Alfter

Tel.: 0 22 22 - 93 21 - 18 [email protected]

[email protected]

www.kunsttherapie-studieren.de

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ner Schneider) integriert. Hier wird Sterben als so-zialer, sehr unterschiedliche Disziplinen berühren-der Prozess verstanden. Das eigene Lebensendewird in unserer modernen Gesellschaft gewisser-maßen zum letzten Lebensprojekt des Individuumsmit dem Ziel z. B. eines guten, nämlich schmerz-freien, betreuten, selbstbestimmten und würdevol-len Sterbens.

Bevor das Projekt detaillierter vorgestellt wird, ei-nige einleitende Anmerkungen zur möglichen Rolleder Musiktherapie in der Palliativversorgung inDeutschland. Im Fokus sowohl klinischer Erfahrungals auch Forschung stehen meist vier Aspekte, diesich besonders für musiktherapeutische Interven-tionen zu eignen scheinen: Schmerz, Angst, De-pression, Lebensqualität. Es gibt zahlreiche positi-ve Erfahrungen zum Einsatz von Musiktherapie so-

wohl bei körperlich als auchbei psychisch stark belastetenPatienten. Seit 2009 ist dieMusiktherapie in der Palliativ-medizin ein Weiterbildungsbe-standteil der Heidelberger Mu-siktherapieausbildung. Auchdie Ärzteschaft fordert einebessere Vernetzung insbeson-dere der ambulanten Palliativ-

versorgung: „Die deutsche Ärzteschaft fordert denAusbau der palliativmedizinischen und schmerz-therapeutischen Strukturen in der ambulanten undstationären Versorgung, dazu gehören insbeson-dere eine angemessene Finanzierung und die sinn-volle Delegation palliativmedizinischer Aufgabenan andere medizinische Berufe ...“ (Deutsches Ärz-teblatt, 2001, S. 1069). Von verschiedenen Seitenwurden zuletzt verstärkt Wünsche an die Musik-therapie herangetragen, die gute klinische Evidenzfür die Wirksamkeit musiktherapeutischer Behand-lung in der Palliativmedizin durch entsprechendeStudien zu untermauern. Unter anderem kritisier-ten Korczak et al. (HTA-Bericht, 2013), dass die An-zahl solcher Studien, die die Effektivität des Ein-satzes von Musiktherapie im palliativen Feld prüf-ten, äußerst gering sei. Auch ein Cochrane-Berichtvon Bradt und Dileo (2009) greift diese Kritik auf.

MUSIKTHERAPEUTISCHE BEHANDLUNGS-EFFEKTE IN DER PALLIATIVMEDIZIN HANS ULRICH SCHMIDT

S eit Frühjahr 2014 werden ineinem Kooperationsprojektzwischen dem Leopold-Mozart-Zentrum der Univer-

sität Augsburg, MasterstudiengangMusiktherapie (Studiengangsleitung:Frau Prof. Dr. sc. mus. habil. SusanneMetzner, stellvertretende Studien-gangsleitung und Projektleitung: Prof.Dr. med. Hans Ulrich Schmidt) unddem Klinikum Augsburg, Bereich Pal-liativmedizin (Leitung Frau Dr. med.

Irmtraud Hainsch-Müller, Dr. med. Christoph Aul-mann), musiktherapeutische Behandlungseffekteauf palliativmedizinisch betreute Patientin unter-sucht. Die musiktherapeutischen Interventionenwurden initial durch Frau Dipl.-MusiktherapeutinAngela Kleinle-Mayer durchgeführt, aktuell ist FrauDipl.-Musiktherapeutin UrsulaHerpichböhm von musikthera-peutischer Seite ins Projekt in-tegriert.

In der Konzeptions- und erstenDurchführungsphase war zu-sätzlich Prof. Dr. rer. nat. ToniusTimmermann, ehemaliger Lei-ter des Augsburger Masterstu-dienganges Musiktherapie, beteiligt. In die Studieflossen bislang zwei musiktherapeutische Masterarbeiten (Melanie Bonin, Barbara Semle)ein. Bonins Masterthesis fokussierte auf Patien-teninterviews, die sie mithilfe eines im Rahmen derMasterthesis entwickelten qualitativen Interview-Leitfadens nach Abschluss der Behandlung imhäuslichen Umfeld führte. Semle untersuchte mitHilfe der HADS (Hospital Anxiety and DepressionScale) Angst, Depression und Lebensqualität impalliativen Kontext.

Neben der Vorstellung des noch laufenden Projek-tes (Rekrutierung einer Vergleichsgruppe alternativzu einer „echten“ Kontrollgruppe) auf mehreren Ta-gungen wurde die Studie in die Arbeitsgruppe 4„Lebensende“ des Zentrums für InterdisziplinäreGesundheitsforschung (ZIG, Leitung: Prof. Dr. Wer-

» Es gibt viele positive Erfahrungen mit der Musiktherapie bei körperlich und psychisch belasteten Menschen.

Prof. Dr. Hans Ulrich Schmidt

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/72HUMOR, KUNST UND MUSIK IN HOSPIZ- UND PALLIATIVARBEIT

Bemängelt wurden u. a. zu kleine Stichproben,mangelhafte oder unklare Randomisierung, Erhe-bungs-/Auswertungsmethoden, Bezug meist nurauf eine Sitzung, maximal 60 Minuten Interven-tionsdauer, wenig berichtete Effekte.

Als Konsequenz aus großem klinischen Bedarf, im-mer wieder angemahntem Forschungsbedarf, be-reits gut bewährter musiktherapeutischer Praxisund sehr guten Augsburger Kooperationsmöglich-keiten (gute Informiertheit der gesamten klinischenInstitution zum Thema „Musiktherapie“, regelmä-ßige interdisziplinäre Teambesprechungen, Inte-gration anderer „weicher“ Behandlungsmethodenin das Palliativsetting) planten wir eine Studie, diestationäre und ambulante Musiktherapie zu vierZeitpunkten untersucht, sowohl qualitative alsauch quantitative Daten liefert, neben subjektivenParametern (wie ein qualitativ vorgehendes Patien-teninterview im häuslichen Umfeld nach stationärerEntlassung) auch objektivierbare (und vergleich-bare) Parameter mit etablierten Untersuchungsin-strumenten erhebt (HADS, s. o.). Insbesondere ausstrukturellen und behandlungstechnischen Grün-den muss eine Vergleichsgruppe (deren Rekrutierung sich aktuell in der Endphasebefindet) eine ja stets gern geforderte Kon-trollgruppe ersetzen.

Im Folgenden seien die Studie und vorläufi-ge Ergebnisse (bei noch nicht kompletterVergleichsgruppe) vorgestellt: Studiensetting: Gesamtgruppe n = 50 (25Patientengruppe vs. 25 Vergleichsgruppe);2 stationäre, 2 ambulante Interventionen;Einschlusskriterien: weit fortgeschrittene Er-krankung ohne kausale Therapieoption;Ausschlusskriterien: Lebenszeit < 3 Mon.,akute psychische Erkrankung, kognitive Ein-schränkung; Beginn Rekrutierung: 1.5.2014;primäres Studienziel: Klarheit gewinnen, in-wieweit Musiktherapie am Lebensende imstationären und ambulanten Setting gewinn-bringend ist; Untersuchungsinstrumente:Basis-Assessment (Aufnahme/Entlassung),HADS-D (Aufnahme, Entlassung, nach Ab-schluss ambulant), Protokoll Musikthera-peutin (nach jeder Sitzung), Musiktherapie-Erlebensfragebogen Patienten (nach jederSitzung), qualitatives Abschlussinterview (inhäuslichem Rahmen).

Ergebnisse: Vor Beginn der Interventionenund nach Abschluss der Interventionen wur-

den anhand der Hamilton Anxiety and DepressionScale das Ausmaß von Angst und Depression ge-messen. Insgesamt verminderte sich die Belastungdurch Angst signifikant um 4.78 (p = .00002). AuchDepressivität ging um 2.16 zurück (p = .041). MitAusnahme der 50-59 Jährigen ist für alle Alters-gruppen ein Rückgang von Angst zu verzeichnen.Dagegen lassen für die Depression nur die Mittel-werte der Patienten zwischen 70 und 79 Jahren eindeutliches Absinken erkennen.

Musiktherapie reduziert also Ängste und Depres-sivität im Verlauf der Behandlung innerhalb der Pa-tientengruppe und gegenüber der Vergleichsgrup-pe (s. u.). Eine Verbesserung der Lebensqualitätkann aufgrund dieser Ergebnisse vermutet werden,wurde jedoch nicht anhand expliziter Messungennachgewiesen. In mehreren Studien sind aber die

» Durch die Musiktherapie könnenÄngste und Depressionen gemindert werden.

(Grafiken aus Masterarbeit Barbara Semle)

10,28

5,50

11,44 9,33

0,002,004,006,008,00

10,0012,0014,00

HADS1-A(T1)

HADS3-A(T3)

HADS1-D(T1)

HADS3-D(T3)

Wirkung von Musiktherapie auf Angst und Depression

Mittelwerte Angst Mittelwerte Depression

n=25 n=24 n=25 n=24

8,43 9,56 9,43

10,31

0,00

2,00

4,00

6,00

8,00

10,00

12,00

H1_SummeA H2_SummeA H1_SummeD H2_SummeD

Mittelwerte der Vergleichsgruppe ohne Musiktherapie

n=21 n=16 n=21 n=16

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Hospiz-D

ialog NRW

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Zusammenhänge zwischen Angst, Depression undLebensqualität belegt.

Patienten berichten über verschiedene Faktoren,die möglicherweise zu den gemessenen positivenBehandlungseffekten beigetragen haben: DasWahrnehmen, Finden und Erzeugen eigener Klängeund kreativer Umgang mit ihnen eröffnet Zugängezu positiven Emotionen, inneren Bildern und Er-innerungen an vergangene – in der Regel positivbesetzte – Lebenssituationen. Positiv besetzte For-mulierungen weisen auf die – bereits oben ange-führte – mögliche Verbesserung der Lebensqualität(„sich auf eine Begegnung freuen“, „sich Ruhezei-ten gönnen“, „hinspüren, was ich jetzt brauche“...).Nicht zuletzt solche Formulierungen zeigen, dassdie Veränderungen z. T. zu „fein“ sind, um mit reinquantitativen Instrumenten gemessen zu werden.Hier sind sicherlich qualitative Untersuchungsin-strumente, ggf. auch ein differenzierteres qualita-tives Messinstrument für die Palliativbehandlungsinnvoll.

Aus unseren qualitativen Erhebungen wurdeweiterhin ersichtlich, dass sich Musiktherapie auchauf die Angehörigen positiv auswirkt. Die Auswei-tung musiktherapeutischer Behandlung auch aufAngehörige und die genauere Untersuchung mög-licher Behandlungseffekte auf diese wäre sicherlichwichtig.

Ergebnisse und hervorragende gemeinsame Arbeitsatmosphäre machen Mut, die Integrationmusiktherapeutischer Behandlung in der Palliativ-medizin voranzutreiben.

Prof. Dr. Hans Ulrich SchmidtStudium der Klavierpädagogik (Hochschule für Mu-sik und Theater Hamburg); Gasthörerstudium derMusiktherapie in Hamburg und Wien; Studium derHumanmedizin an der Universität Hamburg; Fach-arzt für Psychotherapeutische Medizin; Dozent undSupervisor am Masterstudiengang Musiktherapieder Hochschule für Musik und Theater Hamburg.Ärztlicher Psychotherapeut am Ambulanzzentrumund an der Poliklinik für Psychosomatik undPsychotherapie des Universitätsklinikums Ham-burg-Eppendorf. Psychotherapeutische Forschungmit Schwerpunkt Musiktherapie sowie zahlreicheVeröffentlichungen zu musiktherapeutischen The-men.

Prof. Dr. Hans Ulrich SchmidtStellvertr. Wiss. Leitung MA Musiktherapie

Universität AugsburgPhilosophisch-Sozialwissenschaftliche Fakultät

Leopold-Mozart-ZentrumMaximilianstrasse 59

86150 [email protected]

www.uni-augsburg.dewww.hu-schmidt-psychotherapie.de

„Habe nach jeder Musiktherapie bessere Stimmung gehabt. Mit Musik umgehen führt zu bessererLaune. Musik macht mich glück lich und gelöst, wenn ich traurig bin.“

„Musik kommt aus mir heraus und macht mich gelöst und lebendig und verbindet mich mit denschönen Dingen.“

„Musik unterbricht den Kreislauf des Nachdenkens über die Krankheit. Musik lenkt mich ab undnimmt die Angst weg. Vor allem die feinen zarten Töne.“(Patientenstimmen aus Masterarbeit Melanie Bonin)

SCHWERPUNKT

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2017

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11.07. - 13.07.2017 KölnHerausforderung spiritueller Schmerz –Wenn Sinnquellen versiegenDr. Mildred Scheel Akademie für Forschung und BildungTel.: 02 21 - 9 44 04 [email protected]/helfen/seminare-kurse

18.08. - 19 08 2017 EngelskirchenTrauer nach Suizid – Zusatzmodul für TrauerbegleiterInnenMalteser AkademieTel.: 0 22 63 - 9 23 [email protected]

01.09. - 02.09.2017 KölnUmgang mit Sterben, Tod und Trauer in der SchuleMultiplikatorenschulung zur Durchführungeines Projekttages für die Jahrgangsstufen9 bis 13Dr. Mildred Scheel Akademie für Forschung und BildungTel.: 02 21 - 9 44 04 [email protected]/helfen/seminare-kurse

05.09.2017 BielefeldLebensquelle Spiritualität –Aufbautag für Palliative Care FachkräfteBildung & Beratung BethelVeranstaltungsortwww.bbb-bethel.de

11.09. - 14.09.2017 AachenFortbildung zum/r Kinder-, Jugend- und Familientrauerbegleiter/in Bildungswerk AachenTel.: 02 41 - 51 27 22www.bildungswerkaachen.de

Veranstaltungen

15.09. - 16.09.2017 MünsterMitgliedertag 2017 der Deutschen Gesellschaft für PalliativmedizinZentrales Lehrgebäude der Medizinischen FakultätAlbert-Schweitzer-Campus Nr. 1, Gebäude A6, Tel.: 0 30 - 3 01 01 00 [email protected]

28.09. - 30.09.2017 Bochum3. Palliativkongress RuhrPalliativnetz Bochum e.V.Tel.: 02 34 - 60 60 07 [email protected]

13.10.2017 DüsseldorfHospiz- und-Palliativtage 2017 – Jeder Moment ist LebenGesundheitsministerium des Landes Nordrhein-Westfalenwww.mgepa.nrw.de/gesundheit/ versorgung/hospize_und_palliativstationen/[email protected]

Alle Angaben ohne Gewähr

Weiter gemeinsam auf dem Weg Veranstaltungsreihe zum Thema „Hospiz- und Palliativkultur in Behinderteneinrichtungen in der Praxis“ am 29.08.2017 in Arnsberg, am 26.09.2017 in Detmold und am 23.11.2017 in Münster

ALPHA-Westfalen, Tel.: 02 51 - 23 08 48, [email protected], www.alpha-nrw.deDie Termine der Veranstaltungsreihe in weiteren Regionen werden in Kürze bekanntgegeben.

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ALPHA-RheinlandHeinrich-Sauer-Straße 1553111 BonnTel.: 02 28 - 74 65 47Fax: 02 28 - 64 18 [email protected]

ALPHA-WestfalenFriedrich-Ebert-Straße 157-159 48153 MünsterTel.: 02 51 - 23 08 48Fax: 02 51 - 23 65 [email protected]