Schwerpunkt: MENSCHEN MIT …...Barbara Andrzejewski 10 SCHWERPUNKT MENSCHEN MIT...

28
Ansprechstelle im Land NRW zur Palliativversorgung, Hospizarbeit und Angehörigenbegleitung April 2009 Ausgabe 39 Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen Schwerpunkt: MENSCHEN MIT MIGRATIONSHINTERGRUND www.alpha-nrw.de Im Auftrag vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen

Transcript of Schwerpunkt: MENSCHEN MIT …...Barbara Andrzejewski 10 SCHWERPUNKT MENSCHEN MIT...

Ansprechstelle imLand NRW zurPalliativversorgung,Hospizarbeit undAngehörigenbegleitung

April 2009 Ausgabe 39Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen

Schwerpunkt:MENSCHEN MIT MIGRATIONSHINTERGRUND

www.alpha-nrw.de

Im Auftrag vom

Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen

Liebe Leserinnen und Leser,

die Integration von Menschen mit Migrationshin-tergrund ist eine generelle gesellschaftspolitischeAufgabe und ebenfalls ein relevantes Thema nichtnur in der allgemeinen Gesundheitsversorgungsondern auch in der spezifischen Hospiz- undPalli ativversorgung. Es berührt die Institutionen sicherlich auf verschiedene Art und Weise, diestädtischen anders als die ländlichen Einrichtungen,die stationären anders als die ambulanten Einrich-tungen. Für alle bedarf es aber einer auf das eige-ne Feld hin reflektierten Auseinandersetzung, diesich unterschiedlich darstellt. So müssen sich z.B.einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ganzpersönlich mit der Bedeutung des ‚Fremdseins‘auseinandersetzen oder die Institutionen müssensich damit auseinander setzen, wie ihre Angeboteauf die Begleitung von Menschen mit Migrations-hintergrund vorbereitet sind sowohl hinsichtlichihrer Kompetenzen als auch hinsichtlich ihrer Hal-tung. Nicht zuletzt sind aber auch die Menschenmit Zuwanderungsgeschichte gefordert, sich mitAbschied, Sterben und Tod in dem Land, in demsie leben und mit den Versorgungsnotwendigkei-ten und -möglichkeiten auseinander zu setzen.Ich hoffe, Sie finden in den Artikeln unserer Auto-rinnen und Autoren die mit diesem Thema ver-bundene Vielfalt wieder und damitgleichsam Anregungen für Ihre wei-tere Arbeit!Ihre

Editorial

Gerlinde Dingerkus

3Hospiz-Dialog NRW - April 2009/39

I N F O R M A T I O N

INFORMATION„Der Tod gibt zu denken“ – PhilosophischeWerkstatt zu Hospizarbeit und LebenskunstDr. Verena Begemann 4

Ambulantes Hospiz und Seniorenheim in enger KooperationJudith Kohlstruck, Horst Ramm 6

Angehörige lernen Grundlagen von Palliative CareIngrid-Ulrike Grom 8

Lasst uns eine Oase seinBarbara Andrzejewski 10

SCHWERPUNKT MENSCHEN MIT MIGRATIONSHINTERGRUND

Das Gesundheitsprojekt „Mit Migranten für Migranten – Interkulturelle Gesundheit in Nordrhein-Westfalen“Heike Reinecke 13

Interkulturelle Sterbebegleitung –notwendige institutionelle VeränderungenPhilip Anderson 15

Von der Theorie in die Praxis: „Der muslimischePatient“ als Thema in der medizinischen AusbildungMichael Knipper, Esra Soylu 17

Yalniz Degilsiniz! – Du bist nicht allein!Bedia Torun 21

Hospiz- und Palliativarbeit für Menschen mitMigrationshintergrundDaniela Grammatico 24

Veröffentlichungen 26Termine 27

Inhalt

IMPRESSUM

Herausgeber: ALPHA –Ansprechstellen im Land Nordrhein-Westfalen zurPalliativversorgung, Hospizarbeit und Angehörigen-begleitung

Redaktion: ALPHA-WestfalenAnsprechstelle im Land Nordrhein-Westfalenzur Palliativversorgung, Hospizarbeit undAngehörigenbegleitung im Landesteil Westfalen-LippeFriedrich-Ebert-Straße 157 - 159 48153 MünsterTel.: 02 51 - 23 08 48Fax: 02 51 - 23 65 76e-mail: [email protected]: www.alpha-nrw.de

Layout und Druck: Art Applied, Druckvorstufe Hennes WegmannHafenweg 26a, 48155 Münster

Auflage: 2500

Die im „Hospizdialog“ veröffentlichten Artikel geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktionund der Herausgeber wieder. Für unverlangt eingesandte Manuskripte wird keineGewähr übernommen. Fotos der Autoren mit Zustimmung der abgebildeten Personen.

I N F O R M A T I O N

jeden persönlich, aber auch für die Ho-spiz-Bürgergesellschaft relevant sind:

„Was lehrt der Tod den Menschen für das Leben?“ „Welche Haltungen gehören zur Lebenskunst?“

Mit Gedanken der Philosophie der Lebenskunstwill ich diese Fragen näher entfalten und den Be-griff der Ethosbildung einführen. Die Philosophi-sche Werkstatt kann eine Methode zur Annäherungan diese Fragen sein. Sie wurde erstmalig im Rah-men des Innovationsprojektes „Systemisch-fami-lienpsychologische Hospizarbeit“ des Caritasver-bandes für das Dekanat Borken durchgeführt undsoll hier vorgestellt werden.

Philosophie der Lebenskunst Eine Renaissance der Philosophie der Lebenskunsthat Wilhelm Schmid eingeleitet, der als freierPhilosoph arbeitet und immer wieder als philoso-phischer Seelsorger in einem Zürcher Spital tätigist. Er schreibt: „Es ist die Grenze des Todes, derdie Freude am Leben zu verdanken ist. Philoso-phieren heißt, im Bewusstsein dieser Grenze lebenzu lernen.“2 Die Philosophie der Lebenskunst ba-siert auf der Tugendethik des Aristoteles und bie-tet vielfältige Anregungen, um über Haltungen insGespräch zu kommen. Sie fasziniert durch das Ver-ständnis, das eigene Leben als Kunstwerk zu be-trachten und zu bejahen. „Gestalte dein Leben so,dass es bejahenswert ist“, so lautet der existen-zielle Imperativ, der ein Lebensmotto sein kann.Wenn wir mit unterschiedlichen Materialien, Far-ben, Formen unser einzigartiges Leben gestaltenlernen sind wir erfüllt, sinn-erfüllt.

Dies ist eine herausfordernde und zugleich schöneAufgabe, die nicht ohne Grenzerfahrungen blei-ben wird. Vor allem in der Antike bei Platon, in derSchule der Stoa bei Seneca oder in der biblischenWeisheitsliteratur begegnen wir diesem kontem-plativen Denken. Das „meditatio mortis“ verkör-pert eine Haltung der Lebenskunst und ist Aus-druck des Menschseins. Zu allen Zeiten war der

Einleitung Was verbindet Platon und die Hospiz-bewegung? Für Platon gehörte dasDenken an den Tod „zum Geschäft“eines freien, philosophierenden Men-schen. Dieses galt als eine der wich-tigsten Übungen im Alltag und war Be-standteil des guten Lebens. Hier seheich die Brücke zu Haupt- und Ehren-amtlichen in der Hospizarbeit. Für sieist der Tod Teil ihrer Lebenspraxis. Sie

sind praktisch und ganz konkret mit Fragen deswürdevollen Sterbens konfrontiert. Dies bedeutetimmer auch die Auseinandersetzung mit dem gu-ten und gelingenden Leben. Wenn man das Lebeneinmal vom Ende her zu denken beginnt, liegt dar-in ein unglaublich schöpferisches Potenzial für dasHier und Jetzt. An den Tod mitten im Alltag zudenken ist eine der ältesten Übungen der Mensch-heit. Damit sorgten die Philosophen – Menschen,die intensiv über Leben und Tod nachdachten – gutfür ihre Seele.

Gerade weil der Tod das „Alltagsgeschäft“ derHos pizarbeit ist, ist hier der Raum, um über Hal-tungen, Grundsätze, Werte und Ziele des Lebensnachzudenken. In Begegnungen, im Gespräch undim Schweigen arbeiten Haupt- und Ehrenamtlichean ihrer Lebensführungskompetenz. Eine ehren-amtliche Hospizmitarbeiterin sagte mir in einemGespräch: „Zum Leben ‚Ja’ sagen, weil ich umsSterben weiß. Genau, da würde sonst ein Stück feh-len. Das ‚Ja’ wäre nicht vollständig, wenn ich dasnicht immer mit einbeziehe.“1 Der Tod, der tagein,tagaus einfach dazu gehört, wird zum Wegweiserund Lehrer für existenzielle Themen an der Le-bensgrenze.

Mit meinen Ausführungen will ich Anregungen ge-ben, um über zwei Fragen nachzudenken, die für

Hospiz-Dialog NRW - April 2009/394

„Der Tod gibt zu denken“– Philosophische Werkstatt zu Hospizarbeit und Lebenskunst

Dr. Verena Begemann

Dr. Verena Begemann

1 Begemann, Verena (2006): Hospiz – Lehr- und Lernort desLebens. Stuttgart, 29

2 Schmid, Wilhelm (2000): Philosophie der Lebenskunst.Frankfurt am Main, 89

5Hospiz-Dialog NRW - April 2009/39

I N F O R M A T I O N

5

Tod – die Kürze des Lebens – der eigentliche Be-weggrund für Menschen ihr Leben gestalten zu ler-nen. Der Hospizpionier Heinrich Pera (1938-2004)schreibt „Lebenskunst und die Kunst endlich zu lebensind nicht möglich ohne Begegnung. Wo wir einan-der begegnen, sind wir Lebende und Hoffende.“3 Essind die Begegnungen zwischen Sterbenden und Be-gleitenden, zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen,die eine Brücke bauen. Eine Brücke zwischen Lebenund Tod, Trauer und Lebensfreude, Schwerem undSchönem, Glück und Leid. Diese gilt es immer wie-der neu zu konstruieren, zu verändern, den Bedin-gungen und Gegebenheiten anzupassen. Dies istAusdruck der Lebenskunst und bedeutet, schöpfe-risch am Kunstwerk Leben tätig zu sein.

Sterbende blicken am Ende ihres Lebens nicht sel-ten noch einmal zurück. Manche können das Werkoffen vor sich hinlegen. Sie erkennen und spüren,in welchen Lebensphasen sie diesem nicht genugAufmerksamkeit geschenkt haben. Scheitern, Ver-letzungen und Unzufriedenheit werden auch imRückblick wahrgenommen. Manches kann nocheinmal neu angesehen werden. Dabei darf Auf-merksamkeit nicht mit Perfektionismus verwech-selt werden. Es sind doch oft die Krisenzeiten, die,wenn sie mit durchlitten und erlebt werden, dasKunstwerk zu etwas Einzigartigem und Unver-wechselbaren machen. Erst durch Erlebnisse, dieuns in der Tiefe berühren und die uns nicht seltenauch verwundet haben, gewinnt das Werk an Aus-strahlung, Beständigkeit und Wert. Das gelingen-de Leben beinhaltet nicht nur Leistung, Erfolg undFreude. Ein Gelingen davon abhängig zu machen,würde bedeuten, nicht das Ganze zu sehen. AuchSchweres und Leidvolles darf und muss Raum indiesem Kunstwerk einnehmen. Erst das Zu-sammenspiel von dunklen und leuchtenden Farbenbildet das gesamte Spektrum eines intensiven Le-bens ab. Schönes und Schweres kann durchaus mit-einander harmonieren. Das Leben wird durch denTod zu einem kostbaren und wertvollen Gut. An-gesichts der Endlichkeit können Prioritäten, Wer-te, Haltungen und Einstellungen an Klarheit undEindeutigkeit gewinnen.

Das Leben bildetHaltungen werden vom Leben selbst gebildet, andem Ort, an dem man lebt und arbeitet. Haltungen

bilden sich, wenn Denken und Gefühl sich mitein-ander verbinden und bestenfalls wechselseitigdurchdringen können. Wenn wir ein Musikinstru-ment oder eine Sprache erlernen wollen, brauchenwir eine regelmäßige Übungszeit. Genauso verhältes sich mit Haltungen für unser Leben. Erst wennwir uns Zeit nehmen, um Haltungen einzuüben,können wir sie als Teil unserer Persönlichkeit imDenken und Spüren, im Verstand und im Herzenkultivieren. Dieser Prozess wird Ethosbildung ge-nannt, die ich definieren möchte als Aneignungund Entwicklung von klugen Haltungen, die denVerstand herausfordern, das Herz berühren undzum Handeln bewegen.

Albert Schweitzer, der vielen als „Urwald-Arzt“aber nicht als Philosoph und Begründer der „Ethikder Ehrfurcht vor dem Leben“ bekannt ist, hat die-se gegenseitige Bereicherung von Wissen und Er-leben auf anschauliche Art und Weise formuliert:„Das Gefühl, das sich dem Denken entzieht, ver-fehlt seine Bestimmung. Das Denken, das meint,am Gefühl vorbeigehen zu können, kommt von demWege ab, der in die Tiefe führt. Wo das Gefühl indas Denken hinaufreicht und das Denken in dasGefühl hinabreicht, ist unser ganzes Wesen an demGestalten der Überzeugungen, die wir in uns tra-gen, beteiligt.“4 Es ist eine gut nachvollziehbareBewegung, die Schweitzer hier aufzeigt. Das Den-ken ist auf das Gefühl angewiesen, um eine guteTiefenschärfe zu erreichen. Das Gefühl wiederumbraucht das Denken als gute Leitlinie und orien-tierungsstiftenden Wegweiser. Erst wenn eine Be-gegnung stattfindet, in der sich Denken und Gefühlberühren, kann sinnvolles Handeln entstehen, dasdie Lebensführungskompetenz erweitert.

Die Philosophische WerkstattDie Philosophische Werkstatt ist eine Methode derpraktischen Philosophie, die ich für Mitarbeitendein sozialen und pädagogischen Arbeitsfeldern ent-wickelt habe. Sie ist ein Denk-Raum zur Ausein-andersetzung mit ethisch-anthropologischen Fra-gen für eine gelingende Lebensführung. Mitunterschiedlichen Materialien wird an der Verbin-dung von ethischen Haltungen und klugem Han-deln gearbeitet. Dabei sollen theoretische und prak-tische Anteile möglichst ausgeglichen sein.

3 Pera, Heinrich (2004): Da sein bis zuletzt. Freiburg i. Br., 154 Schweitzer, Albert (2000): Die Weltanschauung der Ehr-

furcht vor dem Leben. Kulturphilosophie III, München, 28

Die Materialien:1. Theoretische Impulse führen in das Thema ein

und dienen dazu eine gemeinsame Wissens-grundlage zu schaffen. Mögliche Themen sind:Zeit, Begegnung, Tod, Liebe, Spiritualität, Ge-lassenheit.

2. Ausgewählte Lektüre dient der kritischen Aus-einandersetzung mit Text und Autor. Sich inphilosophisch-ethische Texte zu vertiefen, sichvon Ideen, Gedanken und Argumenten anspre-chen oder auch in Frage stellen zu lassen, bie-tet die Chance eine eigene Position zu erarbei-ten.

3. Gespräche in Kleingruppen und im Plenum die-nen dem reflexiven Austausch. Durch die Ver-bindung von Impulsfragen zum Text oder Re-ferat mit Erfahrungen aus dem Alltag wirdstrukturiert am Theorie-Praxis-Transfer gear-beitet.

4. Praktische Übungen regen die sensible Wahr-nehmung, das Spüren und Erleben an. Sie sor-gen für den geschärften Blick nach Innen unddienen dazu, Gehörtes, Gelesenes und Disku-tiertes auch im Spüren zu verankern.

Impulsreferate und Texte bieten andere Zugängenzu einer Thematik als Gespräch und Übungen. In-nehalten, Nachdenken und Dialog bilden Haltun-gen, die dann Auswirkungen auf die Hospiz- undLebenspraxis haben und eine Klugheit des Her-zens wachsen und reifen lassen.

Dr. phil. Verena Begemann, Dipl. Sozialpädagogin/-arbeiterin (FH)

Osterkamp 26, 49324 Mellewww.ethosbildung.de

reits palliativer Behandlung bedürfen.Zum anderen verfügt Ratingen nichtüber ein stationäres Hospiz und Pa-tienten, die nicht mehr ambulant ver-sorgt werden können, müssen in Nach-barstädte verlegt werden.

Im Januar 2007 gründete sich daher die Projekt-gruppe „palliative Pflege“ mit dem Ziel, für denWohnbereich „Cromford“ im St. Marien-Senio-renheim einen Schwerpunkt „Palliative Pflege“ zuentwickeln. Mitglieder dieser Projektgruppe wa-ren neben den Leitungen der beiden Koopera-tionspartner, die Stationsleitung des WohnbereichsCromford, die Pflegedienstleitung des Hauses, dersoziale Dienst und die Koordinatorin der Hospiz-bewegung. Moderiert wurde die Gruppe durch denQualitätsbeauftragten der Einrichtung. In neunTreffen wurde eine Gesamtkonzeption für die Sta-tion erarbeitet, die bauliche Umgestaltung unterMiteinbeziehung der Hospizmitarbeiterinnen vor-bereitet und weitere Kooperationspartner wie z.B.ortsansässige Palliativmediziner gesucht und ge-funden.

Seit mehreren Jahren arbeitet die Hospizbewe-gung Ratingen e.V. als ambulanter Hospizdienstmit der St. Marien-Krankenhaus GmbH – ein Zu-sammenschluss von Allgemeinkrankenhaus undzwei Seniorenheimen – eng zusammen. Sterbendeund schwerstkranke Menschen werden in den Ein-richtungen der GmbH durch die ehrenamtlichenMitarbeiterinnen der Hospizbewegung betreut. Be-reits 2005 wurde ein Konzept zur Begleitung ster-bender Bewohner in den Seniorenheimen gemein-sam entwickelt.

Beide Kooperationspartner suchten seit Jahrennach Möglichkeiten, zwei Tatbeständen Folge zuleisten: Zum einen zeigt sich seit Jahren, dass im-mer mehr Bewohner der Heime bei ihrem Einzugmultiple Krankheitsbilder aufweisen und oft be-

Ambulantes Hospiz und Seniorenheim in enger Kooperation

Schwerpunkt Palliative Pflege im St. Marien-Seniorenheim in Ratingen

Judith Kohlstruck, Horst Ramm

I N F O R M A T I O N

Hospiz-Dialog NRW - April 2009/396

Alle beteiligten Kooperationspartner sind außer-dem Mitglieder des palliativen Netzwerkes desKreises Mettmann, das sich 2006 gründete.

Anfragen für die Station kommen größtenteils vonRatinger Bürgern und den Krankenhäuser der um-liegenden Städte.

Alle Beteiligte beurteilen die bisherigen Erfahrun-gen als äußerst bereichernd, die Rückmeldungender Bewohner und ihrer Angehörigen sind durch-gehend positiv.

Ansprechpartner:Judith Kohlstruck

Hospizbewegung Ratingen e.V.Hospizkoordinatorin

Tel.: 0 21 02 - 2 38 47E-Mail:

[email protected]

Internet: www.hospizbe-wegung-ratingen.de

Horst RammSt. Marien-Krankenhaus GmbH

HausleitungWerdenerstr. 3

40878 RatingenTel.: 02102-8516351

E-Mail:[email protected]

Internet: www.smkr.de

Im Juni 2008 wurde die Station mit einer Presse-konferenz eröffnet. Im Pflegeteam verfügen zweiVollzeitkräfte über eine Palliativ-Care-Zusatzaus-bildung, zwei weitere werden in den kommendenMonaten diese Ausbildung machen. Zusätzlich be-rät eine erfahrene Hospizfachkraft das Pflegeper-sonal in seiner Arbeit.

Die Patienten werden in drei Einzelzimmern ver-sorgt, außerdem wurde ein weiteres Bewohner-zimmer in ein Wohnzimmer mit Teeküche umge-wandelt, um Angehörigen und Besuchern dieMöglichkeit für ungestörte Gespräche oder Ruhe-phasen zu geben. Die wöchentliche interdiszipli-näre „Fall“besprechung unter Beteiligung derPflegekräfte, der behandelnden Hausärzte, der Er-nährungsberaterin des Hauses, der Hospizmitar-beiter und der Leitungen moderiert der sozialeDienst des Hauses. Diese Teambesprechung ga -rantiert eine optimale, umfassende, zeitnah abge-stimmte, medizinische, pflegerische und psycho-soziale Versorgung der Patienten.

Das Team der Hospizbewegung besteht aus sechsMitarbeiterinnen mit langjähriger Erfahrung, diesich vierteljährlich zu einem eigenen Erfahrungs-austausch treffen. Um auch neben der aktuellenBegleitung für Angehörige, Besucher oder Pfle-gende da zu sein, werden zweimal wöchentlichmehrstündige Präsenzzeiten durch die Mitarbei-terinnen angeboten.

Die ärztliche Versorgung der Bewohner erfolgtdurch deren bisherige Hausärzte. Ist ein Wechseldes Arztes erwünscht, steht ein Internist in der Pal-liativausbildung in unmittelbarere Nähe zur Verfü-gung. Kooperationspartner ist außerdem eine nahegelegene onkologische Praxis mit einem QPA.Wissenschaftlich begleitet wird der Prozess dieserneuen engen Kooperation von einer Absolventinder Sozialen Arbeit der Katholischen Hochschulein Köln.

Der Umbau der Räumlichkeiten und die Neuein-richtung wurden durch die Hospizbewegung be-zahlt. Zusatzkosten im laufenden Betrieb teilensich die beiden Kooperationspartner anteilig.

Judith Kohlstruck

Horst Ramm

I N F O R M A T I O N

Hospiz-Dialog NRW - April 2009/39 7

Immer mehr werden öffentliche Lei-stungen gekürzt und die Anforderun-gen an die häusliche Versorgung neh-men zu. Aber wer qualifiziert die„Versorgenden“ und gibt ihnen eineUnterstützung für kompetente pfle-

geunterstützende Maßnahmen daheim sowie dieMöglichkeit, sich mit dieser menschlich enormenHerausforderung auseinander zu setzen?

Ein weiterer Punkt, der oft schwer fällt, offen an-und ausgesprochen zu werden, ist die Entschei-dung, dass der pflegebedürftige Mensch in ein Al-tenpflegeheim geht. Dieser Schritt fällt seltenleicht: weder dem Betroffenen noch seinen Ange-hörigen. Wenngleich es häufig die beste Wahl ist,so bleibt doch auch die Gewissheit, dass dies nundie letzte Stufe auf der Lebensleiter ist. Angehöri-ge haben oft ein schlechtes Gewissen, den ihnennahe stehenden Menschen in ein Altenpflegeheimzu geben, ‘man will ihn ja nicht abschieben’.

Gerne möchte man sich einbringen, die Betreuungund Begleitung im Altenpflegeheim sinnvoll unter-stützen, aber auch hier ist die Angst, dass man et-was falsch machen könnte. Und „man will den Mit-arbeitern aus dem Heim ja nicht ins Handwerkpfuschen.“

Was können Angehörige tun, um sich selbst gutund für alle Seiten zufriedenstellend in die Betreu-ung einzubringen?

Hier bietet das Dresdner Modell für Angehörigen -edukation®:,Angehörige lernen Grundlagen von Palliative Care‘eine sinnvolle Unterstützung. Es bietet ein integra-tives Lehrkonzept, das medizinische, pflegerische,psycho-soziale sowie ethische und juristische In-halte umfasst. Des Weiteren werden in dem KursGrundlagen von Validation vermittelt, die es er-möglichen, auch den alten und verwirrten Men-schen besser verstehen zu lernen und sich ihmleichter verständlich zu machen.

Der Kurs ‘Angehörige lernen Grundlagen von Pal-liative Care’ stellt eine Erweiterung der ganzheit-lichen Begleitung von unheilbar kranken, sterben-den Menschen dar. Der Lehrplan wurde von der

Wenn ein Mensch schwer erkrankt, wird nichtnur sein Leben aus einem vertrauten Lebensgefüge,

-rhythmus und -gefühl herausgerissen.Auch seine Angehörigen sind betroffenund werden fortan mit neuen Aufgabenkonfrontiert. Ihr Lebensgefüge gerät ingleicher Weise ins Wanken durch Sor-ge um den ‘Gesundheitszustand’ desnahe stehenden Menschen, existentiel-le Fragen, Zuständigkeiten und Ver-antwortungen innerhalb des Familien-verbandes.

Angst um die berufliche und wirt-schaftliche Zukunft und Unsicherheit gegenüberdem Freundeskreis sind weitere Facetten eines oftkaum erfassbaren Spektrums ungeklärter Gefühle,Befürchtungen und Konfrontationen im Alltag.

In der DEGAM-Leitlinie Nr. 62 werden die Belas -tungsfaktoren pflegender Angehöriger systema-tisch erfasst und mit Handlungsoptionen unterlegt.Für den interessierten Leser empfiehlt sich dieseSeite dahin gehend, da viele seiner Alltagserfah-rungen bestätigt werden.

Gerade wenn Angehörige bereit sind, sich in derPflege einzubringen, so beklagen sie häufig ihreHilflosigkeit, ja Ohnmacht, den ihnen nahe ste-henden Menschen nicht ausreichend unterstützenzu können. So gerne wollte man – gerade ange-sichts der noch verbleibenden Lebenszeit – etwasGutes tun, „aber man möchte auch nichts falschmachen“, so lautet die häufige Aussage von be-troffenen Angehörigen.

Dresdner Modell für Angehörigenedukation®:Angehörige lernen Grundlagen von

Palliative Care 1

Dr. Ingrid-Ulrike Grom

Dr. Ingrid-Ulrike Grom

I N F O R M A T I O N

Hospiz-Dialog NRW - April 2009/398

1 Das Modell wurde im Jahr 2002 von der Autorin entwickeltund seit 2003 lehrplanmäßig an der Dresdner Akademie fürPalliativmedizin und Hospizarbeit unterrichtet.

2 Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Fami-lienmedizin e.V. (DEGAM), Leitlinie Nr. 6 kann im Inter-net unter www.degam.de eingesehen und herunter geladenwerden.

fe zur Klärung (die Bedürfnisse des Patienten - dieBedürfnisse der Angehörigen) entwickelt.Im Block V - ‚Vorsorgende Verfügungen und sozial -rechtliche Fragen‘ geht es um Pflegestufe, Mög-lichkeiten von Reha-Maßnahmen, Finanzierungvon Heil-und Hilfsmittel einschließlich möglicherUmbaumaßnahmen. Des Weiteren stehen Fragenzum Testament, zur Patientenverfügung, Betreu-ungsvollmacht und Vorsorgevollmacht im Mittel-punkt des Interesses.Im Block VI steht der Bestatter den TeilnehmernRede und Antwort zu Fragen der Versorgung desLeichnams, Aufbahrung, Formen der Bestattungund Kosten.

Die Kurse werden mit einem Einführungsgesprächeröffnet und mit einem Auswertungsgespräch ab-geschlossen.

Die wissenschaftliche Auswertung dieser Kurse an-hand von Evaluierungsbögen und eines Tagebuch-projektes durch das Institut für MedizinischePsychologie und Medizinische Soziologie der TUDresden zeigt eine deutliche Verbesserung der kör-perlichen und psychischen Stabilität der Teilneh-mer – in der Mehrzahl Frauen im mittleren Le-bensalter.3

Verbesserung des persönlichen Befindens undder Lebens- und Pflegesituation Angehörigenedukation bietet Wissensvermittlungund Erfahrungsaustausch mit anderen pflegendenAngehörigen. Im Unterschied zu Selbsthilfegrup-pen für pflegende Angehörige ist die Legitima-tionsschwelle „gegenüber Zuhause“ weit niedri-ger, im Gegenteil, der pflegebedürftige Menschsieht, dass sich sein Angehöriger für ihn weiterbil-det, damit die Lebens- und Pflegesituation Daheimoptimiert werden kann. Es entstehen keine Mis-strauensmomente (bin ich Dir doch eine Last?Kannst Du mir denn nicht alles sagen? Darf ich et-was nicht wissen?), sondern durch den Pflegekursgibt es ein gemeinsames Profitieren durch Wissenund praktische Kompetenz.

Hinzu kommt, dass sich die Teilnehmer mit demBesuch eines Kurses für Pflegende Angehörige einStück persönlichen Freiraum zurückerobern. Je-

Dresdner Akademie für Palliativmedizin und Hos -pizarbeit entwickelt und seit 2003 als Pilotprojektmit der Barmer Ersatzkasse Sachsen angeboten.

Bislang ist dieser Kurs einmalig in der Bundesre-publik und wird als Kooperationsprojekt seit 2005auch von der Pflegekasse der AOK plus finanziellunterstützt. Durch die Förderung dieses Konzeptessollen pflegende Angehörige Unterstützung für ih-re wertvolle Arbeit erhalten. Ausgewählte, Praxiserfahrene Referenten vermitteln ein breites Spek-trum an Wissen, fördern das Einüben in praktischeVerrichtungen sowie den Austausch über Belas -tungen und Entlastendes. Es soll auch ein Zeichenfür alle schwer kranken Patienten sein, dass ihreAngehörigen in ihrer Begleitung und Betreuungstark gemacht und sie fachlich, praktisch und psy-chisch für diese Aufgabe gefestigt werden. Ange-hörigenedukation ist eine optimale Form der Prä-vention und praktisch vermitteltes Empowerment.

Das Konzept des ModellsIn der Akademie für Palliativmedizin und Hospiz-arbeit begannen die Kurse zunächst mit einem Umfang von 8 Einheiten à 3 Stunden. Durch dieFragestellungen der Teilnehmer ist die Themenpa-lette des Lehrplans mittlerweile auf die doppelteZahl von Stunden angewachsen, d.h. 16 Einheitenà drei Stunden. Das Curriculum ist nach dem Modell ,von der Pe-ripherie zur Mitte‘ aufgebaut. Es orientiert sich ander Situation von Angehörigen, die ja in gleicherWeise Betroffene sind – gelähmt in ihren diffusenGefühlen, ihrer Hilflosigkeit und Versagensangst. Sie brauchen zunächst einen Überblick, um so ih-re Situation sukzessive selbst verorten zu können.Dann entwickeln sie auch ,ihre Fragen‘.

Im Block I – ‚Medizin und Therapie‘ werden zu-nächst ausgewählte Krankheitsbilder erläutert, ein-schließlich Fragen zur Psychopathologie und Ge-rontopsychiatrie sowie zur Pharmakotherapie.Im Block II – ‚Pflege‘ werden Informationen undpraktische Übungen im Bereich Pflege vermittelt;Heil- und Hilfsmittel werden vorgestellt sowie Fra-gen zur Verordnung und Finanzierung beantwortet.Im Block III – ‚Menschen mit Demenz‘ folgt eineEinführung zur Biographiearbeit und Validationbei Menschen mit Demenz.Im Block IV – ‚Betreuung von Schwerstkrankenund Sterbenden‘ wird die Betreuungssituation ver-mehrt in den Blick genommen und gemeinsam Hil-

I N F O R M A T I O N

Hospiz-Dialog NRW - April 2009/39 9

3 Siehe auch die Studie zu pflegenden Angehörigen von Prof.Dr. phil. Friedrich Balck, Leiter des Instituts für Medizini-sche Psychologie und Medizinische Soziologie der TUDresden

10

doch gilt hier zu beachten, dass sich gerade ältereFrauen schwer tun, die eigene Belastung zu erken-nen und mitzuteilen. Die Sorge um den Partner,gepaart mit Schuldgefühlen, lässt bei ihnen nurwenig Raum, die eigene Überanstrengung zu spü-ren. Von daher gilt es, vor allem durch hausärzt -liche Betreuung und durch Mitarbeiter aus der am-bulanten Pflege, auf diese Personengruppe einbesonderes Augenmerk zu haben.

Zusammenfassung

Angehörigenedukation wird eine zukunftsweisen-de Strategie in einem Gesundheits- und Sozialsys -tem, in dem institutionelle Infrastruktur, profes-sionelle Kompetenzen und monetäre Ressourcenimmer stärker spezialisiert und damit reduzierterzur Verfügung stehen werden.

Gerade für Pflegekräfte eröffnet sich hier ein gro-ßes Potential, pflegende Angehörige zu begleiten.Zum einen erleichtern ihnen gut geschulte Ange-hörige die Zusammenarbeit, zum anderen entstehtein Dialog auf Augenhöhe, da sich Angehörigenicht mehr „im Nachteil durch Nichtwissen“ emp-finden.

So wird der Angehörige für Pflegkräfte zum Part-ner und die Kontinuität der Zusammenarbeit wirktsich positiv für alle im Betreuungs- und Pflege-prozess Engagierten aus.

Und für pflegende Angehörige gilt in gleicherWeise wie für Pflegende: Pflege kann es nur gut ge-hen, wenn es den Pflegenden gut geht.

Dr. phil. Ingrid-Ulrike Grom M.A.HC Akademie für Palliativmedizin und Hospizarbeit

Dresden gGmbH Staatl. anerk. Weiterbildungsinstitut

für Palliativ- und Hospizpflege Georg-Nerlich Str. 2

01307 Dresden Tel.: 03 51 - 44 40 29 02 Fax: 03 51 - 44 40 29 99

www.palliativakademie-dresden.de E-Mail: [email protected]

Angefangen hat die Geschichte derKleinen Oase Mitte der 80er Jahre.Die Ordens-Schwester Agnes Blömenarbeitete damals als Seelsorgerin in

der Vestischen Kinder- und Jugendklinik in Dat-teln. Im Kontakt mit Eltern von Kindern mit Be-hinderungen erfuhr sie von der Problematik, mitder diese Familien täglich lebten.

Neben der ständigen Sorge um die Gesundheit ih-rer Kinder waren die Eltern nicht selten selbst völ-lig am Ende ihrer Kräfte. So reifte in SchwesterAgnes die Idee, ein Kurzzeitwohnheim zu gründen,wo Kinder mit schwersten Behinderungen einezeitweise Betreuung zuteil werden konnte, um de-ren Eltern und Bezugspersonen zu entlasten. Mitder Unterstützung des Ordens der Schwestern vonder Göttlichen Vorsehung und der Vestischen Caritas-Kliniken GmbH konnte sie schließlich ih-ren Traum verwirklichen.

... wo man begeistert ist vom Leben,auch von jedem Leben,auch von dem Leben,das Mühe kostet.

Seit 1996 bietet die Kleine OaseKindern und Jugendlichen sowiejungen Erwachsenen mit schwerenBehinderungen ein „Zuhause aufZeit“. In einer Gruppe von 12 Mit-bewohnern erleben unsere Gästehier eine Auszeit vom Alltag, dasGefühl der Gemeinschaft und Geborgenheit auch außerhalb ihresgewohnten Umfeldes und des Elternhauses.

Lasst uns eine Oase sein ...Barbara Andrzejewski

Schaumerfahrungen

I N F O R M A T I O N

Hospiz-Dialog NRW - April 2009/39

Geburtstag

I N F O R M A T I O N

Hospiz-Dialog NRW - April 2009/39 11

In einem Wohngebiet in der Kleinstadt Datteln ent-stand in unmittelbarer Nähe zur Vestischen Kinder-und Jugendklinik ein modern ausgestattetes Wohn-heim in Atriumbauweise mit einem behinderten-gerecht angelegten Innenhof. Die Einrichtungist ganzjährig geöffnet und bietet 12 Gästen im Al-ter von 2-25 Jahren Platz. Die durchschnittlicheVerweildauer beträgt ca. 10-14 Tage, viele Kinderkommen mehrmals im Jahr.

Das Betreuerteam der Kleinen Oase setzt sich zu-sammen aus Heilerziehungspflegerinnen und Ge-sundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen sowieeiner Heilpädagogin. Unser Angebot umfasst imWesentlichen

� die Übernahme, Mithilfe und Beaufsichtigung bei der Körperpflege

� medizinische Versorgung� regelmäßige, den Tag gestaltende

Freizeit angebote� verschiedene Therapieangebote.

Durch einen strukturierten Tages- und Wochenplankönnen wir unseren Gästen Orientierung und Si-cherheit vermitteln. Das sieht in der Praxis so aus,dass die Mahlzeiten gemeinsam eingenommenwerden und mit einem Tischlied beginnen. DieGäs te haben feste Tischplätze, dies dient der bes-seren Orientierung im Raum. Der Speiseraum hateine offene Verbindung zur Küche, so dass schondie Vorbereitung der Mahlzeiten verfolgt und nichtselten hungrig erwartet werden kann.

Die Zeit zwischen den Mahlzeiten ist für Einzel-und Gruppenaktivitäten vorgesehen. Das könnender morgendliche „Spielkreis“, in dem wochen-weise zu einem Thema gearbeitet wird, ein ent-spannendes Sprudelbad, eine indische Aroma -massage oder ein Spaziergang in die Stadt sein.An den Nachmittagen nach der Mittagsruhe kom-

men Herr Haus, unser Musiktherapeut oder dieHundedame Emmi zu uns und sorgen für Stim-mung. Auch ein Kochnachmittag ist fester Be-standteil der Wochenplanung. Im Abendkreis nachdem Abendessen geben wir unseren Gästen mit ei-nem Lied oder einer Geschichte noch mal die Mög-lichkeit, den Tag ausklingen zu lassen und zur Ru-he zu kommen.

Auch eine Festkultur wird gepflegt, feiern wir dochgemeinsam die Jahresfeste, Geburtstage und auchAbschied von Kindern und Jugendlichen, die ineine Langzeiteinrichtung umziehen. Alljährlich imAugust findet im Familien- und Freundeskreis un-ser Sommerfest statt. Dann sind Eltern, Geschwi-ster, Omas, Opas und alle Freunde herzlich bei unseingeladen. Die Familien lernen sich kennen, ha-ben die Gelegenheit zum Austausch und bei bisherimmer strahlendem Sonnenschein und leiblichenGenüssen freuen wir uns auf diesen Tag immer be-sonders.

Im Laufe der Jahre seit Eröffnung der Einrichtungsind viele unserer Gäste zu Stammgästen gewor-den. Schon bei der Ankunft in der Kleinen Oasegibt es oft große Wiedersehensfreude und nach ei-nigen Aufenthalten können auch die meisten Elternloslassen und sich auf die bevorstehende freie Zeitfreuen, wissen sie doch ihr Kind in guten Händen.In unserer Arbeit sind wir an einem christlichenMenschenbild orientiert.

Den zu betreuenden Kindern und Jugendlichenbringen wir eine von Res pekt und Akzeptanz ge-prägte Haltung entgegen. Auf der Basis verläss-licher und überschaubarer Beziehungen orientierenwir uns in unserem Handeln an den individuellen

Schaumerfahrungen

12 Hospiz-Dialog NRW - April 2009/39

Bedürfnissen unserer Gäste. Sämtliche Pflegesitu-ationen sind eingebettet in den pädagogisch/thera-peutisch strukturierten Alltag und werden immerauch als Kommunikations- und Interaktionsmittelgenutzt.

Die Kleine Oase als fester Baustein im Versor-gungsnetzwerk der Region Westfalen-Lippe hat seiteinigen Jahren eine durchschnittliche Belegungsaus-lastung von über 90% aufzuweisen. Engpässe beider Platzvergabe gibt es immer noch bei den Fe-rienterminen, hier gibt es eine Nachrückliste.

Konnten wir in den Anfängen der Einrichtung nochPlatz für Notaufnahmen bieten, so ist das heutekaum noch möglich, da Leerstände meist nur inden Monaten Januar und Februar bestehen, abMärz beginnt die Hauptsaison in der Kleinen Oase,denn dann gibt es bis zum Ende des Jahres keinefreien Plätze mehr. Und die Nachfrage ist weiter-hin groß. Schon im März eines jeden Jahres findetdie Terminplanung für das Folgejahr statt.Für die Eltern, die uns ihre Kinder anvertrauen, istunsere Arbeit zu einem wichtigen Bestandteil beider Bewältigung ihrer familiären Problematikdurch die Behinderung geworden. Sie lernen los-zulassen, können mal wieder durchatmen, sich füreinige Zeit ihrem Partner oder den restlichen Kin-dern widmen oder erhalten auch Tipps und Anlei-tung z. B. bei Pflegeproblemen.

Für die Gäste ist die Kleine Oase ein Ort, wo siewillkommen und akzeptiert sind.

Und die Mitarbeiter? Sie ziehen ihre Freude an derArbeit aus der Erfahrung, dass Beziehungen ge-lingen können, wenn wir uns einlassen auf die An-dersartigkeit und die Einzigartigkeit unseresGegenübers, wenn wir mit dem Herzen hören unddie Sprache der Augen verstehen lernen.

Barbara AndrzejewskiKleine Oase

Hagemer Kirchweg 1445711 Datteln

Tel.: 0 23 63 - 67 77E-Mail: [email protected]

I N F O R M A T I O N

Ostern

Pizza backen

13Hospiz-Dialog NRW - April 2009/39

S C H W E R P U N K TM

ENSC

HEN

MIT M

IGRA

TION

SHIN

TERG

RU

ND

bedeutet es nicht unbedingt, dass manes auch inhaltlich versteht. Und wennman es inhaltlich versteht, dann heißtdas nicht, dass man es auch emotionalnachvollzieht – und entsprechendhandelt.

Die Kultur einer Gesellschaft beein-flusst das gesamte Denken und Han-deln – und das gilt auch für den Um-gang mit Gesundheit und Krankheit,mit Sterben und Tod. Wie nehmen wirdas Entstehen und die Verbreitung einer Erkran-kung wahr? Welche gesundheits- und krankheits-orientierten Verhaltensgewohnheiten sind wir ge-wohnt? Wie gehen wir mit einer Krankheit, aberauch mit Schmerzen und Gefühlen, mit Tod undTrauer um. Und ob wir aus einem eher individual-orientierten oder aus einem stärker gruppenorien-tierten Gesellschaftssystem stammen, ist von Be-deutung für den Stellenwert, den unsere Familiehat. Diese Einflüsse wiederum sind nicht stereotyp,sondern abhängig vom jeweiligen kulturellenRaum, vom Grund der Migration und vom Gradder Integration.

Wie kann es nun gelingen, diese sprachlichen undkulturellen Zugangsbarrieren zu verringern? DieAntwort lautet: Interkulturelle Sensibilisierung undÖffnung – und zwar nicht nur als „Einbahnstraße“,sondern als Erwartung an die Strukturen und Be-schäftigten im Gesundheitssystem und die Men-schen mit Zuwanderungsgeschichte gleicherma-ßen. Interkulturelle Sensibilisierung heißt für micheinfach übersetzt: in Betracht ziehen, dass es auchandere Konzepte geben kann. Und dies bedeutetkonsequenterweise, sich auch mehr Gedanken überdie gewohnten Kommunikationsformen der zu er-reichenden Zielgruppe machen.

Und das funktioniert am allerbesten, wenn man dieMenschen mit Zuwanderungshintergrund selbstaktiv einbezieht. Das ist nicht allein ein wichtigerSchritt, um sprachliche und kulturelle Barrieren zu

Eine ethnische, kulturelle, religiö-se und sprachliche Vielfalt bringt Her-ausforderungen für das Miteinandermit sich – sie ist aber auch eine wich-tige Zukunftsressource. Wichtig ist mir deshalb,dass wir Menschen mit Zuwanderungsgeschichteauch als Bereicherung erfahren und ihre Potentia-le stärker nutzen. „Nordrhein-Westfalen – Landder neuen Integrationschancen“ – so ist die Inte-grationspolitik des Landes überschrieben; ihr Ziel:eine gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe.Noch haben nicht alle Zugewanderte vollständigteil an den Möglichkeiten, die unsere Gesellschaftim sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und schu-lischen Bereich bietet. Und das gilt leider auch fürdie Inanspruchnahme von Leistungen und Ange-boten des Gesundheitssystems.

Die Ursachen und Gründe dafür können vielfältigsein: Manchmal fehlt es schlicht an Informationenüber unser Gesundheitssystem und seine Angebo-te – nur wie soll ich etwas in Anspruch nehmen,von dessen Existenz ich gar nichts weiß. Aberselbst wenn ich das System kenne, heißt es nichtzwangsläufig, dass ich es dann auch nutze – viel-leicht komme ich aus einem Land, in dem ein sol-ches Angebot fremd ist, weil dort in bestimmten Situationen andere Wege der Hilfe und Unterstüt-zung üblich sind. Auch migrationsspezifische Lebenszusammenhänge und die vielleicht damitverbundene Angst vor ausländerrechtlichen Kon-sequenzen kann die Inanspruchnahme von Ange-boten und Leistungen hemmen. Wir sprechen manchmal verkürzt von „den Aus-ländern“, „den Migranten“ oder „den Zugewan-derten“. Diese Pauschalierung verkennt jedoch,dass die aufenthaltsrechtliche Situation der zuge-wanderten Menschen, ihre wirtschaftliche Lage,ihre Wohnsituation, ihre Sprache, ihre Kultur undihre Religion sehr unterschiedlich sein können –und damit möglicherweise auch ihre jeweiligeChance auf Teilhabe.

Neben kulturellen sind es häufig vor allem diesprachlichen Barrieren, die eine Teilhabe erschwe-ren. Sprache ist und bleibt der wesentliche Schlüs-sel zur Integration. Aber: Sprache allein ist nicht al-les. Selbst wenn man etwas sprachlich versteht,

... für ein partnerschaftliches Miteinander!Das Gesundheitsprojekt „Mit Migranten für Migranten -Interkulturelle Gesundheit in Nordrhein-Westfalen“Heike Reinecke

Heike Reinecke

Ein mehrsprachiger (schriftlicher) Gesundheits-wegweiser wird einen Überblick zum Thema „Gesundheit von Eltern und Kindern in Nordrhein-Westfalen“ geben; neben medizinischen Informa-tionen sind Hinweise auf Strukturen und Anlauf-stellen enthalten, die bei Fragen und Problemenunterstützen können.

Zusammen mit den im Rahmen eines bundeswei-ten Modellprojektes bereits aufgebauten Standor-ten gibt es in Nordrhein-Westfalen in 13 Städtenund Kreisen Kooperationspartnerschaften: Bielefeld,Bochum, Düsseldorf, Duisburg, Essen, Ennepe-Ruhr- Kreis /Hagen, Gelsenkirchen, Kreis Güters-loh, Hamm, Köln, Leverkusen, Münster, Rhein-Sieg-Kreis. Gefördert wird das Projekt vomMinisterium für Arbeit, Gesundheit und SozialesNordrhein-Westfalen, vom BKK Bundesverbandund vom BKK Landesverband Nordhrein-Westfa-len und ausgeführt durch das Ethno-MedizinischeZentrum e.V..

Wenn Sie mehr über das Konzept von „MiMi“, dieKooperationspartner und die Mediatorinnen undMediatoren und an der einzelnen Standortortenwissen möchten: www.bkk-promig.de / E-Mail:[email protected].

Heike ReineckeReferat III C 3

Öffentlicher Gesundheitsdienst, gesundheitlicheVersorgungvon Zugewanderten

Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Sozialesdes Landes Nordrhein-Westfalen

Fürstenwall 2540219 Düsseldorf

Tel.: 02 11 - 8 55 34 65

überwinden. Ihre Stärken und Kompetenzen zunutzen heißt auch: „weniger passive Betreuung –mehr partnerschaftliches und aktives Miteinander“.Auf dieser Überzeugung beruht das Gesundheits-projekt „Mit Migranten für Migranten – Interkultu-relle Gesundheit in Nordrhein-Westfalen.“

„MiMi“ bildet engagierte Menschen mit Zuwan-derungsgeschichte zu Gesundheitsmediatoren aus,die dann ihren Landsleuten mehrsprachig und kul-tursensibel Informationen über die Angebote desdeutschen Gesundheitssystems und Kenntnisse zurGesundheitsförderung und Prävention vermitteln.So tragen die Mediatorinnen und Mediatoren we-sentlich dazu bei, die Eigenverantwortung von Men-schen mit Zuwanderungshintergrund zu stärken.

So baut „MiMi“ Brücken zwischen dem Gesund-heitssystem und den Menschen mit Zuwanderungs-geschichte. Es vermittelt Informationen über Ge-sundheit und Prävention und verringert damitZugangsbarrieren. Dabei setzt das Konzept auf diein vielen Kulturen gewohnte mündliche Vermittlungder Information – und zwar durch Menschen, die ei-nem vertrauter sind, weil sie aus dem gleichen Kul-turkreis stammen und die gleiche Sprache sprechen.

Gemeinsam mit den Kooperationspartnern wollenwir möglichst viele Menschen mit Zuwanderungs-geschichte erreichen, sie mit unserem Gesund-heitssystem vertraut machen, ihnen die Bedeutungder Gesundheitsförderung vermitteln – und wirwollen im Rahmen von „MiMi“ Netzwerke für In-tegration und interkulturelle Gesundheit aufbauen.

MEN

SCH

EN M

IT M

IGRA

TIO

NSH

INTE

RG

RU

ND

S C H W E R P U N K T

Hospiz-Dialog NRW - April 2009/3914

� Das Älterwerden in der Fremde war ursprünglichmeist nicht beabsichtigt. Daher besteht häufig einegroße Ambivalenz bezüglich des Lebensabends inDeutschland.

� Menschen mit Migrationshintergrund haben Bio-graphien mit Brüchen.

� Oft findet keine offene Auseinandersetzung mit denThemen Betreuung und Begleitung in der letztenLebensphase in Migrantenfamilien statt: ein Fami-lientabu.

� Auch die Überführungs- und Beerdigungsthematikist kompliziert und mit der grundsätzlichen Identi-tätsfrage verbunden: Wo gehöre ich hin?

� Menschen mit Migrationshintergrund fehlt oft dienotwendige „Institutionskunde“ über Möglichkei-ten der ambulanten Pflege, Unterbringung, Betreu-ung und Begleitung.

Das Ergebnis aus dem Zusammenwirken dieserverschiedenen Faktoren: Es gibt bisher keine gro-ßen Forderungen hinsichtlich der interkulturellenSterbebegleitung aus den Communities in Deutsch-land selbst. Vor diesem Hintergrund ist es zu ver-stehen, dass es in der empirischen Forschung sowenig Aussagen von älteren Migranten zu diesemThema gibt.

Interkulturelle Ansätze im Heimbereich – nichtsehr stark ausgeprägtDie interkulturelle Öffnung ist nicht sehr weit vo -rangeschritten. Dafür gibt es verschiedene Gründe:� Als „Kunden“ und „Klienten“ sind ältere

Menschen mit Migrationshintergrund bishernicht stark vorhanden, deswegen sind sie auchnicht präsent für Heimleitungen

� Die kultursensible Pflege ist – trotz bundes-weiter Kampagnen – kein großes Thema invielen Heimen

� Seitens vieler Menschen mit Migrationshin-tergrund besteht eine große Aversion gegenHeime als „Abschiebebahnhöfe“, die „nur fürDeutsche“ seien.

HintergrundIch kam zu diesem Thema der inter-kultuellen Sterbebegleitung als Mi-grationsforscher. Im Jahre 2004 führ-te ich eine Studie über die Sterbebegleitung instationären Einrichtungen der Altenhilfe für dieArbeiterwohlfahrt (Bezirksverband Oberbayern)durch. In den Jahren 2005-2006 war ich dann miteiner weiteren Studie über ältere Menschen mitMigrationshintergrund in München im Auftrag desSozialreferats der Landeshauptstadt München. Ichbin zwar kein ausgewiesener Experte zur interkul-turellen Sterbebegleitung, baue aber die folgendenAnmerkungen auf die Erkenntnisse aus diesen Stu-dien auf.

Konzepte, Migrationsprozesse und Zugehörig-keit – interkulturelle Ansätze, HospizbewegungKonzepteZu dem konzeptionellem Rahmen für eine inter-kulturelle Sterbebegleitung (national und interna-tional) ist in der Forschung wenig zu finden. EinGrund dafür besteht darin, dass bis jetzt die Initia-tive in diesem Bereich aus den ethnic communitiesselbst kommt. Es besteht ein Bedürfnis der Basis,auf diesem Gebiet, aktiv zu werden – ein Beispielin München hierfür stellt die Arbeit der Israeliti-schen Kultusgemeinde, vor allem die Seniorenein-richtung in der Kaulbachstraße dar (Anderson2008).Andere Beispiele für die Selbsthilfe für ältere Men-schen mit Migrationshintergrund sind eher im eu-ropäischen Ausland zu finden, in London z.B. eineSelbsthilfeinitiative für ältere Menschen aus derKaribik mit psychischen Problemen. Diese Com-munity hat den Bedarf nach einer kultursensiblenPsychiatrie und Begleitung in der letzten Lebens-phase mit dieser Basisinitiative erkannt und daraufreagiert.

Besondere Bedingungen Migrationsprozesse undZugehörigkeit – Einige ErkenntnisseDer Migrationsprozess bringt einige Bedingungenmit sich, die wir kennen sollen, um die besondereLage von Menschen mit Migrationshintergrund inder letzten Lebensphase verstehen zu können.,

Interkulturelle Sterbebegleitung – notwendige institutionelle Veränderungen1

Philip Anderson

1 Dieser Aufsatz basiert auf einem Vortrag im Rahmen derVeranstaltung „Sterben in der zweiten Heimat“ des Sozi-alreferats der LHS München am 18.06.2008 in der SeidlVilla in München.

MEN

SCH

EN M

IT MIG

RA

TION

SHIN

TERG

RU

ND

S C H W E R P U N K T

Hospiz-Dialog NRW - April 2009/39 15

den, dass das Spirituelle, die jeweilige Religionund die damit verbundenen Riten ihren respektier-ten Platz haben.

Themen und Thesen2

Die Faktoren ethnischer Hintergrund und gemein-same Kultur zwischen Begleiter und Pflegendensind zwar wichtig, werden allerdings von einemTeil der Forschung als weniger von Belang ange-sehen als individuelle Merkmale des Begleiters wiez.B. die Echtheit der Person, menschliche Wärme,Akzeptanz des Gegenübers, Empathie. Diese bau-en aber auf die Bereitschaft des Begleiters, sichmit der Kultur, der sozialen Herkunft, und der Spi-ritualität der Sterbenden im Hinblick auf Einstel-lungen, Glauben, Werte und Traditionen um denTod und das Sterben auseinanderzusetzen. Ist die-se Bereitschaft vorhanden, lassen sich Vertrauen(auch kultureller Art), Glaubwürdigkeit, Kompe-tenz, professionelle Effektivität und auch Fertig-keiten/skills in der Interaktion aufbauen.So betrachtet reicht eine kultursensible Sterbe -begleitung tiefer als nur die Frage nach ethnischerund kultureller Differenz, um auf die Besonderheitdes individuellen Patienten zu fokussieren.

Eine These, die sich aus diesen Überlegungen ab-leiten lässt, lautet: Es ist nicht unbedingt wichtig,„kulturell kongruente“ Sterbebegleiter zu haben,aber eine Begleitung, die sich mit kultureller Viel-falt selbstverständlich als Teil ihres Kompetenz-profils auseinandersetzen. Das Wissen von kultur-kompetenten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern istnichtsdestotrotz eine wertvolle, zu aktivierendeRessource.

Abschließend einige Merkmale einer kulturkom-petenten Sterbebegleitung: a) Kulturell stereotype Vorstellungen oder „magische

Rezepte“ beiseite schieben. Die Auseinander-setzung mit dem Individuum ist unersetzlich.

b) Sich des eigenen (multi-) kulturellen Erbes undder Identität bewusst sein sowie die kulturelleEigenheit anderer Menschen wertschätzen undDifferenz respektieren. Welche sind meine Wer-te und Vorstellungen hinsichtlich des Sterbens?

c) Deswegen: die eigenen Vorlieben und Aversio-nen bewusst machen. Wie wirken sie sich imUmgang mit dem Sterbenden aus?

� Die Heimeinweisung eines/r Angehörigen istfür viele traditionell geprägte Familien (nichtnur ausländischer Herkunft) eine beschämen-de „Kapitulation“.

Interkulturelle Hospizbewegung – noch in den An-fängenAnalog zur Entwicklung der Hospizbewegung seitden Achtziger Jahren können die Institutionen(Krankenhäuser, die ambulante Pflege, Rehabilita-tion, der Heimbereich) von Basisinitiativen lernen.Allerdings agieren Migrantenselbstorganisationenaus einer Randposition heraus, nicht im Mainstream.

Inhaltliche Aspekte der interkulturellen Öffnung Die Interkulturelle Öffnung der stationären Alten-einrichtungen setzt eine Auseinandersetzung mitkultureller Differenz in Sterbebegleitung voraus –die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sollen alsRessource hierfür begriffen werden, die Bedürf-nisse mit Empathie erfragen können.

Hier geht es um Ansätze wie:Über Kommunikationsformen und -strategiennachdenken – was bedeutet kultursensibles Vorge-hen? Zum Beispiel soll man über Direktheit auf dersprachlichen Ebene nachdenken (wann ist sie an-gemessen, wann nicht?). Die Sterbenden können inunterschiedlicher Weise (sprachlich und nonver-bal) einbezogen werden. Einstellungen bezüglich der Ernährung und Medi-kamenteneinnahme müssen thematisiert werden.Das Beispiel des unterschiedlichen Umgangs mitAlkohol wäre hier zu nennen oder eine „fehlendeKonsequenz“ bei der Einnahme von Medikamen-ten – aufgrund einer anderen Einstellung hierzu.Auch die Entscheidungsfindung in der letzen Le-bensphase ist von kultursensibler Relevanz – wel-che Rolle spielt die Familie dabei? Einstellungenhierzu sind kulturspezifisch unterschiedlich.Konzeptionelle Vorstellungen von Krankheit,Schmerzempfinden und -äußerung spielen ebensoeine wichtige Rolle wie der Umgang mit anderenSymptomen von Krankheit und die unterschied-lichen Vorstellungen von Tod und Sterben im Ver-hältnis zum Leben.Schließlich sollten die wichtigen Rituale und Bräu-che um das Sterben, den Tod, die Beerdigung oderVerbrennung sowie das Trauern zum Thema ge-macht werden. Konkret bedeutet dies zum Beispielin stationären Alteneinrichtungen: Welche Symbo-le hat man auf der Station? Es soll ersichtlich wer-

MEN

SCH

EN M

IT M

IGRA

TIO

NSH

INTE

RG

RU

ND

S C H W E R P U N K T

Hospiz-Dialog NRW - April 2009/3916

2 Abgeleitet von Ronald Barrett: „Recommendations forCulturally Competent End-of-Life Care“

d) Man fühlt sich mit kultureller Differenz und anderen Herangehensweisen in der Sterbebe-gleitung und im Umgang mit dem Tod wohl.Interkulturelles Wissen kann die eigenen Fä-higkeiten und auch Glaubwürdigkeit als Profi inder Sterbegleitung erweitern.

e) Keine kulturelle Festlegung: Wichtiger als die„kulturelle Kongruenz“ zwischen Begleiterinund Sterbendem können Empathie, passenderStil in der persönlichen Interaktion und Glaub-würdigkeit sein. Ein Wechsel des Begleiters/derBegleiterin kann deswegen angesagt (und keineSchande) sein.

f) Zur Kulturkompetenz gehört Bewusstsein überdie Strukturen: Mangelhafter Versicherungs-schutz, fehlende „Institutionskunde“, sozial -ökonomische Benachteiligung, kulturelles Misstrauen und eine tiefe Ambivalenz hinsicht-lich der schweren Krankheit, des Sterbeprozes-ses und des Todes in Deutschland können alleFaktoren sein, welche die Wahlfreiheit und die

Haltung der Migranten in der letzten Lebens-phase beeinflussen/ beeinträchtigen. Dieses Bewusstsein hilft, dem Opfer weniger die„Schuld“ für ein schwieriges Verhalten in man-chen Situationen zu geben.

Dr. Philip AndersonProfessor für Soziale Arbeit

Hochschule RegensburgSeybothstraße 2

93053 RegensburgE-Mail: philip.anderson@

soz.fh-regensburg.de

LiteraturAnderson, Philip (2008): „Ein bisschen dort, ein bisschen

hier“ – Konsequenzen der Landeshauptstadt München ausder Untersuchung von Dr. Philip Anderson zur Lebenssi-tuation älterer Migrantinnen und Migranten in München.Sozialreferat München.

S C H W E R P U N K T

Hospiz-Dialog NRW - April 2009/39 17

Seit dem Sommersemester 2004wird fortgeschrittenen Medizinstudie-renden an der Justus-Liebig-Univer-sität Gießen eine Lehrveranstaltungzum Thema ,Migrantenmedizin‘: In ter dis ziplinäre As pekte der medizinischen Versor-gung von Patienten mit Migrationshintergrund angeboten. Ziel dieses in jedem Semester von ca.10-15 Studierenden besuchten Wahlpflichtfachsist, die zukünftigen Ärztinnen und Ärzte auf dieZusammenarbeit mit Patienten mit einem für siehäufig „fremden“ sozialen, kulturellen, religiösenpersönlichen „Hintergrund“ vorzubereiten. Insbe-sondere geht es darum, Denk- und Handlungsan-regungen zu vermitteln, als Grundlage für eineinterkulturelle Kooperation jenseits von Stereo -typien über „Migranten“ allgemein oder über dieAngehörigen einzelner Migrantengruppen.

Wie können diese Inhalte gelehrt und gelernt wer-den? Aufgrund der Komplexität der Thematik istder Kurs interdisziplinär angelegt, das heißt mitklinisch-medizinischen Kurseinheiten (Innere Me-

dizin und Epidemiologie, Psychosomatik) und an-deren, in denen ethnologische und soziologischeGrundlagen behandelt werden. Außerdem erhaltendie Studierenden Basisinformationen über Themenwie Ausländerrecht, den Islam und die Bedeutungislamischer Glaubensprinzipien im Krankheitsfallund über die Arbeit mit Dolmetschern. Einblicke indie reale Lebenswelt von Migranten vermitteltschließlich eindrucksvoll ein Besuch der Sozial -arbeiterinnen im Migrationsdienst des lokalen Caritasverbandes. Auch die persönlichen Schilde-rungen der Studierenden, unter diesen manche miteigenem Migrationshintergrund, bereichern denKurs.

Eine zentrale Herausforderung ist stets, theoretischeEinsichten auch auf konkrete Fragen aus der Praxiszu übertragen. Denn ein Blick zum Beispiel auf die

Von der Theorie in die Praxis:„Der muslimische Patient“ als Thema in der medizinischen AusbildungMichael Knipper, Esra Soylu

18 Hospiz-Dialog NRW - April 2009/39

S C H W E R P U N K TM

ENSC

HEN

MIT

MIG

RA

TIO

NSH

INTE

RG

RU

ND

offizielle Definition des Begriffs „Migrationshin-tergrund“ durch das Statistische Bundesamt (2006)zeigt schnell, wie heterogen dieser etwa 19% der inDeutschland lebenden Menschen umfassende Be-völkerungsanteil ist, und dass die Grenze zwischen„Migrant“ und „Nicht-Migrant“ keineswegs ein-deutig definiert ist.

Auch die Tatsache, dass das Denken, Fühlen undHandeln eines Menschen – Migrant oder Nicht-Mi-grant – nicht Zeit seines Lebens allein durch dievermeintlich übermächtige „Kultur“ seiner Her-kunft „geprägt“ ist (gerade wenn eine Biographiesich über mehrere Länder erstreckt), erschließt sichüber gut gewählte Kasuistiken und Hintergrundin-formationen (Filme) relativ leicht. Auf der anderenSeite suggerieren konkrete Erlebnisse und Fallge-schichten aus dem Klinikalltag aber oft genau dasGegenteil: Schwer zugänglich erscheinende Patien-ten etwa mit türkisch-muslimischem Hintergrund,mit geringen Deutschkenntnissen und zahlreichenAngehörigen, die außerdem Verhaltensweisen zei-gen, die für das medizinische Personal teilweise nursehr schwer zu verstehen und zu akzeptieren sind.

Insbesondere ein Thema wird dabei immer wiedergenannt: Die Verweigerung einer offenen und di-rekten Befundmitteilung an einen schwer kranken,vielleicht sogar sterbenskranken Menschen. Hat dasetwas mit dem Islam zu tun oder mit „Tradition“?Spielen solche theoretischen Feinheiten in der Praxisüberhaupt eine Rolle oder sind sie rein akademisch?

Jeder Dozent wünscht sich, klare und praktikableAntworten und Handlungsanregungen vermitteln zukönnen. In interkulturellen Konfliktsituationen istdas aber seriös meist nicht möglich – erst recht nichtin solch komplexen Angelegenheiten wie bei derBegleitung schwer kranker oder sterbender Men-schen. Patentlösungen existieren nicht, und keineCheckliste über die „Kultur“ von Menschen ausverschiedenen Herkunftsländern kann hier helfen.Denn die konkrete Situation eines individuellen Patienten, seine Wertvorstellungen, Wünsche undZiele sind stets wesentlich vielschichtiger, selteneindeutig oder gar widerspruchsfrei und dem Ein-zelnen nie ganz bewusst. Jede Aktion, jedes Wort, je-der Wunsch und jede Verweigerung ist dabei stetsauch eine Art Reaktion, unterlegt mit vielfältigenErfahrungen (z.B. mit medizinischem Personalund/oder Angehörigen) und verbunden mit oftmalswiderstreitenden Gefühlen, Hoffnungen und Äng-

sten. Wie kann der Umgang mit derart komplexenSituationen gelehrt und gelernt werden?

Zwei Punkte werden in dem Lehrangebot an derUniversität Gießen dazu betont: Zum einen die Re-flexion über die eigenen Erwartungen und Vorstel-lungen (Vorurteile?) in Bezug auf Patienten, dieals „fremd“ empfunden werden, sowie über die ei-genen Denk- und „üblichen“ Handlungs- undKommunikationsweisen zum Beispiel im Kran-kenhaus: Stress und Zeitmangel sind Fakt, abersind die Grenzen tatsächlich so eng gesteckt, wiees oft wahrgenommen wird? Der zweite Punkt be-steht in der emphatisch fragenden Annäherung anden persönlichen Hintergrund des Patienten, ein-schließlich der sozialen, kulturellen und religiösenDimensionen. Der Hinweis auf Kultur und Reli-gion wird dabei jedoch nie als schnell verfügbareErklärung für ein als problematisch wahrgenom-menes Verhalten angesehen, sondern als Frage. AlsAnregung zum genaueren Hinsehen, behutsamenNachfragen und Umschauen, letzteres vor allemim Hinblick auf weitere Gesprächspartner und Hil-fe aus dem sozialen Umfeld des Betroffenen. Daskonkrete Ziel ist, die Fragen und Probleme mit Hil-fe des im Kurs erlernten Wissens einerseits, und ei-ner differenzierten Erfassung der individuellen Si-tuation andererseits im ganz persönlichen Kontextdes Patienten zu betrachten. Das Basiswissen in-formiert die Annäherung an das Individuum undregt zu geeigneten Fragen an, sowie zur Suche nachneuen Ansprechpartnern und Hilfe (Sozialarbeiter,Geistliche). Auch die Aussagen, Aktionen und Re-aktionen eines Patienten oder von Angehörigenkönnen vor einem breiteren Wissens- und schließ-lich auch Erfahrungshintergrund besser interpre-tiert werden.

Wichtig für Lehre, Fort- und Weiterbildung sowiefür die interkulturelle Öffnung von Institutionenist die Generierung von neuem Wissen. TiefereEinsichten werden benötigt, etwa in die soziokul-turellen Dimensionen von Leben, Krankheit undTod im Zusammenhang mit Migration. Eine lau-fende Doktorarbeit zur „Betreuung sterbenskran-ker türkischer Patienten“, die durch das Wahlfachangeregt worden ist, hat dazu bereits interessanteHinweise erbracht. Im Folgenden sollen einige zen-trale Punkte skizziert werden.

Im Rahmen des Dissertationsprojektes werdenMitarbeiterinnen von Hospizvereinen und Hospi-

19Hospiz-Dialog NRW - April 2009/39

S C H W E R P U N K TM

ENSC

HEN

MIT M

IGRA

TION

SHIN

TERG

RU

ND

In dieselbe Kategorie fällt auch die Krankenbe-treuung: Kranken und Sterbenden beizustehen undihnen Trost zu spenden ist für Moslems ebenfallseine religiös begründete und meist tief empfunde-ne Pflicht. Dies erklärt zum einen die große Be-deutung des Krankenbesuchs für die Angehörigenselbst und damit indirekt ihre vergleichsweise gro-ße Zahl am Krankenbett. Zum zweiten rührt ausdem profunden Bedürfnis, dem Kranken oder Ster-benden weiteres Leid zu ersparen und Trost zu geben, die Zurückhaltung gegenüber einer offenenund direkten Aussprache einer schlimmen Diag -nose oder infausten Prognose. Ein explizites Verboteiner Befundmitteilung existiert dagegen nicht.

Immer wieder stellt sich in der Praxis die Fragenach dem „Ob“, „Wann“ und vor allem „Wie“ ei-ner Übermittlung von schwerwiegenden Diagnosen.Viele Angehörigen bitten bekanntlich die Ärzte,dem Kranken nicht die direkte Wahrheit über Aus-maß und Prognose der Krankheit zu erläutern. DieInterviews betätigten diese Tendenz, und die mei-sten Gesprächspartner gaben an, als Betroffenenicht die genaue Prognose erfahren zu wollen. Diesist bei Menschen ohne türkisch-muslimischenHintergrund allerdings oft kaum anders. Die Inter-viewpartner gaben außerdem an, dass sie es eherablehnen würden, einem kranken oder sterbendenVerwandten seine Diagnose direkt mitzuteilen. ImGegensatz dazu fordert die Religion jedoch durch-aus eine vorsichtige, aber dennoch klare Ausspra-che, damit der Patient Angelegenheiten wie bei-spielsweise ein letztes Gespräch mit einerVertrauensperson, das Verfassen des Testamentesoder das Tilgen vorhandener Schulden organisierenkann. Wie kann von betreuender Seite mit dieserSituation umgegangen werden?

zen, ärztliches Personal, Sozialarbeiterinnen undSeelsorger (islamische sowie katholische und evan-gelische Geistliche, in der Regel Krankenhaus-seelsorger), aber vor allem in Deutschland leben-de, türkischstämmige Moslems befragt. In denInterviews zeigt sich zunächst sehr deutlich, wieheterogen die türkischstämmige Bevölkerung inDeutschland ist, und zwar weit über das Kriteriumder Religiosität (mit den Extrempolen „streng re-ligiös“ und „laizistisch“) hinaus. Jedes Individu-um hat seine eigene Geschichte, Persönlichkeit undWeltanschauung. Gerade in religiösen Fragen ist esim Islam ja letztendlich der individuellen Ent-scheidung und dem Gewissen des Einzelnen über-lassen, wie sie oder er sich in einer konkreten Situation entscheidet.

Wichtige religiöse Prinzipien des Islam, die beiKrankheit, Sterben und Tod eine Rolle spielen, sindfolgende: Zunächst ist festzuhalten, dass nach islamischer Auffassung der Mensch seinen Körpervon Gott als Gabe erhalten hat, „zur Bewahrungund zum Nießbrauch“ (Ilkilic 2002: 36). DerMensch ist nicht alleiniger „Herr“ über seinenKörper, sondern verantwortlich gegenüber Allah.Im Krankheitsfall ist es daher nachgerade ver-pflichtend, ihn medizinischer Versorgung zuzufüh-ren. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ist dievon Islamexperten oft betonte Grundregel zu ver-stehen, dass bei Konflikten zwischen religiösenPrinzipien auf der einen und medizinisch gebotenenHandlungen auf der anderen Seite „im Notfall dasVerbotene erlaubt“ sei. Dies kann die Einnahme vonalkoholhaltigen Medikamenten ebenso umfassenwie den Verzicht auf das Fasten im Ramadan. Soweit die – sicher sehr hilfreiche – Theorie. Man-che Moslems möchten aber dennoch im Krank-heitsfall fasten oder auf Medikamente mit alkoho-lischen oder anderen im Normalfall verbotenenInhaltsstoffen verzichten. Weshalb?

Das zu den Grundsäulen des Islam gehörendePflichtgebet verdeutlicht beispielhaft die Bedeu-tung religiöser Handlungen im Alltag. Es dient ei-nem praktizierenden Muslim als Ruhepol und alsWeg zur regelmäßigen Kommunikation mit Allah.Der Verzicht auf diesen, einen so hohen subjekti-ven Stellenwert besitzenden Lebensbestandteil wä-re gerade in Zeiten gesteigerter Religiosität undGottesdemut ein großer Verlust an Lebensqualität.Ähnliches gilt für das Fasten im Ramadan und an-dere religiöse Verpflichtungen.

Michael Knipper, Esra Soylu

MEN

SCH

EN M

IT M

IGRA

TIO

NSH

INTE

RG

RU

ND

Wie sieht es nun generell mit der Betreuung durchImame aus? Möchten türkisch-muslimische Pa-tienten, dass ein Imam ähnlich einem Pfarrer odereiner Ordensschwester zu regelmäßigen Besuchenkommt? Überraschenderweise stellte sich bei vie-len Gesprächen heraus, dass selbst sehr religiösePatienten nicht möchten, dass ein Imam sie wäh-rend der Krankheitsphase besucht. Der Grund istoffenbar, dass der Besuch des Imam mit der fina-len Todesphase assoziiert wird. Der gut gemeinteHinweis auf die Möglichkeit, einen Imam ansKrankenbett zu bitten, kann also durchaus als be-ängstigend empfunden werden, vor allem wennnoch deutliche Unklarheiten über Diagnose undPrognose im Raum stehen. Allerdings gibt es an-dere Patienten, die auf die Gutmütigkeit Allahs undihre richtige Lebensweise im Diesseits vertrauenund keine Angst vor ihrem Ableben zu haben schei-nen, und so auch die Betreuung durch einen Imamstets willkommen heißen.

Ein anderer, nicht religiös begründeter Gesichts-punkt ist das zum Teil sehr stark ausgeprägteSchamgefühl vor allem dem jeweils anderen Ge-schlecht gegenüber. Dabei ist selbst unter konser-vativ erscheinenden muslimischen Frauen einestarke Variationsbreite anzutreffen, von der älte-ren, traditioneller erzogenen Dame, die es Über-windung kostet, einem männlichen Arzt die Handzu schütteln, bis hin zu ebenfalls bekennend reli-giösen Frauen, die eher eine Unterlassung des Hän-dedrucks als Beleidigung auffassen würden. Auchhier ist also ein behutsames, respektvolles und dasGegenüber als Individuum wahrnehmendes Vor-gehen angebracht. Niemand ist in seinem Fühlen,Denken und Handeln allein und konstant durch sei-ne religiöses Bekenntnis oder gar die Herkunft(oder die der Eltern und/oder Großeltern) determi-niert – „Migranten“ ebenso wenig wie Menschen,denen nach den aktuell gängigen Maßstäben keinMigrationshintergrund zugeschrieben wird.

Dr. med. Michael Knipper cand. med. Esra Soylu

Institut für Geschichte der Medizin der Justus-Liebig-Universität Gießen

Iheringstr. 6, 35392 Gießen E-Mail:

[email protected]

Die Autoren sind dankbar für Kommentare undAnregungen zu diesem Text und der Thematik!

Ein türkischstämmiger Arzt wies darauf hin, das essicht nicht um eine schlichte „Ja/Nein“-Situationhandelt, und zum Beispiel über die genauen Inhal-te der Befundmitteilung große Handlungsspielräu-me eröffnet werden können. Er selbst versuche inden Fällen, wo nicht der explizite Wunsch zur ge-nauen Aufklärung geäußert würde, dem Patienteneher indirekt die Tragweite der Situation deutlichzu machen. Er teile ihm mit, dass er an einer ern-sten Krankheit leide, versuche jedoch Worte wie„Krebs“ oder „Metastasen“ zu vermeiden. Ein an-derer Arzt, ebenfalls türkischer Abstammung undseit mehr als 20 Jahren in Deutschland tätig, brach-te seine Vorbehalte gegenüber einer klaren Be-fundmitteilung im Gespräch mit einem deutschenKollegen folgendermaßen auf den Punkt: „Wir ma-chen das nicht so wie Ihr“. Erläuternd fügt er hin-zu, dass er die Befundmitteilung durch deutscheÄrzte oft als schroff und für die Patienten trauma-tisierend erlebt habe und dass dies abschreckendsei – für ihn wie für in Deutschland lebende Men-schen mit türkischem Familienhintergrund allge-mein.

In größeren Familienverbänden besteht außerdemoft die Möglichkeit, einen geeigneten Ansprech-partner zu finden, mit dem eine vertrauensvolleKommunikationsebene aufgebaut werden kann.Als Handlungsoptionen im konkreten Einzelfallbietet es sich also an, sowohl im Hinblick auf dieWortwahl, als auch auf die Kommunikationspart-ner und mögliche Kommunikationsmittler, nachangepassten und möglicherweise indirekten Wegenzu suchen.

Wichtige Ansprechpartner für muslimische Pa-tienten sind außerdem Geistliche. Gerade im An-gesicht von Krankheit und Tod ändert sich das Ver-hältnis zu Religion und Spiritualität. Oft gewinnensie an Gewicht, und auch das ist ein vom Migra-tionshintergrund oder dem konkreten Bekenntnisweitgehend unabhängiges Phänomen. Bei denInterviews mit islamischen Informanten zu ihrenWünschen und Bedürfnissen am Lebensende ver-festigte sich dabei der Eindruck, dass sowohl beireligiösen als auch bei nicht sehr religiös gepräg-ten Muslimen der dringende Wunsch nach Koran-Rezitationen besteht. Ferner besteht ein starkes Be-dürfnis nach wiederholten Rezitationen desGlaubensbekenntnisses durch einen Imam, um aufdie Reise ins Jenseits vorbereitet zu sein.

S C H W E R P U N K T

Hospiz-Dialog NRW - April 2009/3920

MEN

SCH

EN M

IT MIG

RA

TION

SHIN

TERG

RU

ND

Knipper, Michael und Ahmet Akinci (2005): Wahlfach „Mi-grantenmedizin“ – Interdisziplinäre Aspekte der medizi-nischen Versorgung von Patienten mit Migrationshinter-grund: Das erste reguläre Lehrangebot zum Thema„Medizin und ethnisch-kulturelle Vielfalt“ in Deutschland.In: GMS Zeitschrift für Medizinische Ausbildung 22(4)(Doc215).

Wunn, Ina (2006): Muslimische Patienten. Chancen undGrenzen religionsspezifischer Pflege. Stuttgart: Kohl-hammer.

Literaturempfehlungen

Dreißig, Verena (2005): Interkulturelle Kommunikation imKrankenhaus. Eine Studie zur Interaktion zwischen Kli-nikpersonal und Patienten mit Migrationshintergrund. Bie-lefeld: transkript

Ilkilic, Ilhan (2002): Der muslimische Patient. MedizinischeAspekte des muslimischen Krankheitsverständnisses ineiner wertpluralen Gesellschaft. Münster: LIT.

Knecht, Michi (2008): Jenseits von Kultur: Sozialanthropo-logische Perspektiven auf Diversität, Handlungsfähigkeitund Ethik im Umgang mit Patientenverfügungen. In: Ethikin der Medizin 20(3), S. 169-180.

S C H W E R P U N K T

Hospiz-Dialog NRW - April 2009/39 21

Arbeiterwohlfahrt Unterbezirk Gelsen-kirchen-Bottrop im Internationalen Migrantenzentrum bietet mit ihrem Demenz-Servicezentrum für Menschenmit Zuwanderungsgeschichte einen landesweit einzigartigen Service.

Dementiell erkrankte Migranten – eine bishervernachlässigte Gruppe

Viele kamen als Gastarbeiter ab den 1960er Jahrennach Deutschland. Ihr Ziel war es, in der FremdeGeld zu verdienen, um sichein besseres Leben in derHeimat aufzubauen. Nur we-nige wollten für immer inDeutschland bleiben. Ihre Kinder und Enkelkinderfühlen sich hier zu Hause.Gesundheitsversorgung ist inderen Heimatländern nicht sogegeben wie in Deutschland.Ca. 80% der älteren Arbeits-migranten werden ihren drit-ten Lebensabschnitt in Deutschland verbringenbzw. zwischen Herkunftsland und Deutschland hinund her pendeln.Im Jahr 2005 lebten fast 7 Millionen Menschenmit Zuwanderungsgeschichte in Deutschland. Vie-le von ihnen haben inzwischen bereits das siebzig-ste Lebensjahr erreicht. Demnach ist eine großeGruppe von ihnen ebenso von Demenz -Erkran-kungen betroffen, wie deutsche Einheimische imgleichen Alter.

Bisher fehlten in Deutschland Infrastrukturen zurAufklärung und Beratung dieser Gruppe. Solchefehlen meist auch im Herkunftsland, so dass manauch deshalb kaum auf vorhandene Erfahrungenund Materialien zurückgreifen kann.Die betroffenen Familien sind oftmals hin und hergerissen, hier in Deutschland nach Notlösungen zusuchen oder die erkrankte Person doch in die Hei-

mat zurück zu bringen. Dazufolgendes Beispiel der Toch-ter einer dementiell erkrank-ten, 54 Jahre alten türkischenFrau, die nach einer Odysseedurch mehrere Krankenhäu-ser und verschiedene Psychi-atrien in Wuppertal unterge-bracht ist.

„..die Krankheit schreitet beimeiner Mutter sehr schnell

fort. Die Ärzte sagen, sie befindet sich im mittlerenStadium einer Demenz und braucht rund um dieUhr Betreuung. Sie ist sehr gewalttätig und ag-gressiv geworden. Deswegen wurde sie zuletzt auseinem Krankenhaus in die psychiatrische Abtei-lung eines anderen Krankenhauses verlegt. Als mandort merkte, dass meine Mutter auch hier fehlplat-ziert war, habe ich einen Platz in einem Altenheimgesucht. Ich werde am 24.03. in die Türkei fliegenund mir in Mersin schon mal die Heime ansehen.Ich weiß, dass ich sie auf keinen Fall zurückholenwerde. Ich habe einen Beitrag im Internet gelesen,der hieß

Yalniz Degilsiniz! – Du bist nicht allein!Bedia Torun

Anmerkung: Unter Migranten verstehen wir männliche undweibliche Menschen mit Zuwanderungsgeschichte.

MEN

SCH

EN M

IT M

IGRA

TIO

NSH

INTE

RG

RU

ND

S C H W E R P U N K T

Hospiz-Dialog NRW - April 2009/3922

„Lieber eine Knoblauchsuppe in der Heimat als ein Kaninchen in einem deutschen Altenheim“

Ich wusste nicht ob ich lachen oder weinen sollte.Meine Schmerzgrenze ist erreicht. Es wird in derTürkei nicht besser und nicht schlechter sein. Machen Sie sich keine Sorgen um mich. Ich werdedas jetzt durchhalten, auch wenn ich immer ver-bitterter werde – diese Phase wird vorüber gehen.Vielleicht bin ich ja sogar froh, dass ich nie wissenwerde, was meine Mutter mitbekommt, fühlt unddenkt. Ich werde es nie wissen. Alles andere können wir am Donnerstag im Bürobesprechen. Selamlar“

Dieser erschütternder Fall erreichte die Fachstelleim März 2004 und die darin geschilderte Situationstellt leider keinen Einzelfall dar.Wir stießen zum Beispiel oft auf das Vorurteil, De-menz sei eine ansteckende und erbliche Krankheit,so dass man diese Menschen verstecken und sichfür sie schämen müsse. Oder aber es wird verbrei-tet, diesen Menschen sei nicht zu helfen, weil sievon Gott oder Allah mit der Krankheit gestraft wor-den seien. Wir erfahren, wie sehr der Rollenverlustdes von der Erkrankung Betroffenen und Scham-gefühle den Zugang zu Familien erschwerten.

Die Fachstelle Demenz & Migration stellt sich die-ser Herausforderung mit drei Hauptthemenberei-chen und versucht dem Bedarf dieser vernachläs-sigten Gruppe gerecht zu werden.

Anlauf-, Clearing-, Informations- und Vermitt-lungsstelle Wir beraten Institutionen und Einrichtungen ins-besondere der gesundheitlichen Versorgung. Rat-suchende Betroffene und ihre Familienangehöri-gen werden nach Bedarf an geeignete Stellen wieTherapeuten, Ärzte oder z.B. Wohnberatungsstel-len vermittelt. Wir entwickeln fortlaufend Informations- und Auf-klärungsmaterialien sowie Materialien zur Be-schäftigung und Therapie erkrankter Menschen mitZuwanderungsgeschichte.

Sensibilisierung der Akteure in Gesundheits-wesen und AltenhilfeDes Weiteren setzt sich die Fachstelle Demenz undMigration das Ziel, Mitarbeiter von Institutionenund Einrichtungen des Gesundheitswesens und derAltenhilfe für die kulturellen, religiösen und sozi-alen Besonderheiten der betroffenen Migranten zu

sensibilisieren und ihnen interkulturelle Orientie-rung zu vermitteln.In Informations- und Aufklärungsveranstaltungen,die wir in unterschiedlichen Sprachen in Koopera-tion mit Migrantenselbstorganisationen in Mo-scheen, Vereinen und an anderen Orten durchfüh-ren, stellen wir diese Materialien vor bzw. weisenin deren Gebrauch ein.

ProduktentwicklungDie Fachstelle hat bisher folgende Produkte zur In-formation, Beschäftigung und Therapie entwickelt:

Faltblatt zur Vorstellung des Projektsmit Informationen über die Fachstelle in Türkisch,Serbokroatisch, Polnisch und Russisch und über er-ste Warnzeichen zur Früherkennung von Demenz.

Positionen zu Testverfahren beidementiellen Erkrankung vonMigrantinnen und Migranten Unsere Erfahrungen haben ge-zeigt, dass Testverfahren, diezur Diagnostik von Demenzer-krankungen bei deutschen Pa-tienten entwickelt wurden,

nicht ohne Weiteres durch bloße Übersetzung aufMigranten zu übertragen sind. In einer umfangrei-chen Stellungnahme zu diesem Thema regen wirdie kulturadäquate Modifikation entsprechenderTestverfahren an.

DVD „Du bistnicht allein“Die Filme infor-mieren Betroffenebzw. Fachkreiseund andere Interes-sierte über die Alz-

heimer-Krankheit, deren Symptome und die Mög-lichkeiten der Behandlung. Außerdem wollen siezur Selbsthilfe und zur Organisation in Selbsthil-fegruppen ermutigen. Sie sind in türkischsprachigmit deutschen Untertiteln.

Der Ratgeber „Yaslilik ElKitabi“ (Handbuch Altern)informiert in türkischer Spra-che und angepasst an die Le-benssituation aus der Türkeistammender Migranten hierüber das Altwerden, über Er-

MEN

SCH

EN M

IT MIG

RA

TION

SHIN

TERG

RU

ND

Musik-CD „Bir Demet Türkü“(Ein Strauß Volkslieder)Das „musikalische Gedächtnis“ist häufig länger erhalten als dasFaktengedächtnis; das Anhörender CD ermöglicht das Wieder-

erkennen und weckt Freude. Es regt an zum Mit-singen und eröffnet Gesprächsansätze.

Bedia Torun Internationales Migrantenzentrum

Paulstr. 445889 Gelsenkirchen

Tel.: 02 09 - 6 04 83 [email protected]

Alle Veröffentlichungen sind gegen Gebühr überfolgende Adresse zu beziehen:AWO Bezirk westliches Westfalen e.V.Kronenstr.63, 44139 DortmundTelefon: 02 31 - 5 48 32 [email protected]

krankungen des Alters, über Pflege- und Versor-gungsmöglichkeiten in- und außerhalb der Familie,über Leistungsansprüche usw.

Die Broschüre „Plötzlich hatmein Vater mich nicht mehr er-kannt“ informiert unter Berük-ksichtigung der besonderen Le-benssituation betroffenerMigranten über erste Anzeichenund weitere Aspekte von De-menzerkrankungen. Er enthältaußerdem Tipps zum Umgang

mit Demenzkranken, zu Unterstützungs- und Be-ratungsmöglichkeiten und Hinweise zu Leistungs-ansprüchen.

Sogenannte Erinne-rungskarten dienendem Gedächtnistrai-ning bei Demenzkran-ken, indem unvollstän-dige Sprichwörtererinnert und vervoll-ständigt werden sol-

len. Erinnerungskarten sind bisher in Türkisch,Russisch und Polnisch mit deutscher Übersetzungverfügbar.

S C H W E R P U N K T

Hospiz-Dialog NRW - April 2009/39 23

24 Hospiz-Dialog NRW - April 2009/39

S C H W E R P U N K TM

ENSC

HEN

MIT

MIG

RA

TIO

NSH

INTE

RG

RU

ND

Aufgrund der Tatsache, dass imBundesland Nordrhein-Westfalen

ca. ein Drittel der Bewohnerinnen undBewohner einen Migrationshinter-grund in ihrer Biografie aufweisen,war es aus unserer Sicht eine interes-sante Frage, ob der Bedarf dieser Bevölkerungsgruppe an Unterstützungim hospizlich palliativen Bereich demder Bevölkerungsgruppe ohne Migra-tionshintergrund entspricht und ob derZugang dieser Menschen zu den

hospizlich palliativen Versorgungsleistungen gewährleistet ist.

In NRW leben ca. zwei Millionen Menschen ohnedeutsche Staatsbürgerschaft. Dies entspricht einemAusländeranteil von etwa 11% an der Gesamtbevöl-kerung in NRW. Jedoch ist es in diesem Zusammen-hang nicht ausreichend, ausschließlich den anhandder Staatsbürgerschaft erfassbaren Ausländeranteilin die Überlegungen der Inanspruchnahme dieserDienstleistungen mit einzubeziehen. So bliebe damitdie Gruppe der Spätaussiedler, die auch von migra-tionsspezifischen Problemlagen betroffen ist, sowiedie durch Einbürgerung nicht mehr in ausländersta-tistischen Daten geführte Gruppe „eingebürgerterAusländer“ völlig unberücksichtigt. Um dem ent-gegenzuwirken und da der ausländerrechtliche Sta-tus nicht als alleiniger Faktor der Inanspruchnahmevon medizinisch pflegerischen bzw. hospizlich pal-liativen Dienstleistungen angesehen wird, schautenwir in den zwei entwickelten Projekten auf die Men-schen, die einen Migrationshintergrund aufweisenbzw. biografisch eine Zuwanderungsgeschichte vor-weisen, was in NRW ca. einem Drittel der Gesamt-bevölkerung entspricht.

Mit dem demographischen Wandel, der die Grup-pe der älteren Menschen in Deutschland stark an-wachsen lässt, ändern sich auch wesentliche Fak-toren der Lebenszusammenhänge und damit auchder Situationen, in denen die Menschen sterben.Dies gilt für alle Bevölkerungsgruppen gleicher-

maßen, jedoch stellt sich die Situationder Migrantinnen und Migranten fol-gendermaßen dar: Das Durchschnitts-alter dieser Gruppe ist niedriger als dasder Einheimischen. Aber es ist auch

hier ein deutliches Ansteigen des Durchschnittsal-ters in den nächsten Jahren erkennbar, was das The-ma der hos pizlichen Versorgung am Lebensendeauch dieser Bevölkerungsgruppe in den Vorder-grund treten lässt. Des Weiteren scheinen die fa-milialen Versorgungsstrukturen hier noch in einemhohen Maß als tragender Baustein für eine ambu-lante Versorgung der betroffenen Menschen zuHause vorhanden zu sein. Allerdings ist auch hierdavon auszugehen, dass – aufgrund der stetig stei-genden Erwerbstätigkeit der Frauen sowie der mitdem Arbeitsleben verbundenen oft notwendigenMobilität – diese Bevölkerungsgruppe ebenfallsdurch einen steigenden Unterstützungsbedarf inden nächsten Jahren vor allem in der ambulantenVersorgung gekennzeichnet ist.

Somit entstanden zwei aufeinander folgende Pro-jekte, die sich mit dem Thema der hospizlich pal-liativen Versorgung der Bevölkerungsgruppe mitMigrationshintergrund befassten. Im Rahmen derallgemeinen gesundheitlichen Versorgung gibt esklare Anhaltspunkte, die deutlich erkennen lassen,dass der Zugang der MigrantInnen zu den vorhan-denen medizinischen Versorgungsstrukturen sehrviel schwieriger ist als bei der einheimischen Be-völkerung ohne Migrationshintergrund. So berich-ten Ärzte in unterschiedlichen Versorgungsstruk-turen und verschiedenen medizinischen Bereichenimmer wieder von sprachlichen und kulturellenVerständigungsschwierigkeiten. Wobei die Ver-ständigung häufig nicht einmal in erster Linie ander Sprache scheitert. Vielmehr scheint zum einendas nur schwer erkennbare und schwer zugänglicheGesundheitswissen der Patientinnen und Patientenmit Migrationshintergrund und zum anderen dieErwartung an das ärztliche Handeln als Grund fürdie schwierig zu gestaltende Verständigung aus-schlaggebend zu sein (Brucks; Wahl 2003). Hierkam die Frage auf, inwiefern sich diese Erkennt-nisse auf den Bereich der hospizlich palliativenVersorgung übertragen lassen.

Hospiz- und Palliativarbeit für Menschen mit Migrationshintergrund

Daniela Grammatico

Daniela Grammatico

25Hospiz-Dialog NRW - April 2009/39

S C H W E R P U N K T

So entstand zunächst ein Projekt zu der Fragestel-lung, welche Bedeutung bzw. welchen StellenplatzMenschen, die biographisch einen Migrationshin-tergrund aufweisen, in der hospizlich palliativenVersorgungslandschaft einnehmen.

Hierzu wurden Interviews geführt und anschließendausgewertet, die sich zum einen mit der Fragestellungder Inanspruchnahme befassten und zum anderenmit dem Bedarf dieser Bevölkerungsgruppe. Zu-nächst gilt es in diesem Zusammenhang darauf hin-zuweisen, dass es weder ethnisch noch Nationalitä-ten spezifische homogene Bevölkerungsgruppengibt. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Mi-grantinnen und Migranten liegen eher in der Zuge-hörigkeit zu den differenzierten sozialen Milieus alsin ihrer ethnischen Herkunft. Bei einer näheren Be-trachtung ergibt sich somit das Bild einer sehr hetero-genen Zusammensetzung der Migranten und diesnicht nur zwischen den einzelnen Gruppen, sondernauch innerhalb der Migrantengruppen. Dies stellt ei-ne Studie aus dem Jahr 2007 durchgeführt vom Hei-delberger Politik- und Marktforschungsinstitut SinusSociovision zum Thema „Migranten-Milieus“ de-tailliert dar.

Ein wichtiges Ergebnis des ersten Projektes ließ ei-nen deutlichen Unterschied zwischen der relativhohen Inanspruchnahme der hospizlich und palli-ativen Unterstützungsleistungen der verschiedenenVersorgungsstrukturen für Kinder (ambulant undstationär) und der sehr geringen bis Nicht-Inan-spruchnahme palliativer aber vor allem hospiz-licher Hilfen für Erwachsene erkennen. Am ge-ringsten ist die Inanspruchnahme hospizlicherpsychosozialer Unterstützungsleistungen für Er-wachsene mit Migrationshintergrund. Daraus ließsich die Hypothese ableiten, dass es für diese Be-völkerungsgruppe keinen Bedarf an ambulanterhospizlicher Unterstützung gibt. Mit der Durch-führung weiterer Interviews mit betroffenen Ange-hörigen wurde erkennbar, dass – hingegen der all-gemeinen Annahmen – doch auch für diese Gruppeein Bedarf an hospizlicher Versorgung besteht, die-ser jedoch aus unterschiedlichen Gründen nicht ge-deckt wird.

Zum Einen haben die Betroffenen nur geringeKenntnisse über diesbezügliche vorhandene Ange-bote und Strukturen und sind im Allgemeinen eherzurückhaltend bei der Inanspruchnahme institutio-neller Unterstützung. Zum anderen sind es Sprach-

probleme, die vor allem Migrantinnen und Mi-granten der ersten Generation betreffen, und einehäufig anzutreffende eher schlechte sozio-ökono-mische Situation, die die Inanspruchnahme ho-spizlich palliativer Versorgungsdienste für Er-wachsene durch Migrantinnen und Migrantenbeeinflussen.

Einen weiteren wichtigen Aspekt stellt der Um-stand dar, dass es innerhalb einzelner Migranten-gruppen kaum Nachahmungsbeispiele gibt, denenman in ähnlich gelagerten Situationen eventuellfolgen könnte.

Dies führte zu unserem zweiten Projekt, das sichmit dem Thema der interkulturellen Orientierunginnerhalb der hospizlich palliativen Versorgungs-strukturen befasste. Das Ziel muss es sein, den Zu-gang zu den vorhandenen Versorgungsleistungenfür die Bevölkerungsgruppe mit Migrationshinter-grund in der Form zu erleichtern, dass diesem Be-darf in adäquater Weise begegnet werden kann.Dem entsprechend wurde in diesem zweiten Pro-jekt ein Leitfaden entwickelt, der den Mitarbeite -rinnen und Mitarbeitern der hospizlich palliativenDienste eine Hilfe geben soll, um eine „Interkul-turelle Orientierung“ in ihren Organisationen undDiensten einleiten zu können. Es gibt bereits vielesogenannte „Checklisten“ über die einzelnen unter-schiedlichen religiösen Hintergründe. Es ist ausunserer Sicht jedoch nicht ausreichend, sich nurmit diesen zu beschäftigen, sondern es muss – umden Prozess der Interkulturellen Öffnung erfolg-reich gestalten zu können – eine Auseinanderset-zung mit dem eigenen Fremdheitsgefühl und dendamit verbundenen Auswirkungen auf das metho-dische und organisatorische Vorgehen statt finden.

Daniela GrammaticoBüchnerstraße 20

40721 HildenE-Mail: [email protected]

MEN

SCH

EN M

IT MIG

RA

TION

SHIN

TERG

RU

ND

Veröffentlichungen

Kumbier, Dagmar; Schulz von Thun,FriedemannInterkulturelle Kommunikation:Methoden, Modelle, BeispieleRowohlt Verlag 2006€ 9,95

Das Wissen um die Existenz kulturel-ler Unterschiede und die damit ver-bundenen Konflikte sind wichtigeFaktoren für das Gelingen mensch-licher Kommunikation. In dem Buch

von Dagmar Kumbier und Friedemann Schulz vonThun wird anhand von Beiträgen und Beispielenaus unterschiedlichen Praxisfeldern gezeigt, wieSchwierigkeiten der interkulturellen Kommunika-tion analysiert und gelöst werden können. Multi-kulturelle Vielfalt kann eine große Bereicherungsein, wenn es gelingt, sie in das eigene Selbstkon-zept zu integrieren.

Radice von Wogau, Janine; Eimerma-cher, Hanna; Lanfranchi, Andrea(Hrsg.)Therapie und Beratung von Migranten. Systemisch-interkulturell denken undhandelnBeltz PVU 2004€ 24,95Das vorliegende Buch ist an all jenegerichtet, die haupt- oder ehrenamt-

lich im therapeutischen, medizinischen oder sozi-alen Bereich mit Menschen mit Migrationshinter-grund arbeiten. Im Zentrum steht eine Synthesevon systemischem Denken und interkulturellemHandlungsansatz.Der erste Teil beschäftigt sich mit Überlegungenund Grundsatzfragen zu Migration, Kultur undPers pektiven auf das, was systemisch hilfreich seinkönnte bei der Konzeptualisierung von Arbeit mitMigrantinnen und Migranten. Der zweite Teil widmet sich der Praxis. Beiträgeverschiedener Autoren geben Einblick in deren the-rapeutische, medizinische und sozialtherapeutischeArbeit. Viele methodisch-didaktische Hinweiseund Beispiele sollen motivieren, sich der Thematikzu öffnen und in die eigene Arbeit zu integrieren.

Zimmermann, EmilKulturelle Missverständnisse inder MedizinAusländische Patienten besser versorgenVerlag Hans Huber 2000€ 19,95

Die unterschiedlichen Vorstellungenvon Krankheitsursachen, den Wir-kungen und Therapien von Krank-heiten sowie das unterschiedliche Krankheitserle-ben und -äußern führen immer wieder zuMissverständnissen in der pflegerischen und me-dizinischen Versorgung von Menschen mit Migra-tionshintergrund. Die Verhaltensdiskrepanzenmüssen nicht zwangsläufig zu Konflikten führen,wenn man die soziokulturellen Hintergründe kennt,die diese Verhaltensweisen bedingen. Die Kenntnisder Konfliktpotenziale und die Darstellung vonVermeidungsstrategien sollen zu einem besserengegenseitigen Verständnis und zur besseren Ko-operation beitragen. Ebenso möchte der Autor zurÜberprüfung der eigenen Einstellungen zu Krank-heiten und Kranksein und somit auch zu Behand-lung und Pflege anregen.

Grammatico, DanielaHospiz- und Palliativarbeit fürMenschen mit Migrationshinter-grund Hrsg. ALPHA-Westfalen 2008kostenfrei zu beziehen unter: [email protected]

Es zeigt sich immer wieder, dasspalliative und hospizliche Angebotevon Menschen mit Migrationshin-tergrund wenig wahr- und in Anspruch genommenwerden. Eine genauere Betrachtung der Hinter-gründe macht deutlich, dass die Auseinanderset-zung mit diesem Thema von beiden Seiten erfolgenmuss. Mit dieser Broschüre sollen Mitarbeiter undMitarbeiterinnen palliativer und hospizlicher Ein-richtungen motiviert werden, sich mit diesem The-ma zu beschäftigen und damit eine weitere gegen-seitige Annäherung zu ermöglichen.

I N F O R M A T I O N

Hospiz-Dialog NRW - April 2009/3926

28.-29.04.2009 BielefeldMit Abschieden leben -Unterstützung für Menschen mit geistigerBehinderungBildung & Beratung BethelTel.: 05 21 - 1 44 57 70E-Mail: [email protected]

01.-03.05.2009 Oer- ErkenschwickBasiskurs Klangmassage IAPPH RuhrgebietTel.: 0 23 23 - 4 98 26 01E-Mail: [email protected]

07.-10.05.2009 11. WienKongress der European Association for Palliative CareEAPC European Association for PalliativeCare Tel.: 0 89 - 54 82 34 48E-Mail: [email protected] www.eapcnet.org/Vienna2009

08.-09.05.2008 GüterslohEinführung in die Palliative Geriatrie. Ele-mente einer Abschiedskultur im Altenheim Bildungswerk Hospiz- & Palliativ-medizinam Städt. KrankenhausTel.: 0 52 41 - 90 59 84www.hospiz-und-palliativmedizin.de

11.-12.05.2009 PetershagenDemenziell erkrankte Menschen begleitenHVHS Alte Molkerei FrilleTel.: 0 57 02 - 97 71E-Mail: [email protected]

Veranstaltungen

15.-16.05.2009 5. BerlinBundesweite Fachtagung Palliative Care –Mensch Macht MaschineWannsee-AkademieTel.: 0 30 - 80 68 60 20www.wannseeakademie.de

06.-07.06.2009 WuppertalHospizlichkeit in der Hebammenpraxis undGeburtshilfeAkademie für GesundheitsberufeDietrich-Oppenberg-AkademieTel.: 02 02 - 2 99 37 11E-Mail: [email protected]

18.-19.06.2009 GüterslohWenn du kannst, hilf mir aus deiner Fülle;wenn nicht, schone dichBildungswerk Hospiz- & Palliativmedizinam Städt. KrankenhausTel.: 0 52 41 - 90 59 84www.hospiz-und-palliativmedizin.de

19.-21.06.2009 BingenSternenkinder – Ein anderer Umgang mitSterben, Tod und Trauer bei Fehlgeburt, Tot-geburt und NeugeborenentodIGSL Hospiz BildungswerkTel.: 0 67 21 - 1 03 18www.igsl.de

I N F O R M A T I O N

Hospiz-Dialog NRW - April 2009/39 27

Vorankündigung:„Ist der Hospizgedanke in der palliativen Versorgung angekommen?“Fachtagung der Wohlfahrtsverbände NRW, des Hospiz- und PalliativVerbandes NRW und der ALPHA-Stellen21.10.2009, Dortmund – WestfalenhallenAlle hospizlich und palliativ aktiven und interessierten Einrichtungen in NRW erhaltenvor den Sommerferien Einladungen und nähere Informationen.

ALPHA-WestfalenFriedrich-Ebert-Straße 157-159 48153 MünsterTel.: 02 51 - 23 08 48Fax: 02 51 - 23 65 76E-Mail: [email protected]: www.alpha-nrw.de

ALPHA-RheinlandVon-Hompesch-Straße 153123 BonnTel.: 02 28 - 74 65 47Fax: 02 28 - 64 18 41E-Mail: [email protected]: www.alpha-nrw.de