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    In seinem erstmalig 1975 erschienenenund jetzt um einen neuen Beitragerweiterten Buch fordert Ivan Illich ein

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    Begrenzung des Wachstums nicht nur aukologischen Grnden, sondern vorallem mit dem Ziel, den Menschen

    wieder zu einem autonomen Wesenwerden zu lassen. Seine These: DerFhigkeit zur Selbstbestimmung stehenim wesentlichen die von uns selbstgeschaffenen Institutionen und die immgrer werdende Schar von Spezialisteund Experten im Wege, die den

    Menschen zunehmend entmndigen.

    Mit diesem Buch legte Illich nicht nurden Grundstein zu einer allgemeinen

    Theorie der Industrialisierung, sondernlegte zudem eine radikale Kritik derInstitutionen und der Expertenznfte voIn der Zuspitzung seiner

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    Zivilisationskritik wirkt Illich wie einwiederauferstandener Rousseau. SeinePolemik in Selbstbegrenzung ffnet un

    die Augen. (Norddeutscher Rundfunk)

    van Illich, geb. 1926 in Wien, zhlt zuden wichtigsten Kultur- undZivilisationskritikern unserer Zeit. Erlehrt an verschiedenen Universitten, sz.B. an der Berkeley University und an

    der Pennsylvania State University (beidUSA). In Deutschland ist Ivan IllichGastprofessor an den Universitten vonBremen, Kassel, Marburg und

    Oldenburg. Im Mrz 1998 erhielt er deKultur- und Friedenspreis der VillaIchon in Bremen. Bei C.H. Beck sindauerdem von ihm erschienen: Im

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    Weinberg des Textes (1991); Genus(21995); Die Nemesis der Medizin(41995);

    Entschulung der Gesellschaft (41996Klarstellungen (1996).

    IVAN ILLICH

    Selbstbegrenzung

    Eine politische Kritik der Technik

    us dem Englischen von Ylva ErikssonuchenbuchVERLAG C. H. BECK

    Die erste und zweite Auflage diesesWerkes erschienen 1975 und 1980 im

    Rowohlt Verlag,

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    Reinbek bei Hamburg.

    der amerikanischen Originalausgabe

    Tools for Conviviality: Harper &Row/Ivan Illich und ValentinaBorremans 1973

    Die Deutsche Bibliothek CIP-Einheitsaufnahme

    llich, Ivan:

    Selbstbegrenzung : eine politische Kritder Technik / Ivan Illich. Aus dem Engvon Ylva Eriksson-Kuchenbuch. - 1.Aufl. - Mnchen: Beck, 1998

    (Beck'sche Reihe; 1167)

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    Einheitssacht.: Tools for conviviality ISBN 3 406 39267 9

    ISBN 3 406 39267 9

    1. Auflage (dieser Ausgabe). 1998

    Umschlagentwurf: Uwe Gbel, Mnche

    Umschlagabbildung: Beverly Hall

    Fr diese ergnzte Ausgabe:

    C. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlun(Oscar Beck), Mnchen 1998

    Gesamtherstellung: C. H. Beck'scheBuchdruckerei, Nrdlingen Gedruckt au

    surefreiem, alterungsbestndigem

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    Papier (hergestellt aus chlorfreigebleichtem Zellstoff) Printed inGermany

    Inhalt

    Vorbemerkung.......................... 7

    Einleitung............................. 9

    I. Zwei Wasserscheiden.................... 1

    II. Konviviale Erneuerung.................. 2

    III. VielfltigeAusgewogenheit................ 75

    IV. Wiederherstellung...................... 12

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    V. Politische Umkehr..................... 149

    VI. Gesundheit in eigener

    Verantwortung:

    Danke, Nein!........................ 164

    Vorbemerkung

    Die Entscheidung des Verlages zu eineeuauflage von ,Selbstbegrenzung'

    berrascht mich mehr als sie michermutigt. Denn das Buch handelt vonDingen, die damals fast namenlos wareund die im heutigen Jargon zerflieen.Ich behaupte hier einen Standpunkt, derdamals im Niemandsland zwischen

    politischer konomie,

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    Entwicklungsstrategie und den Anstzezu einer kologischen Systemtheorie laund der im Jetzt von Globalisierung,

    Dekonstruktion und Windows '95 sonicht mehr eingenommen werden kann.Die Hoffnungen, von denen ich in derEinleitung schrieb, haben sich als

    blauugiger Optimismus erwiesen. Derachruf auf das industrielle Zeitalter,

    der mir damals vorschwebte, ist mir nu

    in Bruchstcken gelungen.

    Was mich aber ermutigt, ist dieliterarische Fruchtbarkeit des Kreises,

    der Freundeskreise, die sich damals imRingen um jenen Standpunkt und um dieSprechweisen zusammengefunden habeund von denen immer wieder die

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    euauflage dieses Essays gefordertwird.

    Der unmittelbare Anla, meinenVorlesungen aus den Jahren 1970/71 dForm eines Argumentes zu geben, wareigenartig. Der damalige Premier vonKanada, Pierre Trudeau, lud mich alsanimateur principal zu einer Sitzungvon Kassations-Richtern ein, um als

    Philosoph mir die Frage zu stellen:Was ist wohl das charakteristische,epochenspezifische Vorurteil derRichterschaft in den eben angebrochene

    siebziger Jahren? Meine Antwort warWachstum. Der unkritische Glaubeeines positiven Zusammenhangs voninstitutioneller Wertschpfung und

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    airnessbzw. Gerechtigkeit. SeineHerausforderung hat mich zu dieserDiskussionsvorlage, zu diesem Buch

    gefhrt, in dem ich fnf aufeinander nicunmittelbar reduzierbare Dimensionender zweckwidrigen Verwertung und 7

    Produktion voneinander unterscheide. Iletzten Kapitel untersuche ich, ob sichwohl die formelle Struktur des Rechts

    als Metapher fr eine politischekologie verwenden lt. Damit wolltich den im common law verankertenSinn fr Angemessenheit den kulturell

    dominanten politischenSelbstverstndlichkeitengegenberstellen, nach denen dieSteigerung der Produktivkrfte ein

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    unverzichtbarer Faktor fr sozialeGerechtigkeit schien.

    Im Laufe der inzwischen verflossenenJahre hat mich die Frage nach demberleben der ,Angemessenheit' in derJetzt-Zeit in zwei Richtungen gelenkt:Einerseits zur Fundierung der hiergeforderten Selbstbegrenzung in derGeschichte der Askese und

    Freundschaft, andererseits zumVerstndnis fr den Untergang derAngemessenheit durch den historischenVerlust eines Sinnes fr Proportionalit

    Die Universitten Bremen und PennStageben mir seit Jahren Gelegenheit,Arbeitskreise zu beiden Themen zufhren. Ich bin deshalb der Einladung

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    meines Verlegers Wolfgang Beck gefolund habe einen Vortrag zu dieserThematik an das Ende dieser Ausgabe

    gestellt.

    Ich habe das Buch damals auf derGrundlage einer von mir verfatenfranzsischen Version am Krankenbetteines Wahlonkels, Gustav Knstler,selbst bearbeitet, denn er wollte mein

    verrostetes Deutsch noch vor seinemTod wieder in Gang bringen.

    Bevor diese Version erscheinen konnte

    hat das Manuskript Freimut Duve dazuveranlat, das weltweit erste Forum zuDiskussion der politischen Folgentechnologischer Entscheidungen unter

    dem Namen ,RoRoRo Aktuell Magazin

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    zu grnden.

    Bremen, 1998 Ivan Illich

    Einleitung

    In den kommenden Jahren beabsichtige

    ich, ein Nachwort auf dasIndustriezeitalter zu verfassen. Ichmchte zurckverfolgen, wie sichSprache, Mythos, Ritual und Recht imVerlauf der gegenwrtigen Epoche derVerpackung und Verschulung gewandelhaben. Ich habe vor, zu beschreiben, w

    das Monopol der industriellenProduktionsweise dahinschwindet undebenso die durch die Industrialisierungentstandenen Berufe, denen diese

    Produktionsweise dient.

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    Vor allem mchte ich zeigen, da zweiDrittel der Menschheit um dasIndustriezeitalter herumkommen knnen

    indem sie sich schon heute fr einepostindustrielle Ausgewogenheit ihrerProduktionsweise entscheiden, die diehyperindustrialisierten Nationengezwungenermaen als Alternative zumChaos whlen mssen. Um mich aufdiese Aufgabe vorzubereiten, stelle ich

    den folgenden Essay zur kritischenDiskussion.

    In der vorliegenden Form ist mein Buch

    Ergebnis von Gesprchen, die imCIDOC

    (Center for Intercultural Documentation

    in Cuernavaca whrend des Sommers

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    1972

    stattgefunden haben. Wer an meinem

    Seminar teilgenommen hat, wird anvielen Stellen seine eigenen Ideen, hinund wieder sogar seine eigenen Wortewiedererkennen. Ich bitte diejenigen, dmitgearbeitet haben, meinen aufrichtigeDank entgegenzunehmen, vor allem frihre schriftlichen Beitrge.

    Mein Essay ist zu umfangreichgeworden, um als Artikel zu erscheinenund zu komplex, um in mehreren

    Fortsetzungen gelesen werden zu knneEs handelt sich um einenEntwicklungsbericht. Voller Achtungdanke ich Ruth Nanda Anshen dafr, da

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    sie diese Schrift in einem Band derReihe World Perspectives von Harper& Row herausgibt.

    Mehrere Jahre lang haben wir imCIDOC in Cuernavaca kritische Studieber das Monopol der industriellenProduk-9

    tionsweise betrieben und haben

    versucht, konzeptuell alternativeProduktionsweisen zu beschreiben, dieeinem postindustriellen Zeitalter gemwren. Whrend der spten sechziger

    Jahre standen bei diesen StudienBildungswege und -ziele im MittelpunkBis 1970/1970 hatten wirherausgefunden: 1. Da eine universell

    Bildung durch Pflichtschulen nicht zu

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    erreichen ist.

    2. Da sich alternative Mittel und Weg

    zur Produktion und Vermarktung vonBildung fr die vielen leichter findenlassen, diese in ethischer Hinsicht aberweniger ertrglich sind als die inJahrgangsstufen organisiertenPflichtschulen. Solche neuenBildungsarrangements ersetzen in

    reichen und in armen Lndern allmhlicdie traditionellen Schulsysteme. Siebieten potentiell bessere MglichkeitenArbeitskrfte und Konsumenten in eine

    industriellen konomie zukonditionieren.

    Deshalb sind sie fr das Management

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    der heutigen Gesellschaften attraktiver,die Leute lassen sich leichter von ihnenberzeugen und sie bringen fundamenta

    Werte auf heimtckische Weise inGefahr.

    3. Eine Gesellschaft, die sich einerhochgradig gemeinschaftlichenWissensform und einem entsprechendekritischen persnlichen Umgang damit

    verpflichtet fhlt, wird dem industrielleWachstum zwangslufig Grenzen setzenmssen.

    Die Ergebnisse dieser Untersuchungenhabe ich in einem schon frhererschienenen Band der World

    erspectives unter dem Titel

    eschooling Society verffentlicht.

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    Einige Punkte, die in jenem Buchundeutlich geblieben sind, habe ich in

    einem Artikel geklrt, der im Saturdayeview vom 19. April 1971 erschienen

    ist.

    Unsere Analyse der Beschulung hat unserkennen lassen, da dieMassenproduktion als Paradigma fr

    andere industrielle Unternehmungengelten kann, deren jede eineDienstleistung produziert, als ffentlichEinrichtung aufgebaut ist und ihren

    Output fr lebenswichtig erklrt. Zuersrichteten wir unser Augenmerk auf denZwangskonsum von medizinischenDienstleistungen und auf ffentliche

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    Transportsysteme, die meist dannunverzichtbar werden, wenn der Verkeeine be-10

    stimmte Geschwindigkeit berschreitetWir muten folgern, da dieIndustrialisierung einer beliebigenDienstleistungsinstanz zu destruktiven

    ebenwirkungen fhrt, die denwohlbekannten unerwnschten

    ebenwirkungen der berproduktionvon Waren hneln. Wir kamen zu demSchlu, da ein Bndel vonBegrenzungen des industriellen

    Wachstums nur dann richtig durchdachtist, wenn diese Begrenzungen sowohl fGter als auch fr Dienstleistungengelten, die industriell produziert werde

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    Also machten wir uns daran, zu klren,wie diese Grenzen beschaffen seinmssen.

    Ich lege hier das Konzept einermultidimensionale Ausgewogenheit desmenschlichen Lebens vor, das dazudienen kann, zu prfen, in welchemVerhltnis der Mensch zu seinenWerkzeugen steht. Innerhalb jeder der

    verschiedenen Dimensionen dieserAusgewogenheit kann man einentsprechendes natrlichesGegengewicht ausmachen. Wenn eine

    Unternehmung ber einen bestimmtenPunkt dieser Balance hinaus expandiertwird sie ihrem ursprnglichen Zwecknicht mehr gerecht, sondern sie wird zu

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    einer Gefahr fr die Gesellschaft alssolche. Diese Balancespielrumemssen wir erkennen, und wir mssen

    die Parameter untersuchen, innerhalbderer die menschlichen Bestrebungenzulassen, da das menschliche Lebenfortbesteht. Die Gesellschaft ist ihremUntergang geweiht, wenn das Wachstumder Massenproduktion dazu fhrt, dadie Umwelt ganz und gar unwirtlich

    wird; wenn es allen die Mglichkeitnimmt, ihre natrlichen Fhigkeiten frezu entfalten; wenn es die Menschenvoneinander entfremdet und sie zu

    Gefangenen in einem knstlichen Miliemacht; wenn es das soziale Gefgeunterminiert, indem es die extremegesellschaftliche Polarisierung und ein

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    Zersplitterung durch die Spezialisierunbegnstigt, oder wenn sich der sozialeWandel so schnell vollzieht, da

    rechtliche, kulturelle und politischePrzedenzien nicht mehr als Leitfdenfr heutiges Verhalten dienen knnen.Unternehmerische Ansinnen, die dieGesellschaft derart gefhrden, knnennicht mehr hingenommen werden. Vondiesem Punkt ab spielt es keine Rolle

    mehr, ob ein Unternehmen formalEigentum von Einzelpersonen, Ge-11

    sellschaften oder des Staates ist, weil

    kein Management der Welt eine solchegrundlegende Zerstrung ingesellschaftlichen Nutzen verwandelnkann.

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    Die heute gltigen Ideologien sinddurchaus ntzlich zur Klrung vonWidersprchen einer Gesellschaft, die

    auf der kapitalistischen Kontrolle derindustriellen Produktion beruht. Sie

    bieten jedoch nicht den erforderlichenRahmen fr die Analyse der Krise in dindustriellen Produktionsweise selbst.Ich hoffe, da eines Tages eine przisegenerelle Theorie der Industrialisierun

    ausgearbeitet werden kann, formuliert iso berzeugenden Begriffen, da sieeiner kritischen berprfungstandhalten. Deren Konzepte mten

    eine gemeinsame Sprache fr Leute inopponierenden Gruppen bieten, diedarauf angewiesen sind, sozialeProgramme und Technologien zu

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    beurteilen und die die Werkzeuge desMenschen beschrnken wollen, wenndiese im Begriff sind, den Menschen un

    seine Ziele zu berwltigen: Eine solchTheorie mte den Menschen dabeihelfen, die bestehende Struktur derwichtigsten Institutionen umzumodeln.Ich hoffe, da ich mit diesem Essay daz

    beitragen kann, die Erarbeitung einersolchen Theorie mglich zu machen.

    Wir sind heute kaum dazu in der Lage,uns eine Gesellschaft vorzustellen, inder das industrielle Wachstum eben

    deshalb ausgewogen und kontrollierbarbleibt, weil ganz unterschiedlichewissenschaftlich fundierteProduktionsweisen nebeneinander

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    bestehen. Unsere Visionen desMglichen und Machbaren sind so starvon industriellen Erwartungen geprgt,

    da uns jegliche Alternative zurweiteren Massenproduktion wie eineRckkehr zur Unterdrckungvergangener Zeiten oder wie einutopisches Design fr edle Wildeerscheinen mu. Um neue Wege gehen zknnen, mssen wir uns jedoch nur

    deutlich machen, da wissenschaftlicheEntdeckungen auf mindestens zweigegenstzliche Weisen genutzt werdenknnen.

    Die erste fhrt zur Spezialisierung vonFunktionen, zurWerteinstitutionalisierung und zur

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    Machtzentralisierung und lt dieMenschen zu Helfershelfern vonBrokratien oder Maschinen werden.

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    Die zweite gewhrt dem einzelnen meh

    persnliche Kompetenz, Kontrolle undInitiative, die allein durch den Ansprucanderer auf das gleiche Ma an Macht

    und Freiheit eine Einschrnkung erfahrknnen.

    Um eine Theorie fr eine zuknftige,

    sehr moderne und dochindustrieunabhngige Gesellschaftformulieren zu knnen, mssen wir ersteinsehen, da natrliche Mastbe und

    Grenzen bestehen. Wir mssen uns klar

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    machen, da Maschinen nur inbegrenztem Rahmen Menschen ersetzenknnen; jenseits dieses Rahmens knne

    sie zu einer neuen Form von Sklavereifhren. Nur in Grenzen lassen sichMenschen fr eine knstliche Umgebunabrichten; jenseits dieser Grenzen lauedas universale Schulgebude,Krankenhaus oder Gefngnis. Nur inGrenzen sollte sich die Politik mit der

    bestmglichen Verteilung industriellerOutputs beschftigen statt mit dergerechten Verteilung von Energie- oderInformationsinputs. Wenn wir erkannt

    haben, wo diese Grenzen zu ziehen sindwerden wir die triadische Beziehungzwischen den Menschen, ihrenWerkzeugen und einer neuen

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    Kollektivitt formulieren knnen.EineGesellschaft, in der sich Individuenund nicht Managermoderner

    Technologien bedienen, werde ichkonvivial nennen.

    ach vielen Zweifeln und gegen den Rvon Freunden, die ich sehr schtze, habich mich fr den terminus technicuskonvivial zur Bezeichnung einer

    Gesellschaftentschieden, in derWerkzeuge vernnftigenWachstumsbeschrnkungenunterliegen. Da ich diesen Begriff

    gewhlt habe, liegt zudem an meinemWunsch, einen Diskurs fortzusetzen, indem der entsprechende spanischeBegriff Verwendung fand. Brillat-

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    Savarin gab der franzsischenEntsprechung des Begriffs in seinemWerkPhysiology of Taste: Meditation

    on Transcendental Gastronomy einetechnische Bedeutung (fr die Kche).Diese przisierte Verwendung desBegriffs im Franzsischen knnteerklren, warum er sich in dem vlliganderen und definierten Kontext meinesEssays als brauchbar erweisen wird. Ic

    bin mir dessen bewut, da im heutigenenglischen Sprachgebrauch der Begriffin die Nhe trunkener Frhlichkeitgeraten

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    ist und damit einen Sinn hat, der ihm im

    OED (Old English Dictionary) nicht

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    zukam.

    Hier hatte er noch die auch von mir

    intendierte gegenteilige nchterneBedeutung der modernen eutrapelia.Indem ich den Terminus konvivial fWerkzeuge verwende und nicht frMenschen, hoffe ich, eine Verwechslunausschlieen zu knnen.

    Der klassische Begriff eutrapelia (modengl. austerity, dt. etwastrengeinfachheit),der etwas ber Menschen

    sagt, hat auch einen Bedeutungswandel

    erfahren und einen bitterenBeigeschmack erhalten, whrend er frAristoteles oder Aquinas noch dieGrundlage der Freundschaft bildete. In

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    der Summa Theologica II, II, Quaestio186, Art. 5 spricht Thomas von derdisziplinierten und schpferischen

    Leichtigkeit. In seiner dritten Responsibezeichnet er eutrapelia als Tugend, dnicht alle Freuden ausschliet, sondernnur diejenigen, die vom persnlichenBezogensein ablenken oder diesesgefhrden. Fr Thomas ist eutrapeliakomplementrer Teil einer

    umfassenderen Tugend, die erFreundschaft oder Freudigkeit nennt. Sist Frucht der Befrchtung, da Dingeoder Werkzeuge die eutrapelia (oder

    spielerische Leichtigkeit) derpersnlichen Beziehungen zerstrenknnten, statt sie zu verbessern.1

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    1 Rahner, Hugo v.:Der spielendeensch, 1953, Freiburg 101990.

    I. Zwei Wasserscheiden

    Das Jahr 1913 markiert eineWasserscheide in der Geschichte der

    modernen Medizin. Etwa seit diesemJahr lagen die Aussichten einesAbsolventen einer medizinischen

    Fakultt, einen Patienten erfolgreich zubehandeln, bei mehr als fnfzig Prozen(sofern letzterer an einer derStandardkrankheiten litt, die der

    medizinischen Wissenschaft dieser Zeibekannt war). Viele Schamanen undaturheilkundige, die sich mit

    ortstypischen Erkrankungen und

    Heilmitteln auskannten und denen die

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    Klienten vertrauten, hatten schon frhergleichwertige oder bessere Resultateerzielt.

    Seither hat man sich in der Medizinbemht, zu klren, was Krankheit ist unwie man sie behandelt. In der westlicheWelt hat die Allgemeinheit gelernt, einwirksame medizinische Praxisentsprechend dem Fortschritt der

    medizinischen Forschung zu verlangen.Erstmals in der Geschichte konntenrzte die eigene Effizienz an Mastbemessen, die sie selbst gesetzt hatten.

    Dieser Fortschritt war einer neuen Sichder Ursprnge einiger uralter Geielnder Menschheit zu verdan-ken; man wanun dazu in der Lage, Wasser zu reinig

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    und die Suglingssterblichkeit zu senkedurch die Rattenbekmpfung konnte mader Pest Herr werden; Treponemen

    lieen sich unter dem Mikroskopsichtbar machen und mit Hilfe vonSalvarsan mit statistisch fabarenRisiken der Vergiftung des Patientenvernichten; die Syphilis konnte manmeiden oder sie mit Hilfe relativeinfacher Prozeduren erkennen und

    heilen; man konnte die Diabetesdiagnostizieren, und dieEigenbehandlung mit Insulin konnte dasLeben des Patienten verlngern.

    Paradoxerweise war es aber so: Jeeinfacher die Werkzeuge, um so mehr

    bestand die Zunft der Mediziner auf

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    einem Monopol bei deren Anwendung;um so lnger whrte nun die Ausbildundie man fr erforderlich hielt, ehe ein 1

    Medizinmann in die legitimeHandhabung auch des simpelstenWerkzeugs initiiert werden konnte, undum so mehr meinte dieGesamtbevlkerung, den Arzt zu

    brauchen. Die Hygiene, bis dahin als

    Tugend betrachtet, wurde nun zu einemvon Fachleuten ausgerichteten Ritual amAltar einer Wissenschaft.

    Es gelang, die Suglingssterblichkeit zusenken; verbreitete Infektionen lieensich vermeiden oder behandeln;

    bestimmte Formen des Eingriffs in den

    Krankheitsverlauf erlangten einige

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    Wirksamkeit. Der sensationelleRckgang von Mortalitt und Morbiditlie sich auf Vernderungen in der

    ffentlichen Hygiene, in der Agrikulturim Marktwesen und in der allgemeinenEinstellung zum Leben zurckfhren.Aber obwohl diese Verbesserungenteilweise darauf zurckzufhren warenda Ingenieure neuen, von dermedizinischen Wissenschaft entdeckten

    Tatsachen Beachtung geschenkt hatten,haben rzte doch nur gelegentlich einenBeitrag dazu geleistet.

    Indirekt profitierte die Industrialisierunvon den neuen Errungenschaften, alsderen Urheber man die medizinischeWissenschaft betrachtete; die

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    Arbeitsanwesenheit wuchs und mit ihrdie Forderung nach Arbeitseffizienz. Egelang, die Destruktivitt neuer

    Werkzeuge dadurch vor derffentlichkeit zu verbergen, da man dOpfern von industrieller Gewalt, wiedie Geschwindigkeit von Autos,Arbeitsbelastungen und Umweltgifte,spektakulre neue Behandlungsmethode

    bot.

    Die krankmachenden Nebenwirkungender modernen Medizin waren nach demZweiten Weltkrieg nicht mehr zu

    bersehen, aber die rzte brauchtenZeit, um arzneimittelresistente Mikrobeoder genetische Schden durch prnataRntgen-untersuchungen als neue

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    Epidemien zu diagnostizieren. Die vonGeorge Bernard Shaw eine Generationdavor aufgestellte Behauptung, rzte

    seien keine Heiler mehr undbeherrschten nun allmhlich das gesamLeben des Patienten, konnte man nochimmer als bertreibung betrachten. ErsMitte der fnfziger Jahre wurdeoffenbar, da die Medizin eine zweiteWasserscheide berschritten und selbs

    neue Krankheiten verursacht hatte.

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    Die bedeutendste der iatrogenen (durchrztliche Einwirkung entstandenen)Krankheiten war die Anmaung derrzte, ihren Patienten eine bessere

    Qualitt der Gesundheit bieten zu

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    knnen. Von ihr wurden zunchstSozialplaner und rzte befallen. Baldgriff diese epidemische Verirrung auf

    die Gesellschaft als ganze ber.

    Whrend der vergangenen fnfzehn Jahist die Fachmedizin dann allmhlich zueiner der schlimmsten Bedrohungen frdie Gesundheit geworden. RiesigeGeldsummen wurden aufgewendet, um

    den unermelichen Schadeneinzudmmen, der durch medizinischeBehandlung verursacht worden war. DKosten fr die Heilung wurden von den

    Kosten fr die Verlngerung krankenLebens in den Schatten gestellt; immermehr Menschen berlebten lngereMonate, wobei ihr Leben an einem

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    Plastikschlauch hing, sie Gefangeneeiserner Lungen oder an knstliche

    ieren angeschlossen waren. Neue

    Krankheiten wurden beschrieben undinstitutionalisiert; die Kosten dafr,Menschen das berleben in ungesundeStdten und an krankmachendenArbeitspltzen zu ermglichen, schossein die Hhe. Dem Monopol dermedizinischen Zunft wurden immer

    weitere Bereiche im Leben dereinzelnen untergeordnet.

    Da Mtter, Tanten und andere Laien

    sich nun nicht mehr um ihreschwangeren, migebildeten, verletztenkranken oder sterbenden Verwandtenund Freunde kmmern durften, hatte zur

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    Folge, da die Nachfrage nach neuenmedizinischen Dienstleistungen soschnell wuchs, da das medizinische

    Establishment mit ihrem Angebot nichtmehr nachkam: Indem die WertschtzunvonDienstleistungen stieg, wurde esden Menschen fast unmglich, sichselbst um andere zu kmmern.

    Zugleich erklrte man immer weitere

    Beschwerden fr behandlungsbedrftigund schuf neue Fachrichtungen oderhalbfachliche Berufe, um die Werkzeugweiterhin unter der Aufsicht der Zunft

    halten zu knnen.

    Zur Zeit der zweiten Wasserscheidewurde es zum wichtigsten Anliegen der

    Zunft der Mediziner, den Erhalt des

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    kranken Lebens von der Medizinabhngiger Menschen in einerungesunden Umwelt zu sichern.

    Kostspielige Prvention und kost-17

    spielige Behandlung wurden zunehmenzum Privileg derer, die sich durch denfrheren Konsum medizinischerDienstleistungen das Recht gesicherthatten, noch mehr davon in Anspruch zu

    nehmen. Spezialisten, Krankenhuser mhohem Prestige und lebensverlngerndeMaschinen kann vornehmlich inAnspruch nehmen, wer in einer

    Grostadt lebt, wo die Kosten frgrundlegende Krankheitsverhtung, wiefr Wasseraufbereitung undSchadstoffkontrollen, sowieso schon

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    auergewhnlich hoch sind. Je hher dPro-Kopf-Kosten fr die Prvention,desto hher werden paradoxerweise di

    Pro-Kopf-Kosten der medizinischenVersorgung. Eine frhereInanspruchnahme kostspieliger Vorsorgund Behandlung etabliert das Recht aufweitere, noch aufwendigere Betreuung.Wie das moderne Bildungssystem, sofunktioniert die auf der

    Krankenhausversorgung grndendeGesundheitsfrsorge getreu dem Prinzida diejenigen, die schon viel haben,noch mehr bekommen und den

    Habenichtsen das wenige, was ihnenverbleibt, auch noch genommen wird.Was den Bildungssektor betrifft,

    bedeutet das, da denen, die sich schon

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    als Ausbil-dungskonsumentenhervorgetan haben,Postgraduiertenstipendien zustehen,

    wogegen diejenigen, die die Schule nicschaffen, lernen, da sie Versager sindIn der Medizin wird mittels des gleichePrinzips sichergestellt, da sich dasLeiden durch weitere medizinischeBetreuung vergrert; die Reichenwerden sich immer hufiger wegen

    iatrogener Krankheiten behandelnlassen, wogegen die Armen daraneinfach werden leiden mssen.

    ach diesem zweiten Wendepunktgriffen die unerwnschtengesundheitlichen Nebenwirkungenallmhlich auf ganze Bevlkerungen

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    ber, statt nur einzelne zu treffen. In dereichen Lndern hielt die moderneMedizin nun Menschen mittleren Alters

    bei Krften, bis sie schwach undgebrechlich wurden und weitererztliche Hilfe und immer komplexeremedizinische Gerte bentigten. Inarmen Lndern berlebte einzunehmender Prozentsatz der Kinderdank der modernen Medizin bis in die

    Pubertt hinein und immer mehr Frauenberlebten immer weitereSchwangerschaften. Die Bevlke-18

    rungen wuchsen so an, da dieKapazitten ihrer Umgebung nicht mehrausreichten und sie aufgrund derRestriktionen und mangelnden

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    Mglichkeiten ihrer Kultur nicht mehr zernhren waren. Westliche rzte setztemibruchlich Medikamente zur

    Behandlung von Erkrankungen ein, mitdenen die Einheimischen zu lebengelernt hatten. Damit trugen sie zurEntstehung neuer Stmme vonKrankheitserregern bei, mit denenmoderne Behandlungsmethoden,natrliche Abwehrkrfte und

    traditionelle Kultur nicht fertig werdenkonnten. Auf der ganzen Welt, speziellaber in den USA, ging es bei dermedizinischen Betreuung vor allem

    darum, einen Menschenbestandheranzuzchten, der allem fr eindomestiziertes Leben innerhalb einerimmer kostspieligeren knstlichen,

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    wissenschaftlich berwachten Umwelttauglich war. Eine der Hauptrednerinne

    bei der AMA-Convention2 1970

    forderte ihre Kollegen aus derKinderheilkunde auf, jedes Neugeborenals Patienten zu betrachten, bis dessenGesundheit rztlich bescheinigt sei. ImKrankenhaus geborene, mitFertignahrung geftterte, mit Antibiotikvollgestopfte Kinder werden so zu

    Erwachsenen, die in einer modernenGrostadt die Luft atmen, die Nahrungvertragen und die Leblosigkeit aushakeknnen und jeden noch so hohen Preis

    dafr zahlen werden, eine von derMedizin noch abhngigere Generationhervorzubringen und gro-zuziehen.

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    Die brokratische Medizin verbreitetesich ber die ganze Welt. 1968, als Mazwanzig Jahre an der Macht gewesen

    war, mute die medizinische Fakulttvon Shanghai folgern, da siesogenannte erstklassige rzteausbildete, die fnf Millionen Bauernignorieren und nur Minderheiten in denGrostdten dienen. Sie verursachenhohe Kosten fr routinemige

    Laboruntersuchungen ... verschreibenunntigerweise riesige Mengen anAntibiotika ... und in Ermangelung vonKrankenhusern oder

    Laboreinrichtungen mssen sie sichdarauf beschrnken, den Verlauf vonKrankheiten Menschen zu erklren, frdie sie nichts tun knnen und denen die

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    Erklrungen

    2AMA = American Medical

    Association.

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    nichts ntzen. In China hat dieseErkenntnis zu einem wirklicheninstitutionellen Wandel gefhrt. Heute

    berichtet das gleiche College, eineMillion Gesundheitshelfer htten einakzeptables Kompetenzniveau erreicht.Diese Gesundheitshelfer sind Laien, di

    in Zeiten geringen landwirtschaftlichenArbeitskrftebedarfs Kurzlehrgngebesucht haben, in denen sie anfangsSchweine seziert haben, dann zur

    Ausfhrung routinemiger Labortests

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    bergegangen sind, die Grundlagen vonBakteriologie, Pathologie und klinischeMedizin, Hygiene und Akupunktur

    studiert und anschlieend bei einem Aroder einem bereits ausgebildetenKollegen in die Lehre gegangen sind.Diese Barfurzte verbleiben an ihreArbeitspltzen, werden abergelegentlich entschuldigt, wennArbeitskollegen ihre Hilfe bentigen.

    Sie tragen Verantwortung frUmwelthygiene, Gesundheitserziehung,Impfung, Erste Hilfe, einfachemedizinische Behandlung,

    Krankheitsnachsorge sowie frgynkologische Betreuung,Empfngnisverhtung und Aufklrungber den Schwangerschaftsabbruch.

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    Zehn Jahre, nachdem man festgestellthat, da die westliche Medizin ihrezweite Wasserscheide berschritten ha

    soll in China auf hundert Menschen einGesundheitshelfer kommen. China hat

    bewiesen, da es mglich ist, einewichtige Institution schnell zur Umkehrzu bringen. Ob es gelingen wird, dieseEntprofessionalisierungaufrechtzuerhalten angesichts der

    anmaenden Fortschrittsideologie unddes Drucks von Seiten derSchulmediziner, ihr Barfuhomonym alTeilzeitfachleute auf der untersten Stufe

    einer medizinische Hierarchieeinzugliedern, wird sich nochherausstellen mssen.

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    Im Westen wuchs die Unzufriedenheitmit der Medizin in den sechziger Jahre

    proportional zu deren Kosten, und sie

    erreichte ihre grte Intensitt in denUSA.

    Reiche Auslnder kamen in Scharen indie medizinischen Zentren von Boston,Houston und Denver, um exotischeAusbesserungsarbeiten vornehmen zu

    lassen, whrend dieSuglingssterblichkeit der Armen in deUSA vergleichbar blieb mit der inmanchen tropischen Lndern Afrikas un

    Asiens. Nur die ganz Reichen in denVereinigten Staaten knnen sich heutedas leisten, was 20

    alle Menschen in armen Lndern haben

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    nmlich eine persnliche Betreuung amTotenbett. Es ist fr einen Amerikanerheute durchaus mglich, fr zwei Tage

    privater Pflege das jhrlichedurchschnittliche Pro-Kopf-Einkommender Weltbe-vlkerung auszugeben.

    Anstatt jedoch offenzulegen, da es sicum eine systemische Erkrankung hande

    prangert man in den USA nur die

    Symptome der kranken Medizin in deffentlichkeit an. Sprecher der Armennehmen Ansto an der kapitalistischenVoreingenommenheit der AMA und an

    den Einknften der rzte. KommunaleFhrer erheben Einwnde dagegen, dadie Kommunen so wenig Einflu auf diDienstleistungssysteme des

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    professionellen Gesundheitswesens odder Krankenpflege haben, denn sieglauben, Laien in Krankenhausbeirten

    knnten dazu in der Lage sein, diemedizinischen Fachleute in Schach zuhalten.

    Anfhrer der Schwarzen nehmen Anstodaran, da Stipendien vor allem fr dieErforschung von Krankheiten zur

    Verfgung gestellt werden, dievorwiegend den weien, lteren,bergewichtigen Stiftungsfunktionr

    befallen, der sie bewilligt. Sie fordern

    die Erforschung der Sichelzellenanmidie nur die Schwarzen trifft.

    Der Whler im allgemeinen hofft, durch

    die Beendigung des Krieges in Vietnam

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    knnten mehr Mittel freigesetzt werdendie einer Produktionssteigerung auf demGebiet der Medizin zugute kmen. Da

    man sich im allgemeinen nur mitSymptomen beschftigt, lenkt ab von de

    bsartigen Wucherung desinstitutionellenGesundheitswesens, didie Ursache dafr ist, da die Kostensteigen und sich das Wohlbefindenverringert.

    Die Krise der Medizin ist vieltiefgreifender als deren Symptomeerkennen lassen, und sie entspricht der

    gegenwrtigen Krise aller industriellerInstitutionen. Sie resultiert daraus, dasich ein professioneller Komplex vonFachleuten herausgebildet hat, der sich

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    der Untersttzung der Gesellschaftsicher sein kann und von dem manerwartet, da er fr eine immer

    bessere Gesundheit sorgt, und aus deBereitwilligkeit der Patienten, sich indiesem sinnlosen Experiment alsVersuchs-21

    kaninchen zur Verfgung zu stellen. DieMenschen haben kein Recht mehr, sich

    selbst fr krank zu erklren; dieGesellschaft erkennt deren Behauptungsie seien krank, erst an, wenn ihnenmedizinische Brokraten dafr ein Atte

    ausgestellt haben.

    Fr diese Argumentation ist es nichtunbedingt notwendig, die Jahre 1913 un

    1955

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    als die beiden Wendejahrevorauszusetzen, um zu begreifen, da d

    medizinische Praxis zu Beginn desJahrhunderts in eine ra derwissenschaftlichen Verifizierung dereigenen Ergebnisse eintrat. Spter mudie Wissenschaft der Medizin dannselbst den augenflligen Schadenlegitimieren, der vom professionellen

    Mediziner verursacht worden war. ZurZeit der Wasserscheide waren diepositiven Auswirkungen der neuenwissenschaftlichen Entdeckungen leich

    nachzuweisen und zu verifizieren. Durckeimfreies Wasser lie sich dieDiarrhe-bedingteSuglingssterblichkeit senken; Aspirin

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    verringerte die Schmerzen beiRheumatismus und die Malaria konnteman mit Hilfe von Chinin in den Griff

    bekommen. Einige traditionelleHeilverfahren wurden als Quacksalberentlarvt, aber, was wichtiger war, eineReihe simpler Verhaltensweisen undWerkzeuge fanden schnell weiteVerbreitung. Die Menschen begannen zerkennen, da ein Zusammenhang beste

    zwischen Gesundheit und ausgewogeneErnhrung, frischer Luft, Kallisthenie,sauberem Wasser und Seife. NeueUtensilien, von der Zahnbrste bis hin z

    Pflastern und Kondomen, waren nunweitgehend zugnglich. Da diemoderne Medizin zu Beginn deszwanzigsten Jahrhunderts einen

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    positiven Beitrag zur Gesundheit deseinzelnen geleistet hat, lt sich kaum

    bezweifeln.

    In der Folgezeit aber begann dieMedizin, sich ihrer zweitenWasserscheide zu nhern. Jedes Jahrhatte die medizinische Wissenschafteinen neuen Durchbruch zu vermelden.In neuen Fachrichtungen praktizierende

    rzten gelang es, einzelne, an seltenenKrankheiten leidende Patienten zuheilen. Die medizinische Praxis gingimmer mehr in die Hnde von

    Krankenhausbelegschaften ber. DerGlaube an Wunderheilmittel lie dengesunden Menschenverstand und dastradierte Wissen ber Heilung und

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    Gesundheitspflege verkmmern. Der 22

    verantwortungslose Gebrauch von

    Heilmitteln griff von den rzten auf dieAllgemeinheit ber. Man nherte sichder zweiten Wasserscheide, als derGrenznutzen weitererProfessionalisierung immer geringerwurde, zumindest sofern man ihn alskrperliches Wohlbefinden der

    grtmglichen Zahl an Individuendefinieren kann. Die zweiteWasserscheide wurde berschritten, alsich derNichtnutzen vergrerte, da d

    weitere Monopolisierung desmedizinischen Establishments erkennenlie, da eine grere Zahl an Menschenun mehr Leiden zu ertragen hatten.

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    achdem diese Wasserscheideberschritten war, gab die Medizin vorweitere Fortschritte zu machen,

    gemessen an neuen Zielen, die sich dierzte selbst steckten und dann natrlichauch erreichten: Sowohl dieEntdeckungen als auch der Preis dafrwaren vorhersehbar. So berlebten

    beispielsweise eine kleine Zahl vonPatienten nun die Transplantation

    verschiedener Organe.

    Andererseits waren die Gesamtkosten,die der Gesellschaft durch die Medizin

    aufgebrdet wurden, nicht mehr mitherkmmlichen Mastben mebar. Eskann in der Gesellschaft einfach keinequantitativen Standards geben, an dene

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    sich der Negativwert der Folgenmedizinischer Behandlung, wie

    beispielsweise Selbsttu-schung, sozia

    Kontrolle, verlngertes Leiden,Einsamkeit, genetischer Verfall undEnttuschung messen lassen.

    Auch andere industrielle Institutionenhaben die gleichen beidenWasserscheiden berschritten. Das gilt

    in jedem Falle fr die wichtigstengesellschaftlichen Instanzen, die in denvergangenen 150 Jahren einer

    euorganisation nach

    wissenschaftlichen Kriterien unterzogewurden. Das Bildungswesen, die Post,die Sozialarbeit, das Transportwesen, jsogar der Hoch- und Tiefbau haben ein

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    solche Entwicklung durchgemacht.Zuerst wird neues Wissen zur Lsungeines klar formulierten Problems

    eingesetzt, und es werdenwissenschaftliche Mastbe angelegt,um die neue Effizienz unter Beweis zustellen. An einem spteren Punkt jedocwird der durch eine frher erbrachteLeistung bewiesene Fortschritt alsRechtfertigung dafr genutzt, die gesam

    Gesellschaft um eines Wertmastabswillen auszubeuten, der von einemkleinen Teil der

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    Gesellschaft, nmlich von einer der sicselbst autorisierenden berufsstndische

    Eliten, gesetzt und stndig revidiert

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    wird.

    Was das Transportwesen betrifft, so ha

    der bergang von einer ra, in dermotorisierte Fahrzeuge Dienste leistetein eine ra, in der die Gesellschaft infast sklavische Abhngigkeit vom Autogeraten ist, fast ein Jahrhundert gedauerZur Zeit des amerikanischenBrgerkriegs gelang es, Dampfkraft fr

    Fahrzeuge nutzbar zu machen. Die neueRationalitt des Transports erlaubte esvielen, auf der Schiene so schnell zureisen wie in einer knigliche Kutsche,

    und zwar mit einem Komfort, den sichnicht einmal Knige htten trumenlassen. Nach und nach assoziierte manwnschenswerte Mobilitt immer mehr

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    mit hohen Fahrzeuggeschwindigkeiten,bis man schlielich beide gleichsetzte.

    achdem der Transport jedoch seine

    zweite Wasserscheide berschrittenhatte, trugen Fahrzeuge eher dazu bei,Entfernungen zu schaffen, als sie zuberbrcken. Insgesamt vergeudete dieGesamtgesellschaft mehr Zeit um desStraenverkehrs willen als sie damiteinsparte.

    Um die gegenwrtige gesellschaftlicheKrise aus einer neuen Perspektive sehezu knnen, gengt es, die Existenz diese

    beiden Wasserscheiden zur Kenntnis zunehmen. Innerhalb eines Jahrzehntshaben mehrere wichtige Institutionengemeinsam ihre zweite Wasserscheide

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    berschritten. Schulen knnen allmhliimmer weniger den Anspruch erheben,effiziente Werkzeuge fr die

    Wissensvermittlung zu sein; Autos sindkeine effizienten Massentransportmittelmehr; die Arbeit am Flieband ist alsProduktionsweise nicht mehr akzeptabe

    Fr die sechziger Jahre war esbezeichnend, auf die zunehmende

    Frustration mit einer weiteren Eskalatiovon Technik und Brokratie zuantworten. Eine selbstzerostrerischeMachteskalation wurde in den

    hochindustrialisierten Lndern zumwichtigsten Ritual. In diesem Kontext

    betrachtet ist der Vietnamkriegentlarvend und verschleiernd zugleich.

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    Er macht auf einem begrenztenKriegsschauplatz der ganzen Weltdeutlich, wie dieses Ritual vonstatten

    geht, und gleichzeitig lenkt er von derTatsache ab, da das gleiche Ritual aufvielen sogenannten friedlichenSchaupltzen zelebriert wird. DerVerlauf dieses

    24

    Krieges zeigt, da einer konvivialenArmee, die selbst aufFahrradgeschwindigkeiten beschrnkt

    ist, durch die anonyme Machteskalationdes Gegners gedient ist. Und dennochsind viele Amerikaner der Meinung, dadie Ressourcen, die im Krieg im Ferne

    Osten vergeudet werden, sinnvoll

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    eingesetzt werden knnten, um die Armzu Hause zu bekmpfen. Anderewiederum mchten die zwanzig

    Milliarden Dollar, die der Krieg jetztkostet, dafr verwendet sehen, dieinternationale Entwicklungshilfe ausihrem derzeitigen Tiefstand von zweiMilliarden herauszuhelfen. Sie sindeinfach unfhig, die institutionelleStruktur zu durchschauen, die einem

    friedlichen Krieg gegen die Armutebenso zugrunde liegt wie einemblutigen Krieg gegen Andersdenkende.Beide lassen das eskalieren, was sie

    eigentlich eliminieren sollten.

    Obgleich alles darauf hinweist, da eszur totalen Niederlage fhrt, wenn man

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    immer mehr vom gleichen fordert, meinman in einer dem Wachstumswahnverfallenen Gesellschaft, mehr und meh

    zu brauchen. Es wird nicht nurverzweifelt nach mehr Bomben und mePolizei, nach mehr medizinischenUntersuchungen und mehr Lehrerngerufen, sondern auch

    nach mehr Informationen und weiterer

    Forschung. Der Herausgeber desulletin ofAtomic Scientistsbehauptedie meisten unserer heutigen Problemerhrten daher, da in jngster Zeit

    gewonnene Erkenntnisse schlechtumgesetzt wurden, und er folgert, danur weiteres neues Wissen gegen dieVerwirrung helfen kann, die durch dies

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    Erkenntnisse gestiftet worden ist. Manmeint heute, die durch Wissenschaft unTechnik entstandenen Probleme knnte

    nur mit Hilfe weiterenwissenschaftlichen Verstndnisses und

    besserer Technik gelst werden. Gegenein unfhiges Management kann nurdessen Erweiterung helfen. Gegen dieFolgen spezialisierter Forschung kannnur noch kostspieligere interdisziplinr

    Forschung helfen, so wie gegen dieVerschmutzung der Flsse nur dieVerwendung noch teurerer,nichtverschmutzender Waschmittel

    helfen kann.

    Das Poolen von Informationsbestndender Aufbau von Wissenskapital, der

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    Versuch, die gegenwrtigen Problememit-25

    tels einer Erweiterung derWissenschaftsproduktion zu lsen, istder verzweifelte letzte Versuch, eineKrise zu berwinden, indem man sieeskalieren lt.

    II. Konviviale Erneuerung

    Die Symptome der sich verschrfendenKrise werden weitgehendwahrgenommen.

    Man hat sich vielfach bemht,Erklrungen dafr zu finden. Ich glaubeda diese Krise in einem zweifachen,

    groangelegten Experiment wurzelt, da

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    gescheitert ist, und ich behaupte, daman sich dieses Scheitern ersteingestehen mu, um die Krise

    berwinden zu knnen. Hundert Jahrelang versuchen wir nun schon,Maschinen fr die Menschen arbeiten zlassen und die Menschen fr einen le-

    benslangen Dienst an ihnen zu schulen.Es stellt sich jetzt heraus, daMaschinen nicht machen, was wir

    wollen und da man Menschen nicht auein Leben im Dienste von Maschinenabrichten kann. Wir mssen jetztAbschied nehmen von der Hypothese,

    auf der das Experiment beruhte. DieseHypothese besagte, da die Sklavereimit Hilfe von Maschinen abgeschafftwerden kann. Es hat sich gezeigt, da

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    Maschinen die Menschen versklaven,wenn sie zu diesem Zweck eingesetztwerden.

    Weder eine Diktatur des Proletariatsnoch eine Freizeitgesellschaft kann sichder Herrschaft der immer weiterexpandierenden industriellen Werkzeugentziehen.

    Die Krise wird nur zu berwinden seinwenn es gelingt, die gegenwrtigbestehende Tiefenstruktur vonWerkzeugen zu verndern; wenn wir de

    Menschen Werkzeuge geben, die esihnen erlauben, mit hoher Effizienzselbstndig zu arbeiten; so knntegleichzeitig auf Sklavenhalter und

    Sklaven verzichtet und der

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    Freiheitsradius des einzelnen vergrewerden. Nicht Werkzeuge, die ihnen diArbeit abnehmen, brauchen die

    Menschen, sondern neue Werkzeuge, mdenen sie arbeiten knnen.

    icht weitere gut programmierteEnergiesklaven brauchen sie, sonderneine Technologie, die ihnen dabei hilftdas Beste zu machen aus der Kraft und

    Phantasie, die jeder besitzt.27

    Ich glaube, da die Gesellschaftumgestaltet werden mu, damitautonome Einzelpersonen undPrimrgruppen mehr zur Gesamteffizien

    eines neuen Produktionssystems

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    beitragen knnen, das so beschaffen seimu, da es die von ihm bedingtenmenschlichen Bedrfnisse befriedigen

    kann. Tatschlich aber bewirken dieInstitutionen der Industriegesellschaftgenau das Gegenteil. In dem Mae, indem Maschinen leistungsfhiger werdereduziert sich die Rolle der einzelnenimmer weiter, bis sie nichts weiter sindals Konsumenten.

    Menschen brauchen Werkzeuge, um sicfortbewegen und um verweilen zuknnen.

    Sie bentigen Heilmittel fr ihreKrankheiten und Wege und Mittel, sichzu verstndigen. Sie knnen das alles

    nicht selbst machen. Sie mssen mit

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    Gegenstnden und Dienstleistungenversorgt werden, die sich je nach Kultuunterscheiden.

    Manche Menschen sind auf dieVersorgung mit Lebensmittelnangewiesen, andere auf die Versorgungmit Kugellagern.

    Sie mssen sich aber nicht nur Dinge

    beschaffen knnen; vor allem mssen sdie Freiheit haben, Dinge selbst zuerschaffen, mit denen sie leben knnen;sie mssen diese nach ihrem eigenen

    Geschmack gestalten und sie nutzenknnen, um andere ver- und umsorgen zknnen. In reichen Lndern stehenGefngnisinsassen oft mehr Waren und

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    Dienstleistungen zur Verfgung als dereigenen Familienmitgliedern, aber siehaben keine Mitsprachemglichkeiten,

    was die Herstellung dieser Dingebetrifft, und sie drfen nicht darbermitentscheiden, wie sie zu verwendensind. Ihre Strafe besteht darin, da mansie von dem ausschliet, was ichKonvivialitt nennen mchte. Siewerden zu bloen Konsumenten

    degradiert.

    Ich whle den Begriff Konvivialitt,um das Gegenteil der industriellen

    Produktivitt bezeichnen zu knnen. Ersoll fr den autonomen undschpferischen zwischenmenschlichenUmgang und den Umgang von Mensche

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    mit ihrer Umwelt als Gegensatz zu denkonditionierten Reaktionen vonMenschen auf Anforderungen durch

    andere und Anforderungen durch eineknstliche Umwelt stehen. Fr mich istKonvivialitt individuelle Freiheit, diesich in persnlicher Interdepen-28

    denz verwirklicht, und sie ist als solcheein immanenter ethischer Wert. Ich

    glaube, da keine noch so hoheindustrielle Produktivitt in einerGesellschaft die Bedrfnisse, die sieunter deren Mitgliedern weckt, wirklic

    befriedigen kann, sofern dieKonvivialitt unter ein bestimmtes

    iveau sinkt.

    Die heutigen institutionellen Zwecke, d

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    die industrielle Produktivitt heiligen was zu Lasten des konvivialen Wirkensgeht , tragen erheblich zu

    Gestaltlosigkeit und Sinnentleerung beian denen die heutige Gesellschaft krankDie zunehmende Nachfrage nachErzeugnissen betrachtet man inzwischeals gleichbedeutend mitgesellschaftlichem Fortschritt. Ich werdzeigen, wie diese Entwicklung

    umzukehren ist und wie moderneWissenschaft und Technik genutztwerden knnen, um dem menschlichenTun beispiellose Wirksamkeit zu

    verleihen. Ein solcher Wandel knntezur Entstehung einer Lebensweise undeines politischen Systems beitragen, in

    denen dem Schutz, der optimalen

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    utzung und der Freude an einerbestimmten Ressource, die alleMenschen in fast gleichem Mae

    besitzen, Prioritt eingerumt wurde: deigenen Kraft, ber die man selbst

    bestimmt. Ich werde zeigen, da wirnicht mehr sinnreich leben und arbeitenknnen, wenn die Werkzeuge undInstitutionen, die dem einzelnen dasRecht, die eigene Kraft auf

    schpferische Weise einzusetzen,beschneiden oder ganz nehmen, nichtvon der Allgemeinheit kontrolliertwerden. Folglich brauchen wir

    Verfahren, die garantieren, da dieKontrolle ber die gesellschaftlichenWerkzeuge mittels politischer Prozessedurchgesetzt und reguliert wird und nic

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    kraft Expertenentscheidungen.

    Der Sozialismus wird nicht einzufhren

    sein, wenn sich die bestehendenInstitutionen nicht wandeln und dieindustriellen nicht gegen konvivialeWerkzeuge eingetauscht werden. Ebenswird ein gesellschaftlicher Wandel einfrommer Wunsch bleiben, solange sichdie Ideale einer sozialistischen

    Gerechtigkeit nicht durchsetzen. Ichglaube, da wir die derzeitige Kriseunserer wichtigsten Institutionen alsKrise revolutionrer Befreiung begre

    sollten, da die bestehenden Institutionedie Grundfreiheiten der Menschen

    beschneiden, nur um ihnen 29

    weitere institutionelle Outputs andienen

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    zu knnen. Diese weltweite Krise derber die ganze Welt verbreitetenInstitutionen kann zur Entstehung eines

    neuen Bewutseins des Sinns undutzens von Werkzeugen beitragen und

    dazu, da sich eine Mehrheit dafreinsetzt, sie unter Kontrolle zu bringen.Wenn Werkzeuge nicht unter politischeKontrolle gestellt werden, wird man siin einer verspteten technokratischen

    Reaktion auf die Katastrophe managen.Dann werden Freiheit und Wrde weitdahinschwinden, und die Menschheitwird sich auf bisher beispiellose Weis

    ihren Werkzeugen unterwerfen mssen.

    Als Alternative zum technokratischenDesaster habe ich die Vision einer

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    konvivialen Gesellschaft. Einekonviviale Gesellschaft entstnde aufder Grundlage gesellschaftlicher

    Regelungen, die dem einzelnen denumfassenden und freien Zugang zu denWerkzeugen gewhrleisten und dieseFreiheit nur um der gleichen Freiheiteines anderen willen einschrnkenknnten.

    Gegenwrtig berlassen die Menschengern einer Fachelite die Aufgabe, sichber die Zukunft Gedanken zu machen.Sie bertragen Politikern die Macht, di

    versprechen, eine Maschinerie zukonstruieren, die diese Zukunft mglichmachen wird. Sie nehmen eine Zunahmder Machtebenen in der Gesellschaft hi

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    sofern die Ungleichheit dieVoraussetzung fr weitere hohe Outputist. Politische Institutionen helfen selbs

    mit, die Menschen von denProduktionszielen zu berzeugen. Wasden Institutionen ntzt, gilt als wichtigeals das, was richtig ist. Gerechtigkeit hnur noch die eingeschrnkte Bedeutungeiner gerechten Verteilunginstitutioneller Gter.

    Eine Gesellschaft, die unter dermaximalen Befriedigung der grtenZahl von Menschen den maximalen

    Konsum industrieller Erzeugnisseversteht, beschneidet die Autonomie deeinzelnen auf unertrgliche Weise. DerZweck alternativer politischer

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    Regelungen wre, jeden Menschenselbst entscheiden zu lassen, wie er sicdie eigene Zukunft vorstellt. Eine neue

    Politik wre grundstzlich daraufausgerichtet, die Konzeption solcherArtefakte und Vorschriften zuunterbinden, die die Wahrnehmungdieser persnlichen Freiheit behindernknn-30

    ten Eine solche Politik mte dieEntfaltungsmglichkeiten vonWerkzeugen um dreier Werte, nmlichum des berlebens, der Gerechtigkeit

    und der selbstbestimmten Arbeit willeneinschrnken. Fr mich sind dasGrundwerte jeder konvivialenGesellschaft, wie sehr sich eine solche

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    Gesellschaft in ihren Sitten undGebruchen, Institutionen undGrundprinzipien im einzelnen auch von

    einer anderen unterscheiden mag.

    Jeder dieser Werte erfordert spezielleBeschrnkungen von Werkzeugen. DieVoraussetzungen fr das berlebenmssen vorhanden sein; diesegewhrleisten jedoch nicht, da auch

    Gerechtigkeit gebt wird; Menschenberleben auch in Gefngnissen. Esmssen Voraussetzungen fr eine

    erechte Verteilung industrieller

    Outputs gegeben sein, sie allein gengeedoch nicht, um eine konviviale

    Produktion zu ermglichen. Menschenknnten weiterhin Sklaven ihrer

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    Werkzeuge bleiben. DieVoraussetzungen fr die konviviale

    rbeit sind strukturelle Regelungen, die

    eine bisher beispiellose Machtverteilunermglichen knnten. Eine

    postindustrielle Gesellschaft mu undkann so gestaltet sein, da sich jederMensch durch seine Arbeitverwirklichen kann, ohne da deshalbeinem anderen Ausbildung oder Konsu

    aufgezwungen wird.

    In einem Zeitalter derwissenschaftlichen Technologie ist ein

    berleben in vollkommenerdistributiver und partizipatorischerGerechtigkeit nur mit konvivialstrukturierten Werkzeugen mglich. Da

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    liegt daran, da uns die Wissenschaftneue Energiequellen erschlossen hat.Die Konkurrenz um Energieinputs mu

    einfach verheerende Auswirkungenhaben, whrend deren zentrale Kontrolin den Hnden eines Giganten dazufhren wrde, da die gerechteKontrolle ber die Inputs einervermeintlich gerechten Verteilung desOutputs geopfert werden mte. Eine

    partizipatorische Gerechtigkeit kann esnur mit konvivial konzipiertenWerkzeugen geben.

    Das heit jedoch nicht, da sich derWandel von der bestehenden zurkonvivialen Produktionsweise wirdvollziehen knnen, ohne da viele

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    Schaden erleiden. Heute ist dieBeziehung zwischen den Menschen undihren Werkzeugen geradezu 31

    selbstmrderisch verzerrt. Um berlebzu knnen, brauchen Pakistanikanadisches Getreide und die NewYorker sind auf die Ausbeutung von

    aturschtzen aus der ganzen brigenWelt angewiesen. Die Geburtswehen

    einer konvivialen Weltgesellschaftwerden hungrigen Indern und hilflosenew Yorkern zwangslufig groe

    Qualen bereiten. Spter werde ich

    argumentieren, da der bergang vonder heutigen, vorwiegend industriellenProduktionsweise zur Konvivialittvielleicht berstrzt beginnen knnte.

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    Damit aber garantiert ist, da vieleberleben, ist es zu wnschen, da derbergang nicht berall gleichzeitig

    einsetzt.

    Ich bin der Meinung, da ein berlebein Gerechtigkeit nur um den Preis vonOpfern mglich sein wird, die bei derEinfhrung einer konvivialenProduktionsweise und dem universalen

    Verzicht auf unbegrenzten Nachwuchs,auf Wohlstand und Macht unvermeidlicsind und die sowohl einzelne als auchGruppen bringen mssen. Diesen Preis

    kann ihnen weder ein despotischerGigant abverlangen, noch lt er sichmittels sozialer Planung entlocken. DieMenschen werden den Wert freudiger

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    Entsagung und befreienderAnspruchslosigkeit erstwiederentdecken, wenn sie erneut

    gelernt haben, sich aufeinander zuverlassen statt auf Energiesklaven. DerPreis fr eine konviviale Gesellschaftwird erst am Ende eines politischenProzesses zu zahlen sein, der den diegesamte Gesellschaft umfassendenWandel des heutigen industriellen

    Bewutseins reflektiert und frdert.Dieser politische Proze wird seinenkonkreten Ausdruck nicht inirgendwelchen Tabus finden, sondern i

    einer Reihe befristeter Regelungen bedie eine oder andere konkreteBeschrnkung von Mitteln, die unter deDruck konfligierender Einsichten und

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    Interessen immer wieder den Umstndeangepat werden mssen.

    In diesem Buch mchte ich eineMethodologie vorstellen, mit derenHilfe ausgemacht werden kann, welcheMittel zu Zwecken geworden sind. Ich

    beschftige mich hier mit Werkzeugenund nicht mit Absichten. Da ich diesesThema gewhlt habe, ist es mir

    unmglich, einige andere, verwandte,relevante und verlockende Aufgabenanzugehen, denn:

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    1. Es wre meinem Vorhaben nichtdienlich, eine fiktive Gemeinschaft der

    Zukunft detailliert zu beschreiben. Ich

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    mchte Anleitungen zum Handeln gebenund nicht zum Trumen. Eine moderneGesellschaft, die um der Konvivialitt

    willen Beschrnkungen auf sich nhmewre dazu in der Lage, fr eine neueBlte an berraschungen zu sorgen, wisie sich heute niemand zu erhoffen undzu ertrumen vermag. Ich mchte keinUtopia entwerfen, sondern eineVorgehensweise vorstellen, die es jede

    Gemeinschaft gestattet, ihre ganz eigengesellschaftlichen Arrangements zuwhlen.

    2. Ich mchte hier weder einen Beitragzu einem Konstruktionshandbuch fr diPlanung konvivialer Institutionen oderWerkzeuge leisten, noch mchte ich

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    mich in einer Werbekampagne fr eineTechnologie engagieren, die mitSicherheit sinnvoller wre. Mir geht es

    darum, Kriterien aufzustellen, anhandderer sofort zu erkennen ist, wie dieMenschen um ihrer Werkzeuge willenmanipuliert werden und mit deren Hilfesie sich gegen all jene Artefakte undInstitutionen entscheiden knnen, diezwangslufig eine Bedrohung fr die

    konviviale Lebensweise bedeuten.

    Paradoxerweise kann man sich heute nuschwerlich eine Gesellschaft vorstellen

    in der die Menschen ihre Vorhaben mitHilfe einfacher Werkzeugeverwirklichen knnen, weil sie ihreKraft selbst unter Kontrolle haben.

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    Unsere Phantasie ist so sehr industrielldeformiert, da wir nur daswahrnehmen, was in ein manipuliertes

    System gesellschaftlicherGepflogenheiten hineinpat, die derLogik der Massenproduktionentsprechen. Wir besitzen kaum noch dFhigkeit, uns in unserer Phantasie eineWelt auszumalen, in der diegemeinsame, vernnftige berlegung

    dazu fhrt, da einem Menschen dieMglichkeit genommen wird, einenanderen daran zu hindern, die Welt zu

    prgen.

    Heute besteht die Welt aus denen, dienicht genug haben und aus denen, diemehr als genug haben; aus denen, die

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    von Autos von der Strae gedrngtwerden und aus denen, die die Autosfahren. Die Habenichtse fhren ein

    elendes Dasein und die Reichen gierennach mehr. Eine Gesellschaft, in der diMenschen wissen, was genug ist, magvielleicht arm sein, aber

    33

    alle, die ihr angehren, haben diegleiche Freiheit. Menschen, derenDenken industriell pervertiert ist, knnsich die persnliche Erfllung nicht

    vorstellen, die durch die Nutzungmoderner und doch Beschrnkungenunterliegender Werkzeuge erreichtwerden kann. In ihrer Phantasie ist

    einfach kein Raum fr die qualitative

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    Vernderung, die die Einfhrung einerstabil bleibenden konomie mit sich

    brchte: eine Gesellschaft, deren

    Mitglieder frei wren von den vielenEinschrnkungen durch Terminplanungund Therapien, die sie auf Grund desseauf sich nehmen mssen, da dieWerkzeuge immer zahlreicher werden.

    och weniger kennen die meistenunserer Zeitgenossen die stille Freude

    eines Lebens in solch frei gewhlter undoch relativer Armut, die in unsererReichweite liegt.

    3. Ich werde mich vor allem mit derStruktur von Werkzeugen befassen undnicht mit der Charakterstruktur derer, dsie benutzen. Der Gebrauch industrielle

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    Werkzeuge lt Stdte, deren jede ihreeigene Geschichte und Kultur hat,identisch erscheinen.

    Autobahnen, Krankenhausstationen,Klassenzimmer, Brogebude,Wohnungen und Geschfte sehen beragleich aus. Identische Werkzeugefrdern auch die Entwicklung dergleichen Persnlichkeitsstrukturen.

    Polizisten in Streifenwagen oderBuchhalter an Computern sehen berallauf der Welt gleich aus und verhaltensich gleich, wogegen sich ihre armen

    Vettern, die einen Schlagstock oderFllfederhalter benutzen, von Gegend zGegend unterscheiden. DieHomogenisierung von Individuen und

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    persnlichen Beziehungen wirdunaufhaltsam fortschreiten, es sei denn,die Welt wird mit neuen Werkzeugen

    ausgerstet. Die Erforschung jenerCharaktermerkmale, die eine solche

    euausrstung erschweren oderzweifelhaft werden lassen knnten,knnte ergnzend betrieben werden. Ich

    postuliere jedoch nicht die Erschaffungeines neuen Menschen als

    Grundvoraussetzung fr eine neueGesellschaft, noch gebe ich vor, zuwissen, inwieweit sich Sozialcharakteroder Kulturen verndern werden. Ein

    Pluralismus von begrenzten Werkzeugeund von konvivialen Gemeinwesen liegewi eine Vielfalt an Lebensweisen zu

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    4. Wollte ich mich hier mit politischen

    Strategien oder Taktiken beschftigen,wrde mich das vom Kern meinesGegentandes wegfhren. Mit Ausnahmevielleicht von China unter Mao wrekeine Regierung heute dazu in der Lagedie Gesellschaft nach konvivialenKriterien umzustrukturieren. Die

    Manager unserer wichtigsten Werkzeug Nationen, Unternehmen, politischeParteien, Organisationen, Berufsstndehaben die Macht inne. Diese Macht

    setzen sie zum Erhalt derwachstumsorientierten Strukturen ein,die sie manipulieren. Es steht in derMacht dieser Manager, wichtige

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    Entscheidungen zu treffen; sie knneneine neue Nachfrage nach den Outputsihrer Werkzeuge schaffen und die

    Einfhrung entsprechender neuergesellschaftlicher Labels erzwingen. Siknnen sogar so weit gehen, um derGewinnmaximierung willen dieProduktion zu drosseln. Es steht jedochnicht in ihrer Macht, einen Wandel derGrundstruktur derjenigen institutionelle

    Einrichtungen herbeizufhren, die ihnenunterstehen.

    Die wichtigsten Institutionen sind jetzt

    dabei, den Output groer Werkzeuge fleblose Menschen zu optimieren. IhrWandel wrde Institutionen implizierendie die Verwendung individuell

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    zugnglicher Werkzeuge begnstigten,um das sinnvolle undeigenverantwortliche Tun wirklich

    bewuter Menschen zu frdern. Einevollkommene Umgestaltung derwichtigsten Institutionen -wreVoraussetzung fr die Einfhrung einerkonvivialen Produktionsweise. Zu einesolchen gesellschaftlichen Umkehrknnen die Manager der heutigen

    Institutionen nicht beitragen.

    Die Manager unserer Zeit bilden eineneue Gattung; sie werden auf Grund

    ihrer Persnlichkeit, Kompetenz undInteressen ausgewhlt, die sie sowohldazu befhigen, die Expansion der

    produktiven Gesellschaft als auch die

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    effiziente Konditionierung ihrer Klientevoranzutreiben. Sie haben die wirklichMacht inne und verwalten sie wer sic

    auch immer der Illusion hingibt, ihmgehrten die Werkzeuge. Diese Schichtvon Machthabern mu ausgeschaltetwerden, aber das kann nicht dadurchgeschehen, da man sie massenhaftabschlachtet oder auswechselt. Die neuElite wrde sich nur

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    noch legitimierter fhlen, die

    bernommene strukturierte Macht zumanipulieren. Das Management lt sicnur abschaffen, indem die Maschineriedie es bedingt, beseitigt wird, und dam

    die Nachfrage nach Outputs, die ihm

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    seine Macht verleiht.

    In einer konvivialen Gesellschaft wird

    kaum die Notwendigkeit bestehen, denAufsichtsratsvorsitzendenauszuwechseln.

    In einer Gesellschaft, in der politischeMacht und physische EnergieEinschrnkungen unterliegen und kraft

    politischer Entscheidungen verteiltwerden, kann es nicht nur zu einer neueBlte von Waren und Persnlichkeitenkommen; es knnten auch nebeneinande

    ganz verschiedene Formen desRegierens bestehen.

    Gewi ist, da neue Werkzeuge neue

    Mglichkeiten erffnen knnten.

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    Konviviale Werkzeuge schlieenbestimmte Machtebenen, Zwnge undProgrammierungen aus, also eben jene

    Faktoren, die heute alle Regierungenmehr oder weniger hnlich erscheinenlassen. Die Einfhrung einer konvivialeProduktionsweise mte jedoch nichtnotgedrungen implizieren, da einespezifische Form des Regierenssinnvoller wre als eine andere, und si

    schlsse weder eine Weltfderationnoch Abkommen zwischenationalstaaten oder Kommunen, noch

    viele der traditionsreichsten

    Regierungsformen aus. Ich mchte michhier auf die Darstellung grundlegenderstruktureller Kriterien beschrnken, mideren Hilfe eine gesellschaftliche

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    euausrstung erreicht werden kann.

    5. Eine Methodologie, mit deren Hilfe

    erkennen ist, wann unternehmerischeWerkzeuge zu einer Gefahr fr dieGesellschaft als solche werden, setzt dAnerkennung des Wertes vondistributiver und partizipatorischerGerechtigkeit voraus. Ich glaube, dameine knappen und prgnanten

    Darlegungen ausreichen werden, um voder Notwendigkeit derWerkzeugbeschrnkung zu berzeugen;sie lassen jedoch nicht zu, da ich in

    meinem Essay Schlufolgerungen berdas wnschenswerte Ma anUnterordnung von Mitteln unter Zweckeziehe.

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    6. Was die konomischen Grundlagenfr eine postindustrielle und konvivialeGesellschaft betrifft, so kann man sie

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    weder ignorieren, noch kann man sich

    ihrer sicher sein. In einer Gesellschaft,in der man politisch beschlosseneBeschrnkungen fr jede Form des

    industriellen Wachstums billigt, msseviele bisher als selbstverstndlicherachtete Bedingungen neu berdachtwerden; gewi ist jedoch, da auch in

    einer solchen Gesellschaft Ungleichheinicht zu vermeiden sein wird.Tatschlich aber wren dieMglichkeiten des einzelnen, ernsthafte

    Vernderungen zu bewirken, grer als

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    im vorindustriellen oder im industrielleZeitalter. Trotz Einschrnkungen wrengebruchliche Werkzeuge

    unvergleichlich effizienter als primitivund sie wren besser verteilt alsindustrielle Arbeitsmittel. MancheMenschen wrden von deren Produkteneher profitieren als andere. Um die

    ettoverteilung von Macht in Schrankehalten zu knnen, mte man sich

    sowohl traditioneller als auch neuerkonomischer Mittel und Wegebedienen. Man wird den Einwanderheben, da man erst dann wird

    darangehen knnen, WerkzeugenGrenzen zu setzen, wenn eineentsprechende neue Wirtschaftstheorie

    entwickelt und umsetzbar geworden ist

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    Das ist richtig. Ich schlage vor, da widimensionsanalytisch vorgehen, um

    heres ber die wichtigsten Variable

    in Erfahrung zu bringen, die dieAusgewogenheit des Lebens erschtterknnen, und da wir politisch vorgehenum die entscheidenden Dimensionenkenntlich zu machen, die vom Mensche

    beherrschbar sind. Ich schlage vor, so adas Verhltnis heranzugehen, das

    zwischen den Mitteln und den Zweckendes Menschen besteht, da dieSchlsseleinheiten der konomie freine dimensionslose Faktorenreihe

    stehen. Eine konomische Theorie, diesich einsetzen liee, um unseregegenwrtige institutionelle Struktur zuverkehren, beginnt mit politisch

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    beschlossenen Begrenzungskriterien. Adiese negativen Entwurfskriterien frtechnologische Instrumentarien mchte

    ich besonders aufmerksam machen.

    Eine Methodologie, mit deren Hilfe zuerkennen ist, da Werkzeuge ffentlichzu Mitteln zum Zweck pervertiertwurden, wird bei denen auf Ablehnungstoen, die es gewohnt sind, den Dolla

    als Mastab des Guten zu betrachten.Schon 37

    Plato wute, da ein schlechter

    Staatsmann ist, wer an die Universalitder Mekunst glaubt und denUnterschied zwischen dem Greren undem Kleineren und dem, was mehr ode

    weniger zweckgerecht ist, nicht sieht.

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    Unsere heutige Haltung der Produktiongegenber hat sich ber Jahrhunderteentwickelt. Die Institutionen haben nich

    nur in zunehmendem Mae unsereAnsprche, sondern buchstblich auchunsere Logik oder unseren Sinn frProportionen geprgt. Haben wir unserst einmal angewhnt, das zu verlangewas Institutionen produzieren knnen,glauben wir auch bald, ohne nicht

    auszukommen.

    Die Erfindung der Erziehung ist einBeispiel dafr. Wir vergessen meist,

    da der Begriff Erziehung erst vorkurzer Zeit seine heutige Bedeutungerlangt hat. Vor der Reformation war sunbekannt, auer als Teil der frhen

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    Aufzucht von Schweinchen, Enten undMenschen. Man machte einen klarenUnterschied zwischen der Unterweisun

    die die Jugend bentigte, und demStudium, mit dem sich manche spter imLeben befaten und fr das man einenLehrer brauchte. Voltaire nannte sienoch einen vermessenen Neologismus,nur von berheblichen Schulmeisternverwendet.

    Das Bestreben, alle Menschen Stufen zVollkommenheit hinaufsteigen zu lassenist tief in der Alchimie verwurzelt, der

    Groen Kunst des ausgehendenMittelalters.

    Johannes Amos Comenius, mhrischer

    Bischof des 17. Jahrhunderts,

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    selbsternannter Pansophist undPdagoge, wird mit Recht als einer derBegrnder der modernen Schule

    betrachtet. Er war unter den ersten, dieempfahlen, sieben oder zwlf Klassendes Pflichtunterrichts einzufhren. Inseinem WerkMagna Didactica

    beschrieb er Schulen als Mittel, jedenalles zu lehren, und stellte einen Planauf fr die fliebandartige Produktion

    von Wissen, die seiner Methode gemdie Erziehung billiger und bessermachen und allen das Erlangenvollkommener menschlicher Gre

    ermglichen sollte. Comenius waredoch nicht nur ein frher Theoretiker

    der Massenproduktion; er war

    Alchimist, der die Fachsprache seiner

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    Zunft abwandelte, um mit ihrer Hilfe diKunst, Kinder aufzuziehen, beschreibenzu knnen.

    38

    Der Alchimist suchte unedle Grundstof

    zu veredeln, indem er ihre Essenz zwlnacheinanderfolgende Etappen derWeihe durchlaufen lie, damit sie, zum

    eigenen und der ganzen Welt Gefallen,zu Gold werden mchten. Natrlichversagten die Alchimisten noch beiedem Versuch; jedesmal aber fhrte

    ihre Wissenschaft neue Grnde fr daVersagen auf, und sie versuchten es aufneue.

    Die industrielle Produktionsweise setzt

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    sich erstmalig bei der Herstellung eineneuen unsichtbaren Ware durch,Erziehung genannt. Die Pdagogik

    erffnete ein neues Kapitel in derGeschichte derArs Magna. Erziehungwurde zur Suche nach einemalchimistischen Proze, durch den einMensch entstehen sollte, der sich in einkraft wissenschaftlicher Magieentstandene Umwelt wrde einfgen

    knnen.

    Wieviel Geld jede Generation aber aucfr ihre Schulen ausgab, es stellte sich

    doch immer wieder heraus, da dieMehrzahl der Menschen als untauglichabgestempelt werden mute, hhereEbenen der Erleuchtung zu erreichen,

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    und als nicht gerstet fr das gute Lebein einer von Menschenhand geschaffeneWelt ausgemustert werden mute.

    Die Umwandlung vom Lernen inSchulbildung hat Schulen nicht nurunentbehrlich erscheinen lassen; sie hazustzlich dazu gefhrt, da dieUnbeschulten nicht mehr nur arm sind,sondern wegen ihres Mangels an

    Bildung auch noch diskriminiert werdeWer die Bildungsleiter hinaufgestiegenist, kennt den Punkt, an dem er versagthat und wei, wie ungebildet er ist. We

    erst einmal hingenommen hat, da eseine Instanz gibt, die berechtigt ist,seinen Wissensstand zu messen und zu

    bewerten, wird unschwer akzeptieren,

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    da andere Instanzen die Autorittbesitzen, ihm vorzuschreiben, welchesMa an Gesundheit oder Mobilitt ihm

    zusteht. Fr ihn ist es schwer, zudurchschauen, wie korrupt unserewichtigsten Institutionen sind. So, wieman ihn glauben machen kann, da seinin der Schule erworbenes

    Wissenskapital wertvoll ist, so kann

    man ihn auch glauben machen, dahhere Geschwindigkeiten zeitsparendsind und die Hhe des Einkommens daWohlbefinden bestimmt, oder, als

    weiteres Beispiel, da die Produktion39

    von Dienstleistungen die Lebensqualit

    eher verbessert als die weitere

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    Warenproduktion.

    Die Ware namens Bildung und die

    Institution namens Schule bedingen sichgegenseitig. Der Teufelskreis wird erstzu brechen sein, wenn sich die Einsichtdurchsetzt, da die Institutioninzwischen selbst ihren Zweck bestimmAus abstrakt formulierten Wertenwerden mechanische Vorgnge, die den

    Menschen unterjochen.Diese Knechtschaft kann nur durch diefreudige Selbsterkenntnis des Narren

    gebrochen werden, der fr die eigenenTorheiten persnlich die Verantwortunbernimmt.

    Die institutionelle Definition von Wert

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    macht es uns schwer, die Tiefenstrukturgesellschaftlicher Mittel auszumachen.Es ist schwer vorstellbar, da die

    Spezialisierung von Wissenschaft,Arbeit und Berufsstnden zu weitgegangen sein knnte. Es ist schwer, sieine grere gesellschaftliche Effizienzim Verbund mit einer niedrigerenindustriellen Effizienz vorzustellen. Umdie notwendigen Grenzen fr

    Spezialisierung und Output ziehen zuknnen, mssen wir uns erst bewutmachen, da unsere Erwartungen durchdie Industriegesellschaft determiniert

    sind.

    Dann werden wir erkennen knnen, daeine konviviale und pluralistische

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    Produktionsweise auf die Begrenzungindustrieller Institutionen folgen wird.

    Das konviviale Leben einiger wenigererforderte in der VergangenheitZwangslufig die Dienstbarkeit andereVor der Stahlaxt, der Pumpe, demFahrrad und der Angelschnur war dieArbeitseffizienz sehr gering. Zwischendem Hochmittelalter und der Aufklrun

    lieen sich viele durchaus glaubwrdigHumanisten vom Alchimistentraum indie Irre fhren. Viele waren der Illusioverfallen, die Maschine sei so etwas

    wie ein im Labor geschaffenerHomunkulus, der uns die Sklavenarbeitabnehmen knne. Es ist an der Zeit,diesen Irrtum als solchen zu erkennen

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    und von der Illusion Abschied zunehmen, Menschen seien zuSklavenhaltern geboren und das einzige

    bel der Vergangenheit sei dieTatsache, da das nicht alle Menschenzugleich sein konnten. Wenn wir aberunsere Erwartungen an Maschinenzurckschrauben, mssen wir uns davo

    40

    hten, einen ebenso fatalen Fehler zubegehen und alle Maschinen alsTeufelswerk abzulehnen.

    Eine konviviale Gesellschaft sollte esedem ermglichen, so autonom wie nu

    mglich mit Werkzeugen umzugehen, d

    in so geringem Mae wie mglich

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    anderen unterstnden. Menschenempfinden nicht nur Befriedigung,sondern Freude, wenn sie schpferisch

    ttig sein knnen, whrendReglementierung, Abhngigkeit,Ausbeutung und Ohnmacht um sichgreifen, wenn Werkzeuge zuleistungsfhig werden. Ich verwende deBegriff Werkzeug in sehrweitreichendem Sinne und meine damit

    nicht nur einfache Gebrauchsgegenstndwie Bohrer, Tpfe, Spritzen, Besen,Baumaterialien, Motoren und groeMaschinen wie Autos oder Kraftwerke

    ich beziehe produktive Institutionen wiFabriken mit ein, die konkrete Warenwie Cornflakes oder elektrischen Stromaber auch produktive Systeme, die

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    immaterielle Gter wie Bildung,Gesundheit, Wissen oderEntscheidungen produzieren. Ich

    verwende diesen Begriff, weil er es mierlaubt, alles vom Menschen Ersonnenob es sich hierbei nun um Gegenstndeoder Bestimmungen, Codes oderOperators handelt, in eine Kategorieeinzuordnen, und weil er es mir ebensoerlaubt, dieses ausgeklgelte

    Instrumentarium von anderen Dingen wGrundnahrungsmitteln oderGertschaften zu unterscheiden, die inkeiner Kultur der Rationalisierung

    unterworfen sind. Lehrplne oderEhegesetze sind nicht wenigervorstzlich geschaffene gesellschaftlichMittel als Straennetze.

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    Werkzeuge sind den gesellschaftlichenBeziehungen intrinsisch. Zwischen demeinzelnen und der Gesellschaft besteht

    durch die Werkzeuge eine Beziehung;entweder weil er sie aktiv beherrscht,oder weil er von ihnen beherrscht wirdIn dem Mae, in dem er seineWerkzeuge beherrscht, kann er der Weseine eigenen Vorstellungen aufprgen;in dem Mae, in dem er von seinen

    Werkzeugen beherrscht wird, bestimmtdie Gestalt des Werkzeugs seinSelbstbild. Werkzeuge sind dannkonvivial, wenn sie jedem, der sie

    benutzt, die bestmgliche Gelegenheitbietet, die Umwelt mit den Ergebnissenseiner Visionen zu bereichern.

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    Industrielle Werkzeuge enthalten ihren

    Benutzern diese Mglichkeit vor, undwer sie konstruiert, kann anderen dieeigenen Vorstellungen und Erwartungenaufzwingen.

    Heute lassen sich die wenigstenWerkzeuge auf konviviale Weise

    verwenden.Handwerkzeuge sind Werkzeuge, mitderen Hilfe die metabolische Energie

    des Manschen fr eine spezifischeAufgabe nutzbar gemacht wird. Sie sindentweder, wie einfache Hammer odergute moderne Taschenmesser, vielfach

    verwendbar, oder aber sie dienen, wie

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    Spindeln, Websthle oderpedalbetriebene Nhmaschinen oderBohrgerte von Zahnrzten, ganz

    spezifischen Zwecken. Sie knnen sehrkomplex sein, wie ein Transportsystemdas dazu dient, die menschliche Kraft iein Hchstma an Mobilitt umzusetzenwie beispielsweise ein System vondurch Meischen betriebenenSchubkarren und dreirdrigen Rikschas

    verbunden mit einem entsprechendenStraennetz mit Reparaturwerkstttenund vielleicht sogar as-phaltiertenFahrbahnen. Handwerkzeuge sind nicht

    anderes als einfache Umwandler derEnergie, die durch die Extremitten desMenschen erzeigt wird und mittelsAufnahme von Luft und Nahrung gespe

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    wird.

    nergiebetriebene Werkzeuge werden

    zumindest teilweise durch auerhalb demenschlichen Krpers erzeugte Energie

    betrieben. Einige von ihnen dienen alsVerstrker der menschlichen Kraft: EinOchse zieht den Pflug, aber der Menscharbeitet mit dem Ochsen das Ergebnikommt durch die Vereinigung der Krft

    von Mensch und Tier zustande.Motorsgen und motorbetriebeneFlaschenzge funktionieren auf hnlichWeise. Dagegen hat die Kraft, die zur

    Steuerung eines Jets bentigt wird,keinen wesentlichen Anteil mehr andessen Energieoutput. Der Pilot fhrt nnoch aus, was ein Computer ihm vorgib

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    Die Maschine braucht ihn nur noch inErmangelung eines besseren Computervielleicht befindet er sich aber auch nu

    deshalb im Cockpit, weil diegewerkschaftliche Kontrolle vonFlugzeugen seine Anwesenheitvorschreibt.

    Werkzeuge sind dann der Konvivialittfrderlich, wenn sie von jedem so oft

    oder so selten wie gewnscht verwendwer-42

    den knnen, um ein vom Benutzer selbs

    gewhltes Ziel zu erreichen. Wenn einMensch solche Werkzeuge benutzt,hindert das nicht einen anderen daran,sie auf die gleiche Weise zu benutzen.

    Wer sie benutzen will, mu keinen

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    Befhigungsschein vorweisen knnen.Da sie da sind, bedeutet nicht, da maverpflichtet ist, sie zu benutzen. Sie

    machen es ihrem Benutzer mglich,seine Vorstellungen durch sein Tun zumAusdruck zu bringen.

    Manche Institutionen sind ihrer Strukturnach konviviale Werkzeuge. EinBeispiel ist das Telefon. Wer etwas

    Kleingeld hat, kann anrufen, wen er wiWenn nimmermde Computer dafrsorgen, da die Leitungen blockiert sinund dadurch die Zahl der

    Privatgesprche eingeschrnkt wird,dann heit das nur, da eine Gesellschamit derLizenz Mibrauch betreibt, dieihr erteilt wurde, damit Menschen

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    miteinander sprechen knnen. DasTelefon gestattet es jedem, einer Persoseiner Wahl zu sagen, was er will; er

    kann Geschfte machen, von Liebesprechen oder einen Streit vom Zaun

    brechen. Brokraten knnen nichtvorschreiben, was sich Leute amTelefon zu sagen haben, auch wenn sieverhindern oder auch dafr sorgen

    knnen, da der Inhalt der Gesprchevertraulich bleibt.

    Die meisten Handwerkzeuge bieten sic

    fr den konvivialen Gebrauch geradezuan, es sei denn, der Zugang zu ihnenwird durch institutionelle Regelungenvorstzlich eingeschrnkt. Sie knnen

    dann Beschrnkungen unterliegen, wenn

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    sie zum Monopol eines Berufsstandesgeworden sind, wie das beiZahnarztbohrern der Fall ist, weil dere

    Gebrauch eine Konzession voraussetzt,oder bei Bibliotheken und Labors, wensie innerhalb von Bildungsstttenuntergebracht sind. Der Zugang zuWerkzeugen kann auch dann vorstzlich

    beschrnkt sein, wenn einfache Zangenund Schraubenzieher nicht mehr dazu

    taugen, moderne Autos zu reparieren.Ein derartiges Monopol und einederartige Manipulation sind nichtsweiter als Mibrauch, und durch sie

    wird der eigentliche Sinn und Zweck dWerkzeugs ebensowenig tangiert wieder des Messers, das fr einen Mord

    mibraucht wird.

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    Grundstzlich besteht der Unterschied

    zwischen konvivialen undmanipulierenden Werkzeugen nicht inihrem technischen Niveau. Was ber daTelefon gesagt wurde, liee sich Punktfr Punkt auch bezglich der Post odereines typischen mexikanischen Marktswiederholen. Sie sind alle institutionel

    Einrichtungen, die ein Hchstma anFreiheit bieten knnen, auch wenn sie ieinem weiteren Kontext zurManipulierung und Herrschaftsausbun

    mibraucht werden knnen. Das Telefoist Ergebnis hherer Ingenieurskunst;was die Post betrifft, so erfordert sie imPrinzip wenig Technik, aber

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    betrchtliche Organisationsmanahmenund Zeitplanung; der mexikanischeMarkt arbeitet nach traditionellem

    Muster mit einem Mindestma anOrganisation. Jede Institution, die sichihrer zweiten Wasserscheide nhert,luft Gefahr, manipulierend zu werden.So verursacht es beispielsweise hhereKosten, Unterricht zu ermglichen, als unterrichten. Die Kosten fr die

    Funktionstrger sind hher als dieKosten fr die Produktion.Komponenten, die dazu bestimmt wareninstitutionelle Zwecke zu erfllen,

    werden so umfunktioniert, da sie nichmehr unabhngig voneinander genutztwerden knnen. Fr den, der kein Autohat, sind Flugzeuge nicht erreichbar, un

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    wer kein Flugticket besitzt, kommt anHotels nicht heran, in denen Kongressestattfinden. Werkzeuge, mit denen auf

    be-scheidenere Weise das gleiche zuerreichen wre, werden vom Marktgedrngt. So wird der kultivierteBriefwechsel zur schwindenden Kunst.Whrend der vergangenen Jahre fieldiese Unterdrckung von Alternativenmeist mit der Entwicklung zunehmend

    leistungsfhigerer Werkzeuge und immkomplexerer Werkzeugsystemezusammen.

    Mglicherweise wird nicht jedes ineiner postindustriellen Gesellschaft zurAnwendung kommendeProduktionsmittel die Kriterien der

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    Konvivialitt erfllen. Es istanzunehmen, da es auch in einervorwiegend konvivialen Welt einige

    Gemeinwesen geben wird, die um einegreren Wohlstands willen auf ein

    bestimmtes Ma an Kreativittverzichten werden. Wir knnen davonausgehen, da die Elektrizitt in derbergangsphase zur zuknftigenProduktionsweise in be-44

    stimmten Lndern im allgemeinen nichtim Hinterhof produziert werden wird.

    Tatsache ist auch, da Eisenbahnzgeauf Schienen laufen und nach Fahrplanan einer begrenzten Zahl von Stationenhalten mssen. Hochseeschiffe sind zu

    einem bestimmten Zweck konstruiert;

  • 5/26/2018 Selbstbegrenzung - Ivan Illich

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    wren sie Klipper, mten sie sich unteUmstnden noch eher an festgelegteRouten halten als heutige Tanker.

    Telefonsysteme sind auf d