Selbstbewusst, aber fremdgesteuert: Wer bezahlt die Hacker ... · 2 SPRECHER Der Chaos Computer...

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1 NDR Info Das Forum, vom 28.05.2019 Selbstbewusst, aber fremdgesteuert: Wer bezahlt die Hacker? Ein Feature von Anna Loll Redaktion: Jens Brommann ***************** SPRECHERIN Dezember 2018. Auf dem Gelände der Leipziger Messe findet die größte Hacker-Veranstaltung der Welt statt: der Chaos Communication Congress. 17.000 Besucher sind dabei. In der „Hardware Hacking Area“, eine der riesigen Aussteller-Hallen, hat der Berliner Hackerverein c-base eine Raumstation gebaut - mit dem Berliner Fernsehturm als künstliche Antenne. Der Blick in den wolkenlosen Winterhimmel ist versperrt, beleuchtete Regenschirme hängen an der Decke wie fluoreszierende Quallen. Ein paar große Räume weiter, auf der Hauptbühne, diskutiert Frank Rieger, Sprecher des Chaos Computer Clubs, über Hacker- Verantwortung. Frank Rieger, Chaos Computer Club Egal ob man in Systeme eindringt oder über Sicherheitslücken stolpert oder Systeme baut: Eine gute Frage ist: heiligt der Zweck hier eigentlich die Mittel, Oder konkreter: was wäre wenn das, was du da gerade tust, dir jemand zufügen würde - wenn du davon betroffen wärest, wäre es immer noch okay? SPRECHER Die Quintessenz lautet also: Was Du nicht willst, das man dir tu, das füg‘ auch keinem anderen zu. SPRECHERIN Doch dieses Prinzip nach seinen eignen Werten zu handeln, muss man sich leisten wollen.

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NDR Info – Das Forum, vom 28.05.2019

Selbstbewusst, aber fremdgesteuert: Wer bezahlt die Hacker?

Ein Feature von Anna Loll

Redaktion: Jens Brommann

*****************

SPRECHERIN Dezember 2018. Auf dem Gelände der Leipziger Messe findet die

größte Hacker-Veranstaltung der Welt statt: der Chaos Communication

Congress. 17.000 Besucher sind dabei.

In der „Hardware Hacking Area“, eine der riesigen Aussteller-Hallen,

hat der Berliner Hackerverein c-base eine Raumstation gebaut - mit

dem Berliner Fernsehturm als künstliche Antenne. Der Blick in den

wolkenlosen Winterhimmel ist versperrt, beleuchtete Regenschirme

hängen an der Decke wie fluoreszierende Quallen.

Ein paar große Räume weiter, auf der Hauptbühne, diskutiert Frank

Rieger, Sprecher des Chaos Computer Clubs, über Hacker-

Verantwortung.

Frank Rieger, Chaos Computer Club

Egal ob man in Systeme eindringt oder über Sicherheitslücken stolpert

oder Systeme baut: Eine gute Frage ist: heiligt der Zweck hier eigentlich

die Mittel, Oder konkreter: was wäre wenn das, was du da gerade tust,

dir jemand zufügen würde - wenn du davon betroffen wärest, wäre es

immer noch okay?

SPRECHER Die Quintessenz lautet also: Was Du nicht willst, das man dir tu, das

füg‘ auch keinem anderen zu.

SPRECHERIN Doch dieses Prinzip nach seinen eignen Werten zu handeln, muss man

sich leisten wollen.

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SPRECHER Der Chaos Computer Club, kurz: CCC, tut es.

Anders als viele andere Vereine, Nichtregierungsorganisationen und

Stiftungen der Szene, lehnt es der Chaos Computer Club strikt ab, von

Regierungen oder Unternehmen Geld zu nehmen. Er finanziert sich

fast ausschließlich durch Mitgliedsbeiträge. Die Arbeit im „Club“, wie

ihn seine Mitglieder liebevoll nennen, ist bis auf sehr wenige

Organisationsjobs beim Kongress ehrenamtlich.

Frank Rieger erklärt den einfachen Grund: Geld macht abhängig, selbst

bei besten Intentionen.

Frank Rieger, Chaos Computer Club

Natürlich haben Menschen, die von Spenden bezahlt werden oder

überhaupt bezahlt werden, in solchen Kontexten natürlich Interesse

daran, ihren Job zu behalten. Das ist halt erst einmal deren vorderstes

Ziel, was dazu führt, dass man Kompromisse macht oder

Entscheidungen trifft, die jetzt möglicherweise nicht so radikal sind

oder nicht so konsequent sind, wie man sie treffen kann, wenn man es

nur freiwillig macht, was man gerade Lust drauf hat.

SPRECHER Das sei kein Werturteil, betont Rieger, sondern eine Frage der

Prioritätensetzung.

Frank Rieger, Chaos Computer Club

Es ist ja durchaus zum Beispiel in der universitären Forschung so, dass

Wissenschaftler explizit von bestimmten Gebieten weg gehalten

werden, indem man eine Förderung für anderes gibt. So ähnliche

Tendenzen lassen sich da, glaube ich, auch so bei diesem ganzen

Privacy Sponsoring und so durchaus auch beobachten, dass halt

gewisse Gebiete, die irgendwie einen hohen Impact haben würden

eben nicht gefördert werden und welche, die eher relativ harmlos sind,

relativ viel Geld bekommen.

SPRECHERIN Solch einen externen Einfluss will man beim CCC vermeiden.

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SPRECHER Einer der prägendsten Figuren des Chaos Computer Clubs war der

Journalist und Computer-Aktivist Wau Holland, ein entschiedener Anti-

Militarist mit einem Hang zu anarchistischem Gedankengut.

SPRECHERIN Unter Hollands Einfluss gab sich der Chaos Computer Club im

Orwell’schen Jahr 1984 ein Manifest: Ein Bekenntnis zur Transparenz

und Zugänglichkeit von öffentlichen Informationen, zum Schutz der

Privatsphäre des Einzelnen , zum Misstrauen gegenüber Autoritäten

und zur Dezentralisierung von Machtstrukturen.

SPRECHER Mit dieser Hackerethik und der Entscheidung gegen staatliche und

militärische Finanzierung hat der Chaos Computer Club den

Nährboden für eine einzigartige Subkultur geschaffen: für eine

internationale Zivilgesellschaft aus kreativen Freigeistern und politisch

interessierten Erfindern; eine technische Avantgarde mit hehren

ethischen Überzeugungen wie Machtkontrolle, Gemeinwohl und

Toleranz.

SPRECHERIN Der Rest einer freiheitlich orientierten Gesellschaft profitiert davon.

Etliche Leaks - also: heimlich veröffentlichte Daten wie die von

WikiLeaks oder Edward Snowden - sind mit der Hackerszene eng

verbunden.

SPRECHER Aber auch Erfindungen aus der Hackerszene bereichern den Alltag der

Menschen: 3-D-Drucker, Forschung zu Schnittstellen zwischen Gehirn

und Maschinen, der freie Zugang zu Verschlüsselungssystemen. Private

Computer. Auch Wikipedia geht auf eine Idee aus der Hackerszene

zurück.

SPRECHERIN 18 Jahre nach Hollands Tod ist Andy Müller-Maguhn, Mitgründer des

Chaos Computer Clubs und Vorstand der Wau Holland Stiftung, alles

andere als glücklich mit der Entwicklung der Hackerszene.

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Auf dem Kongress sitzt der 47-Jährige etwas abseits, am Tisch seiner

Stiftung, am Rande der „Freedom Area“. NGOs präsentieren sich hier

mit Flyern, Broschüren und Postern. Die meisten Kongress-Besucher

interessieren sich mehr für die Sticker vom Stand nebenan als für die

Spendenbox von Wau Holland.

Andy Müller-Maguhn, Wau Holland Stiftung

Jetzt gibt es aber in der Hackerszene noch nicht eine durchgehend

geprägte Immunität gegenüber wenn man jetzt einer mit `nem großen

Sack Geld ankommt und sagt Ihr könnt jetzt mit der Technologie mal

richtig geil rumspielen. Und ja gut wir haben da einen kleinen Zweck

mit und der ist so und so und so. Und da gibt`s irgendwie nach meinem

Empfinden noch nicht genug Leute die dann sagen: Nö. Diesen Zweck

unterstütze ich nicht.

SPRECHER Für Andy Müller-Maguhn ist diese unpolitische Haltung unter

anderem eine Folge der Amerikanisierung.

Die US-amerikanische Hackerszene sei von einer apolitischen

Technologie-Begeisterung geprägt. Wenn jenseits des Atlantiks ein

Hacker unter dem Schlagwort „Informationsfreiheit“ für die Polizei

oder die Nachrichtendienste arbeite, sei das dort völlig okay. Inwiefern

seine Arbeit Bürgerrechten schade, interessiere aber kaum. Diese

leistungsorientierte, opportunistische Einstellung machten sich

Regierungen zu nutze. Auch in Deutschland. Für Müller-Maguhn ist

dies nicht mit der Hackerethik vereinbar.

Andy Müller-Maguhn, Wau Holland Stiftung

Das sind so ganz fiese Verstrickungen, wo dann erst mal Geld ohne

Bedingungen auf dem Tisch liegt und alle sich freuen und alle denken:

aber die reden mir doch gar nicht rein. Und wenn ich da versuche eine

kritische Diskussion anzuregen ... dann heißt es, es stimmt ja gar nicht,

wir machen ja was wir wollen, wir sind doch Anarchisten. Und dann,

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aus dieser Bequemlichkeit, entstehen mittel bis langfristig

Abhängigkeiten, wo dann auf einmal eben doch Regeln durchgesetzt

werden, die überhaupt nicht den ursprünglichen Ansätzen entstanden.

Und das ist eher so eine schleichende Gefahr. (Stimme oben)

SPRECHER Besonders kritisch erwähnt Müller-Maguhn in diesem Zusammenhang

die Rolle der US-amerikanischen Stiftung „Open Technology Fund“.

SPRECHERIN Der Open Technology Fund, kurz: OTF, ist zwar nicht der einzige, aber

einer der wichtigsten und umstrittensten Geldgeber der

internationalen Hackerszene.

SPRECHER Laut OTF-Webseite geht es darum „Demokratie“ in die Welt zu tragen.

Im Fokus für Förderungen sind dabei unter anderem Projekte, die sich

darauf konzentrieren, die staatliche Zensur in Ländern wie dem Iran

oder China zu umgehen.

SPRECHERIN So begrüßenswert dies scheint: Wie man sich gegen die Überwachung

durch die heimische NSA schützen kann, spielt dagegen beim OTF

kaum eine Rolle.

SPRECHER Geld bekommt der OTF vom amerikanischen Kongress. Und durch

seine Organisationsstruktur ist der OTF direkt an den US-Präsidenten

gebunden.

SPRECHERIN Andy Müller-Maguhn beobachtet bei von OTF geförderten Projekten

immer wieder, dass auch staatliche Interessen eine Rolle spielen.

Ein Beispiel sei die WhatsApp-Alternative „Signal“.

SPRECHER Signal ist in der Hackerszene von vielen geschätzt, weil Signal - anders

als WhatsApp - immer verschlüsselt.

SPRECHERIN Müller-Maguhn teilt diese Zuneigung nur bedingt: Signal speichere die

Daten seiner Nutzer auf Amazon-Servern. Und seit Signal vom OTF

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gefördert werde, hätte das Thema „anonyme Kommunikation“ bei

dem Unternehmen keine Priorität mehr.

Andy Müller-Maguhn, Wau Holland Stiftung

Eigentlich ein tolles Projekt, hat auch eine relativ solide

Verschlüsselung, beruht aber merkwürdigerweise immer noch darauf,

dass man da seine echte Telefonnummer angibt. Das heißt, dass die

Metadaten der Kommunikation, wer mit wem kommuniziert, immer

noch offen liegen. Und das ist eigentlich vor Jahren schon mal

thematisiert werden. Aber seit dieses Projekt auch über drei Millionen

von diesem OTF Fund bekommen hat, also State Departement-Geld, ist

da keine Rede mehr von.

SPRECHER Es ist jedoch nicht nur der Open Technology Fund, der Projekte in der

Szene finanziert.

SPRECHERIN Besondere Kritik in der Hackerszene ruft die Forschungsagentur des

US-Verteidigungsministeriums hervor: „DARPA“, die „Defense

Advanced Research Project Agency“.

Die Agentur war schon früh einer der wichtigsten Geldgeber der Szene.

Unter anderem finanzierte DARPA tausende Hacker-Treffs, sogenannte

„Hackerspaces“, an amerikanischen Schulen.

SPRECHERIN Szene-Urgestein Mitch Altman.

In der Szene ist der 62-Jährige unter anderem wegen der Erfindung

von „TV-B-Gone“ bekannt: Eine Universalfernbedienung, die jeden

Fernseher ein- und ausschalten kann.

Nach Berlin kommt er mehrmals pro Jahr. Und wie überall gibt er hier

Lötworkshops. Umsonst. Dazu trägt er meist ein grünes T-Shirt. Es zeigt

eine Hand mit einem Lötkolben und verkündet:

SPRECHER „If it smells like chicken, you are doing it wrong“: “

SPRECHERIN Wenn es nach Hühnchen riecht, machst Du was falsch.”

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Mitch Altman (Over Voice)

Altman: for me a hacker is someone who really has a particular, a

particular way of seeing things a way of being. So seeing the world is

full of resources, full of resources…..

(OVER VOICE )

Für mich ist ein Hacker jemand, der überall Ressourcen sieht. Sein Ziel:

Alle diese Ressourcen sind für jedermann verfügbar, um sie für alles

Mögliche zu verwenden, was man sich wünscht, um Projekte zu

verbessern, sie großartiger zu machen, zu sehen, was funktioniert, was

nicht funktioniert, und das dann mit anderen Leuten zu teilen. Das ist

für mich Hacking.

(OVER VOICE)

Würde das auch auf jemanden zutreffen, der für die National Security

Agency arbeitet? Die nutzen ja schließlich auch Ressourcen und hacken

Systeme, indem sie sie auseinander nehmen – eben nur für den Zweck,

der ihnen wichtig ist.

(OVER VOICE )

Nun, sie teilen das nicht, oder?

(OVER VOICE)

Okay... und was ist mit Kriminellen?

(OVER VOICE )

Sie teilen auch nicht, oder?

SPRECHER Ob Hacker nun Kriminelle sind oder nicht – in jedem Fall sind sie

Fachleute, die viel von Computern verstehen.

Unternehmen und vor allem der Staat versuchten von Anfang an,

möglichst viele von ihnen für ihre Zwecke zu vereinnahmen. Mit einem

einfachen, klassischen Rezept: Strafe und Belohnung.

SPRECHERIN Auf der einen Seite droht selbst Jugendlichen für neugieriges

Ausprobieren schon Gefängnis, andererseits winkt für Kooperation mit

den Behörden und Unternehmen Geld. Und zwar viel Geld.

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SPRECHER Mitch Altman erzählt von seinen Erfahrungen im Hackerspace

Noisebridge in San Francisco. Er hatte ihn 1998 mit Mitstreitern

gegründet.

Mitch Altman (OVER VOICE)

The US military has come around. They've tried to recruit people. I have

no idea if people have gone for it or not. That's up to them but

Noisebridge has not accepted money from DARPA. Noisebridge doesn't

accept money from people such as Peter Thiel who wanted to give us

money.

(OVER VOICE)

Das amerikanische Militär kam vorbei. Sie haben versucht, Leute zu

rekrutieren. Ich habe keine Ahnung, ob die Leute sich dafür entschieden

haben oder nicht. Das liegt an ihnen, aber Noisebridge hat kein Geld

von DARPA akzeptiert. Noisebridge akzeptiert auch kein Geld von

Leuten wie Peter Thiel, der uns Geld geben wollte.

SPRECHERIN Peter Thiel, ein in Frankfurt am Main geborener US-amerikanischer

Investor, ist nicht nur Mitbegründer von Paypal, sondern auch von

Palantir Technologies.

Palantir verkauft Überwachungs- und Finanzsoftware. Einer der ersten

Kunden und Investoren war die CIA.

SPRECHER Mitch Altman, das Urgestein der Hackerszene, kommt aus Chicago. In

seiner Jugend gehörte Altmann zu den sogenannten Phone-Freakern,

den Vorläufern der Computer-Hacker. Als es noch keine Computer für

Jedermann gab, geschweige denn das Internet, manipulierten die

jungen „Freaker“ Telefonleitungen – um die Technik zu verstehen.

Aber auch, um umsonst telefonieren zu können.

SPRECHERIN Später setzte sich Altman bei kleinen Start-Up-Unternehmen mit

Gehirnströmen, mit Stimmerkennung und Datenbanken auseinander,

als das noch kaum jemand tat. Vorreitertechnologie - interessant, auch

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für DARPA vom US- Verteidigungsministeriums - zu Altmans

Leidwesen.

Mitch Altman (Over Voice)

So every time when the military has come around in places I've worked,

the people I worked for said yes because their primary thing is making

more profit and…

(OVER VOICE )

Überall, wo ich gearbeitet habe, kam das Militär. Und immer stimmten

die Leute einer Zusammenarbeit zu. Es ging für sie primär um Profit. An

sich ist an Profit nichts falsch. Aber wenn man seine Ethik und das, was

richtig ist, dafür verkauft, ist das absolut inakzeptabel.

Ich musste echt jeden Job kündigen, den ich hatte, weil das passiert ist.

SPRECHER Nicht alle Hacker oder hackernahe Organisationen sind so konsequent.

Ein Beispiel ist das Unternehmen Tor Project aus Seattle.

SPRECHERIN In der Szene ist ein Arbeitsplatz bei Tor sehr beliebt. Die Jobs sind gut

bezahlt, und Tors Verschlüsselungssoftware gilt als „state of the art“.

Auch sehr viele Freiwillige arbeiten dem Non-Profit-Unternehmen zu.

Es stört sie offenbar nicht, dass Tor vom US-Militär entwickelt wurde

und wesentlich von der amerikanischen Regierung finanziert wird: dem

Pentagon, dem Außenministerium und OTF, dem Open Technology

Fund. Es war die US Navy, die Tor entwickelte, um die Kommunikation

von Spionen und Militärs geheim zu halten.

SPRECHER Die Verschlüsselungstechnik war solide. Doch es gab ein strukturelles

Problem: Nutzten nur US-Militärs Tor, wären sie sofort für den Gegner

erkennbar. Also beschloss man, die Software für das breite Publikum

zu öffnen. In der Masse lässt es sich gut verstecken.

SPRECHERIN Der Plan ging auf.

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SPRECHER Heute wird Tor auch von Kriminellen genutzt, um im Darknet

Geschäfte zu machen - genauso wie von politischen Dissidenten wie

Edward Snowden.

SPRECHERIN Der Journalist Yasha Levine hat sich intensiv mit Tor

auseinandergesetzt.

In der Hackerszene ist er nicht besonders beliebt, unter anderem

wegen seiner hin und wieder durchaus provokanten Darstellung der

Sachverhalte.

Yasha Levine (Over Voice)

Imagine you're in the Soviet Union right and you have a dissident who

just got out of jail….. But you just change the KGB to the Navy. (Stimme

oben)

(OVER VOICE)

Stellen Sie sich vor, Sie leben in der Sowjetunion, okay, und da gibt es

diesen Dissidenten. Er ist gerade aus dem Gefängnis entlassen worden.

Und dieser Dissident ist berühmt, und er erzählt Ihnen: Hör’ zu, ich

habe hier diese neue Fax-Technologie mitentwickelt. Und mit dieser

neuen Fax-Technologie kannst Du jetzt faxen, ohne dass die Regierung

es mitlesen kann. Okay, der KGB hat die Entwicklung gesponsert. Aber,

die wissen nicht einmal, was sie da gefördert haben. Die haben keine

Ahnung. Man muss nur den KGB durch die US Navy ersetzen.

SPRECHERIN Dass Tor auch zum Teil eine Bereicherung für die Zivilgesellschaft ist,

streitet Levine nicht ab. Aber er fragt sich, wie weitreichend der Schutz

sein kann, den Tor durch seine Verschlüsselung seinen Nutzern

garantieren will. Und wie selbstständig die Tor-Entwickler letztlich in

ihrer Arbeit sind.

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Yasha Levine (Over Voice)

It's some kind of multilayered national security tool that is kind of

weirdly complex but it's owned and funded entirely by the government.

So you can keep maybe tabs on them and or and you can redirect them

into what essentially like a neutralizing kind of space where they don't

really do anything dangerous. But they feel like they're doing something

dangerous.

(OVER VOICE)

Es ist ein vielschichtiges nationales Sicherheitswerkzeug, das komplex ist.

Am Ende aber gehört es der Regierung und wird vollständig von ihr

finanziert. So können die Aktivisten im Auge behalten werden. und

beschäftigt, sozusagen neutralisiert werden. Indem ihre Energie in einem

Projekt gebunden wird, mit dem sie nicht wirklich etwas für die

Regierung Kritisches oder Gefährliches tun. Trotzdem haben sie das

Gefühl, dass sie das machen.

SPRECHERIN Die Mitarbeiter von Tor sieht Levine fehlgeleitet, gewissermaßen Opfer

staatlicher, aber auch monetärer wie sozialer Manipulation.

Yasha Levine (Over Voice)

I don't think that the majority of people there are, you know, cynically

working for this organization, yet knowing that they're actually

empowering Google or empowering the NSA....

(OVER VOICE)

Ich glaube nicht, dass die Mehrheit der Leute, die dort arbeiten, zynisch

sind, also im vollen Bewusstsein, dass sie Google oder die NSA

unterstützen. Nein, natürlich nicht. Ich denke, dass sie an Tor glauben

wollen. Natürlich bringt es auch Vorteile: Plötzlich bist Du kein Ingenieur,

der nur an einer lahmen Sache für Amazon oder Google arbeitet. Du bist

ein Ingenieur, der die Welt rettet, der Dissidenten, die Menschenrechte

schützt.

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SPRECHER Nicht nur Geheimdienste bedrohen die Privatsphäre der Bürger. Auch

Internetunternehmen wie Google oder Facebook bedrohen sie.

SPRECHERIN Doch genau gegen deren Datensammel- und Analysegeschäft fehlen

Werkzeuge, mit denen sich die Nutzer wirklich effektiv vor dem Abfluss

ihrer persönlichen Daten schützen können. Bewegungsdaten,

Suchanfragen oder auch die aktuelle Stimmungslage angesichts der

Musikplaylist sind alle dienlich für genaue Persönlichkeitsprofile.

SPRECHER Das Problem: Projekte, die sich gegen diese Überwachung und Analyse

durch Internetriesen richten, finden schwer eine Finanzierung, einen

Geldgeber.

Über diese Schwierigkeiten reden möchte im Interview kaum jemand. In

Hintergrundgesprächen wird jedoch immer wieder deutlich: sobald es um

die Entwicklung von wirklich effizienter Verschlüsselung geht oder aber

gegen Google oder Facebook, scheint das Interesse von Geldgebern

gering.

Auch in Europa.

SPRECHERIN 40 Kilometer südwestlich vor der schwedischen Küste, liegt die zu

Dänemark gehörende Insel Bornholm. Grüne Felder, kleine Häuschen. Viel

Meer und viel Wind.

Auf einem Pfadfindergelände gibt es seit ein paar Jahren im August das

Hackercamp „Bornhack“. Ein Mix aus Festival und Konferenz, es wird

gefeiert und gezeltet, den Computer dabei und die Breitbandanbindung

natürlich auch.

Der Kryptologe David Stainton hat gerade einen Vortrag zu den Vor- und

Nachteilen von „gemischten Netzwerken“ gehalten – einer speziellen

Form der Verschlüsselung. Wasserdicht funktioniert auch sie allerdings

noch nicht.

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David Stainton, Center for Cultivation of Technology (Over Voice)

I think cryptographers have essentially failed us. We don't have a secure

messaging system of any kind. Right now it's true ...

(OVER VOICE)

Die Kryptographen haben uns im Stich gelassen. Wir haben kein sicheres

Nachrichtensystem. Messengerdienste wie WhatApp oder die WhatsApp-

Alternative Signal schützen zwar die Vertraulichkeit von Nachrichten. Aber

das ist kein sicheres Verschicken, denn solche Systeme veröffentlichen eine

Menge Metadaten. Und das ist sehr ernst.

SPRECHERIN Stainton arbeitet für das Center for Cultivation of Technology. Hauptsitz ist

Berlin. Metadaten bereiten ihm und seinen Kollegen großes

Kopfzerbrechen.

SPRECHER Denn Metadaten sind Verbindungsdaten. Das heißt: Auch wenn

Chatnachrichten oder E-Mails selbst verschlüsselt sind, können aus diesen

Daten soziale Profile erstellt werden: wer hat wann, mit wem, wie häufig

und von wo aus kommuniziert? Die Profile sind die Basis für erfolgreiches

Marketing; und für die Kontrolle von Andersdenkenden, oder anders

Lebenden - politische Überzeugungen, sexuelle oder religiöse Präferenzen –

aus den Metadaten lassen sich unzählige Informationen gewinnen.

SPRECHERIN Verantwortlich, sagt David Stainton, seien für diese Situation allerdings

nicht nur die Kryptologen. Ein Problem seien auch die Geldgeber.

Wie andere sieht auch Stainton den amerikanischen Open Technology Fund

kritisch.

SPRECHER Stainton und seine Kollegen bevorzugen deshalb europäische

Geldgeber. Hier habe man noch keine negativen Erfahrungen mit

inhaltlichen Vorgaben gemacht.

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SPRECHERIN Seine Organisation wird unter anderem von der Renewable Freedom

Foundation gefördert, einer privaten Stiftung aus Ingolstadt, gegründet

vom Verleger Georg Schäff.

SPRECHER Die Renewable Freedom Foundation ist weitgehend unbekannt. Und doch

ist sie eine der wenigen europäischen Stiftungen, die Themen wie

Meinungsfreiheit und Verschlüsselung im Netz fördern. Alternativen zu

amerikanischem Geld sind rar.

SPRECHERIN Das Mozilla-Büro in Berlin.

SPRECHER Mozilla ist eine US-amerikanische Non-Profit-Organisation aus Kalifornien.

Sie setzt sich für die Verbreitung von Freien-Software-Programmen ein. Am

bekanntesten ist Firefox, eine Alternative zu Googles Internetbrowser

Chrome.

SPRECHERIN Im Berliner Stadtteil Kreuzberg hat Mozilla ein schickes Loft in einer alten

Fabrik bezogen, mit Backsteinwänden, gläsernen Konferenzräumen und

Schokobonbons am Empfang.

SPRECHER Die Programmiererin Julia Kloiber ist hier Stipendiatin, eine kleine Frau mit

großer Brille und Kurzhaarschnitt. Bevor sie mit Mozilla

zusammengearbeitet hat, hat Julia Kloiber mit anderen Hackern den

Prototype-Fund gegründet. Er wird vom Bundesforschungsministerium

gefördert. Ihre Motivation entstand aus eigener schmerzlicher Erfahrung,

unabhängige Forschungsgelder für Projekte zu bekommen.

Julia Kloiber, Mozilla-Foundation

Es ist sehr schwierig als Einzelperson als kleines Team, das eine gute

Idee hat an Fördergelder zu kommen, vor allem von Ministerien. Also

man passt da überhaupt nicht in die Förderkataloge rein, man muss ein

Verein oder eine Firma sein um sich auf Fördergelder bewerben zu

können.

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SPRECHER Der Prototype-Fund will nun diese Lücke füllen. Für Kloiber und ihre

Mitstreiter hat eine von politischen Vorgaben unabhängige Förderung

oberste Priorität. In Deutschland sei das allerdings keine so große

Herausforderung wie zum Beispiel in den USA beim Open Technology

Fund, meint die Programmiererin.

Julia Kloiber, Mozilla-Foundation

Also OTF ist ja vom amerikanischen Außenministerium und da ist

bestimmt eine Agenda dahinter nämlich Meinungsfreiheit auf der

ganzen Welt zu fördern und ja, vielleicht dann auch Regime zu

unterlaufen oder Oppositionen zu fördern und zu unterstützen. In

Deutschland ist es dann doch wenn man sich die Ministerien anguckt

nicht so stark mit einer politischen Agenda versehen. Zumindest für das

BMBF kann ich das ganz klar sagen. Es sind wirklich Themen, wo man

sich anguckt, was ist denn gerade relevant für die Forschung. Klar, eine

Organisation, die Gelder vergibt, hat natürlich immer ein Ziel und ein

Interesse. Alles andere wäre ja auch ziellos. Und dann muss man

gucken, ob sich die vereinbaren lassen, die Interessen, ob die

aufeinander passen.

SPRECHER Doch so ganz kann man sich das nicht immer aussuchen.

Kloiber selbst hat sich mit einem Projekt in der Vergangenheit auch

von Google fördern lassen. Für viele in der Hackerszene ein No-Go.

Die Entscheidung ist ihr und ihrem Team deshalb nicht leicht gefallen.

Doch es war klar: außer Google gab es damals keine andere

Möglichkeit, das Projekt in Deutschland zu finanzieren.

Julia Kloiber, Mozilla-Foundation

So haben wir das eine Projekt gestartet und dann über die Jahre wurde

es aber von der Bundeszentrale für politische Bildung finanziert und

auch über das Wissenschaftsjahr. Das heißt: manchmal braucht man

Gelder um etwas zu starten und dann kommen die großen Förderer

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oder staatliche Organisationen weil dieses Thema dann erst in deren

Förderkatalogen auftaucht.

SPRECHERIN Dass auch die deutsche Hackerszene so abhängig ist von US-Geld, erschwert

nicht nur Innovation und Entwicklung.

SPRECHER Es ist auch ein Problem für die Zivilgesellschaft. Sie braucht die Hacker als

unabhängige Berater. Wo es kein unabhängiges Wissen gibt, ist eine

angemessene Kontrolle der Regierung oder der Unternehmen kaum möglich.

SPRECHERIN Wie schwierig es sein kann, in Deutschland Förderer für kritische Projekte der

digitalen Zivilgesellschaft zu finden, weiß auch Markus Beckedahl,

Chefredakteur von Netzpolitik.org. - eine Nachrichtenseite zu Themen wie

digitalen Freiheitsrechten und Überwachung.

Markus Beckedahl, Netzpolitik.org

Es gibt Teile der digitalen Zivilgesellschaft in Deutschland, die keine andere

Chance in der Vergangenheit hatten, gute Ideen zu realisieren ohne Geld von

Google zu nehmen und die dann natürlich Geld von Google genommen haben,

weil sonst ihre Arbeit nicht möglich gewesen wäre, die ihnen aber seitdem

auch so ein Bias-Stempel dranhängt, dass wenn man sich mit Google ins Bett

gesetzt hat immer irgendwie auch an Google dranhängt. Und das ist ein

ziemliches Problem.

SPRECHER Beckedahl ist einer der bekanntesten netzpolitischen Aktivisten Deutschlands.

SPRECHERIN International bekannt wurde er 2015 durch Ermittlungen der

Generalbundesanwaltschaft wegen Landesverrats. Netzpolitik hatte ein

geheimes Dokument des Verfassungsschutzes veröffentlicht. Die Ermittlungen

wurden nach bundesweiten Protesten eingestellt, der verantwortliche

Generalbundesanwalt verlor sein Amt.

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SPRECHER Was Fördergelder angeht, hat Unabhängigkeit für Netzpolitik Priorität. So hat

sich das Online-Medium gegen Geld von Google entschieden. Eine

Entscheidung, die dem Medium zwar Respekt gebracht hat, aber auch einen

deutlichen Wettbewerbsnachteil.

Markus Beckedahl, Netzpolitik.org

Also ein Beispiel ist die Google News Initiative. Google verteilt auf 150

Millionen an journalistische Medien in Europa ein großer Teil davon geht an

Deutschland und wir hätten sicherlich auch gute Chancen eine halbe Million

Euro zum Beispiel zu beantragen bewilligt zu bekommen um damit unsere

technischen Infrastrukturen mal richtig ausbauen zu können.

Eine halbe Million könnten wir vielleicht sieben bis zehn Entwickler ein ganzes

Jahr lang entwickeln lassen. Stattdessen haben wir eigentlich nur eine

Halbtagsstelle für technische Entwicklungen die zugleich Administrationen ist,

die wir aus unseren Spendengeldern finanzieren.

SPRECHERIN In Deutschland gebe es zu wenige Stiftungen, die sich mit dem Thema der

digitalen Zivilgesellschaft beschäftigen, moniert Beckedahl. Ein riesiges

Innovationspotential liege brach.

SPRECHER Schon die Zahlen verdeutlichen das Problem. Während der US-amerikanische

Open Technology Fund in 2017 8,4 Millionen Dollar Budget zur Verfügung

hatte, hat der Prototype-Fund seit seiner Gründung vor drei Jahren rund 3

Millionen Euro für Projekte vergeben können. Dazu kommt: die geförderten

Projekte erhalten nur eine Unterstützung von maximal 47.500 Euro. Beim

Open Technology Fund sind es maximal 900.000 Dollar.

SPRECHERIN Schwere Zeiten für idealistische Computer-Aktivisten. Und volle Fleischtöpfe

für all jene, für die die alte Hackerethik nichts gilt. Diese einseitige Förderung

ist ein Problem - nicht nur für die Hackerszene. Denn eine freie Gesellschaft

braucht Hacker als unabhängige Erfinder und Berater. Und nicht bezahlt vom

Pentagon.

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