SFGJKL SFGKL SFGKLÇ SFBNKLÇ SFGLÇK SFBNKLÇ
description
Transcript of SFGJKL SFGKL SFGKLÇ SFBNKLÇ SFGLÇK SFBNKLÇ
-
Paulus Akademie Zrich, 18. September 2014:
Aushhlung von Demokratie und Marktwirtschaft Gefhrdete Ordnungen der Freiheit
Martin Rhonheimer
Freiheit und Selbstverantwortung des Brgers
Bemerkungen aus moralphilosophischer Sicht
1) Philosophische und theologische Begrndung von Freiheit und Ver-
antwortung
Gem der biblischen Schpfungsgeschichte wurde der Mensch als Mann und Frau
dem Ebenbild Gottes gem geschaffen. Deshalb ist der Mensch gerufen, sein Leben
aufgrund eigener Entscheidungen zu fhren. Menschen sind nicht instinktgetrieben,
sondern Vernunftwesen und deshalb gleichsam dazu verurteilt, das Gute und jeweils
Richtige selber zu erkennen und zu whlen. Eine solche Freiheit begrndet Verant-
wortung: Verantwortung fr das eigene Tun und in gewisser Hinsicht auch fr seine
Folgen (denn wir sind nicht fr alle Folgen unserer Handlungen verantwortlich).
Mitmenschen und Institutionen, insbesondere Erzieher, zuallererst die Eltern im
Rahmen der Familie, auch Religion und ihre Lehrinstanzen, helfen dem Menschen,
Gut und Bse unterscheiden zu lernen. Doch entscheiden, was er tun soll, muss der
Einzelne letztlich immer selbst. Auch die Entscheidung, einer Autoritt zu folgen,
Experten Gehr zu leisten, ja selbst Gehorsam in den verschiedensten Situationen
des Lebens, ist letztlich immer eine persnliche Entscheidung, fr die jeder Einzelne
die Verantwortung trgt.
Der Bereich, in dem Gut und Bse klar und allgemein gltig definiert ist, ist aber
relativ klein. Er lsst sich vor allem durch einige Verbote abstecken, wie sie die j-
disch-christliche Tradition in den zehn Geboten formulierte, etwa in den Geboten
Du sollst nicht tten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht die Ehe brechen,
du sollst nicht lgen. In diesen wenigen Verbotsnormen findet sich eigentlich
schon der gesamte Bereich des moralisch Notwendigen und fr alle Gltigen einge-
grenzt.
-
2
Die meisten Entscheidungen, die fr unser Leben wichtig sind, beziehen sich jedoch
auf Fragen, in denen es keine allgemeine, fr alle gltige Antwort gibt. Hier ist Krea-
tivitt, Klugheit und Sachkenntnis gefragt; gefragt ist auch Mut zum Risiko und
Freude am eigenverantwortlichen Tun. Die Temperamente der Menschen sind al-
lerdings verschieden. Einige Menschen sind von Natur aus risikofreudiger, andere
mehr auf Absicherung bedacht; einige besitzen den angeborenen Hang, schwierige
Dinge gerne anzupacken, andere schrecken vor Schwierigkeiten eher zurck und
lassen sich durch sie leicht davon abhalten, das Richtige oder Ntige zu tun. Dafr
sind sie bedchtiger, im Unterschied zu jenen, die sich leicht aus oberflchlicher Be-
geisterung zu khnen, aber vielleicht unklugen Unternehmungen hinreien lassen.
Deshalb bedarf verantwortliche Freiheit der Tugenden. Sittliche Tugenden sind
jene erworbenen Dispositionen, die natrliche Charaktermngel oder charakterliche
Einseitigkeiten ausgleichen, den Charakter vervollkommnen und menschliches Ent-
scheiden und Tun auf das Gute ausrichten. Man unterscheidet deshalb vier groe
Grundtugenden, in denen alle anderen ihren Angelpunkt besitzen (Kardinaltugen-
den) und auf die hin sie irgendwie geordnet sind: Klugheit, Gerechtigkeit, Mig-
keit und Tapferkeit.
2) Konsequenzen fr die staatliche und wirtschaftliche Ordnung
Aus dem Gesagten ergibt sich eigentlich mit logischer Stringenz, dass die staatliche
Ordnung eine Ordnung der Freiheitsermglichung sein sollte, die dem Menschen
nicht auf paternalistische Weise vorgibt, worin sein Glck besteht und wie er sein
Leben zu organisieren hat. Sie muss vielmehr eine Ordnung sein, die den Brgern
Freiheit ermglicht, diese vor dem Missbrauch der Freiheit ihrer Mitbrger schtzt
und davon ausgeht, dass die Brger die Verantwortung fr ihre Handlungen tragen.
Schlielich sollte sie auch eine Ordnung sein, die es dem Menschen ermglicht, ein
tugendhaftes Leben zu fhren. Dies nicht im dem Sinne, dass der Staat eine morali-
sche Erziehungsanstalt wre; vielmehr sollten staatliche Institutionen und Gesetze
Anreize setzen, die nicht unverantwortliches und lasterhaftes, sondern tugendhaftes
-
3
Verhalten und damit Potenzierung der Freiheit begnstigen. Der Staat und die Ge-
setze sind nicht dazu da, Moral zu lehren. Doch sollten sie rechtliche und institutio-
nelle Rahmenbedingungen bereitstellen, die jenen Tugenden frderlich sind, die fr
das menschliche Zusammenleben unabdingbar und mglich sind: Achtung vor dem
Leben, Respekt vor dem Eigentum, Treue in mitmenschlichen Beziehungen und
Ehrlichkeit, das Einhalten von Vertrgen, die Fhigkeit, Interesse am Wohl des
Mitmenschen zu dem man in einer Beziehung z.B. als Arbeitgeber, Nachbar oder
Erziehungsverantwortlicher steht zu entwickeln, und zwar nicht nur aus Eigenin-
teresse, sondern indem man sich auch mit den legitimen Interessen dieser Mit-
Menschen solidarisch betrachtet.
Deshalb sollte meiner Ansicht nach der Staat auch eine Wirtschaftordnung frdern,
die Freiheit und Eigenverantwortung untersttzt und entsprechende Anreize setzt:
Anreize zum eigenverantwortlichen, gerechten, klugen, ehrlichen, initiativen und fr
die Zukunft nachhaltigen Handeln, das deshalb auch das richtige Ma kennt und
sich durch den Mut auszeichnet, das Richtige zu tun, auch wenn man dafr gegen
den Strom schwimmen muss oder nicht den Ansprchen der politischen Korrektheit
entspricht. Politik und Gesetze hingegen, die falsche Anreize setzen, indem sie Frei-
heit und Selbstverantwortung dadurch unterminieren, dass sie ihr Gegenteil vorteil-
hafter erscheinen lassen, arbeiten letztlich gegen den Menschen und gegen die ge-
meinsamen Interessen aller Mitglieder der Gesellschaft, das heit: gegen das Ge-
meinwohl.
Genau aus diesem Grund, so scheint mir, ist fr eine politische und rechtliche Ord-
nung zu pldieren, die das freie Unternehmertum frdert und konsequent markt-
wirtschaftlich orientiert ist. Ein auf einer freien Wirtschaftsordnung grndendes
Gemeinwesen vertraut auf die Krfte der Eigeninitiative, auf unternehmerische Kre-
ativitt, Innovation und auf dadurch ermglichtes nicht nur quantitatives sondern
auch qualitatives Wachstum.
-
4
3) Warum sind Freiheit und Marktwirtschaft heutzutage wenig at-
traktiv?
Freiheit und Marktwirtschaft erscheinen heute aber einer breiten ffentlichkeit zu-
nehmend als weniger attraktiv. Nachdem man nach der groen Wende im Jahre
1989 zur Meinung gelangte, nun sei das Ende der Geschichte erreicht und der Tri-
umph der liberalen Marktwirtschaft sei endgltig, wchst heute nicht nur die Skep-
sis, sondern beginnt sich geradezu eine Ablehnung der Idee der freien Marktwirt-
schaft auszubreiten. Laut Umfragen sind heute beispielswiese eine Mehrheit der
deutschen Brger davon berzeugt, dass die Marktwirtschaft ungeeignet sei, um die
durch die Finanz- und Wirtschaftskrise der letzten Jahre erzeugten Probleme zu l-
sen; vor allem aber ist immer mehr die Meinung verbreitet, der Markt knne keine
soziale Gerechtigkeit schaffen, ja freie Marktwirtschaft fhre zu immer grerer
Ungleichheit und damit zu Ungerechtigkeit. Der freie, unregulierte Markt sei letzt-
lich auch schuld an der Finanz- und Wirtschaftskrise. Deshalb seien mehr Regulie-
rung und mehr Transferleistungen von Reich zu Arm, sprich Umverteilung, vonn-
ten.
Ich bin der Meinung, dass solche Vorstellungen und Forderungen, die vor allem von
sozialistischer Seite, aber auch von normalerweise linkslastigen kirchlichen Gremi-
en, Kommissionen und Rten, zunehmend aber auch von traditionellen Mittepartei-
en vorgetragen werden, auf einer falschen Wahrnehmung der Wirklichkeit, aber
auch auf einer Fehlinterpretation der Geschichte beruhen. Sie beruhen auf der Mei-
nung, die Finanz- und Wirtschaftskrise sei von den Krften des freien Marktes ver-
ursacht worden und diese Krise sei ein typisches Beispiel fr Marktversagen, wes-
halb die Politik nun korrigierend eingreifen msse.
Ich sehe diese Dinge anders, und ich mchte meine alternative Sicht im Folgenden
etwas detaillierter darlegen, weil sich meiner Ansicht nach daraus nmlich weitge-
hend von selbst ergibt, was aus moralphilosophischer Sicht zu dem mir gestellten
Thema Freiheit und Verantwortung des Brgers zu sagen ist.
-
5
Zunchst: Ursache der Finanz- und Wirtschaftskrise war in Wirklichkeit nicht
Marktversagen, sondern Staatsversagen. Es waren staatliche Eingriffe in den Markt,
die die Dinge aus dem Lot brachten. Die Euro-Whrungsgemeinschaft, ein durch
und durch aus politischem Kalkl und nicht aus wirtschaftlicher Vernunft entstan-
denes Projekt, ermglichte es den Lndern der sdlichen Peripherie, den Kurs un-
verantwortlicher Budgetpolitik und politisch gesteuerter Kreditvergabe zu fahren,
wobei sie es versumten, die Lsung ihrer marktfeindlichen strukturellen Probleme
an die Hand zu nehmen. Dadurch wurde eine gewaltige Kreditblase verursacht;
Fehlinvestitionen gigantischen Ausmaes, welche die Krfte des freien Marktes und
echt unternehmerisches Handeln niemals hervorgebracht htten, fhrten schlielich
dazu, dass diese Lnder zu Sanierungsfllen wurden und das Eurosystem an den
Rand des Abgrundes schlidderte.
Begonnen hatte ja, wie wohlbekannt ist, alles mit der Subprimekrise auf dem US-
amerikanischen Immobilienmarkt, selbst der wohl eklatanteste Fall von Politik- und
Staatsversagen. Es war das mit Prsident Roosevelt beginnende, von Prsident Clin-
ton entscheidend gefrderte und dann schlielich mit Prsident George W. Bush zu
seinem Hhepunkt gelangende Projekt, jedem amerikanischen Brger ein Eigen-
heim zu ermglichen. Treibende Kraft war also die Politik: Sie verlieh den groen
Hypothekarinstituten Staatsgarantie, die Gerichte zwangen mit politischem Druck
die Banken, Hypotheken auch an kreditunwrdige Brger zu verleihen. Die durch
Staatsgarantie abgesicherten Hypothekarbanken Fannie Mae und Freddie Mac
schufen darauf die das gesamte Finanzsystem vergiftenden neuen Finanzprodukte,
die in der Folge, AAA geratet, die Finanzmrkte berschwemmten, die Gier nach
dem schnellen Geld wach riefen und das Bankwesen weltweit in die Krise strzten.
All dies war staats- und politikgetriebene Unvernunft, hinter der letztlich die Garan-
tien der Absicherung durch das staatliche Geldmonopol und den lender of last re-
sort, das heit das Federal Reserve Board die amerikanische Zentralbank stand.
Diese ist ein staatlich privilegierter und geschtzter privater Monopolbetrieb, der
den amerikanischen Banken gehrt und in ihrem Interesse agiert.
-
6
Als die Dinge aus dem Ruder zu laufen begannen, wurde die Notenpresse aktiviert,
und zwar nicht nur am Anfang, um die Banken zur Aufrechterhaltung des Zahlungs-
verkehrs mit Liquiditt zu versorgen, sondern schlielich auf Dauer, um durch billi-
ges Geld Konjunktur- und Arbeitsmarktpolitik zu betreiben sowie um durch tiefe
Zinsen das Problem der immensen ffentlichen und zum Teil auch privaten Ver-
schuldung ertrglich zu machen und seine Lsung auf die kommenden Generatio-
nen abzuschieben.
Meiner Ansicht nach sollte jeder, bevor er leichtfertig von Marktversagen spricht
und die Ursache der Krise dem freien Markt und dem Kapitalismus in die Schuhe
schiebt, sich der fundamentalen Tatsache stellen, dass unser Geldsystem kein
marktwirtschaftliches System ist, dass unsere Finanzmrkte vom System her ein
Produkt staatlicher Intervention in den freien Markt darstellen und deshalb inner-
halb von Marktwirtschaft und Kapitalismus in ihrer heutigen Funktionsweise ei-
gentlich als dysfunktionaler Fremdkrper betrachtet werden mssen. Liberale und
marktwirtschaftlich orientierte konomen ich denke etwa an Wilhelm Rpke oder
Ludwig Ehrhard haben daraus die Forderung abgeleitet, das Geld auf jeden Fall
knapp zu halten und jeglicher Versuchung einer Inflationierung der Geldmenge zu
widerstehen. Andere, vor allem Anhnger der sterreichischen Schule der National-
konomie, fordern konsequenter, das staatliche Geldmonopol abzuschaffen und den
Wettbewerb verschiedener Whrungen zuzulassen, die Geldproduktion also dem
freien Markt zu berlassen.
Was auch immer die Lsung sein mag: An der Erhaltung des bisherigen Systems
staatlicher Interventionen und eines staatlich kontrollierten Geldsystems interes-
siert sind neben Zentralbankern und Investmentbankern vor allem Politiker,
denn dieses System vergrert ihre Bedeutung und ihre Macht. Sie hmmern uns
ununterbrochen ein, nun sei die Stunde der Politik gekommen und die Politik msse
endlich das Diktat der Logik der Mrkte in die Schranken weisen (was aber unmg-
lich ist, denn schlussendlich setzt sich die Logik des Marktes immer durch, weil die
Logik des Marktes die Logik der Natur der Dinge ist).
-
7
Zudem knnen Politiker bzw. Regierungen unter den Bedingungen der heutigen An-
spruchsdemokratie nur wiedergewhlt werden, wenn sie ihre Whler durch immer
wieder neue Versprechungen bei der Stange halten Versprechungen, deren Einl-
sung mit steigender ffentlicher Verschuldung einhergeht, was letztlich wiederum
nur dank der Notenpresse, die sich in den Hnden des Staates befindet, mglich
ist. Politiker haben demnach auch ein Interesse an der sich aus der zunehmenden
Verschuldung ergebenden Inflationskultur. Sie hmmern dem Brger die
Keynesianische Weisheit ein: Dadurch dass ihr mehr konsumiert und euch ver-
schuldet, erweist ihr der Wirtschaft und der Allgemeinheit einen Dienst, weil ihr
damit helft, die Wirtschaft anzukurbeln als ob man durch Konsumieren und
durch Schulden reicher wrde. Schuldenwirtschaft und Inflationskultur passen gut
zusammen, aber sie passen berhaupt nicht zu einer freien Marktwirtschaft und zu
dem, was man Kapitalismus nennt: einem freien und nachhaltig-innovativen Un-
ternehmertum. Denn dieses beruht nicht auf Konsum, Schuldenmacherei und Ver-
schwendung von Ressourcen, sondern auf Sparen und Investition und die dadurch
ermglichten realen und nachhaltigen Wohlstandsgewinne (die sich allerdings noch
nicht unbedingt bei den nchsten Wahlen bemerkbar machen, wohl aber, im Unter-
schied zur Verschuldung, auch fr die nachkommenden Generationen von Vorteil
sind).
Eine solche alternative, wie mir scheint ehrlichere und zutreffendere Diagnose halte
ich fr notwendig, um zu einer moralischen Beurteilung und zu ethisch relevanten
praktischen Schlussfolgerungen zu gelangen. Vielleicht haben Sie sich gefragt, wes-
halb ein katholischer Theologe und Moralphilosoph sich in die Niederungen ko-
nomischer Analysen und Wertungen hinablsst. Ich denke, das ist ntig, weil man
ohne solche Analysen und Wertungen auch keine moralisch sinnvollen und relevan-
ten Aussagen ber Fragen, wie sie zu meinem heutigen Thema gehren, machen
kann. Moralphilosophie und ebenso Moraltheologie mssen konomisch aufgeklrt
argumentieren; andernfalls verkommen sie in ihren Urteilen ber wirtschaftliche
Fragen zum bloen Moralismus.
-
8
Das gilt auch und besonders fr die Frage der Beziehung zwischen Eigenverantwor-
tung und Solidaritt, ja was berhaupt Solidaritt, was soziale Gerechtigkeit und
entsprechende Verantwortung des Brgers heien knnte.
4) Eigenverantwortung, Solidaritt, soziale Gerechtigkeit
Zunchst scheint mir vor allem wichtig, sich von dem verhngnisvollen Vorurteil zu
lsen, der Markt sei grundstzlich ein Problem, Politik und Staat seien hingegen die
Lsung. Meiner Meinung nach verhlt es sich genau umgekehrt: Der Markt bedarf
zwar einer rechtlichen und institutionellen Rahmenordnung, vor allem einer fairen
Wettbewerbsordnung, mit Regeln, die fr alle ausnahmslos gleich gelten, ohne
rechtliche Privilegierungen wie Subventionen oder protektionistische Manahmen.
Was den Staat betrifft, so ist das Wichtigste, seine Macht und Aufgabenbereiche auf
das notwendige Minimum zu beschrnken. Die Gefahr ist nicht der Markt, sondern
Staatsglubigkeit. Staatsglubigkeit der Glaube, der Staat knne es prinzipiell bes-
ser als der Markt ist der direkteste Weg in die brgerliche Verantwortungslosig-
keit, den Verlust der Freiheit und die alle, auch zuknftige Generationen schdigen-
de Verschwendung von Ressourcen.
Die fortgeschrittene, westliche Welt verdankt ihren Reichtum und zwar einen in
der Geschichte noch nie dagewesenen Massenreichtum bis hinein in die untersten
Gesellschaftsschichten dem Kapitalismus und den Koordinationsmechanismen
des freien Marktes. Und man muss hinzufgen: Trotz allem, nmlich trotz aller
dauernder politischer Behinderungen der fr alle sozialen Schichten wohlstands-
steigernden Mechanismen des freien Marktes. Diese Behinderungen waren mannig-
faltig und konstant und gehren eigentlich bis zum heutigen Tag mit zur Geschichte
des Kapitalismus. Das Erstaunliche ist in Wirklichkeit, wie gut sich trotz aller staat-
lichen und politischen Behinderungen whrend der letzten hundertfnfzig Jahre die
kapitalistische und marktwirtschaftliche Dynamik zu entfalten vermochte (und dies
trotz Kriegen, die dem Kapitalismus und der freien Marktwirtschaft keineswegs fr-
derlich waren, sondern vielmehr beginnend mit dem Ersten Weltkrieg die
-
9
Macht des Staates und seinen Interventionsspielraum ins Unermessliche potenzier-
ten).
Meiner Ansicht nach verlangen Solidaritt und soziale Gerechtigkeit in erster Linie,
Nichtbehinderung des freien Marktes durch politisch motivierte staatliche Eingriffe
in den Preismechanismus des Marktes, damit die innovative und wohlstandschaf-
fende Dynamik des Kapitalismus ihr ganzes Potenzial entfalten kann. Dazu brau-
chen wir eine Kultur der Freiheit, die unternehmerische Initiative, Selbstverantwor-
tung, Kreativitt und Innovation frdert und dadurch entstehende momentane, aber
auch strukturelle Ungleichheiten nicht als ungerecht und gar skandals verteufelt,
sondern ganz im Gegenteil als fr das Gemeinwohl nutzbringend erkennt, weil sie
eben, im Unterschied zur heute sozialstaatlich ramponierten und ihrer Effizienz be-
raubten Marktwirtschaft, greren Wohlstand fr alle schaffen.
Eine solche Kultur der Freiheit erfordert gerade heute, im Zeitalter zunehmender
Globalisierung, auch offene Grenzen fr die Migration. Alle Menschen sollten die
Chance haben, in dem Land zu arbeiten, in dem sie arbeiten wollen, und dies zu den
Lhnen, fr die sie zu arbeiten bereit sind, weil eine solche Arbeit fr sie vorteilhaf-
ter als das Verbleiben in ihrem Ursprungsland ist. Auch wenn diese Lhne tief sind,
wird es fr diese Menschen ein Gewinn sein (sonst wrden sie nicht kommen) und
ihnen ermglichen, sich nach oben zu arbeiten. Auch fr das Einwanderungsland
sind arbeitswillige Einwanderer auf lange Sicht immer ein wirtschaftlicher Gewinn.
Nur die Gewerkschaften und ihre Klientel werden durch freie Arbeitsmrkte an
Macht verlieren und sich deshalb gegenber schlecht qualifizierten und anfnglich
noch wenig produktiven Einwanderern unsolidarisch verhalten, ja die Offenheit des
Arbeitsmarktes mit dem ganzen Arsenal emotionaler Appelle bekmpfen, dabei aber
gerade die rmsten, die Unqualifiziertesten und die Bedrftigsten ausschlieen.
Auch die egoistische Verteidigung eines national ausgerichteten Sozialsystems, das
auf unsolidarische Weise die eigenen Schfchen bevorteilt und deshalb der Immig-
ration Schranken zu setzen sucht oder sie mit flankierenden Manahmen erschwe-
ren will, scheint mir gerade ein Mangel an wahrer Solidaritt zu sein, die sich auf
-
10
alle Arbeit suchenden Menschen, nicht nur auf die bereits hier etablierten Hoch-
lohnempfnger richten sollte.
Solidaritt hat deshalb viel mit Freiheit zu tun, obwohl wir uns daran gewhnt ha-
ben, sie mit Sozialstaat, Umverteilung und Transferleistungen aller Art und
auch mit Mindestlohn zu identifizieren. Dadurch jedoch wird der Brger in
der Schweiz etwas weniger und dank Fderalismus und Gemeindeautonomie in er-
trglicherer und weniger ineffizienter Weise zunehmend vom Staat abhngig. In
den heutigen Wohlfahrtsstaaten wird ja jeder Brger auch der reichste als po-
tenzieller Sozialfall behandelt und lckenlos abgesichert.
Der moderne Sozial- und Wohlfahrtsstaat hat die natrlichen und geschichtlich ge-
wachsenen gesellschaftlichen Strukturen der Solidaritt zu weiten Teilen zerstrt
und teilweise auch neue Armut geschaffen, an deren Weiterbestehen die Sozialbro-
kratie und ihre Lohnempfnger ein Interesse besitzen. Menschen, die in staatlichen
Institutionen und Brokratien arbeiten, werden aus diesem Grund nicht einfach
pltzlich zu besseren Menschen oder zu solchen, die nicht mehr ihr Eigeninteresse
verfolgen. Auch Beamte sind Menschen mit Eigeninteressen, und konkret haben sie
ein Interesse an der Erhaltung und sogar an der Ausweitung des brokratischen Ap-
parates, denn dieser bildet ihre Lebensgrundlage und ihre Einkommensquelle und
sein stetiges Wachsen gibt ihnen mehr Macht und Einfluss oder erffnet neue Auf-
stiegsmglichkeiten. Politiker hingegen wollen in der Regel wiedergewhlt werden
und verhalten sich entsprechend.
Der heutige Sozialstaat hat deshalb nicht nur ein Interesse an der Perpetuierung von
Armut weshalb er sie immer wieder neu definiert , er ist auch mitverantwortlich
fr den Niedergang der Familie und den von ihr geschaffenen sozialen Netzen und
damit gerade fr die Existenz realer Armut. Leider sind es heute oft gerade Liberale,
die sich aus Angst, die politische Korrektheit zu verletzen, nicht getrauen, fr die
Strkung gesunder Familienstrukturen einzutreten, oder die gar entgegengesetzten
Tendenzen das Wort reden, etwa indem sie im Kielwasser einer ursprnglich linken
Gleichheitsideologie auf Biegen und Brechen eine weit ber die rechtliche Nicht-
diskriminierung hinausgehende Gleichstellung der Frau und damit zunehmend die
-
11
Vergesellschaftung von Familie und Erziehung betreiben. Friedrich Engels, der in
der Abschaffung der traditionellen Familie und in der totalen Integration der Frau
in die Arbeitswelt die Lsung erblickte, lsst gren. Frauen sollten selber frei wh-
len knnen, ob sie sich in die auerfamilire Arbeits- und Berufswelt eingliedern
wollen; sie sollten dazu nicht gezwungen werden, weil infolge immer hherer Steu-
er- und Abgabenbelastung und wegen des durch mannigfache berregulierungen
bewirkten Kaufkraftverlustes des Geldes das Arbeitseinkommen nur eines Fami-
lienmitgliedes ungengend ist.
Was wir brauchen, so scheint mir, ist ein neues Gespr fr das Prinzip der Subsidia-
ritt, fr die grundlegende Aufgabe der Familie als Reproduktionsgemeinschaft und
Gemeinschaft der Weitergabe von Sozialkompetenz, Kultur und Reichtum, ein tiefe-
res Gespr fr die segensreiche Funktion des Privateigentums und der daran ge-
knpften Kultur unternehmerischen Handelns, von Selbstverantwortung und lang-
fristigem Denken, das zu nachhaltigen Lsungen statt zu kurzfristigen und popul-
ren politischen Erfolgen fhrt. Ntig ist aber auch die Bereitschaft, die sich daraus
unvermeidlich ergebende Ungleichheit nicht als ungerecht zu diffamieren, sondern
ihre Unvermeidlichkeit und ihren Nutzen fr die Gesamtgesellschaft zu erkennen
(wozu auch der Hinweis darauf gehrt, wie sehr gerade Erbschaftssteuern dem Ge-
meinwohl abtrglich sind).
Das sind durchaus Forderungen ethischer Art, wie sie sich dem konomisch aufge-
klrten Blick auf die moralischen Probleme der westlichen Gesellschaften ergeben.
Natrlich befinden wir uns in einer moralischen Krise. Aber diese ist nicht aus dem
Nichts gekommen. Sie selbst ist auch Folge politischer Fehlentscheidungen und da-
durch geschaffener Strukturen, die falsche moralische Anreize schaffen.
Strukturen, die falsche Anreize schaffen, entsolidiarisieren die Gesellschaft, machen
uns auch wirtschaftlich rmer und berauben uns der Ressourcen, die ntig wren,
damit freie Initiative, ja die oft beschworene Zivilgesellschaft eben, auch fr die Zu-
kunft tragende Lsungen fr Fragen der sogenannten sozialen Gerechtigkeit fin-
den knnte. Auch die Kirche, so glaube ich, sollte vermehrt zu Freiheit und Eigen-
verantwortung ermutigen, anstatt ber Ungleichheit zu klagen und mehr Umvertei-
-
12
lung zu fordern. Sie sollte ganz im Sinne des Subsidiarittsprinzips und ihrer Hoch-
haltung des Privateigentums, das ja sozial verpflichtet und die zugunsten einer als
staatliche Umverteilung verstandenen Solidaritt zumeist vergessen werden, zu un-
ternehmerischem Geist aus Freiheit und Selbstverantwortung ermutigen, und zwar
zu unternehmerischem Handeln in allen gesellschaftlichen Bereichen. Unternehme-
risch handeln kann man nicht nur im groen Mastab. Man kann und sollte es auch
und durchaus, um damit Geld zu verdienen im Bereich des Angebots sozialer
Dienstleistungen, der Altersvorsorge, der Absicherung gegen Risiken wie Unfall,
Krankheit und Arbeitslosigkeit. Ja, jede Familie, wenn sie fr Kinder offen ist, ist ein
kleines Wirtschaftsunternehmen oder sollte es sein. Leider hat ihr der Staat be-
reits die wichtigsten Aufgaben und Entscheidungen entzogen, so dass es auch kein
Vorteil mehr ist, Kinder grozuziehen.
Das heit nicht, dass, falls andere Mglichkeiten fehlen, der Staat mglichst auf
der untersten Ebene der Gemeinde fr Menschen, die in Not geraten sind und sich
nicht selber helfen knnen, ein soziales Netz aufspannt, das vorbergehende Not zu
lindern vermag und diesen Menschen eine Chance bietet, sich wieder in den Ar-
beitsmarkt einzugliedern. Wer aufgrund seines Alters, physischer oder psychischer
Krankheit oder aus hnlichen Grnden dazu nicht in der Lage ist, darf von der Ge-
sellschaft nicht im Stich gelassen werden. Allerdings sollte auch hier der Staat nur
einspringen, wenn die Zivilgesellschaft selbst dazu nicht in der Lage ist; bzw. er soll-
te die Zivilgesellschaft darin untersttzen, selbst solche Initiativen zu realisieren.
Das war frher einmal im groen Stil der Fall gewesen. Der moderne Sozialstaat
stie nicht in ein soziales Vakuum, sondern verdrngte vor allem in den angelschsi-
schen Lndern, aber auch in Deutschland, eine reiche Kultur auf privater Basis ar-
beitender sogenannter friendly societies oder fraternal societies, die auf dem Prin-
zip von mutual aid bzw. der Selbsthilfe beruhten und durch die im 19. und am Be-
ginn des 20. Jahrhunderts bereits Millionen von Arbeitern eine Absicherung vor
Krankheit und Arbeitslosigkeit sowie eine Altersvorsorge erhalten konnten. Der mo-
derne Sozialstaat hat diese Kultur solidarischer zivilgesellschaftlicher Selbsthilfe
und ihr Entwicklungspotential jedoch weitgehend zerstrt und an deren Stelle den
-
13
auf Dauer nicht finanzierbaren und letztlich selbstzerstrerischen Wohlfahrtsstaat
gesetzt.
Weil in Zeiten der Globalisierung und immer strkeren Migration nationalstaatlich-
etatistische Lsungen versagen mssen, sollten meiner Ansicht nach gerade Chris-
ten konsequent freiheitlich, liberal und marktwirtschaftlich denken, ohne Scheu den
Kapitalismus und seine enormen Leistungen verteidigen, und gerade weil sie sozial
sind, sich Lsungen zuwenden, die nicht auf staatlichem Zwang beruhen, sondern
der Freiheit und den schpferischen Krften des Individuums und des freien Mark-
tes entspringen.
Martin Rhonheimer, 2014
Professor fr Ethik und politische Philosophie an der Philosophischen Fakul-
tt der Ppstlichen Universitt Santa Croce, Rom
Mitglied der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft
Mitbegrnder und Mitglied des Lord Acton Kreises