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FITNESS UND GEHSICHERHEIT Durch Bewegung und Training STURZPRÄVENTION IM ALTER Ein sicheres Zuhause ÇOCUK POSTASI Die bfu-Kinderpost neu auf Türkisch Das bfu-Magazin für Präventionspartner 4/2014

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Das bfu-Magazin für Präventionspartner Ausgabe 4-2014

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FITNESS UND GEHSICHERHEIT

Durch Bewegung und Training

STURZPRÄVENTION IM ALTER

Ein sicheres Zuhause

ÇOCUK POSTASI

Die bfu-Kinderpost neu auf Türkisch

Das bfu-Magazin für Präventionspartner 4/2014

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Tramunfälle unter der Lupe

Editorial

Die bfu hat in ihrem SINUS-Report 2014 erstmals Tramunfälle analysiert: Zwischen 2003 und 2013 wurden jedes Jahr durchschnittlich 37 Personen bei Tramunfällen schwer verletzt oder getötet. Personen über 65 sind über-durchschnittlich oft in solche Unfälle verwickelt – vor allem als Trampassa-giere, aber auch als Fussgänger. In den letzten 10 Jahren ereigneten sich 86 % der schweren Unfälle in der Deutsch-schweiz und 14 % in der Romandie. Im Tessin gibt es seit mehr als 50 Jahren keine Trams mehr.

Fast die Hälfte der Schwerverletzten und Getöteten bei Tramunfällen waren Fussgänger (203 von 412), 14 % Rad-fahrer, 12 % Personenwagen-Insassen und 4 % Motorradfahrer. Besonders schwerwiegend sind die Konsequenzen für nichtmotorisierte Unfallbeteiligte: Deren Letalität (Anzahl Getötete pro 10 000 Personenschäden) beträgt 874, während jene der motorisierten Unfall-beteiligten bei 96 liegt. mor

SINUS-Report 2014 auf

www.sicherleben.bfu.ch

imprEssumHerausgeberin: bfu – Beratungsstelle für Unfallverhütung, Hodlerstrasse 5a, CH-3011 Bern, [email protected], www.bfu.ch, Tel. + 41 31 390 22 22 Adressänderungen: [email protected] Redaktion: Ursula Marti (wortreich gmbh), Tom Glanzmann (bfu), Rolf Moning (bfu), Nathalie Wirtner Julmi (bfu) Redaktionsadresse: Ursula Marti, wortreich gmbh, Maulbeer strasse 14, 3011 Bern, [email protected], Tel. + 41 31 305 55 66 Korrektorat: Hedy Rudolf (bfu), Antonio Cifelli (bfu) Bildnachweise: Seiten 1, 3: Andrea Campiche; Seiten 2, 5, 8, 9 (oben), 10, 12: Iris Andermatt; Seiten 6, 7: Rudolf Jaun; Seiten 9 (unten), 11, 13 (oben), 16: TCS; Seite 13 (unten): Uepaa!; Seiten 14, 15: Giovanni Antonelli Layout: SRT Kurth & Partner AG, Ittigen Druck: AST & FISCHER AG, Wabern Auflage: Deutsch: 9400, Französisch: 3400, Italienisch: 1200. Das Magazin erscheint vierteljährlich. ISSN 2235-8846 (Print) / ISSN 2235-8854 (PDF).

© Wiedergabe von Artikeln nur mit Genehmigung der Redaktion und unter vollständiger Quellenangabe.

EinstiEg

Personenwagen-Insassen

Fussgänger Tramführer/-passagiere

Radfahrer Motorradfahrer

Schwere Personenschäden bei Tramunfällen nach Verkehrsteilnahme,2003 bis 2013250

200

150

100

50

0

72

15

57 50

203

Die Sturzproblematik wird sich weiter verschärfenDie demografische Zusammenset-zung der Bevölkerung wird sich in den nächsten Jahrzehnten stark verändern. Insbesondere werden in der Schweiz immer mehr ältere Menschen leben. Diese werden gesünder sein, mehr Sport treiben, ihre Freizeit aktiver und körperlich anspruchsvoller gestalten und höhere Mobilitäts anforderungen stellen.

Trotz besserer Gesundheit wer-den Senioren aber auch künftig wegen verlangsamter Reaktionsfähig-keit unfallgefährdeter und aufgrund abnehmender Muskelkraft verletz-licher sein. Mit der steigenden Zahl hochbetagter Menschen verstärkt sich zudem der Faktor Demenz, der sich nicht nur im Strassenverkehr, sondern auch bei den Sturzunfällen negativ auswirkt. Die Sturzproble-matik, der die bfu bereits heute grosse Beachtung schenkt, wird sich somit weiter verschärfen. Die Unfall-verhütung der Zukunft muss sich definitiv noch intensiver um die Senioren kümmern!

Rolf Moning

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Ein grosser Teil der Stürze ereignet sich im Wohnumfeld.

fokus STURZPRÄVENTION IM ALTER

grundlagEn Die häufigste Unfallart im Alter ist mit Abstand der Sturz, oft mit schwersten Folgen. Dagegen lässt sich etwas tun. Die bfu stellt eine Reihe neuer Informationsmittel zur Verfügung, um Stürze wirkungsvoll zu verhindern.

Informationsoffensive zur Verhütung von Stürzen

tel im öffent lichen Raum (z. B. auf dem Trottoir). Da der Anteil der älteren Menschen an der Schweizer Wohnbe-völkerung laufend steigt, bekommt auch das Problem der Sturzunfälle eine immer grössere Bedeutung. Fachperso-nen aus Unfallverhütung, Medizin oder Gesundheitsförderung arbeiten daher intensiv an Ursachenforschung und Präventionsprogrammen.

Interessant ist, dass gemäss einer repräsentativen Umfrage das Bewusst-sein der älteren Generation für das hohe Sturzrisiko geringer ist als bei den übrigen, weniger stark betroffenen

Altersgruppen. Es ist also viel Infor-mations- und Sensibilisierungsarbeit nötig, um die älteren Personen für eine aktive Sturzprävention zu gewinnen. Wichtig ist aber auch, das familiäre Umfeld und professionelle Betreuungs-personen anzusprechen.

Wirksame Prävention Um Stürzen vorzubeugen, können in erster Linie die Betroffenen selber aktiv werden. Zum einen sollten sie sicher-stellen, dass ihr Wohnumfeld unfall-verhütend gestaltet ist, also keine rut-schigen Böden oder Stolperfallen

Die Zahlen sind erschreckend: Jährlich stürzen in der Schweiz rund 80 000 Per-sonen über 65 Jahre und erleiden dabei zum Teil schwerste Verletzungen. In vielen Fällen erholen sich die betagten Menschen nicht mehr nach einem Sturz und sterben an den Unfallfolgen. Die Statistik zeigt, wie sich das Risiko nach einem Sturz zu sterben, mit zunehmendem Alter vervielfacht (siehe Kasten).

Die Hälfte dieser Unfälle ereignet sich innerhalb der eigenen vier Wände und im unmittelbaren häuslichen Umfeld (z. B. Garten), knapp ein Vier-

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fokus STURZPRÄVENTION IM ALTER

mehrmals wöchentlich durchzufüh-ren. Besonders empfehlenswert ist der Besuch eines Kurses oder geleiteten Trainings. Taj Chi und Dalcroze-Rhythmik, die Feldenkrais-Methode sowie Tanzen haben einen nachgewie-senen sturzpräventiven Effekt. Anbie-ter wie Pro Senectute, die Rheumaliga oder Fitnesszentren führen solche Kurse durch. Oftmals haben sie sogar spezifische Gleichgewichts- oder Kraft-trainings im Programm (siehe Beitrag ab Seite 6).

Besondere Risikofaktoren Neben den Umgebungsgefahren und körperlichen Schwächen wie Gleichge-wichtsstörungen oder Muskelschwäche sind eine Reihe weiterer Risikofaktoren bekannt. Dazu gehören Medikamente wie etwa Schlafmittel oder Psycho-pharmaka und die Multimedikation, also die gleichzeitige Einnahme ver-schiedener Medikamente. In diesem Fall lohnt es sich, ärztlichen Rat einzu-holen. Mehr zu Medikamenten und ihren Risiken finden Sie auch auf www.mymedi.ch.

Auch Seh- und Hörstörungen bzw. schlecht angepasste Seh- und Hörhilfen sind ein Risiko. Hier ist eine regel-mässige Kontrolle bei den entsprechen-den Fachpersonen wichtig – nicht nur für die Sturzprävention, sondern auch für das generelle Wohlbefinden.

Ungeeignete Schuhe sind ebenfalls ein bekannter Risikofaktor für Stürze. Sicher sind geschlossene Schuhe in der richtigen Grösse und mit rutschfester Sohle, die einen guten Halt bieten. Dies gilt auch für Hausschuhe. Lässt die Trittsicherheit nach, sind Gehhilfen eine sinnvolle Unterstützung, um wei-terhin mobil zu bleiben. Diese müssen mit Hilfe einer Fachperson genau auf die Bedürfnisse der betagten Person abgestimmt werden. Besondere Vor-sicht ist bei Glatteis geboten. Ein zusätzlicher, leicht anbringbarer Gleit-schutz für die Schuhe ist eine einfache Möglichkeit, sich vor dem Ausrutschen zu schützen.

NotrufWas, wenn es trotz aller Vorsichtsmass-nahmen zu einem Sturz kommt? Für Personen, die alleine leben oder sich oft alleine in der Wohnung aufhalten, lohnt es sich, ein Notrufsystem einzu-setzen. Es sind verschiedene Systeme erhältlich, die auf unterschiedliche Weise registrieren können, ob eine Per-son Hilfe braucht. Ein solches System beruhigt nicht nur die betroffene Per-son, sondern entlastet auch das Umfeld, das sich um sie kümmert.

Ursula Marti

bfu-Broschüre «Selbstständig bis ins

hohe Alter» mit einer Checkliste

für die Wohnungsumgebung sowie

Training und Tipps zur Mobilität

Gleitschutz für Schuhe mit dem

bfu-Sicherheitszeichen, um dem

Ausrutschen auf Eis vorzubeugen

Beides auf www.sicherleben.bfu.ch

aufweist, überall gut beleuchtet ist oder die Treppen mit Handläufen versehen sind. Eine Checkliste der bfu hilft, das Wohnumfeld systematisch durchzuge-hen und allfällige Sturzgefahren zu erkennen und zu beheben. Es ist erstaunlich, wie oft schon kleine Änderungen – etwa ein Haltegriff oder ein Gleitschutzstreifen – eine grosse Wirkung entfalten (siehe Beitrag ab Seite 8).

um stürzen vorzubeugen, können die Betroffenen selber aktiv werden.

Zum andern spielt die körperliche Fit-ness eine wichtige Rolle. Mit regel-mässiger Bewegung und gezielten Übungen für die Muskelkraft und das Gleichgewicht, kann die Geh-sicherheit und das sichere Stehen deutlich verbessert werden. Die bfu zeigt anhand einer Broschüre und eines Videos, welche Übungen beson-ders nützlich sind und empfiehlt, diese

Getötete bei Stürzen in Haus und Freizeit nach Alter, 2008

■ 0 – 16 3

■ 17 – 64 70

■ 65 + 1168

Total 1241

Alter 0 –16 17– 64 65+ Total

Stürze 3 70 1 168 1 241

0 –16

17 – 64

65+

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fokus STURZPRÄVENTION IM ALTER

standpunkt von Professor Dr. med. Reto W. Kressig zur Bedeutung der Sturzprävention aus medizinischer Sicht und zu den wissenschaftlich erfolgreichsten Massnahmen.

Moderne Sturzprävention

sondern Trainingsformen wie Tai Chi, Tanz und Dalcroze-Rhythmik, die Gleichgewicht, Kraft, Koordination und die geistige Fitness gleichzeitig fördern.

Für den Erhalt der Gesundheit im Alter ist entscheidend, dass der Hausarzt über stattgefundene Stürze orientiert wird. Auch wenn diese banal erscheinen und ohne Verletzungsfolge abgelaufen sind, sind sie Anlass für eine gründliche Untersuchung. So können schwindende Reserven rechtzeitig festgestellt und prä-ventive Massnahmen eingeleitet werden.

Dass Sturzprävention auch Spass ma chen kann, zeigen zum Beispiel die gut be sucht en und äusserst erfolgreichen Dalcroze-Ateliers in den Quartier-Cafés «Bâlance» im Kanton Basel-Stadt. Hier betreiben mittlerweile über 200 Senio-rinnen und Senioren seit rund 3 Jahren aktive Sturzprävention und jedes Jahr kommen neue Kurse und neue Kursteil-nehmende dazu. •

Mehr zu Café Bâlance:

www.sicherleben.bfu.ch

Der Sturz im Alter gilt als Symptom verminderter körperlicher Reserven

und ist ein Alarmzeichen dafür, dass mit der körperlichen und / oder geistigen Gesundheit etwas nicht mehr stimmt. Die möglichen Gründe für Stürze sind zahl-reich und können vom einfachen Harn-wegsinfekt über eine beginnende Lungen-entzündung bis hin zum Herzinfarkt reichen. Die häufigsten Risikofaktoren für Stürze im Alter bleiben jedoch Probleme der Kraft und der Mobilität, die sich meist durch Gleichgewichtsstörungen und einen unsicheren Gang zeigen.

Die Sturzprävention ist deshalb aus medizinischer Sicht äusserst wichtig für den Erhalt der körperlichen Gesundheit im Alter. Für eine wirkungsvolle Präven-tion müssen die verschiedenen Organsys-teme, die für eine sichere Fortbewegung verantwortlich sind (Muskelkraft und Muskelschnellkraft, Gefühl in den Füssen, Koordination und Reaktions-geschwindigkeit, Seh- und Hörvermögen, Gleichgewichtsorgane und Hirnfunktion) auf mögliche Defizite untersucht werden. Dies geschieht in der Regel durch Mobili-tätstests und eine einfache medizinische Untersuchung. Letztere beinhaltet auch die Durchsicht der eingenommenen Medikamente. Sturzfördernde Substan-zen müssen konsequent weggelassen wer-den. Für jede Person werden aufgrund der herausgefundenen Defizite Massnah-men gegen Sturzunfälle festgelegt. Meist sind die Gründe für Stürze mannigfaltig und erfordern Interventionen, bei denen mehrere Organsysteme gleichzeitig trai-niert werden. Die wissenschaftlich erfolg-reichsten Sturzpräventions-Massnahmen sind denn auch nicht Krafttraining allein,

Der Experte

Neben seiner Lehrtätigkeit an der Medizinischen Fakultät der Universität Basel

ist Prof. Dr. med. Reto W. Kressig Chefarzt des Universitären Zentrums für

Altersmedizin am Felix Platter Spital Basel. Er engagiert sich seit Jahren für die

Sturzprävention und unterstützt dabei die bfu und weitere Partner als Experte.

Prof. Dr. med. Reto W. Kressig: «Die Sturzprävention ist äusserst wichtig für den

Erhalt der körperlichen Gesundheit im Alter.»

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fokus STURZPRÄVENTION IM ALTER

Kraft und Gleichgewicht fördern – Stürze vermeidentraining Mit gezielten Gleichgewichts- und Kraftübungen kann die Fitness und Gehsicherheit im Alter massgeblich gestärkt und damit das Sturzrisiko gesenkt werden. Besonders Spass macht das gemeinsame Training.

Damit lockern die Frauen und Männer ihre Nacken- und Schultermuskeln.

Danach ist es Zeit für Gleichge-wichtsübungen nach dem Prinzip des «Dual-Taskings», wie es auch die bfu in ihrem Übungsprogramm «3 x 3» empfiehlt. Die Zweifachaufgabe be -steht darin, einen Fuss hinter den andern zu stellen, das Gleichgewicht zu halten und gleichzeitig mit beiden Händen ein Wort in die Luft zu schrei-ben. Die Worte müssen die Senioren selber ausdenken, etwa Tier- oder Län-dernamen. Diese Übung beansprucht

Körper und Kopf gleichermassen und macht den Kursteilnehmenden Spass. Sie machen engagiert mit und werfen immer neue Wörter in die Runde. Gleichgewichtsstörungen sind oft Ursache für Stürze, deshalb sind sol-che Übungen besonders wertvoll, um Unfällen vorzu beugen.

Für Körper und GeistNach einer kurzen Pause folgt der anstrengendste Teil des stündigen Trai-nings. Christine Michel hat einen Par-cours vorbereitet. Er fängt mit einer Beinkraftübung an – auch diese ist besonders wichtig für die Sturzpräven-tion –, gefolgt von 7 abwechslungsrei-chen Übungen zur Stärkung des Rückens und des Rumpfs sowie des Gleichgewichts im Stehen und Gehen. Auch der Geist wird beschäftigt, indem die Seniorinnen und Senioren zu einer Übung ab einem Blatt lesen, das an der Wand befestigt ist.

Die Übungen werden in Intervallen von je 40 Sekunden und in 2 Serien durchgeführt. Christine Michel geht individuell auf die Teilnehmenden ein und zeigt ihnen, wie sie die Übung wenn nötig für sich anpassen können.

Die Stunde nähert sich dem Ende und es ist Zeit für die Schlussrunde. Alle liegen ruhig auf einer Matte und dehnen die Muskeln zur Musik von Schwanensee. «Atmet bis in den Bauch», erinnert sie die Kursleiterin. Das Trai-ning endet und die 7 Seniorinnen und Senioren sehen glücklich aus. Sie lachen und scherzen beim Hinausgehen.

Ursula Marti

Montagmorgen, 8.15 Uhr, in einem Gymnastikraum im Berner Länggass-quartier: Die Kursleiterin Christine Michel legt Material bereit, 4 Frauen und 3 Männer im Seniorenalter finden sich ein und freuen sich sichtlich, ein-ander zu treffen. Nach der Begrüssung ertönt entspannende Musik. Alle sitzen auf einem Gymnastikball. Die Männer und Frauen lockern unter Anleitung von Christine Michel die Muskeln. «Streckt eure Rücken, öffnet den Brust-korb», ermuntert die Kursleiterin. Dann rollt sie ihnen Massagebälle zu.

Die Seniorengruppe trifft sich wöchentlich zum Rückentraining. Kursleiterin

Christine Michel zeigt die Beinkraft-Übung vor.

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Frau Michel, wir durften eine Kurs­lektion von Ihnen besuchen. Was ist das genau für ein Training? Christine Michel: Es ist ein ganzheit-liches Rückentraining. Das heisst, wir trainieren nicht nur Kraft und Beweg-lichkeit für den Rumpf, sondern bezie-hen den ganzen Körper ein.

Wie charakterisieren Sie die Personen, die Ihr Training besuchen? Es sind vitale Menschen im Rentenalter mit teilweise ersten Einschränkungen. Ihnen ist gemeinsam, dass sie etwas für ihre Rückengesundheit tun möchten.

Welchen Nutzen bringt ihnen das Training? Sie sehen, dass sie Selbstverantwortung für ihre Gesundheit übernehmen kön-nen und erhalten das nötige Rüstzeug dazu. Die Übungen, die sie im Kurs kennenlernen, lassen sich auch gut in den Alltag integrieren. Oft führen schon kleine Bewegungstipps zu einem Erfolgserlebnis und motiviert sie dazu, sich mehr zu bewegen. Aber auch der soziale Aspekt ist sehr wichtig.

Inwiefern?Das regelmässige Training gibt den älteren Menschen eine Struktur und ist ein beliebter Treffpunkt, gerade für jene, die alleine leben. Nach der 5-wöchigen Sommerpause höre ich oft: «Es ist gut, können wir wieder kom-men. Das Training hat uns gefehlt.»

Welche Rolle spielt die Unfall­prävention? Im Training eingebettet sind auch spe-zifische Übungen, die der Sturzpräven-tion dienen. Solche Übungen sollten

generell in jedem Trainingsprogramm für Senioren eingebaut sein, unabhän-gig von der Sportart oder Ausrichtung des Kurses. Bei der Pro Senectute ach-ten wir besonders darauf.

«die Übungen aus dem kurs lassen sich gut in den alltag integrieren.»Christine Michel

Sie arbeiten dabei mit Elementen des neuen bfu­Übungsprogramms «3 x 3». Ja, das Programm mit den drei Basis-übungen zu Beinkraft, Gleichgewicht im Stand und im Gehen ist sehr nützlich und ich baue die Übungen in jeder Stunde in irgendeiner Form ein. Wobei ich Beinkraftübungen schon vorher regelmässig gemacht habe, da sie eben-falls wichtig sind für die Rückengesund-heit. Die 3 x 3-Übungen können indi-viduell dosiert und variiert werden, so dass immer wieder ein neuer Schwierig-keitsgrad entsteht und die Kursteilneh-menden Fortschritte machen können. Es ist auch sehr praktisch, gibt es einen

Flyer, den ich ihnen abgeben kann. Einige berichteten mir, dass sie die Übungen zu Hause regelmässig machen.

Sehen Sie Fortschritte bei den Kurs­teilnehmenden?Auf jeden Fall! Die Kraftübungen kön-nen die Senioren im Laufe der Zeit mit erhöhtem Widerstand und in höherer Anzahl durchführen. Ihre Körper-wahrnehmung wird besser. Sie lernen, ihre Körperhaltung selber zu korrigie-ren. Sie berichten mir zum Beispiel, dass sie zu Hause darauf achten, dass sie mit geradem Rücken vor dem Fern-seher sitzen. Einige sagen auch, dass ihr Arzt festgestellt hätte, dass sich ihr Gesundheitszustand verbessert hat. Bewegung nützt nämlich auch bei Stoffwechsel- und Herzerkrankungen.

Was ist Ihr persönlicher Tipp, um im Alter fit und sturzfrei zu bleiben?Es ist nie zu spät, etwas für die Gesund-heit zu tun! Schon ein einfaches Bewe-gungstraining ist besser als nichts. Wichtig ist auch die Erkenntnis, dass man selbst einen Beitrag dazu leisten kann, um möglichst lange selbstständig und handlungsfähig zu bleiben. Man sollte einen Kurs finden, der einem liegt und für den man motiviert ist. Zum Glück ist das Angebot an Bewe-gungskursen für Senioren riesig, Ange-bote im Freien oder im Wasser runden die Palette ab. Interessierte können sich bei der regionalen Anlaufstelle von Pro Senectute beraten lassen. um

www.prosenectute.ch

bfu-Broschüre «Sicher stehen – sicher

gehen» mit dem Übungsprogramm

3 x 3 auf www.sicherleben.bfu.ch

Kursleiterin Christine Michel: «Oft

führen schon kleine Bewegungstipps zu

einem Erfolgserlebnis.»

«Es ist nie zu spät, etwas für die Gesundheit zu tun!»Christine Michel ist Physiotherapeutin und bei Pro Senectute Kanton Bern für die Weiterbildung von 350 Sportleitenden im Bereich Allround / Fit-Gym verantwortlich. Zudem leitet sie selber Rückentrainingskurse. Sie engagiert sich dafür, dass spezifische Sturzpräventionsübungen in alle Sporttrainings integriert werden.

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fokus STURZPRÄVENTION IM ALTER

Keine Stürze in den eigenen vier Wänden!siCHErEs ZuHausE Ein Handgriff in der Dusche oder besseres Licht im Treppenhaus: Um das Sturzrisiko im Haus oder in der Wohnung zu senken, reichen oft schon kleine Anpassungen – so auch im Zuhause des Ehepaars Fuchs.

fährlich, wie eine Hausbegehung mit der bfu-Expertin für Sturzprävention Barbara Pfenninger zeigt.

Auf Bedürfnisse achtenDie ersten Treppenstufen befinden sich bereits im Eingangsbereich von der Garage in die Wohnung. Drei Stufen ohne Geländer, aber immerhin mit einem Haltegriff. Der Griff ist hilfreich beim Hinaufsteigen, meint Barbara Pfenninger dazu. «Beim Herunterstei-gen der Stufen bietet der Griff aber kaum eine Unterstützung, da er mit der

Hand nur schwer erreicht werden kann.» Ein Geländer wäre durchaus sinnvoll, so die Expertin, aber solange beim Heruntersteigen keine Hilfe benötigt werde, reiche der Handgriff vorerst aus. «Es ist wichtig, dass die baulichen Veränderungen immer auf die Bedürfnisse und die körperlichen Voraussetzungen der Bewohnerinnen und Bewohner abgestimmt sind. Un nötige Anpassungen verändern das gewohnte Umfeld zu stark und können eher kontraproduktiv für die Sturzprä-vention sein», betont Barbara Pfenninger.

Eines fällt im Haus des Ehepaars Fuchs sofort auf: die vielen Treppen. Das Haus ist am Hang gebaut und hat drei Ebenen: unten der Eingangsbereich mit Garage, auf der mittleren Etage Wohn-zimmer und Küche und zuoberst der Schlafbereich. Von den beiden Bade-zimmern befindet sich eines ganz unten und das andere ganz oben im Haus. Jeden Tag bewältigt das Ehepaar Fuchs unzählige Treppenstufen – ein gutes Training, um fit zu bleiben, sind sich die beiden einig. Allerdings sind die Treppen auch nicht ganz unge-

Das Geschirr von Verena Fuchs bleibt ganz! Die Stolperfalle Teppich hat das Ehepaar mit Klebeband gesichert.

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Ein Beispiel für eine solche individuelle Anpassung findet sich im Wohnbereich des Ehepaars Fuchs. Den Teppich haben sie mit einer rutschfesten Unter-lage gesichert. Beim Eingang von der Terrasse zum Wohnzimmer haben sie den Teppich zusätzlich mit Klebeband am Boden festgemacht.

Schmale Treppe als StolperfalleBeim Rundgang durch das Haus geht es nun wieder einige Treppenstufen hin-auf in den obersten Stock. Sehr zufrie-

den ist die Expertin mit dem Schlaf-zimmer: gute Beleuchtung, keine Hindernisse wie beispielsweise Tür-schwellen oder Bettvorleger, das Tele-fon nahe beim Bett. Bei der Treppe gäbe es laut Barbara Pfenninger durch-aus noch Optimierungsmöglichkeiten: «Ein durchgehender Handlauf auf der Aussenseite würde beim Treppenstei-gen noch mehr Sicherheit bringen. Das bestehende Treppengeländer bietet wenig Halt, vor allem weil es auf der Innenseite angebracht ist, wo die Stufen schmal zusammenlaufen.»

«unnötige anpassungen verändern das gewohnte umfeld zu stark und können kontraproduktiv sein.»Barbara Pfenninger

Das Treppengeländer sei bereits beim Umbau des Hauses vor über 30 Jahren ein Thema gewesen, erzählt Heinrich Fuchs. Dies hauptsächlich, weil die Treppe schmal ist und für das Geländer nicht viel Raum bleibt. Damals sei aber nicht das Wohnen im Alter, sondern vielmehr die Sicherheit der Kinder im Vordergrund gestanden, betont Verena

Fuchs. «Uns ist bewusst, dass das Haus für ältere und besonders für betagte Personen viele Hindernisse aufweist», ist sich das Ehepaar einig. Immer wie-der kämen auch bei ihnen Gedanken an die Wohnsituation in der Zukunft auf. Allerdings hat das Ehepaar eine starke emotionale Bindung an das Haus, da es sich um Heinrich Fuchs’ Elternhaus handelt.

Camilla Krebs

Checkliste «Selbstständig bis

ins hohe Alter»

Mithilfe der Checkliste aus der

bfu-Publikumsbroschüre können

allfällige Sturz- und Stolperfallen

in der Wohnung erkannt und

beseitigt werden.

Broschüre und Kurzvideo

mit Tipps zu Vermeidung von

Stürzen im Haushalt:

www.sicherleben.bfu.ch

Fachstelle für hindernisfreies

Bauen:

www.hindernisfrei-bauen.chTreppen bedeuten tägliches Training,

sind aber auch das grösste Hindernis.

Ein warmer Herbsttag. Die Walliserin-

nen und Walliser treffen sich an der

bekannten Messe «Foire de Martigny».

Doch plötzlich stört Lärm die festliche

Atmosphäre: Blech scheppert, Glas

klirrt. Alle Blicke richten sich auf die Rue

de Levant, wo zwei Fahrzeuge frontal

zusammengeprallt sind. Drei Personen

machen sich mutig daran, den Verun-

fallten zu helfen. Jede erhält eine

Sicherheitsweste. Unverzüglich sichern

die Helfer die Unfallstelle mit Pannen-

dreiecken, verschaffen sich einen

Überblick über die Situation und rufen

die Nummer 112 an. Der Polizist in der

Einsatzzentrale stellt die nötigen

Fragen, um den Einsatz planen zu

können. «Bitte kommen Sie schnell»,

ruft die besorgte junge Helferin in

ihr Handy. Bald schon hört man aus

der Ferne die Sirenen. Am Unfallort

angekommen, übernehmen die Profis

die Führung. Ambulanzfahrer, Arzt und

Feuerwehrleute erfüllen ihre Arbeit

schnell, ruhig und mit geübten Hand-

griffen. Die drei freiwilligen Helferinnen

und Helfer können aufatmen und stolz

sein auf ihren Einsatz – auch wenn es

sich nur um einen simulierten Unfall

handelte.

Mit dieser Demonstration wollte die

Aktion «Ritter der Strasse» aufzeigen,

dass jede Person bei einem Unfall Hilfe

leis ten kann und – Mut kann Leben

retten! nw

www.ritterderstrasse.ch

aufgEfallEn

Mutig sein und Leben retten!

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nEtZWErk PARTNER

ÇoCuk postasi Auch Kinder aus Migrationsfamilien sollen sicher aufwachsen können. Deshalb wurde die bfu-Kinderpost auf Türkisch übersetzt und leicht angepasst. Nun wird sie an Informationsanlässen den Familien vorgestellt.

bfu-Kinderpost für türkische Familien

«Ich habe immer geglaubt, dass die Schwimmflügel meine Kinder vor dem Ertrinken bewahren. Nun weiss ich, dass mein Kind mit dem Kopf vorn-über ins Wasser kippen und ertrinken kann», erzählt eine junge Mutter. Ihre Kollegin Freundin war bisher der Auf-fassung, dass Lauflerngeräte auf Rädern gut seien für den Aufbau der Beinmus-kulatur. Dass die Kleinen mit diesen Wägelchen über Türschwellen stürzen oder sogar Treppen hinunterfallen können, war ihr nicht bewusst. Sie werde ihre Freundinnen, die jüngere Kinder haben, über die Gefahr aufklä-ren. Die beiden Türkinnen möchten ihre Kinder gerne vor Unfällen schüt-zen. Nur konnten sie Angebote wie die bfu-Kinderpost bisher kaum nutzen, weil sie nur wenig Deutsch verstehen.

Aufklärung ohne SprachbarriereDies ändert sich nun. Gemeinsam mit 15 weiteren Türkisch sprechenden Müttern können die beiden Frauen eine Schulung in ihrer Sprache besuchen. Diese findet im Luzerner Pfarreizent-rum «Barfüsser» statt. Die meisten Teilnehmerinnen kennen sich schon. Gemeinsam mit ihren Kindern nutzen sie dort regelmässig das Angebot «Schenk mir eine Geschichte». Dieses richtet sich an Familien mit Migrati-onshintergrund und will deren sprach-liche Fähigkeiten stärken. Geleitet wird

«man muss zu den leuten hingehen und sie ansprechen.»Emine Sariaslan

In Theorie und Praxis erhalten die Mütter viele Tipps zur Sicherheit ihrer Kinder.

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es von der gelernten Kindergärtnerin Tugce Pergel. Auch der Sonntagnach-mittag beginnt mit einem Singspiel für Mütter und Kinder. Mit Begeisterung versuchen schon die Kleinsten, die Hüpf- und Klatschbewegungen nach-zuahmen. Anschliessend zeigt Tugce Pergel, wie man bunte Blumen aus Papier bastelt.

die frauen stellen fragen und suchen gemeinsam nach antworten.

In der Zwischenzeit holt Emine Sarias-lan von der Firma «Public Health Ser-vices» bfu-Broschüren und Anschau-ungs material aus ihrem Rollkoffer. «Gerade für bildungsferne Migrantin-nen und Migranten sind Veranstaltun-gen in der Muttersprache wichtig», erklärt die Sozialarbeiterin. «Man muss zu den Leuten hingehen und sie direkt ansprechen.»

AnschauungsunterrichtSchliesslich liegen eine Babypuppe, eine Steckerleiste, Sicherheitswesten, ein Velohelm, einige Plastiktüten sowie die türkische Ausgabe der bfu-Kinder-post auf dem Tisch. Nach einer Stunde Vorbereitung ist es soweit: Die Kinder begeben sich unter Aufsicht der Kin-dergärtnerin in die Spielecke. Sariaslan eröffnet die Mütter-Runde mit der Frage, wer gerne vorzeigen möchte, wie man einem Säugling die Windel wech-selt. Bald findet sich eine Freiwillige. Doch kaum beginnt diese, den Body der Babypuppe aufzuknöpfen, weist die Sozialarbeiterin darauf hin, dass die Salbe noch nicht bereitliege. Die Mut-ter geht zum Nebentisch, um die Salbe zu holen – und lässt das «Baby» unbe-aufsichtigt auf dem Wickeltisch! Diese Szene löst erst einmal Heiterkeit aus.

Nun sind die Teilnehmerinnen bereit für einen theoretischen Teil zum Thema Sicherheit. Die Mütter hören aufmerksam zu, während die Sozialar-

punkte gesetzt. In türkischen Familien wird beispielsweise sehr häufig grilliert oder Tee zubereitet. Zudem leben viele aus finanziellen Gründen in kleineren Wohnungen, weshalb die Kinder ver-mehrt in Hochbetten schlafen.

Wie erfahren die türkischen Familien von diesem Angebot?Für die Adaption der bfu-Kinderpost wandten wir uns an die Firma «Public Health Service». Diese stellte die Kon-takte zu den türkischen Vereinen und Gruppen her und machte überall Wer-bung für die Broschüren, auch in tür-kischsprachigen Schweizer Medien. Mitarbeiterinnen wie Emine Sariaslan besuchen insgesamt rund 40 Veranstal-tungen und Treffen und stellen die Kinderpost persönlich vor. Diese aufsuchende Arbeit ist wichtig, um Hemmschwellen abzubauen.

Wie geht es weiter? Wird die Kinder­post für weitere Zielgruppen adaptiert?Wir werden die Erfahrungen aus dem Pilotprojekt erst einmal auswerten. Danach sind verschiedene Möglichkei-ten denkbar, zum Beispiel auch ein mehrsprachiges Video. sf

Wie kam die bfu dazu, die Kinderpost in andere Sprachen zu übersetzen?Barbara Schürch: Viele Migranten-familien konnten bisher von der bfu kaum erreicht werden. Zum einen fehlen ihnen oft die nötigen Sprach-kenntnisse. Andererseits sind sich viele von ihnen nicht gewohnt, längere Texte zu lesen. Es braucht deshalb besondere Anstrengungen, damit diese Menschen Angebote der Unfall-prävention nutzen können. Schliess-lich erreichte uns eine Anfrage der Firma «Johnson & Johnson», die ein gemeinnütziges Projekt finanziell unterstützen wollte. So entstand die Idee, die Kinderpost in die Sprache einer Migrantengruppe zu übersetzen.

Warum wählten Sie gerade die türkischsprachigen Migrantinnen und Migranten als Zielgruppe aus?Rund 120 000 in der Schweiz lebende Personen stammen aus der Türkei. Wir haben uns im Rahmen des Pilotpro-jekts auf Türkisch sprechende Familien konzentriert, da wir hier gut funktio-nierende Netzwerke, wie zum Beispiel Frauengruppen, Vereine oder Moscheen, nutzen können.

Wie haben Sie die Kinderpost an die neue Zielgruppe angepasst?Als Erstes haben wir die Broschüren sprachlich vereinfacht und von 16 Aus-gaben auf 7 gekürzt. Dann hat ein tür-kischstämmiger Fotograf Bilder von türkischen Familien gemacht, damit sich die Leute mit den gezeigten All-tagssituationen identifizieren können. Die Themenauswahl haben wir nicht verändert. Nach wie vor stehen typische Kinderunfälle wie Stürze, Vergiftungen und Verbrennungen sowie Verkehrs- oder Badeunfälle im Vordergrund. Wir haben aber teilweise andere Schwer-

«Die aufsuchende Arbeit ist wichtig, um Hemmschwellen abzubauen»Ein Gespräch mit Barbara Schürch, Projektverantwortliche bei der bfu.

Barbara Schürch, MSc Psychologin, ist

Leiterin Bildung bei der bfu.

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nEtZWErk PARTNER

beiterin über die bfu informiert und mit Hilfe einer Präsentation erklärt, wie man einen Kindersitz im Auto montiert, Reinigungsmittel kindersi-cher aufbewahrt oder die Kleinen vor Elektrounfällen schützt. Immer wieder wendet sich Emine Sariaslan direkt an ihr Publikum, stellt Fragen oder bittet die Teilnehmerinnen, von ihren Erfah-rungen zu berichten. Nicht allen Frauen fällt es leicht, in einer solchen Runde

das Wort zu ergreifen. Hier helfen beherzte Sitznachbarinnen und ermun-ternde Worte weiter.

Bald wird die Diskussion lebhaft, die Frauen stellen Fragen und suchen gemeinsam nach Antworten. Eine Mut-ter berichtet, wie sie und ihre Tochter beinahe im Vierwaldstättersee ertrun-ken wären. Die ausgelegten Materialien werden herumgereicht und kommen-tiert. Nach anderthalb Stunden werden

die Kinder langsam quengelig. Das son-nige Wetter lockt. Trotzdem nehmen sich die Frauen Zeit, um einen ausführ-lichen Fragebogen auszufüllen. Emine Sariaslan kann auch diesmal einen Sta-pel ausgefüllter Bestellzettel für Çocuk Postası, die türkische bfu-Kinderpost, nach Bern mitnehmen.

Sara Ferraro

Sozialarbeiterin Emine Sariaslan stellt an einem Treffen für türkische Familien die bfu-Kinderpost vor.

Pilotprojekt: Kinderpost im Migrationskontext

Die bfu-Kinderpost wird allen Eltern ab

der Geburt des ersten Kindes bis zu

dessen achtem Geburtstag zugestellt.

Zahlreiche Familien schätzen die

praktischen Tipps, wie Unfälle im

Haushalt, bei Spiel und Sport sowie im

Strassenverkehr vermieden werden

können. Während die bfu-Kinderpost

bei deutsch-, französisch- und italie-

nischsprechenden Eltern breite

Beachtung findet, ist sie bei Personen

mit einer anderen Muttersprache noch

wenig bekannt. Das soll sich ändern.

Deshalb ist die bfu-Kinderpost im

Rahmen eines Pilotprojekts für tür-

kische Familien in der Schweiz auf be-

reitet worden. Sie wird unter dem

Namen «Çocuk Postası» verbreitet.

Die bfu arbeitet dabei eng mit der

Firma «Public Health Services» in Bern

zusammen, die über Erfahrungen in

der Gesundheitsförderung für Migran-

tinnen und Migranten verfügt. Die

«Johnson & Johnson Family of Com-

panies» in der Schweiz unterstützt

dieses Präventionsprojekt im Rahmen

ihres Engagements für die Gesundheit

von Familien und Kindern. Dieses

Engagement hat im Unternehmen eine

lange Tradition.

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sicher leben 4 / 2014 13

nEtZWErk PARTNER

EinfaCH gEnial

Uepaa! – Outdoor-Sicher-heits-AppEine App für iPhone und Android

macht Outdoor-Sportarten wie

Freeriden, Bergwandern oder Biken

sicherer. Bei einem Notfall kann auch

ohne Netzempfang Hilfe angefordert

werden, wenn andere Nutzer in der

Nähe sind. Durch die App wird man

mit der 24 / 7-Rettungszentrale

verbunden und kann vom Boden oder

aus der Luft von Helfern geortet

werden. Die App holt sogar automa-

tisch Hilfe, wenn die verunglückte

Person nicht mehr in der Lage ist, auf

den Alarmknopf zu drücken. Sie

basiert auf einer drahtlosen Kommu-

nikationstechnologie der ETH Zürich

und wurde von einer Start-up-Firma

in Zusammenarbeit mit Partnern

entwickelt.

Die bfu empfiehlt die App als wert-

volles Hilfsinstrument, verweist aber

auf die Primärprävention als oberstes

Gebot: Eine sorgfältige Planung, die

richtige Selbsteinschätzung, gute

Ausrüstung und Kontrolle unterwegs

sind bei Touren in den Bergen

unerlässlich!

bfu-Ratgeber:

www.sicherleben.bfu.ch

Jährlich sterben rund 16 Personen beim

Tourenskifahren, 12 davon in Lawinen.

Um nicht in Lawinengefahr zu geraten,

ist viel Wissen und Erfahrung nötig,

denn es gibt keine signalisierten und

gesicherten Skirouten. Damit sich auch

Einsteiger möglichst gefahrlos im

Gelände bewegen können, hat die bfu

diesen Winter erstmals 20 «Plaisir-

Touren» bezeichnet, die ein geringes

Lawinenrisiko aufweisen und technisch

einfach zu bewältigen sind. Für jede

Tour sind Start, Ziel, Höhendifferenz

und Route angegeben, ergänzt durch

eine Charakterisierung der Tour und

einen Kartenausschnitt. Alle Touren

befinden sich ausserhalb von Wild-

schutzgebieten.

Wichtig: Die bfu-Plaisir-Touren werden

weder signalisiert noch vor alpinen

Gefahren gesichert oder kontrolliert.

Die Begehung sowie die Orientierung

mithilfe von Karten und elektronischen

Hilfsmitteln liegen allein in der Verant-

wortung der Skitourengänger bzw.

Schneeschuhläufer. Die Lawinengefahr

ist auf den Plaisir-Touren normalerweise

gering (bis Lawinengefahrenstufe 3),

ist aber nie ganz auszuschliessen. Die

Lawinen-Notfallausrüstung (Lawinen-

verschütteten-Suchgerät, Schaufel und

Sonde) muss deshalb immer mitgeführt

werden.

Mehr zu den bfu-Plaisir-Touren auf

www.sicherleben.bfu.ch.

frEiZEitkiCk

Neu: Plaisir-Touren für mehr Sicherheit im Schnee

angEsagt

Neue SKUS-WebsiteZum Start in die Wintersaison hat die

Schweizerische Kommission für

Unfallverhütung auf Schneesportab-

fahrten (SKUS) eine neue Website

aufgeschaltet und sich ein neues Logo

gegeben. Fachpersonen, Schneesport-

lerinnen und Schneesportlern finden

auf der Website vielfältige Informa-

tionen rund um den Wintersport.

www.skus.ch

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14 sicher leben 4 / 2014

nEtZWErk SCHULE

Genf: Unfallverhütung für LehrkräftesiCHErHEit in dEr sCHulE Ende August haben knapp 200 neue Lehrkräfte in Genf an einem Lehrgang der bfu teilgenommen. Die Teilnehmenden sollten ermutigt werden, ausserschulische Aktivitäten zu planen und dabei Risiken richtig einzuschätzen.

vität. Dazu wird die Safety-Card einge-führt, ein von der bfu entwickeltes pädagogisches Hilfsmittel. Damit kön-nen die Lehrpersonen den Risikograd einer Situation anhand von verschiede-nen Parametern wie «Umfeld», «Teil-nehmende» und «Begleitpersonen» abschätzen. Anschliessend befassen sich die Lehrkräfte in Gruppen mit den Gefahren, die auf einem Pausenhof auftreten können. Sie listen mögliche Risiken und sinnvolle Massnahmen

auf, sodass sich alle während der Pause erholen können.

Übungen mit der Balance-DiscZur Auflockerung hat Olivier Genzoni, einer der Coaches, praktische und spie-lerische Übungen mitgebracht – aber mit ernstem Hintergrund. 270 000 Personen stürzen nämlich jährlich zu Hause, über 60 % der Unfälle ereignen sich auf glei-cher Ebene, also durch Ausrutschen oder Stolpern. Deshalb bittet er die Teilneh-

«Die Gefahr zu vermeiden ist auf lange Sicht nicht sicherer, als ihr aufrecht zu begegnen», sagte die blinde und gehör-lose Schriftstellerin Helen Keller. Wer denkt nicht gerne an die grosse Schul-pause zurück, an Schulreisen oder an Ausflüge? Aus Angst vor möglichen Gefahren und den Folgen nach einem Unfall verzichten jedoch viele Lehr-kräfte auf ausserschulische Aktivitä-ten. Den Kindern entgehen dadurch einmalige Erlebnisse. «Die Schüler sind jedes Mal begeistert und entde-cken immer wieder Neues, zum Bei-spiel bei Ausflügen in die Natur. Es gibt sogar Kinder, die dank der Schule zum ersten Mal in einem Wald waren», berichtet Sonia. Sie ist Primarschul-lehrerin an der «école de l’Europe» in Genf. Durch gut vorbereitete Aktivitä-ten, würden die Schülerinnen und Schüler einen Schatz an Erfahrungen sammeln, meint sie.

Die Sport-Safety-Coaches der bfu sensibilisieren und motivieren die neuen Lehrkräfte mit grosser Begeiste-rung. Sie hören zu und geben Anregun-gen. In jeder Phase einer ausserschuli-schen Aktivität spielt die Sicherheit eine wichtige Rolle, also bei der Vorbe-reitung, während und nach einer Akti-

Annette Müller (links) und Olivier Genzoni, Sport-Safety-Coaches der bfu,

unterstützt durch Magali Dubois, bfu-Delegierte für die Romandie.

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sicher leben 4 / 2014 15

menden, in 3er-Schritten von 100 zurück zu zählen, während sie auf der bfu-Balance-Disc stehen. Die mit Luft gefüllte instabile Scheibe fordert und fördert den Gleichgewichtssinn!

«Es freut mich, dass ich meine Erfahrungen weitergeben kann.»Annette Müller

Annette Müller, Sportlehrerin und seit Kurzem auch als Coach tätig, setzt sich dafür ein, dass körperliche Bewegung ihren Platz in der Schule behält. Sie freut sich, wenn Lehrkräfte sich zu -trauen, etwas zu unternehmen und dabei an die Sicherheit denken: «Meine Lebenserfahrung hat mich für die Vor-beugung von Nichtberufsunfällen sen-sibilisiert. Es freut mich, dass ich diese Erfahrungen weitergeben kann.» Die Workshops haben zum Ziel, die Kom-petenzen der Teilnehmenden zu stär-ken und ihnen Mut zu machen. Dabei sollen die Lehrkräfte lernen, Gefahren richtig einzuschätzen und Risiken zu vermeiden. So tragen sie zu einer har-monischen Entwicklung der Jugend-lichen bei. Die Herausforderung ist nicht zu unterschätzen, fällt doch ein Kind bis zum Ende der Primarschulzeit insgesamt rund 1000 Mal!

Nathalie Wirtner Julmi

Welches sind die Hauptziele der Zusammenarbeit mit der bfu?Olivier Hindenberger: Es geht darum, sich in Erinnerung zu rufen, welche Risiken mit ausserschulischen Aktivi-täten verbunden sind. Die Lehrkräfte sollen nicht aus Furcht auf Ausflüge verzichten. Stattdessen sollen sie dazu ermutigt werden, mit den Schülern etwas zu unternehmen und dabei Unfällen vorzubeugen. Wir sind mit dem bfu-Angebot sehr zufrieden. Des-halb möchten wir die Workshops allen Lehrpersonen als Teil der beruflichen Weiterbildung anbieten.

Worin besteht der Mehrwert des Angebots der bfu im Vergleich zu Angeboten von anderen?Der pädagogische Ansatz der bfu ist positiv, er schürt keine Ängste und moralisiert nicht. Die Lehrkräfte sind motiviert, das Gelernte umzusetzen, ohne sich ständig auf die möglichen

Gefahren zu konzentrieren. Dank dem vielfältigen und aktualisierten Material können sie sich in jene Themen vertie-fen, die ihnen am meisten zusagen. Und das Beste dabei: Das Angebot ist gratis!

Welches sind die Vorzüge dieser Weiterbildung?Sie motiviert die Teilnehmenden dadurch, dass sie die Ratschläge sogleich umsetzen können. Die Lehr-kräfte lernen, Risiken abzuschätzen und sich dadurch etwas zuzutrauen. Zudem können sie besorgte Eltern dar-auf hinweisen, dass sie die bfu-Schu-lung besucht haben. Das kostenlose Material lässt sich dann in den Klassen einsetzen.

Für Lehrpersonen stellt die bfu

fix fertige Unterrichtshilfen zu Sicher-

heitsthemen zur Verfügung.

Alle Themen finden Sie gratis auf

www.safetytool.bfu.ch.

Olivier Hinderberger

«Die Lehrkräfte sollen nicht aus Furcht auf die Ausflüge verzichten»Drei Fragen an Olivier Hinderberger, Bildungskoordinator und verantwortlich für den Start der neuen Primarlehrkräfte im Kanton Genf.

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kampagnE

Jedes zweite Kind ist im Auto falsch gesichertJährlich verunfallen in der Schweiz rund 400 Kinder im Auto. Viele Unfälle liessen sich ver-hindern, wenn sie richtig gesichert würden. Denn: Eine Erhebung der bfu hat ergeben, dass jedes zweite Kind im Auto falsch gesichert ist, mehr als 70 auf 1000 Kinder sind es gar nicht. Das Risiko einer schweren oder gar tödlichen Verletzung ist dadurch dreimal höher als für ein Kind in einem gesicherten Sitz.

Eine nationale Informationskampagne an -lässlich der Einführung neuer europäischer Richtlinien für Kindersitze nimmt das Anlie -gen auf. Sie wird vom Fonds für Verkehrssicher-heit FVS mitfinanziert und in Zusammen-

arbeit mit dem TCS durchgeführt. Die Kampagne soll alle Personen mit Kindern im Auto für die richtige Sicherung sensibilisieren. Die neue Informationsbroschüre wird in Deutsch, Französisch und Italienisch herausge-geben und ergänzt durch Online-Versionen in 7 weiteren Sprachen: Rätoromanisch, Spanisch, Portugiesisch, Englisch, Albanisch, Serbisch / Kroatisch / Bosnisch und Türkisch. nw

Auf www.kindersitze.tcs.ch

veranschaulichen auch

drei Videos mit Erklärungen

das Thema.

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Kindersitze retten Leben – aber nur,

wenn sie korrekt genutzt werden!