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SIR SIMON RATTLE Chefdirigent und künstlerischer Leiter der Berliner Philharmoniker MARTIN HOFFMANN Intendant der Stiftung Berliner Philharmoniker BPH_19_2013-10-30_D.indd 1 20.01.14 12:31

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S i r S i m o n r at t l eC h e fd i r i g e n t u n d k ü ns t l e r i s c h e r Le i t e r

d e r B e r l i n e r P h i l h a rm o n i ke r

m a r t i n H o f f m a n nI n t e n d a n t d e r S t i f t u ng B e r l i n e r P h i l h a rm o n i ke r

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Liebe Konzertbesucher, die Akustik in diesem Saal ist so gut, dass auch Nebengeräusche für alle deutlich hörbar sind. Husten beeinträchtigt die Konzentration der Künstler und den Musikgenuss der Zuhörer. Bitte versuchen Sie, Husten und Räus-pern während des Konzerts zu vermeiden (Bonbons!) — die Lautstärke lässt sich übrigens durch den Gebrauch eines Taschentuchs erheblich dämpfen. Wir danken Ihnen im Voraus! Ihre Berliner Philharmoniker

Fotoaufnahmen, Bild- und Tonaufzeichnungen sind nicht gestattet. Bitte schalten Sie vor dem Konzert Ihre Mobiltelefone aus. Danke!

K a m m e r m u s i K s a a l

M I T T W o c H 30.10. 2 0 U H R 1. Konzert der Serie W

Abokonzert

Unterwegs – Weltmusik mit Roger Willemsen

Teil 1: Stimmen für den Frieden – Unterwegs mit Griots und Sängern aus Mali

roger Willemsen  M o D e R AT I o N U N D P R o G R A M M G e S TA LT U N G

ensemble Habib Koité:Habib Koité 

G e S A N G , G I TA R R e

Zoumana Diarra  G I TA R R e

aly Keïta  G e S A N G , B A L A F o N

Bassekou Kouyaté & Ngoni ba:Bassekou Kouyaté 

L e A D N G o N I

amy sacko  G e S A N G

abou sissoko  N G o N I M e D I U M

mamadou Kouyaté  B A S S N G o N I

moustafa Kouyaté  N G o N I B A

mahamadou Tounkara  P e R K U S S I o N ( YA B A R A , TA M A )

moctar Kouyaté  K A L e B A S S e

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5 p r o g r a m m

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E N S E M B L E H A BI B KOI T É

P a u s e

B A S S E KOU KOU YAT É & N G ON I B A

Das genaue Programm wurde von den Musikern kurzfristig festgelegt und wird vom Podium aus angesagt.

Konzeptionelle und wissenschaftliche Beratung: Birgit ellinghaus

uNTe rWegs – We lTmusiK miT rog e r Wille mse N

Te I L 1: ST I M M eN Fü R DeN FR I eDeN – U NTeRWeGS M I T G R I oTS U N D

SäNG eR N AUS M A L I

Das heutige Konzert findet in Kooperation mit der deutschen UNeSco-Kommission statt.

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Abendliche Straßenszene in Bankony, einem Stadtteil von Bamako

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9 U N e R H ö R T e S I M K A M M e R M U S I K S A A L

aufBrucH iN D ie fre mDeU N eR HöR TeS I M K A M M eR M US I KSA A L

— Seit der Kammermusiksaal der Philharmonie seine Türen der Weltmusik geöffnet hat, ist er vieles geworden: Zelt, Iglu, Klosterzelle, Tempel, Jurte, Dorfplatz, Bühne. Die Architektur dieses besonderen Raums hat immer wieder seine charakteristik geändert unter dem gestalterischen einfluss der Musik, und diese hat auch das Publikum geformt wie eine Skulptur. Mal war es in der Rezeption fremder Sakralmusik ganz verinnerlicht, mal war es agitiert von der energie der musikalischen Aktivisten aus der Sahara oder dem Maghreb. Mal wurde es still vor den Zeugnissen gefähr-deter Musik aus dem Polarkreis oder Afghanistan, und mal swingte es mit den Tänzen aus Algerien oder den Spielmannszügen Süditaliens.— Der Aufbruch in die Fremde war zugleich ein Aufbruch ins Unerhörte. Sobald sich das Spektrum der musikalischen Idiome entfaltete, demons-trierten sie mehr Reichtum, als das globalisierte etikett »Weltmusik« vermuten lässt. Brechen wir also wieder auf!

— Das westafrikanische Mali ist eine musikalische Großmacht. Von hier stammen die Griots mit ihren Stegharfen und Spießlauten. Sie hüten als legendäre epen-Sänger seit Jahrhunderten das musikali-sche Wissen und geben es weiter. Ali Farka Toré, einer der Väter der hiesigen Musik, nennt Mali gar die Heimat des Blues und sagt: »Ihr kennt die Zweige, wir haben die Wurzeln und den Stamm.« Das Konzert unserer Reihe erzählt Geschichten aus dem ganzen Raum zwischen Timbuktu und Bamako. es ist heute ein umkämpfter Raum. Die Stimmen aber, die uns von dort erreichen, eint die Hoffnung auf den Frieden.— Auch die afro-peruanische Musik entstand vor einem politi-schen Hintergrund. ehemals arbeiteten schwarze Sklaven in den Kupfer-, Gold- und Silberminen entlang der peruanischen Küste. Nach der Abschaffung der Sklaverei 1854 siedelten sich die Nachfahren der Sklaven hier an. Nur selten haben sie sich mit den indigenen ethnien und den Nachfahren der europäischen

M U S I K T e I LT V I e L ü B e R D I e S oZ I A L e U N D P o L I T I S c H e

V e R FA S S U N G e I N e S L A N D e S M I T, A N D e R e R S e I T S e R N e U e R T

S I c H D I e S e M U S I K o F T M I T e I N I G e R B R I S A N Z .

Roger Willemsen

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Kolonialherren vermischt. Seit Jahrhunderten leben sie lieber als kleine, fast geschlossene Minderheit – mit ihrer Musik, die den Takt der Arbeit und der Lebensgeschichten über die Generationen trug, und ohne die »Latin Music« nicht denkbar wäre.— Das Bewahren traditioneller, vom Verschwinden bedrohter Musik und ihre erneuerung kennen wir aber selbst aus dem alpinen europa. Hier hat sich in den letzten Jahren erstaunliches entwickelt: Musiker aus abgelegenen Bergtälern und alpinen Metropolen zwi-schen Slowenien und okzitanien haben sich auf die Suche nach neuartigen Alpentönen gemacht. experimentierfreudig nahmen sie sich die reichen melodisch-rhythmischen Traditionen dieser Kultur-region vor, um neue Klangformen zu erfinden, die als Weiterent-wicklungen alter Lieder, Klänge und Geräusche überwältigend traurig oder wild sein können. Mit den typischen Instrumenten wie Hackbrett, Ziehharmonika und Zither im Verbund mit der

menschlichen Stimme brechen sie in unbekannte Klanglandschaften traditionell verankerter europäischer Musik auf. — In der vierten Ausgabe von Unterwegs laden wir Sie schließlich zu einem musikalischen Beschwörungsfest ein – einer Kupala-Nacht, so wie sie in den Weiten der osteuropäischen ebene zwischen Wolga, Ural oder Don, in den wilden Landschaften zwischen Bering-see, Kaspischem und Schwarzem Meer gefeiert wird. Die Musiker singen und spielen hier von den geheimen Ritualen junger Lieben-der, sie beschwören die Kräfte des Wassers und der Sonne in der Hoffnung auf magische Selbstreinigung und Heilung von Mensch und Natur. Bis zum heutigen Tag senden diese Musiker kraftvolle künstlerische Impulse aus, deren Wellen uns noch in Paris und Berlin erreichen. Lauter gute Gründe, unterwegs zu sein.

Roger Willemsen

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mali : Wo Das musiK aliscHe He r Z We sTafriK as scHl ägTSTAT I oN eN e I N eR Wec HSeLVo L LeN eNT W I c K LU NG

— ein Taxistand in Bamako. Männer warten neben ihren verbeulten gelben Taxis auf Kunden. Daneben ein Mann der Tee kocht. In ihrer Mitte ein kleines chinesisches Radio. Daraus dröhnt Yoro Sidibé, er spielt die archaische Musik der Jäger und begleitet sich dabei auf einer Donso Ngoni, einem scheppernden mit Spiegeln und anderen magischen Amuletten beklebten Bassinstrument. egal, ob die peitschenden Rhythmen der Wassoulou Sängerin oumou Sangaré aus dem Süden Malis, die rührigen Balladen des blinden Duos Amadou & Mariam aus Bamako oder die rauhen, rockigen Gitarrenklänge der Tuareg-Bands, in deren stehend verzerrten Gitarren-sounds sich die Weite der Wüste im Nordosten Malis spiegelt: Kaum ein Land aus Afrika hat in den letzten Jahren einen derart großen musi-kalischen output gehabt. Viele internationale Stars wie Robert Plant, Ry cooder, Bono, Damon Albarn, Björk oder Manu chao sind der Musik des Landes erlegen. Und immer wenn man denkt, alles gesehen und gehört zu haben, lernt man neue Seiten kennen. Mali scheint über einen nicht versiegenden Strom an Musik zu verfügen. es ist ein Land der Gegensätze, tief verwurzelt in seiner alten Musiktradition und zugleich Afrikas Musikexportland Nummer 1. Dabei sind seine musikalischen Schätze längst nicht alle gehoben. Das gilt für die magische Musik der chasseure genauso wie für die junge Generation der Rapper, die in der derzeitigen politschen Krise, in der das Land seit dem Putsch 2012 steckt, die deutlichsten Worte findet.

1. Von der unabhängigkeit zur rail Band

— Der westafrikanische Binnenstaat Mali erlangte am 22. Sep-tember 1960 seine Unabhängigkeit von Frankreich. Afrika war damals im Taumel der Unabhängigkeitseuphorie. Gefeiert wurde damals noch mit kubanischer Tanzmusik. Bands mit Namen wie die Taxifahrer in Bamako

D e R W e S TA F R I K A N I S c H e B I N N e N S TA AT M A L I e R L A N G T e

A M 22 . S e P T e M B e R 19 6 0 S e I N e U N A B H ä N G I G K e I T

Vo N F R A N K R e I c H . A F R I K A WA R DA M A L S I M TAU M e L D e R

U N A B H ä N G I G K e I T S e U P H o R I e .

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(der  eigentlich aus Guinea stammt) wurden ende der 1980er dann zu den ersten Stars des aufkommenden Weltmusikmarkts. Gerade für die gol-dene Stimme Malis, Salif Keïta, ein ungeheuer weiter Weg. In einem tief in seiner Tradition verwurzelten Land wie Mali, in der Familien und Kastenzugehörigkeit bis heute eine große Rolle spielen, galt es als anrüchig und sozial unvorstellbar, als Mitglied einer gehobenen Kaste zu singen.

2. Die neue generation: oumou sangaré, Toumani Diabaté, amadou & mariam, rokia Traoré

singen aus freien stücken: oumou sangaré — In den späten 1980er-Jahren herrschte in Mali das korrupte Militärregime Moussa Traorés. Mali war ökonomisch am Boden. Die Leute hatten genug von den Preisliedern der Griots. In diesem Klima wurde plötzlich eine neue Musik populär, die neben der Mande-Popmusik der Griots bis heute den zweiten populären Musikstil Malis ausmacht: die Musik der Wassoulou, benannt nach der Re-gion im Südwesten Malis. Anders als die Mande-Popmusik, deren Musiker überwiegend aus der Musikerkaste der Griots kamen (mit der großen Ausnahme Salif Keïta), waren die Wassoulou-Sänge-rinnen Musiker aus freien Stücken, die sich selbst »Kono«-Song-birds nannten. Genau wie die Griots erkennt man auch die Was-soulou-Musiker an ihren Nachnamen: Die meisten heißen Sidibé, Diakité, Diallo oder Sangaré (während Griots meist die Namen

Maravillas de Mali bespielten die neue elite in den Städten des Landes. Alles schien möglich. Im benachbarten Guinea arbeitete der charisma-tische Präsident Sékou Touré an seiner Vision eines neuen Afrika. er wollte, dass sich auch die Musik Afrikas neu erfindet, modern wollte man sein, aber dabei einen eigenen Weg gehen. Sékou Touré gründete dazu eine ganze Reihe regionaler orchester, die er mit modernen In-strumenten ausstattete und ihnen den Auftrag gab, aus ihrer Tradition eine moderne afrikanische Musik zu erschaffen. Das bekannteste ist das orchestra National Bembeya Jazz. Mali schloss sich schon bald dem Trend an, und es entstanden ebenfalls regionale orchester wie Super Biton de Segou, Super Djata oder Kéné Star aus Sikasso, die lokale Traditionen mit Pop verbanden; oft noch stark kubanisch be-einflusst. ende der 1960er-Jahre wurde dann die Rail Band du Buf-fet de la Gare, die Urformation der malischen Popmusik, gegründet, in der später Stars wie Salif Keïta oder Mory Kanté ihre Karrieren begannen, und die die Mande-Popmusik prägen sollten. — Kurz darauf folgte der große Gegenspieler: Les Ambassadors, die damals eher populäre internationale Stile wie Rumba, Foxtrott oder kubanische Musik spielten. Durch die 1970er-Jahre hindurch trat die Rail Band Nacht für Nacht vor vollem Haus auf und rang mit den Ambassadors um die Krone der malischen Popmusik. Geld-probleme führten ende der 1970er dann dazu, dass beide Bands ihr Glück im Ausland suchten – in der damals beherrschenden Musikmetropole Abidjan an der elfenbeinküste. Mitte der 1980er-Jahre wurde für Musiker aus Afrika, die eine Karriere anstreb-ten, dann Paris der Nabel der Welt. Salif Keïta und Mory Kanté

Salif Keïta (re.) mit Sekou Diabaté (»Diamond Fingers von der Rail Band«)

oumou Sangaré

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Diabaté, Kouyaté, Sissokko oder Koité tragen). Die Königin der Wassoulou Musik ist bis heute oumou Sangaré, eine Frau aus armen Verhältnissen. Als Kind musste oumou sich auf den Straßen Bamakos als Wasserver-käuferin durchschlagen, um Geld für die Familie zu verdienen. Ihre Mutter war die zweite (vernachlässigte) Frau in einer polygamen ehe. Diese erfahrung wurde zur prägenden Botschaft ihrer Songs. Zeit ihres Lebens hat sie gegen die polygame ehe gesungen und sich für die Rechte der Frauen eingesetzt. Die treibende Kraft der Wassoulou-Musik kommt vom akzentreichen, treibenden Rhythmus der Kamale Ngoni, der sogenannten Jugendharfe. Bis heute ist die Musik der Wassoulou-Sängerinnen neben Mande-Pop die gefeierte Popmusik Malis. oumou Sangaré selbst betä-tigt sich heute allerdings mehr als Geschäftsfrau. Sie betreibt ein Hotel, und sogar ein chinesischer Allrad-Geländewagen wird unter ihrem Namen verkauft.

Toumani Diabaté: die Kunst des Kora-spiels— Schon als 18-Jähriger stellte der Sohn aus einer der ältesten Griotfamilien Malis mit seinem Debütalbum Khaira sein Talent unter Beweis. es folgte eine Karriere, die ihn in Kontakt mit den unterschied-lichsten Musiktraditionen weltweit gebracht hat und bis heute zu einem der innovativsten Musiker des Landes macht. International für Aufsehen

sorgte er ende der 1990er-Jahre zusammen mit der Neo-Flamen-coband Ketama und den Alben Songhai und Songhai 2. er bestä-tigte damit seinen Ruf als virtuosester Kora-Spieler Afrikas und lieferte den Beweis, dass die Musiktraditionen Malis eine Kunstform sind. ähnlich bekannt wurden seine experimente mit dem Blues zusammen mit dem US-Amerikaner Taj Mahal, mit dem er das Album Kulanjan einspielte. es folgte ein Duo mit dem bis heute ebenfalls gefeierten Kora-Spieler Ballaké Sissokko unter dem Titel New Ancient Strings, das dem Meilenstein traditionel-ler Kora-Musik, dem Album Ancient Strings, das ihre Väter mit- Toumani Diabaté

To U M A N I D I A B AT é L I e F e R T e D e N B e W e I S , DA S S D I e

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bei einer Reise durch Mali am Busbahnhof eine Kassette der beiden kaufte und das Pärchen später in Paris zufällig auf der Straße wiedertraf. Schon ihr internationales Debütalbum machte sie in Frankreich zu Stars. Höhe-punkt der Zusammenarbeit sollte aber das Album Dimanche à Bamako werden, das sie mit Manu chao aufnahmen: 800.000 Mal verkaufte es sich und wurde damit zum meistverkauften Tonträger eines Künstlers aus Mali – und nebenbei zum Beweis, dass man sein Schicksal – trotz Blind-heit – selbst in Afrika überwinden kann und es künstlerisch an die Spitze schafft.

rokia Traoré: Pop jenseits von Tradition— Kaum eine Künstlerin hat in Mali in den letzten Jahren derart für Skandale gesorgt wie Rokia Traoré. Und das, obwohl die Diplomaten-tochter einfach nur ihre Vision einer traditionell beinflussten Popmusik verwirklichen wollte. Aber viele Malier waren noch nicht soweit. Rokia Traorés Musik geht von ihr als individueller Künstlerin aus. Sie begann, ihre Songs mit traditionellen Instrumenten unterschiedlicher ethnien zu arrangieren, die man so in Mali noch nicht zusammen auf der Bühne

gesehen hatte. Heraus kam eine Art »Folklore imaginaire«, also eine in ihrem Kopf erdachte, traditionell klingende, doch im Kern sehr moderne Musik. Das ergebnis klang für westliche ohren sehr tra-ditionell, hielt sich aber nicht an traditionelle Stilgrenzen der Heimat Rokia Traorés. Die Hüter der Tradition fühlten sich von dieser jun-gen – auch noch weiblichen – Sängerin angegriffen. Für sie klang ihre Musik einfach nur falsch. Auch ihren Musikern, die anfangs allesamt aus Mali stammten, verlangte sie große Disziplin ab, sie sollten nicht – wie üblich – improvisieren, sondern sich minuziös an Arrangements und Melodien halten. Ihr moderner Ansatz brachte ihr international viele Fans, in Mali aber war es nicht immer leicht für sie. Radiojournalisten weigerten sich ihre Songs zu spielen, weil Rokia sich weigerte – wie in Mali üblich – sie mit

einander eingespielt hatten, einen würdigen Nachfolger bescherte. Außerdem veröffentlichte er diverse Alben in wechselnden Besetzungen mit seiner eigenen Band, dem Symmetric orchestra. Zwei Grammy Awards erhielt er an der Seite von Ali Farka Touré, mit dem er kurz vor dessen Tod als Duo das Album In the heart of the moon und Ali & Toumani aufnahm. Toumani Diabaté gilt bis heute als einer der wich-tigsten Botschafter der jahrhundertealten Musik der Griots, der mit seiner Virtuosität dafür gesorgt hat, dass die Musik seiner Vorfahren ihren Platz unter den bekannten Kunstmusiktraditionen dieses Pla-neten gefunden hat. ähnliches hat Bassekou Kouyaté in den letzten Jahren für sein Instrument, die Ngoni, geleistet.

amadou & mariam: es gibt immer Hoffnung— Von der Kunstmusik zurück auf die Straßen Malis: In die Welt der einfachen Leute entführt uns ein Duo aus Bamako. Seine Kar-riere zählt zu den anrührendsten Geschichten der malischen Pop-musik. es ist die Geschichte einer Liebe zwischen zwei blinden Musikern, die alle Widerstände überwinden und es trotz ihrer Blind-heit ganz nach oben schaffen. Auch Amadou & Mariam versuchten, wie viele Stars der 1980er-Jahre, ihr Glück zuerst in der Musik-metropole Abidjan. Durch Songs wie Combattants und Je pense à toi gelangen ihnen als blindem Duo dort mit ihren einfachen, eingängigen Texten erste Hits – vor allem unter den ärmeren Stadtbewohnern. Irgendwann waren sie wieder zurück in Bamako. Der Durchbruch kam erst, als der Franzose Marc Antoine Moreau

Amadou & Mariam

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J A H R e N D e R A R T F ü R S K A N DA L e G e S o R G T W I e R o K I A T R Ao R é .

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Geld zu bestechen. Musikjournalisten sollten nach ihrer Auffassung das spielen, was sie gut fanden, nicht das, wofür sie bezahlt würden.— Ihre aktuellen Produktionen brechen ganz mit rein afrikanischer Inst-rumentierung. Heute spielt Rokia Traoré mit einer Band, die überwiegend aus französischen Musikern besteht, und hat ihre Vision erweitert: Sie arbeitet an einer kosmopolitischen Popmusik, die ihre persönliche Lebens-erfahrung zwischen Afrika und europa auf natürliche Art zum Ausdruck bringen soll. Die Grenze zwischen Weltmusik und Pop ist für sie ein neo-koloniales Konstrukt, das Afrika ausgrenzt.

3. Von Desert Blues bis festival au Désert

ali farka Touré: König des Desert Blues — In den 1980er-Jahren stolperten einige englische DJs über frühe Schallplatten eines Musikers, der wie eine westafrikanische Ausgabe von John Lee Hooker klang: Ali Farka Touré. Aus der Begeisterung einiger Musiknerds in england entwickelte sich eine breite Nachfrage nach dem original. Ali Farka Touré wurde nach London eingeladen und spielte erste Konzerte. Schnell war klar: Die Musik dieses Mannes

aus Niafunke, einem kleinen ort zwischen Timbuktu und Gao gele-gen, war der lebende Beweis, dass der Blues aus Afrika stammt. Ali Farka Touré hat das Wort Blues immer abgelehnt: er spiele die Musik der Songhai, der Bozo, der Tamashek, der Fula; ja, unzähli-ger ethnien, und wenn das nach Blues klinge, dann ist das eben Blues. Den Höhepunkt seiner Karriere erlebte er Mitte der 1990er-Jahre als Ry cooder das Album Talking Timbuktu mit ihm aufnahm und er dafür einen Grammy verliehen bekam. ein Genre war ge-boren: der Desert Blues. Unzählige Musiker – vor allem aus den USA – haben sich in der Folge auf den Weg gemacht, in Mali die Wurzeln des Blues zu finden. Martin Scorsese machte sogar Ali Farka Touré

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Rebellen der MNLA, die nach dem Frieden, Mitte der 1990er-Jahre, ihre Waffen niedergelegt hatten und sich wieder der Musik zuwand-ten. Ironischerweise schenkte ihnen ihre ersten Instrumente einst Iyad Ag Ghali, derselbe Mann, der mit seiner islamistischen Split-tergruppe Ansar dine 2013 die Scharia in Timbuktu ausrief und Musik verbieten ließ. Durch ihre Auftritte beim Festival au Désert stiegen Tinariwen zu einer der bekanntesten Musikexporte Malis auf. Die Welt war fasziniert vom Freiheitswillen der Musiker und vom vergessenen Volk der Tuareg, das seit der Unabhängigkeit Malis 1960 für seine Anerkennung kämpft. Die euphorie hat einen leichten Dämpfer bekommen, denn der Versuch, unlängst einen Tuareg-Staat Azawad im Norden Malis auszurufen, endete mit der übernahme der Region durch die Islamisten.

einen Dokumentarfilm über Ali Farka Touré – Feel like going home – und nannte seine Musik die »DNA des Blues«.

festival au Désert: Tuareg-musik— Die Geschichte des Festival au Désert beginnt 2001. Aus einem alljährlichen Treffpunkt der Tuareg aus der Sahara, entwi-ckelte sich im Laufe von zehn Jahren eines der spannendsten Musikfestivals der Welt, dessen existenz 2012 jäh ein vorläufiges ende fand, als Islamisten die Region einnahmen und Musikmachen unter Strafe stellten. eng verbunden mit der Bekanntheit des Festivals ist die Geschichte der bekanntesten Band aus dem Nordosten Malis: Tinariwen. Die Band gilt als Speerspitze eines Revivals der Tuareg-Musik. Tinariwen besteht aus ehemaligen

Zuhörer beim Festival au Désert

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koullel, Sidiki Diabaté, Tata Pound oder Master Soumy wollen aber auch das Volk aufklären: »Zur Wahl zu gehen ist mehr, als sich T-Shirts schen-ken zu lassen und sein Kreuz zu machen, alle müssen Verantwortung übernehmen.« Der Vergleich zum Senegal, zur Jugendbewegung Y’en a marre, drängt sich auf. Die hatten Anfang 2012 mit dafür gesorgt, den alten, korrupten Präsidenten Abdoulaye Wade aus dem Amt zu ver-treiben. Motor der Bewegung auch dort: Rap-Aktivisten – allerdings mit mehr erfahrung. Schon einmal hatte die Hip-Hop-Bewegung Senegals einen Präsidenten verjagt, das war Anfang 2000: Wades Vorgänger Abdou Diouf.— Die Rapper sind vielleicht die einzigen Musiker, die die aktuellen Probleme beim Namen nennen. Und das Volk feiert sie dafür. Rapper wie Sidiki Diabaté (der Sohn Toumani Diabatés) füllen in Mali heute Stadien; das schafft sonst kaum ein Musiker. Die Mächtigen müssen sich erst an die direkten Worte der Rapper gewöhnen. Kritische Journalisten haben da in Mali schon mehr erfahrung. So manch einer wurde seit dem Putsch verhaftet, bedroht und mundtot ge-macht. Gewaltandrohungen hat auch Amkoullel schon bekommen, seine Antwort ist weitermachen: »es ist die einzige Zensur« erzählt er, »die den korrupten Machthabern noch bleibt. Das ist eine psy-chologische Waffe. Aber wenn wir uns einschüchtern lassen, dann gewinnen diejenigen, die Mali als Selbstbedienungsladen sehen.« Und das ist in diesem Land lange genug so gewesen.

Jay Rutledge

— Das Festival au Désert ist mit der Krise im Norden zu einem Symbol der Freiheit im Kampf gegen den Islamismus geworden. es soll sobald als möglich wieder stattfinden und ist für Januar 2014 angekündigt. In den letzten 10 Jahren ist es dem Festival gelungen, ein breites Medien-interesse für die Musik der Tuareg zu wecken, von dem der Kulturraum und eine ganze Reihe von Bands nachhaltig profitieren: Tamikrest, Bom-bino aus dem Niger, etran Finatawa und natürlich bis heute Tinariwen, die letztes Jahr sogar einen Grammy verliehen bekamen. Welch un-glaubliche, kaum bekannte musikalische Vielfalt der Kulturraum Sahara bis heute birgt, zeigen auch compilations wie Music for saharan cell-phones des kleinen ein-Mann-Labels Saharan Sounds. Die Alben stellen aktuellen Pop aus dem Sahelgrenzland zwischen Mali, Niger und Algerien vor, Musik, die sich jetzt – nachdem die Islamisten ver-trieben sind – dort wieder frei von Handy zu Handy verbreiten kann.

4. generation Hip-Hop – ça suffit!

— »Ça suffit«, es reicht, rappt Master Soumy in sein Mikrofon. Les Sofas de la république haben diesen Song zusammen eingespielt, ein Rap-Kollektiv, dem einige der bekanntesten Rapper Malis ange-hören. Seit gut fünf Jahren boomt Hip-Hop in Mali. Die Krise hat der urbanen Musikform jetzt zum Durchbruch verholfen. Das Vertrauen in den Staat ist erschüttert. Die einst so populären Preissänger haben während der Krise an Popularität verloren. Den Politikern, die sie einst besangen, glaubt niemand mehr. Nie zuvor hatten Musiker, noch dazu junge Musiker – in einem Land wie Mali, wo Alter noch Respekt bedeutet, ungeheuerlich – in so deutlichen Worten ihre Meinung zur Krise kundgetan. »In einer traditionellen Gesellschaftsordnung funktioniert Bestechung möglicherweise ganz gut«, erklärt Amkoullel, einer der derzeit bekanntesten Rap-per Malis, »aber wir leben in einer Demokratie.« Rapper wie Am-

DA S F e S T I VA L AU D é S e R T I S T M I T D e R K R I S e

I M N o R D e N Z U e I N e M SY M B o L D e R F R e I H e I T I M K A M P F

G eG e N D e N I S L A M I S M U S G e Wo R D e N .

Die Tuareg-Band Tinariwen

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— »Wenn die Islamisten die Musik zum Schweigen bringen, dann reißen sie Mali das Herz heraus«, sagt Bassekou Kouyaté, einer der bekanntesten Musiker des Landes. »ohne Musik kann nicht mehr geheiratet, nicht mehr beerdigt werden. ein Sonntag in Bamako ohne Musik? Das hat dann mit der Kultur unserer Vorfahren, unserem Selbstverständnis nichts mehr zu tun.« Und Kouyaté muss es wissen, schließlich kommt er aus einer der ältesten Lobpreissängerfamilien Malis. Ihre Lieder gehen zurück auf das 13. Jahrhundert, als die große Gründungsfigur des Königreichs Mali, Sundjata Keïta, die verschiedenen ethnien der Region zum Königreich Mali einte. Die Musik ist bis heute das Blut, das in den Adern Malis fließt, denn die Lobpreissänger sind das Sprachrohr einer jeden Familie und der soziale Kitt: Sie schlichten Streitigkeiten, singen auf Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen, und selbst der Präsident kann keinen Gast empfangen, ohne einen Griot an seiner Seite.

— In einem Land, in dem mehr als 70 Prozent der Menschen An al-phabeten sind, sind ihre Lieder ein zentrales Kommunikationsmittel, das sowohl die Geschichte wach hält, als auch Neuigkeiten verbreitet. Als die Islamisten den Norden eroberten und Musik verboten, bedroh-ten sie damit eine jahrhundertealte Tradition im Kern. Die Krise des Landes seit Januar 2012 und der Machtwechsel in der Politik sollte aber auch die Rolle der Griots auf die Probe stellen.

Dimanche à Bankony— Bassekou Kouyatés Karriere begann vor knapp zehn Jahren. Vom lokalen Hochzeitsmusiker entwickelte er sich zum internati o-na len Star der Weltmusik. Allein in diesem Jahr war er in Japan, Aus tralien, USA und Kanada auf Tournee. Sein letztes Album wurde sogar für einen Grammy nominiert. So konnte der Musiker, der aus einfachsten Verhältnissen stammt, sich ein großes Haus in Bankony, einem der staubigen Vororte von Bamako, bauen, die

moDerNe grioTs: ZWiscHeN PreisgesaNg, PoP uND PuTscHZWeI STARS IM WeSTAFRIKANIScHeN MALI UND eINe JAHRHUNDeRTeALTe TRADITIoN IN ZeITeN DeR KRISe

Feldarbeit bei Garana nordwestlich der Hauptstadt Bamako

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M e N S c H e N A N A L P H A B e T e N S I N D , S I N D D I e L I e D e R D e R G R I oT S

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Im Vordergrund Bassekou Kouyatés Haus in Bankony

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in den letzten Jahren am Stadtrand der Hauptstadt entstanden sind. Bamako platzt heute aus allen Nähten, weil immer noch viele Menschen vom Land kommen, um ihr Glück in der Stadt zu versuchen. So kam auch Bassekou einst als mittelloser junger Musiker nach Bamako und schlug sich anfangs als Schuhputzer durch. Heute steht in seiner Garage ein neuer Mercedes, und einflussreiche Geschäftsleute und Minister bitten ihn, für sie bei wichtigen Anlässen zu spielen. — Kouyatés Frau, Amy Sacko, ist eine der bekanntesten Lobpreis-sängerinnen der Hauptstadt. Sonntag für Sonntag stehen in Bamako an den Straßenecken die großen bunten Zelte, unter denen sich aufgeputzte Hochzeitsgesellschaften zusammenfinden. Die Frauen tragen leuchtende Gewänder aus den für Mali typischen gewachs-ten Stoffen. über allem schwebt die präsente Stimme der Griot-Sängerin, die sich, verstärkt von einem oft grauenhaft verzerrten Sound, durch die Liste der Anwesenden singt und in ihren Liedern die Familiengeschichte und die anwesenden Familienmitglieder preist. Als Dank kleben ihr die Besungenen Unmengen Geldscheine an die Stirn. ein außergewöhnliches, farbenfrohes Schauspiel. Griots singen für die Familien der Noblen, die an Nachnamen wie Touré oder Keita zu erkennen sind. Aber längst laden auch Reiche und einflussreiche Geschäftsleute gefragte Sängerinnen ein, wenn eine Hochzeit in der Familie ansteht. So verdienen die Griots in Mali bis heute ihr Geld; und viele von ihnen so gut, dass sie lieber auf anstrengende internationale Tourneen verzichten. Amy Sacko

Sonntag in Bamako

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erzählt er, »war das kein Problem. Mein Vater hatte in unserem Heimatort Garana Felder. Die Schüler mussten sie für ihn bestellen. Aber ich habe keine Felder, und essen müssen meine Schüler trotzdem.« Auf die Frage, wie viele Leute in seinem Haus wohnen, schüttelt er den Kopf und lacht. er weiß es nicht. So ist das in Mali mit dem erfolg.

— Bassekou Kouyaté selbst spielt nur mehr selten bei Hochzeiten, er schickt heute lieber seine Söhne oder Brüder, um für ihn zu spie-len. Seit seinem internationalen Durchbruch ist sein Haus voll mit Verwandten und Schülern, die die lange als verstaubt geltende Ngoni, eine kleine, gitarrenartige Laute mit 4 Saiten, wieder lernen möchten. Sie hoffen, dass es der Schlüssel zu einem besseren Leben für sie werden könnte. Auf eine normale Schule ist auch Kouyaté selbst nie gegangen. Sein Vater brachte ihm Zuhause in Garana, einem kleinen Dorf am Niger, Ngoni spielen bei. Heute gibt Kouyaté die Musik an seine Kinder weiter. Mittlerweile spielen zwei seiner Söhne sogar in seiner eigenen Band. Auch Verwandte schicken traditionell ihre Kinder zu ihm, um das Instrument zu erlernen. Kouyaté stöhnt, denn Kost und Logis sind frei. »Früher«,

S e I T S e I N e M I N T e R N AT I o N A L e N D U R c H B R U c H

I S T B A S S e Ko U Ko U YAT é S H AU S Vo L L M I T V e R WA N DT e N

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Bassekou Kouyaté (li.) im Kreis der Familie

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— Auf dem Höhepunkt seiner Karriere wurde dann sogar der 2012 durch den Militärputsch gestürzte Präsident des Landes, Amadou Toumani Touré – kurz ATT –, auf ihn aufmerksam. Kouyatés Nähe zur Tradition, gepaart mit prestigeträchtigem erfolg in übersee, machten ihn zum Liebling von ATT, der ihn in vergangenen Jahren immer wieder eingeladen hat, Mali auf Staatsempfängen zu vertreten und ihn bei wichtigen Anlässen zu beglei-ten. So trat Bassekou Kouyaté mit seiner Band zur 50-jährigen Unab-hängigkeitsfeier Malis 2010 auf und begleitete ATT zu Staatsbesuchen in Nachbarländer. Auch das ist bis heute Teil der Griot-Tradition. In Mali hatte er es geschafft: er war – wenn man so will – der »Griot des Königs«.

Kunst statt Preisgesang: Habib Koité — Während Bassekou Kouyaté in Bankony lebt, einem relativ jungen Bezirk Bamakos, lebt Habib Koité in Sebenicoro, einem alteingesesse-nen Viertel der Stadt. Der 55-Jährige ist schon knapp zehn Jahre länger international ein Star, sowohl im Land selbst, als auch im Rest der Welt. Als erster seines Landes wurde er 2010 zum UNIceF-Botschafter ernannt. Habib Koité hat es als einer der ersten geschafft, die vielfältige Musik Malis in ein auch international verständliches Popformat zu übersetzen. Seine Band Bamada gehört zu den einflussreichsten Formationen Malis. Mit ihrem modernen Ansatz öffnete sie die Musik des westafrikanischen Staats für ein internationales Publikum. In Mali

selbst beeindruckte das vor allem Musikerkollegen von ihm und prägte die Musikwelt des Landes nachhaltig. Viele seiner Ideen wurden in der Folge von anderen Musikern aufgegriffen.— ein Besuch bei Koité ist ein guter Startpunkt für das Verständ-nis der vielfältigen Musikkulturen Malis. Koité ist – wie der Name schon anklingen lässt – gebürtiger Griot. Seine Familie kommt aus Kayes im Westen Malis. Seine Musik aber bricht mit den üblichen Preisgesängen seiner Griot-Kollegen. Habib studierte Habib Koité

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e I N e R K L A S S I S c H -W e S T L I c H e N B A N D - B e S e T Z U N G .

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Ngoni revival— Bassekou Kouyaté und Habib Koité lernten sich ende der 1980er-Jahre kennen, als sie mit dem Kora-Spieler Toumani Diabaté in dessen Band Symmetric orchestra spielten. Bis heute sind sie in Kontakt und tauschen sich regelmäßig aus: erst vor ein paar Monaten lud Habib Koité den Ngoni-Spieler ein, bei seinem neuen Album mitzuwirken. Schon Mitte der 1980er hatte der junge Kouyaté in Bamako für Aufsehen gesorgt. Als einer der ersten spielte er die Ngoni nicht wie traditionell üblich im Sitzen, sondern im Stehen. Ihn hatte geärgert, dass die e-Gitarristen in den großen orchestern immer irgendwann aufstanden, ihr Solo im Stehen spielten und er, im Hintergrund sitzend, von den Musikern verdeckt wurde. Sein Verhalten löste heftige Diskussionen bei den traditionellen Autori-täten aus. Heute gilt der Rebell von einst als weltweiter Botschafter der Ngoni und ist der Stolz auch der Traditionalisten. Mit seinem Quartett Ngoni ba, einer aus Bass-, Tenor-, Alt- und Sopran-Ngoni bestehenden Formation, hat er ein westliches Bandformat adaptiert. Die Bass-Ngoni hat die Band dazu eigens erfunden. ein Instrument, das mittlerweile auch schon in anderen Bands wie bei Reggaestar Tiken Jah Fakoly Verwendung findet. Zugleich hat Bassekou Kouyaté seiner Ngoni weitere Saiten hinzugefügt, um harmonisch flexibler zu sein. Spielte sein Großvater noch auf einer Ngoni mit drei Saiten, benutzte sein

Vater schon vier. Bei Bassekou sind es heute bis zu neun. In den letzten Jahren hat er darüber hinaus angefangen, mehr und mehr mit dem Sound seiner Ngoni zu experimentieren. Statt der bislang üblichen, verwobenen Nylonangelschnüre, verwendet er heute Harfensaiten, mit denen er eine Note länger klingen lassen kann. Außerdem verwendet er gelegentlich ein Wah-Wah-Pedal und verzerrt seinen Sound.

am INA, dem Institut National des Arts in Bamako, Gitarre, nahm Kurse für Jazzgitarre in den USA und begann sich intensiv mit den vielfältigen Musiktraditionen seiner Heimat auseinandersetzen. So erlernte er die Spieltechniken traditioneller Instrumente wie Kora, Ngoni und vor allem Kamele Ngoni, übertrug sie auf die Gitarre und fusionierte sie zu einem neuen malischen »Singer-Songwriter«-Stil. — Auf seinen Alben finden sich Adaptionen traditioneller Songs, gespielt meist in einer klassisch-westlichen Band-Besetzung: Gitarre, Bass, Schlagzeug. Statt eines Keyboards nutzt Habib Koité ein Bala-fon, und ein Perkussionsspieler ergänzt zumeist das Schlagzeug. Als Inspiration dient ihm die archaische Musik der Jäger, genauso wie Takamba-Rhythmen aus dem Nordosten Malis oder traditionelle Songs der Fula oder Soninke. er spielt moderne Konzertmusik zum Anhören oder zum Tanzen, aber keine Preislieder auf einflussreiche Politiker oder Geschäftsleute. Sein erster Hit Cigarette a bana war ein humorvoller Song gegen das Rauchen. In anderen Songs wie dem Liebeslied Fatma beschwört er die einheit des Vielvölkerstaats Mali. Das Lied erzählt von einem Mann aus Bamako, der ganz Mali durchstreift auf der Suche nach seiner Traumfrau. er findet sie im Norden des Landes. ein Song, der heute aktueller ist denn je. Mit seinem modernen Ansatz legte Habib Koité den Grundstein für viele aktuell erfolgreiche Musiker wie Rokia Traoré oder Fatoumata Diawara. Und auch Bassekou Kouyaté verfolgte aufmerksam, was Habib Koité mit seiner Band Bamada aus der Musik Malis machte.

Bassekou Kouyaté (li.) und Toumani Diabaté

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seinen größten Gönner verloren. Doch mehr und mehr wurde ganz Mali klar: Die Krise hatte erst begonnen. Als die Islamisten dann den Norden Malis besetzten und dort die Scharia ausriefen, stand die Zukunft des bislang so offenen und toleranten Staates auf Messers Schneide.— Nach einer kurzen Schockstarre erwachte ein neues Verant-wortungsgefühl. Kouyaté schrieb mit Jama ko – übersetzt »große Zusammenkunft« – einen Song, der sich gegen einen aufkeimenden Rassismus vor allem gegenüber den Tuareg engagiert. Im Video dazu kommen die verschiedenen ethnien Malis und die Vertreter der Muslime und christen zusammen, um zu feiern. Um das zu tun, was immer schon zur Kultur Malis gehörte, was die Islamisten aber verbieten wollten: Singen, Tanzen und Spaß haben.— Außerdem entstand spontan ein Duett mit der Sängerin Khaira Arby, die gerade aus Timbuktu hatte fliehen müssen. Zu-

griots in der Krise— Dann kam im März 2012 der coup d’état. Der Staatsstreich ereig nete sich am ersten Aufnahmetag für Kouyatés aktuelles Album Jama ko und sollte seine Musik über Nacht politisch machen. Wäh-rend der Westen den Putsch gegen ATT als ende der Demokratie in Mali bedauerte, feierten die einfachen Leute in Mali den Putschis-ten-General Sanogo anfänglich euphorisch. ein Zeichen dafür, dass die einfachen Leute tief von der Politik enttäuscht waren. Die schlei-chende Korruption im Land hatte die staatlichen Institutionen in Mali ausgehöhlt. Das Volk fühlte sich von den Politikern und von seinem Präsidenten betrogen. Die Krise offenbarte auch eine Schattenseite der Preissängerkultur: Die Griots hatten zu lange die Nähe auch korrupter Mächtiger gesucht und diese mit ihren Preisliedern umgarnt. Sie spürten, dass auch sie sich neu definie-ren mussten. Der König war gefallen. Bassekou Kouyaté hatte

Ngonis in verschiedenen Größen und Stimmungen Habib Koité

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letzten Anruf lachte der zur Rede gestellte Minister nur und erwiderte lapidar: »Le lion a déjà mangé le mouton.« Der Löwe hat das Schaf schon gegessen. Die Beute, das Schmiergeld, war längst vertilgt. Doch eine Sache hat sich in Mali mit der Krise verändert: Mehr und mehr Leute schauen den Löwen nun auf die Finger; auch die Griots, die sie lange nur gepriesen haben.

Jay Rutledge

sammen beschwören sie die territoriale Integrität Malis. Und auch die typi-schen traditionellen Songs aus dem riesigen Liederfundus der Geschichte seiner Heimatregion Segou bekommen plötzlich eine politische Kompo-nente, preisen sie doch historische Helden aus der Zeit der Islamisierung Malis: Bamana-Könige und -Krieger wie Sinaly Diarra oder Jajiri, die sich im 19. Jahrhundert der Islamisierung widersetzten.

— Die Musik Habib Koités erscheint so aktuell wie nie: er musste sich in der Krise nicht neu orientieren. Gerade heute ist es so wichtig wie nie, die kulturelle Vielfalt Malis zu feiern. Und als Habib Koité 2012 auf dem Festival au Désert auftrat und dort in den unterschiedlichen Lan-dessprachen wie Songhai oder Soninké sang, brachte er wie immer seinen Respekt und seine Bewunderung für die Kultur der unterschied-lichen ethnien des Landes zum Ausdruck. Seine Songs bauen Brücken und stärken die Solidarität unter den Völkern des multikulturellen Mali. ein wichtiges Zeichen in einer Zeit, in der ein aufkeimender Rassismus zu spüren ist, der die einheit des Landes in Frage zu stellen droht.

Zukunft— Wie so viele, saß auch Bassekou Kouyaté in Bamako auf ge-packten Koffern. er wusste, die malische Armee würde Bamako nicht verteidigen können. Dann kamen die Franzosen Mali zu Hilfe. Und auch Kouyaté gehörte zu denen, die sich die Trikolore an ihr Haus hängten und sie als Retter Malis feierten. Nach der friedlichen Wahl des neuen Präsidenten Ibrahim Boubacar Keïta steht Mali nun vor der schwierigen Aufgabe, das Land zu versöhnen und wieder Vertrauen in den Staat zu schaffen. Die Hoffnung ist da, und das Bewusstsein wächst, dass jeder seinen Teil dazu beitragen muss. — So kommt es heute schon mal vor, dass Bassekou Kouyaté seinen einfluss als Griot nutzt und zum Telefon greift, wenn er von einem besonders dreisten Fall von Korruption hört. Bei seinem

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Sie gilt als die Chronistin des Berlins der Zwanzigerjahre. Doch jetzt wird eine neue, unbekannte Seite der Berliner Malerin Jeanne Mammen entdeckt.

Im Rahmen des großen Ausstellungsprojektes „Painting Forever!“, das zur Berlin Art Week startet, wird die Malerei gleich von vier bedeutenden Berliner Ausstellungshäusern gefeiert. Für die Gemeinschaftsschau haben sich erstmals Berlinische Galerie, Deutsche Bank KunstHalle, KW Institute for Contemporary Art und die Nationalgalerie zusammengetan.

Unter dem poetischen, einem Buch von Henry Miller entlehnten Titel „To Paint Is To Love Again“ präsentiert die KunstHalle Arbeiten von vier Malerinnen. Im Mittelpunkt steht dabei das abstrakte Spätwerk von Jeanne Mammen (1890 – 1976). Kuratorin Eva Scharrer zeigt diese erstaunlich aktuellen Gemälde gemeinsam mit drei zeitgenössischen Positionen: Antje Majewski, Katrin Plav ̌cak und Giovanna Sarti haben sich ganz bewusst auf einen Dialog mit Mammen eingelassen und eigens für die Schau neue Werke geschaffen.

Mammens expressive Frauenportraits aus dem Nachtleben der goldenen Zwanzigerjahre rückten sie in die Nähe von George Grosz oder Otto Dix. Doch fast ein halbes Jahrhundert später lässt sie ihre „Photogenen Monarchen“ wie zwei archaische Idole antreten. Die beiden Figuren auf dem 1968 entstandenen Gemälde sind aus Farbflächen und silbrig glänzendem Bonbonpapier collagiert. Inspiriert wurde das Bild vom Berlin-Besuch des Schahs und seiner Frau Farah Diba. Bei Mammen mutieren die Monarchen zu bizarren Kreaturen, die an Gottesanbeterinnen erinnern: die Zeit dieser in Bonbonpapier gehüllten Herrscher ist offensichtlich abgelaufen. Solch‘ geisterhafte Gestalten, skurriler Humor und abstrakte Elemente sind typisch für Mammens bislang kaum bekanntes Spätwerk, das jetzt in der Deutsche Bank KunstHalle erlebt werden kann.

deutsche-bank.de/kunstdeutsche-bank-kunsthalle.dedb-artmag.de

Jeanne Mammen, Photogene Monarchen, 1968

To Paint Is To Love Again Deutsche Bank KunstHalle feiertdie Malerei

Painting Forever! To Paint Is to Love Again Jeanne Mammen – Antje Majewski, Katrin Plav ̌cak, Giovanna Sarti Deutsche Bank KunstHalle18. 9. – 10. 11. 2013

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lich war Willemsen jedoch stets Autor: Regel-mäßig erschienen seine essays und Kolumnen beispielsweise in der ZEIT, im Spiegel und in  der Süddeutschen Zeitung. Seit 2002 widmet er sich verstärkt literarischen Arbeiten. Seine Bestseller Deutschlandreise, Gute Tage, Kleine Lichter, Afghanische Reise, Der Knacks, Die Enden der Welt und zuletzt Momentum wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Willemsen ist Schirmherr mehre-rer Literaturfestivals und lehrt seit 2010 als Honorarprofessor für Literaturwissenschaft an der Humboldt-Universität in Berlin. er engagiert sich darüber hinaus bei verschiede-nen Hilfsorganisationen (Terre des Femmes, Afghanischer Frauenverein e. V., cARe Inter-national) und war lange Jahre Botschafter von Amnesty International. Zu den zahlrei-chen Auszeichnungen Roger Willemsens zählen der Bayerische Fernsehpreis (1992), der Adolf-Grimme-Preis in Gold (1993), der Rinke-Preis für sein Buch Der Knacks (2009) und der Julius-campe-Preis (2011). Für die Stiftung Berliner Philharmoniker gestaltet und moderiert er seit der Spiel-zeit 2011/2012 die Reihe Unterwegs – Weltmusik mit Roger Willemsen.

R O G E R W I L L E M S E N

Roger Willemsen studierte Germa-nistik, Kunstgeschichte und Philo-sophie in seiner Heimatstadt Bonn sowie in Florenz, München und Wien. Nach seiner Promotion über die Dichtungstheorie Robert Musils arbeitete er als Dozent, Her aus ge ber, übersetzer (u. a. von Thomas Moore und Umberto eco) und für drei Jahre als Korrespondent in London. 1991 be-gann seine Fernsehlaufbahn als Mode-rator, später auch als Produzent von Kultursendungen (z. B. Willemsens Woche, Nachtkultur, Willem sens Zeit-genossen). Sein Debüt als Regisseur gab er 1996 mit einem Film über den Jazz pianisten Michel Petrucciani, der in-zwischen in 13 Ländern gesendet wurde; es folgten Porträts von Personen der Zeitgeschichte wie Gerhard Schröder und Marcel Reich-Ranicki. Hauptberuf-

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weitere Konzerte

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K a m m e r m u s i K s a a l

kassenpreise von 15 bis 35 euro

Teil 2:Global Yodeling und Urban Brass – Unterwegs in den alpinen Landschaften Europas

In diesem Konzert der Reihe Unterwegs führt Roger Willemsens Reise in die alpine Landschaft europas. Dort hat sich in den letzten Jahren musika-lisch erstaunliches und überraschendes entwickelt: Musiker aus verschro-ben-abgelegenen Bergtälern und alpinen Metropolen zwischen Slowenien und okzitanien haben sich auf die Suche nach innovativen Alpentönen gemacht. experimentierfreudig haben sie sich hemmungslos und fantasie-voll die reichen melodisch-rhythmischen Traditionen dieser bedeutenden Kulturregion europas vorgenommen, um neue Klangformen zu erfinden. Mit den typischen Instrumenten wie Hackbrett, Ziehharmonika und Zither, aber vor allem mit der menschlichen Stimme vollzieht sich dort ein zukunftwei-sender Aufbruch europäischer Musik. Besonders die alpenländische Vokal-kunst, ob im Dialekt oder mit kritischer Distanz und abstraktem Naturjodel, widmet sich der musikalischen Utopie einer imaginären Heimat zwischen urbaner und archaischer Kulturlandschaft. Für den Schweizer christian Zehnder, der dieses Konzert als »Gesamtkunstwerk« konzipiert hat, liegen die aktuellen Themen nicht nur am Fuße der Berge, sondern auch im Span-nungsfeld heutiger alpiner Lebenswelten zwischen Tourismus und ökologie, zwischen Globalisierung und Migration. Zehnder und die weiteren Mitwir-kenden dieses Konzerts verstehen sich als neue Generation alpenländischer Musiker, die mit Virtuosität, Humor und Improvisationskraft, mit experimen-tier- und Spielfreude universelle Gefühle und Themen ansprechen. Man staunt angesichts überwältigender Traurigkeit oder Wildheit der Weiter-entwicklungen alter Lieder, der Klänge und Geräusche heutiger alpiner Landschaften und der zärtlich-filigranen Naturtöne aus Alphorn und Maul-trommel.

Die NäcHsTe N KoN Z e rTe uNse re r re iHe

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NEUI M A B O

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M I 23.04.2014 20 U H R

K a m m e r m u s i K s a a l

kassenpreise von 15 bis 35 euro

Teil 4:Unterwegs – Beschwörungsrituale in Osteuropa

Am östlichen Rand europas begegnen sich die Kräftepole Natur und Technik in ihren extremen. In den unendlichen Weiten der osteuropäischen ebenen befinden sich die letzten Urwälder europas, große Flüsse wie Wolga, Ural oder Don durchziehen das Land zwischen der Westgrenze Kasachstans und der ostgrenze Polens. es ist aber auch das Land der Transsibirischen eisenbahn, der Grubenunglücke im Bergbaugebiet Donez, des Sarkophags von Tschernobyl und des Friedhofs atomverseuchter U-Boote in Murmansk. Die großen, wilden Landschaften zwischen Beringsee, Kaspischem und Schwarzem Meer sind ein reicher Kulturraum für Millionen Menschen. In Metropolen wie odessa, Jekaterinenburg oder Perm entstehen bis heute immer wieder kraftvolle künstlerische Impulse, deren Wellen bis nach Paris und Berlin wirken. In der vierten Ausgabe von Unterwegs in dieser Saison laden wir Sie ein zu einem musikalischen Beschwörungsfest – einer Kupala- Nacht. Musiker wie der russische Multi-Instrumentalist sergej starostin auf traditionellen Blasinstrumenten und die ukrainische Sängerin mariana sadovska haben in den letzten 20 Jahren in zahlreichen expeditionen ost-europa durchstreift und neues und archaisches musikalisches Material gesammelt und geschaffen. Heute zelebrieren sie in einer Kupala-Nacht ihren Blick auf das Verhältnis der Menschen zu Natur und Technik. Sie sin-gen und spielen von geheimen Ritualen junger Liebender, die übers Feuer springen, und sie beschwören die Kräfte des Wassers und der Sonne, in der Hoffnung auf magische Selbstreinigung und Heilung der durch große Katastrophen beschädigten Menschen und der Umwelt.

D I 28.01.2014 20 U H R

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kassenpreise von 15 bis 35 euro

Teil 3:Auf den Spuren des Goldes – Unterwegs in Peru

Heute gehört Peru zu den zehn weltweit größten Bergbauproduzenten von Kupfer, Gold, Silber und anderen Mineralien. Die Geschichte dieser Minen ist eng verwoben mit der afro-peruanischen Musik: Vor allem in den Bergarbeiterstädten entlang der peruanischen Küste siedelten sich die Nachfahren der schwarzen Sklaven an, nachdem 1854 die Sklaverei ab-geschafft wurde. Dort fanden sie als »freie« Arbeitskräfte zu niedrigstem Lohn ihr karges überleben. Diese Afro-Peruaner haben sich über die Jahr-hunderte nur wenig mit den indigenen ethnien und den Nachfahren der europäischen Kolonialherren vermischt und als kleine, fast geschlossene Minder heit gelebt – mit ihrer Musik, die den Takt der Arbeit sowie die klei-nen und großen erinnerungen des Lebens über die Generationen trug. Da bereits den Sklaven die »göttlichen« Trommeln verboten waren, ersetzten die Arbei ter diese durch Holzkisten, die sonst zum Warentransport genutzt wurden. So fand das neue Instrument, die cajón (Kiste) eingang in die heiligen Rituale, und die afro-peruanischen Musik erhielt ihren prägenden Klang. Doch auch gut 100 Jahre nach dem ende der Sklaverei wurde die afro- peruanische Kultur im Land am Machu Picchu noch nicht offiziell wahr-genommen. erst der Komponist, Poet und Sänger Nicomedes Santa cruz (1925 – 1992) und in den 1970er-Jahren die Band Perú Negro machten die Musik bekannt, ohne die heute globalisierte Latin-Musik nicht denkbar wäre. Legitime Nachfolgerin dieser Pioniere afro-peruanischer Musik ist susana Baca, die in den letzten 25 Jahren kreuz und quer durchs Land gereist ist, um die erinnerungen der letzten noch lebenden afro-peruani-schen Volksmusiker, ihren Schatz an Melodien, Rhythmen und Liedern zu dokumentieren. Heute ist sie die stärkste Stimme der afro-peruanischen Kultur überhaupt.

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S O K ö N N E N S I E E I N T R I T T S K A R T E N

K AU f E N :

hh im internet rund um die Uhr unter www.berliner-philharmoniker.dehh telefonisch unter unserer Service-Nummer 030/254 88-999 täglich 9 Uhr bis 18 Uhrhh an der Philharmoniker-Kasse Montag bis Freitag von 15 Uhr bis 18 Uhr; Samstag, Sonntag und an Feiertagen von 11 Uhr bis 14 Uhr An Dienstagen, an denen ein Lunchkonzert stattfindet, öffnet die Kasse bereits um 14 Uhr.

IMpRESSUM

Philharmonische ProgrammhefteHerausgegeben von derBerliner Philharmonie gGmbHfür die Stiftung Berliner PhilharmonikerAbteilung Kommunikation: Gerhard Forck (V. i. S. d. P.)Herbert-von-Karajan-Straße 1, 10785 BerlinTelefon 030/254 88-0, Fax 030/254 88-390www.berliner-philharmoniker.dekommunikation@berliner-philharmoniker.de

redaktion: Gerhard Forck, Harald Hodeige, Markus Zint

Nachweis: Jay Rutledge schrieb seine Texte für dieses Heft.

artdirektion: Julia Fuchs, Diana Sanusi coverfoto: Désirée von Trotha

layout, satz und Bildbearbeitung: cornelia Schrader, Bettina Aigner, orestia Kapidani

abbildungen: S. 9, 10/11, 42: Anita AffentrangerS. 6/7, 39: Jens SchwarzS. 13 bis 31 und 34 bis 37: Thomas DornS. 33: Ferenc Kalmandy

anzeigenleitung: Natalie Schwarz (V. i. S. d. P.)

anzeigen: Runze & casper Werbeagentur GmbH evelyn Alter Telefon 030/280 18-149

gesamtherstellung: eNKA-Druck GmbH Großbeerenstraße 2, 12107 Berlin Telefon 030/70 55 05-0

Programm- und Besetzungs änderungen vorbehalten

Alle Rechte vorbehalten oktober 2013 einzelheftpreis: 3,– euro

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