SitzpositionundKraftübertragung - Spitta · 2011-05-28 · 39 »RunderTritt«...

3
39 »Runder Tritt« Das Einstellen der Sitzposition ist eine wich- tige Grundlage für effektives Radfahren. Auch die kurze Fahrt zum Bäcker oder zur Schule macht deutlich mehr Freude, wenn die Kraft- übertragung stimmt. Allerdings sollte beach- tet werden, dass jeder Mensch andere anato- mische Vorgaben aufweist. Damit die Sache praktisch umsetzbar bleibt, werden eine Basis- einstellung und eine an der Praxis orientierte Feineinstellung unterschieden. Die Basisein- stellung ermöglicht eine prinzipielle Optimie- rung der Gelenkwinkel und damit die best- mögliche Kraftentfaltung der Muskelschlin- gen. Im gesamten Ablauf des runden Tritts erfolgt ein komplexes Zusammenspiel von vielen Muskelgruppen (Abb. 30). Richtige Sitzposi- tion und Pedalsysteme vorausgesetzt, werden beim Radfahren die gesamte Hüft- und Bein- muskulatur dynamisch bewegt und gekräftigt. Die für die Praxis wichtigsten Muskelgruppen werden nachfolgend im Überblick dargestellt (Abb. 31). Druckphase: Von Position 1–4 kann beim Rad- fahren die meiste Kraft auf das Pedal gebracht werden. Hauptarbeit ist die Streckung des Oberschenkels. Unter Beteiligung von Ober- schenkelvorderseite (bis ca. Position 3) und Wadenmuskulatur wird die Hauptkraft durch den großen Gesäßmuskel (Musculus glutaeus maximus) aufgebracht. Zugphase: Von Position 5–7 wird die Haupt- arbeit von der Oberschenkelrückseite (ischio- krurale Muskulatur oder Hamstrings) ver- richtet. Beteiligt ist vor allem die Wadenmus- kulatur. Die Hauptarbeit wird beim Treten nicht von der Oberschenkelvorderseite (Musculus quadriceps femoris), sondern vom Gesäß- muskel übernommen. Er leistet die Haupt- arbeit bei der Streckung des Oberschenkels. Man spürt den »Quadriceps« beim Treten zwar deutlich; dies aber nicht, weil er viel Kraft aufbringt, sondern die Hebelverhält- nisse für die Druckarbeit ungünstig sind. Merke Beim Einstellen der Sitzposition geht es in erster Linie um die Kraftübertragung beim Treten. Sitzposition und Kraftübertragung Abb. 30 Runder Tritt

Transcript of SitzpositionundKraftübertragung - Spitta · 2011-05-28 · 39 »RunderTritt«...

Page 1: SitzpositionundKraftübertragung - Spitta · 2011-05-28 · 39 »RunderTritt« DasEinstellenderSitzpositionisteinewich-tigeGrundlagefüreffektivesRadfahren.Auch diekurzeFahrtzumBäckeroderzurSchule

39

»Runder Tritt«

Das Einstellen der Sitzposition ist eine wich-tige Grundlage für effektives Radfahren. Auchdie kurze Fahrt zum Bäcker oder zur Schulemacht deutlich mehr Freude, wenn die Kraft-übertragung stimmt. Allerdings sollte beach-tet werden, dass jeder Mensch andere anato-mische Vorgaben aufweist. Damit die Sachepraktisch umsetzbar bleibt, werden eine Basis-einstellung und eine an der Praxis orientierteFeineinstellung unterschieden. Die Basisein-stellung ermöglicht eine prinzipielle Optimie-rung der Gelenkwinkel und damit die best-mögliche Kraftentfaltung der Muskelschlin-gen.

Im gesamten Ablauf des runden Tritts erfolgtein komplexes Zusammenspiel von vielenMuskelgruppen (Abb. 30). Richtige Sitzposi-tion und Pedalsysteme vorausgesetzt, werdenbeim Radfahren die gesamte Hüft- und Bein-muskulatur dynamisch bewegt und gekräftigt.Die für die Praxis wichtigsten Muskelgruppenwerden nachfolgend im Überblick dargestellt(Abb. 31).

Druckphase:Von Position 1–4 kann beim Rad-fahren die meiste Kraft auf das Pedal gebrachtwerden. Hauptarbeit ist die Streckung desOberschenkels. Unter Beteiligung von Ober-schenkelvorderseite (bis ca. Position 3) undWadenmuskulatur wird die Hauptkraft durchden großen Gesäßmuskel (Musculus glutaeusmaximus) aufgebracht.

Zugphase: Von Position 5–7 wird die Haupt-arbeit von der Oberschenkelrückseite (ischio-krurale Muskulatur oder Hamstrings) ver-richtet. Beteiligt ist vor allem die Wadenmus-kulatur.

Die Hauptarbeit wird beim Treten nicht vonder Oberschenkelvorderseite (Musculusquadriceps femoris), sondern vom Gesäß-muskel übernommen. Er leistet die Haupt-arbeit bei der Streckung des Oberschenkels.Man spürt den »Quadriceps« beim Tretenzwar deutlich; dies aber nicht, weil er vielKraft aufbringt, sondern die Hebelverhält-nisse für die Druckarbeit ungünstig sind.

Merke

Beim Einstellen der Sitzposition geht es inerster Linie um die Kraftübertragung beimTreten.

Sitzposition und Kraftübertragung

Abb. 30 Runder Tritt

06_Sitzposition und Kraft.qxp:39 bis 43 16.08.2007 10:10 Uhr Seite 39

Page 2: SitzpositionundKraftübertragung - Spitta · 2011-05-28 · 39 »RunderTritt« DasEinstellenderSitzpositionisteinewich-tigeGrundlagefüreffektivesRadfahren.Auch diekurzeFahrtzumBäckeroderzurSchule

Hubphase: In der Hubphase kann nur wirksamgearbeitet werden, wenn eine Verbindung vonSchuh und Pedal existiert. Zu dieser Hüftbeu-gung arbeiten in erster Linie der Musculus-rectus-femoris-Anteil des großen Unterschen-kelstreckers sowie der klassische HüftbeugerMusculus iliopsoas. Viel Kraft wird dabei imSitzen nicht ermöglicht, aber immerhin kanndie Gewichtskraft des Beines auf jeden Fall imrunden Tritt neutralisiert werden.

Schubphase:Ab Position 8 wird mit der Unter-schenkelstreckung der Musculus vastus media-lis aktiv, der ein Teil des Quadriceps ist. UnterBeteiligung des vorderen Schienbeinmuskelsdes Hüftbeugers sowie des Musculus rectusfemoris können in der Schubphase deutlicheKraftwerte auf das Pedal gebracht werden.

Basiseinstellung

Auf der Basis des Tretzyklus kann eine Basis-einstellung erfolgen, die als Grundregel für dieKörperhaltung und die Einstellungen am Fahr-rad gilt. In dieser Basishaltung sollte der Rad-fahrer die größte Wahrscheinlichkeit haben,auch stundenlang ohne Verspannungen Rad zufahren. Davon unabhängig erfordern die stati-

sche Haltearbeit des Oberkörpers und diegleichförmigen Bewegungen der unteren Extre-mitäten immer ausgleichende Mobilisations-übungen auf dem Rad.

Die Basiseinstellung der richtigen Sitzpositi-on führt zum Zusammenspiel der Kraft aus-übenden Muskulatur. Wenn der Gegenspielerder jeweiligen Muskelgruppen die Bewegungabbremst oder gar blockiert, geht Kraft verlo-ren. Damit ergeben sich drei Grundangaben,um die Kraftübertragung und die Sitzpositioneinzustellen: Sattelhöhe, Sattelstellung undOberkörperwinkel.In der Literatur finden sich unterschiedlichsteAngaben zur Optimierung der Sitzposition.Allesamt sind komplizierte Berechnungen, dieungeeignet sind, um eine erste Einstellung derSitzposition zu erhalten.Ein biomechanisches Labor kann die persön-liche Idealposition sehr genau ermitteln. Mit-hilfe der folgenden Angaben kann die ersteGrundeinstellung erfolgen, eine Feinabstim-mung kann je nach Anwendung erforderlichsein.

Ohne ausgleichende Gymnastik und Kräf-tigung der gesamten Muskulatur führt Rad-fahren auf Dauer zu Verspannungen und Fol-geproblemen.

40 Sitzposition und Kraftübertragung

Abb. 31 Beteiligung der Muskelgruppen am Tretzyklus

M. gluteaus maximusischiokrurale MuskulaturM. vastus medialisM. rectus femorisM. gastrocnemiusM. tibialis anteriorM. iliopsoas

06_Sitzposition und Kraft.qxp:39 bis 43 16.08.2007 10:10 Uhr Seite 40

Page 3: SitzpositionundKraftübertragung - Spitta · 2011-05-28 · 39 »RunderTritt« DasEinstellenderSitzpositionisteinewich-tigeGrundlagefüreffektivesRadfahren.Auch diekurzeFahrtzumBäckeroderzurSchule

41Basiseinstellung

Sattelhöhe

Zur Einstellung sollte das Rad auf einem waag-rechten Untergrund stehen. Durch die unter-schiedlichen Rahmengeometrien wird die Höheder Satteloberfläche unterschiedlich hoch überdem Oberrohr sein. Grundsätzlich wird derSattel horizontal mit einer Wasserwaage aus-gerichtet. Ein Helfer hält das Rad und der Rad-fahrer setzt sich darauf in seiner üblichen Rad-bekleidung. Besitzt das Rad ein Pedalsystem,wird eingeklickt und rückwärts getreten.Dabei beschreibt eine leichte Winkelung zwi-schen Oberschenkel und Unterschenkel dierichtige Sattelhöhe. Ein Abkippen der Hüfte

zeigt entweder eine bereits verkürzte Musku-latur oder eine zu hoch eingestellte Sattelhö-he an.Als Variante soll der Fahrer mit der Fersebei gestrecktem Bein das Pedal in der unters-ten Stellung gerade noch berühren können(Abb. 32).

Sattelstellung

Mit der Sattelstellung wird die horizontalePosition des Fahrers auf dem Rad bestimmt.Der Fahrer setzt sich auf das Rad und wirddabei von einem Helfer gehalten. Bei Pedal-systemen wird eingeklickt und rückwärts getre-ten. In der waagrechten 3-Uhr-Position solltedie Mitte des Kniegelenks senkrecht über derMitte der Pedalachse stehen (Abb. 33). Je nachFahrrad kann der Sattel bis zu 7 cm nach vorneoder hinten verstellt werden. Der Sattel liegtumso weiter hinten, je größer der Rahmen ist.Es empfiehlt sich deshalb unbedingt, dieseergonomische Einstellung bereits beim Kaufvorzunehmen.

Oberkörperwinkel

Der Oberkörperwinkel wird durch den Vorbauund die Lenkerhöhe bestimmt. Damit wirdgleichzeitig eine Grundeinstellung der Sitz-länge erreicht, die sich aus diesem Maß ergibt.Grundeinstellung ist ein Winkel des Oberkör-pers zu einer horizontalen Geraden von 45–50Grad (Abb. 34). Je nach Griffmöglichkeitenam Lenker lässt sich diese Position »on road»verflachen oder weiter aufrichten. Diese Bewe-gung und Beweglichkeit ist durchaus er-wünscht und führt zu mehr Wohlbefinden aufdem Rad.Aufrechtere Positionen werden dabeioft als angenehmer bezeichnet, währendflachere Positionen die Wirksamkeit der vor-triebswirksamen Muskulatur verbessern. Die

Abb. 32 Gestrecktes Bein mit der Ferse aufdem Pedal im unteren Totpunkt ergibtdie optimale Sattelhöhe

Abb. 33 Abgewinkeltes Knie mit Lot

06_Sitzposition und Kraft.qxp:39 bis 43 16.08.2007 10:10 Uhr Seite 41