SKO Times - Stuttgarter Kammerorchesterstuttgarter-kammerorchester.com/wp-content/uploads/... ·...

8
SKO Times Zeitung für Musikliebhaber 6. Ausgabe März 2017 Seit kurzem ist es nun klar, ich werde nach wunderbaren Jahren Stugart verlassen und wieder nach Salzburg ziehen. Die Arbeit hier, die Menschen, die Stadt waren großartig, so großartig, dass man eigentlich meinen müsste, der Abschied fiele mir schwer. Tut er aber nicht, und zwar deshalb, weil wir sehr viel erreicht haben. Die leꜩten Jahre brachten ein- fach einen künstlerischen Aufschwung, den man an vielen Stellen beobachten konnte: An der Spielweise der Musiker auf der Bühne, an der Reaktion des Publikums und nicht zu- leꜩt an den teilweise hymnischen Rezessionen in der Presse. So mancher Gastsolist meinte, dass das Orchester nicht wie- derzuerkennen sei. Und jeꜩt habe ich eine sehr gute Nach- richt für Sie: Es wird so weitergehen! Nur für mich bedeu- tet es schon irgendwie ein kleines Dilemma. Jedes Projekt, das ich derzeit plane, würde ich auch gerne sehen, was aber nicht möglich sein wird. Einen Trost finde ich aber in den Konzerten der verbleiben- den Saison, die so manchen - und eigentlich gar nicht so we- nigen - Höhepunkten entgegenstrebt. Gleich im März gibt es ein neuerliches Zusammentreffen mit einem der interessan- testen deutschen Pianisten seiner Generation: Florian Uhlig. Kein Marketinghype stört die Aura dieses Meisterinterpre- ten, der ruhig seinen künstlerischen Weg voranschreitet und bereits eine Aufnahme des gesamten Klavierwerkes Ravels auf CD vorgelegt hat und die von Schumann demnächst kompleieren wird. Bei uns ist er mit dem 2. Beethovenkon- zert und dem skurrilen Stück Etüdenfest von Bre Dean zu Gast. Mahias Foremny schließt damit die Reihe von Kon- zerten mit Werken des australischen Ausnahmekünstlers Dean für diese Saison ab. Gleich im März entführen wir Sie aus der winterlichen Kälte nach Spanien, nach Andalusien um genau zu sein. In einer SKO-Sternstunde leitet der aus Madrid stammende Kompo- nist Mauricio Sotelo ein Konzertprojekt, in dem er wie so oft in seinem Schaffen den Cante Jondo Südspaniens mit seinen eigenen Klangwelten verbindet. Mit an Bord die feurige Fu- ensanta „La Moneta“, die gemeinsam mit Benjamin Schmid in Sotelos Stück Red Inner Light Sculpture für Solovioline, Fla- Wenn jeder Abschied so schön wäre mencotänzer und Streichorchester etwas nicht ganz Alltäg- liches auf die Bühne bringt (Siehe S. 4). Kommen Sie auch zu Backstage@SKO mit einem „Flamenco-Aperitivo“ am 21. März. Mein Lieblingsmanzanilla steht bereit! Ende April spielen wir neue Musik, und zwar neue Musik aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Der Neapolita- ner Francesco Feo war wie alle seine dortigen Komponisten- kollegen ein Vorreiter einer neuen musikalischen Sprache. Dieser neapolitanische Stil beeinflusste jüngere Komponis- tengenerationen bis zu Mozart und darüber hinaus. Das Stugarter Kammerorchester und Fabio Biondi graben Feos erfolgreichstes Oratorium San Francesco di Sales aus und bringen es vermutlich erstmals seit über 250 Jahren auf die Bühne. Lesen Sie auf Seite 2 und 3 ausführlich über dieses spannende Projekt. Man kann nie genug Sotelo hören, möchte ich fast sagen! Und hoffentlich geben Sie mir dann recht. Jedenfalls kehrt Mauricio Sotelo im Mai zu einem weiteren Projekt zurück und leitet die Uraufführung seines neuen Werks für Gitar- renquarte und Streichorchester, eine bezaubernde Kom- bination, für die bislang kein einziges Werk komponiert wurde. Wie denn auch, gab es doch zuvor kein Gitarren- quarte eines Formats des Aleph Gitarrenquartes, das sich sehr gerne auf dieses Experiment einließ. Das Stück ist ein Kompositionsauftrag des SKO. Besuchen Sie das Konzert, das im Rahmen des Gitarrenfestivals der Musikhochschule stafindet, und lassen Sie sich überraschen und verzaubern. Dieses Mal allerdings ohne Flamencotänzerin, nur dass sich niemand falsche Erwartungen macht. Ende Mai geht dann ein persönlicher Traum in Erfüllung: Robert Levin kommt zum Kammerorchester und spielt und leitet gleich zwei Klavierkonzerte von Mozart. Levin ist ein international gefeierter Solist, der nicht nur als einer der prominentesten Vertreter der Alten Musik bekannt ist, son- dern gleichermaßen mit Dutilleux und anderen Werken des 20. und 21. Jahrhunderts brilliert. Wenn man ihn sprechen hört, mit seiner unglaublichen Mischung aus tiefem Wissen und großer Begeisterung, wird einem immer wieder be- wusst, dass es nichts Größeres und Schöneres gibt als Musik. Ein weiterer guter Stugarter Bekannter, der von der Renais- sance bis zur Gegenwart in jeder Musik zu Hause ist, leitet ein Experiment beim „Sommer in Stugart“: Rupert Huber. Zusammen mit den Neuen Vocalsolisten und der spanischen Komponistin und Gesangskünstlerin Maria de Alvear führt er uns auf Wege, die wir noch nie beschrien haben. Die gra- fischen Partituren des drien Teils seiner Konzertinstallation ELAíA - Ritual an den Olivenbaum liegen jedenfalls in unserer Notenbibliothek schon vor. Es sind grazile Zeichnungen, die die Phantasie der Musiker sicherlich herausfordern werden. „Ich hae eine Farm in Afrika...“, wie liebe ich diesen Film! Meryl Streep in Höchstform, Robert Redford und Klaus Ma- ria Brandauer noch ziemlich jung. Allerdings ist die Roman- vorlage von Tania Blixen für sich ein ebenbürtiges Meister- werk. In unserem Konzert am 20. Juli im Mozart-Saal liest die fantastische Julia Stemberger aus der Romanvorlage und wir spielen Musik aus Sidney Pollacks Film Jenseits von Af- rika: das weltbekannte Main Theme von John Barry und viel viel Mozart! Was für ein Abschied, das leꜩte Konzert in mei- ner SKO-Ära. Ich sollte nur nicht in ein Flugzeug steigen… Wolfgang Laubichler Geschäftsführender Intendant

Transcript of SKO Times - Stuttgarter Kammerorchesterstuttgarter-kammerorchester.com/wp-content/uploads/... ·...

Page 1: SKO Times - Stuttgarter Kammerorchesterstuttgarter-kammerorchester.com/wp-content/uploads/... · SKO Times Zeitung für Musikliebhaber 6. Ausgabe • März 2017 Seit kurzem ist es

SKO TimesZeitung für Musikliebhaber

6. Ausgabe • März 2017

Seit kurzem ist es nun klar, ich werde nach wunderbaren Jahren Stutt gart verlassen und wieder nach Salzburg ziehen. Die Arbeit hier, die Menschen, die Stadt waren großartig, so großartig, dass man eigentlich meinen müsste, der Abschied fi ele mir schwer. Tut er aber nicht, und zwar deshalb, weil wir sehr viel erreicht haben. Die letz ten Jahre brachten ein-fach einen künstlerischen Aufschwung, den man an vielen Stellen beobachten konnte: An der Spielweise der Musiker auf der Bühne, an der Reaktion des Publikums und nicht zu-letz t an den teilweise hymnischen Rezessionen in der Presse. So mancher Gastsolist meinte, dass das Orchester nicht wie-derzuerkennen sei. Und jetz t habe ich eine sehr gute Nach-richt für Sie: Es wird so weitergehen! Nur für mich bedeu-tet es schon irgendwie ein kleines Dilemma. Jedes Projekt, das ich derzeit plane, würde ich auch gerne sehen, was aber nicht möglich sein wird. Einen Trost fi nde ich aber in den Konzerten der verbleiben-den Saison, die so manchen - und eigentlich gar nicht so we-nigen - Höhepunkten entgegenstrebt. Gleich im März gibt es ein neuerliches Zusammentreff en mit einem der interessan-testen deutschen Pianisten seiner Generation: Florian Uhlig. Kein Marketinghype stört die Aura dieses Meisterinterpre-ten, der ruhig seinen künstlerischen Weg voranschreitet und bereits eine Aufnahme des gesamten Klavierwerkes Ravels auf CD vorgelegt hat und die von Schumann demnächst komplett ieren wird. Bei uns ist er mit dem 2. Beethovenkon-zert und dem skurrilen Stück Etüdenfest von Brett Dean zu Gast. Matt hias Foremny schließt damit die Reihe von Kon-zerten mit Werken des australischen Ausnahmekünstlers Dean für diese Saison ab.Gleich im März entführen wir Sie aus der winterlichen Kälte nach Spanien, nach Andalusien um genau zu sein. In einer SKO-Sternstunde leitet der aus Madrid stammende Kompo-nist Mauricio Sotelo ein Konzertprojekt, in dem er wie so oft in seinem Schaff en den Cante Jondo Südspaniens mit seinen eigenen Klangwelten verbindet. Mit an Bord die feurige Fu-ensanta „La Moneta“, die gemeinsam mit Benjamin Schmid in Sotelos Stück Red Inner Light Sculpture für Solovioline, Fla-

Wenn jeder Abschied so schön wäremencotänzer und Streichorchester etwas nicht ganz Alltäg-liches auf die Bühne bringt (Siehe S. 4). Kommen Sie auch zu Backstage@SKO mit einem „Flamenco-Aperitivo“ am 21. März. Mein Lieblingsmanzanilla steht bereit!Ende April spielen wir neue Musik, und zwar neue Musik aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Der Neapolita-ner Francesco Feo war wie alle seine dortigen Komponisten-kollegen ein Vorreiter einer neuen musikalischen Sprache. Dieser neapolitanische Stil beeinfl usste jüngere Komponis-tengenerationen bis zu Mozart und darüber hinaus. Das Stutt garter Kammerorchester und Fabio Biondi graben Feos erfolgreichstes Oratorium San Francesco di Sales aus und bringen es vermutlich erstmals seit über 250 Jahren auf die Bühne. Lesen Sie auf Seite 2 und 3 ausführlich über dieses spannende Projekt.Man kann nie genug Sotelo hören, möchte ich fast sagen! Und hoff entlich geben Sie mir dann recht. Jedenfalls kehrt Mauricio Sotelo im Mai zu einem weiteren Projekt zurück und leitet die Urauff ührung seines neuen Werks für Gitar-renquartett und Streichorchester, eine bezaubernde Kom-bination, für die bislang kein einziges Werk komponiert wurde. Wie denn auch, gab es doch zuvor kein Gitarren-quartett eines Formats des Aleph Gitarrenquartett s, das sich sehr gerne auf dieses Experiment einließ. Das Stück ist ein Kompositionsauftrag des SKO. Besuchen Sie das Konzert, das im Rahmen des Gitarrenfestivals der Musikhochschule statt fi ndet, und lassen Sie sich überraschen und verzaubern. Dieses Mal allerdings ohne Flamencotänzerin, nur dass sich niemand falsche Erwartungen macht.Ende Mai geht dann ein persönlicher Traum in Erfüllung: Robert Levin kommt zum Kammerorchester und spielt und leitet gleich zwei Klavierkonzerte von Mozart. Levin ist ein international gefeierter Solist, der nicht nur als einer der prominentesten Vertreter der Alten Musik bekannt ist, son-

dern gleichermaßen mit Dutilleux und anderen Werken des 20. und 21. Jahrhunderts brilliert. Wenn man ihn sprechen hört, mit seiner unglaublichen Mischung aus tiefem Wissen und großer Begeisterung, wird einem immer wieder be-wusst, dass es nichts Größeres und Schöneres gibt als Musik.Ein weiterer guter Stutt garter Bekannter, der von der Renais-sance bis zur Gegenwart in jeder Musik zu Hause ist, leitet ein Experiment beim „Sommer in Stutt gart“: Rupert Huber. Zusammen mit den Neuen Vocalsolisten und der spanischen Komponistin und Gesangskünstlerin Maria de Alvear führt er uns auf Wege, die wir noch nie beschritt en haben. Die gra-fi schen Partituren des dritt en Teils seiner Konzertinstallation ELAíA - Ritual an den Olivenbaum liegen jedenfalls in unserer Notenbibliothek schon vor. Es sind grazile Zeichnungen, die die Phantasie der Musiker sicherlich herausfordern werden.

„Ich hatt e eine Farm in Afrika...“, wie liebe ich diesen Film! Meryl Streep in Höchstform, Robert Redford und Klaus Ma-ria Brandauer noch ziemlich jung. Allerdings ist die Roman-vorlage von Tania Blixen für sich ein ebenbürtiges Meister-werk. In unserem Konzert am 20. Juli im Mozart-Saal liest die fantastische Julia Stemberger aus der Romanvorlage und wir spielen Musik aus Sidney Pollacks Film Jenseits von Af-rika: das weltbekannte Main Theme von John Barry und viel viel Mozart! Was für ein Abschied, das letz te Konzert in mei-ner SKO-Ära. Ich sollte nur nicht in ein Flugzeug steigen…

Wolfgang Laubichler

Geschäftsführender Intendant

Page 2: SKO Times - Stuttgarter Kammerorchesterstuttgarter-kammerorchester.com/wp-content/uploads/... · SKO Times Zeitung für Musikliebhaber 6. Ausgabe • März 2017 Seit kurzem ist es

6. Ausgabe • März 2017 • Seite 2San Francesco di Sales

Interview mit Fabio Biondi zum Barock-Oratorium „San Francesco di Sales“

Bereits mit 12 Jahren gab der Sizilianer Fabio Biondi sein Konzert-Debüt auf der Violine beim RAI Sinfonieorchester. Seither sind unzählige Gastauftritte mit vielen namhaften Orchestern gefolgt. Mit seinem 1990 gegründeten Ensem-ble Europa Galante gastiert er als Solist und Dirigent auf den Bühnen der Welt und hat zahlreiche, vielfach ausge-zeichnete CDs eingespielt. Er ist Künstlerischer Leiter des norwegischen Stavanger Symphony Orchestra und Musi-kalischer Direktor des Palau de las Arts Reina Sofia, der Oper in Valencia. Fabio Biondi ist ein ausgewiesener Ken-ner und Entdecker der Musik des 17. und 18. Jahrhunderts und hat mehrfach mit dem Stuttgarter Kammerorchester zusammengearbeitet, zuletzt im November 2016 mit dem Programm Mozart in Mailand. Am 28. April wird Biondis neueste „Ausgrabung“, das Barock-Oratorium San Frances-co di Sales von Francesco Feo, in der Stuttgarter Stiftskirche aufgeführt und auf CD aufgenommen.

Herr Biondi, im Radiosender France Musique wurden Sie einmal nach Ihrer wichtigsten Charaktereigenschaft gefragt, wo-raufhin Sie antworteten: „Neugier. Und im allgemeinen gute Laune.“ Dank dieser Neugier sind Sie ein wahrer Schatzgräber auf dem Gebiet der Barockmusik geworden und haben in den Bi-bliotheken und Archiven Europas schon viele in Vergessenheit geratene Schätze geborgen, wie z.B. A. Scarlattis Oratorium „La Santissima Trinità“, seine Oper „Carlo, Re d‘Alemagna“, Vival-dis Oper „Ercole sul Termodonte“ oder „Il Diario di Chiara“, einem CD- und Filmprojekt mit Musik aus dem Ospedale della Pietà in Venedig...

Ja, im letzten Jahr z.B. haben wir das Oratorium Sant‘Anto-nio von Michele Falco, einem neapolitanischen Buffa-Kom-ponisten, der interessanterweise auch sehr hochwertige Kirchenmusik geschrieben hat, aufgeführt. Neugier, ja, in dem Sinne, solchen Wiederentdeckungen ihren verdienten Platz in der Musikgeschichte zurückzugeben und nicht nur vergessene Komponisten zu ihrem Recht kommen zu las-sen, sondern auch zu Unrecht vergessene Werke bekannter Komponisten.

Warum also Francesco Feo (1691-1761)? Wie sind Sie auf die-sen Komponisten und sein Oratorium „San Francesco di Sales“ von 1734 gestoßen?

Dieser Feo ist eine alte Liebe. Vor einiger Zeit begegnete mir sein Name wieder bei einer Recherche im Archiv der Santa Maria della Fava, einer Kirche in Venedig, als ich nach neapolitanischen Kirchendokumenten der 1730er Jah-re in Venedig forschte. Denn zu der Zeit fand von Neapel aus ein enormer Umschwung, eine Revolution der musi-kalischen Sprache statt, die den Publikumsgeschmack in vielen Zentren entscheidend veränderte und die sogenann-te alte Schule und damit auch einige sehr wichtige Kom-ponisten aus Venedig verdrängte – wie etwa Vivaldi, der sich daraufhin in Richtung Wien und Böhmen orientierte. Ich wollte wissen, was das für Partituren waren, die aus Neapel ankamen, und inwiefern sie sich stilistisch von der venezianischen Musik unterschieden. Feos sehr erfolgrei-cher San Francesco von 1734 ist ein repräsentatives Beispiel für diese Revolution. Ich war beeindruckt von der Qualität dieses Komponisten, dem zu Lebzeiten viel Bewunderung entgegengebracht wurde, und hatte ihn schon immer auf-führen wollen. Und noch etwas wollte ich damit zeigen: nämlich in welchem Grade der galante Stil schon in der ne-

apolitanischen Schule in der Mitte des 18. Jahrhunderts vor-bereitet worden war, ein Kompositionsstil, der z.B. den jun-gen Mozart bei seiner ersten Italienreise so fasziniert hatte. Beim Hören hat man den Eindruck, San Francesco di Sales sei 30 Jahre später entstanden und nicht etwa gleichzeitig mit Vivaldis Schaffen.

Wie klingt diese Revolution konkret bei „San Francesco di Sa-les“? Es hat regulär zwei Teile, hauptsächlich Secco-Rezitative und Da Capo-Arien, keine freieren Formen, es gibt keinen großen Chor, sondern nur den Schlusschor mit den vier Solisten, die Ein-leitungssinfonie ist dreiteilig, nicht übermäßig lang...

Ja, Sie haben Recht, die Veränderung bezieht sich nicht auf die Werkstruktur, wir sind noch nicht in einem Prozess, der vergleichbar wäre mit dem Reformismus eines Gluck oder Jommelli in der Oper. Sie bezieht sich auch nicht auf die Orchestration. Der Wandel spielt sich im Kompositions-stil ab: vom Vertikalen zum Horizontalen. Alles wird ly-rischer, melodischer, man lässt den strengen Kontrapunkt, der z.B. für A. Scarlatti, Bononcini oder Caldara typisch war, langsam hinter sich. Dazu hat auch die Sangeskunst von Farinelli beigetragen. Seine Art, mehr im Sinne der flie-ßenden Melodie zu singen, unterschied sich deutlich von der alten Kastratenschule eines Pistocchi oder Senesino. Das Publikum war hingerissen. Bei Feo findet man noch die typisch neapolitanische Harmonik, aber er löst den Bass zunehmend durch Alberti-Bässe, also gebrochene Akkor-de, auf, der Bass wird „galant“. Von der alten Schule à la

Scarlatti, die ich sehr bewundere, behält Feo z.B. die enge Wort-Ton-Beziehung, d.h. alle Orchestereffekte sind stets mit der Dramaturgie des Textes verknüpft.

Vielleicht liegt das auch an der Qualität des textlichen Auf-baus? Der Librettist Niccolò Coluzzi war, wie der berühmte Me-tastasio auch, Mitglied der Accademia dell‘Arcadia, also einem der barocken Dichterzirkel, die sich um Schönheit und Klarheit der Sprache in Oper und Oratorium bemühten.

Absolut korrekt. Feo hatte die literarische Qualität des Textes schon im Sinn. Allerdings hat ein Oratorium wegen seiner Allegorien im Vergleich zur Oper immer ein kleines Problem der Spannungsdramaturgie. Was tut er also? Das, was alle großen Komponisten der neapolitanischen Schule auszeichnet. Anstatt alles auf einen großen Spannungsbo-gen auszurichten, konzentriert er sich auf Sinn und Emoti-on einzelner Wörter wie Furcht, Trauer, Zorn o.Ä. und setzt diese in musikalische Details um.

A propos Allegorien: Davon gibt es in „San Francesco di Sales“ zwei: den „Betrug“ (Inganno) und dessen Tochter, die „Ketzerei“ (Eresia), die sich gegen San Francesco und seinen Begleiter, den Engel (Angelo), stellen. Für die Aufführung und Aufnahme in der Stiftskirche haben Sie exzellente Solisten ausgewählt, nämlich Delphine Galou (San Francesco), Monica Piccinini (Angelo), Ro-berta Mameli (Eresia) und Luca Tittoto (Inganno). Warum wird San Francesco von einer Frau gesungen? Und warum ist Eresia in der Partitur als Männerstimme notiert?

Das ist ein komplexes Thema. Im Barock gab es Rollen, die von verschiedenen Stimmlagen ausgeführt werden konnten. Man kann also nicht mit Gewissheit sagen, ob die Rolle z.B. für einen Sopran oder für einen Tenor kompo-niert war. Nach 35 Jahren musikalischer Karriere habe ich es aufgegeben, Countertenöre zu besetzen. Natürlich ha-ben wir eine v.a. technisch hervorragende Generation von Countern. Ich finde aber, dass hier eine Art falsche Kom-munikation mit dem Publikum stattfindet. Der große My-thos der Kastraten kann eben nicht durch Falsettisten (so die korrekte Terminologie der Zeit) wiederbelebt werden, also mit Stimmen, die im 18. Jahrhundert nie für tragende Rollen benutzt wurden. Sicher riskiert man mitunter eine gewisse Einförmigkeit der Stimmen, wenn man ein Werk nur mit Frauenstimmen besetzt. Dabei finde ich aber die unterschiedlichen Nuancen im Timbre sehr angenehm. Bei den Countertenören schwingt zudem der Geschmack eines speziellen Marketings mit, den ich nicht sehr mag.

War denn wohl in Feos „San Francesco di Sales“ ein Kastrat vorgesehen?

Das kann man nicht eindeutig beantworten. Es gab große regionale Unterschiede, und die Rollenbesetzung unterlag mehreren Faktoren. Wir wissen z.B., dass Vivaldi für seine Partien häufig zwischen Frauen und Kastraten gewechselt

Der Schatzgräber

Fabio Biondi

Partitur

Page 3: SKO Times - Stuttgarter Kammerorchesterstuttgarter-kammerorchester.com/wp-content/uploads/... · SKO Times Zeitung für Musikliebhaber 6. Ausgabe • März 2017 Seit kurzem ist es

6. Ausgabe • März 2017 • Seite 3San Francesco di Sales

Muße und Verschwendung – Musik als Mittel zur Erneuerung von Mensch und Kirche

Impressum: Stuttgarter Kammerorchster e.V. Johann-Sebastian-Bach-Platz • 70178 StuttgartRedaktion: Wolfgang Laubichler, Kristin KretzschmarFotonachweise: Reiner Pfisterer (Titelbild), Emile Ashley (F. Biondi), Edward Olive (F. „La Moneta“), Julia Wesely (B. Schmid), Marco Borggreve (F. Uhlig), Mischa Nawrata (J. Stemberger), Jürgen Bubeck (SKOhr-Labor), Florian Wolff (N. von Bülow, I. Rajakoski)

hat. Wenn man an die Aufführung von Feos Oratorium in Venedig denkt – das Werk hatte ja einen Riesenerfolg und wurde in vielen Städten aufgeführt – ist es sehr wahrschein-lich, dass es dort nur von Frauen gesungen wurde, da Män-ner in den Ospedali nicht singen durften. An den großen eu-ropäischen Höfen wurde die Partie der „Eresia“ vermutlich wiederum von einem Tenor gesungen. Man muss immer die Mobilität und Flexibilität des 18. Jahrhunderts bedenken, je nach Verfügbarkeit und Talent der jeweiligen Sänger. Das gilt übrigens auch für das Orchester. Man weiß, dass das von Ort zu Ort stark variieren konnte. Gilt hier also die to-tale Anarchie? Ganz klar nein! Es ist sogar sehr aufregend, sich bei der Vorbereitung jedes einzelnen Stückes, so wie die Zeitgenossen damals, präzise Gedanken über die passende Besetzung zu machen, je nach Saalgröße, Akustik u.v.m. Es ist auch eine Frage des Respekts gegenüber dem Publikum, über die Bandbreite der Alternativen zu informieren, die uns diese Epoche anbietet.

Sie haben über die Jahre mit vielen Kammerorchestern gearbei-tet und kennen das SKO ebenfalls sehr gut – ein Ensemble, das über eine immense Barock-Erfahrung verfügt, ohne explizit ein Ba-rock-Ensemble zu sein. Welche Fragen stellen Sie sich gemeinsam bei „San Francesco di Sales“ in Bezug auf eine „historische Auf-führungspraxis“? In den Noten dieser Zeit finden sich nur sehr spärliche Angaben zu Tempo, Dynamik, Agogik u.Ä.

Die Arbeit mit dem SKO war immer sehr positiv, die Musi-kerinnen und Musiker haben sich ihre Neugier bewahrt, sie sind offen und spielen auf sehr hohem Niveau. Die Schön-heit einer Interpretation hängt immer auch von der Intensi-tät der Vorbereitung durch den Dirigenten ab. Und das ba-rocke Material bietet immer eine Fülle von Alternativen, die von Stadt zu Stadt anders gelöst wurden, es gibt also statt einer einzigen Wahrheit, wie manche proklamieren, mindes-tens 200 Wahrheiten. Ein historisches Instrument rechtfertigt noch lange keine mittelmäßige Interpretation. Ich bin jedes Mal sprachlos, wenn ich sogenannte „authentische“ Aufnah-men auf historischen Instrumenten höre, die dagegen in der

Ornamentierung groteske Fehler machen, indem sie z.B. auf die französische statt auf die italienische Art verzieren. Schon die Bezeichnung „barocke Violine“ reizt mich zum Lachen, denn die Instrumente waren damals regional sehr divers: Im Namen der „Authentizität“ müsste man je nach Programm gleich mehrere Violinen in jedem Konzert spielen. Wir wer-den uns intensiv mit den Bogenstrichen und der Artikulati-on beschäftigen, die Musiker besitzen historische Bögen; mit den Bläsern arbeiten wir daran, den geschlossenen und of-fenen Klängen der Instrumente von damals möglichst nahe zu kommen. Das große Ziel liegt meiner Überzeugung nach darin, die maximale Qualität aus jedem Musiker mit seinem eigenen Instrument herauszuholen.

Sie haben einmal gesagt: „Wir haben so viele großartige Kompo-

nisten vergessen, weil wir von der Romantik mit ihrem Geniekult geprägt sind“. Unsere Zeit wird in den Feuilletons gar als „Ära des Narzissmus“ bezeichnet. Die Stereotypik der Allegorien, der Dialog, die Reflexion im barocken Oratorium wären dazu also das genaue Gegenteil, oder?

Die barocke und klassische Musik basiert ihrer Natur nach auf gewissen Konventionen, und das muss man lieben. Heutzutage aber sucht man in ihr so etwas wie spektakuläre Brüche oder besondere Effekte, die jedoch gar nicht zu ihrer Sprache gehören. Und die Rezeption ist oft übermäßig von der Biografik beeinflusst, so dass z.B. Pergolesi nach seinem frühen Tod unvergesslich wurde, ein ebenso herausragen-der Komponist wie Feo aber leider nicht. Beim Vergleich Haydn/Mozart schneidet Haydn aus diesem Grunde häufig zu Unrecht schlechter ab. Ein anderes Beispiel: eine Oper von Monteverdi ist unantastbar, eine von Cavalli erscheint über Gebühr lang, obwohl es eine ähnlich meisterhafte mu-sikalische Sprache ist. Ich wünsche mir schon lange, dass ein Musikwissenschaftler ein Buch darüber schreibt, warum so viele Komponisten mit der Romantik vergessen wurden und andere nicht.

Was sind Ihre Hoffnungen und Sorgen im Hinblick auf die Spielpläne, wenn es um die Barockmusik geht?

Was die Entwicklung des Marktes der letzten 30 Jahre an-geht, so befinden wir uns auf einem sehr gefährlichen Weg. Nach den begeisterten Anfängen und der echten Liebe für die musikalischen Entdeckungen hat man sich immer mehr auf ein bestimmtes Star-Image hinbewegt, aus Furcht, die Säle nicht zu füllen. Und nur noch dieselben Stücke aufge-führt. Die Finanzkrise tat dann ein übriges. Man hat so gut wie vergessen, dass der Künstler im Dienste der Musik steht und durch sie sein Talent zeigen darf und nicht umgekehrt. Heute sind es die blauen Augen eines Interpreten, sein Look auf dem CD-Cover, ein z.T. sehr oberflächliches Marketing, die das Publikum ins Konzert ziehen oder zum Kauf der CD anregen sollen. Aber die Kultur ist kein Getränkeshop, sie ist ein Lernprozess, man muss sich intensiv mit ihr befassen. Deswegen sind solche Projekte wie San Francesco di Sales so wichtig. Ich halte das Publikum für sehr intelligent. Ich glau-be, dass die Schönheit der Musik letztlich siegt. Wenn wie so oft jemand nach einem Konzert zu mir kommt und sagt: „Wie wunderbar ist diese Musik – warum ist dieser Kompo-nist so unbekannt!“, dann ist schon sehr viel gewonnen.

Interview, a. d. Frz. übers.: Anne Sophie Meine

San Francesco di SalesSonderkonzert der Stunde der Kirchenmusik28. April 2017, 19 Uhr, Stiftskirche Stuttgart

Karten: reservix, www.reservix.de, Tel. 01806 / 700 733

Das Oratorium als Musikgattung ist ganz und gar ein Kind des italienischen Barock und der Gegenreformation und ent-wickelte sich bis Mitte des 17. Jahrhunderts in Dialog und Abgrenzung von der nur wenig früher entstandenen Oper. Im Umkreis des namensgebenden römischen Oratoriums, gegründet 1575 durch Filippo Neri (1515–1595) war eine mu-sikalische Kunstform entstanden, die unter Verwendung der Volkssprache ihren Siegeszug im 17. und 18. Jahrhundert in der ganzen katholischen Welt und darüber hinaus antrat.

Neri und seinem Freundeskreis ging es zunächst nur um die Erneuerung und Intensivierung des eigenen religiösen Lebens. Man traf sich in einem Oratorium (Andachtsraum), betete in Anlehnung an die Vesper des Stundengebets, sang Hymnen und religiöse Lieder, Lauden genannt, las aus der Heiligen Schrift, den Kirchenvätern oder Heiligenviten, hör-te eine kürzere oder längere Predigt und tauschte sich – da-mals etwas unerhört Neues – darüber aus. Ohne an das feste Reglement der Messe oder des Stundengebets gebunden zu sein, war es hier möglich, biblische Stoffe oder Szenen aus dem Leben der Heiligen konzertant darzubieten – im Ge-gensatz zu den Jesuiten am Germanikum und deren Kom-ponisten Giacomo Carissimi (1605–1674) waren die Stücke jedoch nicht im Latein der Gelehrten, sondern im Italienisch des einfachen Volkes. Für die Zuhörer und Mitwirkenden tat sich hier ein Raum auf, sich mit den biblischen Charak-teren oder den Heiligen auseinanderzusetzen und zu iden-tifizieren. Die emotionale und rhetorisch brillante Musik, die nicht selten zwischen religiöser Inbrunst und weltlicher Sinnlichkeit chargierte, ermöglichte den Zuhörern sich von ihrem Leben oder ihren Tugenden inspirieren und für den eigenen Alltag ermutigen zu lassen. Nicht wenige erhielten hier den entscheidenden Impuls, sich karitativ und sozial zu engagieren.

Für ein solches Szenario schrieb der neapolitanische Komponist Francesco Feo (1691–1761) sein Oratorium San Francesco di Sales, Apostolo del Chablais nach einem Libretto Niccolò Coluzzis, das am 24. Januar 1734, dem liturgischen Gedenktag des heiligen Franz von Sales, in Bologneser Ora-torium Madonna di Galliera zum ersten Mal dem Publikum zu Gehör gebracht wurde; weitere Aufführungen folgten noch im selben Jahr in Rom, 1736 in Genua, 1737 in Città di Castello, als Il trionfo della fede 1741 in Florenz und Venedig, und in den folgenden Jahren noch an diversen Orten Italiens. Ein Werk also, das sich schnell großer Beliebtheit erfreute. Ob Feo den Auftrag zu diesem Oratorium vom Erzbischof seiner Heimatstadt, Giuseppe Kardinal Spinelli (1694–1763),

von den Oratorianern anlässlich eines Jubiläums oder einem reichen, den Heiligen besonders verehrenden Mäzen erhal-ten hatte, muss wohl offen bleiben. Mit Sicherheit aber sollte es im Kontext der seelsorglichen Arbeit des Oratorianeror-dens dargeboten werden.

Mit der Wahl des Stoffes sollte einer der großen Heiligen der katholischen Reform gewürdigt und als Reformbischof in den Mittelpunkt des Oratoriums gestellt werden: der be-reits 1665 heiliggesprochene Genfer Bischof Franz von Sales (1567–1622). Er wurde 1567 als ältester Sohn einer savoyi-schen Adelsfamilie geboren und von 1578–1588 am Pariser Jesuitenkolleg ausgebildet. Während seines dreijährigen Jurastudiums in Padua entschloss er sich, Priester zu wer-den, was anfänglich auf den Widerstand seines Vaters stieß. Ab 1593 bemühte er sich als Probst des exilierten Genfer Domkapitels um die Rekatholisierung des seit 1536 calvi-nistischen und in den Verträgen von Lausanne (1564) und Thonon (1569) an Savoyen zurückgegebenen Chablais – dem Thema des Oratoriums. Innerhalb weniger Jahre gelang es Franz von Sales durch Flugblätter, Predigten und mit mas-siver Unterstützung des Herzogs von Savoyen die Bevölke-rung in die Einheit mit der römischen Kirche zurückzufüh-ren.

Nicht allein wegen dieses Erfolgs wurde er 1599 Weihbi-schof für die in Annecy exilierte Genfer Diözese und 1602 ihr Bischof. Zeit seines Lebens bemühte sich Franz von Sales um die Reform seines Bistums im Geist des Konzils von Trient und um die ihm anvertrauten Menschen. Bedeutend ist sein mystisch-pädagogisches Schrifttum, vor allem sein erfolg-reichstes Werk Introduction à la vie dévote (Philothea), in dem er zur Weltfrömmigkeit des Genfer Reformators Johannes Calvin (1509–1564) ein tief in der mystisch-humanistischen Tradition des Abendlandes verwurzeltes Alternativmodell anbot. Seine Frömmigkeit galt bereits den Zeitgenossen als nüchtern, sachlich, sich aller Extreme und jeglicher Polemik enthaltend sowie der Wahrheit und der Liebe zu Gott und den Menschen verpflichtet. Motive, die auch in Feos Oratori-um eine wichtige Rolle spielten und entsprechend inszeniert wurden. Verbunden mit genialer Musik lässt Feo seinen Francesco, von einem Engel begleitet, den Allegorien von Ketzerei und Betrug im Kampf um die Seelen der Bewohner des Chablais entgegentreten. Es sind nicht nur Argumente, die der heilige Bischof gegen die calvinistische ‚Ketzerei‘ ins Feld führt, sondern es ist seine von Gott verliehene Tugend, die am Ende den Sieg davonträgt.

Feos Oratorium illustrierte nicht nur eine kurze, exempla-

rische Episode aus dem Leben des großen heiligen Bischofs, sondern rief seine Zuhörer auch dazu auf, sich ihres eigenen Seins vor Gott bewusst zu werden und sich in ihrem eigenen Leben zu entscheiden: für das Böse oder für das Gute, für ein Leben in Sünde oder in Heiligkeit. Feo warb mit seiner Mu-sik – ob im Auftrag der Oratorianer, des neapolitanischen Erzbischofs oder eines Mäzens – für eine erneuerte Kirche und einen ‚reformierten‘ Klerus, der gut ausgebildet, tu-gendhaft und in einer nüchternen Weise fromm, sich für das Heil der ihm anvertrauten Seelen kümmerte. Ein Ideal, das im Letzten Katholiken, Lutheraner und Reformierte verband und verbindet.

Niccolo Steiner S.J., Philosophisch-theologische Hochschule Sankt Georgen/Frank-

furt am Main

Franz von SalesEinführungsvortrag24. April 2017, 19 Uhr, Stiftskirche Stuttgart

Page 4: SKO Times - Stuttgarter Kammerorchesterstuttgarter-kammerorchester.com/wp-content/uploads/... · SKO Times Zeitung für Musikliebhaber 6. Ausgabe • März 2017 Seit kurzem ist es

6. Ausgabe • März 2017 • Seite 4Konzerte

Mauricio Sotelo, der große spanische Komponist unserer Zeit, liebt die heiße Musik Andalusiens, den Flamenco (siehe dazu auch den Artikel „Neue S@ITEN und die Spiritualität des Südens). Fuensanta „La Moneta“ ist eine wahre Prima-ballerina des Flamencotanzes, Agustín Diassera aus Huelva ein Meister der spezifischen Percussion, welche diese mit-reißende Kunstform verlangt. Dazu kommt der Salzburger Stargeiger Benjamin Schmid, der in seiner ganzen glanzvol-len Karriere zwischen großer Klassik und Jazz, zwischen der Wiedergabe exakt notierter Stimmen und freier Improvisa-tion wechselt, ja die leidigen Unterschiede zwischen einer so genannten „ernsten“ und einer „unterhaltenden“ Musik nicht akzeptiert, sondern Django Reinhardt für einen nicht weniger bedeutenden Komponisten als Schostakowitsch hält. Musikalische Grenzgänger also, alle mit einer großen Leidenschaft für die klingende Landschaft des Südens, gro-ße Musiker, die einander zu einer wahren Sternstunde in Stuttgart treffen.

Flamenco ist in der spanischen Geschichte mit ihrer eth-nischen Vielfalt und ihrer politischen Tragik verwurzelt. Die hämmernden Rhythmen dieser Tänze und Lieder gehen wohl bis in die Antike zurück, die sinnlich prallen Gesän-ge mit ihrer stürmischen Traurigkeit haben viel mit Mauri-

schen, mit Jüdischem und besonders viel mit den „Gitanos“, den iberischen Sinti und Roma, und mit der stolzen Armut des oft hart arbeitenden und mitunter fahrenden Volks zu tun. Flamenco ist bis heute eine ungemein lebendige Traditi-on, die zwischen höchster Kunstfertigkeit und touristischer Folklore gepflegt wird. Und Flamenco hat bereits im Barock neugierige Musiker inspiriert, in einer Zeit übrigens, in der keine Trennung zwischen „E-“ und „U-Musik“ existierte. Der Italiener Domenico Scarlatti, Sohn des Opernmaestros Alessandro, Meister der Cembalosonate, wirkte am spani-schen Königshof und ließ in seine oft gar nicht so verspielte Musik die Töne einfließen, die ihm auf den Straßen andalu-sischer Städte begegneten. Im Falle von drei Sonaten wird Mauricio Sotelo dem nachspüren und die alte Musik neu fassen. Packende Uraufführungen sind garantiert. Überra-schend wird, wie des französischen Polen Frédéric Chopin Préludes in diesen Kontext passen, in Sotelos Version für Vi-oline und Streichorchester. Aber Chopin war bekanntlich im Winter auf Mallorca und hatte auch in Paris offene Ohren für die dort beliebten spanischen Gäste.

Mauricio Sotelos Red Inner Light Scupture war 2012 ein Auftragswerk für die Geigerin Patricia Kopatchinskaja. Der Percussionist Agustín Diassera war bei der Uraufführung im Juni 2016 in St. Paul in den USA dabei. Nun wird Fu-ensanta Fresneda Galera, genannt „La Moneta“, gebürtig aus dem geheimnisvollen Granada, den Tanzpart überneh-men. Mit all ihrer explosiven Intensität und präzisen Gestik.

Flamenco-Sternstunden mit Starbesetzung

Und Benjamin Schmid wird seine Geige tanzen lassen. Der bisher einzige Geiger, der den Deutschen Schallplattenpreis in den Kategorien Klassik und Jazz erhalten hat, konzertiert auf einer der schönsten Stradivari-Violinen, der „ex-Viotti 1718“, die ihm die Österreichische Nationalbank zur Verfü-gung stellt. Er hat noch mit Stephane Grappelli gespielt und sein Repertoire reicht von Bach bis Ligeti und Allerneuestes. Es beinhaltet nicht nur Mozart, Beethoven und Co, sondern auch viel Rares aus den letzten drei Jahrhunderten. Ein Por-trät von Benjamin Schmid findet sich in dem 2014 erschie-nenen Buch „Die Großen Geiger des 20. Jahrhunderts“ von Jean-Michel Molkou.

Gottfried Franz Kasparek

SKO-Sternstunden: Der Zauber des Flamenco23. März 2017, 19.30 Uhr, Theaterhaus Stuttgart, T1

Karten: Theaterhaus StuttgartTel. 0711 / 40 20 7 - 20, www.theaterhaus.com

Die Veranstaltungsreihe SKO-Sternstunden wird unterstützt von der Mercedes-Benz Niederlassung Stuttgart.

Fuensanta „La Moneta“

Der 1974 in Düsseldorf geborene Florian Uhlig gastiert am 9. März mit Beethovens 2. Klavierkonzert und Brett Deans Etüdenfest, mit einem klassischen Virtuosenkonzert also und einem Stück, welches das ausdauernde Üben von Etüden, das nicht nur am Klavier zur Virtuosität führt, mit Witz und schalkhafter Brillanz karikiert. Florian Uhlig hat schon mit 12 Jahren seinen ersten Klavierabend gegeben, studierte in London, war der letzte Klavierbegleiter des legendären Ba-ritons Hermann Prey, ist ein weltweit gefeierter Solist und Kammermusiker, seit 2014 Professor in Dresden und seit 2015 Ehrenmitglied der Royal Academy of Music. Mit seinen von der Presse gefeierten Einspielungen der gesamten Kla-vierwerke von Robert Schumann und Maurice Ravel setzt er Maßstäbe. Uhlig spielt am modernen Flügel, dennoch ist die Beschäftigung mit dem Originalklang für ihn von Be-deutung. „Die historische Aufführungspraxis halte ich für sehr wichtig“, erzählt er im Gespräch mit Klaus Neumann, „ich glaube, es ist für uns Pianisten ganz wichtig und be-fruchtend, unser Repertoire auch mal auf einem alten Tas-teninstrument auszuprobieren. Ich habe im Rahmen meines Studiums auch ein bisschen Kirchenorgel studiert und auch öfter mal Cembalo und Clavichord gespielt. Ich empfand die Beschäftigung mit diesen Instrumenten als eine enorme Bereicherung. Ich hatte dabei sogar mal ein Schlüsselerleb-nis, als ich das Opus 111 von Beethoven einstudiert habe. Der zweite Satz, die Arietta, beginnt ja mit zwei sehr weit entfernten Akkorden auf dem Klavier: Auf einem modernen Flügel machten sie zumindest für mich damals nur wenig Sinn. Aber wenn man diesen Anfang mal auf einem histori-schen Hammerflügel spielt, dann klingt das plötzlich ganz anders. Durch diese Klangwelt, durch diese Farbe macht das plötzlich Sinn: man weiß, wie das zu Beethovens Zeit geklungen hat, welchen Klang er da eigentlich im Ohr hatte. Wenn man das weiß, dann mag es eventuell gelingen, diese Klangwelt auf den modernen Flügel zu transportieren.“

Ein Meister des Originalklangs wird am 29. Mai als Pianist und Dirigent ein „Fest für Mozart“ gestalten: Robert Levin. Der 1947 in New York geborene Musiker ist auch ein aner-kannter Musikwissenschafter, hatte noch Kompositionsun-terricht bei Nadja Boulanger in Paris und lernte Dirigieren beim ebenso legendären Hans Swarowsky in Wien. Als „Mu-sikdetektiv auf Mozarts Spuren“ hat man ihn bezeichnet, er ist aber auch Präsident des Internationalen Bach-Wettbe-werbs in Leipzig und spielte das Klavierwerk von Henri Du-tilleux ein. Mit größter Selbstverständlichkeit wechselt der

Alte und neue Klangweltenpolyglotte Levin vom Hammerflügel zum Steinway, vom Englischen ins Deutsche, vom Barock in die Avantgarde. Wolfgang Amadé Mozart ist aber gleichsam das Zentralge-stirn seiner Arbeit im Bereich der Wissenschaft und am Kon-zertpodium. Mozarts „Konzerte für Tasteninstrumente“, wie er sie nennt, sind für ihn „eine Synthese aus Eleganz, Charme, koboldhaftem Schalk, Wagemut, operettenhafter Dramatik, Pathos und Tragödie“. Es geht ihm nicht um die Interpretation „eines festgelegten musikalischen Textes“, sondern um die Wiedergewinnung von Spontaneität und Improvisation. Denn der Pianist Mozart improvisierte nicht bloß die Kadenzen, sondern ließ gerne auch gemeinsam mit den Orchestermusikern seiner Phantasie freien Lauf. Wenn er ein Konzert mehrmals spielte, klang es jedes Mal ein we-nig - oder gar nicht so wenig anders. Kein Wunder also, dass die Handschriften dieser Konzerte oft erstaunlich skizzen-haft wirken. Es bleibt also spannend, was Levin mit dem SKO musizieren wird.

Gottfried Franz Kasparek

7. Abonnementkonzert: Olympische Klangspiele9. März 2017, 20 Uhr, Theaterhaus Stuttgart, T119 Uhr: Gemeinsames Konzert mit dem Jungen Streichorchester Weil im Schönbuch

8. Abonnementkonzert: Ein Fest für Mozart28. Mai 2017, 20 Uhr, Liederhalle Stuttgart, Hegel-Saal

Karten: Kulturgemeinschaft StuttgartTel. 0711 / 22 477 - 20, www.kulturgemeinschaft.de

Florian Uhlig

Benjamin Schmid

Page 5: SKO Times - Stuttgarter Kammerorchesterstuttgarter-kammerorchester.com/wp-content/uploads/... · SKO Times Zeitung für Musikliebhaber 6. Ausgabe • März 2017 Seit kurzem ist es

6. Ausgabe • März 2017 • Seite 5

„Neue S@iten“ und die Spiritualität des Südens

Konzerte

Flamenco beschäftigt, besonders in einer Abendstimmung auf den Straßen der spanischen Metropole. Womit sich üb-rigens schon vorher Domenico Scarlatti auseinander gesetzt hatte – siehe das Konzert mit Stargeiger Benjamin Schmid und Flamenco-Tänzerin „La Moneta“ am 23. März; unter So-telos Leitung.

Der 1953 in Oberösterreich geborene Rupert Huber ist Komponist, Performance-Künstler und Dirigent. Der Schwerpunkt im Schaffen Hubers liegt in der Vokalmusik. Es geht ihm um am Melos orientierten Gesang, der sowohl von einer werkhaften Attitüde möglichst frei ist als auch von funktionaler Auffassung der Zeit. Dabei spielen verän-derte Zustände des Bewusstseins eine große Rolle; in diesen Punkten bezieht sich Rupert Huber auf John Cage, Morton Feldman und Iani Christou. Seit 2003 beschäftigt sich Huber intensiv mit den Heilsgesängen der Schamanen in Ost-Ne-pal, so entstand 2012 Seoli für Sprecher und Sänger mit Inst-rumenten. 1982 gründete Rupert Huber das radikal sparten-übergreifende „Ensemble Spinario“, das sich besonders dem Werk John Cages widmete. Diese Erfahrungen flossen in eine Reihe großer Projekte mit anderen Klangkörpern ein, so bei den Salzburger Festspielen, bei Wien Modern und Eclat Stuttgart. Eine große Bedeutung hat die Zusammenarbeit mit Ensembles aus anderen Kulturen - wie der arabischen, persischen, japanischen oder kongolesischen. Als Dirigent konzentriert sich Huber auf Neue Musik, so leitete er eine Vielzahl von Uraufführungen von Stücken Karlheinz Stock-hausens, Luigi Nonos, Giacinto Scelsis, Wilhelm Killmayers, Wolfgang Rihms, Beat Furrers, von Georg Friedrich Haas und Klaus Lang bei den Donaueschinger Musiktagen, den Kammermusiktagen Wilten, in den großen deutschen Rund-funk- und Fernsehanstalten, mit dem Klangforum Wien und dem oenm in Salzburg. Dazu kommt eine Karriere als Chor-leiter des SWR-Vokalensembles von 1990 bis 2000, der Kon-zertvereinigung Wiener Staatsopernchor von 2002 bis 2005, des WDR-Rundfunkchors von 2004 bis 2011 und des Chor-werks Ruhr von 2009 bis 2011. Von 1996 bis 1998 war Rupert Huber als Professor für Chordirigieren an der Universität Graz tätig. Beim Salzburger Festival Aspekte fand 2014 mit dem Stuttgarter Kammerorchester die Uraufführung seines Stücks Die Linien des Lebens statt.

Elaía ist die Bezeichnung der von Olivenkulturen gepräg-ten griechischen Landschaft und der Name mehrerer antiker

Flamenco im Mai, Oliven im JuniDer Madrider Mauricio Sotelo ist mit Gitarre und Flamen-

co-Musik aufgewachsen. Der „cante hondo“, der „tiefe Ge-sang“ der rhythmisch oft unerbittlichen, eminent sozialkri-tischen Musik Andalusiens mit ihren Wurzeln in der alten Kunst der Mauren, Juden und spanischen Sinti und Roma prägte ihn besonders. Sotelo studierte in Wien bei Francis Burt und Roman Haubenstock-Ramati, suchte sein Heil beim „Wiener Espressivo“ Beethovens und bei der Schön-berg-Schule, fand den Ausweg aus seriellen Sackgassen aber in den klanglichen Experimenten von Luigi Nono oder Hel-mut Lachenmann. Doch: „Ich wollte immer Musik schrei-ben, wie die Flamenco-Sänger singen.“ Und: „Musik beginnt für mich beim Hören.“ Improvisatorisches ist in seinen Par-tituren wichtiger als abstrakte Komplexität. Giordano Bru-no, der freigeistige Renaissance-Philosoph, ist für ihn eine Lichtfigur in der Geschichte. Der spirituelle, nicht einer be-stimmten Religion verpflichtete Gehalt ist wesentlich: „Die Unendlichkeit des Universums ist die Unendlichkeit Gottes. Dem Menschen kommt angesichts der extremen Unendlich-keit der Welten und der Sonnen die Begeisterung zu. Nur auf diese Weise kann er sich der Wahrnehmung des Gött-lichen nähern. Und diese Wahrnehmung ist eine Reise, auf der unsere Führerin die Erinnerung ist.“ Die Uraufführung für Stuttgart verbindet das „heimatliche“ Gitarrenspiel mit dem Streicherklang und im Titel die „leeren Bögen“ mit dem Himmel der Klänge.

Sotelo hat für sein Konzert mit dem Aleph Gitarrenquar-tett, dem weltweit gefeierten „Einklang von vier Individua-listen“, vor sein eigenes Stück eines seines Landsmanns Ma-nuel Hidalgo gestellt, in dem Beethovens Bagatellen op. 126 archaisch und dennoch liebevoll paraphrasiert werden. Zu diesen südlich leidenschaftlichen, instrumentalen Gesängen fügt sich ein Stück des österreichischen Mikroton-Magiers Georg Friedrich Haas: „Dazwischen schiebt sich immer wie-der ein ‚Singen‘ in zwölfteltönigen Clustern“, so Haas zu sei-nem Gitarrenquartett. „Dieses Zusammenklingen von sehr eng beieinander liegenden Tonhöhen ist zwar nicht mehr ein Einklang, aber auch noch nicht ein Akkord, sondern bildet einen schwebungsreichen Klang, der in der Komposition wie ein expressives Unisono eingesetzt wird.“ Dass am Beginn des Konzerts ein Werk des Mozart-Zeitgenossen Luigi Boc-cherini steht, hat Methode. Denn der Maestro aus Lucca war die längste Zeit seines Lebens Hofmusikus in Madrid und hat sich schon im späten 18. Jahrhundert mit den Formen des

Städte zwischen Kleinasien und Äthiopien. Der Olivenbaum ist ein uraltes Symbol der Fruchtbarkeit. Der spätestens seit etwa 4000 v. Chr. kultivierte „Ölbaum“ war der Göttin Pallas Athene geweiht und spielt auch in der Bibel und im Koran eine bedeutende Rolle als Lebensspender. Das Ritu-al für Kammerorchester, Solostimme, Vokalsolisten und die spirituelle Stundentrommel Semantrom ist dreiteilig. Auf das Ölblatt folgen der lobpreisende Gesang und das aus der Frucht gewonnene Licht der Öllampe. Hubers künstlerische Partnerin Maria de Alvear wird als Sängerin und Co-Kom-ponistin dieser außerordentlichen Uraufführung zu erleben sein. Die aus Madrid stammende, in Köln lebende, am 1. Juni 2016 mit dem „Spanischen Nationalpreis für Musik“ aus-gezeichnete Künstlerin ist nicht nur Komponistin, sondern auch Sängerin und Pianistin. Ähnlich wie Huber verbindet sie starke Botschaften mit undogmatischer Neuer Musik. „Es gibt Wissen, von dem die Menschen gar nicht wissen, dass sie es haben - weil ihr Gehirn es nicht akzeptiert als Wissen“, meint sie. „Der Maßstab, an dem sie sich messen, ist immer die Rationalität. Es gibt aber ganz verschiedene Arten von Wissen. Es gibt auch das spirituelle Verständnis. Das aber ist nur erfahrbar durch die spirituelle Erfahrung und bleibt natürlich unverständlich für Leute, die diese spirituelle Er-fahrung nicht haben - vergleichbar mit körperlichen Erfah-rungen, die nicht transmittierbar sind. Wir kommen da in Bereiche, die in unserer Zivilisation einfach keine Tradition der Auslegung haben. Wir haben keine Wissenschaft der Seele - abgesehen von der Psychologie, die aber - als Psy-cho-Logie - rational und damit widersprüchlich ist.“

Gottfried Franz Kasparek

Neue S@ITEN: Neue Musik des Südens19. Mai 2017, 20 Uhr, Musikhochschule Stuttgart, Konzertsaal im Turm

Karten: Musikhochschule StuttgartTel. 0711 / 212 46 21, www.reservix.de

Neue S@ITEN: ELAÍA - Ritual an den Olivenbaum16. Juni 2017, 20 Uhr, Theaterhaus Stuttgart, T2

Karten: Theaterhaus StuttgartTel. 0711 / 40 20 7-20, www.theaterhaus.com

Jenseits von Afrika

Julia Stemberger

„Ich hatte eine Farm in Afrika am Fuß des Ngong-Gebir-ges.“ Mit diesem Satz beginnt der berühmte Roman von Tania Blixen, dieser Satz kehrt leitmotivisch in dem gleich-namigen Kinofilm wieder und so heißt auch der Main Title der Filmmusik von John Barry. Seine Melodie ist ein Ohr-wurm, genauso wie das Hauptmotiv des Adagio in Mozarts Klarinettenkonzert in A-Dur, das im Film die Liebesbeziehung zwischen Karen Blixen (bewundernswert: Meryl Streep) und Denys Finch Hutton (liebenswürdig: Robert Redford) unter-malt. Der Film gewann 1985, als er in die Kinos kam, sieben Oscars, unter anderem für Sydney Pollacks beste Regie, das beste adaptierte Drehbuch und die beste Filmmusik; er wur-de Kult und ist bis heute sehenswert – wenn man Melodra-matik, idealisierte Afrika-Bilder und romantische Geschich-ten mag.

Unbedingt lesenswert ist der sehr viel differenziertere, in-haltlich und sprachlich wunderbar komponierte Roman Out of Africa, eigentlich eine autobiografische Erzählung über den wesentlichen Lebensabschnitt von Tania / Karen Blixen, geborene Dinesen. Trotz seines Umfangs von über 650 Seiten legt man das Buch nicht mehr aus der Hand.

„Ich hatte eine Farm in Afrika“, heißt es da und im Rück-blick erzählt sie, wie sie mit ihrem nicht wirklich geliebten Ehemann, Bror Baron von Blixen-Finecke (im Film angemes-sen unsympathisch gespielt von Klaus Maria Brandauer), kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs nach Kenia auswan-dert, um dort eine Molkerei aufzuziehen, die dann jedoch zur Kaffeeplantage umgeplant wird. In einer ungeeigneten, weil viel zu hoch gelegenen Gegend muss dieses Vorhaben scheitern. Bror Blixen, der seine Frau zudem mit der Syphilis ansteckt, geht auf Safari, während sie sich müht, die Farm gemeinsam mit den Eingeborenen zu bewirtschaften.

Tania Blixen schildert die Landschaft, die Menschen und Tiere mit großer Einfühlsamkeit; Afrika wird ihr zur „dun-kel lockenden Welt“ und irgendwann beginnt auch sie, auf die Jagd zu gehen und Löwen zu schießen. Ihr Partner dabei ist Denys Finch Hutton, mit dem sie eine große Liebe ver-bindet, obwohl er unstet mal bei ihr wohnt, dann wieder monatelang verschwindet. Sie idealisiert die Beziehung als „eine zwischen zwei Parallelen“. Denys ist derjenige, dem sie als „Scheherazade“ ihre Geschichten erzählt, mit dem

sie über das Land fliegt, der ihr das Grammophon schenkt, auf dem sie Schallplatten mit Aufnahmen von Schubert und Strawinsky hören, Beethovens Klavierkonzert in G-Dur – ob auch Mozart und sein Klarinettenkonzert?

Im Roman und in der detailgenauen Biografie von Ju-dith Thurman (die damals am Filmdrehbuch beteiligt war) ist davon nicht die Rede. Doch in den beiden Karen Blixen gewidmeten Museen im dänischen Rundstedlund und im einstigen Mbogani-Haus in Nairobi sowie natürlich im Film, wo das Klarinetten-Adagio die Annäherung von Tania und Denys mitten in der Wildnis begleiten darf, ist Mozart der Komponist der Szene …

Kurz vor ihrer endgültigen Rückkehr nach Europa im Jahr 1931 formulierte Tania Blixen in einem Brief, voller Trauer um das verlorene Paradies: „Eine große Welt von Poesie hat sich mir hier eröffnet und mich in ihren Bann gezogen, und ich habe sie geliebt. Ich habe in die Augen der Löwen geschaut und unter dem Kreuz des Südens geschlafen, ich habe auf den großen Ebenen das Gras brennen und nach dem Regen wieder zart und grün sprießen sehen, ich habe Somalis, Kikuyus und Massai zu Freunden gehabt, ich bin über die Ngang-Berge geflogen …“.

Irene Ferchl

SKO-Sternstunden: Jenseits von Afrika20. Juli 2017, 19.30 Uhr, Liederhalle Stuttgart, Mozart-Saal

Karten: reservixTel. 01806 / 700 733, www.reservix.de

Die Veranstaltungsreihe SKO-Sternstunden wird unterstützt von der Mercedes-Benz Niederlassung Stuttgart.

Page 6: SKO Times - Stuttgarter Kammerorchesterstuttgarter-kammerorchester.com/wp-content/uploads/... · SKO Times Zeitung für Musikliebhaber 6. Ausgabe • März 2017 Seit kurzem ist es

6. Ausgabe • März 2017 • Seite 6SKO intern

Beim ersten Konzert der Reihe Neue S@ITEN am 27. No-vember 2016 im Theaterhaus Stuttgart standen zwei Urauf-führungen von Michael Pelzel und Michael Wertmüller auf dem Programm. In der Generalprobe hat eine Gruppe von Jugendlichen diese beiden Stücke bildnerisch umgesetzt – die künstlerischen Ergebnisse wurden im Konzert präsen-tiert. Diese künstlerische Aktion war Teil und Höhepunkt der ersten Etappe des Projektes mehrdimensional mit dem bildenden Künstler Tobias Ruppert. Katharina Gerhard vom SKOhr-Labor hat sich mit ihm unterhalten.

Was interessiert Dich besonders daran, zeitgenössische Musik mit Bildender Kunst zusammenzubringen?

Klänge und Musik erzeugen in meiner Vorstellung vi-suelle Entsprechungen oder bildliche Reaktionen. Meine künstlerische Arbeit beinhaltet immer den Augenblick, sei es als thematischer Ausgangspunkt einer Gestaltung oder als Grundlage des schöpferischen Aktes. Selbst ikonogra-phische Rückgriffe auf Vergangenes werden von mir durch meine künstlerische Gegenwart zu zeitgenössischen Arbei-ten. Zeitgenössische Komposition berührt mich deshalb, weil sie sicherlich denselben Ansatz hat. Auch wenn die Form eine andere ist, so meine ich, eine ähnliche Sprache zu sprechen. Und wenn eine gemeinsame Sprache fühlbar ist, warum sollte man sie dann nicht auch gemeinsam sprechen?

Erzähle doch bitte ein wenig von der Workshoparbeit mit den Jugendlichen …

Die Jugendlichen kamen an fünf Samstagen im Zeitraum von September bis Mitte November 2016 für etwa 2,5 Stun-den mit mir zusammen. Zu Anfang ging es darum, zu ver-abreden, unsere gestalterische Absicht nicht aus unserer vorgefertigten Vorstellung abzuleiten, sondern diese auf die Reaktion auf Gehörtes zu beschränken. Das war schon ein großer Schritt, denn es bedeutet ein vollständiges „Sich-Ein-lassen“ auf fremde Impulse. Als musikalische Folie diente in den ersten Workshops Popmusik oder Jazz, beides Musik-formen, die den Jugendlichen entgegenkamen und sie da-durch leicht Zugang fanden. Später hörten wir Beispiele der E-Musik, die schon an anderer Stelle mit Bildender Kunst Be-rührung hatten und konnten uns schließlich vollständig der Neuen Musik zuwenden. Hier forderte die ungewohnte To-nalität, die fremden Klänge bei den Jugendlichen volle Kon-zentration. Und sie schafften es wunderbar, diese Energie in ihre eigenen Werke zu übertragen. Es wurde gezeichnet, ge-malt, gedruckt, schabloniert, frottiert, gekratzt, geschnitten, gerissen und geklebt. Zahlreiche großformatige Bögen füll-ten die acht Jugendlichen mit einer ernsthaften Leichtigkeit, dass manches Mal ein Blatt Papier pro Musikstück nicht aus-reichte. Meine Aufgabe bestand zum einen darin, mich selbst mit voller Konzentration der gleichen Aufgabe zu stellen, nämlich Gehörtes spontan in Visuelles zu übertragen. Zum anderen hatte ich den Anspruch, die Jugendlichen zu ermu-tigen, ein breites Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten zu erproben und diese gezielt einzusetzen. Schnell klärten sich für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ganz individuell, wie Lautes, Leises, Polyphones oder Solistisches, Dynami-sches oder Zaghaftes aus der Musik in Bildform umzusetzen wäre. Jede und jeder fand hier seine eigene Form.

Wie hast Du die Schüler auf die Generalprobe vorbereitet, bei der

sie dann live zu den zur Uraufführung stehenden Werken künstle-risch tätig werden sollten?

Wir hatten die großartige Möglichkeit, die uraufgeführten Stücke in einer gemeinsamen Probe von ascolta und SKO vorab hörend kennenzulernen. Hier erfuhren die Jugendli-chen, wie es sich anfühlt, unmittelbar bei oder sogar in der Musik zu sein. Dass es sich bei der Musik nicht um eine Konserve aus dem Lautsprecher handelte, sondern um mit viel Konzentration und Leidenschaft erzeugte Klänge, trug sehr zur großen Motivation der Teilnehmerinnen und Teil-nehmer bei. Ich glaube, die jungen Menschen fühlten sich sehr wertgeschätzt und auf Augenhöhe behandelt, was sie natürlich dazu anspornte, künstlerisch Volldampf zu geben. Schlussendlich ging es in der Generalprobe darum, das bis-her Erfahrene abzurufen und auf den neuen Höreindruck hin zu variieren oder zu verwandeln.

Wie war es für Dich, live zu den zur Uraufführung stehenden Werken künstlerisch aktiv zu sein?

Nachdem ich begriffen hatte, dass meine Leute völlig selb-ständig und hoch diszipliniert arbeiteten, konnte ich mich selbst hervorragend in die Musik vertiefen und wurde mit-getragen von der Energie der Musiker. Dass wir auch noch so wunderbar bildreiche Kompositionen hören durften, hat auch viel positive Kraft dazugegeben. Da wir die Musik ja in der Probenphase schon etwas kennenlernen konnten, hatte ich natürlich die Möglichkeit, mich auch meinerseits darauf einzustellen, sprich, die aus meiner Sicht passenden Werk-stoffe und Techniken parat zu haben. Anders als zur konser-vierten Musik, die mir sonst als Dialogpartner dienen muss, ist das Live-Arbeiten wesentlich intensiver und impulsiver. Auch wenn ich nicht Teil der Musik sein konnte und wollte, so hatte ich dennoch das Gefühl, dazu zu gehören. Ich finde, man sieht das meinen drei Blättern an, die bei der General-probe entstanden sind.

Wie hat Deine Gruppe diese Aufgabe erlebt?Zunächst muss man ja sagen, dass es für die Musiker und

den Dirigenten die Generalprobe war, für die Jugendlichen war es aber die Aufführung, bei der sie gefilmt wurden! Ich vermute, die jungen Leute waren daher mit einer ordentli-

SKOhr-Labormehrdimensional – ein Musik- und Kunstprojekt

chen Portion Lampenfieber und Nervosität ausgestattet. Das hat dazu geführt, dass sie sich total diszipliniert und enga-giert der Aufgabe annehmen konnten. Und sie waren in ih-rem Element zugange, was ein großer Vorteil bei Projekten ist, die auf Freiwilligkeit beruhen. Und da hatten sie genü-gend Sicherheit durch unser „Training“ erlangt, um bei der Generalprobe sehr qualitätvolle Ergebnisse abzuliefern.

Wie war es für Dich und die Schüler, in dieser Intensität mit Musikern und Komponisten zusammenzuarbeiten?

Intensität entsteht entweder durch eiserne Disziplin und einen ungeheuren Willen gepaart mit Schaffenskraft oder, indem sich eine Gruppe zusammentut, in der jeder seine Aufgabe, seinen Platz und seinen Wert hat, und alle einem gemeinsamen Ziel verschrieben sind. So konnte ja nichts schiefgehen.

Wie geht es weiter?Mit dem SKO und dem Aleph Gitarrenquartett unter der

Leitung von Mauricio Sotelo gehen wir zu einer Kompositi-on des Dirigenten in die zweite Runde. Wir werden daher ab Mitte März eine neue Workshopreihe mit 5-6 Terminen anbieten. Jugendliche im Alter von 14-18 Jahren sind wieder angesprochen, sich für das kostenlose Angebot zu bewerben. Die Workshops, die ja in Kooperation mit der Städtischen Galerie Ostfildern und der Kinder- und Jugendförderung Ostfildern stattfinden, sind aus diesem Grund auch in Ostfil-dern verortet. Je nach Zusammensetzung der Gruppe werde ich die Inhalte der einzelnen Workshoptage planen. Natür-lich soll auch dieses Mal wieder als optimale Ergänzung die Live-Musik durch Besuche von Musikern des SKO und von Aleph mit dabei sein. Und natürlich werden wir uns auch der Uraufführungsmusik durch einen Besuch im Probensaal nähern. Ich freue mich schon auf PART II, es wird sicher an-ders aber auf jeden Fall wieder wunderschön.

Das Interview führte Katharina Gerhard

SKOhr-Labor bei Neue S@ITEN: Neue Musik des Südens19. Mai 2017, 20 Uhr, Musikhochschule Stuttgart, Konzertsaal im Turm

Karten: Musikhochschule StuttgartTel. 0711 / 212 46 21, www.reservix.de

Tobias Ruppert

Page 7: SKO Times - Stuttgarter Kammerorchesterstuttgarter-kammerorchester.com/wp-content/uploads/... · SKO Times Zeitung für Musikliebhaber 6. Ausgabe • März 2017 Seit kurzem ist es

6. Ausgabe • März 2017 • Seite 7SKO intern

In diesem Jahr feiert Nikolaus von Bülow sein zehn- jähriges Dienstjubiläum als 2. Solocellist beim Stuttgarter Kammerorchester. Im Gespräch erfahren wir, warum er trotz seines jungen Alters schon ein „alter Hase“ ist und warum Musikmachen unendlich ist.

Man könnte dem einstigen Musikschulleiter von Horb am Neckar durchaus ein gewisses Maß an Weitsicht unterstel-len. Denn wie schon seine beiden älteren Brüder war der klei-ne Nikolaus von Bülow mit seinen vier Jahren anfangs zum Geigenunterricht angemeldet. Der Pädagoge gab damals allerdings zu Bedenken: „Ihr habt doch schon zwei Geiger – was wollt Ihr denn mit noch einem?“. Und sein Einwand stieß auf offene Ohren: Nikolaus von Bülow fand stattdessen zum Cello; und sicherlich auch ein bisschen umgekehrt.

Die von Bülow-Brüder musizierten früh gemeinsam und die Familienformation nahm etliche Male erfolgreich an Wettbewerben teil. Das Bülow-Quartett gibt es bis heute. Allerdings sind nur drei der Musiker auch wirklich von Bü-lows – einer der vier Brüder entschied sich später für den Beruf des Piloten. „Als Kind fand ich es immer gut, dass alle stehen mussten und ich sitzen durfte“, erinnert sich Niko-laus von Bülow an seine Kindertage zurück. Mit zwölf Jah-ren dann wird er Jungstudent bei Gerhard Hamann an der Musikhochschule Trossingen. Dass Musik einmal sein Beruf werden würde, schlich sich irgendwann selbstverständlich ein. Heute fast kurios erscheint daher seine Erzählung von der Berufsorientierungswoche in der zehnten Klasse, die von Bülow im Autohaus eines Nachbarn absolvierte. Und zugegeben: sich Nikolaus von Bülow mit seiner wohl dosier-ten, fast rational gezähmten Euphorie für die Musik und das Cello als Automechaniker vorzustellen, würde einem doch einige Mühen abverlangen. Denn obwohl sein Tonfall von einer unbeirrbar präzisen Sachlichkeit bestimmt ist, lässt doch sein Wortreichtum erahnen, wie wichtig ihm seine Sa-che sein muss.

Das Studium führte Nikolaus von Bülow sodann nach Ber-lin, Lübeck und schließlich in die USA. Seine Berichte über die Studienzeit in Amerika nehmen einen prominenten Platz in seinen Erzählungen ein; so anders das Land, so prägend die Erfahrungen. Beinahe ehrfurchtsvoll spricht er über sei-

Nikolaus von Bülow

Iiro Rajakoski

Iiro Rajakoski ist seit gut einem Jahr Bratschist beim Stuttgarter Kammerorchester. Ein guter Anlass für eine Unterhaltung über seine Heimat Finnland, den Reiz Neuer Musik und die Sprache der Bratsche.

Alttoviulu – das finnische Wort für die Bratsche kommt der Färbung des Instruments klanglich vielleicht näher als das deutsche, mit seinem fast quälend langen aaa und dem un-erwarteten Zischen in der Mitte. Alttoviulu, das sind dunk-le, schwere Vokale, die in der Bezeichnung der Bratsche als Altvioline doch glasklar sind. Ein bisschen etwas von dieser glasklaren Schwere hat auch Iiro Rajakoskis Sprache: ge-dämpfter Klang, präzise Antworten. Sachlich, fast streng, erzählt er, wie er als Dreijähriger in seiner Musikschule in Helsinki zum ersten Mal eine Violine in die kleinen Kinder-hände nahm. Er lernte mithilfe der Suzuki-Methode, einem Lehrmodell, bei dem jüngere und ältere Kinder zusammen musizieren und bei dem auch die Eltern in die Ausbildung eingebunden sind. Die Erfahrung des Zusammenspiels, sich von der Dynamik einer Gruppe motivieren zu lassen und im ständigen Geben und Nehmen mit anderen zu stehen, prä-gen seine Erfahrung. Aber von alledem weiß der kleine Iiro freilich noch nichts. Auch nicht, dass er irgendwann einmal beim Stuttgarter Kammerorchester – noch dazu hinter dem Bratschenpult – spielen wird.

Denn bis er von seinem frühkindlichen Violinunterricht in Helsinki schließlich zum Bratschenpult in Stuttgart fand, sollten noch etliche Jahre vergehen. Mit 24 Jahren nahm er das erste Mal eine Viola in die Hand, danach galt sein Inter-esse einige Jahre lang beiden Instrumenten parallel. Erst im Alter von 27 Jahren fiel die finale Entscheidung für die Brat-sche, die fortan sein Instrument werden sollte, es vielleicht gar wollte. Zwei Personen haben ihn damals zum endgül-tigen Wechsel bewegt: Nobuko Imai, seine Professorin am Genfer Konservatorium, die ihm riet, mutig und ganz zur Bratsche zu stehen. Und Johann Sebastian Bach, dessen Sechs Suiten für Cello er unbedingt mit der Bratsche spielen wollte. Der Bratschenschlüssel wird beinahe zum Sinnbild für den Eintritt in eine neue Welt; der Schlüssel für die Tür zur „Brat-schenwelt“, wie er sie nennt.

Im Vergleich zu manch anderem Bratschisten, der der Gei-ge völlig abgeschworen hat, wollte Iiro Rajakoski der Vio-

nen einstigen Lehrer Lynn Harrell – nicht nur als großen Mu-siker, sondern auch als herausragenden Pädagogen. „Ihm ist einfach nichts fremd. Er kennt alle Sorgen. Und alle Tricks.“ Auch gehöre Lynn Harrell nicht zu denjenigen Lehrern, die von der permanenten Angst heimgesucht werden, ein Schü-ler könnte einst besser werden als er selbst. Aber, so will er ergänzt wissen: „Es ist ja auch nicht so leicht, besser zu sein als Lynn Harrell.“

Scharfsinnig skizziert er dann die Paradoxie, mit der sich das Üben im Stillen und das Konzertieren vor Publikum ent-

gegenstehen und die er vor allem gegen Ende des Studiums erlebt hat. Denn längst nicht alles, was man für sich übe und an Ideen überlege, komme auf der großen Bühne dann auch an und funktioniere wie beabsichtigt. Die Herausforderung, mit der der Studienabsolvent schließlich auf die Bühne „ent-lassen“ wird illustriert er anhand eines Vergleichs. Er nennt

line jedoch nie ganz Adieu sagen. „Die Geige wird immer ein großer Teil von mir sein“, sagt er und man kann spüren, dass Leidenschaft nicht weniger wird, wenn man sie aufteilt. Welch Glück, dass manche Entscheidungen gar kein defini-tives Entweder-Oder verlangen.

Wenn Iiro Rajakoski die Bratsche nicht gerade durch die Violine tauscht, dann gerne auch einmal durch seine Kame-ra. Sein aktuelles Lieblingsmotiv? Die Weinberge der neuen Heimat Fellbach. Hier könne man stundenlang spazieren gehen und – das Ernste fällt für einen Moment ab – „danach ins Weinstüble“.

Die Frage, was er an Finnland am meisten vermisst, ist noch nicht zu Ende gestellt, da ist schon klar: „Ein bisschen mehr Schnee wäre schon gut,“ gesteht er fast entschuldi-gend. Wobei er sich über die ersten Wochen des neuen Jah-res nicht beklagen will. Stuttgart ist fast ein bisschen Helsin-ki geworden. Und neulich beim Langlaufen im Welzheimer Wald war die Sehnsucht wenigstens ein bisschen gelindert.

Die Rolle seiner finnische Herkunft für besondere Reper-toire-Vorlieben ist wahrscheinlich naheliegend: Denn wer Finnland und klassische Musik zusammen bringt, wird, klar, wohl zuerst bei Jean Sibelius landen, an dessen siebzigsten Todestag die Klassikwelt in diesem Jahr erinnert. Dass der Komponist in Finnland dabei eine Art Nationalheiliger ist, beschreibt Iiro Rajakoski im Tonfall vage aufkeimender Sehnsucht: „Sibelius ist einfach unsere Musik – Sibelius ist unsere Heimat.“

Aber auch die Neue Musik-Szene ist, so erzählt Iiro Raja-koski, in Finnland ausgesprochen aktiv. Komponisten wie Sebastian Fagerlund (aktuell Composer in Residence beim Concertgebouw Amsterdam) oder der jüngst verstorbene Einojuhani Rautavaara stehen für unbändige Progressivität und die Lust an der Gegenwart. Aulis Salinnen ja sowieso. An dieser Musik schätzt Iiro Rajakoski besonders das von Erwartungen Befreite. Es gibt nichts, was in Bezugspunkte von Zeit und Raum eingesponnen wäre; nur die pure Ta-bula rasa des Gegenwärtigen. Man könnte diesen Mangel an Vorbildern als Last empfinden, die fehlenden Orientie-rungspunkte als beunruhigend. Für Iiro Rajakoski ist jedoch genau das Gegenteil der Fall: der Umstand, dass es keine Erfahrungen und daher meist auch keine Erwartungen gebe, machten die Aufführung moderner Musik zu einem beinahe

magischen Moment, beseelt vom Zauber des Unberührten. Vor allem den Austausch mit zeitgenössischen Kompo-

nisten schätze er indes sehr; eine kompositorische Idee zu verstehen und umzusetzen, sei immer wieder etwas ganz Besonderes. Eine Möglichkeit, die freilich nicht oder nicht mehr bei allen Komponisten gegeben ist. Halb amüsiert, halb verträumt gesteht er diesbezüglich: „Mit Schubert würde ich gerne einmal Kaffee trinken gehen.“ All die Mythen und Romantisierungen, die sich um seine Person ranken, böten bestimmt reizenden Gesprächsstoff. Und gewiss wäre es ein schönes Bild: Franz Schubert und Iiro Rajakoski am Kaf-feetisch, die dampfenden Tassen in der Hand, über die Un-wägbarkeiten der Romantik im Allgemeinen und das Franz Schubert-Sein im Speziellen plauschend. Vielleicht aber ließe sich Schubert auch zu einem Gläschen ins Fellbacher Wein-stüble überreden – wer weiß?

Margret Findeisen

Immer wieder neu

Liebe auf den zweiten Blick

ihn „etwas platt“, aber vielleicht vermag er deutlich zu ma-chen, was gemeint ist: Es sei wie beim Autofahren, wo es am Anfang den Fahrlehrer gebe, der mitbremsen und zur Not ins Lenkrad greifen könne. Am Ende bestimmt jedoch das selbständige Losfahren ohne fremde Hilfe das In-der-Musik-Sein. Nicht die Übungsstunde und schon gar nicht der Leh-rer. Und das immer wieder aufs Neue.

Besonders der Gedanke an das stetig unstete Wesen der Musik scheint Nikolaus von Bülow zu faszinieren und ihm größter Ansporn zu sein. Es geht um nicht weniger als die Tatsache, dass ein Musikstück eben nie „zu Ende interpre-tiert“ werden kann. Immer wieder neue Impulse von Außen kumulieren sich in einer bestimmten Interpretation, die die-se eine ist. Aber eben nur für einen bestimmten Moment. „Es hört ja nie auf“, sagt er dann und man kann die Neugierde heraushören, auf alles, was noch kommen mag. Wie zur Er-gänzung schiebt er hinterher, wie er kürzlich die Noten zu Haydns Cellokonzert C-Dur zur Hand genommen habe. Mit ungefähr zwölf Jahren habe er es zum ersten Mal gespielt. Aus dieser Zeit stammten auch noch die von kindlicher Handschrift geführten Bleistifteintragungen seiner Finger-sätze. Von Bülow hat sie heraus radiert. Und neue, aktuelle eingetragen.

Es liegt wohl in der Natur der Sache, dass zehn Dienst-jahre als 2. Solocellist beim Stuttgarter Kammerorchester Anlass zur Zwischenbilanz geben. Und so blickt er zurück auf die Anfangszeit, als er 2007 nach erfolgreichem Probe-spiel beim Stuttgarter Kammerorchester seinen Dienst antrat und als junger Musiker den Generationswechsel einläutete. Und obwohl zehn Jahren in Kammerorchester-Dimensionen gerechnet gar keine endlos lange Zeit sind, gehört er mitt-lerweile selbst zu den Alteingesessenen. Und wie sehen die nächsten zehn Jahre aus? „Es gibt noch viel zu tun,“ sagt er und spricht über renommierte Konzertsäle, brillante Solisten und ein frenetisches Publikum. Sie alle warten schon auf ihn und das Stuttgarter Kammerorchester. Und er hat ja recht: es hört eben nie auf.

Margret Findeisen

Page 8: SKO Times - Stuttgarter Kammerorchesterstuttgarter-kammerorchester.com/wp-content/uploads/... · SKO Times Zeitung für Musikliebhaber 6. Ausgabe • März 2017 Seit kurzem ist es

6. Ausgabe • März 2017 • Seite 8

KonzertkalenderDonnerstag, 9. März 2017, 19 UhrTheaterhaus Stuttgart, T1

Konzert mit dem PatenschaftsorchesterMatthias Foremny / LeitungJunges Streichorchester Weil im Schönbuch

R. Vaughan Williams: Fantasia on a Theme by Thomas Tallis für doppeltes Streichorchester

Donnerstag, 9. März 2017, 20 UhrTheaterhaus Stuttgart, T15. Abokonzert: Olympische Klangspiele

Sonntag, 12. März 2017, 20 UhrLaupheim, KulturhausFreitag, 17. März 2017, 20 UhrLörrach, BurghofGastspiel Matthias Foremny / LeitungFlorian Uhlig / Klavier

W. Lutoslawski: Ouvertüre für StreichorchesterL. van Beethoven: Konzert für Klavier und Orchester B-Dur Nr. 2 op. 19B. Dean: Etüdenfest für Streicher und obligates KlavierJ. Haydn: Symphonie Nr. 83 g-Moll „La Poule“

Tickets Stuttgart: www.kulturgemeinschaft.de, Tel. 0711 / 22 477 - 20

Dienstag, 14. März 2017, 20 UhrLiederhalle Stuttgart, Mozart-Saal

Konzert mit den BOSCH Streichersolisten

Robert Wieland / LeitungNikolaus von Bülow / VioloncelloYu Zhuang, Piotr Szabat / Violine

mit Werken von G. Mahler, P.I. Tschaikowski, A. Bazzini u.a.

Donnerstag, 23. März 2017, 19.30 UhrTheaterhaus Stuttgart, T1

SKO-Sternstunden: Der Zauber des FlamencoMauricio Sotelo / LeitungFuensanta „La Moneta“ / Flamenco TanzAgustín Diassera / Flamenco PercussionBenjamin Schmid / Violine

Präludium – Bulería: PercussionD. Scarlatti / M. Sotelo: Sonata in F-Dur K 107 (UA) / Sonate in f-Moll K 184 (UA)Interludio I – Soleá: La Moneta und PercussionD. Scarlatti / M. Sotelo: Sonata in g-Moll K 450 (UA) / Sonata in G-Dur K 455 (UA)Interludio II – Alegrías: La Moneta und PercussionD. Scarlatti / M. Sotelo: Sonata in b-Moll K 87 (UA)F. Chopin / M. Sotelo: 2 Präludien (Nr. 4 und Nr. 8) für Violine und Streichorchester (UA)M. Sotelo: Red Inner Light Sculpture für Violine, Flamenco-Tän-zerin, Flamenco-Percussion und Streichorchester

Tickets: Theaterhaus Stuttgart, Tel. 0711 / 40 20 7 - 20, www.theaterhaus.com

Mit freundlicher Unterstützung von

Mittwoch, 29. März 2017, 20 UhrSulzbach-Rosenberg, Aula der Berufsschule

GastspielBogdan Božović / LeitungNikolaus von Bülow / Violoncello

W.A. Mozart: Divertimento B-Dur KV 137J. Haydn: Konzert für Violoncello und Orchester C-Dur Hob. VIIb:1P.I. Tschaikowski: Serenade C-Dur op. 48 für Streichorchester

Samstag, 1. April 2017, 19 UhrOberkochen, Carl-Zeiss-Kulturkantine

GastspielDavid Gazarov / Klavier und LeitungMini Schulz / KontrabassObi Jenne / Schlagzeug

Werke von u.a. G. Gershwin, K. Weill, arrangiert von D. Gazarov

Sonntag, 23. April 2017, 19 Uhr Donaueschingen, Donauhallen

Gastspiel Matthias Foremny / LeitungAlexandra Conunova / Violine

CPE Bach: Hamburger Symphonie Nr. 2 B-Dur Wq 182/2P. Vasks: Vox amoris. Fantasia per violino ed archiW.A. Mozart: Symphonie Nr. 29 A-Dur KV 201 (186a)

Montag, 24. April 2017, 19 UhrStuttgart, Stiftskirche

Vortrag: Franz von Sales (1567 – 1622)Bischof, Seelsorger und Mystiker im Zeitalter der KirchenreformNiccolo Steiner SJ

Freitag, 28. April 2017, 19 Uhr Stuttgart, Stiftskirche

San Francesco di Sales Sonderkonzert der Stunde der Kirchenmusik Fabio Biondi / Violine und LeitungMonica Piccinini, Roberta Mameli / SopranDelphine Galou / Alt, Luca Tittoto / Bass

F. Feo: San Francesco di Sales. Oratorio a quattro voci con strumenti

Tickets: www.reservix.de, Tel. 01806 / 700 733

Donnerstag, 4. Mai 2017, 19 Uhr Augustinum Stuttgart-Killesberg

Klingende Bilder aus Ost und West Bogdan Božović / LeitungNikolaus von Bülow / Violoncello

G.P. Telemann: Suite in B-Dur „Les Nations“ TWV 55:B5J. Haydn: Konzert für Violoncello und Orchester C-Dur Hob. VIIb:1M. Ravel: Streichquartett F-Dur op. 35

Tickets: www.reservix.de, Tel. 01806 / 700 733

Samstag, 6. Mai 2017, 20 UhrHansesaal, LünenSonntag, 7. Mai 2017, 19 UhrVennehof, Borken

GastspielMatthias Foremny / LeitungAlexandra Conunova / Violine

CPE Bach: Hamburger Symphonie Nr. 2 B-Dur Wq 182/2P. Vasks: Vox amoris. Fantasia per violino ed archiW.A. Mozart: Symphonie Nr. 29 A-Dur KV 201

Samstag/Sonntag, 13./14. Mai 2017, 19 UhrLiederhalle Stuttgart, Beethoven-Saal

Akademiekonzert V der Internationalen BachakademieHans-Christoph Rademann / LeitungRegula Mühlemann / Sopran, Michaela Selinger / Alt,Jussi Myllys / Tenor, Tareq Nazmi / BassGaechinger Cantorey

F. Schubert: Messe Nr. 2 G-Dur D 167F. Schubert: Symphonie Nr. 5 B-Dur D 485W.A. Mozart: „Ah, lo previdi“ - „ Ah, t‘invola“ - „Deh, non var-car“ Rezitativ, Arie und Cavatine für Sopran KV 272W.A. Mozart: Missa in C „Krönungsmesse“ KV 317

Tickets: www.bachakademie.de, Tel. 0711 / 619 21 61

Freitag, 19. Mai 2017, 20 Uhr Musikhochschule Stuttgart, Konzertsaal im Turm

Neue S@ITEN: Neue Musik des Südens Mauricio Sotelo / LeitungAleph Gitarrenquartett

L. Boccherini: La musica notturna delle strade di Madrid op. 30 Nr. 6M. Hidalgo: 6 Bagatellen - Zyklus von Kleinigkeiten, Bearbeitung von Beethovens Bagatellen op. 126M. Sotelo: Y los arcos vacíos por el cielo für Gitarrenquartett und Streichorchester (UA)G.F. Haas: Quartett für 4 Gitarren

Tickets: www.reservix.de, Tel. 0711 / 212 46 21

Samstag, 27. Mai 2017, 20 Uhr Oettingen, ResidenzschlossGastspiel

Sonntag, 28. Mai 2017, 20 UhrLiederhalle Stuttgart, Hegel-Saal8. Abokonzert: Ein Fest für Mozart

Robert Levin / Klavier und Leitung

A. Rosetti: Symphonie Nr. 37 in B-Dur W.A. Mozart: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 19 F-Dur KV 459W.A. Mozart: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 18 B-Dur KV 456

Tickets Stuttgart: www.kulturgemeinschaft.de, Tel. 0711 / 22 477 - 20

Freitag, 16. Juni 2017, 20 Uhr Theaterhaus Stuttgart, T2

Neue S@ITEN: ELAÍA - Ritual an den Olivenbaum Rupert Huber / Gesang und Leitung Maria de Alvear / GesangNeue Vocalsolisten / Chor

R. Huber: Das Ölblatt (UA)M. de Alvear: Gesang an den Ölbaum (UA)R. Huber: Licht der Öllampe (UA)

Tickets: Tel. 0711 / 40 20 7 - 20, www.theaterhaus.com

Donnerstag, 29. Juni 2017, 20 UhrMusikhochschule Stuttgart, Konzertsaal im Turm

Projekt mit der Dirigierklasse Prof. Per BorinStudierende der Dirigierklasse Prof. Per Borin / Leitung

Tickets: www.reservix.de, Tel. 0711 / 212 46 21

Sonntag, 2. Juli 2017, 18 UhrLiederhalle Stuttgart, Beethoven-Saal

Die Jahreszeiten - Ein Inklusives KinderkonzertJörg Hannes Hahn / Leitung

J. Haydn: Die Jahreszeiten

Tickets: Tel. 0711 / 2 555 555

Sonntag, 16. Juli 2017, 18 Uhr Stuttgart, Schlossplatz

Jazz Open mit Quincy Jones & Friends

Tickets: www.easyticket.de, Tel. 0711 / 99 79 99 99

Donnerstag, 20. Juli 2017, 19.30 UhrLiederhalle Stuttgart, Mozart-Saal

SKO-Sternstunden: Jenseits von Afrika Matthias Foremny / LeitungJulia Stemberger / SprecherinBogdan Božović / Violine, Manuel Hofer / ViolaBettina Aust / Klarinette

J. Barry: Titel aus dem Soundtrack zu „Jenseits von Afrika“Teile aus:W.A. Mozart: Konzert für Klarinette A-Dur KV 622W.A. Mozart: Sinfonia concertante Es-Dur für Violine, Viola und Orchester KV 364 W.A. Mozart: Divertimenti KV 136-138

Tickets: www.reservix.de, Tel. 01806 / 700 733

Mit freundlicher Unterstützung von

Die Letzte Seite