Sonderdruck aus Strahlenschutz in Forschung und Praxis · der Biologie und in der Medizin so viele...

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Sonderdruck aus Strahlenschutz in Forschung und Praxis Band 3 '-^43; Jahrbuch der Vereinigung Deutscher Strahlenschutzärzte e. V. Herausgegeben von Hans-Joachim Melching, Freiburg; Hans Robert Beck, Karlsruhe; Hans-Adolf Ladner, Freiburg; Eberhard Scherer, Essen Verlag Rombach Freiburg im Breisgau

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Sonderdruck aus

Strahlenschutzin Forschung und PraxisBand 3 • '-^43;

Jahrbuch der Vereinigung Deutscher Strahlenschutzärzte e. V.Herausgegeben von Hans-Joachim Melching, Freiburg; Hans Robert Beck,Karlsruhe; Hans-Adolf Ladner, Freiburg; Eberhard Scherer, Essen

Verlag Rombach Freiburg im Breisgau

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HERMANN FLOHN

Natürliche und künstliche Radioaktivität in der Atmosphäre

Neben den Hauptbestandteilen der atmosphärischen Luft — 78 % Stick-stoff, 21 % Sauerstoff, etwa 0,9% Argon, 0,03% CO2 und in wechselnderMenge Wasserdampf - gibt es in ihr zahlreiche Spurenstoffe, teils Gase,teils flüssige oder feste Bestandteile, die in feinster Verteilung (Staub,Aerosol) in der Luft schweben. Manche Gase lagern sich mindestensteilweise an Aerosolpartikel an. Zu diesen Spurenstoffen gehören auchradioaktive Substanzen (l, 2), die in ständigem Austausch mit dem Gesteins-untergrund, dem Meer und dem Kosmos immer wieder erneuert werden.

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Ihre radioaktive Strahlung erlaubt eine quantitative Bestimmung selbstnoch in sehr starker Verdünnung. Sie sind somit hervorragend geeignet,in neuartiger Weise die Transportvorgänge in der Atmosphäre unmittel-bar zu verfolgen.Die Bewegungsvorgänge - der Wind, aber auch die turbulente Durch-mischung verschiedener Größenordnung - lassen sich in der Atmosphärein zwei prinzipiell verschiedenen Koordinatensystemen verfolgen (7).Die üblichen meteorologischen Elemente (Wind, Temperatur, Luftdruck,Wasserdampfgehalt) messen wir an festen Stationen als Funktion der Zeit.Für die Messungen in der freien Atmosphäre - mittels Ballon, Radio-sonde und Hochfrequenzpeilung - gilt dasselbe, wenn wir die zeitlicheDauer und die horizontale Erstreckung einer solchen Sondierung ver-nachlässigen. In mathematischer Sicht handelt es sich um die sogenanntenEulerschen Ortskoordinaten, in denen wir die zeitlichen Änderungen derMeßgrößen an festgehaltenem Ort verfolgen. Folgen wir aber der Bahneines Luftteilchens oder eines passiv mitgeführten Aerosolteilchens, dannunterliegt dieses den örtlichen und zeitlichen Zustandsänderungen derAtmosphäre: der turbulenten Bewegung des Windes, der Erwärmung undAbkühlung durch Vertikalbewegungen (adiabatisch) und durch Strah-lung usw. (nichtadiabatisch oder besser diabatisch). Diese individuellenÄnderungen lassen sich mathematisch verfolgen in Form der Lagrange-schen Numerierungs- oder Bahnkoordinaten, in denen die zeitlichen Än-derungen eines festgehaltenen Teilchens dargestellt werden. Messungenin diesem Koordinatensystem sind in der Atmosphäre recht schwierig;

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selbst wenn wir einen im Gleichgewicht mit der Atmosphäre gehaltenenBallon schweben lassen (»constant pressure balloon«), dann schwimmtdieser auf einer »Isobaren« Fläche gleichen Luftdrucks mit dem Windemit, kann aber nicht den Vertikalbewegungen individueller Teilchen fol-gen. Die heutige Meßtechnik erlaubt, in gewissem Ausmaß die Bahn vonradioaktiven Gas- oder Aerosolteilchen zu verfolgen, wobei außer dennatürlichen radioaktiven Elementen auch künstlich-radioaktive Isotopeverwendet werden können. Es handelt sich also hier in der Meteorologie— wie ganz ähnlich in anderen Teilgebieten der Geophysik, der Hydrologieund Ozeanographie - um eine Indikator- oder Tracertechnik, wie sie inder Biologie und in der Medizin so viele bedeutsame neue Erkenntnisseermöglicht hat.Die natürlichen radioaktiven Bestandteile der Luft entstammen zum größ-ten Teil dem festen Gesteinsuntergrund, der Litbosphäre. In der Litbosphäre(3,15) sind die langlebigen 40K, 238U (Gewichtsanteil je etwa 3 • l O-6) und 232Th(etwa 12-1O6) die wichtigsten Träger der Gesteinsaktivität. Dazu kommtnoch 87Rb (etwa 75TO~6), das aber nur eine sehr schwache ß-Strahlung ab-gibt; alle diese Substanzen haben Halbwertzeiten von 109-1010 Jahren. DieStrahlung der beiden wichtigsten, Uran und Thorium, liegt bei l-ICH2 Curieoder l Picocurie (pC) pro Gramm. Alle übrigen radioaktiven Isotopeoder Umwandlungsprodukte sind wesentlich seltener. Von Uran undThorium gehen die bekanntesten Folgeprodukte aus; zu ihnen gehörenauch gasförmige, wie Radiumemanation oder Radon (22aRn, Halbwertzeit3,8 d) und Th-Emanation oder Thoron (220Tn, Halbwertzeit 55 sec). DieAktinium-Emanation (Aktinon,219An) mit einer Halbwertzeit von knapp4 sec kann praktisch vernachlässigt werden (Abb. 1).Hinzu kommen die Isotope, die durch die natürliche, überaus energiereichekosmische Strahlung in den Gasen der Atmosphäre gebildet werden (4, 11).Zu ihnen zählt in erster Linie das Radiokarbon 14C, ein ß-Strahler mit derHalbwertzeit von etwa 5600 a, das aus Stickstoff MN in einer Rate vonl bis 2 Atomen pro cm2 und Sekunde erzeugt wird. Seine relative Häufig-keit im Vergleich zu dem normalen Kohlenstoff 12C (14C :12C) beträgt etwa1,2'10"12. Seine Umsetzungen zwischen Atmosphäre und Biosphäre (Pflan-zen und Tiere) sowie mit dem Meere werden heute sehr gründlich unter-sucht, zumal sich aus der weiten Verbreitung und der geeigneten Halb-wertzeit eine sehr wichtige Datierungsmethode ergeben hat. Ferner werdenBeryllium-Isotope(7Beund 10Be, mit Halbwertszeiten von 53d und 2,5TOGa)erzeugt, die mit einer Rate von 0,08-0,09/cm2sec aus Stickstoff und Sauer-stoff gebildet werden; dabei ist die Bedeutung von 10Be als ß-Strahler ge-ring. Von größerer Bedeutung ist wieder das Tritium 3H, ein ß-Strahlermit der Halbwertzeit von 12,3 a, der aus Stickstoff, Sauerstoff und Kohlen-stoff entstehen kann, mit einer Rate von 0,26/cm2sec. Das Häufigkeits-verhältnis von Tritium zu Wasserstoff fH^H) liegt bei 10 14bis IQ-16, aberwegen der großen Verbreitung spielt Tritium als Tracer in der Geophysik

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eine große Rolle. Die übrigen Umwandlungsprodukte der kosmischenStrahlung treten demgegenüber zurück, da ihre Entstehungsrate sich nurauf einige Atome pro cm2 und Tag oder gar nur Jahr beläuft, ihre Halb-wertszeit meist auch nur auf Tage oder Monate.In der Troposphäre überwiegen die aus der Lithosphäre stammendenradioaktiven Folgeprodukte bei weitem: die Konzentration von Radonbeträgt etwa IQ-11 bis 10-13, das heißt ein Atom Rn auf 1011 bis 1013 Atomealler übrigen Konstituenten der Luft (hauptsächlich Stickstoff und Sauer-stoff). Demgegenüber beträgt die Konzentration von 14C etwa 4-1O16, dievon 3H sogar nur etwa 1-1O17; diese in der Atmosphäre gebildeten natür-lich-radioaktiven Isotope sind also um etwa vier Zehnerpotenzen seltenerals die aus dem Boden stammenden. In höheren Schichten sind die Ver-hältnisse anders (siehe auch Seite 218 f.).

10km

1km

100m

10m

1m

An

Tn

Rn

0,1 m10- 10,-4 10,-3 10-2 10- 1

Abb. l: Änderung der Konzentration von Radon, Thoron und Actinon mit derHöhe; nach Modellrechnungen von JACOBI (16) unter der Annahme eines bisl km Höhe linear zunehmenden, darüber konstanten Austauschkoeffizienten.

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Die natürliche Radioaktivität entstammt somit - abgesehen von einemganz geringen Anteil (weniger als l Promille) - dem Erdboden, wird vondort mit der Bodenluft exhaliert und verteilt sich in der Atmosphäre ge-mäß den Austauschgesetzen (16). Dabei spielen Thoron und Aktinonwegen ihrer geringen Halbwertzeit nur in den bodennahen Schichteneine Rolle. Demgegenüber wird Radon durch den Austausch bis in dieobere Troposphäre getragen, wenn auch seine Konzentration oberhalb1-2 km Höhe deutlich abnimmt (Abb. 1). Diesem allgemeinen Gesetz -dessen Auswirkung im Detail sich wegen der raumzeitlichen Änderungendes Austauschkoeffizienten nur näherungsweise abschätzen läßt - über-lagern sich die sehr großen Schwankungen der Exhalation von Radonaus dem Boden (l, 15). Diese ist zunächst geologisch bedingt: in der Ver-teilung radioaktiver Mineralien im Felsuntergrund. So schwankt derRadongehalt der Bodenluft (meist in l m Tiefe) zwischen 0,01 und über20 pC/cm3, wobei die hohen Werte nur in Gebieten hoher Gesteinsradio-aktivität auftreten, so im Harz, im Erzgebirge (Freiberg, Schneeberg)oder in den Alpen. Diese Konzentration des Radons in der Bodenluftwird verschiedentlich - so in einem Bergwerksstollen bei Gastein oderfrüher in Oberschlema - therapeutisch ausgenutzt. In den Jahren vor 1938bemühten sich viele Kurorte um den Nachweis einer möglichst hohenRadioaktivität in Luft und Quellwasser; das hat sich inzwischen (aus be-kannten psychologischen Gründen) etwas geändert.Diese Exhalation von Radon ist darüber hinaus auch vom Wetter starkabhängig: sie nimmt zu bei fallendem Luftdruck, Einstrahlung und Er-wärmung, dagegen ab bei steigendem Luftdruck, Niederschlag und beson-ders bei gefrorenem Boden. Deshalb und wegen des Vertikalaustauschesfinden wir die höchsten Rn-Mengen in der bodennahen Luftschicht (bis2 m Höhe) gegen Sonnenaufgang, die geringsten am frühen Nachmittag(17). Über dem Meer ist die Rn-Konzentration wegen der fehlenden Ex-halation ganz gering. Schalten wir die Gebiete hoher Gesteinsaktivität aus,so ist der Rn-Gehalt der unteren Luftschichten um etwa zwei Zehnerpoten-zen geringer als der der Bodenluft: die in der Literatur angegebenenMittelwerte - Festland ohne Gebirge und Küsten 100-150, Alpen 300,Küstengebiete 10, Ozeane l Picocurie/m3 (l pC/m3 = 10'6 pC/cm3) —sind nur zur ersten Orientierung geeignet. Mit hohen Werten müssen wirbesonders im Bereich des Urgesteins rechnen, zum Beispiel in Fennoskan-dien, in Kanada oder in den alten Massiven der Südkontinente einschließ-lich Indiens (Gondwanaland).Neuerdings ist bekanntgeworden, daß in der Nähe verbreiteter Thorium-lagerstätten (Monazit) in Indien und Südbrasilien die Radioaktivität derbodennahen Luft ganz erheblich größer ist als bei allen bisherigen Mes-sungen (siehe auch Seite 218).Die Menge der durch die kosmische Strahlung erzeugten Luftradioaktivi-tät (vor allem 14C und 3H) richtet sich nach der räumlichen Verteilung

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500 T 000 2000 Sterne/Set/Z 000

10 20 30 KO 50 SO 70 80 90geomagn, Br. ———

Abb. 2: Zahl der Kernspaltungen pro 105 g Luft und Sekunde als Funktion vonHöhe und Breite (19); am linken Bildrand Druck in mbar.

der von ihr hervorgerufenen Kernspaltungen (Abb. 2). Diese (11, 19) be-sitzt ein ausgesprochenes Maximum in der Stratosphäre hoher Breiten(oberhalb 100 Millibar sä 16 km Höhe), dagegen ein Minimum in Boden-nähe in tropischen Breiten. Wenn wir die Abnahme der Dichte mit derHöhe in Rechnung stellen (sie ist in der Troposphäre etwas geringer alsdie des Druckes), wird die Zunahme der Kernreaktionen mit der Höhenoch viel stärker. Eine geringe Abhängigkeit von der geographischenLage erklärt sich als Folge des Zusammenhanges der kosmischenStrahlung mit dem etwas exzentrischen Magnetfeld der Erde. Die vorwie-gend in der Stratosphäre entstehenden radioaktiven Isotope werden durchden Austausch (Näheres vgl. Seite 226) in die Troposphäre hinabbefördert.Der sehr starke atmosphärische Horizontalaustausch bewirkt in Zeit-räumen der Größenordnung von 6—12 Monaten — die klein sind gegenüberden Halbwertszeiten - eine ziemlich gleichmäßige Durchmischung, so daßzum Beispiel der 14C-Gehalt in den Polargebieten in der Troposphärevom globalen Durchschnitt nur unwesentlich abweicht.Die kosmische Strahlung ist zwar nicht konstant (11); ihre von der Sonnestammende Komponente schwankt innerhalb eines Sonnenfleckenzyklusum den Faktor 2-4, und bei Sonneneruptionen werden neuerdings starkeAnstiege des Neutronen- und Protonenanteils der kosmischen Strahlungberichtet. Aber die zeitlichen Unterschiede in der 14C- und 3H-Produktionsind sicher viel kleiner (19). Aus Untersuchungen an Meteoriten und anden Wachstumsringen der Bäume hat man gefunden, daß der 14C-G ehaltin den letzten 1000 Jahren nur um wenige Prozent schwankte, selbst ineinigen Millionen Jahren höchstens um einen Faktor 2. Bei der sehr ge-ringen Konzentration der radioaktiven Isotope in der Atmosphäre haben

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hingegen die Kernwaflenexperimente der letzten Jahre eine sehr erheb-liche Zunahme bewirkt (11): bei 14C um etwa 25 %, bei 3H wahrscheinlichum einen Faktor von etwa 100.Die künstliche Radioaktivität hat nun seit dem Beginn umfangreicher Kern-waffenversuche weltweites Interesse gefunden. Hier wurden Aerosol-partikel in Form radioaktiver Isotope in die Atmosphäre injiziert. Da derFeuerball atmosphärischer Atomexplosionen einen überaus starken Auf-trieb erzeugt, wird der größte Teil dieser Kondensationsprodukte in dieStratosphäre gebracht, wobei die erreichte Höhe von der Stärke der Ex-plosion (gemessen durch Vergleich mit der Sprengwirkung von Kilo-tonnen oder Megatonnen gewöhnlichen Sprengstoffes) abhängt. Hierbeiergeben sich drei Problemgruppen:a) Strahlungswirkung der künstlichen Radioaktivität im Vergleich zur natür-

lichen;b) Transport dieser künstlichen Aerosolpartikel in der Atmosphäre, ein-

schließlich Ausfall und Sedimentation an der Erdoberfläche;c) Haushalt der natürlichen und künstlichen Radioaktivität.Die Strahlungswirkung (18) der natürlichen Radioaktivität setzt sichhauptsächlich zusammen aus der direkten y-Strahlung des Untergrundes,dem Radon- bzw. Thorongehalt von Luft und Wasser und der kosmischenStrahlung. Die erstgenannten Größen können starken Schwankungenunterliegen, doch kann man für die meisten Länder Werte zwischen 50und 300 mrad/a annehmen. Die Maximalwerte treten in radium- oderthoriumhaltigem Urgestein auf; hier steigen in Südindien (Kerala) dieWerte bis 2800, in Brasilien (Minas Geraes) sogar bis 12 000 mrad/a - dasheißt l rad pro Monat! - an. Die kosmische Strahlung trägt davon imMeeresniveau 34-45, an der Obergrenze der menschlichen Siedlung (in4600 m Höhe) 175-300 mrad/a bei; in 10 km Höhe steigt sie bereits auf2500 mrad/a an. Bei Raumflügen ist die Strahlenbelastung bis zu siebenZehnerpotenzen höher: im Van-Allen-Gürtel (in einigen 10 000 km Höhe)existiert durch den magnetischen Einfang solarer Protonen und Elektroneneine Strahlenbelastung von 20-200 rad/h, während eines solaren Aus-bruchs noch mehr. Bekanntlich ist die Strahlenbelastung durch radioaktiveLeuchtzifferblätter, Röntgenuntersuchungen usw. in vielen Fällen höherals die natürliche Umgebungsstrahlung; als Schätzung der gesamtendurchschnittlichen Belastung durch die Umgebungsstrahlung wird etwa1500 mrad/a angegeben. Hierzu vgl. die Diskussionsbemerkung des Ver-fassers im Anschluß an den Diskussionsbeitrag von G. WAGNER S. 229.Demgegenüber beträgt die durch die Kernwaffenversuche in den Jahren1954 bis 1959 hervorgerufene zusätzliche Strahlenbelastung nur wenige(1-7) Prozent dieser Umgebungsstrahlung, so daß eine übertriebene Be-unruhigung der Bevölkerung bisher jedenfalls nicht gerechtfertigt ist.Dies gilt auch für Flüge in den heutigen Düsenflugzeugen in 10-12 kmHöhe: zwar steigt die Zerfallsrate durch die künstlichen Kondensations-

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produkte der Kernwaffen in der Stratosphäre auf das 10- bis lOOfachegegenüber den bodennahen Schichten an, aber die durch die natürlichekosmische Höhenstrahlung erzeugte unvermeidliche Belastung ist nor-malerweise noch um eine bis zwei Zehnerpotenzen größer. Allerdingskönnen in engbegrenzten radioaktiven Schwaden (»Wolken«) Wertegleicher Größenordnung auftreten. Selbst die bisher beobachteten Reaktor-unfälle brachten in der weiteren Umgebung eine zusätzliche Belastungvon nur 30-75 mrad.Die künstliche Radioaktivität in der Luft und im Niederschlag wird in derBundesrepublik Deutschland an vielen Stellen fortlaufend gemessen (13);neben den Meßreihen einiger Hochschulinstitute besteht auf Grund einesBundesgesetzes ein amtliches Stationsnetz des Deutschen Wetterdienstesmit heute elf Stationen, dazu noch fünf weitere Niederschlagsmeßstellen.In Königstein am Taunusrand wird auch laufend der Gehalt der Nieder-schläge an zwölf bekannteren Nukliden bestimmt, darunter 90Sr, 137Csund 131J; allgemein beschränken sich die Messungen auf langlebige, nitrier-bare bzw. ausgewaschene Spaltprodukte.Während die ersten amerikanischen Versuchsserien bis 1956 nur einenrelativ unbedeutenden Anfall lieferten, stiegen die Meßwerte in den fol-genden Jahren, besonders aber im Frühjahr 1959 - etwa sechs Monatenach dem ersten Versuchsstop —, kräftig an. Aber die künstliche Luft-radioaktivität blieb immer noch unter 10 % der natürlichen Luftradioaktivi-tät, und auch die Niederschlagsaktivität erreichte - von ganz vereinzeltenkurzfristigen Spitzen abgesehen - nie ein wirklich beunruhigendes Aus-maß. Im Sommer 1959 trat - früher und stärker als nach theoretischenÜberlegungen erwartet - ein rasches Absinken auf ganz niedrige Werteein, wie sie in Mitteleuropa seit dem Winter 1953/54 nicht mehr beobachtetworden waren. Ein unbedeutender kurzfristiger Anstieg im Frühjahr 1960hing mit den französischen Versuchen in der Sahara zusammen. Kurznach dem Wiederbeginn der russischen Tests im September 1961 stiegendie Werte wieder auf das Zehn- bis Zwanzigfache an und überschritten inder bodennahen Luft sogar die 1959 beobachteten Zahlen (Abb. 3), wohlwegen der relativen Nähe der sowjetrussischen Versuchsgebiete in derArktis und in Mittelsibirien.Die Ausbreitung dieser radioaktiven Aerosolbestandteile geht natürlichmit dem Wind vor sich, wobei die radioaktiven Schwaden durch die Tur-bulenz und das Wettergeschehen (10, 14) immer mehr auseinandergezerrtwerden, fast immer mit abnehmender Konzentration. Eine grundsätzlicheSchwierigkeit bei der Überwachung dieser Transportvorgänge wurdebereits erwähnt (vgl. Seite 213): -wir sind nicht in der Lage, -wahre Luftbahnenin Lagrange-Koordinaten fortlaufend zu verfolgen, da wir nur ortsfesteMessungen (im Eulerschen Koordinatensystem) haben. Die damit fest-gelegten Stromlinien stimmen aber mit den Luftbahnen (Trajektorien) nurdann überein, -wenn das Windfeld stationär ist, das heißt sich nicht mit

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Luft

1957 1 1958 l 1959 1 1960 l 1961 1 1962 1

-pC/lNiederschlag

Abb. 3: Meßwerte der künstlichen (langlebigen) Radioaktivität der Luft und derNiederschläge in der Bundesrepublik Deutschland (Stationsnetz des DeutschenWetterdienstes, 1957-62).

der Zeit ändert, mit anderen Worten: wenn wir kein Wetter haben. Daaber die Veränderlichkeit des Wetters und der Winde - übrigens in allenBreiten, selbst in den Tropen - das einzig Beständige in der Atmosphäreist, weichen die Luftbahnen erheblich von den Stromlinien ab. Unserheutiges aerologisches Stationsnetz liefert alle zwölf Stunden gleichzeitigeMessungen der üblichen meteorologischen Elemente (Wind, Druck, Tem-peratur, Feuchte) bis 20-30 km Höhe hinauf, mit einem Stationsabstandvon rund 300 km über Land, 600-1000 km über den Ozeanen und nochmehr in den Tropen und auf der Südhalbkugel. Eine einigermaßen voll-ständige Überwachung der Luftbahnen setzt eine Verdichtung auf einenräumlichen Abstand von ca. 100 km, vor allem aber auf einen zeitlichenAbstand von einer bis zu zwei Stunden voraus, die wegen der hohen Kostenpraktisch unrealisierbar ist. Schon heute erweist sich das Beobachtungs-material als so umfangreich, daß eine wirklich vollständige und recht-zeitige Bearbeitung die Automation der Analyse mittels moderner Groß-rechenanlagen fordert. Derartige Anlagen - über die in absehbarer Zeit

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auch der Deutsche Wetterdienst verfügen wird - erlauben dann aber auchdie angenäherte mathematische Ermittlung wahrer Luftbahnen.Immerhin ist es bereits jetzt möglich, näherungsweise diese Ausbreitungfür ein bis zwei Tage abzuschätzen, sofern die Ausgangsdaten (Intensität,Ort, Zeit, Höhe und vertikale Erstreckung der Explosion) genügend be-kannt sind. Hierbei sind vor allem die überaus kräftigen Windsysteme deroberen Troposphäre und unteren Stratosphäre (Strahlströme mit Geschwin-digkeiten bis zu 400, ja vereinzelt 600km/h) maßgebend, die die radioaktivenSchwaden in mittleren und subtropischen Breiten in acht bis zehn Tagenum den Erdball tragen können. Die gröberen Teilchen fallen selbst - jenach ihrem Gewicht, mit anderen Worten etwa ihrem Durchmesser - ver-schieden rasch und werden vom Wind vertragen; bei schwachem Windresultiert ein konzentrischer Ausfall, bei stärkerem dagegen ein relativschwacher Ausfall auf einem großen Gebiet. Dieses Transportproblemgewinnt eine große Bedeutung bei den heutigen Kernreaktoren. Wennbei einem Reaktorunfall hochkonzentrierte Aerosolschwaden in die Frei-luft gelangen, wie etwa bei dem Windscale-Unfall (10. Oktober 1957),dann wird eine sofortige Aussage benötigt. Verwandt damit ist das Problemder Reaktorlüftung - besonders bei luftgekühlten Reaktoren -; es istvielleicht noch wichtiger, weil es ständige Aufmerksamkeit und fach-meteorologische Beratung erfordert. Besonders in einigen Gebieten - wiein der Oberrheinebene — treten häufig Wetterlagen mit einer Temperatur-zunahme nach oben (Inversion) auf, die den Vertikalaustausch sperrt unddie normale rasche Vermischung der radioaktiven Abgase mit der um-gebenden Luft verhindert. Auch die Konzentration der natürlichen Radio-aktivität steigert sich unter diesen Bedingungen erheblich, wie Messungenin Gastein gezeigt haben.Atmosphärische Transportprobleme können in sehr verschiedener Größen-ordnung auftreten. Kleinräiimige Transporte (zum Beispiel Ausbreitung vonRauch hinter einem Schornstein) spielen sich in einer räumlichen Skala vonl cm bis l km, in einer zeitlichen von Sekunden und Minuten ab. Groß-ränmiee Transporte (zum Beispiel Kontamination nach einem Reaktorunfall)werden von den gleichen Vorgängen beherrscht, die auch den Wetterablaufbestimmen. Der Maßstab dieser Phänomene beträgt horizontal einige100 km, einige Stunden und Tage in der Zeitskala. Kernwaffenexperimentein der Atmosphäre gehen in ihrer Auswirkung noch darüber hinaus; hierhandelt es sich um globale Vorgänge innerhalb der allgemeinen Zirkulationder Atmosphäre (5), deren Größenordnung sich horizontal auf einige1000 km, zeitlich auf Wochen und Monate erstreckt. Diese globalen Trans-portvorgänge sind für den Meteorologen von ganz besonderem Interesse,da wir - als Folge der Ausdehnung unserer regelmäßigen Beobachtungenauf die unteren 30-35 km der Atmosphäre, in denen 99% ihrer Masse kon-zentriert ist, und den ganzen Globus - unsere mehr oder minder hypotheti-schen früheren Vorstellungen erheblich revidieren mußten.

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Für diese großräumigen Transportphänomene haben wir in den großen,in die Stratosphäre reichenden Vulkanausbrüchen (7, 10) - etwa des Kraka-tau (Indonesien) im August 1883, Katmai (Alaska) 1912 oder in geringeremAusmaß Hekla (Island) 1947 - Modellversuche vor uns, von denen wirvieles lernen können. Die mit den vulkanischen Staubmassen — die beimKrakatau mindestens 32 km Höhe erreichten - verbundenen optischenPhänomene (Bishop-Ring, blaue oder weiße Sonne, leuchtende Nacht-wolken usw.) haben die Verfolgung ihrer Ausbreitung erleichtert. Wirverstehen nunmehr auch ältere Beobachtungen von »Höhenrauch« nachderartigen Katastrophen - zum Beispiel 1783/84 nach großen Eruptionenin Island und Japan, 1815/16 nach dem vielleicht größten historischen Aus-bruch des Tambora, Indonesien, oder 1601 nach schwedischen Beobachtun-gen -, die in manchen Gebieten von ganz ungewöhnlichen Klima-Anoma-lien gefolgt waren. Eine hochtroposphärische Rauchwolke, wahrscheinlichvon ausgedehnten Waldbränden in NW-Kanada herrührend (September1950), ließ sich durch optische und Flugzeugbeobachtungen über Nord-amerika und den Atlantik bis nach Südeuropa hin verfolgen.In der freien Atmosphäre herrschen in erster Näherung Banale (breiten-kreis-parallele) Bewegungen vor. Meridionale Strömungen sind zwar inmittleren und höheren Breiten durchaus häufig, aber zeitlich-räumlich sehrveränderlich; in einigen Gebieten, besonders am Ostrand der großenKontinente, greifen sie regelmäßig in die Tropenzone aus. In der At-mosphäre können wir eine Anzahl großräumiger zonaler Windsystemeunterscheiden (Abb. 4):a) Außertropische Westu>ind%pne, in mittleren und höheren Breiten auf beiden

Halbkugeln vorherrschend, eingelagert die zum Teil sehr veränder-lichen Windmaxima der Strahlströme (Jp, Js) in 10-12 km Höhe, mitGeschwindigkeiten bis 150 m/s und darüber, in subtropischen Breitenziemlich stationär, in 10-15 km Höhe bis auf die Tropenzone übergrei-fend, über den Ozeanen sogar bis über den Äquator hinaus; vertikaleReichweite im Sommer bis 18-20 km Höhe, im Winter bis in dieMesosphäre in 50-80 km Höhe (vgl. d).

b) Tropische Ostströmtmg, zwischen etwa 30° S und 35° N entwickelt, überdem Ozean bis etwa 10 km Höhe reichend, über Afrika und dem Indi-schen Ozean auf der jeweiligen Sommerhalbkugel aber bis in dieStratosphäre (vgl. e), hier mit Geschwindigkeiten bis 75 m/sec (}T) in12-16 km Höhe, sonst meist nur schwach; in den unteren 1-2 km einge-lagert die Passate mit einer schwachen, äquatorwärts gerichteten Kom-ponente.

c) Äquatoriale Westströmung, nur über dem kontinentalen (afrikanisch-asiatisch-australischen) Sektor in den unteren Schichten (1-3 km, Indienbis 6 km) entwickelt: tropische Monsune aus westlichen Richtungen.

d) Stratosphärisch-mesosphärische Westivinde, auf der Winterhalbkugel(ab etwa 20° Breite) bis rund 80 km Höhe hin vorherrschend, an der

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Grenze des Schattenkegels der Polarnacht in 25-30 km Höhe Strahl-ströme (]PN) mit Geschwindigkeiten bis mindestens 100 m/sec.

e) Stratosphärisch-mesosphärische Ostivinde, auf der Sommerhalbkugeloberhalb 18-20 km sehr regelmäßig entwickelt; über der Äquatorial-zone in 30-35 km mit Geschwindigkeiten bis 75 m/sec, hier aber in nochnicht ganz geklärter Weise mit einem isolierten westlichen Windsystem(Ws) alternierend.

Innerhalb dieser zonalen Windsysteme mit mittleren Geschwindigkeitenvon 10-100 m/sec treten die meridionalen Komponenten im Mittel starkzurück. Zwar gibt es innerhalb der Westwindsysteme - besonders a) und d)- ständige wettermäßige Änderungen, zyklonale und antizyklonale Wirbel

Sommer Winter

Ozean

KontinentV*--'

Abb. 4: Planetarische Windsysteme (E = Ost) über den ozeanischen und kon-tinentalen Sektoren der Erde (nach FLOHN).Zeichenerklärung:JP = Polarfront-Strahlstrom (Jet) (W)Js = subtropische Strahlströmung (W)Jx = tropischer Ost-Strahlstrom (E)JPN = Polarnacht-Strahlstrom (W)JK = Krakatau-Ost-Strahlstrom (E) "l Höhenlage oberhalb 18km zeitlichWB = Berson-Westwinde J variabel, zum Teil Umkehr der Position\> schwache (statistisch vorwiegende) Komponente

< > großräumiger Horizontalaustausch===== Tropopausen

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und großräumige mäanderartige Wellensysteme. Diese rufen einen starken,»makroturbulenten« horizontalen Austausch hervor, der für die Ausbrei-tung von Partikeln eine hervorragende Rolle spielt; aber die mittlereMeridionalkomponente erreicht nur in einzelnen Schichten höchstens1-2 m/s. Noch kleiner ist die mittlere Vertikalkomponente (höchstenseinige cm/sec), die ebenfalls nur das Restglied eines kräftigen ungeordnetenVertikalaustauschs darstellt, der allerdings wegen der verschiedenenGrößenskala um etwa fünf Zehnerpotenzen kleiner ist als der horizontale.Im Gegensatz hierzu sind in den Ostwindgebieten b) und e) die wetter-mäßigen Änderungen auffallend gering.Dieser Horizontalaustausch (8, 9) - hervorgerufen durch großräumigeWellenbewegungen, Zyklonen und Antizyklonen, aber auch durch seitlicheTurbulenz - läßt sich statistisch einfach erfassen durch die Streuung derHöhenwinde. Der Gesamttransport setzt sich zusammen aus der zeitlichgemittelten Strömung und den unregelmäßigen zeitlichen Fluktuationendes Windes; in Nord-Süd-Richtung sind diese viel größer als die mittlereStrömung. Die meridionale Ausbreitung ergibt sich (nach der Turbulenz-theorie von G. TAYLOR) dann hauptsächlich aus der meridionalen Kompo-nente der Streuung und einem von der Zeit und von der Größe der Turbu-lenzkörper abhängigen Parameter. Ihr Maximum liegt in allen Höhen inmittleren und subtropischen Breiten (30-35°), ihr Minimum nahe demÄquator; in den Ostwindzonen b) und e) ist sie wesentlich schwächer als inden Westwinden. Das äquatoriale Minimum setzt den interhemisphärischenAustausch stark herab: während in mittleren Breiten der horizontale Par-tikeltransport in vier bis sechs Wochen die ganze Hemisphäre erfaßt,dauert die Ausbreitung durch die Äquatorialzone hindurch auf die andereHemisphäre ebensoviel Monate.Die Rolle der Atmosphäre als Träger von feinstverteilten Aerosolpartikelnbeschränkt sich aber nicht nur auf die horizontalen und vertikalen Trans-porte; sie erstreckt sich auch auf das Ausfällen (6) und damit auf dieSedimentation der Partikel an der Erdoberfläche. Für diese Sedimentationsind drei Vorgänge verantwortlich, deren Wirksamkeit jeweils von der»polydispersen« Größen- und Gewichtsverteilung der Aerosolteilchen -dem sogenannten Aerosolspektrum — abhängt:a) Ausfall (Fallout) durch Schwerkraft (Gravitation),b) Ausregnen (Rainout): Anwachsen der Partikel durch Koagulation mit

Wolkentröpfchen, dann weiteres Wachstum durch Vereinigung zahl-reicher Wolkentröpfchen zu Niederschlägen, die zur Erde fallen; haupt-sächlich in der mittleren und oberen Troposphäre,

c) Auswaschen (Washout): Einfang der Partikel durch den fallendenNiederschlag (Regen und Schnee) in den mittleren und unteren Schich-ten der Troposphäre.

Der Prozeß des »trockenen« Ausfalls aus der Stratosphäre geht bei grobenTeilchen (Durchmesser > 50 \£) in Stunden oder ein bis zwei Tagen vor

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sich, bei kleineren Partikeln aber immer langsamer; bei Partikeln < l [/.handelt es sich um Jahre, bei Teilchen um 0,1 j/. um Jahrzehnte und Jahr-hunderte. Dieser sehr langsame Prozeß einer aktiven Sedimentation istin der Stratosphäre allein wirksam.Die beiden anderen nur in der Troposphäre wirksamen Prozesse des»nassen« Ausfalls wirken sich ganz verschieden auf das Aerosolspektrumaus. Die Anlagerung an die feinen Wolkenelemente erfaßt in erster Liniedie feinsten Partikel mit Durchmessern unter 0,1 pt, während das Aus-waschen durch Niederschlag vor allem die gröberen Teilchen > 2 jj. be-trifft (Abb. 5). So sind die Verweilzeiten atmosphärischen Aerosols in der

Tqol qo2 qo5 ql

Abb. 5: »Nasse« Ausfällung von Aerosolpartikeln (in %) durch Anlagerung anWolkenelemente (links) und durch Niedcrschkg (rechts). Abszisse: Durchmes-ser der Aerosolpartikel in Mikron (nach FLOHN und HESS).

Troposphäre wesentlich kleiner als in der Stratosphäre. Aus dem Vergleichlanglebiger und kurzlebiger Radonzerfallsprodukte - die sich hauptsächlichauf die untere Troposphäre beziehen - ergibt sich eine mittlere Lebenszeittroposphärischer Aerosolpartikel von ein bis sechs Tagen. Aus anderenUntersuchungen im Niederschlag lassen sich Werte von 30-40 d ableiten;diese beziehen sich offenbar insbesondere auf die obere Troposphäre. Fürdie gesamte Troposphäre dürfte ein Mittelwert von 20 d wohl als repräsen-tativ gelten. Dabei ergibt sich aus den Rechnungen, daß dieser nasse Ausfallgegenüber dem polydispersen Aerosol selektiv ist und daß Teilchen in derGrößenordnung 0,5 \L am längsten in der Atmosphäre verbleiben. Das istvon besonderem Interesse für einige optische Phänomene (blaue Sonne),die ein stark ausgelesenes, »monodisperses« Aerosolspektrum voraus-setzen. Natürlich ist dieser nasse Ausfall abhängig von der Wolken- und

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Niederschlagsbildung, spielt also in den Trockengebieten der Erde nur einegeringe Rolle; in diesen ist die radioaktive Verseuchung der Erdoberflächeausschließlich eine Folge des trockenen Ausfalls.Bei dem Prozeß des Auswaschens muß man zwischen Regen und Schneeunterscheiden; Schnee ist wegen seiner größeren Oberfläche mindestensin den unteren Schichten wirksamer als Regen (13). Sind die Aerosolteil-chen und die Wolken- bzw. Niederschlagsteilchen geladen (12), so tritt eineweitere Komplikation ein: gleichnamige Ladungen verringern, entgegen-gesetzte Ladungen vergrößern die Wirksamkeit des Einfangens. Ähnlichwirken die Kondensations- und Verdampfungsprozesse durch den vonihnen erzeugten molekularen Wasserdampftransport: in der Wolke wirddas Einfangen hierdurch verstärkt, unterhalb der Wolke verringert.In der Stratosphäre fehlen Wolken und Niederschläge völlig und damit der»nasse Ausfall«; diese bildet somit eine Art Reservoir für sehr kleine, staub-förmige Partikel von Vulkanausbrüchen und Kernwaffenexperimenten; dieVerweilzeiten ergeben sich in der unteren Stratosphäre (bis etwa 20 kmHöhe) zu sechs bis zwölf Monaten, darüber nehmen sie auf fünf bis zehnJahre zu. Hier stellt sich das Problem des Austausches zwischen Tropo-sphäre und Stratosphäre durch die Tropopause hindurch, die niemals als eineArt massenfester Sperrschicht aufgefaßt werden darf. Tatsächlich gibt essehr wirksame Mechanismen für diesen Austausch troposphärischer undstratosphärischer Luft, vor allem den horizontalen Austausch im Bereichder Strahlströme, wo gesetzmäßig mehrere Tropopausen übereinander auf-treten, aber auch (lokal) den Vertikalaustausch bei mächtigen Gewitter-wolken, die die Tropopause durchbrechen. Neuere Beobachtungen, beson-ders mit dem Radargerät, zeigen, daß gelegentlich Quellwolken die Tropo-pause durchstoßen und in den Subtropen und Tropen bis 21 km Höheerreichen können; dabei dringen sie bis zu 5 km in die Stratosphäre ein.Diese Vorgänge dürften aber wohl kaum auf mehr als 10~6 der Gesamt-fläche wirksam werden. Nach eigenen Flugzeugbeobachtungen tritt dieTropopause fast überall in Form mehrfacher Diskontinuitäten auf, die auchoptisch (durch dünne Eiswolkenschleier oder durch Dunstschichten) sicht-bar werden, so daß die Definition einer und nur einer Tropopause rein kon-ventionell ist. Diese mehrfachen Tropopausen sind in dauernder Neubil-dung und Auflösung begriffen.Das Studium radioaktiv getönter Prozesse in der Atmosphäre hat derMeteorologie neue Probleme erschlossen, aber auch neue, sehr genaueMeßmethoden zu ihrer Behandlung geliefert. Wir können alle nur hoffen,daß es bei diesem wissenschaftlichen Interesse bleibt und daß es uns inZukunft erspart bleibt, daß sich die biologischen Effekte künstlicher radio-aktiver Isotope, um einige Zehnerpotenzen gesteigert, katastrophal an unsallen auswirken. In diesem Fall spielt die Atmosphäre eine entscheidendeRolle als Träger und Verteiler aller staub- und gasförmigen Verunreini-gungen.

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