Sophie Wolfrum: Performativer_Urbanismus

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1 Sophie Wolfrum PERFORMATIVER URBANISMUS SPIELE DER SCHRITTTE Stadt und Bewegung werden schon seit langem gemeinsam gedacht, es gibt eine reiche Geschichte an produktiven konzeptionellen Allianzen. Nikolai Anziferow, Geograf in St. Petersburg, betreibt Anfang der 1920er Jahre Stadtexkursionen als Exkursionswissenschaft. Die sinnliche Erfahrung des städtischen Raums liefert ebenso wichtige Erkenntnisse wie die Recherche in Bibliotheken und Kartenwerken. Sein Buch Die Seele Petersburgs (1922) wird zum Kultbuch in der späten Sowjetunion. Man kann in ihm einen der Vorläufer der urban und cultural studies sehen, für die das Reisen, das sorgfältige Beobachten des Alltags, das intensive Sich-Einlassen auf den Ort und die Banalität transitorischer Orte wichtig werden. John Brinckerhoff Jackson fährt mit seinem Motorrad von der Ost- zur Westküste der USA und alles, was er sieht, ist wichtig. Für diese Art der Wahrnehmung kann man nicht in den Bibliotheken sitzen bleiben. Lucius Burckhardt greift später in Kassel die Exkursionswissenschaft als Spaziergangs-Wissenschaft oder Promenadologie auf. Stadtspaziergänge sind heute eine Unterrichtsform in der Architekturlehre. Michel de Certeau schreibt 1980: „Der Akt des Gehens ist für das urbane System das, was die Äußerung (der Sprechakt) für die Sprache oder für formulierte Aussagen ist. ... Die Spiele der Schritte sind Gestaltungen von Räumen. Sie weben die Grundstruktur von Orten. In diesem Sinne erzeugt die Motorik der Fußgänger eines jener realen Systeme, deren Existenz eigentlich den Stadtkern ausmacht, die aber keinen Materialisierungspunkt haben. Sie können nicht lokalisiert werden, denn sie schaffen erst den Raum.“ (Certeau 1988, 188,189) In der Sprache der Gegenwart nennt Francesco Careri das Gleiche walkscapes, Gehen als ästhetische Praxis, und auch er bezieht sich natürlich auf die Situationisten, radikale Aktionisten der 1960er Jahre, die heute wieder außerordentliche Beachtung finden. Die Situationisten um Guy Debord entwickeln mit la dérive, dem ziellosen Umherschweifen, der Bewegung als Wahrnehmung und als Produktion von Raum, eine urbanistische Methode. Die Absichtslosigkeit des Flaneurs, der zur Jahrhundertwende die Passagen von Paris durchschlendert, findet sich ein halbes Jahrhundert später in ihrem ziellosen Umherschweifen wieder. Weitere fünfzig Jahre später ist die Rezeption der Situationistischen Internationale ungebrochen. Diese übt mit dem Konzept der psychosozialen Produktion des Raumes, der Psychogeografie, großen Einfluss in der Urbanistik aus, und ihre Radikalität macht sie zum immer wiederkehrenden Bezugspunkt in der Bildenden Kunst. In der Kunst gibt es in den 1960er und 1970er Jahren eine aktive Phase der öffentlichen Performance, die in jüngster Zeit in einer Reihe von Ausstellungen wieder ins Bewusstsein gerufen wird. Performing the city, 2008 von Heinz Schütz kuratiert, ist ein Beispiel dafür. Oder die Szene um die Wiener Aktionisten, gezeigt in Occupying Space Sammlung Generali im Haus der Kunst 2004, oder in Wien im MUMOK 2008 mind expanders – performative Körper – utopische Architekturen um ’68. Gordon Matta Clark wird 2008 in Chikago mit einer großen Werkschau geehrt, ein ausgebildeter

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Short text on the history of how urban space is created by performing our roles and actions in it, leading up to the renewed interest in H. Lefebvre and B. Latour

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    Sophie Wolfrum

    PERFORMATIVER URBANISMUS

    SPIELE DER SCHRITTTE

    Stadt und Bewegung werden schon seit langem gemeinsam gedacht, es gibt eine reiche Geschichte

    an produktiven konzeptionellen Allianzen. Nikolai Anziferow, Geograf in St. Petersburg, betreibt

    Anfang der 1920er Jahre Stadtexkursionen als Exkursionswissenschaft. Die sinnliche Erfahrung des

    stdtischen Raums liefert ebenso wichtige Erkenntnisse wie die Recherche in Bibliotheken und

    Kartenwerken. Sein Buch Die Seele Petersburgs (1922) wird zum Kultbuch in der spten

    Sowjetunion. Man kann in ihm einen der Vorlufer der urban und cultural studies sehen, fr die das

    Reisen, das sorgfltige Beobachten des Alltags, das intensive Sich-Einlassen auf den Ort und die

    Banalitt transitorischer Orte wichtig werden. John Brinckerhoff Jackson fhrt mit seinem Motorrad

    von der Ost- zur Westkste der USA und alles, was er sieht, ist wichtig. Fr diese Art der

    Wahrnehmung kann man nicht in den Bibliotheken sitzen bleiben. Lucius Burckhardt greift spter in

    Kassel die Exkursionswissenschaft als Spaziergangs-Wissenschaft oder Promenadologie auf.

    Stadtspaziergnge sind heute eine Unterrichtsform in der Architekturlehre.

    Michel de Certeau schreibt 1980: Der Akt des Gehens ist fr das urbane System das, was die

    uerung (der Sprechakt) fr die Sprache oder fr formulierte Aussagen ist. ... Die Spiele der

    Schritte sind Gestaltungen von Rumen. Sie weben die Grundstruktur von Orten. In diesem Sinne

    erzeugt die Motorik der Fugnger eines jener realen Systeme, deren Existenz eigentlich den

    Stadtkern ausmacht, die aber keinen Materialisierungspunkt haben. Sie knnen nicht lokalisiert

    werden, denn sie schaffen erst den Raum. (Certeau 1988, 188,189) In der Sprache der Gegenwart

    nennt Francesco Careri das Gleiche walkscapes, Gehen als sthetische Praxis, und auch er bezieht

    sich natrlich auf die Situationisten, radikale Aktionisten der 1960er Jahre, die heute wieder

    auerordentliche Beachtung finden.

    Die Situationisten um Guy Debord entwickeln mit la drive, dem ziellosen Umherschweifen, der

    Bewegung als Wahrnehmung und als Produktion von Raum, eine urbanistische Methode. Die

    Absichtslosigkeit des Flaneurs, der zur Jahrhundertwende die Passagen von Paris durchschlendert,

    findet sich ein halbes Jahrhundert spter in ihrem ziellosen Umherschweifen wieder. Weitere fnfzig

    Jahre spter ist die Rezeption der Situationistischen Internationale ungebrochen. Diese bt mit dem

    Konzept der psychosozialen Produktion des Raumes, der Psychogeografie, groen Einfluss in der

    Urbanistik aus, und ihre Radikalitt macht sie zum immer wiederkehrenden Bezugspunkt in der

    Bildenden Kunst.

    In der Kunst gibt es in den 1960er und 1970er Jahren eine aktive Phase der ffentlichen

    Performance, die in jngster Zeit in einer Reihe von Ausstellungen wieder ins Bewusstsein gerufen

    wird. Performing the city, 2008 von Heinz Schtz kuratiert, ist ein Beispiel dafr. Oder die Szene um

    die Wiener Aktionisten, gezeigt in Occupying Space Sammlung Generali im Haus der Kunst 2004,

    oder in Wien im MUMOK 2008 mind expanders performative Krper utopische Architekturen um

    68. Gordon Matta Clark wird 2008 in Chikago mit einer groen Werkschau geehrt, ein ausgebildeter

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    Architekt, der als Knstler in vielen seiner Aktionen als Urbanist bezeichnet werden knnte. Dies

    sind nur einige Beispiele fr einen deutlichen Trend zu Retrospektiven, die von einer erneuten Welle

    an performativen Aktionen begleitet werden.

    Offensichtlich gibt es verschiedene Kulturen, die hinter dem gegenwrtigen Interesse an Gehen und

    Reisen, leiblicher Erkenntnis und gelebtem Raum, kultureller Produktion des Raumes, situativem

    oder performativem Urbanismus stehen.

    RAUM

    Das wieder aufgeflammte Interesse fr Henri Lefvbres Raumtheorie zeigt in diesem

    Zusammenhang, dass Raum, so auch der gesellschaftliche Raum der Stadt, als kontinuierlich

    produziert verstanden wird: la production de lespace. Auch ber den sozialen Aspekt hinaus

    definieren wir Raum als leiblich produziert. Was Lefbvre in seiner komplexen Raumtheorie l`espace

    vcu nennt, entspricht im Deutschen in etwa dem Begriff des gelebten Raumes, der den aktiven

    Prozess von Wahrnehmung und Produktion zugleich beschreibt.

    Foucault berhmter Vortrag Andere Rume aus dem Jahr 1967 leitet die Raumorientierung der

    Gegenwart ein: Unsere Zeit liee sich dagegen eher als Zeitalter des Raumes begreifen. Wir leben

    im Zeitalter der Gleichzeitigkeit, des Aneinanderreihens, des Nahen und Fernen, des Nebeneinander

    und des Zerstreuten. Spt publiziert und spt ins Deutsche bersetzt wird er in den 80er Jahren ein

    Schlsseltext in einem Diskurs, der etwa 1990 zum so genannten spatial turn der Kultur- und

    Geisteswissenschaften fhrt. Die Vormachtstellung der Zeit in der Moderne wird relativiert, sogar die

    Historiker wenden sich dem Raum zu. Im Raume lesen wir die Zeit lautet ein bekannter Buchtitel des

    Historikers Karl Schlgel. Das Vergangene, das Heutige und das Zuknftige findet an einem Ort

    statt. Es schreibt sich ihm ein. Das macht Stdte so spannend fr Bewohner und Besucher und dem

    gehen Historiker nun nach. Aber Raum speichert nicht einfach nur verschiedene Zeiten, die sich

    dann wie in einem Geschichtsbuch im Ort lesen lassen. In der Reflexiven Moderne oder Zweiten

    Moderne hat vielmehr die Vorstellung der Gleichzeitigkeit von Prozessen und Modellen, des

    Nebeneinanders und des Sowohl-als-auch gegenber den alten Hierarchien, Ausschlielichkeiten

    und Eindeutigkeiten Vorrang gewonnen. Im Raum knnen sich diese Heterogenitten berlagern, in

    denen wir heute denken, die wir wahrnehmen und akzeptieren. Nach Bruno Latour zeichnet sich

    Raum durch das Vermgen aus, Komplexitt zu bergen: Philosophen definieren Zeit als eine

    Ordnung der Aufeinanderfolge und Raum als eine der Gleichzeitigkeit. Solange wir alles unter der

    Macht des Fortschritts zu den Akten nahmen, lebten wir in der Zeit der Aufeinanderfolge. Kronos

    fra alles Archaische und Irrationale in seiner Nachkommenschaft auf und verschonte nur jene

    Nachkommen, denen eine strahlende Zukunft bestimmt war. ... Die revolutionre Zeit, der groe

    Vereinfacher, ist ersetzt worden durch die Zeit des Zusammenlebens, die alles kompliziert macht.

    Anders gesagt, der Raum hat die Zeit als prinzipielles Ordnungssystem abgelst. (Latour 2005) Das

    ist schn gesagt und Bruno Latour bezieht sich offensichtlich auf Leibniz, der an Samuel Clarke

    schrieb: Was meine eigene Meinung anbetrifft, so habe ich mehr als einmal gesagt, dass ich den

    Raum ebenso wie die Zeit fr etwas rein Relatives halte, nmlich fr eine Ordnung des

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    Nebeneinanderbestehens, so wie die Zeit eine Ordnung der Aufeinanderfolge ist. Nmlich als Raum

    bezeichnet man eine mgliche Ordnung der Dinge, die gleichzeitig existieren, wobei man sie als

    gemeinsam existierend betrachtet, ohne dabei nach ihrer besonderen Art und Weise des Existierens

    zu fragen. (Leibniz 1715)

    Es ist also eigentlich nichts Neues im Grundsatz des Denkens ber Raum, neu ist allerdings, dass

    man die Gegenwart in der Kategorie Raum angemessen reflektiert sieht, nachdem Raum lange

    berhaupt als reaktionre Kategorie, als irrelevante Vorstellung oder gar als eine Schimre

    angesehen wurde. Raum wird in seiner ganzen Komplexitt, die in der Philosophie und

    Naturwissenschaften schon lange gedacht wird, nun auch in der Urbanistik konzeptionell entfaltet.

    Whrend wir durch die Stadt gehen oder fahren oder skaten, haben wir nicht nur unterschiedliche

    Erfahrungen, je individuelle Sichtweisen, sondern das Spiel der Schritte schafft den Raum. Die

    Kultur des Raumes wird wieder als entscheidend fr die Kultur der Stdte angesehen. Eine Kultur

    der Bewegung und des Performativen ist damit eingeschlossen.

    ARCHITEKTUR

    Im gleichen Zuge wird auch Architektur als die Kunst, Raum zu artikulieren (Eco, 1968) in der

    Urbanistik wieder aktuell. Die Architekturtheorie pflegt ebenfalls eine Diskurslinie, die den

    performativen Aspekt des Architektonischen hervorhebt, eine spezifische sthetische Begabung von

    Architektur, die als eine sthetik des Performativen beschrieben wird. Architektur unterscheidet sich

    darin grundstzlich von andern gestaltenden Kulturtechniken: Wir selbst sind in Architektur

    Bestandteil der sthetischen Realitt. Wir knnen nicht einfach nur distanzierter Beobachter sein,

    denn wir sind mit unserem Krper Teil des Raumes, den wir erfahren. Es ist immer eine komplexe

    architektonische Situation, in der wir uns befinden, in der man Architektur erlebt und sie nicht

    lediglich betrachtet. Architektur zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht nur mit den Augen,

    sondern mit allen Sinnen und erst in der Bewegung vollstndig wahrgenommen werden kann. Wir

    sind also immer zugleich Akteur. Da die Rezeption von Architektur heute so stark an die Bildmedien

    gebunden ist, tritt dann oft diese schale Enttuschung ein, wenn wir vor Ort sind und die so

    geweckten sthetischen Vorstellungen durch die Wirklichkeit nicht eingelst werden. Architektur

    entfaltet sich in der Wirklichkeit erst in einem kulturellen Ereignis - in einer Situation des Gebrauchs.

    In der Architektur sind wir Mitspieler, so beschreibt Dagobert Frey schon in den 1920er Jahren diese

    spezifische Begabung von Architektur. (Frey 1926) Es ist dies also auch keine neue Erkenntnis,

    sondern eine in der Architekturtheorie seit langem gepflegte. Sie bekommt jedoch in der Parallelitt

    der anderen Diskurse des Performativen eine neue Aktualitt, die Architektur und Urbanistik wieder

    produktiv aufeinander beziehen kann, nachdem sich in der Moderne die Urbanistik als

    Sozialwissenschaft und Planungstheorie von der Architektur entfernt hatte.

    Der performative Aspekt betont die Komponente des rumlichen Erlebens, Erfahrens und Handelns,

    die unabdingbar in die architektonische Wirklichkeit eingeschlossen ist. Architektur verfgt demnach

    ber ein Repertoire von spezifisch architektonischen Mitteln und Strukturen, die erst in einem

    kulturellen Ereignis, in einer Situation des Gebrauchs, der Bewegung und des Darin-Seins whrend

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    der Rezeption Wirklichkeitscharakter entfalten. In diesem performativen Akt unterscheidet sich

    Architektur von den Bildenden Knsten einerseits und von systematischer Planung andererseits.

    Szenischer Raum, Baudrillard benutzt diesen Ausdruck fr eben diesen Sachverhalt, ist ein

    entscheidender Aspekt entfalteter Architektur. [...] szenischer Raum, ohne den, wie wir wissen, die

    Gebude nur Konstruktion wren und die Stadt nur eine Agglomeration. (Baudrillard 1999, 12)

    PERFORMATIVER URBANISMUS

    Das Konzept von szenischem Raum will ich deutlich unterscheiden von dem der Szenographie.

    Dann nmlich werden stdtische Sujets nicht als Rume, sondern als Bilder konzipiert, um in einer

    konomie der Aufmerksamkeit beachtet zu werden. Die Bilder werden zu den eigentlichen

    Attraktoren: hher, einmaliger, aufflliger, eleganter, authentischer, lokaler, globaler ... sie sollen sich

    angesichts eines gigantischen Bilderrauschens einbrennen. Als szenographische Bilder bertragen

    sie die Flachheit und Gerichtetheit des Bhnenbildes auf die Stadt. Architektur muss in diesem

    Dienste Superzeichen liefern, welche Bedeutung anzeigen und die auch auf schlechten

    Reproduktionen leicht wieder erkennbar sind. Stdte sollen in der Form von Palmen, Seepferdchen

    oder Tropfen schon aus dem Flugzeug erkannt werden. Der Standpunkt des Betrachters wird bei

    dieser Strategie vorgegeben: Die Palme aus der Luft, Pudong vom Bund, Heidelberg vom

    Philosophenweg. Touristen streben zielgerichtet auf diese Orte zu, von denen aus ihre Erwartung

    besttigt wird, von denen aus das schon lngst medial vermittelte Bild wahrhaftig zu werden scheint.

    Verlsst man diesen Standort des inszenierten oder des tradierten Blicks, sieht man gar nichts mehr,

    man durcheilt Niemandsland. Stdte reduzieren sich auf eine Kulisse, die hinter Hochzeitsfotos oder

    Touristenfotos aufscheint. In einer visuell dominierten Kultur besteht auch allseits die Tendenz,

    Architektur und Stadt auf bildmchtige Klischees zu reduzieren. Es sind die so genannten

    Erlebniswelten, die eine Einkaufspassage als ein Village, ein Casino als ein Stck Venedig, eine

    Altstadt als Relikt aus dem Mittelalter in Szene setzen.

    Performativer Urbanismus will die Architektur der Stadt weit ber ihre objekt- oder bildhaften

    Eigenschaften hinaus bewerten. Im Vordergrund dieses Verstndnisses von Architektur und Stadt

    stehen die Prozesshaftigkeit der rumlichen Erfahrung, die Ereignisstruktur von rumlichen

    Zusammenhngen, die Offenheit von rumlichen Strukturen. Die architektonische Substanz ist

    Voraussetzung und Komponente von Ereignissen, aber in performativen Akten erst kommt sie zur

    Entfaltung, erst dann bekommt sie soziale und sthetische Relevanz. Es geht also um beides, um

    die architektonische Substanz und um das Ereignis, um Kontingenz. Mit dem Blick auf das

    Performative und Kontingenz wre es jedoch ein Irrtum zu glauben, der materielle Aspekt der

    Architektur wre nun irrelevant, sie solle lediglich neutraler Hintergrund und bloe Folie sein. Im

    Gegenteil wird hier die berzeugung vertreten, dass Architektur Prgnanz aufweisen muss, um

    Spielrume im Handeln erffnen zu knnen. Prgnanz bedeutet: Artikulierte Rume, dichte

    Atmosphre, sthetische Komplexitt, Form und Material, architektonisches Repertoire. Auf der

    Seite von Kontingenz stehen: performativer Aspekt, Offenheit, Variabilitt im Gebrauch,

    Verschiebung von Bedeutung, Aneignungsmglichkeiten, Spielraum, Performance.

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    Performativer Urbanismus bleibt nicht bei einer psychogeografischen Rezeption von Stadt stehen,

    sondern sieht zugleich die Dringlichkeit von architektonischem Entwurf.

    Anmerkung

    Der Gedankengang beruht den Arbeiten von Alban Janson, Architekt und Sophie Wolfrum,

    Urbanistin, und wurde in hnlicher Form bereits formuliert in:

    Janson, Alban / Wolfrum, Sophie, Leben bedeutet zu Hause sein, wo immer man hingeht. In: Jrgen

    Hasse (Hg.), Die Stadt als Wohnraum. Freiburg Mnchen 2008

    Janson, Alban / Wolfrum, Sophie, Kapazitt - Spielraum und Prgnanz. In: Der Architekt. Der unsichtbare Kern. Heft 5-6/ 2006

    Literatur

    Anziferow, Nikolai, Die Seele Petersburgs, Petersburg 1922; Mnchen 2003

    Baudrillard, Jean, Architektur. Wahrheit oder Radikalitt?, Graz/Wien 1999

    Borden, Iain, Skateboarding, Space and the City. Architecture and the body, Oxford/New York 2001

    Careri, Francesco, Walkscapes. Walking as an Aesthetic Practice, Barcelona 2002

    Certeau, Michel de, Gehen in der Stadt, in: Ders., Kunst des Handelns, Berlin 1988, S. 179209

    Eco, Umberto, La struttura assente, Mailand 1968; Einfhrung in die Semiotik, Mnchen 1972

    Fischer-Lichte, Erika, sthetik des Performativen, Frankfurt a. M. 2004

    Frey, Dagobert, Wesensbestimmung der Architektur, (1926), in: Kunstwissenschaftliche Grundfragen

    Prolegomena zu einer Kunstphilosophie, Baden bei Wien 1946, S. 93106

    Gosztonyi, Alexander, Der gelebte Raum, in: Der Raum. Geschichte seiner Probleme in Philosophie

    und Wissenschaften, Freiburg/Mnchen 1976, S. 943971

    Lefebvre, Henri, La Production de lespace, Paris 1974

    Situativer Urbanismus, Arch+ Nr. 183, 2007

    Soja, Edward W., Thirdspace, Blackwell 1996