Soziale und sozialräumliche Ungleichheit in Berlin · und –struktur 54 6.1. Sozialräumliche...

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Soziale und sozialräumliche Ungleichheit in Berlin - statistische Befunde 2003 Studie im Auftrag des kommunalpolitischen forums e.V. (berlin) Rainer Ferchland Berlin, April 2004

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Soziale und sozialräumliche Ungleichheit in Berlin- statistische Befunde 2003

Studie im Auftrag des kommunalpolitischen forums e.V. (berlin)

Rainer Ferchland

Berlin, April 2004

Impressum

Gesamtredaktion und V.i.S.d.P.: Dr. Petra Brangsch

Erarbeitung der Studie: Dr. Rainer Ferchland, Institut für Sozialdatenanalyse e.V. Berlin (isda)

Herausgegeben vom kommunalpolitischen forum e.V. (Berlin),

Internet: www.kommunalpolitik-berlin.de

e-Mail: [email protected]

Druck: MediaService GmbH BärenDruck und Werbung

Postfach 180183, 10205 Berlin

Telefon: (0 30) 26 30 52 60, Telefax: (0 30) 26 30 52 61

Rainer Ferchland

Soziale und sozialräumliche Ungleichheit in Berlin- statistische Befunde 2003

Ein Arbeitsmaterial im Auftrag des kommunalpolitischen forums e.V. (berlin)

Inhalt

0. Vorbemerkungen 2

1. Bevölkerungsstruktur und -entwicklung 3

2. Wanderung 17

3. Erwerbssituation 28

4. Einkommen 34

5. Armut (Sozialhilfe) 43

6. Versuche einer kleinräumigen Analyse der Bevölkerungsentwicklung und –struktur 54

6.1. Sozialräumliche Tendenzen der Bevölkerungsentwicklung 54

6.1.1 Vorbemerkungen zum großräumigen Hintergrund 54

6.1.2 Einwohnerentwicklung nach Verkehrszellen 56

6.2. Differenziertheit der Bevölkerungsstruktur nach Verkehrszellen 63

6.2.1 Altersstruktur 63

6.2.2 Arbeitslosigkeit als sozialräumliches Problem 64

6.2.3 Klassifikation von Verkehrszellen 70

7. Resümee unter Beachtung des Sozialstrukturatlas und andereraktueller Sozialberichte 73

7.1 Kumulation von Benachteiligungen 73

7.2 Resümee 77

Literatur 86

2

Vormerkungen

Die vorliegende Arbeit entstand im Auftrag des kommunalpolitischen forums e.V. (berlin). Eshandelt sich um die aktualisierte Fortschreibung der gleichnamigen Publikation des Vorjah-res (Ferchland 2003).

Auf der Basis von Daten der amtlichen Statistik1 werden Aspekte der sozialen und sozial-räumlichen Ungleichheit Berlins analysiert. Dabei geht es vor allem um den Bezirksvergleich.

Die „aktuellen“ Angaben beziehen sich auf das Berichtsjahr 2002, so dass nun die Entwick-lung von zwei Jahren nach der Bezirksfusion abgebildet werden kann.

Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die interne Struktur und Entwicklung Berlins, weni-ger die Besonderheiten der Stadt als Ganzes. Deshalb wurde Berlin mit anderen räumlichenEinheiten nur punktuell verglichen2.

Schwerpunktthemen der Studie sind Bevölkerungsstruktur und -entwicklung, Familien- undHaushaltsstruktur, Migration, Einkommen, Beschäftigungssituation und Armutsentwicklung(Kriterium Sozialhilfe).

Zusätzlich zum Bezirksvergleich wurde die bezirksinterne sozialräumliche Struktur mit eini-gen Indikatoren analysiert, wobei Verkehrszellen als kleinste Raumeinheiten fungierten.

Einige für die Sozialberichterstattung in Berlin relevante Dokumente wurden im Abschnitt 5behandelt3 bzw. als Referenzfolie und für ergänzende Betrachtungen im Resümee verwen-det. Letzteres gilt für die Bevölkerungsprognose (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung2004) und insbesondere für den jüngst erschienenen Berliner Sozialstrukturatlas (Senats-verwaltung für Gesundheit ... 2004).

Das Erscheinen dieser Publikation ist jedes Mal ein bedeutendes Ereignis in der Entwicklungder Berliner Sozialberichterstattung. Zum einen liefert sie einen komplexen, differenziertenund räumlich fein gegliederten Einblick in die sozialräumliche Situation und Entwicklung Ber-lins. Insofern ist der Sozialstrukturatlas geeignet, als Basisdokument einer integrierten So-zialberichterstattung, die es aber leider noch nicht gibt, zu fungieren. Zum anderen setzt erMaßstäbe durch die stetig verbesserte Systematik und Methodik der Datenaufbereitung.

Im Vergleich der Befunde der hier präsentierten Arbeit – die mit einer schmaleren Datenba-sis und bescheideneren methodischen und infrastrukturellen Voraussetzungen zu erstellenwar – mit denen des Sozialstrukturatlas ergaben sich keine grundlegenden Differenzen.

Die Analyse soll als Arbeitsmaterial dienen. Es soll m.H. der zahlreichen Tabellen, Abbildun-gen und Karten möglich sein, die Position eines jeden Bezirks im Vergleich zu den anderenzu bestimmen. Der Text ist hoffentlich hilfreich bei der Interpretation des Datenmaterials undfür den Diskurs über die soziale Lage in Berlin und die damit verbundenen sozialpolitischenHerausforderungen.

1 Nicht ausgewiesene Quellenangaben beziehen sich stets auf Daten des Statistischen Landesamtes (StaLA)

Berlin.2 Dies würde auch deshalb einen nicht geringen Teil der Ausarbeitung beanspruchen, weil das spezifische

Rollenbündel Bundesland, größte Stadt, Hauptstadt, einzige ehemals geteilte Stadt Deutschlands angemes-sen berücksichtigt werden müsste.

3 Das betrifft die Aktualisierung der Daten zur Einkommensarmut (StaLA Berlin 2003), die auch in einem Ab-schnitt des Sozialstrukturatlas 2003 verarbeitet wurden, und einen Großstädtevergleich zur Sozialhilfe (Sta-tistische Ämter ... 2003).

1. Bevölkerungsstruktur und -entwicklung

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1. Bevölkerungsstruktur und -entwicklung

Die mit der Bezirksfusion entstandenen Großeinheiten können hinsichtlich ihrer Einwohner-zahl mit bedeutenden Großstädten in Deutschland verglichen werden (Tab. 1-1).

Bevölkerungsstand in Berlin am 31.12.2002 nach Bezirken1

Bevölkerung Ausländer

BezirkAnzahl Rangplatz

Verände-rung ge-genüber1999 (%)

Verände-rung ge-genüber2001 (%)

% der Bev

Verände-rung ge-genüber

1999 (%)2

Mitte 322.877 3 0,6 0,3 27,1 6,1Friedrichshain-Kreuzberg 254.128 9 2,2 0,9 22,4 0,8Pankow 345.606 1 4,2 1,2 5,9 8,7Charlottenburg-Wilmersdorf 315.537 4 -0,6 -0,2 16,5 6,0Spandau 226.028 12 1,4 0,4 12,3 -0,6Steglitz-Zehlendorf 288.371 6 0,0 -0,1 9,0 1,6Tempelhof-Schöneberg 336.950 2 -0,3 -0,4 14,9 1,4Neukölln 307.311 5 0,1 0,1 21,4 3,4Treptow-Köpenick 232.974 11 1,6 0,0 3,2 -13,7Marzahn-Hellersdorf 255.993 8 -4,5 -1,1 3,4 1,4Lichtenberg 260.493 7 -2,3 -0,1 7,8 -4,9Reinickendorf 246.157 10 -0,4 0,2 8,7 0,6

Berlin 3.392.425 0,2 0,1 13,1 2,6

Von den ostdeutschen Großstädten haben – Berlin ausgenommen – nur Leipzig und Dres-den mehr Einwohner als Pankow, der nunmehr größte Berliner Bezirk.

Verglichen mit den erheblichen Kontrasten zwischen den alten Verwaltungseinheiten, diffe-rieren die Einwohnerzahlen der neuen Bezirke nur noch moderat3.

Sehr stark sind die Unterschiede im Konzentrationsgrad der ausländischen Bevölkerung (vgl.auch Karte 1-1). Während in den City-Bezirken Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg sowie inNeukölln mindestens ein Fünftel der Bewohnerinnen und Bewohner keinen deutschen Passbesitzt, können die Ostbezirke Treptow-Köpenick und Marzahn-Hellersdorf als annäherndethnisch homogen bezeichnet werden. Die Veränderungen gegenüber 1999 zeigen zumeinen, dass sich das Wachstum der ausländischen Bevölkerung vornehmlich auf vier Bezirke(Kreuzberg gehört nicht dazu!) konzentriert, die (rein) Ostberliner Bezirke davon aber weit-gehend ausgenommen bleiben. Eine Überwindung des West-Ost-Gefälles im Anteil dernichtdeutschen Bevölkerung ist also nicht in Sicht.

In der relativ kurzen Zeit zwischen 1999 und 2002 haben sich – vor dem Hintergrund einerrelativen Stabilität für Berlin insgesamt – die Bevölkerungszahlen (im Gebiet) der Bezirkeunterschiedlich entwickelt4. Mit der Analyse des Wanderungsgeschehens (vgl. Kapitel 2) istzu klären, inwieweit dies mit Umzügen zwischen den Bezirken zusammenhängt. Jedenfallssind die Daten Ausdruck von z.T. erheblichen Bevölkerungsverschiebungen innerhalb derStadt.

1 Quelle: StaLA Berlin2 1999=100.3 Verhältnis von größtem zum kleinsten Bezirk: Altbezirke: > 4 (Neukölln:Mitte); Neubezirke 1,5 (Pan-

kow:Spandau)4 Eine Analyse der Bevölkerungsentwicklung auf dem Territorium der heutigen Großbezirke seit 1993 ist dem

Abschnitt 6 vorangestellt..

1. Bevölkerungsstruktur und -entwicklung

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Karte 1-1

Karte 1-2

Diese Veränderungen betreffen vor allem den Osten Berlins (Karte 1-2). Deutliche Bevölke-rungsverluste in den Bezirken des Stadtraums Ost, vor allem in Marzahn-Hellersdorf, aber

1. Bevölkerungsstruktur und -entwicklung

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auch in Lichtenberg, gehen einher mit beträchtlichen Zugewinnen im größten Bezirk Pan-kow. Die Zukunft muss zeigen, ob einige wenig plausible Veränderungen gegenüber 2001kurzzeitige Schwankungen darstellen oder Vorboten von Trendänderungen sind – ob sichz.B. in Lichtenberg eine Stabilisierung der Bevölkerungsentwicklung einstellt und ob etwaFriedrichshain-Kreuzberg zu einer Region des beschleunigten Bevölkerungswachstums wird.

Die vollständig auf dem Territorium des ehemaligen Westberlin befindlichen Großbezirkezeichnen sich durch eine relativ stabile Bevölkerungsentwicklung aus. Spandau, mit einemWachstum von immerhin 1,4 Prozent in einem Jahr, bildet dabei eine bemerkenswerte Aus-nahme.

Tabelle 1-2 gibt Aufschluss darüber, dass weder größere Zuwächse noch stärkere Absen-kungen der Einwohnerzahl aus der natürlichen Bevölkerungsbewegung resultieren kön-nen. In der Stadt insgesamt und in der Mehrzahl der Bezirke übersteigt die Zahl der Gestor-benen die der Geborenen.

Tab. 1-2

Eheschließungen und Geborene, Gestorbene in Berlin 2002 nach Bezirken1

LebendgeboreneEheschlie-ßungen insg

Geborenen-Gestorbenen-Saldo(je 1000 der Bev)Bezirke

je 1000 der Bev.

dav. Elternnicht verh.

(%) 2002 2001

Mitte 4,9 10,8 35,9 1,7 1,0Friedrichshain-Kreuzberg 3,0 10,7 45,4 3,0 3,1Pankow 3,4 9,4 58,4 0,9 0,9Charlottenburg-Wilmersdorf 6,3 7,6 34,3 -3,7 -3,7Spandau 3,1 7,9 38,2 -3,7 -3,7Steglitz-Zehlendorf 3,8 7,5 30,5 -5,3 -4,9Tempelhof-Schöneberg 3,3 8,5 33,4 -2,2 -1,9Neukölln 3,4 9,6 33,7 -0,1 0,4Treptow-Köpenick 4,1 7,2 55,7 -2,4 -2,0Marzahn-Hellersdorf 2,9 6,8 63,3 -0,3 0,0Lichtenberg 3,0 7,5 58,5 -1,4 -1,3Reinickendorf 3,6 7,4 36,9 -4,2 -3,5

Berlin 3,8 8,5 42,9 -1,4 -1,2

Wie die Karten 1-3 und 1-4 verdeutlichen, bestehen in Bezug auf das generative Verhaltender Bevölkerung noch deutliche West-Ost-Differenzen.

Der auffälligste Unterschied hinsichtlich der natürlichen Bevölkerungsbilanz zeigt sich darin,dass Bezirke mit starkem Gestorbenen-Überschuss (mehr als 4 von 1.000 EW) sich imWestteil der Stadt befinden, während im Osten vorwiegend neutrale Bilanzen bzw. geringeVerluste zu verzeichnen sind. Nur drei Berliner Bezirke, die beiden Ost-West-Bezirke“ Mitteund Friedrichshain-Kreuzberg sowie Pankow, weisen eine positive natürliche Bevölkerungs-bilanz auf. In Friedrichshain-Kreuzberg fällt der Geburtenüberschuss (mit 3 von 1.000 EW)recht deutlich aus. Einen beachtlichen Zuwachs erfuhr dieser Indikator in Mitte (Tab. 1-2). Inden beiden Bezirken mit dem größten Gestorbenenüberschuss (Steglitz-Zehlendorf und Rei-nickendorf) hat sich der natürliche Bevölkerungsverlust gegenüber dem Vorjahr ausgewei-tet. In Marzahn-Hellersdorf ist in den letzten beiden Jahren die natürliche Bevölkerungsbilanzvon einem Geborenen- in einen Gestorbenenüberschuss umgekippt.

1 Quelle: StaLA Berlin

1. Bevölkerungsstruktur und -entwicklung

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Karte 1-3

Karte 1-4

1. Bevölkerungsstruktur und -entwicklung

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Auch in Bezug auf den Anteil der unverheirateten Eltern der (Lebend-)Geborenen besteht einklares Ost-West-Gefälle (Karte 1-4). In allen Bezirken, die sich vollständig auf ehemals Ost-berliner Gebiet befinden, sind die Eltern der Neugeborenen mehrheitlich unverheiratet.

Die Bedeutung der Altersstruktur der Bevölkerung einer räumlichen Einheit liegt auf derHand. Offensichtlich ist insbesondere der Zusammenhang zwischen Altersgliederung undspezifischem Bedarf an sozialer Infrastruktur. Auch sind die diskutierten Unterschiede in denbezirklichen Bilanzen der natürlichen Bevölkerungsbewegung ohne Berücksichtigung alters-struktureller Besonderheiten nicht zu erklären.

Von Interesse sind natürlich auch die Entwicklungstendenzen der Altersstruktur. Obwohl dereigentliche demographische Wandel erst noch bevorsteht, ist das zurückliegende Jahrzehntdurch einen fortschreitenden Alterungsprozess der Berliner Bevölkerung gekennzeichnet(Abb. 1-1). Dieser äußert sich in einem deutlichen Rückgang der unter 15-Jährigen und imWachstum des Anteils der über 44-Jährigen.

Abb. 1-11

Berlin: Altersstruktur 1993, 1997, 2002

15,6

14,4

12,8

11,1

11,0

12,0

34,0

33,8

32,7

25,5

27,0

26,9

13,7

13,9

15,6

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

12/93

12/97

12/02

unter 15 15 - 25 25 - 45 45 - 65 65 und mehr

Für einen ersten Bezirksvergleich eignet sich bereits ein sehr grober, gleichwohl überschau-barer Indikator der Altersstruktur, das Durchschnittsalter (Abb. 1-2). In dieser Hinsicht existie-ren zwischen den Bezirken ganz erhebliche Unterschiede. Zumindest in den Extremen wirdder sehr enge Zusammenhang von Geborenen-/Gestorbenen-Saldo und Durchschnittsalter(r=-0,94) anschaulich. Der „jüngste“ Bezirk, Friedrichshaín-Kreuzberg, weist den höchstenGeborenenüberschuss auf; der zweit-„älteste“ Bezirk Steglitz-Zehlendorf den größten Ge-storbenenüberschuss.

Die geschilderte Ost-West-Differenz im generativen Verhalten hat auch eine Parallele in derAltersstruktur. Mit Ausnahme von Treptow-Köpenick sind alle Bezirke mit höherem Durch-schnittsalter als Berlin insgesamt auch Westberliner Bezirke. Die „jungen“ Bezirke sind jenemit besonders hohem Anteil der ausländischen Bevölkerung, ferner der Neubaubezirk Mar-zahn-Hellersdorf und Pankow, der Bezirk mit dem größten Bevölkerungszuwachs.

Gibt es markante Veränderungen in der Alterstruktur gegenüber dem Vorjahr (2001)? Es istverständlich, dass sich derartige Verschiebungen in einem so kurzen Zeitraum nur im Wer-tebereich hinter dem Komma äußern. Dennoch ist bemerkenswert:

– In keinem Bezirk ist eine Verjüngung festzustellen. Es dominiert die Tendenz eineswachsenden Durchschnittsalters (Berlin 0,17).

– Den größten „Altersschub“ erhielten die Bezirke Marzahn-Hellersdorf (0,65) und Lichten-berg (0,34).

1 Melderechtlich registrierte Einwohner, Quelle: StaLA Berlin

1. Bevölkerungsstruktur und -entwicklung

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Abb. 1-2

Durchschnittsalter 2002 (Jahre)

36,9

38,9

39,2

39,8

40,5

41,3

41,4

42,6

42,7

43,4

43,6

44,2

44,4

0,0 5,0 10,0 15,0 20,0 25,0 30,0 35,0 40,0 45,0 50,0

Friedrichshain-Kreuzberg

Marzahn-Hellersdorf

Mitte

Pankow

Neukölln

Lichtenberg

Berlin

Tempelhof-Schöneberg

Spandau

Reinickendorf

Treptow-Köpenick

Steglitz-Zehlendorf

Charlottenburg-Wilmersdorf

In einem differenzierteren Bezirksvergleich der Altersstruktur werden sechs Altersgruppenunterschieden (vgl. Tab. 1-3). Dieses Muster ist aus verschiedenen Gründen zweckmäßig1.Mit einer gewissen Berechtigung ist davon auszugehen, dass die verwendete Unterteilungcharakteristische Lebensabschnitte2 - wenngleich recht unscharf - erfasst:

- unter 15 Jahre: "Kindesalter", darunter unter 6 Jahre: „Vorschulalter“,

- 15 bis unter 25 Jahre: "Jugendalter",- 25 bis unter 45 Jahre: "Jüngere",- 45 bis unter 60 Jahre: "Junge Alte",- 60 Jahre und älter: "Ältere".

1 Die Statistik ist auf eindeutige Differenzierungen angewiesen. Fixierte Altersgrenzen können indes nur in

grober Annäherung charakteristische Lebensphasen wie Kindheit, Jugend, Erwerbsphase, Alter abgrenzen.Denn diese unterscheiden sich individuell und sind ihrerseits historischen Veränderungen unterworfen.

2 Die verschiedenen Altersgruppen unterscheiden sich tendenziell durch mehr oder weniger dominante typi-sche Lebensformen und -situationen, z. B. Kindesalter: Lernen; Jugendalter: berufliche Ausbildung; Jünge-re: berufliche Tätigkeit und Entwicklung; Elternrolle in der Zwei-Generationen-Familie; Junge Alte: höchsteberufliche Situierung, zunehmende Gefährdung des Arbeitsplatzes, Ein-Generationen-Haushalt; Ältere:Ruhestand.Die verwendeten Bezeichnungen sind keine Definitionen, sondern Hilfsmittel zur groben verbalen Kenn-zeichnung der Altersgruppen. So stimmt z.B. die Altersgrenze 60 für „Ältere“ nicht überein mit dem gesetz-lich festgelegten Renteneintrittsalter. Jedoch steht nur noch eine Minderheit der 60-Jährigen im Berufsle-ben. Nicht zu übersehen sind auch Tendenzen der Auflösung dieser alterstypischen Lebensformen (z.B.Stichwort „Lebenslanges Lernen“).

1. Bevölkerungsstruktur und -entwicklung

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Tab. 1-3

Melderechtlich registrierte Einwohner nach Altersgruppen 12/2002

Altersgruppe von ... bis unter ... Jahren(Zeilen-)ProzentBezirk

unter 6 6 - 15 15 - 25 25 - 45 45 - 60 60 u. älter

Mitte 5,8 7,9 12,7 36,9 17,7 19,0Friedrichshain-Kreuzberg 5,9 7,7 13,5 42,4 15,7 14,8Pankow 5,0 6,6 12,5 39,9 15,5 20,4Charlottenburg-Wilmersdorf 4,3 6,3 9,1 31,9 23,0 25,4Spandau 5,3 8,8 10,8 28,3 20,4 26,4Steglitz-Zehlendorf 4,9 7,8 9,5 28,1 21,8 27,9Tempelhof-Schöneberg 5,1 7,8 10,1 32,0 21,5 23,6Neukölln 5,9 9,1 11,7 31,8 19,5 22,1Treptow-Köpenick 4,4 7,3 11,8 30,0 17,5 29,0Marzahn-Hellersdorf 4,2 9,2 17,7 29,7 22,3 17,0Lichtenberg 4,0 7,1 15,5 30,4 20,3 22,6Reinickendorf 4,9 8,7 10,3 27,6 21,5 27,1

Berlin 5,0 7,8 12,0 32,7 19,7 22,8

Abb. 1-3* * * * H I E R A R C H I C A L C L U S T E R A N A L Y S I S * * * * *

Rescaled Distance Cluster Combine

C A S E 0 5 10 15 20 25

Label Num +---------+---------+---------+---------+---------+

Stegl-Zehl 6 __Reinickend 12 ________Spandau 5 __ ___Trept-Köp 9 ________ ___Charl-Wilm 4 __________ _________________________Temp-Schön 7 __ _ _Neukölln 8 ____________ _______________Lichtenbg 11 ______ _ _Marz-Hell 10 ____________________________________

_Mitte 1 ____________ _Pankow 3 ______

_______________________________________FH-KB 2 ____________

Es ist schwierig, jeden Bezirk mit jedem in allen 6 Alterskriterien „per Hand“ und nach derAnschauung zu vergleichen. Mit dem Ziel einer übersichtlicheren Gestaltung des Vergleichswird das (hier nicht dokumentierte) statistische Verfahren der Clusteranalyse eingesetzt. Da-bei werden die einzelnen Bezirke schrittweise Gruppen (Clustern) zugeordnet, die sich ei-nerseits voneinander altersstrukturell deutlich unterscheiden. Innerhalb der Gruppen sindandererseits Bezirke mit ähnlicher Altersstruktur vereint. Je mehr Gruppen auf diese Weisegebildet werden, desto ausgeprägter ist natürlich deren Homogenität. Zu beachten ist ferner,dass für diese Analyse die beiden Altersgruppen unter 15 Jahre zusammengefasst wurden.

1. Bevölkerungsstruktur und -entwicklung

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Die Clusterbildung wird in Abb. 1-3 dargestellt. Die (gestrichelte) Vertikale ordnet die Bezirke3 Clustern zu1.

Karte 1-4

Mit der Konstituierung von drei Clustern (vgl. Karte 1-4) soll eine recht grobe Unterscheidunggenügen (ein detaillierter Vergleich per Tabelle bleibt möglich). Die extremen altersstruktu-rellen Disproportionen eines durch Neubaugebiete geprägten Bezirks isolieren Marzahn-Hellersdorf schon auf dieser Stufe zu einem separaten Cluster („Cluster 3“)2. In einem weite-ren Cluster („Cluster 1“) werden die drei, nach dem Durchschnittsalter, „jungen“ Bezirke Mit-te, Friedrichshain-Kreuzberg und Pankow, zusammengefasst. Alle übrigen Bezirke gehörenCluster 2 an.

Die altersstrukturelle Spezifik der einzelnen Cluster wird in Abb. 1-3 mit Bezug auf die Rela-tionen für Berlin ersichtlich.

Die in Cluster 1 vereinten „jungen“ Bezirke zeichnen sich (im Mittel) vor allem durch dieÜberpräsenz der jüngeren Elterngeneration im erwerbsfähigen Alter (25 bis unter 45 Jahre)aus, während die beiden oberen Altersgruppen (über 45) deutlich defizitär vertreten sind.

Cluster 2, mit dem Gros der Bezirke, entspricht im wesentlichen dem Berlin-Standard miteinem leichten Überhang der Älteren (ab 60).

1 Durch Verschiebung der Vertikalen nach links (in Richtung eines geringeren Distanzniveaus) erhöht sich die

Zahl der gebildeten Cluster und umgekehrt. Bei der Distanzmarke 20 sind es nur noch 2 Cluster – allerdingsist die Forderung der internen Homogenität kaum noch zu erfüllen.

2 Die Nummerierung der Cluster erfolgt automatisch mit dem statistischen Verfahren.

1. Bevölkerungsstruktur und -entwicklung

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Abb. 1-3a

Durchschnittliche Altersstruktur von 3 Bezirks-Clustern (12/2002)

13,0

12,7

13,4

12,8

12,9

11,1

17,7

12,0

39,7

30,0

29,7

32,7

16,3

20,7

22,3

19,7

18,1

25,5

17,0

22,8

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

Cluster 1

Cluster 2

Marz-Hell(=Clu 3)

Berlin

unter 15 15 - 25 25 - 45 45 - 60 60 u. älter

In Marzahn-Hellersdorf ist die junge Generation (unter 25) extrem über- und die ältere ex-trem unterbesetzt. Auch die Altersgruppe zwischen 45 und 60 Jahren ist hier überproportio-nal vertreten – ein Hinweis darauf, dass die Elterngeneration unter den Erstbeziehern derbetreffenden Großsiedlungen die demografisch aktive Phase hinter sich hat und der Bezirkallmählich seinen Charakter als „Kinderstube“ Berlins verliert. Die niedrigste Geburtenratealler Bezirke (vgl. Tab. 1-2) findet damit ihre Erklärung in den Besonderheiten der Alters-struktur. Dazu gehört, dass der sehr hohe Anteil junger Menschen einher geht mit einer au-ßerordentlich niedrigen Quote der Kinder im Vorschulalter (vgl. Tab. 1-3). Diese atypischeAltersgliederung, entstanden durch die relativ undifferenzierte Struktur der Erstbezieher vonNeubaugebieten, wird zu einem beschleunigten Wachstum des Durchschnittsalters dieserGebiete führen. Sofern künftige Wanderungsprozesse nicht die Altersstruktur erheblich har-monisieren, führt diese Entwicklung schließlich zu einer überalterten Bevölkerung des Be-zirks.

In den Strukturveränderungen der Privathaushalte1 und Familien zeigen sich sowohl de-mografische Entwicklungen als auch die Wandlungen von Wertvorstellungen. Sie reflektierenu.a. die Veränderungen in der Anzahl der Kinder in den Familien, in der Einstellung zur Ehe,im Zusammenleben der Generationen. Sie sind von Bedeutung für den zukünftigen Bedarfan sozialen Einrichtungen, an Wohnungen, an Wohnfläche je Wohnung usw.

Insgesamt gibt es in Berlin eine Tendenz zu kleineren Haushalten. Die Mehrpersonenhaus-halte scheinen ihre Dominanz zu verlieren (Tab. 1-5). Der generelle Trend wurde in Berlindurch eine Angleichungstendenz Ostberlins an die Westberliner Standards beschleunigt.

Tab. 1-5Privathaushalte in Berlin im April/Mai der Jahre 1991, 1996, 2001, 20022

1991 1996 2001 2002durchschnittliche Haushaltsgröße (Personen) 2,0 1,9 1,8 1,8Einpersonenhaushalte (%) 44,9 45,7 49,0 49,0

Der Bezirksvergleich (Tab. 1-6) verdeutlicht, dass die Mehrpersonenhaushalte in einer Reihevon Bezirken bereits klar in der Minderheit sind (Karte 1-5). Das betrifft die Citybezirke Mitteund Friedrichshain-Kreuzberg, den Wachstumsbezirk Pankow sowie Charlottenburg-Wilmersdorf und Tempelhof-Schöneberg. Den Gegenpol dazu bildet Marzahn-Hellersdorf,

1 „Einen Privathaushalt bilden alle Personen, die gemeinsam wohnen und wirtschaften, d.h. insbesondere

ihren Lebensunterhalt gemeinsam finanzieren.“ StJBB2002, 21.2 Quelle: StaLAB, Mikrozensus.

1. Bevölkerungsstruktur und -entwicklung

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wo zwei Drittel aller Haushalte mehrere Personen umfassen und die durchschnittliche Haus-haltsgröße von 2,1 einen Höchstwert erreicht. Entgegen dem längerfristigen Trend ist in Rei-nickendorf und Neukölln gegenüber dem Vorjahr (2001) ein geringfügiges Wachstum dermittleren Haushaltsgröße zu registrieren.

In allen Bezirken bestehen die Mehrpersonenhaushalte überwiegend nur aus zwei Personen.

Tab. 1-6

Privathaushalte in Berlin im April 2002 nach Bezirken

Einpersonenhaus-halte

Mehrpersonenhaushalte

davon mit ... Perso-nen

Insge-samt dar.

weiblich2 3

4 u.mehr

HH-Größe(Personen)

Bezirke

HH=100EPHH=100

HH=100

MPHH = 100 2002 2001

Mitte 100,0 53,5 44,3 46,5 58,0 23,2 18,8 1,8 1,8Friedrichshain-Kreuzberg 100,0 59,9 43,6 40,1 57,2 20,7 22,1 1,7 1,7Pankow 100,0 54,8 49,7 45,2 65,0 22,4 12,6 1,7 1,7Charlottenburg-Wilmersdorf 100,0 54,0 55,1 46,0 66,2 20,9 12,9 1,7 1,7Spandau 100,0 44,6 57,6 55,4 61,2 19,1 19,7 1,9 1,9Steglitz-Zehlendorf 100,0 44,0 62,9 56,0 62,7 19,7 17,6 1,9 1,9Tempelhof-Schöneberg 100,0 51,7 54,4 48,3 62,3 18,0 19,7 1,8 1,8Neukölln 100,0 49,3 51,7 50,7 58,1 19,5 22,4 1,9 1,8Treptow-Köpenick 100,0 41,9 57,4 58,1 60,9 22,7 16,5 1,9 1,9Marzahn-Hellersdorf 100,0 35,7 48,9 64,3 52,2 25,8 22,0 2,1 2,2Lichtenberg 100,0 46,4 44,7 53,6 61,9 24,2 13,8 1,8 1,9Reinickendorf 100,0 40,8 58,5 59,2 63,7 18,5 17,8 2,0 1,9

Berlin 100,0 49,0 51,8 51,0 61,0 21,2 17,8 1,8 1,8

Ein hoher Anteil weiblicher Einpersonenhaushalte ist Hinweis auf einen hohen Altersdurch-schnitt der betreffenden Personen. Demzufolge dürften besonders die Bezirke Mitte, Fried-richshain und Lichtenberg Konzentrationsräume von jüngeren und männlichen Single-Haushalten sein (Tab. 1-6).

Der offenkundige Zusammenhang von Haushaltsgröße und Anzahl der Kinder wird in Ta-belle 1-7 konkretisiert. In allen Bezirken sind die Mehrpersonenhaushalte überwiegend kin-derlos. Dies ist ein Merkmal der deutschen Bevölkerung, für die ausländische trifft das Ge-genteil zu.

In nur einem Drittel der Mehrpersonenhaushalte mit deutscher Bezugsperson leben Kinder.Mehrpersonenhaushalte mit ausländischer Bezugsperson sind hingegen überwiegend Haus-halte mit Kindern. Unter diesen wiederum dominieren solche mit mehreren Kindern.

Lediglich in den Zentrumsbezirken Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg sowie im Neubaube-zirk Marzahn-Hellersdorf (Maximum 44,3%) und seit 2002 auch in Neukölln überschreitetder Anteil der Haushalte mit Kindern wenigstens die 40-Prozent-Marke (Karte 1-5).

Bezirke mit einem besonders geringen Anteil von Haushalten mit Kindern sind Reinickendorf,Steglitz-Zehlendorf, Lichtenberg und Treptow-Köpenick (Karte 1-6).

1. Bevölkerungsstruktur und -entwicklung

isda Kap1_03.doc13

Karte 1-5

Tab. 1-7

Privathaushalte in Berlin im April 2002 nach Bezirken und Anzahl der Kinderunter 18 Jahren

Haushalte mit Kindernunter 18 J

davon mitHaushalteohne Kin-der unter

18 J 2002 2001 einem Kind2 und mehr

Kindern

Mehrpersonen-HH=100HH mit Kindernunter 18 J =100

Bezirk

Prozent

Mitte 58,2 41,8 42,3 54,8 45,2

Friedrichshain-Kreuzberg 58,7 41,3 43,3 55,5 44,5

Pankow 64,6 35,4 32,0 66,3 33,7

Charlottenburg-Wilmersdorf 62,9 37,1 36,2 67,6 32,4

Spandau 62,5 37,5 39,3 53,3 46,7

Steglitz-Zehlendorf 66,7 33,3 32,5 57,3 42,7

Tempelhof-Schöneberg 63,4 36,6 36,6 54,7 45,3

Neukölln 59,9 40,1 37,4 51,6 48,4

Treptow-Köpenick 65,4 34,6 31,2 60,4 39,6

Marzahn-Hellersdorf 55,7 44,3 46,8 60,2 39,8

Lichtenberg 65,5 34,5 37,0 66,2 33,8

Reinickendorf 67,1 32,9 31,7 52,7 47,3

Insgesamt 62,6 37,4 37,0 58,5 41,5

mit deutscher Bezugsperson 65,4 34,6 34,6 61,7 38,3

mit ausländ. Bezugsperson 40,5 59,5 56,4 43,3 56,7

1. Bevölkerungsstruktur und -entwicklung

isda Kap1_03.doc14

Karte 1-6

Tab. 1-8

Veränderungen der Familienstruktur in Berlin 1991 – 2002 (Prozent)1

Merkmal 1991 1996 2001 2002

Familien insgesamt 100,0 100,0 100,0 100,0

mit deutscher Bezugsperson 90,9 87,7 86,9 86,9mit ausländischer Bezugsperson 9,1 12,3 13,1 13,1

Ehepaare ohne Kinder (Familien = 100) 40,0 41,9 44,2 44,2

Familien mit Kindern2 (Familien =100) 60,0 58,1 55,5 55,8davon mit ...

1 Kind 57,2 57,4 57,9 57,92 Kinder 34,2 33,5 32,8 32,83 und mehr Kinder 8,6 9,1 9,4 9,4

Ehepaare mit Kindern (Ehepaare=100) 50,9 47,1 42,2 41,7Ehepaare mit Kindern (Familien mit Kindern=100) 69,3 64,2 58,6 56,5

mit deutscher Bezugsp. (Ehepaare mit Kindern =100) 85,4 80,0 78,0 78,5mit ausländischer Bezugsp. (Ehepaare mit Kindern =100) 14,6 20,0 22,0 21,5

Alleinerziehende3 (Familien mit Kindern=100) 30,7 35,8 41,4 43,5Mütter (Alleinerziehende = 100) 87,0 84,5 82,8 81,3Väter (Alleinerziehende = 100) 13,0 15,5 17,2 18,7

1 Quelle: StaLA Berlin, Mikrozensus2 Ohne Altersbegrenzung3 Einschließlich der Alleinerziehenden, die Partner in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft sind

1. Bevölkerungsstruktur und -entwicklung

isda Kap1_03.doc15

Mit der Analyse der Struktur von Familien1 wird eine etwas andere Perspektive auf die For-men des Zusammenlebens eröffnet, indem seitens der Statistik zum einen der juristischeStatus der Ehe und zum anderen die Gemeinschaft mit Kindern als Kriterium herangezogenwerden.

Im zurückliegenden Jahrzehnt ergaben sich folgende Entwicklungstendenzen der Familien-struktur (vgl. Tab. 1-8): Der Anteil

− von Familien mit ausländischer Bezugsperson2 wuchs,− von Familien mit Kindern verminderte sich zugunsten von Ehepaaren ohne Kinder,− von Alleinerziehenden stieg auf Kosten des Anteils von Ehepaaren mit Kindern an,− von alleinerziehenden Vätern erhöhte sich,− von Einkind-Familien blieb im wesentlichen unverändert.

Abb. 1-4

Familien mit Kindern unter 18 Jahren 2002

67,8

64,9

63,9

63,4

59,2

56,7

56,4

56,2

55,0

52,1

51,6

43,9

43,9

32,2

35,1

36,1

36,6

40,8

43,3

43,6

43,8

45,0

47,9

48,4

56,1

56,1

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

Reinickendorf

Steglitz-Zehlendorf

Neukölln

Spandau

Tempelhof-Schöneberg

Marzahn-Hellersdorf

Berlin

Mitte

Friedrichshain-Kreuzberg

Treptow-Köpenick

Charlottenburg-Wilmersdorf

Lichtenberg

Pankow

Ehepaare Alleinerziehende

Der in der Statistik gebrauchte Indikator „Alleinerziehende“ ist recht unscharf, weil nicht er-hoben wird, ob das betreffende Elternteil allein oder in Partnerschaft lebt3. Nichtsdestoweni-ger lassen sich auch auf dieser Erhebungsgrundlage Einsichten gewinnen, da zum einenauch die „echten“ Alleinerziehenden in dieser Gruppe erfasst werden. Zum anderen ist

1 „In Anlehnung an Empfehlungen der Vereinten Nationen zählen als Familien sowohl Ehepaare mit und ohne

Kinder als auch alleinerziehende ledige, verheiratet getrenntlebende, verwitwete und geschiedene Väter undMütter mit ihren im gleichen Haushalt lebenden ledigen Kindern.“ (StJBB2003, 21)

2 „Bezugsperson der Familie: Um die Familie in der Statistik abgrenzen zu können, wird eine Bezugspersonin der Familie benötigt. Diese Person ist bei Ehepaaren aus aufbereitungstechnischen Gründen grundsätz-lich der Ehemann und bei Alleinerziehenden diese Person selbst, wobei Kinder als Bezugsperson ausge-schlossen sind.“ (vgl. StJBB 2003, 21).

3 „Alleinerziehende: Ledige, verheiratet getrenntlebende, verwitwete und geschiedene Väter und Mütter, diemit ihren Kindern zusammenleben. Es ist unerheblich, ob außer dem alleinerziehenden Elternteil und denKindern noch weitere Personen in dem Haushalt leben (z.B. der Partner in einer nichehelichen Lebensge-meinschaft).“ (StaLAB 2002: Statistischer Bericht A I 5/7 und A VI 2/4 – j 01, 8).

1. Bevölkerungsstruktur und -entwicklung

isda Kap1_03.doc16

ebenfalls klar, dass die eventuell bestehenden Partnerschaften nicht auf Eheschließung ba-sieren. Insofern kann der Status Alleinerziehend tatsächlich in gewisser Hinsicht als eineAlternative zur Ehe als der tradierten Form des Zusammenlebens mit Kindern angesehenwerden.

In Berlin dominieren Ehepaare mit Kindern (unter 18) noch klar vor den Alleinerziehenden.Deren Anteil differiert allerdings zwischen den Bezirken beträchtlich (Abb. 1-4). Der Bezirks-vergleich zeigt auch, dass die Familienform alleinerziehend im Osten Berlins noch erheblichstärker verbreitet ist als im Westteil der Stadt. Die Bezirke mit dem höchsten Anteil Alleiner-ziehender (darunter Pankow und Lichtenberg mit über 50 Prozent) liegen im ehemaligenOstberlin. Umgekehrt sind die 5 Bezirke mit den niedrigsten Alleinerziehendenquoten (Mini-mum Reinickendorf mit knapp einem Drittel der Familien mit Kindern unter 18) reine „West-Bezirke“.

2. Wanderung

isda Kap2_03.doc17

2. Wanderung

Veränderungen der Einwohnerzahl und der sozialräumlichen Struktur einer Stadt können aufzwei Prozesse zurückgeführt werden – die natürliche Bevölkerungsentwicklung und dieWanderung. Es wurde bereits festgestellt, dass die z.T. erheblichen Unterschiede der bezirk-lichen Bevölkerungsentwicklung nicht aus der natürlichen Bilanz erklärt werden können. Dasgilt auch für gesamtstädtische Veränderungen.

Die Auswertung der Wanderungsvorgänge ist aus einem weiteren Grund von besondererRelevanz für die Analyse sozialräumlicher Strukturveränderungen. Wanderungen erfolgensozialstrukturell selektiv, d.h. die verschiedenen sozialen (und demografischen) Gruppensind in unterschiedlichem Maße an den Wanderungsprozessen beteiligt. Insofern verändertsich unter dem Einfluss der Migration nicht nur die räumliche Verteilung, sondern auch diesoziale Zusammensetzung der Bevölkerung in den Quell- und Zielgebieten der Wanderung.

Im Zeitraum nach der Wiedervereinigung Berlins unterlagen die Wanderungsbilanzen großenSchwankungen (Tab. 2-1, Abb. 2-1, Abb. 2-2).

Tab. 2-1

Wanderungssalden über die Landesgrenze von Berlin 1991-2002nach Staatsbürgerschaft und Gebiet

Staatsbürgerschaft Gebiet

JahrDeutsche Ausländer Insgesamt Ausland

engererVerflech-

tungsraum

übrigesBundesge-

biet 1991 - 519 25 947 25 428 24 447 158 823 1992 -3 811 35 865 32 054 34 277 -787 -1 436 1993 -8 486 30 679 22 193 29 162 -3 938 -3 031 1994 -12 388 21 240 8 852 17 248 -9 752 1 356 1995 -16 196 26 202 10 006 22 224 -14 522 2 304 1996 -21 570 17 109 -4 461 14 265 -18 759 33 1997 -29 468 2 542 -26 926 - 962 -27 985 2 021 1998 -22 974 1 649 -21 325 - 404 -29 874 8 953 1999 -14 563 7 548 -7 015 6 210 -25 246 12 021 2000 -7 172 6 314 -858 4 962 -18 857 13 037 2001 -1 151 11 618 10 467 11 168 -14 413 13 7122002 -1 488 10 173 8 685 9 735 -12 333 11 253

Summe -139 786 196 886 57 100 172 332 -176 308 61 046

Alles in allem erzielte Berlin, gemessen an der Einwohnerzahl am 31.12.19901, in den Jah-ren 1991 bis 2002 einen bescheidenen Wanderungsgewinn von 1,7 Prozent. Dahinter ver-bergen sich allerdings starke Strukturverschiebungen: Die deutsche Bevölkerung vermin-derte sich im Saldo der Wanderungen um 4,5 Prozent, die ausländische Einwohnerschafterhielt hingegen einen Wanderungszuwachs von 59 Prozent.

Konträr sind auch die Wanderungsbilanzen mit den verschiedenen Raumsegmenten derAußenwanderung (Bezugspunkt: Einwohner am 31.12.1990). Der starke Wanderungsgewinnvon 5,0 Prozent gegenüber dem Ausland wurde total kompensiert von entsprechenden Ver-lusten (-5,1%) an das Umland der Stadt (engerer Verflechtungsraum). Annähernd entsprichtder Wanderungsüberschuss quantitativ dem Gewinn von 1,8 Prozent gegenüber dem Bun-desgebiet außerhalb der Metropolenregion2.

1 Quelle: StaLAB 1995: Statistischer Bericht AI 3/S-hj 2/94, 6.2 Metropolenregion – das von der Stadt und ihrem Umland gebildete Territorium.

2. Wanderung

isda Kap2_03.doc18

Abb. 2-1

Berlin 1991 - 2002: Wanderungssalden nach Deutschen und Ausländern

-40000

-30000

-20000

-10000

0

10000

20000

30000

40000

1991

1992

1993

1994

1995

1996

1997

1998

1999

2000

2001

2002

Deutsche Ausländer Insgesamt

Abb. 2-2

Berlin 1991-2002: Außenwanderungssalden nach Gebiet

-40000

-30000

-20000

-10000

0

10000

20000

30000

40000

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002

Ausland insgesamt

engerer Verflechtungsraum übriges Bundesgebiet

Aufschlussreich ist auch der zeitliche Verlauf des Wanderungsgeschehens seit Anfang der90-er Jahre (Abb. 2-1, 2-2).

Die Wanderungsbilanzen von Deutschen und Ausländern fielen, bei phasenverschobenemKurvenverlauf, stets konträr aus. Alljährlich ergab sich für Berlin Wanderungsverlust bezüg-lich der deutschen und Wanderungsgewinn hinsichtlich der ausländischen Bevölkerung, ob-gleich die Schwankungen teilweise nahe an die Null-Marke heranreichten. Die Jahre großerZuwanderungsüberschüsse lagen bei der ausländischen Bevölkerung in der ersten Hälfteder 90-er Jahre. Der Einbruch erfolgte 1997. Seit 1999 ist der Wanderungsgewinn wiedergrößer, ohne jedoch die hohen Werte früherer Jahre zu erreichen.

2. Wanderung

isda Kap2_03.doc19

Die Wanderungsverluste der deutschen Bevölkerung wuchsen in den 90-er Jahren kontinu-ierlich an, erreichten 1997 ein Maximum und verringerten sich danach stark auf ein Saldovon weniger als 1.500 in den Jahren 2001 und 2002.

Im Zeitraum 1996 – 2000 überstieg der Wanderungsverlust der Deutschen den Wande-rungsgewinn der ausländischen Bevölkerung, verminderte sich also die Bevölkerung Berlinsim Ergebnis der Migration. Seit 2001 wurde wiederum Zuwanderungsüberschuss erzielt.

Offenkundig ist der negative Wanderungssaldo der deutschen Bevölkerung Berlins in hohemMaße aus Umzügen in das Berliner Umland zu erklären (vgl. Abb. 2-2). Bis 1998 nahmendiese Verluste kontinuierlich zu und klingen seither mehr und mehr ab1. Dazu dürfte dasAuslaufen der steuerlichen Sonderabschreibungen für den ostdeutschen Wohnungsbaukräftig beigetragen haben (Matthießen 2002a, 88). Seit 1997 steigt der Zuwanderungsüber-schuss aus dem übrigen Bundesgebiet, vermochte bisher aber noch nicht die Umlandverlu-ste zu kompensieren.

Abb. 2-3

Berlin 2002: Wanderungssalden nach Altersgruppen, Deutschen und Ausländern

-4000

-2000

0

2000

4000

6000

8000

10000

12000

14000

16000

unte

r 6

6 -

15

15 -

18

18 -

20

20 -

25

25 -

30

30 -

35

35 -

40

40 -

45

45 -

50

50 -

55

55 -

60

60 -

65

65 u

nd m

ehr

Deutsche Ausländer insges.

Wanderungsprozesse sind altersstrukturell stark selektiv. Sie üben deshalb einen beträchtli-chen Einfluss auf die Altersgliederung der Bevölkerung aus. Die verschiedenen Altersgrup-pen weisen sehr unterschiedliche, teils gegensätzliche Wanderungsbilanzen auf (Abb. 2-3).In der Altersspanne zwischen 20 und 30 Jahren (Studium, Ausbildung, Ausländer, junge Ab-solventen) ist ein sehr starker Zuwanderungsüberschuss zu verzeichnen. Bei den unter 15-Jährigen und in allen Altersstufen ab 30 Jahre gab es 2002 Wanderungsverluste.

Mit dem aktuellen Wanderungsgeschehen geht alles in allem ein Verjüngungsprozess ein-her. So ergaben sich in den Jahren 2000 bis 2002 Wanderungsgewinne bei den unter 35-Jährigen von über 50.000 Personen, während die über 34-jährige Bevölkerung einen Nega-tivsaldo von etwa 32.000 hinzunehmen hatte.

Paradoxerweise gehört zu diesem Verjüngungsprozess eine fatale Begleiterscheinung: DieHauptstadt muss starke wanderungsbedingte Verluste an Kindern und Jugendlichen unter 15Jahren hinnehmen. In den drei Jahren 2000 bis 2002 betrug der negative Wanderungssaldo

1 Z.T. bilden sich Rückwanderungstendenzen heraus (Matthießen 2002b).

2. Wanderung

isda Kap2_03.doc20

dieser Altersgruppe im deutschen Bevölkerungsteil (und nur dieser ist davon betroffen) ins-gesamt 3,4 Prozent.

Berlin verliert durch die Wanderung deutsche Familien (besonders Eltern im Alterssegment35 bis 45 mit ihren Kindern) und deutsche Ältere (ab 45-Jährige), deren Kinder bereits dasElternhaus verlassen haben.

Ausländer spielen nur in den Wanderungsbilanzen der unter 35-Jährigen eine relevanteRolle – und zwar ausschließlich im Sinne von Wanderungsgewinn1. Im Saldo konzentrierensich die ausländischen MigrantInnen zu drei Vierteln auf die Altersspanne zwischen 20 und30 Jahren.

Tab. 2-2Wanderungssalden über die Bezirksgrenzen von Berlin 2002 je 1000 EW

(der betreffenden Bevölkerungsgruppe)Wanderungen insgesamt

Insgesamt

zwischen den Bezir-ken

Insgesamt

über die Landesgren-zen

Bezirke Deut-sche

Aus-länder 2002 2001

Deut-sche

Aus-länder

Insge-samt

Deut-sche

Aus-länder

Insge-samt

Mitte -9,1 29,6 1,3 4,3 -17,1 7,5 -10,5 8,0 22,1 11,8Friedrichshain-Kreuzberg 2,4 19,9 6,3 3,2 -11,8 -4,5 -10,2 14,2 24,4 16,4Pankow 9,6 30,8 10,8 12,8 6,5 -42,5 3,7 3,1 73,3 7,1Charlottenburg-Wilmersdorf -4,1 32,5 1,9 3,4 -4,7 3,2 -3,4 0,7 29,3 5,3Spandau 6,1 23,1 8,2 8,7 10,3 -24,5 6,0 -4,2 47,5 2,2Steglitz-Zehlendorf 2,6 25,2 4,6 6,0 7,0 5,3 6,8 -4,4 19,9 -2,3Tempelhof-Schöneberg -3,6 11,1 -1,4 1,9 -5,8 -8,9 -6,3 2,2 20,0 4,8Neukölln -5,5 27,1 1,5 2,1 -3,3 13,6 0,3 -2,2 13,5 1,1Treptow-Köpenick 3,2 -33,4 2,0 10,9 6,1 10,0 6,2 -2,9 -43,4 -4,2Marzahn-Hellersdorf -11,7 21,0 -10,6 -18,8 -1,4 -18,3 -2,0 -10,2 39,3 -8,6Lichtenberg 0,5 -4,3 0,1 -2,6 4,6 -1,2 4,1 -4,1 -3,1 -4,0Reinickendorf 3,2 34,4 5,8 3,9 8,7 23,3 9,9 -5,5 11,1 -4,1

Insgesamt -0,5 23,0 2,6 3,1 0,0 0,0 0,0 -0,5 23,0 2,6

Die Wanderungsbilanz der Gesamtstadt besagt wenig über die Salden der einzelnen Bezir-ke. Da diese Verwaltungseinheiten erst seit 2001 existieren, sollen deren Wanderungspro-zesse nur für diesen kurzen Zeitraum analysiert werden (Tab. 2-2), verallgemeinernde Aus-sagen sind also derzeit nur schwer zu treffen.

Im Jahr 2002 gab es hinsichtlich der Wanderungsbilanzen unter den Bezirken Gewinner undVerlierer. Für das Gros der Bezirke waren indes keine erheblichen Veränderungen der Be-völkerungszahl zu verzeichnen (Karte 2-1).

Dass die grundlegenden Tendenzen der Bevölkerungsentwicklung der Bezirke (Abschnitt 1)auf Wanderungseinflüsse zurückgehen, ist offenkundig. Wanderungssalden und Verände-rung der Bevölkerungszahl korrelieren sehr straff (r=0,90).

Nur zwei Bezirke, Marzahn-Hellersdorf und Tempelhof-Schöneberg (sehr moderat), hatten2002 Wanderungsverluste hinzunehmen. Der Verliererbezirk ist Marzahn-Hellersdorf miteinem negativen Wanderungssaldo von 1 Prozent der Bevölkerung in nur einem Jahr. Inkonträrer Position dazu befindet sich Pankow, wo 2002 ein Wanderungsüberschuss von über1 Prozent der Bevölkerung erreicht wurde. Auch Spandau und Friedrichshain-Kreuzbergprofitierten 2002 erheblich vom Wanderungsverlauf.

1 In allen ausgewiesenen Altersgruppen ab 35 gibt es auch bei der ausländischen Bevölkerung (geringe und

überwiegend männliche) Wanderungsverluste.

2. Wanderung

isda Kap2_03.doc21

Karte 2-1

Im Vergleich zum Vorjahr haben sich 2002 die Wanderungssalden in einigen Bezirken rechtdeutlich verändert. In Treptow-Köpenick ist der Wanderungsgewinn erheblich geschrumpft.Marzahn-Hellersdorf hat geringere Wanderungsverluste zu verkraften, bleibt jedoch mit deut-lichem Abstand Schlusslicht der Bezirke.

Aufschlussreich ist die Unterscheidung von Binnen- und Außenwanderung im Bezirksver-gleich (Abb. 2-4):

− Pankow und Spandau profitieren sowohl von der Binnen- als auch von der Außenwande-rung. Allerdings schlägt in Spandau der Ertrag der Umzüge zwischen den Bezirken stär-ker zu Buche als die Wanderung über die Stadtgrenzen. In Pankow ist dies umgekehrt.Die extremen Bevölkerungsverluste Marzahns gehen stark überwiegend an Gebiete au-ßerhalb Berlins, aber auch an andere Bezirke.

− In Reinickendorf und Steglitz-Zehlendorf resultieren die erheblichen Wanderungsgewinnevor allem aus der Zuwanderung aus anderen Bezirken, die Außenwanderung ist hinge-gen mit Verlusten verbunden.

− Von allen Bezirken erzielen Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte die bei weitem größtenGewinne aus der Außenwanderung. Beide Bezirke verbuchen aber auch die stärkstenVerluste in Bezug auf die Binnenwanderung. Im Saldo bleibt für Friedrichshain-Kreuzbergnoch ein kräftiges Plus, für Mitte eher eine „schwarze Null“.

2. Wanderung

isda Kap2_03.doc22

Abb. 2-4

Wanderungssalden 2002 insgesamt, zwi. d. Bezirken u. über Landesgrenzen Berlins je 1000 EW

-15,0

-10,0

-5,0

0,0

5,0

10,0

15,0

20,0

Mar

z-H

ell

Tem

p-S

chöb

g

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g

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e

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Tre

pt-K

öp

Ste

gl-Z

ehl

Rei

nick

end

FH

-Kre

uzb

Spa

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Pan

kow

zwi. Bez. außen Insgesamt

Abb. 2-5

Wanderungssalden 2002 über Bezirksgrenzen insgesamt, nach Deutschen und Ausländern

-4000

-3000

-2000

-1000

0

1000

2000

3000

4000

5000

Mar

z-H

ell

Tem

p-S

chöb

g

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FH

-Kre

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Spa

ndau

Pan

kow

Deutsche Ausländer Insgesamt

Beim Bezirksvergleich der Bilanzen nach deutschen und ausländischen Personen (Abb. 2-5)wird deutlich, dass die Position der beiden Extrembezirke in Bezug auf Wanderungsgewinnbzw. –verlust, Pankow und Marzahn-Hellersdorf, weit überwiegend auf das Migrationsver-halten der deutschen Bevölkerung zurückzuführen ist. Eine Sonderrolle spielt der BezirkMitte, wo sehr starke Gewinne an ausländischen Personen mit sehr starken Verlusten an

2. Wanderung

isda Kap2_03.doc23

Deutschen zusammenfallen (ähnlich, aber wesentlich schwächer, auch in Neukölln undCharlottenburg-Wilmersdorf)1.

Tab. 2-3

Außenwanderung 2002 nach Herkunfts- und Zielgebieten

Herkunfts- bzw. Zielgebietneue Bundesländer

dar. engererVerflech-

Auslandalte

Bundes-länder insgesamt

tungsraum

Bezirk

Saldo je 1000 EWMitte 6,6 9,0 1,3 -3,2Friedrichshain-Kreuzberg 4,6 16,9 6,6 -1,9Pankow 3,4 9,8 -2,2 -5,1Charlottenburg-Wilmersdorf 4,4 4,0 -1,8 -2,4Spandau 6,0 -4,9 -2,8 -3,7Steglitz-Zehlendorf 1,9 -2,4 -5,7 -4,4Tempelhof-Schöneberg 2,0 8,9 -2,8 -2,7Neukölln 3,5 -2,8 -2,0 -3,2Treptow-Köpenick -1,6 -0,4 -4,8 -4,4Marzahn-Hellersdorf 1,1 -7,2 -12,1 -7,8Lichtenberg -0,1 -4,6 -3,2 -6,1Reinickendorf 1,2 -3,7 -6,9 -4,8

Berlin 2,9 2,5 -2,9 -4,2

Sinnvoll ist die Heraushebung der Umlandwanderung aus der übrigen Außenwanderung(Tab. 2-3, Abb. 2-6).

Im Bevölkerungsaustausch mit dem Umland verlieren alle Bezirke. Marzahn-Hellersdorfweist in beiden Komponenten der Außenwanderung die höchsten relativen Verluste allerBezirke auf2. Besonders kräftige Zuwächse aus der übrigen Außenwanderung (übriges Bun-desgebiet und Ausland) erzielten vor allem Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte und Pankow.

1 Zu beachten ist, dass sich die Angaben in Abb. 2-5 auf die Zahl der Wanderungsfälle, jedoch in Tab. 2-2 auf

Anteile an den betreffenden Bevölkerungsgruppen beziehen.2 Zu beachten ist, dass die Ostberliner Bevölkerung an der Wanderung in das Umland im zurückliegenden

Jahrzehnt überdurchschnittlich stark beteiligt war (Matthießen 2002a, 71). Die Ostberliner Wanderungsverlu-ste an das Umland gehen wiederum in hohem Maße auf die Negativsalden der Neubauregion zurück(Ferchland 2000, 23f).

2. Wanderung

isda Kap2_03.doc24

Abb. 2-6

Salden der Außenwanderung (AW) 2002 je 1000 EW nach engerem Verflechtungsraum (eVflR) und übriger AW

-30,0

-20,0

-10,0

0,0

10,0

20,0

30,0

40,0

Mar

z-H

ell

Rei

nick

end

Lich

tenb

g

Tre

pt-K

öp

Ste

gl-Z

ehl

Spa

ndau

Neu

kölln

Cha

rl-W

ilm

Tem

p-S

chöb

g

Pan

kow

Mitt

e

FH

-Kre

uzb

eVflR AW ohne eVflR AW insges.

Tab. 2-4

Wanderungsquoten über die Bezirksgrenzen 2002nach Bezirken, Deutschen, Ausländern

Insgesamt Deutsche Ausländer

ZuzügeFortzü-

geSaldo Zuzüge

Fortzü-ge

Saldo ZuzügeFortzü-

geSaldoBezirk

Wanderungsfälle je 1000 der betreffenden EW-Gruppe

Mitte 118 116 1 95 104 - 9 179 150 30Friedrichshain-Kreuzberg 121 115 6 109 107 2 162 142 20Pankow 92 81 11 79 70 10 296 265 31Charlottenburg-Wilmersdorf 89 87 2 68 72 - 4 194 162 33Spandau 68 60 8 54 48 6 170 147 23Steglitz-Zehlendorf 76 72 5 63 60 3 215 190 25Tempelhof-Schöneberg 87 89 - 1 71 75 - 4 178 167 11Neukölln 86 84 1 66 72 - 5 158 131 27Treptow-Köpenick 68 66 2 57 54 3 386 420 - 33Marzahn-Hellersdorf 57 67 - 11 50 61 - 12 260 239 21Lichtenberg 87 86 0 71 70 0 276 280 - 4Reinickendorf 66 60 6 55 52 3 180 146 34

Berlin 86 83 3 70 70 - 1 192 169 23

Im Vordergrund der bisherigen Analyse standen mit den Wanderungssalden gewissermaßendie Netto-Bilanzen der Migration. Neben der Gewinn-Verlust-Rechnung ist jedoch auch vonInteresse, wie hoch der Anteil der durch die Wanderung „ausgetauschten“ Einwohner ist.Wanderungssalden sagen nichts über die Intensität von Migrationsprozessen aus. Z.B.zeigte der Bezirk Mitte im Jahr 2002 mit einem spärlichen Wanderungsgewinn von 0,1 Pro-zent der Bevölkerung eine annähernd ausgeglichene Wanderungsbilanz (Tab. 2-4). Ein Hin-

2. Wanderung

isda Kap2_03.doc25

weis auf Stagnation? Das Gegenteil ist zutreffend: In diesem Bezirk gab es eine sehr hoheDynamik der Bevölkerungsentwicklung. Die Zuzugsquote besagt, dass ca. 12 Prozent derBewohner des Bezirks von 2002 dort im Vorjahr noch nicht wohnten. Eben so hoch ist dieWanderungsintensität in Friedrichshain-Kreuzberg, wobei Zu- und Abwanderung allerdingsweniger ausgeglichen sind.

Abb. 2-7

Wanderungsquoten (Zuzüge/Fortzüge/Saldo je 1000 EW) 2002 über Bezirksgrenzen insgesamt

-150

-100

-50

0

50

100

150

Mar

z-H

ell

Tem

p-S

chöb

g

Lich

tenb

g

Mitt

e

Neu

kölln

Cha

rl-W

ilm

Tre

pt-K

öp

Ste

gl-Z

ehl

Rei

nick

end

FH

-Kre

uzb

Spa

ndau

Pan

kow

Zuzüge Fortzüge Saldo

In Marzahn-Hellersdorf wiederum sind extrem hohe Wanderungsverluste zu verzeichnen,obwohl die Fortzugsintensität hier nur unterdurchschnittlich ausgeprägt ist (Rangplatz 9).Das heißt auch: In diesem Bezirk gibt es eine überdurchschnittlich hohe Wohnortbindung derBevölkerung, womit auch die These von einer „Flucht aus der Platte“ ad absurdum geführtist. Die Ursache der Wanderungsverluste in Marzahn-Hellersdorf liegen also nicht in einembesonders großen Abwanderungsdruck, sondern in einer zu geringen Anziehungskraft ge-genüber potenziellen Zuwanderern. Kein Bezirk weist so niedrigste Zuwanderungsquoten auf(Tab. 2-4).

Die Zu- und Abwanderungsquoten der Bezirke tendieren zu einer annähernden Balance(Abb. 2-7). Hohe Zuwanderungsquoten fallen in der Regel auch mit hohen Abwande-rungsquoten zusammen und umgekehrt (Korrelation r=0,96).

2. Wanderung

isda Kap2_03.doc26

Tab. 2.6

Binnenfortzüge/Binnenzuzüge in Berlin 2002 nach Bezirken (%)

Nach BezirkVon

Bezirk

Mitte Friedrh. –Kreuzb

Pankow Charl -Wilm

Spandau Steg -Zehl

Temp -Schön

Neukölln Trept -Köp

Marz -Hell

Lichten-berg

Reini-cken-dorf

Bin-nen-fort-züge

Bi-Fortz. X 11,5 16,3 12,8 5,7 6,2 10,2 9,0 3,1 2,7 5,0 17,4 100,0Mitte

Bi-Zuz. X 15,8 22,6 19,4 15,4 10,9 13,3 12,7 7,5 6,9 8,4 37,9

Bi-Fortz. 13,3 X 15,1 6,5 2,5 4,8 11,7 20,8 6,4 4,4 11,8 2,7 100,0Friedrh.-Kreuzb. Bi-Zuz. 13,1 X 17,6 8,2 5,8 7,1 12,9 24,6 12,8 9,4 16,7 5,0

Bi-Fortz. 18,4 18,5 X 5,1 2,2 3,3 4,5 6,1 7,2 8,7 19,5 6,5 100,0Pankow

Bi-Zuz. 14,3 16,9 X 5,2 3,9 3,9 4,0 5,7 11,5 14,8 21,8 9,4

Bi-Fortz. 17,6 7,9 5,5 X 12,7 18,6 18,0 7,9 1,9 1,2 1,8 7,0 100,0Charlbg.-Wilmersd. Bi-Zuz. 14,6 7,7 5,4 X 24,3 23,3 16,7 7,9 3,2 2,1 2,1 10,7

Bi-Fortz. 14,7 5,2 5,7 19,4 X 7,7 10,5 8,3 6,3 4,4 5,5 12,2 100,0Spandau

Bi-Zuz. 5,3 2,2 2,4 9,1 X 4,2 4,2 3,6 4,7 3,5 2,9 8,2

Bi-Fortz. 10,3 7,3 5,5 22,6 5,8 X 28,4 10,0 2,2 1,1 2,2 4,5 100,0Steglitz-Zehlend. Bi-Zuz. 5,8 4,8 3,7 16,4 7,6 X 17,9 6,7 2,6 1,4 1,7 4,7

Bi-Fortz. 11,7 10,0 4,7 16,1 6,3 19,2 X 17,5 3,2 3,3 3,3 4,8 100,0Tempelh.-Schöneb. Bi-Zuz. 11,7 11,7 5,5 20,9 14,5 29,0 X 21,0 6,5 7,2 4,7 8,9

Bi-Fortz. 11,8 18,0 5,0 8,4 4,7 9,5 22,9 X 9,0 2,0 3,5 5,2 100,0Neukölln

Bi-Zuz. 9,8 17,5 4,9 9,0 9,1 11,9 21,3 X 15,3 3,5 4,2 7,9

Bi-Fortz. 8,5 11,7 11,8 3,4 3,1 3,4 5,6 14,2 X 16,5 19,1 2,6 100,0Treptow-Köpenick Bi-Zuz. 3,5 5,7 5,8 1,8 3,0 2,1 2,6 7,1 X 15,0 11,3 2,0

Bi-Fortz. 7,3 9,2 15,6 1,9 2,5 1,9 2,6 4,8 16,4 X 34,9 2,8 100,0Marzahn-Hellersd. Bi-Zuz. 3,5 5,2 8,9 1,2 2,8 1,4 1,4 2,8 16,3 X 24,2 2,5

Bi-Fortz. 10,0 13,0 21,5 3,0 1,9 2,1 2,9 5,8 13,4 24,2 X 2,3 100,0Lichtenberg

Bi-Zuz. 6,5 9,8 16,4 2,5 2,8 2,0 2,1 4,5 17,6 34,0 X 2,8

Bi-Fortz. 28,5 5,5 13,6 11,7 11,2 6,6 7,7 7,1 2,4 2,3 3,4 X 100,0Reinicken-dorf Bi-Zuz. 11,8 2,7 6,7 6,3 10,8 4,1 3,6 3,5 2,0 2,0 2,0 X

BinnenZuz. 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0

Saldo -10,5 -10,2 3,7 -3,4 6,0 6,8 -6,3 0,3 6,2 -2,0 4,1 9,9

Umzüge imgleich. Bez.

Je 1000EW 67,6 67,9 75,9 48,2 67,5 45,8 49,7 69,4 65,8 75,7 66,9 58,4 63,0

Die gewöhnungsbedürftige, weil sehr differenzierte Tabelle 2.6 gibt Auskunft über die Bin-nenwanderungsbeziehungen zwischen allen Bezirken1. In der Regel ist der Bevölkerungs-austausch zwischen Nachbarbezirken besonders intensiv. Randbezirke mit wenig Nachbarnweisen folglich auch die stärkste Konzentration auf wenige dominante Herkunfts- bzw. Zu-zugsbezirke auf. Dies wurde am Beispiel von Marzahn-Hellersdorf (Fortzüge) und Steglitz-Zehlendorf (Zuzüge) veranschaulicht (Abb. 2.8, 2.9).

In beiden Beispielen entfallen mehr als 50 Prozent der Zuzüge bzw. der Fortzüge auf jeweilsnur zwei Nachbarbezirke.

1 In der Zeilenanordnung (rechtsbündig) sind für jeden Bezirk die prozentualen Anteile der Fortzüge in die

anderen Bezirke aufgeführt. Spaltenweise (linksbündig) lassen sich die prozentualen Anteile der Herkunfts-bezirke bezüglich der Zuwanderungen aufsuchen. Quoten, die größer als 10 Prozent sind, wurden fett ge-druckt.

2. Wanderung

isda Kap2_03.doc27

Abb. 2-8

Marzahn-Hellersdorf - Bezirk mit stärkster Konzentration der Binnenfortzüge nach Zielbezirken 2002 (%)

7,3

9,2

15,6

1,9

2,5

1,9

2,6

4,8

16,4

34,9

2,8

0,0 5,0 10,0 15,0 20,0 25,0 30,0 35,0 40,0

Mitte

Friedrh.-Kreuzb.

Pankow

Charlbg.-Wilmersd.

Spandau

Steglitz-Zehlend.

Tempelh.-Schöneb.

Neukölln

Treptow-Köpenick

Lichtenberg

Reinickendorf

Abb. 2-9

Steglitz-Zehlendorf - Bezirk mit stärkster Konzentration der Binnenwanderung nach Herkunftsbezirken 2002 (%)

10,9

7,1

3,9

23,3

4,2

29,0

11,9

2,1

1,4

2,0

4,1

0,0 5,0 10,0 15,0 20,0 25,0 30,0 35,0

Mitte

Friedrh.-Kreuzb.

Pankow

Charlbg.-Wilmersd.

Spandau

Tempelh.-Schöneb.

Neukölln

Treptow-Köpenick

Marzahn-Hellersd.

Lichtenberg

Reinickendorf

Darüber hinaus spielen auch Bezirke, mit denen keine gemeinsame Grenze besteht, einerelevante Rolle als Quell- oder Zielorte der Binnenwanderung (Pankow im Beispiel Marzahn-Hellersdorf, Neukölln und Mitte im Beispiel Steglitz-Zehlendorf).

3. Erwerbssituation

isda Kap3_03.doc28

3. Erwerbssituation1

Arbeitslosigkeit gilt seit den 90-er Jahren als das entscheidende soziale Problem inDeutschland. Dies trifft auch auf die Hauptstadt zu. Die Erwerbssituation Berlins ist durchhohe Dauerarbeitslosigkeit und abnehmende Erwerbsbeteiligung charakterisiert.

Abb. 3-1

Erwerbslosenquote 1991-2002 (%, Erwerbspersonen=100)

10,4

12,813,9 14,3 15,0 15,1

16,417,9 17,5 16,9 17,3

18,3

0,0

2,0

4,0

6,0

8,0

10,0

12,0

14,0

16,0

18,0

20,0

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002

Im Zeitraum von 1991 bis 1998 wuchs die Erwerbslosigkeit2 kontinuierlich an, verharrte so-dann bis 2001 auf einem Niveau um 17 Prozent der Erwerbsbevölkerung3 und erreichte imJahr 2002 sein (vorläufiges?) Maximum von 18,3 Prozent (Abb. 3-1).

Diese Entwicklung wurde von einer Verminderung der Erwerbsquote begleitet. 1991 warennoch 55,1 Prozent der Berliner Bevölkerung erwerbstätig oder bewarben sich um einen Ar-beitsplatz. 2002 war dieser Anteil auf 52,4 Prozent zurückgegangen.

Arbeitslosigkeit und dadurch bedingter Rückzug vom Arbeitsmarkt führten dazu, dass sichder erwerbstätige Teil der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter vermindert hat. Das ist aufden verschiedenen Altersstufen der Fall (Abb. 3-2).

1991 teilte sich die (Gesamt-)Bevölkerung in Berlin noch etwa je zur Hälfte auf Erwerbstätige(49,3%) und Nichterwerbstätige (50,7%). Ein „gutes“ Jahrzehnt später, 2002, hatte sich dieerwerbstätige Bevölkerung auf eine deutliche Minderheit reduziert (42,8%).

1 Dieser etwas knapp gehaltene Abschnitt wird an anderer Stelle hinsichtlich der Arbeitslosigkeit durch eine

kleinräumige Analyse (6.2.2) ergänzt.2 Erwerbslose – „Personen ohne Arbeitsverhältnis, die sich um eine Arbeit bemühen, unabhängig davon, ob

sie beim Arbeitsamt als Arbeitslose gemeldet sind. Insofern ist der Begriff der Erwerbslosen umfassender alsder Begriff der Arbeitslosen. Andererseits zählen Arbeitslose, die vorübergehend geringfügige Tätigkeitenausüben, nach dem Erwerbskonzept (Volkszählung, Mikrozensus) nicht zu den Erwerbslosen, sondern zuden Erwerbstätigen.“ (StaLA Berlin 2002, Statistischer Bericht A I 5/7 – j02, 7.

3 Erwerbsbevölkerung – Erwerbstätige und Erwerbslose.

3. Erwerbssituation

isda Kap3_03.doc29

Abb. 3-2

Erwerbstätigenquoten nach Altersgruppen1991 - 2002 (%, Bevölkerung der Altersgruppe =100)

0,0

10,0

20,0

30,0

40,0

50,0

60,0

70,0

80,0

90,0

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002

15 - 25 25 - 45 45 - 65

Besonders weitgehend und besonders fatal ist der Rückgang der Erwerbstätigenquote beider jüngsten Gruppe im erwerbsfähigen Alter, den 15- bis 25-Jährigen (Tab. 3-1). Dabei ver-stetigte und verfestigte sich die Benachteiligung von Mädchen und jungen Frauen.

Tab. 3-1

Erwerbstätigenquoten der 15- bis unter 25-jährige in Berlin im April/Mai der Jahre 1991 bis2002 nach Geschlecht (%)1

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002männlich 56,2 52,9 50,4 47,2 45,0 44,0 43,4 42,6 41,7 40,0 42,3 39,0weiblich 54,2 48,1 44,7 41,9 41,7 39,8 37,7 35,5 39,5 36,4 37,6 37,1

Zum Vergleich: 15- bis unter 65-jährige

insgesamt 71,1 68,5 66,3 65,5 64,8 63,6 62,1 60,2 60,5 60,8 60,4 59,7

Unter dem Druck andauernder Massenarbeitslosigkeit und fehlender Ausbildungsplätzescheuen viele junge Menschen die harte Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Sie sind bemüht,den Eintritt in das Erwerbsleben hinauszuschieben und deshalb möglichst lange in der schu-lischen Ausbildung zu verbleiben. Die Tendenz zur zeitlichen Verlängerung der Schulausbil-dung und die damit verbundene längere ökonomische Abhängigkeit der Jüngeren betrifft inGestalt hoher Bildungskosten und infolge ausbleibender Sozialbeiträge die gesamte Gesell-schaft.

1 Quelle: StaLA Berlin, Mikrozensus 2002.

3. Erwerbssituation

isda Kap3_03.doc30

Abb. 3-3

Erwerbstätigenquoten der 15- bis unter 25-jährigen Bevölkerung 1991-2001 nach Geschlecht (%)

30

35

40

45

50

55

60

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002

männlich weiblich

Das Problem der Arbeitslosigkeit im Jugendalter kann also weder auf die jeweils aktuelleZahl der unmittelbar davon Betroffenen reduziert werden noch lediglich als eine Episode imErwerbsleben der Einzelnen. Denn zum einen kann die Erfahrung der Arbeitslosigkeit imJugendalter mit negativen Konsequenzen für die weitere biografische Entwicklung verbun-den sein. Zum anderen unterliegt die ganze Generation der Bedrohung durch Arbeitslosigkeitund Berufsnot, wird die Integrationsfähigkeit der Gesellschaft gegenüber dieser Generationgefährdet.

Tab. 3-2

Erwerbstätigen- und Erwerbslosenquoten in Berlin im April 2002 nach Altersgruppen1

(jeweils=100)Alter Erwerbstätigenquote Erwerbslosenquote

Insgesamt InsgesamtVon .. bis unter... Jahre 2002 2001

männlich weiblich2002 2001

männlich weiblich

15 - 20 20,0 20,4 20,4 19,5 5,2 5,9 / 6,020 - 25 53,6 57,1 55,6 51,6 14,8 12,7 16,5 13,125 - 30 63,3 65,4 63,7 62,8 15,0 14,1 17,4 12,630 - 35 73,4 74,0 74,3 72,5 15,2 14,1 19,1 10,935 - 40 75,7 78,0 78,5 72,7 14,6 13,8 16,7 12,340 - 45 76,3 76,0 78,7 73,7 14,5 14,4 15,8 13,145 - 50 74,7 75,4 76,5 72,8 14,6 14,6 17,0 12,150 - 55 68,2 68,7 70,9 65,7 16,2 15,1 19,2 13,455 - 60 56,8 54,5 61,6 52,0 17,0 17,3 17,9 16,060 - 65 21,5 19,7 27,4 15,4 6,7 / 9,2 4,2

15 - 65 59,7 60,4 62,2 57,1 13,5 12,8 15,5 11,4

Die bereits angesprochene Verschiebung der Altersstruktur der Erwerbstätigen zu Lastenjüngerer Altersgruppen, verstärkt durch das Fernhalten junger Menschen vom Arbeitsmarkt,ist ein Grund dafür, dass 2002 nur noch 33 Prozent (statt 42% 1991) der Erwerbstätigen un-ter 35 Jahren waren2. Die altersstrukturellen Voraussetzungen sind somit für wirtschaftlicheInnovationsprozesse ungünstiger geworden.

1 Quelle: StaLA Berlin, Mirkozensus 2002, Tab. E82 Quelle: StaLA Berlin, Mikrozensus 1998, Tab. ZE1; 2002, Tab. E7.

3. Erwerbssituation

isda Kap3_03.doc31

Im Rahmen der Debatten zur Rentenreform und zur Zukunft der sozialen Sicherungssystemewird immer wieder die Forderung nach einer Erhöhung der Lebensarbeitszeit erhoben. Of-fenkundig ist, dass die reale Entwicklung seit Anfang der 90-er Jahre diesem Gebot zuwider-lief – zum einen durch den tendenziell späteren Eintritt Jugendlicher in das Erwerbslebenund zum anderen durch den vorzeitigen Ausstieg Älterer aus der Erwerbstätigkeit (vgl. Tab.3-2).

Tab. 3-3

Bevölkerung in Berlin im April 2002 nach Bezirken und Beteiligung amErwerbsleben

Bev. insges. = 100 Erwerbspersonen=100davon

Erwerbspersonen(Erwerbsquote) Erwerbslose (Er-

werbslosenquote)

Nichter-werbs-

personen2002 2001

Erwerbs-tätige

2002 2001

Bezirk

ProzentMitte 47,6 52,4 52,8 78,2 21,8 20,9Friedrichshain-Kreuzberg 42,8 57,2 57,1 74,5 25,5 25,1Pankow 43,5 56,5 55,6 84,4 15,6 17,2Charlottenburg-Wilmersdorf 48,7 51,3 53,5 84,0 16,0 15,6Spandau 54,1 45,9 44,9 81,5 18,5 19,0Steglitz-Zehlendorf 50,3 49,7 47,3 88,9 11,1 9,4Tempelhof-Schöneberg 49,0 51,0 52,5 81,9 18,1 16,3Neukölln 51,6 48,4 49,6 73,6 26,4 22,6Treptow-Köpenick 48,3 51,7 52,2 84,1 15,9 15,3Marzahn-Hellersdorf 41,3 58,7 58,4 81,4 18,6 15,6Lichtenberg 42,9 57,1 58,1 81,6 18,4 16,4Reinickendorf 51,9 48,1 46,5 87,0 13,0 13,7Berlin 47,6 52,4 52,5 81,7 18,3 17,3

Männlich 41,8 58,2 58,6 80,2 19,8 18,4Weiblich 53,2 46,8 46,7 83,4 16,6 16,1

Deutsche 47,2 52,8 52,6 83,3 16,7 15,4Ausländer 50,3 49,7 51,4 69,6 30,4 31,0

Abb. 3-5

Erwerbssituation 4/2002 Berlin und 2 Bezirke mit extremer Erwerbsquote

41,347,4

54,158,7

52,445,9

18,6 18,3 18,5

0

10

20

30

40

50

60

70

Marzahn-Hellersd. Berlin Spandau

Nichterwerbspersonen Erwerbspersonen Erwerbslosenquote

3. Erwerbssituation

isda Kap3_03.doc32

Karte 3-1

Tab. 3-41

Arbeitslosenquoten 12/01-12/03(in Prozent aller zivilen Erwerbspersonen2)

Berichtsmerkmal Dez. 2001 Dez. 2002 Dez. 2003 Diff.03-01

Mitte 19,4 20,9 19,7 0,3 Friedrichshain-Kreuzberg 22,1 23,2 22,1 0,0 Pankow 16,1 16,7 16,6 0,5 Charlottenburg-Wilmersdorf 13,3 14,3 15,3 2,0 Spandau 18,4 19,9 19,2 0,8 Steglitz-Zehlendorf 10,6 11,6 9,8 -0,8 Tempelhof-Schöneberg 15,0 15,9 17,2 2,2 Neukölln 21,4 21,3 23,3 1,9 Treptow-Köpenick 14,7 14,5 15,1 0,4 Marzahn-Hellersdorf 15,1 17,9 18,4 3,3 Lichtenberg 14,9 16,4 17,5 2,6 Reinickendorf 13,5 15,7 14,4 0,9

Berlin 16,3 17,5 17,4 1,1

Die Differenz zwischen männlichen und weiblichen Erwerbstätigenquoten fällt zwar deutlich,aber vergleichsweise gering aus. Männer sind noch stärker von Erwerbslosigkeit betroffenals Frauen3. Sehr krasse Unterschiede existieren nach der Staatsbürgerschaft: Berlinerinnenund Berliner ohne deutschen Pass („Ausländer“) haben ein etwa doppelt so hohes Risiko,erwerbslos zu sein, wie Deutsche (Tab. 3-3).

1 Quelle: StaLA Berlin.2 Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, geringfügig Beschäftigte, Beamte, Selbständige, mithelfende Fa-

milienangehörige, Arbeitslose.3 Gerade in diesem Aspekt besteht ein nach wie vor erheblicher West-Ost-Unterschied in Berlin, der aller-

dings statistisch nicht mehr aktuell ausgewiesen wird. Im Jahr 2000 waren von der Altersgruppe der 15- bisunter 65-jährigen Frauen in Westberlin 54,5 Prozent, im Ostteil jedoch 61,9 Prozent erwerbstätig.

3. Erwerbssituation

isda Kap3_03.doc33

Die Extreme der Erwerbslosigkeit sind sozialräumlich derart auf Berlin verteilt, dass sich mitSteglitz-Zehlendorf und Reinickendorf Areale besonders geringer Betroffenheit von Er-werbslosigkeit im „alten“ Westteil Berlins befinden (Karte 3-1). Besonders hohe Belastungendurch Erwerbslosigkeit sind indes in einem zusammenhängenden „West-Ost-Raum“ kon-zentriert, der die Bezirke Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln umfasst.

Ähnliche Befunde erbringt die Auswertung der arbeitsamtlichen Statistik (Tab. 3-4), die aller-dings einen Vergleich über drei Jahre (2001-2003) erlaubt. In diesem Zeitraum verändertesich das Niveau der Arbeitslosigkeit zwischen den Bezirken sehr unterschiedlich. WährendSteglitz-Zehlendorf sogar den Sonderfall einer fallenden Quote repräsentiert, haben die Ost-bezirke Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg eine starke Zunahme der Arbeitslosigkeit von3,3 bzw. 2,6 Prozent zu verbuchen.

4. Einkommen

isda Kap4_03.doc34

4. Einkommen

Wie hat sich die Einkommenssituation der Berliner Bevölkerung entwickelt?

Die Aufmerksamkeit gilt in diesem Abschnitt ausschließlich dem Teil der Bevölkerung mitEinkommen. Analysiert wird das monatliche Nettoeinkommen auf Basis des Mikrozensus.Die Analyse der längerfristigen Einkommensentwicklung seit den 90-er Jahren kann nichtweitergeführt werden (vgl. Ferchland 2003, 29/30), da die Mikrozensusstatistik der Wäh-rungsumstellung auf EURO Rechnung getragen und die erfassten Einkommensintervalleverändert hat.

Tab. 4-1

Bevölkerung in Berlin nach Bezirken und monatlichem Nettoeinkommen im April20021 (Prozent, Bev. mit Einkommen=100)

Monatliches Nettoeinkommen von ... bisunter ... EUR

unter 700 - 1100 - 1500

Pro-Kopf-Einkommen (EUR)2

Bezirk

700 1100 1500 u. mehr 2002 2001

Mitte 31,4 25,6 20,6 22,3 800 775

Friedrichshain-Kreuzberg 33,7 27,6 20,0 18,7 800 750

Pankow 28,7 27,6 22,2 21,5 925 875

Charlottenburg-Wilmersdorf 23,8 20,2 21,5 34,6 1025 1000

Spandau 28,0 23,8 20,8 27,4 875 850

Steglitz-Zehlendorf 21,3 15,9 21,3 41,5 1100 1100

Tempelhof-Schöneberg 28,2 22,8 20,2 28,8 900 900

Neukölln 32,1 24,2 20,4 23,3 775 775Treptow-Köpenick 22,7 25,6 27,8 23,8 975 975

Marzahn-Hellersdorf 28,5 24,3 24,3 22,8 850 850

Lichtenberg 28,6 28,5 25,1 17,8 900 900

Reinickendorf 24,9 22,0 21,2 31,9 950 900

Berlin 27,7 24,0 22,0 26,2 900 875

Möglich ist der Vergleich der mittleren Pro-Kopf-Einkommen der Bezirke gegenüber 2001(Tab. 4-1). Bei einigen Bezirken – Friedrichshain-Kreuzberg, Pankow, Reinickendorf – isteine Erhöhung eingetreten, in keinem Bezirk hat sich das mittlere Einkommen im Jahresver-gleich vermindert.

Zwischen den Bezirken bestehen z.T. erhebliche Einkommensdifferenzen von bis zu 350 €.Die Extrempositionen werden von Steglitz-Zehlendorf und Friedrichshain-Kreuzberg einge-nommen. Deutlich wird, dass die bezüglich des Einkommens am meisten privilegierten bzw.benachteiligten Bezirke auch nach dem Kriterium Erwerbslosigkeit eine derartige Positioneinnahmen. In der regionalen Verteilung des mittleren Einkommensniveaus bilden die Bezir-ke Steglitz-Zehlendorf und Charlottenburg-Wilmersdorf im Südwesten der Stadt gewisser-maßen eine Wohlstandsregion. Bezirke mit unterdurchschnittlichem Einkommensniveau sindan der westlichen (Spandau) und östlichen (Marzahn-Hellersdorf) Peripherie sowie in einemzusammenhängenden Areal vom Zentrum bis an den südlichen Stadtrand (Mitte, Friedrichs-hain-Kreuzberg und Neukölln) lokalisiert.

1 Quelle: StaLA Berlin, Mikrozensus 2002, Tab. B5.2 Der Wert wurde durch das StaLA Berlin aus den gruppierten monatlichen Nettoeinkommen berechnet (Me-

dian).

4. Einkommen

isda Kap4_03.doc35

Karte 4-1

Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Bezirken hinsichtlich der Einkommens-verteilung sollen auf Basis der in Tabelle 4-1 aufgeführten vier Einkommensstufen wiederummittels einer Clusteranalyse analysiert werden.

Unter den möglichen Gruppierungen wird eine grobe Klassifizierung in 4 Cluster vorgestellt.Davon sind zwei Cluster nur mit je einem Bezirk besetzt. Die Analyse spiegelt ein sozialesWest-Ost-Gefälle, wobei allerdings die ehemalige Demarkationslinie keine Rolle mehr spielt.Die vier Einkommenstypen zeigen folgende Merkmale (Besonderheiten im Vergleich zurBerliner „Normalität“) und regionale Verteilung (Abb. 4-2, Karte 4-2):

1. „Berliner Osten“

Cluster 1 mit den Bezirken Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg, Pankow, Neukölln, Mar-zahn-Hellersdorf, Lichtenberg;

Merkmale: Überpräsenz der beiden unteren Einkommensklassen auf Kosten derhöchsten Stufe

2. „Berliner Westen“

Cluster 2 mit den Bezirken Charlottenburg-Wilmersdorf, Spandau, Tempelhof-Schöneberg, Reinickendorf: Überpräsenz der obersten Einkommensklasse

3. Steglitz-Zehlendorf (=Cluster 3)

Extrem starker oberster Einkommenssektor, extrem niedrige Besetzung der unterenEinkommensstufen

4. Treptow-Köpenick(=Cluster 4)

Überpräsenz der oberen Mitte; Unterpräsenz der obersten und untersten Einkom-mensstufe.

4. Einkommen

isda Kap4_03.doc36

Abb. 4-2

Einkommenstypen von Berliner Bezirken (Kriterium: Verteilung d. pers. Nettoeinkommens 4/2002)

30,5

26,2

21,3

22,7

27,7

26,3

22,2

15,9

25,6

24,0

22,1

20,9

21,3

27,8

22,0

21,1

30,7

41,5

23,8

26,2

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

Cluster 1

Cluster 2

Stegl-Zehl (Clu 3)

Trept-Köp (Clu 4)

Berlin

unter 700 ? 700 -1100 ? 1100 -1500 ? 1500u. mehr ?

Die Unterscheidung der Bezirke nach dem Konzentrationsgrad von besser oder schlechterVerdienenden ist durchaus sinnvoll. Dabei sollte allerdings die interne Heterogenität der Be-zirke nicht übersehen werden. Die vier untersuchten Niveaustufen des Einkommens sind inallen Bezirken ziemlich verbreitet. Auch im „reichsten“ Bezirk Steglitz-Zehlendorf bezieht einFünftel der Bevölkerung (mit Einkommen) weniger als 700 EURO im Monat, und im BezirkMarzahn-Hellersdorf mit dem geringsten Bevölkerungsanteil der Einkommensstufe ab 1.500EURO gehören zu dieser Gruppe 18 Prozent der Bevölkerung.

Karte 4-2

4. Einkommen

isda Kap4_03.doc37

Auch die Einkommensdifferenzierung nach dem Geschlecht und nach dem staatsbürgerli-chen Status (deutsch/ausländisch) lässt sich mit dem hier verwendeten Einkommensrasteranalysieren (Abb. 4-3).

Abb. 4-3

Einkommensdifferenzierungen nach Geschlecht und Staatsbürgerschaft in Berlin

(Kriterium: Verteilung des pers. Nettoeinkommens 4/2002)

48,0

32,1

25,2

23,3

27,7

23,9

27,0

24,0

21,0

24,0

14,3

21,5

23,0

22,5

22,0

13,8

19,4

27,7

33,2

26,2

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

Ausländer

Weiblich

Deutsche

Männlich

Berlin insg.

unter 700 ? 700-1100 ? 1100-1500 ? 1500 ? u. mehr

Anschaulich tritt die soziale Benachteiligung der Frauen gegenüber den Männern und dienoch krassere Unterprivilegierung der ausländischen gegenüber den deutschen Berlinerin-nen und Berlinern hervor. Die Bevölkerungsanteile im oberen Einkommensbereich differierennoch stärker als im unteren. Natürlich ist zu beachten, dass die betreffenden Bevölkerungs-gruppen selbstverständlich sozial heterogen sind, dass sie also intern ebenfalls ein erhebli-ches Sozialgefälle aufweisen. Frauen, Männer, Deutsche, Nichtdeutsche – zu jeder diesersozialdemographischen Gruppen gehören die unterschiedlichsten Soziallagen. Die Unter-schiede zwischen diesen sozialdemographischen Gruppen bestehen jedoch in der Chancebzw. dem Risiko, besonders privilegierten bzw. unterprivilegierten Soziallagen anzugehören.

Während sich die bisherige Analyse auf die Höhe des Einkommens konzentrierte, geht es imFolgenden um dessen Herkunft, also um die Frage nach den wichtigsten Quellen des Le-bensunterhaltes. Für die jeweilige soziale Situation ist es – auch bei gleicher Einkommens-höhe – durchaus bedeutsam, ob die Einkünfte hauptsächlich in Form von Arbeitsentgeld,Arbeitslosengeld, Sozialhilfe oder Rente bezogen werden. Eine andere wichtige Perspektivebesteht darin, wie sich im gesellschaftlichen, regionalen oder lokalen Maßstab diese Ein-kunftsarten auf die Bevölkerung verteilen. Schließlich interessiert auch, inwiefern sich dasProfil verschiedener räumlicher Einheiten bezüglich dieser Einkommensquellen unterschei-det.

Im Mikrozensus werden sieben Kategorien des “überwiegenden” Lebensunterhalts unter-schieden (vgl. Tab. 4-5).

4. Einkommen

isda Kap4_03.doc38

Tab. 4-5

Bevölkerung Berlins nach Quellen des überwiegenden Lebensunterhalts 1991 - 2002

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002Überwiegender Lebensunterhaltdurch ... (Spalten-)Prozent

Erwerbstätigkeit 48,1 46,2 45,0 44,9 44,6 43,8 42,6 41,2 41,1 41,3 41,0 40,3

Arbeitslosengeld / -hilfe 3,4 4,3 4,6 5,1 5,3 5,6 6,2 6,8 6,5 6,2 6,3 6,9

Rente, Pension 18,4 18,4 18,2 18,4 18,8 18,8 19,7 20,9 21,7 22,6 22,8 22,8

Eig. Vermögen, Vermietung, Pacht 0,4 0,4 0,4 0,4 0,5 0,6 0,5 0,5 0,5 0,6 0,5 0,6

Unterh. d. Eltern, Ehegatten usw. 25,5 26,2 25,5 24,9 24,2 24,0 23,7 23,1 22,5 22,1 22,3 22,4

Sozialhilfe 1,9 1,9 2,7 3,0 3,7 4,3 5,0 5,4 5,4 5,1 4,9 4,7

Sonstige Unterstützung 2,3 2,6 3,6 3,3 2,9 2,9 2,4 2,0 2,2 2,1 2,2 2,3

Im vergangenen Jahrzehnt prägte sich die folgende Grundtendenz aus: Ein immer geringererBevölkerungsanteil bezog seinen Lebensunterhalt hauptsächlich aus der Erwerbstätigkeit.Gleichzeitig befinden sich immer größere Teile der Bevölkerung in Abhängigkeit von Trans-fereinkommen, insbesondere von Rente, Arbeitslosengeld bzw. –hilfe bzw. Sozialhilfe (Tab.4-5, Abb. 4-4). Nichtsdestoweniger ist das Erwerbseinkommen nach wie vor unangefochtendie am meisten verbreitete Einkommensart. Die Bedeutung der Arbeitslosigkeit als dasgrößte und entscheidende soziale Problem in Berlin wird weniger an der Quote der betref-fenden Einkommensquelle deutlich. Sie zeigt sich vielmehr daran, dass mit der Abhängigkeitvon Arbeitslosenunterstützung auch der Anteil der Haupteinkommensarten Rente und Sozi-alhilfe anstieg. Der Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Ausgrenzung der Älterenvon der Erwerbsarbeit wurde bereits an anderer Stelle dargestellt. Im folgenden Abschnittwird sich zeigen, dass auch die Sozialhilfeabhängigkeit stark auf der Massenarbeitslosigkeitberuht.

Abb. 4-4

Bevölkerung Berlins nach ausgewählten Quellen des überwiegenden Lebensunterhalts 1991-2002 (%)

0

10

20

30

40

50

60

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002

Erwerbstätigkeit Rente, Pension Unterh. durch Angeh. Alo’geld / -hilfe/Soz’hilfe

Seit den letzten Jahren scheint sich eine Tendenz der Stabilisierung der bis dahin erreichtenungünstigen Relationen eingestellt zu haben.

4. Einkommen

isda Kap4_03.doc39

Tab. 4-6

Bevölkerung in Berlin im April 2002 nach Bezirken, Geschlecht und ausgewähl-ten Quellen des überwiegenden Lebensunterhaltes

Lebensunterhalt durch ...Erwerbstätigkeit

2002 2001

Arbeits-losengeld/

-hilfe

Rente,Pension

Unterhaltd. Eltern,Ehegatten

SozialhilfeBezirk

(Zeilen-)Prozent1

Mitte 38,6 39,4 8,1 16,5 25,7 7,6Friedrichshain-Kreuzberg 39,1 39,7 10,1 16,3 22,2 7,9Pankow 44,0 43,6 6,6 22,8 19,8 2,7Charlottenburg-Wilmersdorf 40,1 42,7 5,6 24,0 22,8 4,1Spandau 35,1 34,1 6,0 27,3 25,3 4,4Steglitz-Zehlendorf 41,8 40,3 3,6 25,5 23,6 2,5Tempelhof-Schöneberg 39,5 41,4 6,6 23,7 22,6 4,7Neukölln 33,9 36,3 9,4 23,1 24,0 7,0Treptow-Köpenick 41,1 41,4 6,6 29,9 17,8 2,1Marzahn-Hellersdorf 46,1 47,3 7,6 16,2 23,4 4,8Lichtenberg 44,7 46,9 7,9 23,2 17,3 4,4Reinickendorf 39,9 37,7 4,3 26,7 23,2 4,1

Berlin 40,3 41,0 6,9 22,8 22,4 4,7

In den Bezirksvergleich werden einige Einkommensquellen von geringer Verbreitung (eige-nes Vermögen/Vermietung/Verpachtung und sonstige Unterstützung) nicht einbezogen(Tab. 4-6).

In keinem Bezirk begründet die Mehrheit der Bevölkerung ihren Lebensunterhalt überwie-gend auf Einkommen aus der Erwerbstätigkeit. Nur im Bezirk Marzahn-Hellersdorf über-schreitet der betreffende Bevölkerungsanteil die 45-Prozent-Marke (Karte 4-2). In Spandau,Reinickendorf, den beiden „Ost-West-Bezirken“ – Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg – so-wie in Neukölln spielt Erwerbstätigkeit als Einkommensquelle nur eine unterdurchschnittlicheRolle.

1 Da nicht alle Kategorien ausgewählt wurden, ist die Summe der Zeilenprozente kleiner als 100.

4. Einkommen

isda Kap4_03.doc40

Karte 4-2

In zwei Bezirken, Spandau und Neukölln, gibt es mehr Menschen, deren überwiegender Le-bensunterhalt auf Transfereinkommen beruht, als auf der Erwerbstätigkeit.

In keinem Bezirk bezieht ein so großer Anteil der Bevölkerung seinen Lebensunterhalt durchRente und Pensionen wie in Treptow-Köpenick (29,9%). Das Gegenteil trifft auf Marzahn-Hellersdorf (16,2%) zu, auch in Friedrichshain-Kreuzberg (16,3%) und in Mitte ist diese Ein-kommensquelle stark unterrepräsentiert. Weniger deutlich unterscheiden sich die Bezirke inder Position Unterhalt durch Eltern/Ehegatten. Hier weist Mitte das Maximum (25,7%) undLichtenberg den Minimalwert (17,3%) auf.

Abb. 4-5

C A S E 0 5 10 15 20 25

Label Num +---------+---------+---------+---------+---------+

Charl-Wilm 4 ________Temp-Schön 7 __ _______Pankow 3 ________ _Lichtenbg 11 ____ ___________________Stegl-Zehl 6 ______ _ _Reinickend 12 ____ _________ ___________________Trept-Köp 9 ______ _ _Spandau 5 ________________________________ _Neukölln 8 ____________________ _Mitte 1 __________________________ _FH-KB 2 __ _________________________Marz-Hell 10 __________________________

4. Einkommen

isda Kap4_03.doc41

Tab. 4-7

Bevölkerung in Berlin im April 2002 nach überwiegendem Lebensunterhalt (ausgewählte Bereiche)6 Gruppen (Cluster) von Bezirken

Lebensunterhalt durch ...Erwerbstä

tigkeitAlo-Geld/-hilfe/So-zialhilfe

Ren-te/Pensio

nCluster/Bezirk

(Zeilen-)Prozent1

Cluster1 (Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg) 38,8 16,8 16,4Cluster 2 (Charlottenb.-Wilmersd., Tempelh.-Schöneb., Pankow, Lichtenbg.) 42,1 10,7 23,4Spandau(=Cluster 3) 35,1 10,4 27,3Cluster 4 (Steglitz-Zehlendorf, Treptow-Köpenick, Reinickendorf) 41,0 7,8 27,4Neukölln (=Cluster 5) 33,9 16,4 23,1Marzahn-Hellersdorf (=Cluster 6) 46,1 12,5 16,2Berlin 40,3 11,6 22,8

Karte 4-3

Mit einer Clusteranalyse nach ausgewählten Quellen des Lebensunterhalts lassen sich 6Gruppen von Bezirken mit je spezifischen Kombinationen der Einkommensquellen Erwerbs-tätigkeit, Arbeitslosenunterstützung/Sozialhilfe und Rente/Pension, voneinander unterschei-den (Abb. 4-5; Tab. 4-7, Karte 4-3). Davon sind drei Cluster nur mit je einem Bezirk (Span-dau, Neukölln und Marzahn-Hellersdorf) besetzt. Die drei „echten“, aus mehreren Bezirkenbestehenden Cluster sind jeweils ein Ost-West-Mix.

1 Da nur einige Kategorien ausgewählt wurden, ist die Summe der Zeilenprozente kleiner als 100.

4. Einkommen

isda Kap4_03.doc42

Im Vergleich zu den Relationen der Gesamtstadt weisen die einzelnen Cluster1 die folgendenBesonderheiten der Struktur nach Quellen des Lebensunterhalts auf:

Cluster 1 (Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg)

Maximaler Bevölkerungsanteil in Abhängigkeit von Sozialtransfers (Arbeitslosengeld/-hilfe/Sozialhilfe), Rentenbezug sehr wenig verbreitet

Cluster 2: (Charlottenburg-Wilmersdorf, Tempelhof-Schöneberg, Pankow, Lichtenberg)

Weitgehend Berliner Normalität

Cluster 3 (Spandau)

Erwerbstätigkeit spielt als Hauptquelle des Lebensunterhalts eine vergleichsweisesehr geringe Rolle, der Bezug von Renten-/Pensionen betrifft eine besonders großeGruppe

Cluster 4 (Steglitz-Zehlendorf, Treptow-Köpenick, Reinickendorf)

Extreme Struktur: Minimaler Bevölkerungsteil in Abhängigkeit von Sozialtransfers(Arbeitslosengeld/-hilfe/Sozialhilfe), Gruppe der Rentner/Pensionäre von allen Clu-stern am größten

Cluster 5 (Neukölln)

Erwerbstätigkeit als Haupteinkommensquelle spielt hier von allen Bezirken die ge-ringste Rolle, sehr verbreitet ist der Bezug von Sozialtransfers (Arbeitslosengeld/-hilfe/Sozialhilfe)

Cluster 6 (Marzahn-Hellersdorf)

Unterscheidet sich von allen Clustern am stärksten vom Berlin-Standard. Der Le-bensunterhalt wird hier extrem häufig durch Erwerbstätigkeit und extrem selten ausRenten/Pensionen bestritten.

1 Hinweis: Die Nummerierung der Cluster erfolgt automatisch und bedeutet keine Rangfolge.

5. Armut (Sozialhilfe)

isda Kap5_03.doc43

5. Armut (Sozialhilfe)

Mit dem Ersten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung (Deutscher Bundestag2001) hat die Armutsdebatte in Deutschland neue Impulse erhalten. In der Hauptstadt wirddieser Diskurs überdies belebt durch die Befunde des Berichts „Armut und soziale Ungleich-heit in Berlin“ (Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz 2002) undeiner Aktualisierung dieser Analyse auf Basis des Mikrozensus 2002 (StaLA Berlin 2003).

Das Sozialhilfesystem – auch als „letztes Netz der sozialen Sicherung“ bezeichnet – ist vonentscheidender Bedeutung für die Bekämpfung und Minderung von Armut. In diesem Ab-schnitt verwenden wir als Armutsindikator die Sozialhilfebedürftigkeit und zwar den Bezuglaufender Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb von Einrichtungen (HLU a.v.E.). Armut indiesem Sinne bedeutet Angewiesensein auf öffentliche Mindestversorgung (Huster 1996,21). Es handelt sich um relative Armut. Die soziale Hilfe liegt oberhalb der absoluten Ar-mutsgrenze, ermöglicht also nicht nur die notdürftige Sicherung der physischen Existenz,sondern soll auch die angemessene Befriedigung kultureller und gesellschaftlicher Bedürf-nisse zulassen.

Das Kriterium „Bezug laufender Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb von Einrichtungen“(HLU a.v.E.) hat wesentliche Mängel1, z.B. eine erhebliche Dunkelziffer2 derer, die trotz ob-jektiver Bedürftigkeit keine Sozialhilfe beziehen – ganz abgesehen von denen, die, ohne dienotwendigen Sozialhilfekriterien zu erfüllen, ein Leben am Rande der Armut zu führen ge-zwungen sind. Allerdings sollte man auch die Vorzüge der Sozialhilfestatistik nicht ungenutztlassen. Sie bestehen insbesondere in Möglichkeiten für sozial differenzierende, zeitlich undräumlich vergleichbare und wiederholbare Armutsanalysen. Im übrigen ist auch jedes andereArmutskriterium umstritten und mit Mängeln behaftet, weil der Armutsbegriff keine eindeuti-ge, interessen- und wertunabhängige Definition zulässt. „Auf die Frage, was Armut ist, gibtes überhaupt keine objektive, wissenschaftlich beweisbare Antwort“ (Hauser 1997, 19). Je-der Versuch, den Begriff „Armut“ zu definieren, und erst recht Armut zu messen, „unterliegteiner sozialen und politischen Festlegung“ (Huster 1996, 23). Die aktuelle Debatte, wie inunserer Gesellschaft „Armut angemessen zu definieren, worauf sie zurückzuführen und wiesie zu beseitigen sei“ (S. 19), wird ausführlich in Hanesch u.a. 2000 wie auch im Armuts- undReichtumsbericht der Bundesregierung (Deutscher Bundestag 2001) dargestellt.

Ausgehend von einem Maximum 1998 hat sich in Berlin seitdem die Zahl der Sozialhil-feempfänger3 geringfügig, aber kontinuierlich verringert (Abb. 5-1). Sie befindet sich indesnach wie vor auf einem unakzeptabel hohen Niveau. Mit über 258.000 Sozialhilfeempfängernübertrifft Berlin die Einwohnerzahl solcher Städte wie Mönchengladbach oder Augsburg. DieSozialhilfequote Berlins von 75 Sozialhilfeempfängern je 1000 Einwohner (2002) liegt weitüber dem Bundesdurchschnitt (34 [1999]). Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Sozial-hilfedichte in großen Städten generell überdurchschnittlich hoch ist.

1 So sind damit etwa die subjektiven Konsequenzen der Sozialhilfebedürftigkeit (Hoffnungen, Sorgen, Zufrie-

denheit, Ängste, soziale Beziehungen, individuelle Strategien zur Überwindung von Armutslagen etc.) eben-sowenig aufzuhellen wie der biographische Prozess des Armwerdens.

2 Untersuchungen besagen, „dass auf jeden Hilfeempfänger mehr als eine Person kommt, die von ihrer Lei-stungsberechtigung keinen Gebrauch macht“ (Hanesch u.a. 2000, 143). Damit ist allerdings wenig über dieDunkelzifferquote in Berlin gesagt. Vieles spricht dafür, dass in großen Städten und in Familien mit Kinderneine niedrigere Hemmschwelle gegenüber dem Sozialamt besteht als in ländlichen Regionen. Insofern be-steht ein großer Bedarf, die Sozialhilfestatistik mit speziellen Untersuchungen zur Ermittlung des Potenzialsder sogenannten verdeckten Armut in Berlin zu flankieren.

3 Im Folgenden wird die Bezeichnung „Sozialhilfeempfänger“ verwendet für die Empfängerinnen und Empfän-ger laufender Hilfe zum Lebensunterhalt.

5. Armut (Sozialhilfe)

isda Kap5_03.doc44

Abb. 5-1

Berlin: Empfänger laufender Hilfe zum Lebensunterhalt 1996-2002

231185268562 281851 275557 268664 265271 258458

0

100000

200000

300000

1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002

Obwohl seit der Bezirksreform auch Sozialhilfedaten nicht mehr nach West- und Ostberlinausgewiesen werden, ist davon auszugehen, dass die Sozialhilfedichte im Ostteil der Stadtnoch erheblich unter dem Westberliner Niveau liegt (2000: Berlin-West 94, Berlin-Ost 55).

Tab. 5-1

Empfänger laufender Hilfe zum Lebensunterhalt (außerhalb von Einrich-tungen) in Berlin 12/2002 nach Alter, Geschlecht und Staatsangehörigkeit

Insgesamt2002 2001

männlich weiblich DeutscheAuslän-

derAlter von ... bisunter ... Jahre

Je 1000 EW der entsprechenden Gruppeunter 3 273 277 275 270 233 779 3 - 7 196 201 198 193 163 361 7 - 11 164 166 167 161 131 31111 - 15 125 118 125 125 96 28815 - 18 100 85 99 100 78 24218 - 21 91 94 77 105 82 14321 - 25 92 101 74 110 88 11425 - 30 91 102 74 109 79 13130 - 40 74 79 64 85 61 13140 - 50 58 61 58 59 51 10350 - 60 47 49 49 46 40 10260 - 65 39 41 42 36 31 15265 und älter 25 27 25 26 18 174

Berlin 75 78 74 77 62 162

Die schon oft dokumentierte Tatsache einer enormen Altersdifferenzierung der Sozialhilfe-abhängigkeit besteht auch im Jahr 2002 unverändert fort (Tab. 5-1, Abb. 5-2., Abb. 5-3).

Das Armutsrisiko ist umso höher, je jünger das Lebensalter. Kinder sind besonders armuts-gefährdet. In Berlin bezieht mehr als jedes vierte Kind unter 3 Jahren Sozialhilfe. Im Ver-gleich der Altersgruppen weisen die über 60-Jährigen ein extrem geringes Sozialhilferisikoauf. Gemessen am Sozialhilfebezug ist Altersarmut in Berlin wenig verbreitet. Die geringfügi-ge Absenkung der Sozialhilfequote im Vergleich zu 2001 ist in allen Altersgruppen zu beob-achten.

5. Armut (Sozialhilfe)

isda Kap5_03.doc45

Abb. 5-2

Sozialhilfequoten nach Alter und Staatsbürgerschaft in Berlin 12/2002

0

100

200

300

400

500

600

700

800

900

unter 3 3 - 7 7 - 11 11 - 15 15 - 18 18 - 21 21 - 25 25 - 30 30 - 40 40 - 50 50 - 60 60 - 65 65 undälter

Deutsche Ausländer Insgesamt

Abb. 5-3

Sozialhilfequoten nach Alter und Geschlecht in Berlin 12/2002

0

50

100

150

200

250

300

unter 3 3 - 7 7 - 11 11 - 15 15 - 18 18 - 21 21 - 25 25 - 30 30 - 40 40 - 50 50 - 60 60 - 65 65 undälter

männlich weiblich

Ausländische Bürger Berlins haben ein mehr als zweieinhalbmal so hohes Armutsrisiko wieDeutsche. Diese soziale Ungleichheit im Zusammenhang mit der Staatsbürgerschaft ist inallen Altersgruppen nachweisbar. Die am meisten armutsgefährdete Gruppe ist die dernichtdeutschen Kinder unter 3 Jahren. Ältere Ausländer (über 60) sind stärkeren Armutsrisi-ken ausgesetzt als andere Altersgruppen von erwachsenen Ausländern.

Die Formel „Armut ist weiblich“ trifft nicht auf Berlin zu. Männer und Frauen haben annä-hernd das gleiche Armutsrisiko. Abweichend davon sind Frauen zwischen 18 und 30 Jahrenüberdurchschnittlich armutsgefährdet (Abb. 5-3). Dies steht ganz offenkundig im Zusam-menhang mit der extrem überdurchschnittlichen Armutsquote der unter Dreijährigen und der(hier tabellarisch nicht ausgewiesenen) Tatsache der besonders stark verbreiteten Sozialhil-feabhängigkeit alleinerziehender Frauen. In Berlin gab es im Dezember 2002 ca. 16.700

5. Armut (Sozialhilfe)

isda Kap5_03.doc46

Ehepaare bzw. nichteheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern, die Sozialhilfe bezogen.Dem standen ca. 25.900 alleinerziehende Sozialhilfeberechtigte gegenüber.

Kinder zu haben und Kind zu sein, ist (wie in Deutschland überhaupt, so auch) in Berlin miterhöhten Armutsrisiken verbunden. Die überdurchschnittliche Armutsbedrohung von Elternsteigt für Alleinerziehende rapide.

Der hohe Anteil von Arbeitslosen an den Sozialhilfeberechtigten belegt (vgl. Tab. 5-2) denengen Zusammenhang von massenhafter Dauerarbeitslosigkeit und Sozialhilfebedarf.

Arbeitslosigkeit ist zweifellos eine entscheidende Ursachen der Armut. Allerdings wäre eineFixierung darauf als einzige Hauptursache desorientierend. Z.B. könnte die skandalöse Ar-mutsquote der Jüngsten so nicht erklärt werden.

Neben der Arbeitslosigkeit tritt eine weitere Hauptursache der Armut in den Vordergrund: DieBenachteiligung von Familien mit Kindern, insbesondere von Müttern – was indirekt oderunmittelbar auf eine folgenschwere Beeinträchtigung der Entwicklungschancen eines großenTeils der jungen Generation hinausläuft.

Vergleicht man die Struktur der Sozialhilfepopulationen der Berliner Bezirke (Tab. 5-2), trittdas prinzipiell bekannte Muster hervor – soziale Benachteiligung der ausländerreichen Be-zirke einerseits, Privilegierung von Steglitz-Zehlendorf andererseits.

Die Bezirke Neukölln (Maximum), Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte weisen extrem hoheArmutsquoten auf, die auch nicht annähernd von anderen Bezirken erreicht werden(Abb. 5-3). Den Gegenpol bilden Steglitz-Zehlendorf, Treptow-Köpenick und Pankow miteiner Sozialhilfedichte von unter 5 Prozent.

Tab. 5-2

Empfänger laufender Hilfe zum Lebensunterhalt in Berlin am 31.12.2002 nach Bezirken und aus-gewählten Merkmalen

je 1000 EWunter 18-

JahreDeutsche

Auslän-derBezirke

2002 2001 Je 1000 der betreffenden EW

Arbeitslo-se in % der

18-64-Jährigen

Anteil derAusländer

(%)

Mitte 131 123 282 101 205 57 43Friedrichshain - Kreuzberg 130 127 281 105 217 62 38Pankow 48 54 107 48 59 64 7Charlottenburg - Wilmersdorf 55 62 113 46 98 53 31Spandau 91 91 196 83 173 51 20Steglitz - Zehlendorf 36 39 75 30 76 55 21Tempelhof - Schöneberg 68 82 146 54 141 52 32Neukölln 132 131 261 102 231 57 39Treptow - Köpenick 39 40 92 37 84 57 7Marzahn - Hellersdorf 60 58 120 56 144 67 8Lichtenberg 53 56 129 50 86 65 12Reinickendorf 65 69 137 55 138 48 20

Berlin 76 78 165 62 162 57 29

5. Armut (Sozialhilfe)

isda Kap5_03.doc47

Abb. 5-3

Empf. laufender Hilfe z. Lebensunterhalt 12/2002 je 1000 EW

132

131

130

91

76

68

65

60

55

53

48

39

36

0 20 40 60 80 100 120 140

Neukölln

Mitte

Friedrichshain - Kreuzberg

Spandau

Berlin

Tempelhof - Schöneberg

Reinickendorf

Marzahn - Hellersdorf

Charlottenburg - Wilmersdorf

Lichtenberg

Pankow

Treptow - Köpenick

Steglitz - Zehlendorf

Neben den drei genannten Bezirken mit extremer Sozialhilfebelastung weist nur noch Span-dau ein (gemessen am Berliner Standard) überdurchschnittliches Niveau der Sozialhilfe-dichte auf. Im Unterschied zum Vorjahr (2001) ist Tempelhof-Schöneberg mittlerweile derBezirksgruppe mit einer niedrigeren Sozialhilfequote als Berlin zuzuordnen. Dazu gehörenauch alle Ost-Bezirke, Reinickendorf, Charlottenburg-Wilmersdorf und natürlich Steglitz-Zehlendorf (vgl. Abb. 5-3, Karte 5-1).

In allen Bezirken schlägt das besonders hohe Armutsrisiko von Kindern und Jugendlichendurch (Tab. 5-2). Eine dramatische Situation besteht diesbezüglich in den drei genanntenBezirken mit extremer Sozialhilfebelastung. Hier ist jede vierte Person unter 18 auf Sozial-hilfe angewiesen. Nur in Steglitz-Zehlendorf und in Treptow-Köpenick liegt die Sozialhilfe-quote dieser Altersgruppe unter 10 Prozent.

Auch die starken Unterschiede der Sozialhilfedichte zwischen Deutschen und Ausländernsind in jedem Bezirk sichtbar. Doch gibt es hierbei bezirksspezifische Zusammenhänge. Sozeigt sich zum einen, dass Bezirke mit besonders hoher Sozialhilfebelastung auch beson-ders hohe ausländische Bevölkerungsanteile aufweisen (Korrelation r=0,83). Andererseitslassen sich die enormen Sozialhilfequoten nicht allein auf das überdurchschnittliche Armuts-risiko der ausländischen Bevölkerung und ihrer hohen Konzentration in diesen Bezirken zu-rückführen. Denn erstens ist in den besonders belasteten Bezirken auch die Sozialhilfeab-hängigkeit der deutschen Bevölkerung extrem hoch. Und zweitens wächst das Sozialhilferi-siko der ausländischen Einwohner mit ihrem Anteil an der Bevölkerung der Bezirke (r=0,73).Mit anderen Worten:

In den sozial benachteiligten Bezirken werden ohnehin bestehende Armutsrisikenverstärkt.

5. Armut (Sozialhilfe)

isda Kap5_03.doc48

Karte 5-1

In nahezu allen Bezirken ist mindestens die Hälfte der (18- bis 64-jährigen) Sozialhilfeemp-fänger arbeitslos (Ausnahme Reinickendorf 48%). Die Maxima dieser Anteile liegen in die-sem Fall ausnahmsweise in Ostberlin: In Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg sind zweiDrittel der Sozialhilfeberechtigten im arbeitsfähigen Alter arbeitslos.

Exkurs 1: Sozialhilfebezug im Großstadtvergleich

Wie ist die in Berlin vorhandene Sozialhilfequote zu bewerten?

In der bisherigen Analyse war der Berlin-Standard Bezugsgröße für den Vergleich zu inner-städtischen Räumen. Eine Einschätzung, ob die Sozialhilfehäufigkeit in der Hauptstadt nor-mal, hoch oder niedrig sei, erfordert den überörtlichen Vergleich.

In der Konfrontation mit dem Niveau der Bundesrepublik (3,3% 2001) erweist sich die Sozi-alhilfedichte Berlins (7,7%) als außerordentlich hoch. Zu diesem Ergebnis führt auch einVergleich der Bundesländer. Demzufolge liegt Berlin hinter Bremen (9,2%) und vor Hamburg(6,8%) auf Rangplatz 2. Diese Rangfolge legt den Schluss nahe, dass hohe Anteile an armerBevölkerung besonders in großen Städten anzutreffen sind. Das Flächenland mit der höch-sten Armutskonzentration – Saarland – hat eine Sozialhilfequote von 4,3% (alle Angabennach: Statistische Ämter ... 2003, 8). Die 2003 publizierte statistische Übersicht „Sozialhilfeim Städtevergleich“ (Statistische Ämter ... 2003) bietet die Möglichkeit, die Position Berlins imRanking der Städte zu erkunden.

Auch im Vergleich von 76 deutschen Großstädten schneidet Berlin mit Platz 7 in der Rangli-ste schlecht ab (Abb. 5-E1-1). Noch weiter vorn – etwa auf Rangplatz 3 – läge West-Berlin,dessen Quote im Jahr 20001 von 9,4 Prozent betrug.

1 Die Quoten für West- bzw. Ostberlin wurden letztmalig im Jahr 2000 ausgewiesen.

5. Armut (Sozialhilfe)

isda Kap5_03.doc49

Abb. 5-E1-1

SH-Quoten (%) 12/2001 im Großstadtvergleich - obere und untere Extremwerte

11,7

9,9

9,3

8,7

8,3

8

7,7

7,4

7,2

7,1

5,5

2,9

2,9

2,8

2,8

2,7

2,5

2,5

2,1

2,1

1,9

0 2 4 6 8 10 12 14

Bremerhaven

Kassel

Saarbrücken

Bremen

Offenbach a.M.

Kiel

Berlin

Schwerin

Wiesbaden

Hannover

76 Großstädte Durchschn.

Leverkusen

Solingen

Würzburg

Wolfsburg

Ingolstadt

Ulm

Heidelberg

Jena

Gera

Erlangen

10 Großstädte mitniedrigster Quote

10 Großstädte mithöchster Quote

Was besagt der Städtevergleich im Hinblick auf die Veränderungen der Sozialhilfequote von1997 bis 2001? Hierbei bezieht Berlin scheinbar eine vorteilhaftere Position (mittlerer Rang-platz 34), da sich die Sozialhilfedichte nicht erhöht hat, sogar ganz geringfügig um 0,1 Pro-zent abgesunken ist. Hier liegen die ostdeutschen Städte, vor allem Schwerin, Halle, Leipzigund Dresden mit Zuwächsen von 1,7 bis 3,3 Prozentpunkten unangefochten an der Spitze.Berlins relative Position hat sich dennoch verschlechtert, weil die in der Quotenrangliste vorder Hauptstadt liegenden Großstädte, mit Ausnahme von Saarbrücken, eine deutlich gerin-gere Sozialhilfehäufigkeit erreichen konnten.

5. Armut (Sozialhilfe)

isda Kap5_03.doc50

Exkurs 2: Aktualisierung der Daten von „Armut und soziale Ungleichheit“

Der Bericht „Armut und soziale Ungleichheit in Berlin“ (Senatsverwaltung für Gesundheit ...2002) wurde mittlerweile hinsichtlich wesentlicher Teile seiner Datenbasis durch die Aus-wertung des Mikrozensus 2002 aktualisiert (StaLA Berlin 2003). Diese Initiative festigt dieErwartung, dass eine derartige Analyse alljährlich in die Auswertungsroutinen des Mikrozen-sus aufgenommen wird. Damit würde Armut nicht nur aus der Perspektive der Sozialhilfesta-tistik, sondern auch unter dem Gesichtspunkt des (Äquivalenz-)Einkommens kontinuierlichund (auf Basis der Bezirke) räumlich differenziert analysiert werden können. Zum anderen istdie Aktualisierung mehr als eine Datensammlung, weil Fakten und Zusammenhänge textlichinterpretiert, als Zeitreihen und regionale Vergleiche aufbereitet und grafisch dargestellt wur-den. In dieser Form – möglichst noch weiter ausgebaut – könnte die regelmäßige Publikationeiner solchen Analyse zu einem wichtigen und dringend benötigten Element der Sozialbe-richterstattung in Berlin werden. Die in der vorigen Ausgabe dieser Studie (Ferchland 2003,62 ff) vorgenommene Auswertung der genannten Senatspublikation soll hier nicht im Detailfortgeführt werden.

In der Korrespondenz beider Perspektiven können sich neue Einsichten, Hypothesen, Fra-gestellungen und Interpretationsansätze ergeben.

Inwieweit werden z.B. die Befunde der Sozialhilfestatistik 2002 durch die Analyse der Äqui-valenzeinkommen bestätigt?

Die Zahl der Sozialhilfeempfänger ist in Berlin seit 1998 kontinuierlich gesunken (Abb. 5-1),verringert hat sich auch die Sozialhilfequote (vgl. Tab. 5-1). Was aber sind die Ursachen? Obdieser Rückgang auf einen sinkenden Sozialhilfebedarf, also auf weniger Armut, zurückzu-führen ist, oder ob sich die Relationen zwischen „bekämpfter Armut“ (Gruppe der Sozialhil-feempfänger) und verdeckter Armut (keine Sozialhilfe trotz bestehendem Bedarf) zu ungun-sten der Letzteren verschoben haben, ist völlig offen.

Wie haben sich die Bevölkerungsanteile der armutsrelevanten Einkommensgruppen in denletzten Jahren entwickelt?

Tab. 5-E1-11

Anteile von Personen 40% und weniger sowie mit 40% bis unter 50% sowie unter 50% des Äquiva-lenzeinkommens an der Berliner Bevölkerung von 1996 bis 2002

1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002unter 50% 14,1 14,7 14,6 13,5 14,1 14,5 15,640% bis unter 50% 6,4 6,9 7,5 7,9 8,0 8,6 9,9unter 40% 7,7 7,6 7,1 5,6 6,1 5,9 5,7

Die Einkommensentwicklung bietet ein ambivalentes Bild. Einerseits ist die Gruppe der Ein-kommensarmen größer geworden. Andererseits zeigt sich eine Tendenz zur Verringerungbesonders krasser Formen der Einkommensarmut. Im Unterschied zur Entwicklung der So-zialhilfehäufigkeit hat sich die Quote der Einkommensarmen (mit weniger als 50 Prozent desmittleren Äquivalenzeinkommens) in Berlin im Vergleich zu 1996 und in den letzten Jahren(seit 1999) erhöht und im Jahr 2002 einen Maximalwert von 15,6 Prozent erreicht2. DieseTendenz beruht auf einer kontinuierlichen Zunahme des Einkommenssegments zwischen 40und 50 Prozent des Äquivalenzeinkommens. Ein gegenläufiger Trend hat sich in Bezug aufdie Verbreitung der strengen Armut (unter 40 Prozent des Äquivalenzeinkommens) heraus-gebildet. Die Gruppe derer, die in strenger Armut leben, ist seit 1996 deutlich kleiner gewor-den.

1 Quelle: StaLA Berlin 2003, 2.2 Die relative Zunahme der einkommensarmen Bevölkerung geht einher mit einem Wachstum des Anteils der

(gemessen am Kriterium 200% des Äquivalenzeinkommens) reichen Bevölkerung – von 4,8% 1996 auf5,1% 2002 (ebenda).

5. Armut (Sozialhilfe)

isda Kap5_03.doc51

Abb. 5-E1-11

Berlin: Bevölkerungsanteile mit niedrigem Äquivalenzeinkommen 1996 - 2002 (%)

0

2

4

6

8

10

12

14

16

18

1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002

unter 50% 40% bis unter 50% unter 40%

Natürlich lassen sich ohne spezielle Analysen keine eindeutigen Schlüsse aus der konträrenEntwicklung der beiden Populationen Sozialhilfeempfänger und Einkommensarme ziehen.Allerdings sprechen die Befunde der Einkommensentwicklung (mehr Einkommensarme) ge-gen die Annahme, die reduzierten Sozialhilfequoten seien durch eine entsprechende Verrin-gerung von Menschen in sozialen Notlagen verursacht.

Die folgende Hypothese bietet möglicherweise einen Erklärungsansatz der Paradoxie „Sin-kende Sozialhilfehäufigkeit bei wachsender Einkommensarmut“:

Die Verringerung der Sozialhilfeklientel in Berlin ist maßgeblich durch eine geringereVerbreitung der strengen Einkommensarmut bedingt.

Für diese Annahme sprechen – neben dem Rückgang der strengen Einkommensarmut –Einschätzungen, wonach der durch die Sozialhilfe garantierte Mindestbedarf „etwas über der40-%-Grenze“ (Geißler 2002, 247) des durchschnittlichen Äquivalenzeinkommens liegt. Diepolitisch fixierte Armutsgrenze (Sozialhilfebedarf) läge demnach noch unter der gebräuchli-chen Grenze zur Einkommensarmut (50%). Ein erheblicher Teil der wachsenden Gruppe imEinkommenssegment zwischen 40% und 50% bliebe demnach von Sozialhilfeleistungenausgeschlossen.

Natürlich bedarf diese Hypothese der wissenschaftlichen Bestätigung durch tiefergehendeUntersuchungen – auch deshalb, weil andere Ergebnisse der Einkommensanalyse gegeneine solche Annahme sprechen: Von den im Mikrozensus 2002 erfassten Sozialhilfehaus-halten können nur 55,5 Prozent als einkommensarm klassifiziert werden. 1996 waren diesnoch 69,5 Prozent (StaLA Berlin 2003, 11). Auch hier könnte die Verstetigung der Einkom-mensanalysen dazu beitragen, die Schnittmengen von Sozialhilfebezug und Einkom-mensarmut besser zu analysieren2.

Ein weiterer Punkt, die West-Ost-Relation, wird mittels der Analyse des Äquivalenzeinkom-mens beleuchtet. Seit der Bezirksreform ist dieses Thema bei der Sozialhilfestatistik ausge-blendet.

1 Quelle: StaLA Berlin 2003, 2.2 Neben der textlichen und grafischen Aufbereitung der Daten wäre aber auch deren originale und vollständi-

ge Präsentation (als Teil eines Statistischen Berichts) erforderlich, damit die Nutzer eigene Recherchen an-stellen können.

5. Armut (Sozialhilfe)

isda Kap5_03.doc52

Nach wie vor besteht das bekannte West-Ost-Gefälle, sind sowohl Armut als auch Reichtum(jeweils einkommensbezogen) in Berlin-West wesentlich stärker verbreitet als in Berlin-Ost(2002: Einkommensarme 17,3% West, 12,9% Ost; Einkommensreiche 6,4% West, 3,0%Ost)1. Die Armutsquote hat sich im Ostteil Berlins 1996 nicht wesentlich erhöht2. Die Ten-denz des Wachstums der Armutsbevölkerung fand bis 2001 vor allem in Westberlin statt. DieErhöhung des Anteils der reichen Bevölkerung geht hingegen eindeutig auf Entwicklungenim Ostteil Berlins zurück (1996: 1,5% Ost; 6,8% West).

Abb. 5-E1-23

Entwicklung der Quoten der Einkommensarmut 1999 bis 2002 nach alten Bezirken (Differenz 2002-1999) in Prozentpunkten

-1,3

-0,6

-0,4

0,2

0,7

1,0

1,2

1,6

1,7

2,0

2,3

2,6

2,6

2,8

3,0

3,1

3,5

4,0

4,5

5,2

5,4

5,9

6,6

6,6

-2,0 -1,0 0,0 1,0 2,0 3,0 4,0 5,0 6,0 7,0

Zehlendorf

Steglitz

Pankow*

Lichtenberg*

Mitte*

Prenzlauer B.*

Tempelhof

Charlottenburg

Kreuzberg

Reinickendorf

Friedrichshain*

Weißensee*

Köpenick*

BERLIN

Hellersdorf*

Treptow*

Wedding

Tiergarten

Wilmersdorf

Hohenschönh.*

Spandau

Schöneberg

Neukölln

Marzahn*

Interessante Ergebnisse erbringt der Bezirksvergleich der Armutsquoten auf Basis der altenBezirke. Es zeigt sich, dass nicht nur im Westen, sondern mittlerweile auch im Osten der

1 Kriterium für a) Einkommensarmut: unter 50%; b) Einkommensreichtum 200% und mehr des durchschnittli-

chen Äquivalenzeinkommens2 Bis 2001 gab es sogar geringere Quoten als 1996. Erst durch eine deutliche Erhöhung gegenüber 2001

wurde wieder das Niveau von 1996 erreicht.3 Quelle: StaLA Berlin 2003, 2; Senatsverwaltung für Gesundheit .... 2002, . „*“ kennzeichnet Ostberliner Be-

zirke.

5. Armut (Sozialhilfe)

isda Kap5_03.doc53

Stadt in den verschiedenen Binnenräumen eine sehr ungleiche Entwicklung stattfindet. Dieswird bei der Betrachtung der Rangfolge der Bezirke nicht ohne weiteres deutlich. Dem ge-wohnten Bild entspricht die außerordentlich hohe Armutskonzentration von mehr als einemViertel der Bevölkerung in Kreuzberg und Wedding, mit über 20 Prozent auch in Neukölln,Schöneberg und Tiergarten. Am Ende der Rangskala steht nach wie vor Zehlendorf (4,0%).Auch Pankow, Köpenick, Steglitz und Treptow liegen mit weniger als 10% noch weit unterder Armutsquote Berlins.

Aufschlussreich sind hingegen die höchst unterschiedlichen Veränderungen der Armutskon-zentration im Zeitvergleich (Abb. ):

– Extreme Zuwächse sind gleichermaßen in (Alt-)Bezirken Ost- als auch Westberlins zubeobachten. Zu den Verliererbezirken gehören vor allem Marzahn und Neukölln mit Zu-wächsen der Armutsbevölkerung von 6,6 Prozent. Auch Schöneberg, Spandau und Ho-henschönhausen haben mit Zuwächsen von über 5 Prozent eine außerordentliche Zu-nahme der Belastung erfahren. Im Gegensatz dazu und zum generellen Berlin-Trend gibtes mit Zehlendorf, Steglitz und Pankow auch Bezirke, die sogar eine Verringerung derArmutskonzentration zu verzeichnen haben.

– In Westberlin setzt sich die Tendenz der sozialräumlichen Polarisierung fort, indem diehöchsten bzw. niedrigsten Wachstumsquoten sozial besonders benachteiligte (Neukölln)bzw. besonders privilegierte (Zehlendorf, Steglitz) Bezirke betreffen. Andererseits fallenBezirke aus dieser Tendenz heraus: Kreuzberg, der (Alt-)Bezirk mit der höchsten Ar-mutskonzentration musste nur eine deutlich unterdurchschnittliche Zunahme (1,7%) hin-nehmen. Und Wilmersdorf, 1999 nach Zehlendorf noch der Westberliner Bezirk mit dergeringsten Quote, hat eine soziale Abwärtsbewegung erfahren, indem die arme Bevölke-rung dieses Bezirks stark überdurchschnittlich (4,5%) zunahm.

– Die beiden Ost-West-Bezirke1 zeigen in ihren Fusionskomponenten folgende Entwick-lung:

In Mitte gab es eine sozialräumliche Polarisierung zwischen den ehemaligen „West-bezirken“ und „Ostbezirken“. Die vergleichsweise niedrige Armutsquote im AltbezirkMitte erfuhr nur eine unterdurchschnittliche Steigerung. Das Gegenteil trifft auf Tier-garten und Wedding zu.

In Friedrichshain-Kreuzberg könnte sich hingegen eine relative soziale Aufwärtsent-wicklung abzeichnen – besser gesagt, vollzieht sich die Verschlechterung der Situati-on langsamer als in den meisten anderen Bezirken. Nach wie vor ist – wie gesagt –Kreuzberg die Berliner Region mit der größten Armutsdichte. Auch Friedrichshainrangiert – wie schon 1999 – unter den Altbezirken mit überdurchschnittlicher Armut.Beide Fusionsteile erfuhren indes nur einen unterdurchschnittlichen Anstieg der Ar-mutsquoten.

Alles in allem wäre die alljährliche Präsentation einer Statistik der Äquivalenzeinkommeneine bemerkenswerte Bereicherung der Sozialberichterstattung in Berlin. Allerdings sindweitere Verbesserungen – z.B. Angebot einer geschlossenen Datensammlung, Vervollstän-digung der Indikatoren (insbesondere mittlere Äquivalenzeinkommen nach Bezirken), prinzi-piell Ausweisung der Daten auch nach alten und neuen Bezirken – geboten. Den Nachteileiner solchen Analyse, dass es sich um berlinspezifische Armuts- bzw. Reichtumsquotenhandelt, wird durch den Vorteil eines enormen Informationsgewinns mehr als aufgewogen.Noch besser wäre natürlich, es ließen sich auch aktuelle Bezüge zu den entsprechendenIndikatoren des Bundes herstellen. Aber die dazu nötigen Voraussetzungen lassen sich aufLandesebene wohl nicht erbringen.

1 Leider enthält die Datensammlung (StaLA Berlin 2003) nicht die Einkommensquoten der neuen Bezirke.

Deren Sozialhilfe- und (Einkommens-)Armutsdichte kann deshalb nicht verglichen werden.

6. Kleinräumige Analyse

Kap6_1_03.doc54

6. Versuche einer kleinräumigen Analyse der Bevölkerungsstruktur und-entwicklung

Bezirke sind keine sozialräumlich homogenen Gebilde. Schon die alten Bezirke wiesen einestarke sozialräumliche Differenzierung auf, die in der sozialpolitischen und sozialplaneri-schen Arbeit zu berücksichtigen war. Die neuen Großbezirke wurden aus z.T. sehr dispara-ten Fusionseinheiten zusammengefügt1.

Der soziale Einigungsprozess zwischen West- und Ostberlin konnte über ein Jahrzehnt aufsolider statistischer Basis beobachtet werden. Dem entspricht natürlich das Bedürfnis unddie Notwendigkeit, auch den Fusionsprozess der neuen Bezirke über einen längeren Zeit-raum verfolgen zu können2. Die Frage nach der sozialräumlichen Struktur der Bezirke istauch die nach einer statistischen Datenbasis zu bezirksinternen Raumstrukturen.

Seit längerem sind sich Sozialwissenschaften und Kommunalpolitik einig, dass z.B. Tenden-zen der Segregation und der zunehmenden sozialräumlichen Polarisierung u.a. konkrete undkomplexe sozialraumbezogene Handlungskonzepte erfordern. Dazu muss die Statistik auchDarstellungsmöglichkeiten in kleiner regionaler Rasterung anbieten. In den letzten Jahrenpublizierte kleinräumig strukturierte Sozialraumanalysen (z.B. IfS/S.T.E.R.N. 1998; Meinl-schmidt/Brenner 1999), die die sozialräumliche Ungleichheit auch innerhalb der alten Ver-waltungseinheiten aufzeigen, haben die Aussagekraft solcher Untersuchungen eindrucksvollbestätigt. Sie belegen zugleich die bisher schon bestehenden Lücken der intrabezirklichenstatistischen Erfassung. Nachteilig schlagen diese Defizite z.B. im Zusammenhang mit derRealisierung und Ausgestaltung von Quartiersmanagements in Gebieten mit besonderemEntwicklungsbedarf zu Buche.

Einblicke in eine feiner gegliederte sozialräumliche Struktur Berlins können auf Basis statisti-scher Angaben nach Statistischen Gebieten und nach Verkehrszellen gewonnen werden.

Berlin ist in 195 Statistische Gebiete gegliedert, die sich wiederum aus insgesamt 338 Ver-kehrszellen zusammensetzen. Für die Verkehrszellen (und Statistischen Gebiete) stellt dasStatistische Landesamt ausgewählte Daten zur Einwohnerstruktur und zur Arbeitslosigkeitzur Verfügung.

Im Durchschnitt wohnen in einer Verkehrszelle ca. 10.000 Einwohner. Die Extreme liegenjedoch zwischen 0 (Verkehrszelle Kämmereiheide im Statistischen Gebiet Müggelberge,Altbezirk Köpenick) und 36.614 Einwohnern (Märkisches Viertel im Statistischen Gebiet Alt-Wittenau in Reinickendorf). Die Analyse beschränkt sich vornehmlich auf die 231 Verkehrs-zellen mit mehr als 5.000 Einwohnern. Damit sind die Wohngebiete von 94 Prozent der Ber-liner Bevölkerung erfasst.

6.1 Sozialräumliche Tendenzen der Bevölkerungsentwicklung

6.1.1 Vorbemerkungen zum großräumigen Hintergrund

Die zu den Verkehrszellen verfügbaren Daten der Einwohnerstruktur und -entwicklung um-fassen den Zeitraum ab 1993.

Um die Entwicklungstendenzen im kleinräumigen Raster beurteilen zu können, werden na-türlich Informationen zu den entsprechenden Vorgängen im Makrobereich benötigt. Deshalberfolgt zunächst eine Darstellung der Einwohnerentwicklung auf dem Territorium der heuti-gen Großbezirke seit 1993 sowie seit 1997.

1 Z.B. unterschieden sich Friedrichshain und Kreuzberg im Jahr 2000 u.a. folgendermaßen: Ausländeranteil

der Einwohner 8,7% bzw. 33,0%; Erwerbslosenquote 16,7% bzw. 27,7% (StaLA Berlin).2 Mit der politischen Entscheidung, sozialstatistische Daten vielfach nur noch in der neuen Bezirksstruktur

auszuweisen, wurde die sozialwissenschaftliche Begleitung und politische Führung des Zusammenwach-sens der neuen Bezirke unnötig erschwert.

6. Kleinräumige Analyse

Kap6_1_03.doc55

Tab. 6.1-1

Veränderung der Einwohnerzahl von 12/1993 bis 12/2002 auf demGebiet der neuen Bezirke Berlins

Bezirk 1993=100 1997=100 2001=100Mitte 92 97 100,2Friedrichshain-Kreuzberg 94 99 100,7Pankow 111 107 101,0Charlottenburg-Wilmersdorf 94 98 99,6Spandau 100 100 100,4Steglitz-Zehlendorf 98 99 99,8Tempelhof-Schöneberg 96 98 99,5Neukölln 97 99 100,0Treptow-Köpenick 107 104 99,8Marzahn-Hellersdorf 85 91 98,7Lichtenberg 89 93 99,6Reinickendorf 97 98 100,1

Berlin 96 98 100,0

Abb. 6.1-1

Entwicklung der Einwohnerzahl 12/93 (=100) bis 12/02 auf dem Gebiet der neuen Bezirke (sortiert)

85

89

92

94

94

96

97

97

98

100

107

111

0 20 40 60 80 100 120

Marzahn-Hellersdorf

Lichtenberg

Mitte

Charlottenburg-Wilmersdorf

Friedrichshain-Kreuzberg

Tempelhof-Schöneberg

Neukölln

Reinickendorf

Steglitz-Zehlendorf

Spandau

Treptow-Köpenick

Pankow

6. Kleinräumige Analyse

Kap6_1_03.doc56

Karte 6.1-1

Deutlich wird, dass die extremen Veränderungen der Bevölkerungszahl sowohl in Bezug aufWachstum wie auf Verlust im Ostteil Berlins erfolgten, während das Gebiet des früherenWestberlin und - jedenfalls für den Zeitraum ab 1997 - auch die Gebiete der beiden „West-Ost-Bezirke“ Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg – durch eine relative Stabilität der Einwoh-nerzahl gekennzeichnet ist. Schwerwiegende Bevölkerungsverluste musste der StadtraumOst, vor allem der Bezirk Marzahn-Hellersdorf, aber auch Lichtenberg hinnehmen. StarkenZuwachs erfuhren die Bezirke Pankow und Treptow-Köpenick. Die Veränderungen gegen-über 2001 wurde bereits im 1. Abschnitt erörtert.

6.1.2 Einwohnerentwicklung nach Verkehrszellen

Im Osten Berlins ist die Dynamik, Gegenläufigkeit, Unterschiedlichkeit und Schwankung derBevölkerungsentwicklung mit enormen Bevölkerungsverschiebungen verbunden. Dies kannals Vorbote künftiger sozialräumlicher Disparitäten gewertet werden. Denn die dieser Dyna-mik zugrunde liegenden Wanderungsprozesse verlaufen sozial selektiv und führen zu erheb-lichen Veränderungen der Alters- und Sozialstruktur in den Ziel- und Herkunftsgebieten. Diebisherige relative sozialräumliche Ausgeglichenheit Ostberlins wird damit mehr und mehraufgehoben und einer sich vertiefenden sozialräumlichen Ungleichheit weichen.

Auch in der Bevölkerungsentwicklung der räumlichen Mikrostruktur sind in Ostberlin diegrößten Differenzierungen zu beobachten (Tab. 6.1-2).

6. Kleinräumige Analyse

Kap6_1_03.doc57

Tab. 6.1-2

Dynamik der Bevölkerungsentwicklung 1993-2002 auf dem Gebiet der Bezirke nach Verkehrs-zellen mit mehr als 5.000 EW1 (12/2001)

Indikatoren: Mittelwert (MW), Variationskoeffizient2 (V), Minimum (Min.), Maximum (Max)

Index Einwohner am 31.12.2002

EW am 31.12.1993=100 EW am 31.12.1997=100 EW am 31.12.2001=100Bezirk

MW V Min. Max. MW V Min. Max. MW V Min. Max.

Mitte 94 6 83 106 99 5 94 118 100,6 1,5 98,1 103,7Friedrichsh.-KB 93 7 83 105 98 5 90 106 100,7 1,5 98,3 103,4Pankow 139 77 78 631 111 19 86 189 101,0 1,9 96,6 108,1Charl. –Wilm. 95 5 86 112 98 1 95 100 99,6 0,6 98,4 100,5Spandau 98 21 77 165 101 15 92 140 100,2 1,3 98,5 104,1Stegl.-Zehl. 99 8 82 122 99 4 90 111 99,8 0,7 98,6 101,6Temp. –Schö. 97 8 89 120 99 4 92 113 99,4 1,7 93,2 101,6Neukölln 98 8 88 119 99 4 96 112 100,0 0,8 98,4 101,4Trept.-Köp. 115 28 88 215 106 10 93 127 100,0 1,0 98,5 101,7Marz.-Hell. 99 45 47 185 93 20 73 132 98,8 2,1 94,9 103,5Lichtenberg 91 13 76 113 93 7 84 106 99,8 1,6 96,9 102,8Reinickend. 98 5 93 110 99 3 95 105 100,1 0,7 99,0 102,4

Berlin 103 43 47 631 100 12 73 189 100,0 1,5 93,2 108,1

Berlin-West 97 9 77 165 99 6 90 140 99,8 1,0 93,2 104,1Berlin-Ost 112 60 47 631 102 17 73 189 100,2 2,0 94,9 108,1

Unterschiede in beiden beobachteten Zeitintervallen, 1993 bis 2001 und 1997 bis 2001, kön-nen angesichts der Wanderungsanalyse nicht verwundern. In den ersten Jahren nach derWende dominierte im Westteil Berlins eine Tendenz zu Bevölkerungsverlusten, im Ostenhingegen fand ein kräftiges Wachstum statt. In den Jahren nach 1997 setzte sich in beidenStadt-„Hälften“ eine moderatere Entwicklung durch.

Hinter den (bezirklichen) Resultanten verbergen sich spektakuläre Extreme der Bevölke-rungsentwicklung in den räumlichen Subeinheiten. Sie konzentrieren sich wiederum über-wiegend auf den Ostteil der Stadt – und hier namentlich auf jene Bezirke, die einen beson-ders hohen Bevölkerungsgewinn bzw. -verlust zu verzeichnen haben.

Beispiele besonders auffälliger Veränderungen gegenüber 1993:

Sprunghafte Zuwächse der Einwohnerzahl auf über 200 Prozent markieren Standorte neuerWohnsiedlungen:

– in Pankow: Buchholz 2 (631%), Bucholz1 (244%), Hertaplatz 1 (218%), Karow 1 (310%)

– und in Treptow-Köpenick: Müggelheim 1 (215%).

Gegengerichtete Entwicklungen im Sinne einer Verringerung der Einwohnerzahl auf unter 75Prozent (seit 1993) betreffen 11 Verkehrszellen, die ausnahmslos zum Bezirk Marzahn-Hellersdorf gehören. Darunter befindet sich mit Bevölkerungsverlusten von 53 Prozent dieVerkehrszelle „Mehrower Allee (S) östl“.

Diese Konzentration von Räumen mit sehr hohen Bevölkerungsverlusten bestätigt die dra-matische Ausnahmesituation von Marzahn-Hellersdorf, die bereits bei der Wanderungsana-lyse deutlich wurde.

1 232 der 338 Verkehrszellen hatten 2001 eine Einwohnerzahl von mindestens 5.000. Hier wohnen 94,4 Pro-

zent der Berliner Bevölkerung. Darauf konzentriert sich die weitere Analyse, um zu vermeiden, dass abolutgeringfügige Veränderungen in den „kleinen“ Verkehrszellen bei der Durchschnittsbildung von Relativzahlenzu starken Einflussgrößen werden.

2 Der Variationskoeffizient ist das prozentuale Verhältnis von Standardabweichung zum Mittelwert.

6. Kleinräumige Analyse

Kap6_1_03.doc58

Allerdings zeigen sowohl die starke Variabilität (vgl. Variationskoeffizient V in Tab. 6.1-2) alsauch die hohen Maximalwerte wie auch der ausgeglichene Mittelwert (99) der Einwohne-rentwicklung, dass im Bezirk gegenläufige Prozesse ablaufen. Neben Gebieten mit dramati-schen Verlusten gibt es solche mit bedeutenden Bevölkerungszuwächsen (z.B. auf über 170Prozent in 4 Verkehrszellen in Mahlsdorf, Biesdorf-Süd und Kaulsdorf-Süd). Dominant bleibtdennoch der starke Rückgang der Bevölkerungszahl, wie die Bezirksbilanz zeigt.

In Lichtenberg, dem Bezirk mit dem niedrigsten Mittelwert der Einwohnerentwicklung allerBezirke im längerfristigen Vergleich, ist die Negativentwicklung auch die dominierende Ten-denz der Subeinheiten. Diese Tendenz könnte mittlerweile stark abgeschwächt sein, wennsich die Entwicklung seit 2001 verstetigt.

In Spandau veränderte sich die Bevölkerungszahl seit 1993 zwar moderater als in den ge-nannten Extremfällen, aber im Westberliner Gebiet nimmt der Bezirk diesbezüglich eineAusnahmestellung ein. Das betrifft sowohl die starke Differenziertheit der Entwicklung inner-halb des Bezirks als auch die Verkehrszellen mit extremen Zuwächsen (Werderstr. mit ei-nem Zuwachs um 65 Prozent der Einwohnerschaft von 1993) bzw. Verlusten (Gartenstadtmit einem Rückgang um 23 Prozent der Einwohnerzahl von 1993). Seit 1997 werden dieWachstumsspitzen von Verkehrszellen des Bezirks nur noch in Pankow übertroffen. Die Dy-namik der Bevölkerungsentwicklung ist nicht mehr auf den Osten Berlins beschränkt.

Hervorzuheben ist, dass in Bezirken mit besonders starken Veränderungen der Bevölke-rungszahl auch die Entwicklungsunterschiede zwischen den Subeinheiten besonders großsind (vgl. Variationskoeffizient). D.h. die den Bezirk prägende Veränderung (z.B. steilesWachstum) trifft nur auf einen Teil der Verkehrszellen zu, in anderen vollziehen sich ausge-glichene oder sogar gegenläufige Prozesse. Es handelt sich dabei um periphere Bezirke(Pankow, Marzahn-Hellersdorf, Spandau und Treptow-Köpenick). Hier bilden neu entstande-ne Siedlungen in Stadtrandnähe Wachstumsareale, die auch von vielen Berlinerinnen undBerlinern aus der Innenstadt bezogen wurden. So laufen gewissermaßen Suburbanisie-rungsprozesse auch innerhalb der Grenzen der Hauptstadt ab (Matthießen 2002a, 72) – sehrwahrscheinlich auch innerhalb der betreffenden Bezirke.

Die bereits im ersten Abschnitt diskutierten Unterschiede des Ausländeranteils der Bezirkekönnen nun ergänzt werden durch Einsichten zur innerbezirklichen Differenziertheit diesesIndikators (Abb. 6.1-2).

Charakteristisch für alle Bezirke ist eine beträchtliche sozialräumliche Heterogenität in Bezugauf das Kriterium Ausländeranteil. Die Spannweite (Differenz von Maximum und Minimum)weist auf die folgende Tendenz hin: Je höher die Konzentration der ausländischen Bevölke-rung im Bezirk, desto größer sind die Unterschiede zwischen den beiden extremen Ver-kehrszellen. Die Verkehrszellen mit der höchsten Quote gehören erwartungsgemäß zu denbesonders ausländerreichen Bezirken und umgekehrt. In den drei Bezirken mit dem höch-sten durchschnittlichen Anteil befinden sich jeweils Gebiete mit Quoten von über 40 Prozentder ausländischen Bevölkerung. Andererseits gibt es in allen Bezirken Verkehrszellen mitAusländerkonzentrationen, die deutlich unter dem entsprechenden Wert für Berlin (11,2%)liegen. Und in Bezirken mit sehr niedrigen Quoten sind die höchsten Konzentrationen dernichtdeutschen Bevölkerung nur geringfügig über dem Berlinstandard oder gar darunter.

6. Kleinräumige Analyse

Kap6_1_03.doc59

Abb. 6.1-2

Bezirke 12/2002 nach Verkehrszellen: Einwohner-Anteil der Ausländer (Mittelwert [sortiert], Min, Max; %)

0

5

10

15

20

25

30

35

40

45

Min Max MW

In verschiedenen Ostberliner Bezirken (Pankow, Treptow-Köpenick und Marzahn-Hellersdorf1) gibt es in Bezug auf die deutsche Staatsbürgerschaft große, faktisch homogeneGebiete, denn in diesen Bezirken haben mehr als ein Drittel der Verkehrszellen (über 5.000EW) weniger als 3 Prozent Einwohner ohne deutschen Pass.

Tab. 6.1-3

Verkehrszellen mit extremen Verlusten der Einwohnerzahl (Index) im Zeitraum

12/1993 bis 12/2002 12/1997 bis 12/2002 12/2001 bis 12/2002

1993=100 Altbez. Verkehrszelle 1997=100 Altbez. Verkehrszelle 2001=100 Altbez. Verkehrszelle

47 Ma Mehrower A. (S) östl. 73 Ma Stadtrandsiedl. 93,2 Sch Tempelh.W.64 Ma Stadtrandsiedl. 76 Ma Lea-Grundig-Str. 94,9 He L.-Lewin-Str.68 Ma Havemannstr. 77 He Cottbus. Pl. (U) 96,6 WS Hansastr.68 He Cottbus. Pl. 79 He L.-Lewin-Str. 96,9 HS Am breiten Luch69 He L.-Lewin-Str. 79 Ma Mehrow. A. (S) östl 96,9 He Cottbus. Pl. (U)69 He Alte Hellersd. Str. 80 He Alte Hellersd. Str. 97,0 Ma Glambecker Ring69 He Grottkauer Str. (U) 80 Ma Havemannstr. 97,1 Ma Havemannstr.72 Ma Springpf. (S) östl 82 He Grottkauer Str. (U) 97,1 Ma Lea-Grundig-Str.72 Ma Glambecker R. 83 Ma Springpf. (S) östl 97,2 He Alte Hellersd. Str.73 Ma Fr.-Stenzer-Str. 84 Ma Auersberger Str. 97,3 Ma Mehrower A. (S) östl.

Im mehrjährigen Vergleich haben vor allem Wohngebiete in den Plattenbau-Großsiedlungenvon Marzahn-Hellersdorf extrem hohe Bevölkerungsverluste zu verzeichnen. In Tabelle 6.1-3sind jeweils die 10 Verkehrszellen mit dem größten Bevölkerungsverlust im längerfristigen(seit 1993), mittelfristigen (seit 1997) und kurzfristigen Vergleich (seit 2001) aufgeführt. Inden Zeiträumen 1993-2002 und 1997-2002 sind dies ausnahmslos Gebiete in den Groß-siedlungen von Marzahn-Hellersdorf. Nur im kurzfristigen Vergleich sind auch drei Verkehrs-

1 Allerdings wohnen in Marzahn-Hellersdorf viele Spätaussiedler. D.h. auch hier gibt es eine große Bevölke-

rungsgruppe mit Migrationshintergrund, die allerdings melderechtlich statistisch genauso wenig erfasstwerden kann, wie deutsche Staatbürger ausländischer Herkunft.

6. Kleinräumige Analyse

Kap6_1_03.doc60

zellen aus anderen Bezirken, darunter eine in Westberlin unter den Extremfällen des Bevöl-kerungsrückgangs zu finden.

Tab. 6.1-4

Verkehrszellen mit extremen Zuwächsen der Einwohnerzahl (Index) im Zeitraum

12/1993 bis 12/2002 12/1997 bis 12/2002 12/2001 bis 12/2002

1993=100 Altbez. Verkehrszelle 1997=100 Altbez. Verkehrszelle 2001=100 Altbez. Verkehrszelle

631 Pa Triftstr. 189 Pa Triftstr. 108,1 Pa Florastr.310 WS Karow 151 WS Heinersdorf 104,1 Sp Gartenstadt244 Pa Hauptstr. 146 Pa Hauptstr. 103,7 Mi Rosenth. Str.218 Pa Herthaplatz 140 Sp Gartenstadt 103,6 WS Heinersdorf215 Kö Müggelheim 149 WS Karow 103,5 Ma Biesdorf-Süd197 WS Heinersdorf 137 Sp Werderstr. 103,4 FH Rigaer Str185 He Mahlsdorf-Nord 132 Ma Biesdorf-Süd 103,3 Mi Rosenthaler Pl.180 He Mahlsdorf-Süd 129 Pa Herthaplatz 102,8 LB Nöldnerplatz179 Ma Biesdorf-Süd 127 Kö Dammvorstadt 102,7 Mi Michaelkirchpl.175 He Kausldorf-Süd 126 Kö Grünau 102,6 FH Boxhag. Str.

Auch die Verkehrszellen mit dem größten Bevölkerungswachstum (Tab. 6.1-5) im längerfri-stigen Intervall liegen ausnahmslos im Ostteil der Stadt. Die bereits erwähnte Sonderstellungvon Spandau unter den Westberliner (Alt-)Bezirken tritt im mittel- und kurzfristigen Vergleichzu Tage: Die einzigen Westberliner Wohngebiete mit extremen Bevölkerungszuwächsengehören zu Spandau. Die kurzfristigen Wachtumsspitzen zeugen davon, dass nunmehr auchdie Innenstadt (Mitte, Friedrichshain) Orte beträchtlichen Bevölkerungswachstums aufweist.

Tab. 6.1-5Strukturveränderungen der Bezirke nach Verkehrszellen 12/1997 – 12/2002 in Bezug auf Auslän-

deranteil und Altersgliederung (Mittelwert, Minimum, Maximum)

Anteil Ausländer Anteil unter 18-Jährige Anteil über 64-Jährige

BezirkMW Min Max MW Min Max MW Min Max

1 Mitte 2,8 -0,6 6,7 -2,1 -5,5 0,1 1,3 -2,9 7,02 Friedrichsh-KB -0,5 -5,4 2,8 -2,4 -5,6 1,1 0,2 -2,4 3,73 Pankow 0,1 -8,4 5,0 -1,9 -4,4 1,1 1,0 -6,3 5,84 Charlott'bg-Wilm 1,1 -0,6 2,5 -0,5 -2,0 0,5 0,6 -1,4 2,95 Spandau -0,9 -4,7 1,6 -0,6 -3,1 1,5 2,1 -0,5 4,06 Steglitz-Zehl -0,2 -8,9 1,3 -0,2 -1,9 2,4 1,4 -0,8 3,57 Tempelh.-Schö 0,0 -2,6 2,4 -0,8 -1,8 0,3 1,5 -0,3 6,78 Neukölln 1,6 -0,5 4,9 -0,3 -1,7 1,4 1,4 -0,5 3,79 Treptow-Köp -0,7 -8,8 1,1 -1,8 -3,8 0,4 3,9 1,3 7,010 Marzahn-Hell -0,1 -6,6 1,3 -5,9 -9,3 -1,5 3,1 0,3 5,611 Lichtenberg 0,5 -6,3 2,8 -4,4 -10,0 -1,5 3,7 -2,6 7,512 Reinickendorf -0,5 -11,1 1,7 -0,4 -1,9 2,1 2,0 -0,1 3,8Insgesamt 0,3 -11,1 6,7 -1,8 -10,0 2,4 1,8 -6,3 7,5

Welche Strukturveränderungen sind mit der diskutierten Entwicklung der Einwohnerzahlnach 1997 verbunden (Tabelle 6.1-5)?

Der Anteil der nichtdeutschen Bevölkerung ist seit 1997 im Durchschnitt der Berliner Ver-kehrszellen (mit mehr als 5.000 EW) geringfügig gestiegen. Besonders groß ist die relativeZunahme dieser Bevölkerungsgruppe im Zentrum der Stadt (Bezirk Mitte). Nur in Neuköllnund Charlottenburg-Wilmersdorf übertraf außerdem die Zunahme die Marke von 1 Prozent(-punkt). Das West-Ost-Gefälle bezüglich des Ausländeranteils dürfte somit noch längere Zeitfortbestehen. Deutlich geringer wurde der Indikator in Spandau und Treptow-Köpenick. Die

6. Kleinräumige Analyse

Kap6_1_03.doc61

Extremwerte der Verkehrszellen liegen zwischen Zuwächsen um 6,7 (Lützowufer, Bez. Mitte)und einem Rückgang um 11,1 Prozentpunkte (Hermsdorfer Str., Bez. Reinickendorf).

Die hohe Dynamik der Einwohnerentwicklung im Osten Berlins war damit verbunden, dasshier – anders als in Westberlin – sehr starke Veränderungen der Altersstruktur zu verzeich-nen sind. Verstärkt wird diese Tendenz durch den beschleunigten Alterungsprozess in dendrei ehemaligen Neubaubezirken des Stadtraumes Ost (vgl. Abschnitt 1).

Die stärksten Veränderungen der Altersgliederung in der genannten Richtung haben sich imStadtraum Ost (Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg) abgespielt – also in jenem Gebiet, dasauch die drei ehemaligen Neubaubezirke umfasst. Die enorme Verschiebung der Alters-struktur in der Neubauregion hat zwei Hauptursachen: die typischen Disproportionen derAltersstruktur von Neubaugebieten und die ungewöhnlich hohen und anhaltenden Wande-rungsverluste. Die Sonderstellung dieses Stadtraumes rechtfertigt den folgenden Exkurs.

* * *

Exkurs: Marzahn-Hellersdorf – gegenläufige Prozesse in Großsiedlungs- und Siedlungsgebieten

Die Gesamtentwicklung des Bezirks Marzahn-Hellersdorf wird durch das Geschehen in den großenNeubaugebieten bestimmt.

Abb. 6.1-E-1

Bevölkerungsentwicklung in Marzahn-Hellersdorf 2002, Differenz zu 1993 bzw. 1997 bzw. 2001 (%)

-15

-28

54

-10-17

19

-1,3

-2,2

1,4

-40-30-20-10

0102030405060

Marz.-Hellersd. Großsiedlung Siedlungsgebiet

1993=100 1997=100 2001=100

Denn der weit überwiegende Teil der Bevölkerung (72 Prozent) des Bezirks wohnt in Großsiedlungen.Nicht übersehen werden sollte jedoch, dass das Territorium auch ein riesiges Siedlungsgebiet mit ca.68.000 (2002) Bewohnern, das sind 27 Prozent der Einwohnerschaft des Bezirks, umfasst.

Durch Zusammenfassung der entsprechenden Statistischen Gebiete ist ein Vergleich der Bevölke-rungsentwicklung beider Gebietstypen möglich1. Dabei zeigt sich: Der Bevölkerungsverlust der Groß-siedlungen fällt noch wesentlich dramatischer aus als für den Gesamtbezirk. In den Siedlungsgebietenfindet hingegen ein starkes Bevölkerungswachstum statt, wodurch die Negativbilanz der Neubauge-biete im Bezirkssaldo etwas abgeschwächt wird. Den stärksten Zuwachs erfuhren die Siedlungsgebietein den ersten Jahren des Vergleichszeitraumes.

Auch in Bezug auf die Entwicklung der Altersstruktur blieb das Siedlungsgebiet vergleichsweise sta-bil, während sich im Raum der Großsiedlungen rasante Veränderungen vollzogen (Abb. 6.1_E-2 und6.1_E-3).

1 Großsiedlung: Statistische Gebiete 181, 182, 184, 185, 193-195; Siedlungsgebiet: Statistische Gebiete

186-192. Unberücksichtigt blieb das Mischgebiet mit den Statistischen Gebieten 180 und 183 mit insgesamt2075 Einwohnern (2001).

6. Kleinräumige Analyse

Kap6_1_03.doc62

Abb. 6.1_E-2

Altersstruktur des Großsiedlungsgebiets 1993, 1997, 2002 (%)

32,2

27,0

19,7

63,6

66,8

70,2

4,2

6,3

10,1

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

1993

1997

2002

u18 J 18-64J ab65 J

Abb. 6.1_E-3

Altersstruktur des Siedlungsgebiets 1993, 1997, 2002 (%)

20,5

20,7

18,1

66,8

67,8

69,1

12,7

11,4

12,8

0% 20% 40% 60% 80% 100%

1993

1997

2002

u18 J 18-64J ab65 J

Wie bereits erwähnt, vollzieht sich in den Großsiedlungen ein rascher Alterungsprozess der – nach wievor überdurchschnittlich jungen – Bevölkerung. Der Anteil der Kinder und Jugendlichen unter 18verringerte sich seit 1993 um 12,5 Prozentpunkte zugunsten der mittleren (18-64 Jahre um 6,6 Pro-zentpunkte) und älteren (65 Jahre und älter um 5,9 Prozentpunkte) Jahrgänge. Mittlerweile haben sichdie altersstrukturellen Relationen der Großsiedlung denen des Siedlungsgebiets deutlich angenähert.Hier veränderten sich (in Bezug auf die drei genannten Altersgruppen) die Proportionen nur graduell.Allerdings ist die Verminderung der unter 18-Jährigen seit 1997 dennoch bemerkenswert – eine Kon-sequenz der verminderten Wanderungsüberschüsse der letzten Jahre?

.

* * *

6. Kleinräumige Analyse

Kap6_2_03.doc63

6.2 Differenziertheit der Bevölkerungsstruktur nach Verkehrszellen

6.2.1 Altersstruktur

Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird die Altersstruktur vom Dezember 2001 in nur dreifa-cher Gliederung (unter 25 Jahren, 25 bis 59 Jahre, 60 Jahre und älter) analysiert. Dabei gehtes wiederum ausschließlich um Verkehrszellen mit mehr als 5.000 Einwohnern (12/2001).

In den Tabellen 6.2.1-1 und 6.2.1-2 sind jeweils 10 Verkehrszellen mit den extremsten Aus-prägungen eines Merkmals der Altersstruktur ausgewiesen. Dabei wird erneut deutlich, dasssowohl Gebiete mit ungewöhnlich hohem Anteil junger Bevölkerung als auch solche mit au-ßerordentlich starker Konzentration Älterer überwiegend im Territorium des ehemaligen Ber-lin-Ost liegen.

Tab. 6.2.1-110 Verkehrszellen mit extremer Altersstruktur 12/02 (Altersgruppe < 25 J; %)

Altbezirk Verkehrszelle unter 25 J 25 – 59 J ab 60 J

Marzahn 1812 Havemannstr. 38,1 51,3 10,6Hellersdorf 1941 Cottbuser Platz (U) 37,4 50,6 11,9Hohenschön. 1752Biesenbrower Str. 37,1 52,4 10,5Hellersdorf 1952 Tangermünder Str. 36,9 49,4 13,7Hellersdorf 1942 Alte Hellersdorfer Str. 36,6 49,4 14,0Spandau 0373 West-Staaken 36,1 52,5 11,4Marzahn 1811 Stadtrandsiedlung 35,3 53,7 11,0Hellersdorf 1951 Kienberg 35,2 50,7 14,1Hellersdorf 1953 Lous-Lewin-Str. 34,6 53,3 12,1Hellersdorf 1932 Grottkauer Str. (U) 34,3 53,1 12,6

Berlin 24,8 52,4 22,8

Tab. 6.2.1-210 Verkehrszellen mit extremer Altersstruktur 12/02 (Altersgruppe >= 60 J; %)

Altbezirk Verkehrszelle unter 25 J 25 – 59 J ab 60 J

Mitte 1051 Strahlauer Vorstadt 18,2 37,8 43,9Treptow 1202 Baumschulenweg 17,4 41,8 40,8Köpenick 1441 Dammfelde 19,5 42,6 37,9Köpenick 1431 Friedrichshagen 19,3 43,0 37,6Friedrichshain 1171 Andreasstraße 18,7 44,2 37,1Pankow 1614 Am Krankenhaus Pankow 19,0 44,0 36,9Wedding 0112 Ungarnstraße 18,3 45,7 36,0Prenzl. Berg 1082 Michelangelostr. 18,5 45,5 36,0Charlottenb. 0261 Reichsstraße 16,6 47,6 35,8Lichtenberg 1473 Tierpark (U) 20,0 44,2 35,8

Berlin 24,8 52,4 22,8

Abb. 6.1.1-1

2 Verkehrszellen mit extremer Altersstruktur 2002 im Vergleich zu Berlin

38

25

18

51

52

38

11

23

44

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

Ma-He Havemannstr.

Berlin

Mi Strahlauer Vorstadt

unter 25 J 25 – 59 J 60J u. älter

6. Kleinräumige Analyse

Kap6_2_03.doc64

Von den 10 Verkehrszellen mit dem höchsten Anteil an unter 25-Jährigen gehören 8 zumBezirk Marzahn-Hellersdorf und befinden sich überwiegend auf dem Gebiet des ehemaligenBezirks Hellersdorf, dem jüngsten der drei Neubaubezirke aus der Zeit vor der Bezirksre-form. Bei vergleichsweise geringen Schwankungen der mittleren Altersgruppe ist der extremhohe Anteil der Jüngeren mit einer entsprechend geringen Präsenz von Älteren verbunden.

Die Strahlauer Vorstadt (Mitte) ist die einzige Verkehrszelle, in der es mehr Ältere (ab 60)gibt als 25- bis 59-Jährige. Verkehrszellen mit extrem hohem Anteil Älterer sind weit überdas Stadtgebiet verteilt.

6.2.2 Arbeitslosigkeit als sozialräumliches Problem

Mit Hilfe des Indikators „Niveau der Arbeitslosigkeit“ ist es möglich, auch das Ausmaß dersozialen Belastung in einer sehr kleinräumigen Struktur zu analysieren und Zusammenhängezwischen Verbreitung der Arbeitslosigkeit und demografischen Merkmalen zu untersuchen.

Dabei ist es natürlich unzulässig, ohne weiteres vom Niveau der Arbeitslosigkeit auch aufnicht ausgewiesene andere Indikatoren der sozialen Belastung zu schließen. Allerdings be-steht z.B. zwischen Bevölkerungsanteil mit Niedrigeinkommen und Sozialhilfequote einer-seits sowie Arbeitslosenquote andererseits ein sehr straffer Zusammenhang1. Es existiertalso eine relativ große Wahrscheinlichkeit, dass in räumlichen Einheiten mit hoher Arbeitslo-sigkeit auch Bevölkerungsgruppen in Sozialhilfeabhängigkeit oder mit niedrigem Einkommenüberrepräsentiert sind.

Abb. 6.2.2-1

Arbeitslosenquote 12/2002 (Mittelwert und Streuung [95%-Konfidenz]) der Bezirke nach Verkehrszellen (>5.000 EW); sortiert

579

11131517192123

Mittelwert Untergrenze Obergrenze

Wenn in diesem Abschnitt vom „Niveau der Arbeitslosigkeit“ gesprochen wird, handelt essich nicht um die gebräuchliche „Arbeitslosenquote“ mit dem Bezug auf abhängige (zivile)Erwerbspersonen, sondern – da diese Angaben für Verkehrszellen nicht verfügbar sind – umdie Relation von Arbeitslosen und der Bevölkerung im annähernd erwerbsfähigen Alter (18 –59 Jahre).

Demzufolge wies Berlin im Dezember 2002 ein Niveau der Arbeitslosigkeit von 14,5 Prozentauf. Die Werte der Berliner Bezirke streuen zwischen den Extremen 9,3 Prozent (Steglitz-

1 Z.B. ist die Arbeitslosenquote der Berliner (Alt-)Bezirke (12/99) mit dem Anteil der Bevölkerung mit einem

Nettoeinkommen unter 1800 DM (1999; r=0,702) und mit dem Anteil der Sozialhilfeempfänger (12/99;r=0,843) jeweils hoch signifikant verknüpft.

6. Kleinräumige Analyse

Kap6_2_03.doc65

Zehlendorf) und 18,6 Prozent (Friedrichshain-Kreuzberg). In Bezug auf Verkehrszellendürfte die Spannweite dieses Merkmals allerdings weitaus höher ausfallen.

Vergleicht man etwa die Bezirke in Bezug auf Mittelwerte und Streuung1 des Arbeitslosig-keitsniveaus ihrer Verkehrszellen (Abb. 6.2.2-1) treten nicht nur die bekannten Niveauunter-schiede mit den Extremen Friedrichshain-Kreuzberg und Steglitz-Zehlendorf hervor, sondernauch eine erhebliche Dispersion der Werte in den einzelnen Bezirken. Tendenziell wächstdie Streuung mit dem Durchschnittswert. Bei Bezirken mit einem niedrigen Niveau der Ar-beitslosigkeit bewegt sich also auch die Streuung der zugehörigen Verkehrszellen im niedri-gen Bereich und umgekehrt. Dass sich in einem Bezirk mit besonders niedrigem Niveau derArbeitslosigkeit auch Verkehrszellen mit besonders hoher Arbeitslosigkeit befinden (bzw.umgekehrt), ist also eher unwahrscheinlich.

Das mit Arbeitslosigkeit am stärksten belastete Gebiet ist mit 27,3 Prozent die in Kreuzberggelegene Verkehrszelle Moritzplatz. Den unteren Extremwert benlegt die VerkehrszellenMexikoplatz (Zehlendorf) und Zeltinger Platz (Reinickendorf) mit einem Wert von 5,3 Pro-zent, nicht weit entfernt vom Ideal der Vollbeschäftigung. (Die Analyse berücksichtigt wieder-um ausnahmslos Verkehrszellen mit mehr als 5.000 Einwohnern [12/2001])

Tab. 6.2.2-1

Verkehrszellen (> 5.000 EW) mit dem höchsten bzw. niedrigsten Niveau der Arbeitslosigkeit2 12/2002

10 höchste Werte 10 niedrigste Werte

Niveau der Ar-beitslosigkeit

Niveau der Ar-beitslosigkeit

Altbezirk Nr. NAMEQuote

Diff. z.Vorjahr

Altbezirk Nr. NAMEQuote

Diff. z.Vorjahr

Kreuzberg 131 Moritzplatz 27,3 1,4 Zehlendorf 503 Mexikoplatz 5,3 0,6Kreuzberg 141 Mariannenplatz 25,8 1,0 Rein.’dorf 922 Zeltinger Pl. 5,3 0,4Neukölln 772 Dammweg 24,7 -0,6 Zehlendorf 512 Pacelliallee 5,4 0,4Kreuzberg 121 Mehringplatz 23,3 1,6 Zehlendorf 523 Spanische A. 5,7 0,9Marzahn 1812 Havemannstr. 22,4 3,3 Zehlendorf 532 A. Kl. Wannsee 6,2 0,8Marzahn 1811 Stadtrandsiedlg. 22,2 2,1 Rein.’dorf 901 Konradshöhe 6,2 -0,1Wedding 081 Humboldthain 22,1 1,6 Zehlendorf 491 Berlepschstr. 6,3 -0,5Kreuzberg 151 Wiener Straße 22,0 1,4 Rein.’dorf 931 Hermsdorf W. 6,3 0,2Wedding 92 Reinickend. Str. 21,6 1,9 Steglitz 662 Carstennstr. 6,6 0,2Hellersdorf 1952 Tangerm. Str. 21,5 2,6 Spandau 391 Kladow 6,9 0,5

Eine Übersicht über die Gruppen von Verkehrszellen mit dem am höchsten bzw. am niedrig-sten ausgeprägten Niveau der Arbeitslosigkeit (Tab. 6.2.2-1) lässt einige Auffälligkeiten zu-tage treten:

− Verkehrszellen mit den niedrigsten Niveaus der Arbeitslosigkeit gehören ausnahmsloszur Peripherie des ehemaligen Westberlin.

− Die 10 Verkehrszellen mit dem höchsten Niveau der Arbeitslosigkeit sind – soweit es sichum „Westgebiete“ handelt auf die Altbezirke Kreuzberg, Wedding und Neukölln konzen-triert. Die betreffenden Ostberliner Verkehrszellen gehören ausnahmslos zum BezirkMarzahn-Hellersdorf.

Im Vorjahr war unter den 10 Verkehrszellen mit höchster Arbeitslosigkeit noch kein Ostberli-ner Gebiet. Offenbar ist der Bezirk Marzahn-Hellersdorf in besonderem Maße vom Wachs-tum der Arbeitslosigkeit betroffen. Unter den 10 Verkehrszellen mit der höchsten Zunahmedes Niveaus der Arbeitslosigkeit gehören 9 zum Bezirk Marzahn-Hellersdorf (Tab. 6.2.2-2)

1 Im 95-prozentigen Konfidenzintervall befinden sich unter der Voraussetzung der Normalverteilung 95 Pro-

zent aller Werte. D.h. Ausreißer mit extremen Abweichungen vom Mittelwert bleiben unberücksichtigt.2 Arbeitslose in Prozent der Einwohner im Alter von 18-59 Jahren 12/2002.

6. Kleinräumige Analyse

Kap6_2_03.doc66

Tab. 6.2.2-2

Verkehrszellen (> 5.000 EW) mit der höchsten Zunahmeder Arbeitslosigkeit1 12/2002 gegenüber dem Vorjahr

VerkehrszelleAltbezirk

Nr. NameProzent-punkte

Hellersdorf 1951 Riesaer Straße 3,64Marzahn 1822 Mehrower A. (S) öst 3,49Marzahn 1812 Havemannstraße 3,26Hellersdorf 1953 Louis-Lewin-Str. 3,23Marzahn 1823 Lea-Grundig-Str. 2,99Marzahn 1824 Glambecker Ring 2,98Hellersdorf 1941 Cottbuser Pl. (U) 2,87Hellersdorf 1931 Kaulsdorf-Nord (U) 2,73Spandau 311 Klosterfelde 2,67Hellersdorf 1932 Grottkauer Str. (U) 2,66

Für eine differenziertere Analyse werden die 232 Verkehrszellen mit mehr als 5.000 Einwoh-nern in fünf Klassen (annähernd) gleicher Mächtigkeit nach dem Niveau der Arbeitslosigkeiteingeteilt. Dem 1. Quintil wird das Fünftel der Verkehrszellen mit dem niedrigsten Niveauzugeordnet, ... das 5. Quintil umfasst jenes Fünftel Verkehrszellen mit dem höchsten Niveau(Tab. 6.2.2-3).

Tab. 6.2.2-3

Verkehrszellen (> 5.000 EW) nach Quintilen der Arbeitlosigkeit

Niveau der Arbeitslosigkeit 12/2002

Mittelwert Minimum Maximum

Anzahl derVerkehrs-

zellen1. Quintil 7,7 4,7 9,7 46

2. Quintil 11,1 9,7 12,6 47

3. Quintil 13,7 12,6 14,9 46

4. Quintil 16,1 14,9 17,5 47

5. Quintil 20,0 17,5 27,3 46

Insgesamt 13,7 4,7 27,3 232

Die Verteilung der Verkehrszellen auf die Quintile offenbart Gemeinsamkeiten, aber auchmaßgebliche Unterschiede im Ost-West-Vergleich (Abb. 6.2.2-2, A):

Übereinstimmung besteht darin, dass die Verkehrszellen, die dem Quintil mit der höchstenArbeitslosigkeit angehören (5. Quintil), in beiden Teilen Berlins adäquat präsent sind. DasSpezifische: In Westberlin sind Verkehrszellen mit niedriger und unterdurchschnittlicher Ar-beitslosigkeit auf Kosten des mittleren und überdurchschnittlichen (4.) Quintils stark überre-präsentiert. In den beiden unteren Quintilen befindet sich jede zweite Verkehrszelle Westber-lins (sofern sie mehr als 5.000 EW hat). In Ostberlin sind hingegen die Mitte (3. Quintil) undauch Verkehrszellen mit überdurchschnittlicher – wenngleich nicht höchster – Arbeitslosigkeit(4. Quintil) überproportional vertreten. Gebiete mit niedriger Arbeitslosigkeit sind hier hinge-gen relativ selten.

Hier sind die äußeren Quintile überrepräsentiert. D.h. im ehemaligen Westberlin exi stierenjeweils überdurchschnittlich viele Verkehrszellen mit einem besonders hohen wie auch miteinem besonders niedrigen Niveau der Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig besteht eine Tendenz zuvergleichsweise niedriger Arbeitslosigkeit.

1 Arbeitslose in Prozent der Einwohner im Alter von 18-59 Jahren 12/2001.

6. Kleinräumige Analyse

Kap6_2_03.doc67

Abb. 6.2.2-21

Verkehrszellen nach Quintilen der Arbeitslosenquote 12/2002 (%)

A) Berlin

26

11

20

22

19

20

14

28

20

19

23

20

20

20

20

0% 20% 40% 60% 80% 100%

Berlin-West

Berlin-Ost

Berlin

B) Berliner Bezirke

13

7

5

27

3

11

12

23

47

67

19

7

13

35

17

17

35

50

18

22

23

19

7

20

15

50

39

29

9

12

7

31

25

33

27

15

23

23

28

18

9

24

4

46

38

40

33

30

50

7

6

6

9

0% 20% 40% 60% 80% 100%

Friedrichsh-KB

Neukölln

Spandau

Lichtenberg

Mitte

Marzahn-Hell

Pankow

Tempelh.-Schö

Treptow-Köp

Charlott'bg-Wilm

Reinickendorf

Steglitz-Zehl

1. Quintil 2. Quintil 3. Quintil 4. Quintil 5. Quintil

Aufschlussreich ist auch die Struktur der einzelnen Bezirke nach Quintilen des Niveaus derArbeitslosigkeit (Abb. 6.2.2-2, B; Tab. )2. Jeder Bezirk weist ein eigentümliches Profil auf undumfasst in einer spezifischen Gliederung Gebiete unterschiedlichen Grades der Arbeitslosig-keit. Allerdings sind nur in 7 Bezirken Repräsentanten aller 5 Quintile präsent. In diesen Be-zirken findet sich also – wie in Berlin insgesamt – das gesamte Spektrum von Gebieten un-terschiedlicher Belastungen durch Arbeitslosigkeit.

Extrembezirke mit entgegengesetzten Struktureigenschaften sind die Bezirke Steglitz-Zehlendorf einerseits und Friedrichshain-Kreuzberg andererseits. Die extrem niedrige bzw.extrem hohe Arbeitslosenquote im Bezirksmaßstab prägt auch die binnenräumliche Vertei-

1 Bezirke sortiert nach Differenz Quintil 1 und Quintil 2.2 Die Bezirke wurden nach der Differenz von 1. und 5. Quintil sortiert.

6. Kleinräumige Analyse

Kap6_2_03.doc68

lung der Arbeitslosen, indem eine sehr starke Konzentration der Verkehrszellen auf die unte-ren bzw. oberen Niveaustufen vorhanden ist.

– In Steglitz-Zehlendorf gehören zwei Drittel aller Verkehrszellen (mit mehr als 5.000 EW)dem Quintil mit dem niedrigsten Niveau der Arbeitslosigkeit (1. Quintil) an, in keinem Ge-biet herrscht die höchste Stufe der Arbeitslosigkeit (5. Quintil).

– In Friedrichshain-Kreuzberg ist nahezu jede zweite Verkehrszelle Ort der höchsten Ar-beitslosigkeit (5. Quintil). Gebiete niedriger (2. Quintil) und niedrigster (1. Quintil) Ar-beitslosigkeit kommen in diesem Bezirk gar nicht vor.

Tab. 6.2.2-4

Verteilung der Verkehrszellen auf Quintile des Niveaus der Arbeitslosigkeit 12/2002

Quintile der Arbeitslosigkeit 12/20021. QuintilniedrigsteArbeitslos.

2. Quintil 3. Quintil 4. Quintil5. Quintilhöchste

Arbeitslos.

GesamtBezirk

Anzahl der Verkehrszellen (> 5.000 EW)

Mitte 1 7 3 3 6 20Friedrichsh-KB 3 4 6 13Pankow 1 5 15 7 2 30Charlott'bg-Wilm 5 11 2 2 2 22Spandau 2 1 1 5 6 15Steglitz-Zehl 18 6 2 1 27Tempelh.-Schö 2 3 7 5 1 18Neukölln 3 3 4 6 16Treptow-Köp 2 6 5 3 1 17Marzahn-Hell 6 5 11 22Lichtenberg 1 2 3 4 5 15Reinickendorf 8 3 2 4 17

Gesamt 46 47 46 47 46 232

Zwei weitere Bezirke fallen durch extreme Ausprägungen der räumlichen Ungleichverteilungder Arbeitslosigkeit auf:

– In Marzahn-Hellersdorf sind sowohl das erste als auch das fünfte Quintil überproportionalbesetzt. Allerdings wäre es ungerechtfertigt, daraus auf eine positiv zu wertende sozialeDurchmischung des Bezirks zu schließen bzw. auf eine produktive Nachbarschaft vonunterschiedlichen sozialen Milieus. Vielmehr weist die Analyse auf eine sozialräumlicheSpaltung des Bezirks hin, auf eine klare räumliche Trennung von relativ großen Gebietenmit unterschiedlicher sozialer und baulich-räumlicher Struktur. Zur sozialräumlichen Spe-zifik dieses Bezirks gehört das deutliche soziale Gefälle zwischen großen, überwiegendmit Ein- und Zweifamilienhäusern bebauten Siedlungsgebieten und der Plattenbau-Großsiedlung. Einerseits konzentriert sich hier unter allen Bezirken der größte Anteil vonVerkehrszellen – genau die Hälfte – im obersten Niveau der Arbeitslosigkeit (5. Quintil).Andererseits herrscht aber auch in einem Viertel der Verkehrszellen (über 5.000 EW) nureine sehr geringe Arbeitslosigkeit (1. Quintil), und das 2. und 3. Quintil sind überhauptnicht besetzt. In Marzahn-Hellersdorf ist die sozialräumliche Struktur am stärksten polari-siert.

– In Pankow sind zwar alle Quintile vertreten. Aber hier konzentriert sich die Hälfte allerVerkehrszellen auf das mittlere Niveau der Arbeitslosigkeit (3. Quintil), extreme Ausprä-gungen der Arbeitslosigkeit sind selten.

* * *

6. Kleinräumige Analyse

Kap6_2_03.doc69

Exkurs: Arbeitslosigkeit in Großsiedlungen und Siedlungsgebieten von Hellersdorf-Marzahn

Ein Vergleich der Arbeitslosigkeit nach den beiden Gebietstypen1 Großsiedlung und Siedlungsgebieterhärtet die getroffenen Aussagen (Tab- 6.3-E, Abb. 6-3-E). Das Niveau der Arbeitslosigkeit im TypGroßsiedlung ist überdurchschnittlich hoch (Berlin 12/2001 13,5; 12/2002 14,5), ohne jedoch denStand der Extrembezirke Friedrichshain-Kreuzberg (18,6) und Neukölln (17,2) zu erreichen.

Tab. 6.3-EMarzahn-Hellersdorf: Verkehrszellen (>5.000 EW) nach Siedlungstyp und Quintilen der

Arbeitslosigkeit

Anzahl der VKZ nach Quintilen des Niveaus der Arbeitslosigkeit 12/2001Siedlungstyp

1. Quintil 2. Quintil 3. Quintil 4. Quintil 5. QuintilGroßsiedlung 1 7 7 15Siedlungsgebiet 6 1 7Gesamt 6 2 7 7 22

Anzahl der VKZ nach Quintilen des Niveaus der Arbeitslosigkeit 12/2002

Großsiedlung 4 11 15Siedlungsgebiet 6 1 7Gesamt 6 5 11 22

Abb. 6.3-E

Marzahn-Hellersdorf: Niveau der Arbeitslosigkeit (%) nach Gebietstyp (Mittelwert)

16,4

8,7

19,1

9,3

0,0

5,0

10,0

15,0

20,0

25,0

Großsiedlungen Siedlungsgebiet

Dez 01 Dez 02

Die kaum halb so große Quote im Siedlungsgebiet ist identisch mit der von Steglitz-Zehlendorf –dieser Bezirk hat bekanntlich das niedrigste Niveau der Arbeitslosigkeit. Das Siedlungsgebiet weistaußerdem eine hohe sozialräumliche Homogenität auf. Nur eines von sieben Gebieten (Cecilienstraße)gehört nicht dem Quintil mit der niedrigsten Arbeitslosigkeit an. Mit umgekehrtem Vorzeichen giltdies auch für die Großsiedlung. Hier gehören alle 15 Verkehrszellen dem 4. und 5. Quintil an, sindalso Orte sehr hoher oder deutlich überschnittlicher Arbeitslosigkeit. Zudem hat sich in den Groß-siedlungen das Ausmaß der Arbeitslosigkeit binnen Jahrsfrist stark erhöht.

Zwischen Großsiedlung und Siedlungsgebiet bestehen nicht nur die bekannten altersstrukturellen,sondern auch erhebliche sozialstrukturelle Differenzen, wie die Arbeitslosenquote zeigt. Ein weiteres 1 Dazu wurden die betreffenden Statistischen Gebiete (Großsiedlung: 181, 182,184,185, 193-195; Siedlungs-

gebiet: 186-192) zusammengefasst. Es handelt sich also nicht um Durchschnittsangaben von Verkehrszel-len. Das Mischgebiet (180, 183) blieb unberücksichtigt.

6. Kleinräumige Analyse

Kap6_2_03.doc70

Indiz dafür ist die unterschiedliche Struktur der Arbeitslosen. Offenbar dominieren Arbeiter unter derErwerbsbevölkerung in den Großsiedlungen. Auch diese Besonderheit dürfte mit der Selektivität derWanderungsvorgänge (bevorzugte Abwanderung von Angestellten) zusammenhängen. Die Siedlungs-gebiete tendieren hingegen zu ausgeglicheneren Relationen zwischen Arbeitern und Angestellten.

Die gravierenden Strukturkontraste zwischen beiden Gebietstypen sind auch deshalb so bedeutsam,weil es sich nicht um eine Auswahl von bestimmten Quartieren mit extremen Eigenschaften handelt.Vielmehr weist der Großbezirk eine polare sozialräumliche Struktur auf. Marzahn-Hellersdorf ist inzwei räumlich relativ separate und in sich zusammenhängende Gebiete unterteilt, zwischen denen einerhebliches soziales Gefälle besteht. In den letzten Jahren hat sich dieser Strukturunterschied unterdem Einfluss der Migration vergrößert (vgl. Exkurs in Abschnitt 6.1.2). Diese Tendenz hat sich mög-licherweise abgeschwächt; sie wirkt indes nach wie vor im Sinne einer sozialräumlichen Polarisierungfort.

* * *

6.2.3 Klassifikation von Verkehrszellen

Um die Vielfalt der 232 Verkehrszellen mit über 5.000 Einwohnern in eine überschaubareSystematik zu bringen, wurde eine Clusteranalyse durchgeführt. Ihr lagen die folgenden fünf(z-standardisierten) Merkmale zugrunde: Anteil der Einwohner unter 25 Jahren 2002, Anteilder ab 60-Jährigen 2002, Veränderung der Einwohnerzahl von 1997 bis 2002, Niveau derArbeitslosigkeit 2002 und Anteil der ausländischen Einwohner 2002.

Tab. 6.2.3-110 Cluster 12/02, Clustermittelwerte

Clu-ster

AnzahlVerkehrs-

zellenEW<25J %

12/02EW ab 60 J %

12/02EW 12/02 Index

12/97=100A'lose % EW18<60J 12/01

Ausländer %12/02

Problemgebiete West; junge Bevölkerung, sehr hohe Anteile an Arbeitslosen und Aus-ländern1 23

29,2 15,2 97,2 20,2 34,0Gehobener Berlinstandard, verbreiteter Typus, überwiegend West, überalterte Bevölkerung,unterdurchschnittliche Arbeitslosigkeit (wesentlichster Unterschied zu Typ 3)2 96

21,2 28,5 98,6 10,8 10,4Berlinstandard, Ähnlicher Typus wie Cluster 2, Ost und West, moderater Bevölkerungsverlust,überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit3 51

24,5 26,3 95,3 16,4 9,4Wachstumsgebiete Ost, nahezu ausnahmslos Berlin-Ost, starkes Bevölkerungswachstum beiextrem niedriger Arbeitslosigkeit und sehr geringem ausländischen Bevölkerungsanteil7 23

26,3 21,2 115,0 10,9 3,7Innenstadtgebiete Ost, meist innenstadtnah; starke Überpräsenz mittlerer (25-59J) Altersgrup-pen und extrem niedrige Quoten der Älteren8 16

24,8 10,7 102,3 13,7 10,8Problemgebiete Ost (Neubauregion), extrem junge Bevölkerung, extremer Bevölkerungsverlust,hohe Arbeitslosigkeit, niedriger Anteil der ausländischen Bevölkerung10 15

34,4 13,3 82,4 19,0 3,4„Ausreißer“gebiete (gering besetzte Cluster) mit jeweils deutlichem Bevölkerungszuwächsen

Werderstr (Spandau): „normale“ Ausprägungen bei Bevölkerungswachstum4 127,6 24,7 134,6 17,1 16,1

Staaken 3 (Spandau), Heinersd und Karow (Weißensee), Buchholz 1 (Pankow): starkesWachstum, junge Bevölkerung mit niedrigen Anteilen an Arbeitslosen und Ausländern5 4

30,3 18,1 144,3 10,7 2,5Mariend.D. 4 (Tempelhof), Grünau (Köp.): überalterte Bevölkerung, Bevölkerungswachstum,niedrige Arbeitslosigkeit, wenig Ausländer6 2

19,4 34,1 119,5 9,8 3,2Buchholz 2 (Pankow): Bevölkerungsexplosion, junge Bevölkerung, niedriger Anteil an Ausländern9 1

32,4 16,7 189,2 15,2 2,4Insg. 232 24,5 23,6 100,1 13,7 11,2

6. Kleinräumige Analyse

Kap6_2_03.doc71

Als zweckmäßig erwies sich die Einteilung in 10 Cluster. Davon umfassen 6 Cluster minde-sten 15 Verkehrszellen. Diese Cluster können als spezifische sozialräumliche Typen derStadt betrachtet werden. Ihre charakteristischen Strukturmerkmale sind im Vergleich zumBerlinstandard in Abb. 6.2.3-1 veranschaulicht.

Abb. 6.2.3-1

Typen von Verkehrszellen 2002: Abweichung der standardisierten Cluster-Mittelwerte vom Berlinstandard (=0) 2002

-2,00

-1,50

-1,00

-0,50

0,00

0,50

1,00

1,50

2,00

2,50

3,00

Problemgeb.West

gehob. Berlin-Stand.

Berlin-Standard Wachstumsgeb.Ost

Innenstadtgeb.Ost

Problemgeb. Ost

EW<25J % EW ab 60 J % EW02 12/97=100 A'losigkeit% Ausländer %

Tab. 6.2.3-2

Verteilung der Cluster auf die (Alt-)Bezirke

Cluster(Alt-)Bezirk

Cl 1 Cl 2 Cl 3 Cl 4 Cl 5 Cl 6 Cl 7 Cl 8 Cl 9 Cl10Gesamt

1 Mitte 3 1 3 72 Tiergarten 3 3 63 Wedding 5 1 1 74 Prenzlauer Berg 1 2 7 105 Friedrichshain 2 4 66 Kreuzberg 7 77 Charlottenburg 9 1 108 Spandau 3 10 1 1 159 Wilmersdorf 12 1210 Zehlendorf 10 1011 Schöneberg 2 4 1 712 Steglitz 15 2 1713 Tempelhof 6 4 1 1114 Neukölln 6 3 6 1 1615 Treptow 3 1 3 716 Köpenick 4 3 1 2 1017 Lichtenberg 1 4 1 1 718 Weißensee 2 1 2 3 819 Pankow 2 2 1 5 1 1 1220 Reinickendorf 11 6 1721 Marzahn 1 4 1 5 1122 Hohenschönhausen 2 2 4 823 Hellersdorf 1 4 6 11

West 23 77 31 1 1 1 1 135Ost 19 20 3 1 22 16 1 15 97

Gesamt 23 96 51 1 4 2 23 16 1 15 232

6. Kleinräumige Analyse

Kap6_2_03.doc72

Die übrigen vier Cluster sind eher Ausreißer; sie repräsentieren Sonderfälle der Sozialstruk-tur und bestehen jeweils aus nur wenigen (1 – 4) Verkehrszellen (Tab. 6.2.3-1).

Interessante Einsichten über die sozialräumliche Struktur vermittelt die Verteilung der Ver-kehrszellen der verschiedenen Cluster auf die Berliner (Alt-)Bezirke (Tab. 6.2.3-2). Dabeiwerden die Ausreißertypen mit berücksichtigt. Pankow, dessen Verkehrszellen sich auf 6Cluster verteilen, erweist sich als der sozialräumlich differenzierteste Bezirk. Auch Spandau,Tempelhof, Neukölln, Treptow, Lichtenberg, Weißensee und Marzahn sind sozialräumlichsehr heterogen. Sie vereinen jeweils 4 verschiedene Klassen von Verkehrszellen auf ihremGebiet. Das Gegenteil gilt für Zehlendorf, Wilmersdorf und Kreuzberg.

Es zeigt sich also, dass eindimensionale Zuordnungen, z.B. „reiche“ bzw. „arme“ Bezirke, inmanchen Fällen durchaus zutreffende Charakteristika sein können. Im Falle der beiden Poleder sozialräumlichen Ungleichheit in Berlin – Zehlendorf und Kreuzberg – scheint dies auf-grund ihrer sozialräumlichen Homogenität gerechtfertigt zu sein1. Andere Bezirke lassen sicheher nicht mit einem derartigen Etikett zutreffend charakterisieren, da sie Raumtypen ganzunterschiedlichen sozialen Niveaus repräsentieren.

Karte 6.2.3-1

Die als „Problemgebiete“ charakterisierten Cluster sind klar nach West und Ost geteilt. DieseVerkehrszellen konzentrieren sich auf wenige (Alt-)Bezirke – in der Innenstadt West sowieNeukölln und Schöneberg einerseits und auf die Großsiedlungsgebiete im Osten BerlinsMarzahn, Hohenschönhausen und Hellersdorf. Diese Gebiete sind meist keine aktuellensozialen Brennpunkte – wohl aber ergibt sich eine perspektivische Bedrohung aufgrund ho-her Arbeitslosigkeit, sehr starken Wanderungsverlusten und sozialstrukturellen Veränderun-gen (Alterung und soziale Entmischung).

1 Diese Aussagen sind natürlich mit aller Vorsicht zu treffen, da den Clusteranalysen nur eine begrenzte und

willkürliche Auswahl von Indikatoren zugrunde gelegt wurde.

7. Resümee

Kap7_03.doc73

7. Resümee unter Beachtung des Sozialstrukturatlas und andereraktueller Sozialberichte

7.1 Kumulation von Benachteiligungen

In den vorangegangenen Abschnitten wurde u.a. analysiert, inwiefern sich die sozialen Bela-stungen der Bezirke Berlins in Bezug auf solche Aspekte wie Erwerbslosigkeit, Niedrigein-kommen, Sozialhilfe unterschieden. Jeder dieser Indikatoren wurde dabei separat behandelt.

Im Folgenden geht es darum, den Einfluss der drei genannten Belastungsfaktoren im Zu-sammenhang zu beobachten. Wie unterscheiden sich die Bezirke im Ausprägungsniveaudieser Merkmale

Aufgrund der bereits getroffenen Einschätzungen kann wohl erwartet werden, dass besonde-re Belastungen bzw. Privilegierungen im Hinblick auf einen Indikator, z.B. Erwerbslosigkeittendenziell mit besonderen Belastungen bzw. Privilegierungen auch bei den anderen beidenIndikatoren einhergehen. Damit würde eine Tendenz zur räumlichen Kumulation von sozia-len Benachteiligungen existieren.

Mit einer Clusteranalyse wird überprüft, welche Gruppen von Bezirken sich in Bezug auf dasAusprägungsprofil der drei Belastungsfaktoren Erwerbslosenquote, Bevölkerungsanteil mitEinkommen unter 700 € und Sozialhilfequote (Hilfe zum Lebensunterhalt) konstituieren las-sen. Die Bezirke ein und desselben Clusters weisen ein ähnliches Profil auf, die verschiede-nen Cluster unterscheiden sich diesbezüglich deutlich.

Abb. 7-1* * * * * * * * * * * * * H I E R A R C H I C A L C L U S T E R A N A L Y S I S * * * * * * * * * * * *

Dendrogram using Average Linkage (Between Groups)

Rescaled Distance Cluster Combine

C A S E 0 5 10 15 20 25

Label Num +---------+---------+---------+---------+---------+

Marzahn-Hellersdorf 10 __Lichtenberg 11 ____Tempelhof-Schöneberg 7 __ ___Pankow 3 ____ ___________Spandau 5 ______ _Charlottenburg- Wilm 4 ____ ___________________________________Treptow-Köpenick 9 __ _____ _ _Reinickendorf 12 ____ _________ _Steglitz-Zehlendorf 6 ________ _Friedrichshain- Kreu 2 ______ _Neukölln 8 __ _____________________________________________Mitte 1 ______

Das Dendrogramm (Abb. 7-1) veranschaulicht gewissermaßen das Ähnlichkeitsmaß der Be-zirke bezüglich der drei Belastungsvariablen. Je geringer der Abstand der vertikalen Verbin-dung zwischen zwei Bezirken (bzw. zwischen zwei Gruppen von Bezirken) zum Nullpunktder Distanzskala ist, desto größer ist die strukturelle Ähnlichkeit. Eine gedachte Vertikaleetwa am Distanzniveau von 3,5 unterteilt die Bezirke in vier Cluster. Cluster 4 besteht nuraus einem Bezirk1 - Steglitz-Zehlendorf2. Die meisten Bezirke sind im Cluster 2 vereint.

1 Die Nummerierung der Cluster wird durch das Rechner-Verfahren automatisch vorgenommen.2 Mit einer Verschiebung der Vertikalen nach links können Cluster mit größerer interner Ähnlichkeit erzeugt

werden. Dabei würden zunächst Mitte und Spandau als weitere solitär besetzte Cluster hervortreten.

7. Resümee

Kap7_03.doc74

Tab. 7-1

Cluster von Bezirken nach sozialer Belastung 2002

Clustermittelwerte

Cluster Bezirk Erwerbs-losen-quote

Nettoeink.< 700€

Sozialhil-fequote

Clu 1 Mitte, Friedrichsh.-Kreuzberg, Neukölln 24,6 32,4 13,1Clu 2 Pankow, Spandau, Tempelh.-Schö’bg, Marz.-Hell., Li’bg. 17,8 28,4 6,4Clu 3 Charlottenburg-Wilm., Treptow-Köp., Reinickendorf 15,0 23,8 5,3Clu 4 Steglitz-Zehlendorf 11,1 21,3 3,6

Berlin 18,3 27,7 7,6

Angesichts der bereits gewonnenen Befunde dürfte nicht überraschen, dass mit Steglitz-Zehlendorf einerseits und den drei City-Bezirken Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Neu-kölln andererseits zwei Cluster konstituiert wurden, die gewissermaßen die Pole im Spek-trum der sozialen Belastungen darstellen (Tab. 7-1, Abb. 7-1, Karte 7-1).

Steglitz-Zehlendorf zeichnet sich erwartungsgemäß durch das geringste Belastungsniveauaus. Das Gegenteil – extrem hohe soziale Belastungen – gilt für ein großes und relativ ge-schlossenes innerstädtisches Gebiet mit den Bezirken Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg undNeukölln. Diese Ausprägungsniveaus betreffen jeden der drei Indikatoren.

Damit steht auch fest, dass nicht die Tendenz des Ausgleichs, sondern die der Kumulationsozialer Belastungen wirkt. Hohe soziale Belastungen in einem der drei Merkmale gehentendenziell mit hohen Belastungsniveaus in den beiden anderen Faktoren einher und umge-kehrt.

Der größte Cluster 2 repräsentiert annähernd das mittlere Berliner Belastungsniveau.

Abb. 7-21

Cluster der sozialen Belastung 2002: Abweichungen der Clustermittelwerte vom Berlinwert

6,3

-0,5

-3,3

-7,2

4,7

0,7

-3,9

-6,4

5,5

-1,2-2,3

-4,0

-8,0

-6,0

-4,0

-2,0

0,0

2,0

4,0

6,0

8,0

Clu1 hohe soz. Bel. (Mi,FH-KB, Neukö)

Clu2 mittl. soz. Bel. (Pank,Sp, Te-Schö, Ma-He,

Libg)

Clu3 geringere soz. Bel.(Charl-Wil, Trep-Köp,

Rein)

Clu4 sehr geringe s.B.(Stegl.-Zehl)

Erwerbslosenquote02 Netto<700? Sozialhilfequote

* * *

1 Aus Gründen der graphischen Darstellung wurde die Sozialhilfequote hier als Prozentwert (je 100 EW) an-

gegeben und nicht – wie in den anderen Abschnitten – pro 1000 EW.

7. Resümee

Kap7_03.doc75

Exkurs: Vergleich von Belastungsindex und Sozialindex

Im jüngst erschienenen Sozialstrukturatlas bildet der Sozialindex die soziale Belastung der Bezirke ab(Senatsverwaltung für Gesundheit ... 2004). Er wurde mittels Faktoranalyse aus 25 Indikatoren1 kon-stituiert.

Tab. 7.1-E-1

Vergleich der Bezirke nach Belastungsindex und Sozialindex

Belastungsindex Sozialindex2

Bezirk Rang(aufstei-

gend)Rang

Mitte 3,4 10 -1,54 11Friedrichshain - Kreuzberg 4,9 12 -1,84 12Pankow -1,1 5 -0,14 9Charlottenburg - Wilmersdorf -2,2 4 0,62 3Spandau 0,6 9 0,09 7Steglitz - Zehlendorf -4,5 1 1,48 1Tempelhof - Schöneberg -0,1 8 0,05 8Neukölln 4,7 11 -0,90 10Treptow - Köpenick -2,9 2 1,20 2Marzahn - Hellersdorf -0,1 7 0,24 5Lichtenberg -0,4 6 0,15 6Reinickendorf -2,3 3 0,59 4

Abb 7.1-E-1

Vergleich der Bezirke 2002 nach Belastungsindex und Sozialindex (sortiert nach Belastungsindex)

-6

-4

-2

0

2

4

6

Frie

dr.-

Kre

uzb.

Neu

kölln

Mitt

e

Span

dau

Tem

pelh

.-Sc

hö.

Mar

z.-

Hel

lers

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Pank

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Cha

rl.-

Wilm

.

Rei

nick

end.

Tre

pt.-

Köp

.

Steg

l.-Z

ehl.

Belastungsindex Sozialindex

Wie unterscheiden sich die Befunde des Bezirksvergleichs auf der Basis dieser drei Belastungsmerk-male zum einen und des Sozialindex zum anderen?

1 Auf Bezirksebene wurden 25 soziale Merkmale der Bereiche Demografie und Haushaltsstruktur, Bildung, Erwerbsle-

ben, Einkommen und Gesundheitszustand einbezogen (Senatsverwaltung für Gesundheit ... 2004, 18 ff). Auch den Sta-tistischen Gebieten wurde ein Sozialindex zugeordnet, der allerdings auf einem reduzierten Datensatz basiert.

2 Senatsverwaltung für Gesundheit ... 2004, 29.

7. Resümee

Kap7_03.doc76

Um diese Frage zu beantworten, wurde ein „Belastungsindex“ konstruiert. Er wird gebildet als Summeder (Z-)standardisierten Merkmale Niedrigeinkommen, Erwerbslosen- und Sozialhilfequote.

Beide Indizes (vgl. Tab. E-7.1-1) korrelieren sehr straff miteinander (r=-0,95).

In der Rangfolge1 der Bezirke stimmen die Extreme (Friedrichshain-Kreuzberg und Steglitz-Zehlendorf) überein. Bei den jeweils nächstfolgenden besonders belasteten Bezirken sind die Positio-nen von Neukölln und Mitte vertauscht, auf der Gegenseite die Ränge von Reinickendorf und Char-lottenburg-Wilmersdorf (Tab. E-7.1-1, Abb. E-7.1-1). Die Inversionen im mittleren Bereich sind auf-grund der geringen Niveaudifferenzen unproblematisch.

Die Clusteranalyse der Bezirke nach dem Belastungsindex führt (bei 4 Clustern) zu den gleichenGruppierungen wie bei separater Einbeziehung der drei Belastungsindikatoren.

* * *

Karte 7-1

Die entscheidende sozialräumliche Grundsituation nach dem Raster der Großbezirke bestehtin der Polarität der sozial benachteiligten Zentrumsregion (Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg) unter Einschluss von Neukölln einerseits und der sozial privilegierten Südwest-region in Gestalt des Bezirks Steglitz-Zehlendorf andererseits.

Polarität als Zustand der sozialräumlichen Situation und Polarisierung als Tendenz ihrerEntwicklung beschränken sich im Bezirksvergleich (noch) vornehmlich auf den Westteil derStadt. Die ehemaligen Ostbezirke Mitte und Friedrichshain, die nunmehr aufgrund der Be-zirksstruktur zwar dem sozial besonders belasteten Gebiet zugehören, weisen ein geringeres

1 Da Belastungs- und Sozialindex gegenläufig „gepolt“ sind, wird die aufsteigende Rangfolge des Bela-

stungsindex mit der absteigenden Rangfolge des Sozialindex verglichen.

7. Resümee

Kap7_03.doc77

Belastungsniveau auf als ihre Fusionspartner1. Wie die kleinräumigen Analysen zeigten, be-steht in diesen Bezirken nach wie vor ein West-Ost-Gefälle der sozialen Belastungen.

7.2 Resümee

Sozialräumliche Ungleichheit kann als räumlich ungleiche Verteilung sozial ungleicher Grup-pen verstanden werden. Gegen Auswüchse sozialräumlicher Ungleichheit lässt sich somitnicht vorgehen, ohne etwas gegen deren Voraussetzung, also gegen Extreme sozialer Un-gleichheit und Tendenzen ihrer Vertiefung zu tun.

Zweifellos ist Armut ein inakzeptables Extrem sozialer Ungleichheit.

Und Berlin hat ein drängendes Armutsproblem. Nicht nur, weil in den großen Städten Armutin ganz besonderem Maße konzentriert ist. So übersteigt die Sozialhilfequote Berlins das fürdie großen Städte Deutschlands typische überdurchschnittliche Niveau noch erheblich2 (Abb.7-3).

Abb. 7-33

Vergleich Berlin, Städte>400.000 EW, BRD: Bevölkerungsanteil verschiedener Gruppen (%, 12/2001), Arbeitslosenquote IV/2002

13,2 14,7

5,4

12,213,1 13,0

7,7

19,5

15,3

8,9

3,3

11,2

0,0

5,0

10,0

15,0

20,0

25,0

unter 15 J Ausländer HLUE** Arbeitslosenquote

Städte > 500.000 EW* Berlin BRD

* Städtedurchschnitt (ohne Berlin)** HLUE Sozialhilfeempfänger (Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb von Einrichtungen)

Zwar erwies sich, dass die Anzahl der Sozialhilfeberechtigten in den letzten Jahren rückläu-fig war. Die Verbreitung der Einkommensarmut ist hingegen gewachsen (vgl. Abschnitt 5).

Die Hauptstadt hat nach wie vor vornehmlich drei soziale Hauptprobleme zu bewältigen(Ferchland 2001, 35):

1. Arbeitslosigkeit

2. Soziale Benachteiligung der jungen Generation

3. Integration der immigrierten Bevölkerung.

In den vorangegangenen Abschnitten unterstrichen viele Belege die Dringlichkeit dieser Auf-gaben. Insbesondere wurde deutlich, dass die mit diesen Problemen benannten Gruppen(Arbeitslose, Kinder und Jugendliche, ImmigrantInnen) jeweils ein sehr hohes Armutsrisikotragen.

1 Beispiel Einkommensarmut (Abschnitt 5). Auch der Sozialindex differiert erheblich zwischen den Fusionstei-

len Ost und West (Mitte: Wedding –2,104 / Tiergarten –1,271/ Mitte –0,028; Friedrichshain-Kreuzberg:Kreuzberg –2,312 / Friedrichshain –0,726) (Senatsverwaltung für Gesundheit ... 2004, 29).

2 Unter den für den Großstadtvergleich herangezogenen Großstädten mit über 400.000 EW (Bremen, Dort-mund, Dresden, Duisburg, Düsseldorf, Essen, Frankfurt a.M., Hamburg, Köln, Leipzig, München und Stutt-gart) gibt es nur in Bremen eine noch höhere Sozialhilfequote als in Berlin.

3 Quelle: Statistik regional 2002

7. Resümee

Kap7_03.doc78

Im Vergleich Berlin – Bund – Großstädte (mit über 400.000 EW) weist Berlin typische Struk-tureigenschaften von Metropolen in spezifischer Ausprägung auf (Abb. 7-3). Diese Spezifikerwächst nicht nur daraus, dass es sich um die Hauptstadt und die zugleich größte deutscheStadt handelt. Berlin liegt – wie auch Dresden und Leipzig – im Osten Deutschlands. Dieshat Konsequenzen: Die großstädtischen Merkmale, wie überdurchschnittlicher Anteil derausländischen Bevölkerung und überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit1, werden in Berlindurch charakteristische Merkmale Ostdeutschlands überformt. Im Großstadtvergleich erweistsich die Arbeitslosenquote als außerordentlich hoch. Sie wird nur durch Leipzig (20,0%)knapp übertroffen. Der Anteil der Ausländer liegt wiederum deutlich unter dem Standard derwestdeutschen Metropolen.

Das Problem Berlins, wie überhaupt der großen Städte, ist mit den hohen Quoten sozial be-nachteiligter Bevölkerungsgruppen unzureichend charakterisiert. Denn, wie gezeigt, kon-zentrieren sich die sozial Schwachen und damit die sozialen Belastungen in bestimmtenStadträumen, während andere städtische Gebiete eher den sozial Begünstigten und Privile-gierten vorbehalten sind.

Die sozialräumliche Struktur großer Städte in unserer Gesellschaft ist durch Segregation2

gekennzeichnet. Dabei handelt es sich um einen Zustand der disproportionalen Verteilungvon Bevölkerungsgruppen über die städtischen Teilgebiete (Friedrichs 1995, 79). Darüberhinausgehend wird oft auch der Prozess, der diese Disproportionalität erzeugt oder verstärkt,also die Tendenz zur sozialen Entmischung, als Segregation bezeichnet.

Die Segregation in den deutschen Städten ist relativ. Sozial homogene Viertel größerenAusmaßes oder gar ganze Stadtbezirke gibt es nicht. Noch nicht? Immerhin „wächst seiteinigen Jahren die Befürchtung, dass, ähnlich wie in den USA, Ghettos entstehen könnten,in denen eine ethnisch homogene, am Rande des Arbeitsmarktes stehende und von derStadtregierung aufgegebene Bevölkerung lebt“ (Ronneberger 2002, 16).

Im Unterschied zu den amerikanischen Städten konnte in den europäischen Städten des 20.Jahrhunderts die „extreme räumliche Fragmentierung nach Einkommen und sozialem Status... weitgehend vermieden werden“ (Häußermann/Kapphan 2000, 12). „Der zentrale Integra-tionsmechanismus der ‚modernen’ Stadt war die Integration über Systeme: Arbeitsmarkt,soziales Sicherungssystem, sozialer Wohnungsbau“ (ebenda 271). Mit der Erosion dieserSysteme waren Ende des vorigen Jahrhunderts soziale und sozialräumliche Veränderungenverbunden, die in ihren Einzelerscheinungen, Armut, Arbeitslosigkeit, Überalterung und Per-spektivlosigkeit nicht neu waren. Neu sind „deren Dimension, Intensität, Überlagerung undräumliche Konzentration.“ (Schubert 2002, 46). Diese Entwicklung führte zu der Frage: „Ver-sagt die ‚Integrationsmaschine’ Stadt?“ (Heitmeyer 1998, 443). Für eine optimistische Ant-wort gibt es bisher keine ausreichende Basis.

Ausbreitung und Konsolidierung der Massenarbeitslosigkeit führten zu einem höheren Aus-maß und zu einer neuen Qualität der Armut. „Sie war nun nicht mehr ein Problem von ‚ausder Bahn geworfenen’ Einzelnen oder marginalisierten Gruppen, sondern durch die engeVerbindung mit der Arbeitslosigkeit ins gesellschaftliche Zentrum zurückgekehrt“ (Kronauer1998, 23). Im Prozess sozialer Ausgrenzungen unterschiedlicher Dauer und unterschiedli-chen Grades bilden sich drei (vor allem städtische) Populationen: Arbeitslose, Arme undÜberflüssige. „Arbeit hat sich vom großen Integrator zu einer Quelle der Desintegration ver-wandelt“ (Bude 1998, 373). „Die zentrale Frontlinie verläuft nun nicht mehr zwischen Aus-beutern und Ausgebeuteten, sondern zwischen Integrierten und ‚Überflüssigen’ ... . Nichtmehr die Ausbeutung ist das Drama der städtischen Unterklasse, sondern die Nicht-Ausbeutung, also die Tatsache, dass es nicht mehr genug Lohnarbeit für alle Stadtbewohner

1 Gemessen am niedrigen Stand der Arbeitslosenquote in Westdeutschland weisen die westdeutschen Groß-

städte durchaus überdurchschnittliche Quoten auf, auch wenn das im Vergleich zur gesamtdeutschen Ratenicht deutlich wird.

2 Segregation ist im Vergleich zu „sozialräumliche Ungleichheit“ der allgemeinere Begriff. SozialräumlicheUngleichheit bezieht sich auf Gruppen, die sozial ungleich sind. „’Soziale Ungleichheit’ liegt dann vor, wennMenschen aufgrund ihrer Stellung in sozialen Beziehungsgefügen von den ‚wertvollen Gütern’ einer Gesell-schaft regelmäßig mehr als andere erhalten“ (Hradil 2001, 30).

7. Resümee

Kap7_03.doc79

gibt. Ein Großteil der Stadtbewohner ist ökonomisch entbehrlich geworden“ (Häußer-mann/Kapphan 2000, 248-249).

Diese Prozesse der sozialen Polarisierung gehen einher mit einer Vertiefung der Segregati-on bis hin zu Tendenzen der sozialräumlichen Polarisierung. Die Segregation ist in ihren so-zialen Wirkungen nicht eindeutig und ausschließlich negativ zu beurteilen. Ihre normalerwei-se vorhandene Ambivalenz – einerseits Stigmatisierung, Begrenzung von Kommunikationund sozialer Erfahrung, Kumulation von sozialer und räumlicher Benachteiligung; anderer-seits Selbstschutz, Gruppensolidarität, Bewahrung kultureller Eigenheiten, Möglichkeiten dersozialen Betreuung – schlägt jenseits „einer gewissen Großflächigkeit und ab einer gewissenSchärfe der Separierung“ (Häußermann 1998, 169) um in eine vornehmlich destruktive, des-integrierende, die soziale Benachteiligung und Exklusion vertiefende Einseitigkeit.

Unter den gegenwärtigen (gesamt-)gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (Massenar-beitslosigkeit, Privatisierung sozialer Risiken, Abbau sozialstaatlicher Einflüsse auf denWohnungsmarkt) geht auch der Berlin-Trend in Richtung Vertiefung der Segregation.

Die Tendenz zur sozialräumlichen Polarisierung der Stadt und der Zustand der bereits er-reichten Polarität lenkt die Aufmerksamkeit vor allem auf einen Schwerpunkt – die sozialbenachteiligte Zentrumsregion (Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg, nördliches Neukölln).

In diesem Stadtraum konzentrieren, überlagern und verstärken sich die genannten drei so-zialen Hauptprobleme Berlins (Arbeitslosigkeit, Benachteiligung der jungen Generation undinterkulturelle Integration) in einer besonders zugespitzten Weise.

Die Clusteranalyse (Tab. 7-1) wies für dieses Gebiet ein Maximum an Bevölkerung mit Nied-rigeinkommen, Arbeitslosen und Sozialhilfeabhängigen aus.

Zu den drei betreffenden Bezirken gehören ca. ein Viertel (26 Prozent) der Einwohnerschaft,aber ein Drittel der Arbeitslosen (33 Prozent), nahezu die Hälfte (47 Prozent) der ausländi-schen Bevölkerung und ein noch höherer Anteil (55 Prozent) der ausländischen ArbeitslosenBerlins.

Der Regionalvergleich Großstädte – Berlin – BRD erbrachte, dass die großstädtische Bevöl-kerung, so auch Berlin, ein Defizit an Kindern und Jugendlichen unter 15 Jahren aufweist(Abb. 7-3). In den drei sozial besonders belasteten Bezirken sind hingegen die Bevölke-rungsanteile dieser Altersgruppen – entsprechend dem Berliner Maßstab - überdurch-schnittlich stark vertreten. Hier wohnen 28,7 Prozent der unter 15-Jährigen und 30,5 Prozentder unter 6-Jährigen Einwohner Berlins.

Es gehört somit zu den fatalen Tatsachen der sozialräumlichen Struktur Berlins, einer relativkinderarmen Stadt, dass jene Bezirke, in denen die größten sozialen Probleme existieren,auch Wohnort überdurchschnittlich vieler Kinder und Jugendlicher sind. Die soziale Situationund Entwicklung der Gebiete mit hoher Konzentration der nichtdeutschen Bevölkerung ist einmaßgebliches Kriterium der gegenwärtigen und künftigen Kinder- und Jugendfreundlichkeitder Stadt.

Wie relevant ist die West-Ost-Dimension als Achse sozialräumlicher Differenzierung Berlins?Nach wie vor gibt es deutliche Strukturunterschiede in demografischer Hinsicht (vgl. Ab-schnitt 1). Insbesondere zeigt sich im Hinblick auf den Anteil der nichtdeutschen Bevölkerungkeine Tendenz der Verringerung des West-Ost-Gefälles.

Lässt sich die Aussage in der vorjährigen Analyse (Ferchland 2003, 77) noch aufrechterhal-ten, Ostberlin sei durch soziale Nivellierung und Dynamik der Bevölkerungsverteilung ge-kennzeichnet, während tiefe Sozialkontraste und relative Stabilität der Bevölkerungsvertei-lung wesentliche Charakteristika Westberlins seien?

Zur Beantwortung dieser Frage und überhaupt zur Vertiefung des Resümees sollen nebenden Befunden der vorigen Abschnitte auch Ergebnisse der Bevölkerungsprognose 2002-2020 (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ... 2004) und des jüngst erschienenen Sozial-strukturatlas (Senatsverwaltung für Gesundheit ... 2004) herangezogen werden.

7. Resümee

Kap7_03.doc80

Nach wie vor befinden sich die Bezirke mit dem stärksten Bevölkerungszuwachs (Pankow)bzw. -verlust (Marzahn-Hellersdorf) im Ostteil der Stadt (vgl. Abschnitte 1 und 2). Gleichzeitiglässt die Wanderungsanalyse – gemessen an den Salden – eine Tendenz der Entdynamisie-rung der Umverteilungsprozesse erkennen (Abschn. 2). Auch die jüngste Prognose der Be-völkerungsentwicklung geht von einer wesentlich schwächeren Veränderung der Bevölke-rungszahl aus, als noch 1998 angenommen (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 1999)wurde (Abb. 7-4). Allerdings werden die stärksten Veränderungen nach wie vor für Ostberli-ner Bezirke erwartet. D.h. im Osten Berlins verlaufen, trotz verringerter Intensität, dynami-schere Umverteilungsprozesse der Bevölkerung.

Abb. 7-41

Bevölkerungsentwicklungen der Prognosen 1998 für 2010 und 2002 für 2020 (Veränd. in % zu '98 bzw. '02)

5,2

7,7

7,6

1,0

-1,4

-3,5

-3,7

-3,5

-1,5

-4,0

-4,8

-7,2

-7,6

3,4

2,8

2,4

-0,2

-0,8

-0,9

-1,0

-1,2

-1,2

-1,4

-2,1

-3,0

-7,4

-10,0 -8,0 -6,0 -4,0 -2,0 0,0 2,0 4,0 6,0 8,0 10,0

Pankow

Treptow-Köpenick

Spandau

Steglitz-Zehlendorf

Berlin

Neukölln

Charlottenburg- Wilmersdorf

Tempelhof-Schöneberg

Reinickendorf

Mitte

Friedrichshain- Kreuzberg

Lichtenberg

Marzahn-Hellersdorf

Progn'98: 2010 Progn'02: 2020

Gerechnet wird mit einer vorherrschenden Tendenz des moderaten Bevölkerungsverlusts.Nur drei Bezirken wird ein Zuwachs prognostiziert, aber auch hier bleiben die Quoten erheb-lich sowohl hinter denen der letzten Prognose als auch hinter den größten realen Zuwächsenim letzten Jahrzehnt zurück2. Bei allen Bezirken wurden die prognostizierten Entwicklungenmit der neuen Berechnung erheblich reduziert – die Ausnahme bildet Marzahn-Hellersdorf.Zwar fallen auch hier die erwarteten Bevölkerungsverluste nicht höher aus als in der Progno-se von 1998. Aber da die 1998 für andere Bezirke (insbes. Lichtenberg, aber auch Fried-

1 Quelle: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ... 2004, 23; Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 1999.2 So hat sich die Einwohnerzahl auf dem Gebiet des jetzigen Bezirks Pankow von 1992 bis 2002 um 11 Pro-

zent erhöht (Treptow –Köpenick 8%).

7. Resümee

Kap7_03.doc81

richshain-Kreuzberg und Mitte) erwarteten Verluste mit den jüngsten Berechnungen erheb-lich abgeschwächt wurden, hat sich die relative Position von Marzahn-Hellersdorf im Be-zirksvergleich erheblich verschlechtert (Abb. 1) – vom „Letzten unter Gleichen“ zum alleini-gen Verlierer.

Prognostische Aussagen sind weder politische Ziele noch zuverlässige Voraussagen unver-meidbarer Entwicklungen. Die Prognostizierung prekärer Veränderungen ist jedoch immerauch Herausforderung an die Politik, möglichst für solche Bedingungen zu sorgen, die einengünstigeren Verlauf als vorhergesagt ermöglichen. Angesichts der extrem schlechten Per-spektiven von Marzahn-Hellersdorf und auch der nachteiligen Auswirkungen, die ein mögli-ches Umkippen der bezirklichen Situation auf die Hauptstadtregion insgesamt mit sich brin-gen würde, ist die Verantwortung auch der Landespolitik gefordert.

Die Analyse der jüngeren Entwicklung bietet auch Hinweise, dass die Zeit zuende geht, inder Ostberlin eine relativ nivellierte sozialräumliche Situation zugeschrieben werden konnte.So entwickelt sich Treptow-Köpenick zu einer Ostberliner Region, die eher den sozial privile-gierten Bezirken zugeordnet werden kann. Nur in Steglitz-Zehlendorf gibt es eine noch nied-rigere soziale Belastung (Tab. 7-1). Andererseits erhöhte sich das Niveau der Arbeitslosig-keit in den Bezirken Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg besonders drastisch (Abschnitt 3).

Noch deutlicher werden die Hinweise einer stärkeren sozialräumlichen Differenzierung inOstberlin, wenn kleinere Raumeinheiten – etwa Altbezirke – verglichen werden. So sind zwarnach wie vor die extremen Quoten der Einkommensarmut in den bekannten Schwer-punktgebieten Westberlins lokalisiert, die stärkste Zunahme der Einkommensarmut wurdejedoch in Marzahn (wie auch in Neukölln) registriert (vgl. die Auswertung der Einkom-mensarmut im Abschnitt 5). Die sozialräumliche Schere öffnet sich auch in Ostberlin mehrund mehr. Dies belegen auch die Befunde des jüngsten Sozialstrukturatlas (Senatsverwal-tung für Gesundheit ... 2004), der erstmals auch die Veränderung der Sozialstruktur in einemIndex, dem „Sozialindex(∆t)“, auswies. Dieser Sozialindex(∆t) belegt zum einen eine gene-relle Verschlechterung der sozialen Lage in Berlin. Zum anderen zeigt er einen Trend dersozialen Polarisierung auf, der verstärkten Benachteiligung der benachteiligten Gebiete, ei-ner wachsenden sozialen Distanz zwischen sozial privilegierten und deprivierten Regionen.„Regionen mit einer ‚schlechten’ Sozialstruktur haben auch mit der höchsten Verschlechte-rung zu ‚kämpfen’ und umgekehrt“ (ebenda 59).

Vor dem Hintergrund einer generellen Verschlechterung der sozialen Lage zwischen 1995und 2002 hat einerseits Köpenick nach Zehlendorf von allen Altbezirken den geringstenRückgang hinzunehmen. Andererseits wird nur für Wedding eine noch größere Verschlech-terung ausgewiesen als für Marzahn (ebenda, 60). In Ostberlin wächst folglich die sozial-räumliche Ungleichheit.

Das noch feinere Raster nach Verkehrszellen (über 1.000 EW) erlaubt unter Verwendungvon Ergebnissen des Sozialstrukturatlas, sowohl die sozialräumliche Ungleichheit innerhalbder Stadt als auch der (Alt-)Bezirke zu beurteilen. Ausgangspunkt ist die Verteilung der Ver-kehrszellen Berlins auf sieben gleichmächtige Schichten von Niveaustufen des Sozialindex(ebenda, 39). Die spezifische Verteilungsform der Verkehrszellen eines jeden Bezirks aufdiese Schichten lässt sich durch einen Verteilungsindex ausdrücken, der theoretisch die Ex-tremwerte 1 (alle Verkehrszellen gehören zur Schicht 1) und 7 (alle Verkehrszellen gehörenzur Schicht 7) annehmen kann (Tab. 7-2). Diese Schichtzuordnung korreliert natürlich sehreng mit dem Sozialindex der Altbezirke (r=-0,954).

7. Resümee

Kap7_03.doc82

Tab. 7-2

Verteilung der Bevölkerung der (Alt-)Bezirke auf 7Schichten von Verkehrszellen nach dem Niveau des

Sozialindex 20021

(1 - beste Schicht, ...7 - schlechteste Schicht; sortiert nachSozialindex)

Verteilungsindikator2

SchichtAltbezirk

Sozial-index2002 20023 Diff zu

19984 Min03

Max03

Kreuzberg -2,31 7,0 0,0 7 7Wedding -2,10 6,9 0,2 5 7Tiergarten -1,27 6,5 0,1 5 7Neukölln -0,89 5,5 -0,1 2 7Friedrichshain -0,73 6,0 0,2 3 7Prenzlauer Berg -0,60 5,5 -0,2 3 7Schöneberg -0,59 5,1 -0,4 2 7Hohenschönh. -0,05 4,0 1,0 1 7Mitte -0,03 4,4 0,1 3 6Spandau 0,02 4,8 0,0 1 7Marzahn 0,02 4,6 1,6 1 7Charlottenburg 0,26 4,8 -0,3 1 7Weißensee 0,31 3,0 0,1 1 5Lichtenberg 0,33 4,5 0,1 2 6Pankow 0,38 3,5 0,3 1 5Hellersdorf 0,38 3,5 0,6 1 6Reinickendorf 0,45 3,7 0,4 1 6Tempelhof 0,48 3,9 0,3 1 7Treptow 0,91 2,9 -0,1 1 5Wilmersdorf 1,00 3,3 0,0 2 5Steglitz 1,09 2,9 -0,2 1 5Köpenick 1,14 2,7 -0,3 1 6Zehlendorf 1,80 1,4 0,0 1 2

Berlin 0,00 4,4 0,1 1 7

Durch den Vergleich des Verteilungsindikators eines Bezirks mit dem Berlin-Wert (4,4) lässtsich einschätzen, ob die regionale sozialräumliche Struktur besser oder schlechter als dieberlintypische ist. Nach den Westberliner Altbezirken Kreuzberg, Wedding, Tiergarten undNeukölln fallen auch die (alten) Ostbezirke Friedrichshain und Prenzlauer Berg durch eineproblematische sozialräumliche Situation auf, während sich Köpenick und Treptow zwischendie Westberliner Bezirke mit besonders günstigen Verteilungsstrukturen mischen.

1 Quelle: Senatsverwaltung für Gesundheit, ... 2004, 39.2 Eigene Berechnung auf Grundlage der im Sozialstrukturatlas ausgewiesenen Verteilungsmuster der Ver-

kehrszellen der Altbezirke auf sieben Niveaustufen des Sozialindex (Senatsverwaltung für Gesundheit, ...2004, 39). Der Verteilungsindikator ist das gewogene arithmetische Mittel der prozentualen Anteile der Be-völkerung in den sieben nach Niveaustufen des Sozialindex gebildeten Schichten von Verkehrszellen (jedeSchicht umfasst ein Siebentel der Verkehrszellen Berlins über 1.000 EW) und den betreffenden Niveaustu-fen.

3 Berechnungsgrundlage: Senatsverwaltung für Gesundheit, ... 2004, 39.4 Berechnungsgrundlage: Meinlschmidt/Brenner 1999, 166.

7. Resümee

Kap7_03.doc83

Abb. 7-5

Verteilung der Bevölkerung der Altbezirke 2002 auf Verkehrszellen nach 7-stufigem Sozialindex-Niveau

(1 - ausschließlich Stufe 1 [beste Schicht], ... 7 ausschließlich Stufe 7 [schlechteste Schicht]; Verteilungsindikator, Min., Max.)

0

1

2

3

4

5

6

7

Zeh

lend

.

Köp

en.

Ste

glitz

Tre

ptow

Wei

ßen

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Pan

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Verteilungsindikator Min Max

Quelle: Sozialstrukturatlas Berlin 2003

Um eine bessere Vorstellung der sozialräumlichen Homogenität bzw. Heterogenität der Be-zirke zu ermöglichen, wurde ergänzend zum Verteilungsindikator die Spannweite der Vertei-lung in Gestalt der niedrigsten und der höchsten besetzten Schicht des jeweiligen Bezirksausgewiesen (Tab. 7-2, Abb. 7-5).

Allgemein weisen die Bezirke eine heterogene Verteilungsstruktur auf, d.h. die Bevölkerungverteilt sich auf Verkehrszellen von unterschiedlichem sozialem Niveau. Allerdings reicht nurbei einer Minderheit von Bezirken (mit mittlerem Verteilungsindex) das Spektrum der be-setzten Schichten über die gesamte Spannweite von 1 bis 7. Bei den gut situierten Bezirken(hoher Sozial-, niedriger Verteilungsindex) gibt es – mit Ausnahme von Köpenick – norma-lerweise keine Verkehrszellen mit hoher sozialer Belastung (Schicht 6 und 7). Umgekehrtfehlen in Bezirken mit hohem Verteilungsindex (Ausnahme Neukölln) in der Regel Verkehrs-zellen mit relativ privilegierter sozialer Situation (Schicht 1 und 2).

Die sozialräumliche Struktur der Bezirke mit Extremwerten des Verteilungsindikators istdurch annähernde oder gar totale sozialräumliche Homogenität (in Bezug auf das Niveaudes Sozialindexes) gekennzeichnet. In Zehlendorf konzentriert sich die Bevölkerung zu 59,5Prozent auf Wohngebiete des höchsten sozialen Niveaus (Schicht 1). Verkehrszellen derSchichten 3 bis 7 kommen in dieser Region nicht vor. In Kreuzberg hingegen gehören dieVerkehrszellen (über 1.000 EW) ausnahmslos der Schicht 7 an. Während es nach dem Kri-terium des Sozialindex in Zehlendorf faktisch keine Gebiete mit besonderem Förderungsbe-darf gibt, kann in Kreuzberg kein Gebiet von dringendem Förderungsbedarf ausgeschlossenwerden. Auch in Wedding (94,5%) und in Tiergarten (64,5%) ist die große Mehrheit der Be-völkerung auf Wohngebiete mit dem höchsten Niveau der sozialen Belastung (Schicht 7)konzentriert, Verkehrszellen mit durchschnittlichen (Schicht 4) oder besseren Bedingungenfehlen hier völlig.

Unter dem Gesichtspunkt der kleingliedrigen sozialräumlichen Struktur kann die These dersozialräumlichen Nivellierung Ostberlins nicht aufrecht erhalten werden. Jeder Altbezirkumfasst hier eine Spannweite von mindestens vier Niveaustufen.

Interessante Einsichten vermittelt auch der Vergleich der Verteilungsindizes von 2002 und1998 (Tab. 7-2). Dabei ist vor allem auffällig, dass sich in den drei ehemaligen Neubaubezir-

7. Resümee

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ken Marzahn, Hohenschönhausen und Hellersdorf die sozialräumliche Situation besondersdeutlich verschlechtert hat. Diese Entwicklung korrespondiert mit den Befunden zur Ent-wicklung des Niveaus der Arbeitslosigkeit (Abschnitt 6.2.2). Das Problem dieser Gebiete istalso nicht die gegenwärtige soziale Lage (die entspricht eher dem Berliner Standard – vgl.Sozialindex oder Belastungsindex), sondern die beschleunigte Tendenz der Ver-schlechterung der sozialen und sozialräumlichen Situation. Die Gefahr des weiteren sozialenAbdriftens ist real. Das Gebiet der peripheren Großsiedlungen am östlichen Stadtrand Ber-lins bedarf somit nicht nur der besonders genauen Beobachtung, sondern konkreter Inter-ventionen, die über die bereits laufenden Maßnahmen zur Aufwertung der Großsiedlungenhinausgehen. Angesichts der real vorhandenen sozialen Problemgebiete in der Innenstadtdürfte viel Überzeugungsarbeit nötig sein, die notwendige Aufmerksamkeit und Unterstüt-zung für effektive Schritte gegen die drohende Herausbildung einer künftigen großen Pro-blemregion am östlichen Stadtrand Berlins zu gewinnen. Nachdrücklich wird der Hand-lungsbedarf gegenüber den peripheren Großsiedlungen am östlichen Stadtrand durch diejüngste Bevölkerungsprognose unterstrichen, die ein ähnlich düsteres Bild zeichnet: „DerBevölkerungsverlust wird sich hier in verlangsamter Form fortsetzen, so dass am Ende desPrognosezeitraumes die Einwohnerzahl sich gegenüber 1991 um mehr als ein Drittel verrin-gert haben wird“ (Abgeordnetenhaus Berlin 2004, 8). Der Hauptansatzpunkt sollte darin be-stehen, die defizitäre Zuwanderungsquote günstiger zu gestalten und die Abwanderung jün-gerer Altersgruppen zu reduzieren. Abbau des nach wie vor bestehenden negativen Frem-dimages der „Plattenbaugebiete“, Betonung und Ausgestaltung der Kinder-, Jugend- undFamilienfreundlichkeit in diesen Wohngebieten können dafür wichtige Voraussetzungen sein.Sozialberichterstattung fungiert auch als Frühwarnsystem der gesellschaftlichen Entwick-lung. Dieser Funktion werden Bevölkerungsprognose, Sozialstrukturatlas und andere Doku-mente gerecht, wenn sie auf prekäre soziale Tendenzen aufmerksam machen, die zur Her-ausbildung zukünftiger sozialer Problemregionen führen können. Wenn allerdings das„Stadtentwicklungskonzept Berlin 2020“ ernsthaft dem Prinzip folgen sollte, „Konzentrationauf die innere Stadt“ einerseits, aber „laufen lassen“ der äußeren Stadt und damit hier „mini-male Intervention der öffentlichen Hand“1, dann zeugte dies nicht nur von Ignoranz gegen-über den Befunden der Sozialberichtsanalysen, sondern damit wäre der soziale Abstieg derGroßsiedlungsregion vorprogrammiert.

Die sozialräumliche Binnenanalyse von Bezirken nach Verkehrszellen zeigte, dass so-wohl die soziale Belastung wie auch günstige Konstellationen in einzelnen Teilräumen derBezirke noch wesentlich zugespitzter ausfallen, als die Bezirksdaten ausweisen.

Mit dem Programm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die soziale Stadt“ rea-giert die Politik auf die Herausbildung derartiger Stadtgebiete, die „soziale Brennpunkte“ zunennen, mittlerweile nicht mehr als politisch korrekt gilt2. Aber auch die harmloser klingendeBezeichnung „Gebiete mit besonderem Entwicklungsbedarf“ kennzeichnet sozial gefährdeteStadträume, die der ganz besonderen Förderung bedürfen.

Dabei finden die folgenden Positionen in Wissenschaft und Politik eine wachsende Zustim-mung:

− Es handelt sich vornehmlich um Probleme, die nicht lokal, sondern gesamtstädtisch bzw.gesamtgesellschaftlich erzeugt werden.

Integrierte Stadtpolitik ist somit als eine Strategie zu verstehen, „die die Stadtteile wieder indie Gesamtstadt integriert. Das Leitbild der ‚Sozialen Stadt’ muss sich auf die Stadt als Gan-zes beziehen. ... sozial kann die Stadt nur als ganze sein“ (Häußermann 2002, 58). Analy-sen wie der Sozialstrukturatlas signalisieren selbstverständlich Handlungsbedarf für die lo-

1 Stadtentwicklungssenator Strieder am 6.04.04 vor der Presse. Zitiert nach „Neues Deutschland“ und „Die

Tageszeitung“ vom 7.04.04.2 „Diese Bezeichnung wird nun vermieden, denn es geht nicht um punktuelle Konzentration von Problemen,

die zügig, quasi mit der Feuerwehr gelöscht werden könnten, sondern um strukturelle Prozesse, die nichtkurzfristig gestoppt oder umgekehrt werden können“ (Schubert 2002, 45). Die Bezeichnung „Brennpunkt“ignoriert m.E. keineswegs prägende Einflüsse von außen: Im Gegenteil, ein Brennpunkt konzentriert, be-leuchtet und verdeutlicht (Brennglas, Lupe, Brille, Hohlspiegel), er ist auch nicht zu löschen.

7. Resümee

Kap7_03.doc85

kale Politik (die ja in Berlin auch Landespolitik ist) auf der gesamtstädtischen und der regio-nalen Ebene. Nichtsdestoweniger sollte der Formulierung derartiger Aufgaben eine Diskus-sion über gesellschaftliche und lokale Ursachen der diagnostizierten Entwicklung vorange-stellt werden. In Zeiten anhaltender Massenarbeitslosigkeit und bei zunehmendem Sozialab-bau im gesellschaftlichen Maßstab kann die kommunale Politikebene sich weder für die da-mit verbundenen Folgen der Vertiefung sozialer Ungleichheit und wachsender sozialer Unge-rechtigkeit in Haft nehmen lassen. Noch sollte sie unbeabsichtigt eine Allmacht der Kommu-nalpolitik suggerieren, prekäre Zustände, die gesellschaftliche Ursachen haben, überwindenzu können. Ein Vorgehen nach dem Schema, hier ist der neue Sozialstrukturatlas, welcheFolgerungen ergeben sich daraus für Sozialplanung und Sozialpolitik in Berlin, könnte einemsolchen Missverständnis Vorschub leisten. Die Selbstbeschränkung der Ursachen- und Fol-gerungsdebatte auf die lokale Ebene ist auch insofern unzureichend, weil gesellschaftlicheVeränderungen, die notwendige Voraussetzungen für die gedeihliche Entwicklung der Städtebieten, nachdrücklich und öffentlich anzumahnen sind.

− Die notwendigen Maßnahmen zur Förderung der Entwicklung in sozialen Problemgebie-ten, wie z.B. Quartiersmanagement, lassen somit auch keine lokalen „Lösungen“ erwar-ten. Vielmehr geht es darum, eine Tendenz zur Verschärfung der Problemsituation zustoppen und diese möglichst zu entspannen. Stabilisierung der Situation, nach Möglich-keit aber Aufwertung und Verbesserung sind die gebietsbezogenen Ziele (Alisch 2002,59).

Reaktionen auf den jüngsten Sozialstrukturatlas, seine Befunde würden die Ohnmacht vonQuartiersmanagements bekunden, sind nicht haltbar. Zum einen kann nicht erwartet werden,dass die soziale Entwicklung in besonders belasteten Gebieten entgegen dem gesellschaftli-chen Trend einen positiven Verlauf nimmt. Zum anderen ist davon auszugehen, dass dieErgebnisse der Sozialraumanalyse noch dramatischer ausgefallen wären, wenn auf die viel-fältigen Maßnahmen zur Förderung von Gebieten mit besonderem Entwicklungsbedarf ver-zichtet worden wäre.

Alles in allem lieferte die kleinräumige Analyse mit Informationen zur Binnenstruktur der Be-zirke wichtige und unverzichtbare Ergänzungen zur bezirklichen Auswertung der Sozialda-ten. Die Bezirksanalyse bleibt jedoch nach wie vor das entscheidende Raster, um eine Über-sicht über die sozialräumliche Struktur der Gesamtstadt zu gewinnen. Allerdings – das belegtauch die Methodik des Sozialstrukturatlas 2003 – ist dazu die Gliederung nach Altbezirkenbesser geeignet als die Ordnung nach den neuen Großbezirken.

Offenkundig erfolgt die Neuauflage des Sozialstrukturatlas in zu großen zeitlichen Interval-len. Seine Eignung als Basisbericht im Rahmen einer integrierten Sozialberichterstattung inBerlin ist unbestritten, jedoch wäre eine regelmäßige, schnellere und zeitlich klar geordneteErscheinungsfolge notwendig. Damit ist jedoch eine seit langem erkannte, aber noch immerunerledigte Aufgabe des Berliner Senats angesprochen – klare Regelungen für eine „inte-grierte, systematische und handlungsrelevante Sozialberichterstattung“ zu treffen, die in denGrundzügen zwar schon 1999 (Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales, 1999) formu-liert wurden, aber nach wie vor der Konkretisierung (Gegenstand, Verantwortlichkeit, Abfol-ge, Termin, ...) harren. Trotz aller Fortschritte, die die Berliner Sozialberichterstattung in denletzten Jahren zweifelsohne zu verzeichnen hat – zu einem integrierten System wurde sienicht gestaltet. Angesichts der prekären Lage und Entwicklung der Stadt ist dies aber nötigerdenn je.

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1 In Fußnoten verwendete Abkürzung: StaLA Berlin.2 In Fußnoten verwendete Abkürzung: StJBB 2002.