Soziales Lernen und Gruppenentwicklung -...

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Institut fürberufliche Bildung

und Weiterbildung e.V.

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Soziales Lernen und GruppenentwicklungSoziales Lernen und Gruppenentwicklung

Ein Praxishandbuch zur Förderung von sozialenKompetenzen in Schule und UnterrichtEin Praxishandbuch zur Förderung von sozialenKompetenzen in Schule und Unterricht

Christina GroßmannChristina Großmann

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Christina Großmann

Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Ein Praxishandbuch zur Förderung von sozialenKompetenzen in Schule und Unterricht

Fort- und Weiterbildungsmodell„Unsere Schule ...“Soziale Schulqualität - Schulinterne Evaluation, Fort- und Weiterbildung

Die Entwicklung des Weiterbildungsmodells wurde gefördert vom Bundesministeriumfür Bildung und Forschung sowie den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Branden-burg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rhein-land-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

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Christina Großmann, Jahrgang 1954, Diplom-Sozialpädagogin,wohnhaft in Hamburg. 1982 - 1985 Mitarbeiterin im Forschungsprojekt„Sozialpädagogik an Haupt- und Realschulen“ der FachhochschuleHamburg. 1985 - 2000 Schulsozialarbeit in verschiedenen Schulformenin Hamburg. 1996 Veröffentlichung des Buches „Projekt: SozialesLernen - Ein Praxisbuch für den Schulalltag“. Seit 2000 Leiterin einesSenatsprojektes zum Phänomen der Kinderdelinquenz. Auszeichnungdes Projektes durch das Bundesministerium der Justiz 2002.

© Copyright

Institut für berufliche Bildung und Weiterbildung e.V., GöttingenAlle Rechte vorbehalten

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Satz und Gestaltung: Delta GmbH, Göttingen

Projektleitung: Ulrich Geisler, Anne Niederdrenk, Wolfgang Muhs

209-0210 - 1. Auflage 2002

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Inhaltsverzeichnis 3

Inhaltsverzeichnis Seite

Einleitung 7

1. Soziales Lernen 111.1 Begriffserklärung: Soziales Lernen 111.2 Definition: Verhalten 12

1.2.1 Die Wahrnehmung und Verarbeitung externer Reize 12

1.2.2 Verhalten und Entscheidung 131.2.3 Verhalten, Bedürfnis und Motiv 131.2.4 Verhalten und Verhaltensnormen 15

1.3 Definition: Sozial 161.4 Lernen 17

1.4.1 Erster Lerntyp 181.4.2 Zweiter Lerntyp 19

1.5 Die Vermittlung des Sozialverhaltens durch dieLehrkräfte 211.5.1 Die Bewertung des Sozialverhaltens der Schüler

durch die Lehrkräfte 241.5.2 Die Auswirkungen der Bewertung -

Die Bildung von Schutzgemeinschaften 261.6 Sozialverhalten lernen 301.7 Soziales Lernen 331.8 Grundsätzliche Hinweise für die Bearbeitung

aktueller Verhaltens-und Erlebnisweisen der Schüler 341.8.1 Erstes Beispiel (Anfangssituation):

Der Sitzplatz der Schüler in der neuen Klasse 341.8.2 Zweites Beispiel (Anfangssituation):

Die persönliche Vorstellung der Lehrkraft 391.8.3 Drittes Beispiel (Schulalltag):

Der Sitzplatz der Schüler 401.8.4 Viertes Beispiel (Schulalltag)

Das Gespräch im Unterricht 421.8.5 Fünftes Beispiel (Schulalltag):

Die Unterrichtspause 56

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4 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

2. Die Gruppenentwicklung 652.1 Die Phasen der Gruppenentwicklung 66

2.1.1 Die Gruppenentwicklungsphase„Voranschluss und Orientierung“ 67

2.1.2 Die Gruppenentwicklungsphase„Machtkampf und Kontrolle“ 71

2.1.3 Die Gruppenentwicklungsphase„Vertrautheit und Intimität“ 74

2.1.4 Die Gruppenentwicklungsphase„Differenzierung“ 75

2.1.5 Die Gruppenentwicklungsphase „Trennung“ 78

3. Konflikte in der Gruppe 833.1 Die Auswirkungen der Konfliktvermeidung 833.2 Der Umgang mit Konflikten 843.3 Die häufigsten Befürchtungen der Lehrkräfte

in Konfliktsituationen 903.4 Die Frage nach der Schuld an einem Konflikt 913.5 Die Konfliktlösung 92

3.5.1 Erstes Konfliktlösungsverfahren 953.5.2 Zweites Konfliktlösungsverfahren 99

3.6 Konflikte von besonderer Tragweite 102

4. Gruppendynamische Übungen 1054.1 Bausteine einer gruppendynamischen Übung 105

4.1.1 Erster Baustein:Das Vorgespräch mit der Gruppe 106

4.1.2 Zweiter Baustein: Besonderheiten währendder Durchführung einer Übung 111

4.1.3 Dritter Baustein:Das Abschlussgespräch mit der Gruppe

1204.2 Gruppenentwicklungsphasen und

gruppendynamische Übungen 1234.2.1 Tabelle: Gruppenphasen, Übungen und

Übungsziele 1264.2.2 Übungen in der Phase der Differenzierung 128

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Einleitung 5

4.2.2.1 Definition: Teamarbeit 1284.2.2.2 Legitimation von Teamarbeit 1284.2.2.3 Die Zusammensetzung der Teams 1294.2.2.4 Die Organisation der Teamarbeit -

Der Arbeitsplan 1294.2.2.5 Unterrichtsaufgaben für die Teamarbeit 1324.2.2.6 Die Dimension der Arbeitsschritte 1344.2.2.7 Eine Herausforderung für die Lehrkräfte -

Die Anfertigung von Teamaufgaben 1344.2.2.8 Die Bewertung der Teamarbeit 1364.2.2.9 Konflikte während der Teamarbeit 1374.2.2.10 Der Schülerfragebogen zur Teamarbeit 1394.2.2.11 Zusammenfassung der Kriterien für die

Teamarbeit 140

5. Die Zusammenarbeit mit den Eltern 141

6. Gruppenarbeit 143

Schlussbemerkungen 163

Lösungshinweise zu den Übungsaufgaben 165

Wiederholungsfragen 167

Literaturverzeichnis 169

Einsendeaufgaben 173

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6 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

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Einleitung 7

Einleitung

Christian besucht die 7. Klasse einer Haupt- und Realschule. Oderhandelt es sich um eine Gesamtschule? Ich weiß es nicht mehr so genau.Jedenfalls wird dem Kind der Vorwurf von Seiten seiner Lehrkräftegemacht, innerhalb seiner Klasse eine Bande gebildet zu haben unddiese Bande anzuführen. Der Bande sollen insgesamt fünf Kinder ausder Klasse angehören. Die Lehrkräfte berichten über diese Bande, dassvon ihr ein hohes Gewaltpotential ausgehe. Die Kinder dieser Bandewürden nicht davor zurück schrecken, andere Schüler zu schlagen, zutreten, zu demütigen und zu schikanieren. Alle anderen Schüler hättenAngst vor Christian und seiner Bande. Wenn Christian schlechte Launehabe, dann sei an Unterricht gar nicht mehr zu denken. Er würde durchdie Klasse laufen, andere Kinder provozieren, Tische und Stühle um-stoßen und sich auch sonst an keinerlei Regeln halten. Leider habeChristian oft schlechte Laune. Die Bandenmitglieder würden im Beiseinvon Christian das gleiche Verhalten zeigen wie Christian. Christianwürde auf diese Weise mit seiner Bande häufig den Unterricht somassiv stören, dass dieser dann abgebrochen werden müsse. In denHofpausen terrorisiere die Bande jeden Schüler, der ihr in die Querekäme. Wenn Christian einmal krank sei und deshalb nicht zur Schulekommen könne, dann atme die ganze Schule auf.

Es habe unzählige Gespräche mit Christian gegeben. Während dieserGespräche habe sich Christian überwiegend einsichtig gezeigt und seinVerhalten bereut. Doch in dem Moment, in dem Christian nach einemsolchen Gespräch den Klassenraum wieder betreten hätte, sei offen-sichtlich alles vergessen gewesen und er habe sein unerträglichesVerhalten wieder gezeigt. Alle Ermahnungen und Bestrafungen seienerfolglos geblieben, und auch der Schulpsychologe habe bei Christianzu keinerlei verändertem Verhalten beitragen können.

Selbstverständlich habe es auch viele Elterngespräche gegeben. Christi-an sei ja schon im fünften Schuljahr verhaltensauffällig gewesen. Erhabe damals nur selten seine Arbeitsmaterialien vollständig dabeigehabt und seine Hausaufgaben unzuverlässig angefertigt. Ständig seier in Streitereien mit seinen Mitschülern verwickelt gewesen. Anfangshabe sich Christian bei seinen Lehrkräften häufig darüber beschwert,dass die Mitschüler ihn nicht in den Hofpausen mitspielen ließen, ihn

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8 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

oftmals geärgert und geschubst hätten. Mehrfach sollen die MitschülerChristian auf dem Heimweg attackiert haben. Die Lehrkräfte räumenein, dass es schon stimmen könne, dass Christian damals nicht so nettvon seinen Mitschülern behandelt worden sei, aber Christian machte esden Mitschülern ja auch nicht leicht.

Den Eltern von Christian, es handelt sich dabei um eine allein erziehen-de Mutter, sei bereits vor einem Jahr empfohlen worden, Christiantesten zu lassen, weil ein Förderschulbesuch für Christian wohl bessergewesen wäre. Christians Schulleistungen waren schlecht. Bis heutehabe sich daran nichts verändert. Eigentlich sei Christian kein klassi-scher Förderschüler. Würde Christian zu einem veränderten Arbeits-und Sozialverhalten finden, dann könne er durchaus den Hauptschul-abschluss oder sogar einen besseren Schulabschluss erreichen.

Seitdem der Mutter die Empfehlung für eine Förderschulüberprüfungihres Sohnes gegeben worden sei, habe diese jeden Kontakt zur Schuleabgebrochen. Gespräche seien mit der Mutter überhaupt nicht mehrmöglich. Die Mutter sei völlig gegen die Schule eingestellt und würdewohl daraus auch keinen Hehl gegenüber Christian machen. Die Lehr-kräfte sind völlig ratlos und wissen nicht mehr weiter...

Es gibt in bundesdeutschen Schulen viele Schüler, die sich ähnlich wieChristian verhalten. Allesamt werden diese Schüler in der Regel alsverhaltensauffällig und in der Folge als nicht gruppenfähig wahrgenom-men. Diese Kinder sollen sich an keine Regeln halten können, die fürein friedliches Zusammenleben und -arbeiten in einer Schulgemein-schaft gelten, sondern um sich herum Angst und Chaos verbreiten.Zunehmend wird der Ruf nach Sozialem Lernen in den Schulen laut.Mit dem Wunsch nach Sozialem Lernen wird gleichzeitig die Erwartungausgedrückt, eine Entwicklung zu verhindern, wie sie im Beispiel vonChristian dargestellt wurde. Was aber ist Soziales Lernen? Was verbirgtsich hinter diesem Begriff? Im ersten Kapitel dieses Lehrbriefes solleine Klärung und eine inhaltliche Beschreibung des Begriffes „SozialesLernen“ erfolgen.

In Anlehnung an das Fallbeispiel „Christian“ und auf Grund meinerBerufserfahrungen bin ich zu der Einschätzung gelangt, dass die Schuleals staatliche Organisation generell immer noch voraussetzt, dass dieSchüler ein Sozialverhalten mitzubringen haben, das ihnen ein relativ

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Einleitung 9

reibungsloses Zusammenleben und -arbeiten in der Klassengemein-schaft und mit den Lehrkräften erlaubt. In der Praxis zeigt sich, dassman heute keinesfalls davon ausgehen kann, dass die Schüler über jenesozialen Fähigkeiten verfügen, die von der Schule erwartet bzw. vor-ausgesetzt werden. Man mag diesen Umstand beklagen und z. B. dieEltern der auffälligen Schüler zu Schuldigen erklären, weil sie sich nichtausreichend um die Erziehung ihrer Kinder gekümmert haben. Doch dasist keine Lösung! Meines Erachtens müssen die Schüler in der Schuleein Angebot erhalten, das ihnen die Möglichkeit eröffnet, ein angemes-senes Sozialverhalten einüben zu können.

Überlegen Sie bitte selbst einmal, welches Verhalten Sie von Schülernerwarten!

Wie sollen sich Schüler Ihrer Meinung nach im Unterricht verhalten,damit Sie mit dem Schülerverhalten zufrieden sein können?

Die Antworten, zu denen Sie gelangt sind, können als detaillierteLernziele in Bezug auf das Verhalten bzw. die sozialen FähigkeitenIhrer Schüler verstanden werden. Um diese detaillierten Lernzieleerreichen zu können, benötigen die Schüler Ihre Hilfestellung. Dennvon wem sollten die Schüler sonst lernen, sich in einer Klassengemein-schaft angemessen verhalten zu können? Es wird Ihre Aufgabe werdenkönnen, einen Lernprozess zu initiieren, der die Förderung der sozialenFähigkeiten der Schüler beinhaltet.

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10 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Die Förderung der sozialen Fähigkeiten der Schüler wird um so erfolg-reicher verlaufen, je wohler sich die Schüler in ihrem Klassenverbandfühlen. In diesem Sinne ist es von großer Wichtigkeit, bei den Schülerndie Einstellung zu erreichen, zur Klassengemeinschaft dazu gehören zuwollen. Es gilt deshalb, bei den Schülern eine positive Einstellung zuden einzelnen Mitschülern sowie zu den Lehrkräften zu schaffen. Diesepositive Einstellung bildet die Grundlage für die Entwicklung einesWir-Gefühls oder eines Zusammenhalts innerhalb einer Klasse, dennder Zusammenhalt einer Klasse ist nicht per se gegeben, wenn eineKlasse neu zusammengesetzt wird.

Der Zusammenhalt einer Klasse wächst z. B. mit der Dauer des Zu-sammenseins der Schüler. Der Zusammenhalt erhält seine Ausge-staltung in Bezug auf die Art und Weise des Sozialverhaltens über dieErfahrungen, die die Schüler im Umgang miteinander im Schulalltagsammeln können. Der Zusammenhalt einer Klasse entwickelt sichprozesshaft. Dieser Prozess wird mit dem Begriff Gruppenentwicklungbeschrieben.

Die Gruppenentwicklung innerhalb einer Klasse muss meines Erachtensdurch die Lehrkräfte unterstützt werden, wenn sie positiv verlaufen soll.Andernfalls ist oftmals eine Entwicklung wie im Beispiel von Christianzu erwarten.

In den Kapiteln 2 - 5 werde ich Sie in die Phasen der Gruppenentwick-lung einführen und Ihnen ein methodisches Rüstzeug vorstellen, das derUnterstützung der Gruppenentwicklung und der Förderung der sozialenFähigkeiten der Schüler dient. Das 6. Kapitel stellt ein Beispiel für eineGruppenarbeit vor.

Ich hoffe, dass sich die nachfolgenden Ausführungen für Sie kurzweiliggestalten und eine Hilfestellung für die Bewältigung Ihrer beruflichenAnforderungen darstellen können.

Ich habe des besseren Schreibflusses halber im Text die männlicheForm der Anrede gewählt. Selbstredend sind damit auch alle Schüle-rinnen, Lehrerinnen usw. gemeint. Ich bitte für diese Regelung um IhrVerständnis.

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1. Soziales Lernen 11

1. Soziales Lernen

1.1 Begriffserklärung: Soziales Lernen

Der Begriff Soziales Lernen ist ein gängiges Schlagwort für einenkomplexen Vorgang, der sich auf das Miteinander von Personen in-nerhalb einer Gemeinschaft bezieht. Der Begriff „Soziales Lernen“ wirdwahrscheinlich jedem Linguisten Kopfschmerzen bereiten, weil derBegriff in seinem Bedeutungszusammenhang unstimmig ist. Kann einMensch das Soziale - also Soziales - lernen? Oder ist das Lernen einesMenschen sozial?

Richtig ist, dass ein Mensch lernen kann. Das Wort „Soziales“ ist indiesem Sinne ein Hinweis auf das, was ein Mensch lernen soll. DerBegriff „Soziales Lernen“ verdiente eine Modifizierung hinsichtlichseiner sprachlichen Genauigkeit, z. B. Sozialverhalten lernen oderSozialverhalten lehren.

Um die Worte „Sozialverhalten lernen“ in dem Ausmaß ihrer Bedeutungbesser erfassen zu können, müssen die Begriffe „Verhalten“, „sozial“,„Sozialverhalten“ und „lernen“ geklärt werden. Ich werde für einigedieser Begriffserklärungen das Fallbeispiel Christian vorübergehendverlassen und zunächst eindeutige Beispiele wählen, um es Ihnen nichtzu schwer zu machen.

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12 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

1.2 Definition: Verhalten

Jeder Mensch ist fortwährend mit Reizen, Stimuli oder Signalen kon-frontiert, auf die er reagiert. Verhalten bedeutet in diesem Sinn dieReaktion auf interne oder auf externe Reize.

Menschliches Verhalten: Reaktion auf einen internen oderexternen Reiz.

Ein interner Reiz ist dem Menschen biologisch gegeben, er ist so-zusagen vorprogrammiert. Ein interner Reiz ist gegeben, wenn z. B.mein Magen knurrt. Der Reiz (das Knurren meines Magens) signalisiertmir, dass mein Magen leer ist und gefüllt werden möchte. Ich verspüreHunger und werde mich der Nahrungsaufnahme zuwenden. Währendder Nahrungsaufnahme erhöht sich der Speichelfluss. Der Speichelflussist ebenfalls ein interner Reiz.

Ein externer Reiz wird von außen - aus der Umwelt - an den Menschenheran getragen. Ein externer Reiz ist z. B. gegeben durch eine starkbefahrene Straße, die ich überqueren möchte. Die stark befahrene Straßestellt den externen Reiz dar.

1.2.1 Die Wahrnehmung und Verarbeitungexterner Reize

Der externe Reiz (stark befahrene Straße) wird von mir sinnlich erfasst(Auge, Ohr, Nase, Haut). Die Sinne signalisieren meinem Gehirnverschiedene Sachverhalte (Bilder, Geräusche, Gerüche, Empfindun-gen/Fühlen). Das Gehirn fügt die verschiedenen Sachverhalte zusam-men und erfasst die Situation, in der ich mich befinde. In Sekunden-schnelle bewertet das Gehirn die Situation (z. B. gefährlich, ungefähr-lich) und bedient sich dabei der Erfahrungen, die es in diesem Zu-sammenhang gespeichert hat. Jetzt verfüge ich über alle Informationenhinsichtlich der Situation und kann mich in der Folge hoffentlich soverhalten, dass ich beim Überqueren der Straße heil auf der anderenStraßenseite ankommen werde.

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1. Soziales Lernen 13

1.2.2 Verhalten und Entscheidung

Die Erfahrungen, die ich in ähnlichen Situationen beim Überqueren derStraße sammeln konnte und vorgegebene Normen (Regeln) beeinflussenden Vorgang des Verhaltens zusätzlich.

Ich weiß, dass ich eine Lichtmastanlage (Ampel) oder einen Zebra-streifen zum Überqueren der Straße nutzen soll (Verkehrsregeln). Ichbreche diese Norm wahrscheinlich, wenn die Lichtmastanlage ca. 500Meter von meinem Ausgangspunkt entfernt liegt, weil ich eventuell zufaul bin, den Weg dorthin auf mich zu nehmen. Ich werde wohl dieEntscheidung treffen, geradewegs die Straße zu überqueren. Ich ent-scheide mich bei mehreren mir vorrätigen Verhaltensmöglichkeiten fürein bestimmtes Verhalten. Die Entscheidung wird auf das Verhaltenfallen, das meinen Bedürfnissen am nächsten kommt.

1.2.3 Verhalten, Bedürfnis und Motiv

Mit jedem Verhalten wird mindestens ein bestimmtes Ziel verfolgt. Inunseren Beispielen betrifft es das Ziel der Sättigung und das Ziel derrelativ mühelos erreichbaren körperlichen Unversehrtheit. Beide Zielestellen gleichzeitig das Bedürfnis des Handelnden nach Sättigung undkörperlicher Unversehrtheit dar.

Das Ziel des Verhaltens ist demnach auf die Bedürfnisbefriedigungdesjenigen ausgerichtet, der das Verhalten ausübt. Das Motiv, daseigene Bedürfnis befriedigen zu wollen, ist der Beweggrund für dasVerhalten. Ich habe unter 2.1 geschrieben, dass ich die Straße überque-ren möchte. Es fehlt der Hinweis, warum ich dies möchte. Wenn das„Warum?“ geklärt wird, ist das Motiv des Verhaltens des Handelndenerkennbar. (Ich möchte die Straße überqueren, weil ich auf der anderenStraßenseite meine beste Freundin erblickt habe. Das Motiv meinerHandlung ist das Bedürfnis nach einem sozialen Kontakt mit ihr.)

Vom Reiz zur Reaktion:

Reiz – Wahrnehmung des Reizes – Verarbeitung des Reizes(Klärung des Motivs, Entscheidung in Bezug auf eine) – Reaktionbzw. zielgerichtetes Verhalten/Handeln

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14 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Bitte denken Sie jetzt an das Fallbeispiel „Christian“:Anfangs soll sich Christian bei den Lehrkräften häufig darüber be-schwert haben, dass die Mitschüler ihn nicht in den Hofpausen mit-spielen ließen, ihn oftmals geärgert und geschubst hätten. Auch auf demHeimweg sei Christian von Mitschülern attackiert worden.

Warum hat sich Christian bei den Lehrkräften über seine Mitschüler beschwert?Was könnte sein Motiv gewesen sein?

Wie gingen die Lehrkräfte wohl mit Christians Beschwerden um, undwelches Motiv unterstellen Sie dabei den Lehrkräften?(Benennen Sie den Textausschnitt aus dem Fallbeispiel, der als Hinweisauf die vermuteten Reaktionsweisen der Lehrkräfte auf ChristiansBeschwerden dienen kann.)

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1. Soziales Lernen 15

1.2.4 Verhalten und Verhaltensnormen

Je vielfältiger die Verhaltensmöglichkeiten eines Menschen sind, um soschwieriger kann ihm die Entscheidung für eine Reaktion bzw. für einbestimmtes Verhalten fallen. Das Wort „Verhalten“ beinhaltet das Wort„halt“. Die Bedeutungen von „halt“ können z. B. sein: Stopp!, anhalten,innehalten (und überlegen, wie es weitergehen soll.) oder (Rück-)Haltfinden bzw. (Rück-)Halt geben, sich festhalten können oder eine Hal-tung einnehmen und präsentieren können.

Normen können sich als hilfreich erweisen, weil man sich an ihnenorientieren kann, wenn man eine Entscheidung in Bezug auf eineReaktion zu treffen hat. Die Orientierung an Normen kann dem Men-schen deshalb eine Verhaltenssicherheit ermöglichen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass es bei menschlichem Verhalten zu Nor-menverletzungen kommen kann, ist relativ hoch, wie das Beispiel mitder Lichtmastanlage zeigt. Die Verkehrsregel oder -norm aus demBeispiel kann aber nur dann verletzt werden, wenn sie bekannt ist.Stellen Sie sich bitte einen Menschen vor, der in einer Umgebungaufgewachsen ist, in der es keine solchen Lichtmastanlagen gibt. Waswird Ihnen wohl dieser Mensch antworten, wenn Sie ihn nach der Normbefragen, die an eine Lichtmastanlage geknüpft ist?

In welchen sozialen Situationen verhält Christian sich so, wie es seineLehrkräfte von ihm erwarten?

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16 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

1 Duden, Das Fremdwörterbuch, Band 5, 6. Auflage.

Kennt Christian die Normen, die er einhalten soll? Was vermuten Sie?

1.3 Definition: Sozial

Definition: „sozial (lat.-fr.): 1. die menschliche Gesellschaft, Gemein-schaft betreffend; gesellschaftlich;“1

Der Begriff „Gesellschaft“ stammt aus der Politikwissenschaft und derBegriff „Gemeinschaft“ aus der Sozialwissenschaft.

Definition: Sozialverhalten

Der Begriff „Sozialverhalten“ bezeichnet das Verhalten von Menscheninnerhalb einer Gemeinschaft oder Gruppe. Eine solche Gemeinschaftoder Gruppe stellt z. B. eine Schulklasse dar. Innerhalb dieser Gruppezeigt jedes Mitglied sein Sozialverhalten.

Sozialverhalten bedeutet in diesem Sinn jede Reaktion auf einesoziale Reizung.

Wird der Blick auf das Sozialverhalten einer Schulklasse (alle Schülerund die sie unterrichtenden Lehrkräfte) begrenzt, so wirkt das Verhaltenaller Mitglieder während des persönlichen Umgangs miteinander alssoziale Reizung auf jedes Mitglied dieser Gruppe. Diese sozialen

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1. Soziales Lernen 17

1 Fachlexikon der sozialen Arbeit, hrsg. vom Deutschen Verein für öffentlicheund private Fürsorge, Frankfurt am Main 1997.

2 Fachlexikon der sozialen Arbeit, ebenda.

Reizungen werden mit Reaktionen durch die Gruppenmitglieder beant-wortet. Die Reaktionen stellen wiederum soziale Reizungen dar, die einVerhalten nach sich ziehen („das Verhalten der einen Person ist Reiz fürdie Reaktion der anderen, diese Reaktion ist wieder Reiz für die nächsteReaktion der ersten Person usw.“1).

Den Vorgang des aufeinander bezogenen und sich wechselseitig beein-flussenden Verhaltens von zwei oder mehr Personen nennt man Inter-aktion.

1.4 Lernen

„Lernen ist der Vorgang und das Instrument einer neuen, sich struktu-rierenden und ausdifferenzierenden Persönlichkeit, sich für die Bewälti-gung von Leben und Lebenssituationen zu qualifizieren (...). Der-gestaltetes Lernen benötigt Kenntnisse und Fertigkeiten, um die eigeneLebenssituation kompetent bewältigen zu können.“2

Diese Definition kann als erweitertes Verständnis des Begriffes „Ler-nen“ angesehen werden. Lernen wird hier als ein komplexer Vorgangverstanden, der an umfassende Lernvorgänge geknüpft ist und nicht alseine „einfache“ Reiz-Reaktions-Kette gesehen. Seit Anfang des 20.Jahrhunderts entwickelten sich verschiedene Forschungsrichtungen, diesich mit der Psychologie des Lernens auseinander setzten. Es wurdenunterschiedliche Lerntheorien aufgestellt, dessen wichtigste VertreterJohn B. Watson, B. F. Skinner und A. Bandura sind. Insbesondere dieArbeiten von John B. Watson (Reiz-Reaktions-Theorie) begründetenden Behaviorismus (behavior; engl.: Verhalten, Betragen, Benehmen).

Letztlich wird bei allen lerntheoretischen Ansätzen v. a. die Frageuntersucht, wie neue Verhaltensweisen, erweiterte Kenntnisse undveränderte Erwartungen auf Grund von Erfahrungen erworben werdenkönnen.

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18 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Ausgehend von der Tatsache, dass es in der Lerntheorie im wesentli-chen zwei Lerntypen gibt (1. der bedingte oder natürliche Reflex (inter-ner Reiz) und 2. das Lernen am Erfolg (externer Reiz) wurden ver-schiedene Methoden entwickelt, die geeignet sind, das Verhalten derLerntypen zu verändern bzw. zu modifizieren. Die Voraussetzung füreine Verhaltensmodifikation ist m. E. die Unfähigkeit oder erheblicheSchwierigkeit einer Persönlichkeit zur kompetenten Bewältigung vonLeben oder Lebenssituationen und ein damit empfundenes Leid.

1.4.1 Erster Lerntyp

Eine Verhaltensänderung des ersten Lerntyps (bedingter oder natürli-cher Reflex/interner Reiz) wird mit der Methode der „klassischenKonditionierung“ versucht. Der Fachbegriff „Klassische Konditionie-rung“ bedeutet, dass mittels einer seit langem verwendeten und altbe-währten Methode bestimmte Reaktionen hervorgerufen werden können.

Was meint bedingter oder natürlicher Reflex? Ein bedingter odernatürlicher Reflex ist biologisch gegeben (z. B. Speichelfluss beiNahrungsaufnahme; Lidschlussreflex des Auges bei einem Luftstoßgegen das Auge oder drohender Berührung des Auges; Beschleunigungder Pulsfrequenz und erhöhte Schweißabsonderung bei einem empfun-denen Schmerz). Ohne näher auf die Methode der klassischen Konditio-nierung einzugehen, möchte ich trotzdem ein Beispiel nennen.

Ein Kind, das von einem Hund gebissen wird, wird den damit verbunde-nen Schmerz vorerst nicht vergessen und bei dem Anblick eines anderenHundes unwillkürlich mit einer Beschleunigung der Pulsfrequenz undeiner erhöhten Schweißabsonderung reagieren. Das Kind hat Angst vorerneuten Schmerzen. Der bedingte oder natürliche Reflex kann nunimmer dann ausgelöst werden, wenn das Kind Hunde sieht. Mithilfe derklassischen Konditionierung kann diese Verallgemeinerung oderGeneralisierung (Angst vor allen Hunden) verlernt werden.

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1. Soziales Lernen 19

1.4.2 Zweiter Lerntyp

Bei dem zweiten Lerntyp (Lernen am Erfolg/externer Reiz) wird die„instrumentelle oder operante Konditionierung“ zur Verhaltensänderungeingesetzt.

Die Methode der instrumentellen oder operanten Konditionierung wirddeshalb instrumentell oder operant genannt, weil mit ihr Verhaltens-weisen erlernt werden können, die zum Erfolg führen. Dabei werdendiese Verhaltensweisen als Instrumente bezeichnet. Die Instrumentewerden zum Erfolg eingesetzt.

1. Lernen am Erfolg

Was meint Lernen am Erfolg?

Eine Person, die eine Problemsituation zu bewältigen hat, wird versu-chen, diese zu lösen. Der Versuch der Problemlösung wird entwederzum Ziel führen oder nicht.

Eine Handlung, die zum Ziel führt, stellt für den Handelnden einenErfolg dar. Eine Handlung, die nicht zum Ziel führt, stellt sich für denHandelnden als Irrtum heraus. Lernen am Erfolg basiert auf dem Prin-zip: Versuch und Irrtum.

Je häufiger eine Handlung zum Erfolg führt, um so wahrscheinlicher istes, dass sie (auch in ähnlichen Situationen) immer wieder angewendetwird.

Aus meiner Erfahrung stellt sich für Kinder ein Problem nicht per se alsAnreiz dar, um durch die Lösung des Problems einen Erfolg erzielen zukönnen. Kinder erleben einen Erfolg in Bezug auf ihr Handeln eherdann, wenn sie möglichst schnell eine Belohnung (positive Konsequenz)für ihr Handeln erhalten oder wenn sie durch ihr Handeln eine Be-strafung oder einen Misserfolg (negative Konsequenz) vermeidenkönnen. Es ist von wesentlicher Bedeutung, welche Konsequenzen andas Handeln oder Verhalten geknüpft sind und in welcher zeitlichenNähe diese Konsequenzen erfolgen. Festzuhalten bleibt, dass negativeKonsequenzen erhebliche Nebeneffekte haben und deshalb soweit wiemöglich vermieden werden sollten (z. B.: Wenn ein Kind für seinVerhalten bestraft wird, lernt es, dass es Vorschriften gibt, die ihm

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20 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Grenzen setzen und dass es selber bestraft wird, falls es diese Grenzenüberschreitet. Es lernt jedoch kein neues Verhalten.) Positive Konse-quenzen verstärken die Wahrscheinlichkeit, dass das gezeigte Verhaltenhäufiger angewendet wird.

2. Lernen am Modell

Eine dritte Methode aus der Lerntheorie ist ebenfalls für unser Themabedeutsam. Es handelt sich dabei um das „Lernen am Modell“. DieseMethode ist dem Lernen am Erfolg zuzuordnen.

Es ist eine gesicherte Erkenntnis, dass insbesondere das Erlernen vonSozialverhalten durch das Beobachten anderer Menschen erfolgt. EinKind beobachtet z. B. seine Eltern, seine gleichaltrigen Freunde, seineMitschüler, seine Lehrkräfte usf. bei ihrem Handeln bzw. ihrem Verhal-ten in unterschiedlichen Situationen. Das Kind orientiert sich dabei andem Erfolg des Modells, also desjenigen, den es beobachtet. Erfährt dasModell für sein Verhalten positive Konsequenzen, so wird das Kindversuchen, es dem Modell gleichzutun. Das Kind lernt neues Verhalten.Hierfür benötigt es die Gelegenheit, dieses neue (beobachtete) Verhal-ten auszuprobieren, um deren Konsequenzen selbst erfahren zu können(Lernen am Erfolg).

Hilfreich bei diesem Lernprozess ist es also, dass das Kind erkennenkann, dass das Modell für sein Verhalten positive Konsequenzenerfährt. Auf Grund dessen kann beim Kind die Erwartung entstehen,selbst eine Belohnung zu erhalten, wenn es das (beobachtete) Verhaltenzeigt. Kinder bevorzugen Modelle, die aus ihrer Sicht ein hohes Anse-hen genießen.

Festzuhalten bleibt, dass Kinder (und auch Erwachsene) das Sozial-verhalten lernen. Für das Erlernen des Sozialverhaltens in der Schulebenötigen die Kinder Lehrkräfte, die ihnen das Sozialverhalten ver-mitteln.

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1. Soziales Lernen 21

1.5 Die Vermittlung des Sozialverhaltens durchdie Lehrkräfte

Ich beginne diesen Abschnitt mit sieben Aufgaben, die Sie lösen sollen.Ich bitte Sie, diese Aufgaben ganz ehrlich - aus dem Bauch heraus - zubeantworten. Benutzen Sie dabei ruhig auch Worte, die Sie nicht imGespräch mit anderen Personen verwenden würden. Machen Sie sichLuft, wenn Ihnen danach ist! Nehmen Sie sich für die erste Aufgabeetwa 10 Minuten Zeit. Für die zweite bis siebte Aufgabe gilt: DenkenSie bitte nicht lange über die Aufgabenstellungen nach, sondern beant-worten Sie die Fragen so schnell wie möglich.

Konzentrieren Sie sich bitte auf ein Kind, das Sie für stark verhaltens-auffällig halten. Denken Sie bitte jetzt an eine belastende Situation, dieSie mit diesem Kind erlebt haben.

Welche Gefühle kommen in Ihnen hoch, wenn Sie an diese Situationdenken?

Was würden Sie diesem Kind am liebsten sagen?

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22 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Was würden Sie mit diesem Kind am liebsten tun?

Macht Sie an diesem Kind etwas richtig wütend? Wenn ja, was ist das,was sie wütend macht?

Wie reagieren sie meistens auf das Kind, wenn Sie wütend sind?

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1. Soziales Lernen 23

Bitte beschreiben Sie das Verhalten dieses Kindes.

Ich kann die Antworten, die Sie möglicherweise auf diese Fragen geben,nachvollziehen. Ich habe gut zwanzig Jahre in der Schule gearbeitet undmich selbst in den unterschiedlichsten Situationen kennen gelernt. Ichkenne auch die „gefährlichen“ Gefühle wie Wut, Rachegelüste, Scham,Hilflosigkeit, Trotz, Macht, Mitleid, Versagensangst, usf. Es sindmenschliche Gefühle, die jeder von uns in sich trägt. Ich habe gelernt,sehr achtsam mit diesen Gefühlen umzugehen, denn sie helfen mir nurbedingt. Es gelingt mir ganz gut, diese Gefühle zu beherrschen, weil iches mir erlaube, sie zu haben, und sie nicht verleugne. Ich verbiete mirallerdings das tatsächliche Ausleben dieser Gefühle gegenüber denKindern (und anderen Personen). Sobald ich spüre, dass die „gefähr-lichen“ Gefühle in mir auftauchen, stellen sie für mich einen Reiz dar,der seit geraumer Zeit eine andere oder neue Reaktion auf die Kinderbei mir auslöst, als es zuvor der Fall war.

Diese Aussage bedarf einer Erklärung:Früher erwartete ich von einem verhaltensauffälligen Kind, das es sichwie die meisten anderen Kinder verhalten sollte, weil das eine verhal-tensauffällige Kind mich in meinem Tun behinderte oder massiv störteund mich aus der Fassung bringen konnte.

Das Verhalten des einen Kindes erhielt deshalb durch mich eine negati-ve Bewertung („verhaltensauffällig“). In der Regel habe ich mich danndurch den Einsatz von überwiegend negativen Konsequenzen (zu lobengab es viel zu wenig) darum bemüht, das Verhalten des Kindes zuändern. Das klappte leider viel zu selten. Ich konnte erkennen, dassmeine Reaktionen auf das Verhalten des Kindes nicht erfolgreich waren.In dem Buch von Ulrike Petermann, Training mit sozial unsicheren

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24 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

1 Ulrike Petermann, Training mit sozial unsicheren Kindern, München-Wein-heim 1986, Seite 4, In: Krohne, H. W. (Hg.): Fortschritte der PädagogischenPsychologie, München, Reinhardt, 1975.

2 Ulrike Petermann, ebenda, Seite 8.

Kindern, las ich, dass „die Bewertung und die entsprechenden Re-aktionen bezüglich eigenen Verhaltens“ Angst bei den betroffenenKindern auslösen können. „Leistungsthematische Situationen, wiePrüfungen, Klassenarbeiten, aber auch Lehrerfragen im Unterricht unddamit verbunden die soziale Hervorhebung vor den Mitschülern, gering-schätzende Äußerungen des Lehrers sowie bewertende Gespräche mitAutoritätspersonen, können als Leistungsdruck bis hin zu Dauerstressempfunden werden und damit angstauslösend wirken (...). Schulangst(geht) in soziale Angst über, wodurch das Sozialverhalten der betroffe-nen Person allgemein, ihr Selbstwertgefühl und ihre Position in derGruppe (Klasse) verändert werden.“1

Ulrike Petermann begreift die soziale Angst eines Kindes als seinVerhaltensmotiv. „Das zum Motiv dazugehörige Verhalten kann ganzgegensätzlicher Art sein, zum Beispiel aggressives versus sozial unsi-cheres Verhalten. Die gegensätzlichen Verhaltensweisen implizierennicht notwendigerweise unterschiedliche Motive, sondern sie stellenverschiedene Verarbeitungsformen desselben Motivs in Abhängigkeitvon spezifischen Sozialisationsbedingungen dar.“2

Das am häufigsten vorhandene Motiv „verhaltensauffälliger“Schüler ist die soziale Angst.

1.5.1 Die Bewertung des Sozialverhaltens der Schülerdurch die Lehrkräfte

Ich habe im Verlauf meiner Praxis gelernt, dass es von erheblicherBedeutung für die (schulische) Entwicklung eines Kindes ist, wie ichdas Verhalten des „auffälligen“ Kindes einordne und bewerte und wieich in der Folge auf das Verhalten des Kindes reagiere.

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1. Soziales Lernen 25

Betrachte ich heute ein „verhaltensauffälliges“ Kind, so leite ich vonmeinen Beobachtungen zunächst nur ab, dass das Verhalten des einenKindes anders ist, als das der meisten Mitschüler. Ich verzichte auf einepersönliche Bewertung des Verhaltens und eröffne mir selbst dadurchden Weg, nach dem Motiv des Kindes für sein Verhalten zu fragen.Wenn ich nach dem Verhaltensmotiv frage, beginne ich, das Kind inseiner Ganzheitlichkeit wahrzunehmen, und konzentriere mich nichtmehr ausschließlich auf die Bekämpfung des Symptoms („auffälliges“Verhalten), das das Kind zeigt. Dieser Schritt, der m. E. durch eineveränderte Haltung möglich wird, macht mich handlungsfähig.

Auf eine persönliche Bewertung des Verhaltens eines Kindes zu ver-zichten, bedeutet nicht, das Verhalten in jedem Fall wortlos hinzuneh-men oder es zu ignorieren. Ist eine Reaktion bzw. Konsequenz durchmich erforderlich, so setze ich sie um – respektvoll, sachlich, eindeutig,konsequent, klar und nachvollziehbar für das Kind und nicht vonmeiner inneren Wut, Enttäuschung o.ä. getragen.

Auf eine persönliche Bewertung des Verhaltens eines Kindes zu ver-zichten, erfordert Selbstdisziplin, die Achtung vor der Würde des Kindesund die Anerkennung, dass das Kind ein lernendes Individuum ist, dasnoch nicht alles kann und mit hoher Wahrscheinlichkeit von sozialerAngst belastet ist.

Durch die gesammelte Erfahrung veränderte ich meine Sichtweise inBezug auf diese Kinder und durch diese neue Sichtweise verändertesich auch meine Haltung zu diesen Kindern. Die Konsequenz dieserveränderten Haltung beinhaltet, dass ich nicht mehr mit schwierigenKindern umgehe, sondern ich es mit meinen eigenen Schwierigkeitenim Umgang mit Kindern zu tun habe, deren Verhaltensmotiv die sozialeAngst sein kann.

Die von einer Haltung getragenen Reaktionsweisen desLehrenden wirken sich auf die Art und Weise des Sozial-verhaltens der Kinder innerhalb einer Schulklasse aus.

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26 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

1.5.2 Die Auswirkungen der Bewertung -Die Bildung von Schutzgemeinschaften

Die Interaktion zwischen der Lehrkraft und dem „verhaltensauffälligen“Kind wird von den Mitschülern beobachtet. Die Interaktion zwischendem „verhaltensauffälligen“ Kind und der Lehrkraft hat insbesondereauch Auswirkungen auf den Umgang der Mitschüler mit dem „verhal-tensauffälligen“ Kind und der Lehrkraft. So können z. B. einige Mit-schüler die Reaktionen der Lehrkraft auf das Verhalten des „auffäl-ligen“ Kindes für ungerecht und überzogen halten und damit beginnen,das „auffällige“ Kind vor der Lehrkraft zu schützen, indem sie dieEntscheidungen der Lehrkraft (negative Konsequenzen) in Bezug aufdas „auffällige“ Kind angreifen. Die Kinder, die nach Gerechtigkeitsuchen, signalisieren dem „auffälligen“ Kind Unterstützung. Das„auffällige“ Kind wird sich seinen Unterstützern wohlwollend zuwen-den, denn es hat ja sonst niemanden, der ihm Schutz bietet. Und genauan dieser Stelle kann eine „Schutzgemeinschaft“ innerhalb der Klasseentstehen. Zu dieser Schutzgemeinschaft gehören das „auffällige“ Kindund seine Unterstützer.

Die Mitschüler, die dieser Schutzgemeinschaft nicht angehören, fordernvon der Lehrkraft gegenüber dem „verhaltensauffälligen“ Kind einstrengeres Vorgehen, da sie selbst unter dem Kind (und seinen Unter-stützern) leiden. Diese Mitschüler werden sich auf die Seite der Lehr-kraft stellen und sich gegen das „auffällige“ Kind und seine Unter-stützer aussprechen. Diese Mitschüler erwarten nun den Schutz von derLehrkraft vor dem „auffälligen“ Kind und seinen Unterstützern. Diesererwartete Schutz umfasst nicht nur den Schutz der Person, sondern auchden Schutz des Eigentums (z. B. Schulranzen, Kleidung).

Im Fallbeispiel Christian ist in groben Zügen beschrieben, worauf eshinausläuft, wenn der Schutz der Person von Seiten der Lehrkräftevernachlässigt wird.

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1. Soziales Lernen 27

Wie reagieren die Lehrkräfte auf Christian und seine Unterstützer?Welche Haltung bzw. Sichtweise vermuten Sie bei Christians Lehr-kräften in Bezug auf Christian und seine Unterstützer?

Zu welchem Zeitpunkt des Miteinanders forderte Christian den Schutzseiner Lehrkräfte?

Dieser Exkurs wurde mit sieben Aufgaben begonnen, die Sie lösen sollten.Lesen Sie bitte noch einmal Ihre Antworten. Sind Sie der Ansicht, dassSie Ihre Haltung in Bezug auf das von Ihnen beschriebene Kind ändernsollten?

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28 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, was wollen Sie an Ihrer Haltung ändern?

Die letzte Frage, die ich Ihnen hier stellen möchte, lautet:Ist Christian gruppenunfähig? (Bitte begründen sie Ihre Antwort.)

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1. Soziales Lernen 29

Aus fachlicher Sicht beantworte ich die Frage nach Christians Gruppen-unfähigkeit wie folgt:

Dass Christian durchaus gruppenfähig ist, zeigt meines Erachtens, dasser sich in einer Untergruppe seiner Klasse aufhält und diese selbstanführt bzw. leitet.

Das Sozialverhalten, das Christian und seine Verbündeten zeigen,weicht erheblich von dem Sozialverhalten ab, das die Lehrkräfte vonden Kindern erwarten und fordern. Es liegt ein Konflikt vor. Der Kerndes Konfliktes besteht darin, dass Christian und seine Verbündetennicht das tun, was von ihnen erwartet wird. Ich halte es für fachlichnicht vertretbar, den Kindern deshalb die Gruppenfähigkeit abzuspre-chen und sie für verhaltensauffällig zu erklären.

Zusammenfassung

Ein verantwortungsbewusstes Handeln oder angemessenes Sozial-verhalten, das dem jeweiligen Schüler selbst und der Gemeinschaft oderGruppe dient, kann m. E. nur dann erreicht werden,

S wenn die Schüler und Lehrkräfte einer Klasse umfassende Erfah-rungen im Umgang miteinander sammeln können und zwar Erfah-rungen, die über das reine schulische Lernen hinausgehen (ge-eignete Situationen schaffen; Lernen am Modell),

S wenn in der Situation des Miteinanders vorrangig und schnellstmöglich gewünschtes Sozialverhalten bekräftigt wird (Konsequen-zen des Sozialverhaltens, Lernen am Erfolg, Lernen am Modell),

S wenn die gesammelten Erfahrungen des Umgangs miteinandergemeinsam ausgewertet werden (Auswirkungen des Sozialverhal-tens auf das Miteinander in der Gruppe; Probleme erkennen undbenennen),

S wenn von den Auswertungsergebnissen gemeinsam Regeln für denUmgang miteinander ausgehandelt bzw. abgeleitet werden (Abbauvon sozialer Angst und Partizipation) und

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30 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

1 Argyle, M.: Soziale Interaktion, Köln 1972, In: Ulrike Petermann, ebenda,Seite 12.

S wenn die Lehrkräfte den Schutz der Person und den Schutz desEigentums gewährleisten (Abbau von sozialer Angst, Achtung vorder Würde des Menschen).

1.6 Sozialverhalten lernen

Sozialverhalten in der Schule lernen bedeutet aus meiner Sicht dieAneignung von Fähigkeiten und Fertigkeiten durch gesammelte umfas-sende Erfahrungen im Umgang mit den Gruppenmitgliedern (Schülernund Lehrkräften). Diese umfassenden Erfahrungen können nach einerAuswertung zu einem verantwortungsbewussten Handeln in Bezug aufsich selbst und auf die Gruppe führen und dem jeweils einzelnen Grup-penmitglied eine erfolgreiche Bewältigung des Zusammenlebens undZusammenarbeitens in und mit der Gruppe ermöglichen.

Soziale Kompetenz

Das Ausmaß der Fähigkeiten zur Bewältigung sozialer Situationen wirdnach M. Argyle soziale Kompetenz genannt.1

Soziale Kompetenz: Das Ausmaß der Fähigkeiten einer Personzur Bewältigung sozialer Situationen.

Für meinen Arbeitsalltag war bzw. ist die Beschreibung des sozialkompetenten Verhaltens durch Ullrich de Muynck & Ullrich ausschlag-gebend; danach bedeutet das konkretisierte sozial kompetente Verhal-ten:

„ 1. Den Willen aufbringen, für sich selbst entscheiden zu wollen: Dasmeint die Überwindung von unreflektierter Unterordnung, die Abwä-gung aller Vor- und Nachteile einer Situation bzw. Handlung sowie dieWahl eines rational begründbaren Verhaltens.

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1. Soziales Lernen 31

1 Ullrich de Muynck, R. & R. Ullrich : Einübung von Selbstvertrauen undsozialer Kompetenz, Bd. I-III, München 1976, In: Ulrike Petermann, ebenda,Seite 13.

2. Soziale Reize und Signale richtig deuten und die Prinzipien sozialerSteuermechanismen erkennen können: Es ist die Fähigkeit gemeint, daseigene Verhalten selbstkritisch und reflexiv zu beobachten, angst-auslösende Situationen zu erkennen und zu benennen sowie Angst inder Kommunikation und Interaktion mit anderen zu kontrollieren undabzubauen.

3. Unangenehme blockierende Gefühle kontrollieren lernen und schließ-lich abbauen: Ärger und Wut sollen in produktives Problemlöseverhal-ten umgekehrt und die ein Zusammenleben und Zusammenarbeitenerschwerenden Faktoren herauskristallisiert und beseitigt werden.

4. Wirkungsvolles und zweckmäßig ausgerichtetes Handeln und Verhal-ten: Dies bezieht sich vor allem darauf, einem anderen zuhören sowieeigene Gedanken und Vorstellungen so formulieren zu können, dass derandere sie annehmen oder sich mindestens mit ihnen auseinander setzenkann.

5. Assertives, sich selbstbehauptendes Verhalten zeigen: Dieses Verhal-ten soll in Abgrenzung zu aggressivem Sich-Durchsetzen auf Kostenanderer realisiert werden; eine Auseinandersetzung mit einem anderenmuss die Möglichkeit bieten, dass dieser noch seine Vorstellungen undArgumente formulieren kann.

6. Lob akzeptieren können und Selbstabwertung vermeiden: Dies zieltjedoch nicht nur auf das Annehmen von Lob ab, sondern auch darauf,kleine Anzeichen und Signale von Anerkennung wahrzunehmen undrichtig zu interpretieren; im sozialen Vergleich ist zu lernen, die eigenePerson nicht zu einseitig zu sehen und zu gering oder gar abwertendeinzuschätzen.

7. Soziale Grenz- und Konfliktsituationen erkennen: Neben dem Erken-nen und richtigen Einschätzen einer Konfliktsituation sind Strategienfür deren Bewältigung zu entwickeln; zum Beispiel sind bei einem ...(Konflikt, Anm. d. Verf.) verschiedene Möglichkeiten für die Be-friedigung vieler Ansprüche zu suchen.“1

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32 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Versuchen Sie bitte, für drei der sieben Aspekte sozial kompetentenVerhaltens jeweils ein Beispiel aus Ihrem Arbeitsalltag zu beschreiben.(Z. B.: Kennen Sie einen Schüler, der sich einem anderen Schülergegenüber untergeordnet und sich nun gegen diese Unterordnungentschieden hat? Konnte dieser Schüler seine Entscheidung rationalbegründen?)

Ich nehme an, dass es nicht so einfach war, Beispiele für die siebenAspekte sozial kompetenten Verhaltens zu finden. Es stellt sich nun dieFrage, wie die Lehrenden den Lernenden diese Aspekte des sozialkompetenten Verhaltens beibringen können?

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1. Soziales Lernen 33

1 Christina Großmann: Projekt: Soziales Lernen - Ein Praxisbuch für denSchulalltag, Verlag an der Ruhr, 1996.

2 Duden, Das Fremdwörterbuch, ebenda.

1.7 Soziales Lernen

Soziales Lernen steht in diesem Zusammenhang für ein gruppendyna-misches Lehr- und Lernprogramm1 , das von Ihnen im Schulunterrichtumgesetzt werden kann. Die sieben Aspekte sozial kompetenten Verhal-tens sind in diesem Lehr- und Lernprogramm berücksichtigt.

(Der Begriff Gruppendynamik wird definiert als ein „.Teilgebiet derSozialpsychologie, auf dem das koordinierte Zusammenwirken, diewechselseitige Steuerung des Verhaltens der Mitglieder einer Gruppebzw. das Verhältnis des Individuums zur Gruppe erforscht werden...“2)

Das gruppendynamische Lernprogramm: „Projekt: Soziales Lernen“habe ich über viele Jahre in meinem Schulalltag in verschiedenenSchulformen erfolgreich angewendet. Das Projekt: Soziales Lernen istgeeignet,

S den Schülern ein hilfreiches Sozialverhalten zu vermitteln (För-derung der sozialen Kompetenz),

S den Zusammenhalt einer Klasse zu entwickeln und zu festigen(Initiierung der Gruppenentwicklung) und

S ein koordiniertes Zusammenwirken aller Schüler einer Klasse zuerreichen (Steigerung der Arbeitsproduktivität - Teamarbeit).

Das „Projekt: Soziales Lernen“ beinhaltet Übungen, die mit den Kin-dern in der Klassenstufe 5 und 6 im Schulunterricht durchgeführtwerden. Jede Übung dauert mindestens 45 Minuten. Bei diesen Übun-gen handelt es sich im Grunde genommen um Gesellschaftsspiele, dieIhnen wahrscheinlich überwiegend bekannt sind. Diese Übungen sindgeeignet, um den Kindern die Möglichkeit zu eröffnen, umfassendeErfahrungen im Miteinander zu sammeln. Ich spreche deshalb vonÜbungen, weil sie im Unterschied zu herkömmlichen Spielen einerbesonderen Vorbereitung, eines bestimmten Vorgehens während derDurchführung und insbesondere einer gemeinsamen Nachbereitungbedürfen. Doch hierzu später mehr.

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34 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Selbstverständlich werden auch aktuelle Verhaltens- und Erlebnis-weisen bearbeitet, wenn gerade kein Unterricht „Soziales Lernen“stattfindet. Ein aktueller Konflikt wird sofort bearbeitet und nicht erst inder Stunde „Soziales Lernen“.

1.8 Grundsätzliche Hinweise für dieBearbeitung aktueller Verhaltens-und Erlebnisweisen der Schüler

Die folgenden Hinweise beziehen sich auf fünf Beispiele aktuellerVerhaltens- und Erlebnisweisen der Schüler, die häufig in der Schulevorkommen oder ausschließlich in der Anfangssituation. Ich werde dieAuswirkungen der Reaktionen in diesen sozialen Situationen (Beispieleaus dem Schulalltag, Beispiele aus der Anfangssituation) sowie diedazugehörigen Handlungsmöglichkeiten beschreiben. Wenn es denLehrkräften gelingt, die an die Beispiele geknüpften Situationen für dieSchüler und mit den Schülern befriedigend zu gestalten, profitiert dieGruppenentwicklung einer Klasse in einem erheblichen Maße davon.Ich halte die Auseinandersetzung mit diesen Beispielen bzw. sozialenSituationen für so gravierend, dass ich mir an dieser Stelle einen Ein-schub erlaube. Erst im Anschluss gehe ich näher auf die Gruppen-entwicklung ein.

1.8.1 Erstes Beispiel (Anfangssituation):Der Sitzplatz der Schüler in der neuen Klasse

Ich möchte Ihnen ein Beispiel aufzeigen, das den Sitzplatz der Schülerbetrifft und bitte Sie jetzt, sich in die Situation der Schüler hinein zuversetzen:

Beispiel: Situation nach der EinschulungsfeierDie Schüler werden von der Lehrkraft nach der Einschu-lungsfeier in die Klasse geleitet. Die Schüler befinden sichjetzt in der Klasse. Meistens dürfen sich die Schüler nunneben einem Sitznachbarn ihrer Wahl setzen. Rufen Siesich diese Situation in aller Ruhe ins Gedächtnis. (Wieverhalten sich die Schüler? Was beobachten Sie in einersolchen Situation?)

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1. Soziales Lernen 35

Welchen Vorteil hat die freie Wahl des Sitzplatzes für einige Schüler inder Anfangssituation? Welche Bedürfnisse werden befriedigt?

Welchen Nachteil hat die freie Wahl des Sitzplatzes für einige Schülerin der Anfangssituation? Welche Bedürfnisse können nicht befriedigtwerden?

Wie könnten die ‚benachteiligten‘ Schüler auf ihre Sitznachbarn in derAnfangssituation reagieren?

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36 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Stellen Sie sich vor, dass ein Junge mit sozialer Angst keine ihm be-kannten Kinder in der neuen Klasse hat und nur noch an einem Tischein Platz neben einem Mädchen frei ist, das aus der Sicht des Jungenrelativ unattraktiv ist.

Wie würden Sie sich verhalten, wenn der oben genannte Junge sich andie äußerste Kante des besagten Tisches setzte, seinen Blick durch dieKlasse schweifen ließe und mit diesem Blick seine Verachtung gegen-über dem Mädchen zum Ausdruck brächte. Sie können auch damitrechnen, dass dieser Junge nur zwei Unterrichtsstunden später folgendesin die Klasse ruft: „Neben dieser fetten Kuh will ich nicht mehr sitzen!Die stinkt!“ Auch die Reaktionen, die durch diese Äußerungen in derKlasse hervorgerufen werden, können Sie sehr betroffen machen, denndie Reaktionen können Zustimmung beinhalten. Es gibt Lehrkräfte, dieüber solche Äußerungen ‚hinweghören‘, weil sie eine Auseinanderset-zung mit den Schülern vermeiden wollen. Die Kinder bewerten diesesLehrerverhalten als Zustimmung in Bezug auf die Äußerungen, die dasMädchen betreffen und als Vernachlässigung des Schutzes der Person.Lassen Sie es nicht soweit kommen! Handeln Sie rechtzeitig.

Folgende Überlegungen sollten Sie unbedingt in der Anfangssituati-on anstellen:

Gehen Sie davon aus, dass Grenzüberschreitungen geschehenwerden, wenn Sie die soziale Situation dem Zufall überlassen.Strukturieren Sie soziale Situationen und orientieren Sie sichdabei an folgenden Fragen:

Welche kindlichen Reaktionsweisen bzw. Grenzüberschreitun-gen könnten geschehen, weil eine Überforderungssituationgegeben ist? Nutzen Sie hierfür Ihre empathische Fähigkeit.

Wie können Sie Kinder mit sozialer Angst vor grenzüber-schreitenden Reaktionen gegenüber anderen Kindern schüt-zen? Wie können Sie die anderen Kinder vor den grenzüber-schreitenden Reaktionen der Kinder mit sozialer Angst schützen?(Schutz der Person)

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1. Soziales Lernen 37

Wir bearbeiten das Beispiel „Situation nach der Einschulungsfeier“noch einmal:Nach der Einschulungsfeier geleiten Sie Ihre neue Schülerschaft in denKlassenraum.

Wie können Sie die soziale Situation so gestalten, dass von vornhereinKonflikte ausgeschlossen werden?Wie würden Sie eine Sitzordnung unter Einbeziehung des zuvor Ge-schriebenen herstellen? Bitte begründen Sie Ihre Antwort.

Kinder der Klassenstufe 5 sind bereits sehr gut dazu in der Lage, sichmit sachlich begründeten Argumenten auseinander zu setzen. UndKinder können eine große Portion Mitgefühl entwickeln, wenn wir dasMitgefühl bei ihnen ansprechen.

Deshalb gehe ich in dem Beispiel „Situation nach der Einschulungs-feier“ wie folgt vor:

Wir gehen gemeinsam in den Klassenraum und ich bitte die Kinder, sichnoch nicht zu setzen. Die Kinder bleiben stehen. Dann erkläre ich denKindern meine Befürchtungen hinsichtlich der Sitzverteilung (Em-pathie):

Einige Kinder kennen sich wahrscheinlich bereits und mögen sich auchund werden sich gemeinsam an einen Tisch setzen. Es kann aber auchpassieren, dass Kinder nebeneinander sitzen müssen, die sich noch sehrfremd sind und sich deshalb sehr unwohl fühlen. Ich möchte, dass es indieser Klasse von Anfang an so gerecht wie möglich zugeht. Ich habemir zwei Möglichkeiten der Sitzordnung überlegt, die ich für gerechthalte:

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38 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

1. das Losverfahren,2. die alphabetische Reihenfolge.

Der erste Vorschlag bedeutet: Die Plätze sind nummeriert. Du ziehstgleich ein Los auf dem eine Zahl steht. Diese Zahl findest du an einemPlatz auf dem Tisch wieder. Dort setzt du dich hin.

Der zweite Vorschlag bedeutet, dass ich gleich die vorbereiteten Na-mensschilder in der Reihenfolge des Alphabets auf die Tische stelle. Dusuchst dein Namensschild und setzt dich auf den entsprechenden Platz.

Ich muss jetzt wissen, welcher Vorschlag dir besser gefällt. Wenn dudas Losverfahren besser findest, meldest du dich, wenn ich es nenne.Andernfalls meldest du dich bei dem Vorschlag der alphabetischenReihenfolge.

Einer der beiden Vorschläge wird gleich gewinnen. Den Gewin-ner-Vorschlag musst du befolgen. Wenn du ernsthafte Bedenken gegendieses Vorgehen der Abstimmung hast, dann sage sie jetzt. (Zumeistwird gefragt, ob die zustande gekommene Sitzordnung immer so blei-ben wird. Dies verneine ich, denn sie ist i. d. R. nur für die ersten vierWochen gültig.)

Wer ist für das Losverfahren? (Stimmen zählen)Wer ist für die alphabetische Reihenfolge? (Stimmen zählen)

In der Regel gewinnt das Losverfahren, weil die Kinder es für gerechterund auch spannender halten.

Der Vorgang dauert ungefähr 10 Minuten und trägt dazu bei, Konfliktevon vornherein zu verhindern. Die Kinder nehmen aus dieser Erst-situation bewusst auf, dass ich Gerechtigkeit schätze und dass es mirwichtig ist, dass sich alle Kinder in der Klasse wohlfühlen können.

Die Herstellung von Transparenz in Bezug auf das Verhaltender Schüler und das Aufzeigen neuer Verhaltensweisen mitseinen Auswirkungen eröffnet den Schülern die Möglichkeitder Reflexion und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass neuesVerhalten ausprobiert wird.

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1. Soziales Lernen 39

1.8.2 Zweites Beispiel (Anfangssituation):Die persönliche Vorstellung der Lehrkraft

Wenn die Schüler auf ihren Plätzen sitzen und zur Ruhe gekommensind, sollte sich die Lehrkraft den Kindern vorstellen.

Was wollen die Kinder Ihrer Meinung nach von einer Lehrkraft wissen?

Neben dem Namen, dem Alter, dem Familienstand und ob die LehrkraftKinder hat, wo die Lehrkraft wohnt, ob sie Haustiere und welchesHobby sie hat, wollen die Kinder wissen, was die Lehrkraft von denKindern erwartet.

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Nach der persönlichen Vorstellung muss m. E. der ausdrücklicheHinweis gegeben werden, dass die Lehrkraft sich dafür einsetzenwird, dass sich alle Kinder in der Klasse wohlfühlen können. DieLehrkraft sollte unbedingt äußern, dass sie den Kindern dabeihelfen wird, eine gute Klassengemeinschaft aufzubauen. DieLehrkraft sollte den Kindern erklären, dass eine gute Klassen-gemeinschaft nicht automatisch entsteht, sondern alle dazu beitra-gen müssen, so dass dies gelingen kann. Die Lehrkraft sollte dieKinder nach ihren Erfahrungen in der Grundschule befragen. DieKinder werden erfahrungsgemäß unangenehme Erlebnisse schil-dern. Die Lehrkraft sollte die Kinder deshalb auch nach positivenErlebnissen befragen und anschließend bekannt geben, dass in derneuen Klasse eine gute Klassengemeinschaft entstehen kann, wennregelmäßig zu diesem wichtigen Thema gearbeitet wird. Die Lehr-kraft sollte dann den Kindern erklären, dass sie Übungen mit denKindern durchführen wird, die allen dabei helfen werden, eine guteKlassengemeinschaft zu entwickeln.

1.8.3 Drittes Beispiel (Schulalltag):Der Sitzplatz der Schüler

Einen festen Sitzplatz zu haben, vermittelt den Schülern Sicherheit.Durch eine feste Sitzordnung wissen die Schüler, wer ihre unmittelbarenSozialpartner sind und müssen sich nicht ständig auf neue Sozialpartnereinstellen.

Vielleicht kennen Sie diese Situation?Im Verlauf einer Übung, die im Stuhlkreis durchgeführt wird und beider sich die Sitzplätze durch den Übungsverlauf verändern, gehen dieSchüler wieder auf ihre alten Sitzplätze im Stuhlkreis zurück, wenn dieÜbung beendet ist. Dieses Verhalten beobachte ich auch regelmäßig beiLehrerfortbildungen. Auch die Lehrkräfte setzen sich nach Beendigungeiner Übung wieder auf ihren alten Sitzplatz im Stuhlkreis. (Ich finde esjedes Mal erstaunlich, mit welcher Sicherheit der alte Sitzplatz wiedergefunden wird.) In jedem Fall sollte dieser Vorgang nicht durch denÜbungsleiter (die Lehrkraft) unterbunden werden, weil die Wiederher-

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1. Soziales Lernen 41

stellung der Sitzplatzordnung in den ursprünglichen Stand z. B. zu vielZeit kosten könnte. Das Schutzbedürfnis des Einzelnen hat Vorrang.Der Übungsleiter kann die Gruppe nach ca. 3 Wochen ihres Bestehensauf seine Beobachtungen aufmerksam machen und erklären, warum dereigene Sitzplatz so wichtig ist.

Ich erkläre dies den Schülern wie folgt:Mir ist da etwas aufgefallen: Immer wenn wir mit einer Übung imStuhlkreis fertig sind und sich die Sitzordnung durch den Übungsver-lauf verändert hat, setzt sich anschließend jeder wieder auf seinen altenPlatz. Ist euch das auch aufgefallen? Woran kann das liegen? Wirwürden doch Zeit sparen, wenn jeder auf seinem neuen Platz sitzenbliebe.

Einige Schüler können diese Frage i. d. R. sehr treffsicher beantworten.Wenn nicht, dann übernimmt es der Übungsleiter: Ich glaube, dass esfür die meisten von uns anstrengend ist, neben neuen Sitznachbarn zusitzen, weil wir uns noch nicht so gut kennen. Wir wissen noch nicht,wie die neuen Sitznachbarn sich uns gegenüber verhalten werden. Eskönnte passieren, dass wir Unangenehmes zu hören bekommen, z. B.:„Neben dir will ich nicht sitzen!“ Deshalb gehen wir immer wieder aufunsere alten Plätze. Da wissen wir, was uns erwartet und können unsdeshalb darauf einstellen. Wenn wir eine gute Klassengemeinschaftwerden wollen, dann ist es jedoch wichtig, dass wir überall sitzenkönnen, ohne befürchten zu müssen, unangenehm angesprochen zuwerden. Was meint ihr dazu? Wollen wir es einfach mal ausprobieren,die neuen Sitzplätze beizubehalten, wenn wir mit einer Übung fertigsind? Zumeist knüpfen die Schüler die Bedingung an diese Fra-ge/Aufforderung, dass eine Regel aufgestellt und eingehalten werdenmuss, die die Gefahr der Grenzüberschreitung („Neben dir will ich nichtsitzen!“) mindestens verringert. Helfen Sie den Schülern bei der Formu-lierung und achten Sie fortan konsequent auf die Einhaltung der Regel.Bei Grenzüberschreitungen müssen Sie eingreifen (Schutz der Person)und darauf hinweisen, dass sich das „verhaltensauffällige“ Kind in derKlasse durch sein Verhalten unbeliebt macht. Kein anderes Kind möch-te neben ihm sitzen, wenn dies häufiger geschieht und es wird es dannschwer haben, Freunde in der Klasse zu finden. Ermutigen Sie das„verhaltensauffällige“ Kind, neues Verhalten im Sinne unseres Beispielszu zeigen.

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1.8.4 Viertes Beispiel (Schulalltag):Das Gespräch im Unterricht

In der Einleitung haben Sie beschrieben, welche VerhaltenserwartungenSie an die Schüler haben. Beschränken Sie sich bitte jetzt auf dieErwartungen, die Sie an eine Gesprächssituation im Unterricht knüpfen.

Nennen Sie bitte die Verhaltenserwartungen, die Sie an die Schüler inunterrichtsbezogenen Gesprächssituationen stellen.

Leiten Sie von Ihren Verhaltenserwartungen Regeln ab, die die Schülerin Gesprächssituationen einhalten sollen.

Damit Sie einen Vergleich haben, nenne ich Ihnen hier die Gesprächs-regeln, die ich für wichtig halte:

• Wenn du etwas sagen möchtest, melde dich bitte und warte bis duzum Sprechen aufgefordert wirst.

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1. Soziales Lernen 43

• Nur eine Person spricht zur Zeit und alle anderen Personen in derKlasse hören, was die Person sagt.

• Während des Gespräches konzentrierst du dich auf die eigenenRedebeiträge und die Redebeiträge der anderen.

• Wenn du etwas ganz wichtiges sofort zum Thema sagen möchtest,meldest du dich mit beiden Händen und wartest bis du zum Spre-chen aufgefordert wirst.

Diese Gesprächsregeln schließen m. E. das Herumlaufen in der Klasse,das Packen von Schultaschen und das Erzeugen von weiterem Lärm aus(z. B. das Schaukeln der Beine und Scharren der Füße auf dem Boden,das Stuhlkippeln, das Klopfen des Schreibgerätes auf dem Tisch sowiedas Dazwischenrufen). In jedem Fall erkläre ich den Kindern, dass einhoher Geräuschpegel durch derlei Handlungen erzeugt wird. Ein hoherGeräuschpegel macht alle nervös, unkonzentriert und stellt einenStressfaktor dar. Auch hier gilt es, den Schutz der Person zu gewähr-leisten. Nervosität führt häufig zu Gereiztheit. Durch Gereiztheit ent-steht schnell Streit. Häufiger Streit verhindert, dass eine gute Klassen-gemeinschaft entstehen kann.

Eine gute Klassengemeinschaft ist die Voraussetzung dafür, dass sichjedes Kind in der Klasse wohl fühlen kann.

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44 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

1 Vgl. Christina Großmann: Projekt: Soziales Lernen, Verlag an der Ruhr 1996,Seite 17 f.

Ein Arbeitsmittel in Gesprächssituationen:Die Tabelle für die Unterrichtsruhe

Erinnern Sie sich an die Beschreibung der lerntheoretischen Methode:Lernen am Erfolg?

Kinder erleben einen Erfolg in Bezug auf ihr Handeln dann, wenn siemöglichst schnell eine Belohnung (positive Konsequenz) für ihr Han-deln erhalten oder wenn sie durch ihr Handeln eine Bestrafung odereinen Misserfolg (negative Konsequenz) vermeiden können.

Diese Erkenntnis sollte in Gesprächssituationen von Anbeginn an in daspraktische Handeln der Lehrkraft einfließen. Zu diesem Zweck habe ichmir ein Vorgehen überlegt, das ich die „Tabelle zur Unterrichtsruhe“1

nenne. Diese Tabelle und die daran geknüpften Regeln erkläre ich denSchülern nach meiner persönlichen Vorstellung.

Wenn die Schüler an Gruppentischen sitzen, gilt diese Tabelle, die ichin jeder Unterrichtsstunde zu Beginn und für die Schüler gut sichtbar andie Tafel male:

Gruppe 1(+/–)

Gruppe 2(+/–)

Gruppe 3(+/–)

Usf.

UR(Unterrichtsruhe)

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1. Soziales Lernen 45

Wenn die Plätze der Schüler in Hufeisenform angeordnet sind, gilt dieseTabelle, die ebenfalls in jeder Unterrichtsstunde und für die Schüler gutsichtbar an die Tafel gemalt wird:

Klasse NN + –

UR(Unterrichtsruhe)

Wenn die Plätze der Schüler hintereinander angeordnet sind, geltenfolgende Tabellen, die wiederum in jeder Unterrichtsstunde für dieSchüler gut sichtbar an die Tafel gemalt werden:

Klasse NNUR (Unterrichtsruhe)

Fensterseite

Klasse NNUR (Unterrichtsruhe)

Türseite

+ – + –

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46 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Alle Tabellen dienen der Bewertung der Unterrichts- bzw. Arbeitsruheder Schüler und der erfolgreichen (+) oder misslungenen (-) Einhaltungder Regeln für die Unterrichtsruhe. Die Lehrkraft trägt die Zeichenwährend des Unterrichts in die entsprechende Tabelle ein.

Auf welche Arbeitsruhe im Unterricht (laut oder leise) reagiert eineLehrkraft in der Regel sehr schnell und warum ist das der Fall?

Mit welchem Schülerverhalten ist zu rechnen, wenn nahezu ausschließ-lich Minuszeichen von der Lehrkraft vergeben werden?

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1. Soziales Lernen 47

Nehmen wir an, dass die Schüler einer Tischgruppe laut sind. Wiewerden genau in diesem Moment die anderen Tischgruppen von derLehrkraft wahrgenommen? Nimmt die Lehrkraft die Unterrichtsruheder anderen Tischgruppen als laut oder leise wahr?

Welche soziale Situation liegt vor, wenn die Schüler einer Tischgruppelaut sind und die Schüler nicht mehr auf die Minuszeichen achten, diedie Tischgruppe in der Tabelle erhält?

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48 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Ist es für die Schüler hilfreich, wenn alle Lehrkräfte, die in einer Klasseunterrichten, in ihrem jeweiligen Unterricht eine Tabelle führen?Wenn ja, warum?Wenn nein, warum nicht?

Reicht das Pluszeichen als dauerhafter Anreiz für positives Verhaltenaus?

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1. Soziales Lernen 49

Reicht das Minuszeichen als dauerhafte negative Konsequenz fürSchüler aus, um unangemessenes Sozialverhalten abzustellen?

Gegen welches Prinzip verstößt die Lehrkraft, wenn sie Streitereienzwischen den Schülern in der Unterrichtssituation übergeht?

Damit Sie Ihre Antworten vergleichen können, gebe ich hier in zu-sammengefasster Form die Antworten wider. Lehrkräfte reagieren i. d.R. sehr schnell auf Kinder, die Lärm verursachen. Ruhige Schülerwerden oftmals übersehen, weil die lauten Kinder einen Lärmpegelerzeugen, den die Lehrkraft als dominanten Reiz wahrnimmt.

In dem Moment, in dem ein Schüler oder eine Tischgruppe als lautwahrgenommen wird, können die anderen Schüler oder Tischgruppenals ruhig eingestuft werden. Demzufolge erhält die laute Tischgruppeein Minuszeichen und im gleichen Atemzug erhalten die anderenTischgruppen ein Pluszeichen. Würde die Lehrkraft nahezu ausschließ-lich Minuszeichen in die Tabelle eintragen und Pluszeichen vernachläs-sigen, können die ruhigen Schüler nicht mehr erkennen, worin der

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50 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Erfolg liegt, wenn sie sich ruhig verhalten. Warum sollen sie dann ruhigsein? Parallel dazu würden die lauten Schüler es für aussichtslos er-achten, jemals ein Pluszeichen erhalten zu können. Sie wären entmutigtund würden sich weiterhin laut verhalten. Erhält eine Tischgruppe vieleMinuszeichen und die anderen Tischgruppen überwiegend Pluszeichen,so ist dies als ein Hinweis für die Lehrkraft zu verstehen, dass es in dereinen Tischgruppe zu Streitereien gekommen ist. Die Lehrkraft mussden Konflikt oder Streit mit den Schülern klären, andernfalls würde dieLehrkraft gegen das Prinzip „Schutz der Person“ verstoßen.

In jedem Fall ist es für die Schüler hilfreich, wenn alle Lehrkräfte einerKlasse die Tabelle einsetzten. Die Schüler empfinden die Tabelle u.a.deshalb als hilfreich, weil die Tabelle ihnen eine schnelle und klareOrientierung ermöglicht. Denn: Auch wenn Einigkeit hinsichtlich derRegeln zwischen den Lehrkräften bestehen sollte, so bedeutet dies nochlange nicht, dass die Lehrkräfte die Art und Weise der Regeleinhaltunggleichermaßen bewerten. Es bestehen z. T. erhebliche Abweichungen inder Toleranzbreite, die an die Qualität der Einhaltung von Regelngeknüpft ist. (Beispiel: Zwei Lehrkräfte befinden sich in einer Klasse.Die eine Lehrkraft empfindet den Lärm der Schüler als zu laut, dieandere Lehrkraft empfindet den Lärm der Schüler als normale Laut-stärke.) Die Tabelle hilft den Schülern dabei, sich sehr schnell (im45-Minuten-Takt) auf die verschiedenen Toleranzbreiten der Lehrkräfteeinstellen zu können.

Die Tabelle erinnert die Lehrkraft daran, die Ruhe (und den Lärm) derSchüler wahrzunehmen. Die Lehrkraft gibt den Schülern eine Rückmel-dung über die entsprechenden Zeichen in der Tabelle. Die rückgemelde-te Wahrnehmung der Lehrkraft stellt keinen ausreichenden dauerhaftenAnreiz für die Schüler dar. Die Schüler beginnen Pluszeichen zu sam-meln, wenn daran eine weitere positive Konsequenz geknüpft ist. (DieHäufigkeit der Vergabe von Zeichen (+/-) sollte die Lehrkraft nacheigenem Ermessen festlegen. Acht bis zehn Zeichen pro Stunde solltenes jedoch sein.)

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1. Soziales Lernen 51

Welche positiven Konsequenzen könnte eine Lehrkraft den Schülern füreine angemessene Arbeitsruhe bieten, die über einen längeren Zeitraum(mehrere Unterrichtsstunden, einen Unterrichtstag oder eine Unter-richtswoche) geleistet wurde?

Eine Lehrkraft benutzt die Tabelle und trägt ein Minuszeichen für eineGruppe ein (sowie analog Pluszeichen für die anderen Gruppen). DieTischgruppe, die das Minuszeichen erhält, protestiert heftig. („Wirwaren überhaupt nicht laut!“) Wie sollte sich die Lehrkraft jetzt verhal-ten?

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52 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Kann es durch die Benutzung der Tabelle zu Streitereien zwischen denSchülern kommen?

Wenn ja, warum? Wie kann die Lehrkraft diese Streitereien zum Groß-teil verhindern?

Wenn nein, warum nicht?

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1. Soziales Lernen 53

Um Ihre Antworten vergleichen zu können, gebe ich hier folgendeHinweise:

Schüler empfinden es z. B. als positive Konsequenz, wenn sie keineHausaufgaben aufbekommen, wenn eine Unterrichtsstunde auf demSpielplatz verbracht werden kann. Ganz besonders schätzen es dieSchüler, wenn die Eltern eine schriftliche Benachrichtigung über dasgute Benehmen ihrer Sprösslinge erhalten. Die Eltern freuen sich, wennsie eine positive Information von der Schule über ihre Kinder erhalten.

Wenn sich Schüler über ein Minuszeichen in der Tabelle beschweren,obwohl sie laut waren, sollte die Lehrkraft keine Diskussionen zulassen,sondern darauf hinweisen, dass sie auf Fehler in einer Klassenarbeitebenso hinweist wie auf eine zu große Lautstärke im Unterricht.

Die Benutzung der Tabelle wirkt sich auf das Verhalten der Schüleruntereinander aus. Insbesondere wirkt sich das Verhalten auf die Schü-ler aus, die Schwierigkeiten haben, sich im Unterricht angemessen zuverhalten. Diese Schüler können heftig von den Mitschülern angegriffenwerden, da sie durch ihr Verhalten den Mitschülern die Möglichkeitnehmen, positive Konsequenzen zu erhalten. Wenn eine Lehrkraftdiesbezügliche Angriffe zulässt, vernachlässigt sie das Prinzip: „Schutzder Person“. Die Lehrkraft sollte die Schüler auf diesen Zusammenhangso frühzeitig wie möglich hinweisen und die Schüler auffordern ein-ander mitzuteilen, wie die Art und Weise der Ansprache sein sollte,damit jeder einer entsprechenden Aufforderung durch seine Mitschülernachkommen und zur Ruhe kommen kann.

(Beispiel einer Fragestellung: Wie können dir die anderen sagen, dassdu zu laut bist und ruhig werden sollst, ohne dass du ärgerlich wirst?Wie möchtest du gerne angesprochen werden? Welche Ansprache hilftdir dabei, tatsächlich zur Ruhe zu kommen?)

Die Gesprächsergebnisse werden erfahrungsgemäß erstaunlich gutumgesetzt und eingehalten, wenn ein Austausch über die Vermeidungvon Konflikten frühzeitig erfolgt und Handlungsalternativen ausprobiertwerden können.

Diese Tatsache werten die Kinder als Erfolg. Erinnern Sie sich an dielerntheoretische Methode: Lernen am Modell?

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54 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Erfährt das Modell für sein Verhalten positive Konsequenzen, so wirddas Kind versuchen, es dem Modell gleichzutun. Das Kind lernt neuesVerhalten. Diese Möglichkeit wird den Kindern hier eröffnet.

Ein wichtiges Lernziel wird durch den Einsatz der Tabelle unterstützt:Die Kinder lernen Verantwortung zu übernehmen für ihr eigenes Ver-halten sowie für das Verhalten ihrer Mitschüler.

Voraussetzung für die Erreichung des Lernzieles ist es jedoch, dass dieLehrkraft ihre an die Schüler geäußerten Erwartungen in Einklang mitihrem eigenen Handeln bringt.

Wenn die Lehrkraft sich widersprüchlich verhält, führt dies zu einerDesorientierung der Schüler.

Zum Beispiel erwartet die Lehrkraft von den Schülern:„Wenn du etwas sagen möchtest, melde dich bitte und warte bis du zumSprechen aufgefordert wirst.“ Im Unterrichtsalltag kommt es jedoch vor,dass ein Schüler dazwischen ruft. Auch wenn der Beitrag noch so gut istund das Gespräch voran bringt, muss der Zwischenruf getadelt werden,wenn die Lehrkraft das Dazwischenrufen vermeiden will. Die Lehrkraftkann auf den guten Beitrag hinweisen, sollte jedoch in jedem Fall denSchüler mit einem Minuszeichen für die Tischgruppe daran erinnern,dass es eine bestimmte Regel gibt, die auch er einzuhalten hat. Dieselbst geäußerten Erwartungen mit dem eigenen Handeln in Einklang zubringen erfordert Selbstdisziplin.

Das Handeln der Lehrkraft muss im Einklang mit ihren Er-wartungen an die Kinder stehen.

Da ich Ihnen die Benutzung der Tabelle für die Unterrichtsruhe in einerneuen Klasse von Anbeginn an empfehle, sollten Sie den Umgang mitder Tabelle zuvor ausprobieren, denn es erfordert etwas Übung undSelbstdisziplin, die Tabelle zur Unterrichtsruhe zu führen. Anfangs istes sehr ungewohnt, die Tabelle während des Unterrichtens einzusetzen.Die Aufmerksamkeit der Lehrkraft ist hierdurch zweigeteilt. Die Lehr-kraft muss sich auf die Vermittlung der Unterrichtsinhalte sowie auf dieUnterrichtsruhe konzentrieren. Sie werden wahrnehmen, dass es weitausweniger anstrengend ist, in einer ruhigen Atmosphäre die Tabelle zu

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1. Soziales Lernen 55

führen und gleichzeitig zu unterrichten, als in einer lauten und span-nungsgeladenen Atmosphäre den Unterricht abzuhalten.

Nutzen Sie bestenfalls sechs Möglichkeiten der Hospitation. Führen Siewährend Ihrer Hospitationen die entsprechende Tabelle zur Unter-richtsruhe verdeckt. Notieren Sie die entsprechende Tabelle auf einemBlatt Papier und tragen Sie in diese Tabelle die Zeichen wie beschrie-ben ein. (Es wäre gut, wenn Sie die drei verschiedenen Tabellenformenausprobieren könnten.)

Welche Tabellenform war für Sie am leichtesten zu führen?

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56 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Welche Sitzordnung hilft den Schülern am meisten, um sich auf einegegenseitige ruhige Mitarbeit im Unterricht aufmerksam machen zukönnen?

Am leichtesten fällt mir die Durchführung der Tabellenform, die für dieSitzordnung der Kinder an Gruppentischen vorgesehen ist. MeinesErachtens ist dies auch die Sitzordnung, die den Kindern die bestegegenseitige Einflussnahme in Bezug auf eine gute Unterrichtsruheermöglicht. Bei den anderen Sitzordnungen (Hufeisen und Tischehintereinander) ist jeweils der unmittelbare Sitznachbar aufgefordert,auf die Einhaltung der Unterrichtsruhe zu achten. Wenn die Kinder anGruppentischen sitzen, können mehrere Kinder einen diesbezüglichenEinfluss ausüben. Die Verantwortung für die Unterrichtsruhe wirdbreiter gestreut und wird deshalb als entlastender von den Kindernempfunden als die anderen Möglichkeiten.

1.8.5 Fünftes Beispiel (Schulalltag):Die Unterrichtspause

Die Unterrichtspause stellt für die Schüler eine soziale Situation dar, diemit sehr hohen Anforderungen an die soziale Kompetenz einhergeht.Diese soziale Situation ist i. d. R. unstrukturiert und deshalb erfordertsie von den Schülern eine hohe soziale Kompetenz.

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1. Soziales Lernen 57

Überlegen Sie, wie sich diese Situation an Ihrer Schule gestaltet.

Zumeist können sich die Schüler nicht ausreichend und sinnvoll wäh-rend der Unterrichtspausen beschäftigen (z. B. Ballspiele mit Softbällen,Seilspringen, Gummitwist, Ruhezone), weil es entweder an Spielgerätenfehlt oder weil die Schüler im umgekehrten Fall aus unterschiedlichenGründen die Spielregeln nicht einhalten und deshalb miteinander inKonflikte geraten.

Die meisten Grenzüberschreitungen zwischen Schülern, die mit see-lischen und/oder körperlichen Verletzungen einhergehen, geschehen aufdem Schulhof während der Unterrichtspausen. Die dort stattfindendenKonflikte werden oftmals im Unterricht vehement fortgesetzt und dieUnterrichtsruhe leidet hierunter erheblich. Ich halte es für unbedingterforderlich, mit den Schülern zu besprechen, wie sie ihre Pausengestalten können. Es müssen insbesondere Aktivitäten gefunden wer-den, die die Schüler schätzen und die auf dem Schulhof umgesetztwerden können. Daneben ist es erforderlich, die Spielregeln zu bespre-chen, die an die unterschiedlichen Aktivitäten geknüpft sind. BeiVerstößen gegen die Spielregeln muss die Lehrkraft eine Art Schieds-richterfunktion übernehmen. Die Lehrkraft muss mit den Kindern dieKonflikte klären, die während der Unterrichtspause entstanden sind undmit den Schülern Regeln erarbeiten, die einer Konfliktvermeidungdienen. Die Lehrkraft sollte mit den Schülern die Gestaltung der Unter-richtspausen einüben.

Für die Lehrkraft (Klassenleitung) bedeutet dies, dass sie eine zeitlangauf ihre Unterrichtspausen verzichten muss. Aus dieser Forderungergibt sich ein Interessenkonflikt, denn die Lehrkräfte möchten aucheine Pause zwischen den Unterrichtsstunden einlegen können. Oftmals

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58 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

1 Hinweis: Wertvolle Anregungen für eine sinnvolle Pausengestaltung könnenSie der Broschüre „Aktive Pause“ entnehmen. Diese Broschüre wurde 1997von der Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung, Amt für Schule,Hamburg herausgegeben. Die Broschüre ist erhältlich bei der Behörde fürBildung und Sport, Amt für Schule - Referat Sport, Humboldtstr. 30, 22083Hamburg und kostet ca. 10 Euro.

werden die Pausen jedoch für anfallende Arbeiten genutzt, z. B. für dasKopieren von Unterrichtsmaterialien. Eine richtige Pause hat die Lehr-kraft dann auch nicht. Wenn dann auch noch das Unterrichten mitdiesen Materialien unmöglich wird, weil die Schüler Pausenkonflikte imUnterricht austragen, stellt sich für mich die Frage, ob nicht der vor-übergehende Verzicht auf die Unterrichtspausen für alle Seiten vorteil-hafter wäre?1

Neben den Unterrichtspausen gibt es im Schulalltag weitere unstruktu-rierte soziale Situationen, die Konflikte zwischen den Schülern provo-zieren. Denken Sie bitte einmal an die Garderobe, die die Schüler vorund nach dem Unterricht nutzen. Das heillose Gedränge, das jedes Malin der Garderobe entsteht, impliziert geradezu Grenzüberschreitungenzwischen den Schülern (blaue Flecken, Beulen, eingeklemmte Fingeretc.). Die Lehrkraft sollte mit den Schülern die Benutzung der Gar-derobe strukturieren. Ebenso verhält es sich z. B. im Kunstunterricht,wenn die Schüler das Werkzeug (z. B. Pinsel) an einem Waschbeckenreinigen sollen. Der Reinigungsplatz ist zu eng, es kommt unweigerlichzu einem Gedränge mit unangenehmen Folgen. Oder denken Sie an denAufbau eines Stuhlkreises innerhalb des Klassenraumes. Wenn auchhier ein regelhafter Ablauf des Aufbaus fehlt, kann dies ebenfalls mitunangenehmen Folgen verbunden sein.

Wenn Sie im Schulalltag die Augen offen halten, entdecken Sie eineweitaus größere Anzahl unstrukturierter sozialer Situationen als ich siehier vorgestellt habe.

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1. Soziales Lernen 59

Strukturieren Sie soziale Situationen gemeinsam mit den Schü-lern. Die Strukturierung sozialer Situationen geht mit einerBildung von Regeln zum Sozialverhalten einher. Wenn Sie dieStrukturierung sozialer Situationen gemeinsam mit den Schü-lern vornehmen, ergibt sich hieraus ein immenser Lerneffekt:Die Schüler können die Sinnhaftigkeit von Normen oder Regelnerfassen und sind deshalb weitaus eher bereit, die Normeneinzuhalten.

Wie kann eine Lehrkraft soziale Situationen gemeinsam mit den Schü-lern strukturieren? Das ist im Grunde genommen ganz einfach. DieLehrkraft sollte den Schülern schildern, welche soziale Situation siebeobachtet hat, mit welchen Konsequenzen die Schüler dabei kon-frontiert waren und welche Auswirkungen die erlittenen Konsequenzenauf das gemeinsame Ziel haben, eine gute Klassengemeinschaft herzu-stellen.

Beispiel: Wenn der Pausengong ertönt, wollt ihr alle so schnell wiemöglich in die Pause. Das kann ich gut verstehen. Ihr rastdann alle fast gleichzeitig in die Garderobe. Was passiertdann? Könnt ihr mir das einmal berichten? Gedränge, blaueFlecken, Streitereien etc. Genau, das habe ich auch be-obachtet. Wie findet ihr das? Nicht gut, aber wir sind dannwenigstens schnell in der Pause. Stimmt nicht! Ich habe dieZeit gestoppt. Wenn ihr die Garderobe auf diese Weisebenutzt, vergehen etwa 5 Minuten, bis der letzte Schüler inder Pause ist. Außerdem kommt es zum Streit und das hilftuns nicht, eine gute Klassengemeinschaft zu werden. Wiekönntet ihr es schaffen, wirklich schnell und ohne Gedrängeund Streit - also friedvoll - in die Pause zu kommen?Die Lehrkraft sollte die Vorschläge der Schüler an derWandtafel notieren und jeden Vorschlag mit den Schülernhinsichtlich seiner Effizienz überprüfen (wirklich schnell undfriedvoll). Dann wird über die Vorschläge abgestimmt. DerVorschlag, der die meisten Stimmen erhält, wird auspro-biert. Anschließend wird sich über die gesammelten Erfah-rungen ausgetauscht. Wenn das Ergebnis für alle Seitenbefriedigend ist, wird dieser Vorschlag zur Regel erhoben.Andernfalls werden die verbliebenen Vorschläge nochmalsgeprüft oder auch neue Vorschläge hinzugefügt und wiebeschrieben weiter vorgegangen.

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60 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Ich kann gar nicht oft genug betonen, wie wichtig und wertvoll diegemeinsame Strukturierung sozialer Situationen ist. Die Lehrkräftefördern durch die Strukturierung sozialer Situationen mit den Schülernauch die soziale Kompetenz der Schüler.

Die Lehrkräfte gewährleisten durch die Strukturierung sozia-ler Situationen den Schutz der Person und den Schutz desEigentums.

Die Lehrkräfte fördern auch die soziale Kompetenz der Schü-ler und gleichzeitig den Abbau der sozialen Angst, wenn dieLehrkräfte gemeinsam mit den Schülern soziale Situationenstrukturieren.

Warum wird der Schutz der Person und der Schutz des Eigentums durchdie Strukturierung sozialer Situationen weitestgehend gewährleistet?

Wieso kann die soziale Kompetenz der Schüler durch die Partizipationan der Strukturierung sozialer Situationen gefördert werden?

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1. Soziales Lernen 61

Wieso kann das Verhaltensmotiv der sozialen Angst durch die Struktu-rierung sozialer Situationen abgebaut werden?

Hier meine Antworten für Sie zum Vergleichen.

Der Schutz der Person und der Schutz des Eigentums wird durch dieStrukturierung sozialer Situationen gewährleistet, weil Regeln für dasSozialverhalten gebildet werden, durch die Konflikte von vorn hereinvermieden werden können. Andernfalls käme es weitaus häufiger zuseelischen und/oder körperlichen Verletzungen sowie möglichen Sach-beschädigungen.

Um soziale Situationen strukturieren zu können, muss man die sozialenSituationen betrachten und die Auswirkungen der Reaktionen in diesenSituationen in Bezug auf das gemeinsame Gruppenziel reflektierenkönnen. Bei diesem Vorgang werden verschiedene Verhaltensmöglich-keiten sichtbar, hilfreiche und nicht hilfreiche Verhaltensweisen. Nichtnur durch die Reflexion der Auswirkungen von Reaktionen, sondernauch durch die an die Strukturierung geknüpfte Möglichkeit, hilfreiche(und für einzelne Schüler möglicherweise neue) Verhaltensweisenausprobieren zu können, erhöht sich das Ausmaß der Fähigkeiten derSchüler zur Bewältigung sozialer Situationen.

Die erwarteten Reaktionen in sozialen Situationen lösen bei sozialängstlichen Schülern Befürchtungen von Frustration und Versagen aus.Die gemeinsame Strukturierung sozialer Situationen und die darangeknüpfte Erarbeitung von Regeln zum Sozialverhalten verschafft denSchülern die Erkenntnis, dass die Schüler und ihr Eigentum hierdurchgeschützt werden. Dieser Schutz beinhaltet eine gewisse Sicherheit vorGrenzüberschreitungen. Diese Sicherheit ist notwendig, um Befürch-

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62 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

1 Gene Stanford: Gruppenentwicklung im Klassenraum und anderswo, 2.Auflage, Aachen-Hahn 1991, Seite 13.

tungen vor Frustration und Versagen abbauen zu können. Zudem erhöhtdie Strukturierung sozialer Situationen und die daran geknüpftenRegeln das Auftreten hilfreichen Sozialverhaltens, was selbstverständ-lich auch zu einem Abbau sozialer Angst beiträgt.

Wenn parallel zur Strukturierung der sozialen Situationen die Entwick-lung einer Gruppe angeleitet wird, dann kann aus einem anfangs losenKlassenverband eine Klassengemeinschaft heranwachsen, die Sie nichtmehr missen möchten.

Eine gute Klassengemeinschaft oder eine erfolgreiche Klassen-gruppe zeichnet sich durch folgende Merkmale aus:

„ 1) Die Gruppenmitglieder verstehen und akzeptieren sichgegenseitig.

2) Die Kommunikation ist offen.

3) Die Mitglieder fühlen sich für Ihr Lernen und Verhaltenverantwortlich.

4) Die Mitglieder kooperieren miteinander.

5) Müssen Entscheidungen getroffen werden, gibt es festge-legte Verfahrensregeln.

6) Die Mitglieder sind fähig, sich offen mit Problemen ausein-anderzusetzen und ihre Konflikte auf konstruktive Weisezu lösen.

Erfolgreiche Klassengruppen sind - kurz gesagt - produktiveArbeitsgemeinschaften.“1

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1. Soziales Lernen 63

Die grundsätzlichen Hinweise für die Bearbeitung aktueller Verhaltens-und Erlebnisweisen und insbesondere auch die Initiierung der Gruppen-entwicklung unterstützen die Schüler darin, eine produktive Arbeits-gemeinschaft bilden zu können.

Wenden wir uns nun der Gruppenentwicklung zu.

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64 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

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2. Die Gruppenentwicklung 65

2. Die Gruppenentwicklung

Wahrscheinlich haben Sie schon einmal die Erfahrung gemacht, miteiner Klasse ein Spiel gespielt zu haben, das hervorragend ankam undin einer anderen Klasse völlig daneben ging.

Wie haben sich die Schüler untereinander und Ihnen gegenüber verhal-ten, bei denen das Spiel nicht ankam? Welches Verhalten konnten Siebeobachten?

Erinnern Sie sich an den Begriff der Gruppenentwicklung, den ich inder Einleitung kurz beschrieben habe? (Der Zusammenhalt einer Klasseerhält seine Ausgestaltung in Bezug auf die Art und Weise des Sozial-verhaltens über die Erfahrungen, die die Schüler im Umgang mitein-ander im Schulalltag sammeln können. Der Zusammenhalt einer Klasseentwickelt sich prozesshaft.)

Ob ein Spiel in einer Klasse ankommt oder nicht, hängt nicht nur vonder Verbreitung der sozialen Angst (Verhaltensmotiv) innerhalb derSchülerschaft ab, sondern auch in einem hohen Maße davon, wie weitdie Schüler in ihrem Gruppenentwicklungsprozess vorangeschrittensind. Zulässig ist die Schlussfolgerung, dass bei hoher Verbreitungsozialer Angst innerhalb der Schülerschaft einer Klasse mit einerVielzahl „verhaltensauffälliger“ Schüler zu rechnen ist. Ferner stocktder Gruppenentwicklungsprozess in einem für alle Seiten äußerstbelastenden Moment (siehe Fallbeispiel Christian). In der Regel ver-ändert sich das belastende soziale Klima einer betroffenen Klasse nichtmehr bis zum Schulende der Schüler, wenn ein Eingreifen durch dieLehrenden unterbleibt.

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66 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

1 Vor dem 3. Schuljahr ist das zentrale Thema einer Kindergruppe die Gruppen-bildung und noch nicht die Gruppenentwicklung. Vgl. Horst Nickel: Entwick-lungspsychologie des Kindes- und Jugendalters, 3. Auflage, Bern 1979, Seite128 ff.

Es besteht eine Wechselwirkung zwischen dem Verhaltens-motiv der sozialen Angst der Gruppenmitglieder und demEntwicklungsprozess einer Gruppe.

Je besser sich die Lehrkraft in die Lage der (sozial ängstlichen)Schüler einfühlen kann und damit Empathie zeigt, um so höherist die Wahrscheinlichkeit, dass die Lehrkraft die soziale Kom-petenz der Schüler und den Gruppenentwicklungsprozess derKlasse fördern kann.

Wie verläuft dieser Gruppenentwicklungsprozess und wie können dieLehrenden in den Gruppenentwicklungsprozess eingreifen und dabeigleichzeitig eine Veränderung des Verhaltensmotivs (soziale Angst) beiden Schüler erreichen?

2.1 Die Phasen der Gruppenentwicklung

Alle Gruppen durchlaufen den gleichen Gruppenentwicklungsprozess.Dabei ist es egal, ob es sich um eine Gruppe von Rentnern handelt, diesich regelmäßig trifft oder um Jugendliche, die regelmäßig gemeinsamihre Freizeit verbringen oder um Schulkinder (etwa ab dem 3.Schuljahr1), die gemeinsam in einer Klasse unterrichtet werden. Diegenannten Gruppen unterscheiden sich zwar hinsichtlich des Altersihrer Mitglieder und auf Grund der Ziele, die in der jeweiligen Gruppeverfolgt werden sowie in ihrer Entscheidung hinsichtlich der Gruppen-zugehörigkeit. Es gibt noch weitaus mehr Unterschiede - jedoch verbin-det diese Gruppen jeweils der gleiche Prozess des Zusammenwachsens.

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2. Die Gruppenentwicklung 67

1 Lowy/Bernstein: Untersuchungen zur sozialen Gruppenarbeit, LambertusVerlag 1969.

Nach Lowy/Bernstein1 handelt es sich dabei um fünf Gruppenentwick-lungsphasen:

1. Voranschluss und Orientierung,

2. Machtkampf und Kontrolle,

3. Vertrautheit und Intimität,

4. Differenzierung,

5. Trennung.

Die Gruppenentwicklung beginnt, wenn sich Personen erstmals in einerneu eröffneten Gruppe einfinden. An Hamburger Schulen tritt dieserFall für Schüler der Klassenstufe 5 ein. Die Schulklasse wird im folgen-den Text als Gruppe oder Klasse bezeichnet.

2.1.1 Die Gruppenentwicklungsphase„Voranschluss und Orientierung“

Es zeigt sich immer wieder, dass nahezu alle Kinder in ihrem neuenKlassenverband zu Beginn der Gruppenentwicklung eher ängstlichaufeinander reagieren, weil sie u.a. noch nicht wissen, wie nah sie demGruppenleiter (Lehrkraft) und einander gefühlsmäßig kommen müssen(wie viel sie von sich preisgeben müssen), um von möglichst allenGruppenmitgliedern angenommen und akzeptiert zu werden.

Die Kinder beschäftigen sich in der Voranschluss- und Orientierungs-phase hauptsächlich mit den Fragen:

S Wer ist von denjenigen, die ich bereits kenne und (nicht) mag, inmeiner Klasse?

S Wie wird mein neuer Lehrer sein?

S Wird er sich ähnlich wie mein letzter Lehrer verhalten?

S Ist er streng?

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68 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

S Kann er mir etwas beibringen? (Werde ich seine Erklärungenverstehen können?)

S Was muss ich tun, damit er mich mag?

S Wie sind die anderen Kinder? Sind sie größer, stärker, schwächer,dümmer als ich?

S Wen wird mein Lehrer bevorzugen?

S Sind die anderen Schüler geschickter als ich?

S Was muss ich tun, damit mich meine Mitschüler mögen?

S Werden wir gut miteinander auskommen?

S Werde ich den Unterrichtsstoff schaffen?

S Werde ich mich in der neuen Schule schnell zurecht finden? (Woist die Turnhalle?)

Ein Dilemma wird in dieser Gruppenentwicklungsphase sichtbar: JedesKind - so behaupte ich - will in seiner neuen Klasse gut zurecht kom-men und weiß, dass es sich zu diesem Zweck den Mitschülern und denLehrkräften annähern muss, dass es sich in die neue Situation einfügenmuss. Das Wissen um die Notwendigkeit der Annäherung und desSich-Einfügens löst insbesondere bei Kindern mit sozialer Angst Be-fürchtungen von Frustrationen und eigenem Versagen aus. DieseBefürchtungen führen i. d. R. dazu, dass den schulischen Anforderun-gen auf unterschiedliche Weise ausgewichen wird. Die Kinder reagierenauf sehr verschiedene Weise vor zu enger und schneller Einbeziehungin die Gruppe.

Diese Reaktionen können sein:

S Betont aggressives Verhalten Mitschülern und Lehrkräften gegen-über,

S Verweigerung von Gruppenaktivitäten, Bevorzugung von Einzel-arbeit,

S Wunsch nach sofortiger Aufstellung von Gruppenregeln undPlanung von Unterrichtsstunden,

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2. Die Gruppenentwicklung 69

S betonte Hilfsbereitschaft gegenüber Mitschülern und Lehrkräften(aufräumen, Tasche tragen, Arbeitsmaterialien ausleihen etc.).

Sie kennen wahrscheinlich ein Kind, das ständig während des Unter-richts zum Fenster hinausschaut; ein Kind, das ständig im Unterrichtaufsteht und durch die Klasse wandert (Müll wegbringen, Fensteröffnen etc.); ein Kind, das während des Unterrichts die Kapuze seinesPullovers über den Kopf zieht, sowie jenes Kind, das wild lärmendwährend des Unterrichts durch die Klasse rennt, andere Kinder schlägtetc.; ein Kind, das sofort einen festen formalen Rahmen (Regeln) fordertoder jenes Kind, das vor Hilfsbereitschaft platzt. Es erscheint unge-wöhnlich, dass alle diese Kinder etwas gemeinsam haben:

Alle diese Kinder schützen sich vor zu großer Nähe, vor seelischemKontakt mit den anderen Gruppenmitgliedern. Ihr Verhaltensmotivist i. d. R. die soziale Angst.

Um die eigene Makellosigkeit (Integrität) zu wahren und sich vorVerletzung in dieser neuen - und möglicherweise gefährlichen - Situati-on zu schützen, muss das einzelne Kind ein gewisses Maß an Distanzund an Kontrolle über seine Handlungen und ebenso über die äußereSituation wahren. Das Verhalten der vorsichtigen Annäherung odereiner betont ruppigen, aggressiven Art ermöglicht es dem Kind, miteinem Minimum an Risiko die Befriedigung zu erhalten, die es alserreichbar erkennt.

Um den Kindern zu helfen, sich in aller Ruhe zu orientieren, sollte dieLehrkraft Distanz gewähren, Informationen über die Arbeit in der neuenSchule geben, zum Durchforschen der räumlichen Umgebung ermutigenund behutsam zum Vertrauen auffordern. Die Lehrkraft muss in derLage sein, den Programmaufbau vorauszuplanen und Beschäftigungenvorzuschlagen, die Frustration und Konkurrenzverhalten abschwächenund einen schnellen Erfolg versprechen. Auf diese Weise kann daseinzelne Kind Befriedigung erhalten, ohne sich zu sehr selbst exponie-ren zu müssen.

Die gruppendynamischen Übungen zum gegenseitigen Kennenlernenund zum Kennenlernen der räumlichen Umgebung helfen den Schülerndabei, sich in ihrer neuen Schule und in ihrer neuen Klasse orientierenzu können. Doch dazu später mehr.

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70 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Bitte vergegenwärtigen Sie sich noch einmal die Fragen, die sich dieSchüler während der Phase „Voranschluss und Orientierung“ stellen.Vor ca. 20 Jahren haben die Schüler etwa drei bis vier Wochen benötigt,um diese Fragen zu klären.

Wird eine Klasse zum heutigen Zeitpunkt für die Klärung der Fragennicht angeleitet, so ist in der Regel zu beobachten, dass ein kleiner Teilder Klasse nach maximal drei bis fünf Tagen diese Phase überspringtund in die nächste Gruppenentwicklungsphase übergeht. (Bei diesemkleinen Teil der Klasse handelt es sich v. a. um Kinder mit dem Verhal-tensmotiv der sozialen Angst.) Das hat fatale Konsequenzen, denn derGroßteil der Klasse wird die Frage nach der Zugehörigkeit zur Gruppeebenfalls nicht klären können, da diese Schüler von den ‚Überspringern‘massiv daran gehindert werden. Die Klasse zerbricht sehr schnell inUntergruppen. In den Untergruppen wird die Zugehörigkeit geklärt. DieZugehörigkeit richtet sich nach dem Schutz, den die jeweilige Unter-gruppe vor den ‚Überspringern‘ bieten kann. Es ist zu beobachten, dasses immer wieder zu Streitereien zwischen den Untergruppen und den‚Überspringern‘ und den Lehrkräften kommt. Diese Streitereien könnenbis zum Auseinander gehen einer Klasse andauern.

Wenn die Schüler einer Klasse geklärt haben, ob die Zugehö-rigkeit zu ihrer Klasse ungefährlich ist und sich die Zugehörig-keit für die Schüler zur Klasse (Gruppe) lohnt, dann haben dieSchüler die erste Phase der Gruppenentwicklung abgeschlossenund sie können in die nächste Phase einsteigen.

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2. Die Gruppenentwicklung 71

2.1.2 Die Gruppenentwicklungsphase„Machtkampf und Kontrolle“

Sobald die Schüler die Entscheidung getroffen haben zur Gruppedazugehören zu wollen, beginnen sie folgende Fragen zu klären:

Wem gegenüber muss ich mich in der Gruppe unterordnen, weil erstärker, klüger, geschickter, angriffslustiger oder beliebter bei denanderen ist als ich?

Wem gegenüber kann ich mich durchsetzen, weil ich stärker, klüger,geschickter, angriffslustiger oder beliebter bei den anderen bin als er?

Die Klärung dieser Fragestellungen erfolgt wenig friedvoll. Häufige undinsbesondere heftige Beschimpfungen und tätliche Auseinanderset-zungen begleiten diesen Klärungsprozess. Die Schüler versuchen dieBeziehungen untereinander festzulegen und eine Ranghierarchie auf-zubauen. Es entstehen Untergruppen in der Gruppe. Auch Schutz-gemeinschaften können sich jetzt entwickeln. Die Größe dieser Unter-gruppen kann sehr variieren. So können sich beispielsweise zwei Kindergegen den Rest der Gruppe verbünden oder ein Großteil der Gruppekann sich gegen ein einziges Kind zusammenschließen. In dieserSituation kommt erstmals die Außenseiterproblematik oder das Sünden-bock-Denken auf. In beiden Fällen wird versucht, einzelne Schüler ausder Klassengemeinschaft auszugrenzen.

Die Konfliktklärung in der Machtkampf- und Kontrollphasehat höchste Priorität.

Auch die Lehrkräfte bleiben i. d. R. von verbalen Angriffen oder ‚Unver-schämtheiten‘ nicht verschont, da sie ebenfalls Mitglieder der Gruppesind. Und dennoch können die Lehrkräfte sich sicher sein, dass sie indieser Gruppenentwicklungsphase die bedeutsamste Beziehung zu denSchülern haben. Die Lehrkräfte sind die einzigen Gruppenmitglieder,die der Gruppe Erlaubnisse oder Verbote aussprechen können. DieLehrkräfte sind diejenigen, die etwas gewähren oder versagen können.Dadurch haben die Lehrkräfte den größten Einfluss auf die Dynamik derGruppe in diesem Entwicklungsabschnitt.

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72 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Die Lehrkräfte haben den größten Einfluss auf die Gruppen-dynamik in dieser Entwicklungsphase.

Um diesen hervorragenden Einfluss nutzen zu können, müssen dieLehrkräfte drei grundsätzliche Probleme aufgreifen und erfolgreich mitder Gruppe bearbeiten. Ich habe diese Probleme in Fragestellungengekleidet und bitte Sie, sich diese Fragen zu beantworten:

1. Problem: Auflehnung und Selbstbestimmung

Kann die Lehrkraft der Gruppe gestatten, die Autorität der Lehrkraft inangemessener Weise anzugreifen, so dass den Kindern bewusst wird,dass sie als einzelne und als Gruppe ein Maß an Selbstbestimmungbesitzen?

Können sich die Kinder sicher sein, dass die Lehrkraft bereit sein wird,die Selbstbestimmung der Schüler zuzulassen, ohne sie mit einemMachtwort zu unterbinden? Kann sich die Lehrkaft als Berater zurVerfügung stellen und die Schüler dabei unterstützen, eine für alleSeiten hilfreiche Selbstbestimmung auszuüben? (Am Beispiel einergemeinsamen Unternehmung (Ausflugsziele und inhaltliche Ausge-staltung) lassen sich die Fragen gut beantworten.)

2. Problem: Normenkrise

Kann die Lehrkraft dem jetzt verstärkt auftretenden Begehren derGruppe nach einer saftigen Bestrafung eines Gruppenmitglieds im Falleeiner Grenzüberschreitung widerstehen und die jeweiligen Konflikte mitder Gruppe konstruktiv lösen?

3. Problem: Schutz der Person/des Eigentums und Hilfestellung fürein konstruktives Handeln

Sichert die Lehrkraft jedem Kind ein annehmbares Maß an Sicherheitvor körperlichen und seelischen Angriffen anderer Kinder zu?

Kann die Lehrkraft die Schüler dabei unterstützen, eine gewisse Eigen-kontrolle oder Selbstbeherrschung zu erreichen, um z. B. Wutausbrüchegegenüber der Lehrkraft, den Mitschülern oder der räumlichen Umge-

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2. Die Gruppenentwicklung 73

bung zu vermeiden? Kann die Lehrkraft die Schüler dabei unterstützen,eine empfundene Wut in ein konstruktives Handeln zu verändern?

Die Konfliktklärung ermöglicht die Bildung von Regeln für dasSozialverhalten in einer Gruppe.

Je häufiger die Lehrkräfte auf Konflikte zwischen den Schü-lern eingehen und diese mit den Schülern lösen, um so wahr-scheinlicher ist die Einhaltung der Normen für das Sozial-verhalten durch die Schüler.

Aus gruppenpädagogischer Sicht ist es die Aufgabe der Lehr-kraft, die Gruppenmitglieder bei der Klärung ihrer Beziehun-gen zu unterstützen und der Gruppe beim Aufbau einer Grup-penstruktur Hilfestellung zu leisten.

Dabei beugt insbesondere die Gewährleistung des Schutzes derPerson und des Schutzes des Eigentums durch die Lehrkrafteiner Hackordnungsmentalität innerhalb der Gruppe vor.

Indem die Lehrkraft das Bestehen und den Charakter dieser Gruppen-entwicklungsphase klärt, werden die Schüler fähig, sich untereinanderund gegenüber der Lehrkraft zu öffnen und die Angst vor seelischenVerletzungen abzubauen sowie Vertrauen zueinander aufzubauen. Jetztkann die Gruppe in die nächste Entwicklungsphase übergehen.

Bei diesem Klärungsprozess in der Phase „Machtkampf und Vertrauen“sind Übungen hilfreich, auf die ich später zu sprechen komme. (Gleich-sam wichtig ist die Bearbeitung der aktuellen Verhaltens- und Erlebnis-weisen der Schüler.)

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74 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

1 Vgl. Langmaack, Braune-Krickau: Wie die Gruppe laufen lernt, 5. Auflage,Weinheim 1995.

2.1.3 Die Gruppenentwicklungsphase„Vertrautheit und Intimität“

Die Gruppenmitglieder haben sich während der Konfliktlösungsgesprä-che besser kennen gelernt. Die häufige Klärung und Lösung von Kon-flikten sowie die Erfahrungen, die die Schüler während der gruppendy-namischen Übungen sammeln können, schaffen eine relativ hoheIntimität innerhalb der Gruppe. Intimität bedeutet in diesem Zusammen-hang, dass die Gruppenmitglieder ein Zusammengehörigkeitsgefühlentwickeln konnten und nun besitzen. Der Wunsch nach Nähe kannbefriedigt werden, die Beziehungen zueinander werden intensiviert. DieBeteiligung am Gruppengeschehen erhöht sich. Die Fähigkeit, Gruppen-pläne aufzustellen und durchzuführen, wächst, obwohl diese Fertigkeitwieder zurückgeht, wenn Konflikte zwischen den Kindern aufkommen.In dieser wie in allen anderen Phasen haben Konflikte Vorrang undmüssen geklärt werden, bevor die Gruppe weiter arbeitet.

Mithilfe gruppendynamischer Übungen können die Schüler lernen, dieFähigkeiten ihrer Mitschüler zu akzeptieren und zu nutzen sowieToleranz hinsichtlich der Schwächen, die jedes Gruppenmitglied selbst-verständlich auch hat, aufzubringen. Die Schüler lernen, verlässlicheBeziehungen einzugehen.

In der neueren Literatur wird diese Gruppenentwicklungsphase häufigals Teil der Phase „Machtkampf- und Kontrolle“ gesehen.1 Obwohl ichdas Buch von Langmaack, Braune-Krickau empfehlen kann, halte ichdie Trennung der beiden Gruppenentwicklungsphasen für sinnvoll.Durch diese Trennung erhält die Phase „Vertrautheit und Intimität“ imVerhältnis zu den anderen Phasen eine gleichrangige Bedeutung. DiePhase „Vertrautheit und Intimität“ wird ebenfalls mit gruppendyna-mischen Übungen begleitet. Diesbezügliche Übungen sind m. E. er-forderlich, um den Schülern ein „Auskosten“ des Zusammengehörig-keitsgefühls zu ermöglichen. Mit dem Erleben des Zusammengehörig-keitsgefühls geht einher, dass die Schüler ein Abhängigkeitsbedürfniszur Gruppe gleichsam befriedigen können. „Man geht Bindungen einund macht sich damit auch wieder abhängig, jetzt aber nicht aus derUnsicherheit heraus - wie in der Anfangsphase - , sondern aus eigener

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2. Die Gruppenentwicklung 75

1 Langmaack, Braune-Krickau: Wie die Gruppe laufen lernt, 5. Auflage, Wein-heim 1995, Seite 75.

Entscheidung. Jeder hat (...) Stärken und Schwächen gezeigt, hat etwasinvestiert. Die Gruppe hat eine gemeinsame Geschichte.“1 Die Bezie-hungsstruktur innerhalb der Gruppe ist nun gut entwickelt, Regeln zumSozialverhalten unterstützen ein friedvolles Miteinander und die Bezie-hungen zueinander sind verlässlich. Konflikte werden jetzt nicht ver-mieden, aber sie können jedoch wesentlich leichter gelöst werden.Dieser Sachverhalt führt zu einer Zufriedenheit der einzelnen Gruppen-mitglieder und zu einem angenehmen sozialen Klima innerhalb derGruppe. Die Gruppe würde gern an diesem Zustand festhalten. DochLebendigkeit, Phantasie, Kreativität drohen in diesem „Harmonievaku-um“ verloren zu gehen. Die Gruppe benötigt neue Herausforderungen,in denen die Gruppenmitglieder ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten fürdie Gruppe zielorientiert und gewinnbringend zum Einsatz bringenkönnen. Nun steht die Gruppe vor ihrer nächsten Aufgabe: Die Gruppesoll den Unterrichtsstoff bewältigen, sie soll in diesem Sinne ihreArbeitsfähigkeit unter Beweis stellen und Ergebnisse produzieren.

Eine Gruppe, die sich in dieser Phase befindet, erkennen sie sofort: Siegehen gern in eine solche Gruppe. Sie sind vor dem Eintritt in dieKlasse entspannt, freuen sich auf die Schüler, können mit den Schülernlachen, arbeiten und angemessen streiten.

2.1.4 Die Gruppenentwicklungsphase „Differenzierung“

In dieser Phase werden die unterschiedlichen Fähigkeiten und Fertig-keiten der Gruppenmitglieder differenziert wahrgenommen. Die Grup-penmitglieder erwarten voneinander, dass jedes Gruppenmitglied seineFähigkeiten und Fertigkeiten der Gruppe zur Verfügung stellt, damitdiese ihr Ziel erreichen kann (Aufgabenbewältigung). In diesem Sinnhat die Gruppe nun eine Ebene erreicht, die als Sachebene bezeichnetwerden kann. Die Themen, mit denen die Sachebene gefüllt wird,werden dem Unterrichtsstoff entnommen. Die Gruppenmitglieder, dieüber ausgeprägte Fähigkeiten und Fertigkeiten verfügen, die dieserSachebene dienen, verbessern ihren Status innerhalb der Gruppe, wennsie ihr Wissen in respektvoller Weise an die Gruppe geben. Diese

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76 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

1 Paul Watzlawick, Janet H. Beavin, Don D. Jackson: Menschliche Kommuni-kation, 5. Auflage, Wien 1980.

Gruppenmitglieder werden als Führungspersonen innerhalb der Gruppeanerkannt und übernehmen Aufgaben der Gruppenleitung, die andern-falls nur die Lehrkraft wahrnehmen würden. Nach wie vor ist es fürjedes Gruppenmitglied von sehr hoher Bedeutung, von der Gruppe alswichtiges und zu respektierendes Mitglied wahrgenommen und be-handelt zu werden. Jedes Gruppenmitglied hat in unterschiedlicherAusprägung das Bedürfnis, auch einmal Führungsaufgaben innerhalbder Gruppe übernehmen zu wollen. Da das Unterrichtsangebot vielfälti-ge Fähigkeiten und Fertigkeiten abfordert, ist die Wahrscheinlichkeitsehr hoch, dass jedes Gruppenmitglied entsprechend seines Potentialsbedient werden und Führungsaufgaben übernehmen kann.

Die Rolle der Lehrkraft verändert sich in dieser Gruppenentwicklungs-phase entscheidend. Die Lehrkraft überträgt die Verantwortung für dasLernen und Verhalten der Schüler auf die Schüler. Die Übernahme derVerantwortung für das Lernen und Verhalten der Schüler durch dieSchüler geschieht nicht abrupt, sondern sukzessive. Die Schüler habenin den vorangegangenen Phasen zunehmend am Gruppengeschehenpartizipiert. Sie haben gelernt, miteinander zu kommunizieren, gemein-sam mit Konflikten umzugehen und diese zu lösen, Entscheidungen zutreffen und Regeln für das Sozialverhalten zu formulieren sowie ver-trauensvolle und verlässliche Beziehungen zueinander aufzubauen. Derletzte Schritt in der Phase der Differenzierung besteht darin, die Gruppedarin anzuleiten, auf der Sachebene miteinander zu kooperieren unddabei den Beziehungsaspekt1, der in jeder Kommunikation enthalten ist,angemessen zu berücksichtigen. Die Kooperation auf der Sachebenedarf nicht mit gegenseitigen seelischen Verletzungen auf der Bezie-hungsebene einhergehen. Diese seelischen Verletzungen auf der Bezie-hungsebene können geschehen, wenn z. B. ein Gruppenmitglied ver-sucht, die Führung auf der Sachebene an sich zu reißen, indem es sichbesserwisserisch, beleidigend oder/und bevormundend gegenüber denanderen Gruppenmitgliedern verhält.

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2. Die Gruppenentwicklung 77

Sicher kennen Sie einen Schüler, der sich während der Zusammenarbeitmit anderen Schülern z. B. besserwisserisch, beleidigend und/oderbevormundend gegenüber seinen Mitschülern verhält.

Welche Formulierungen gebrauchen die Mitschüler, wenn sie diesengrenzüberschreitenden Schüler kritisieren?

Wie sollten die Mitschüler ihre Kritik formulieren, damit der grenzüber-schreitende Schüler den Kern des Konflikts nachvollziehen und in derFolge eher bereit sein kann, sein Verhalten zu ändern?

Ein Tipp: Es hilft dem grenzüberschreitenden Schüler zunächst zuerfahren, welche seiner Fähigkeiten und Fertigkeiten die Mitschülerbrauchen, weil die Mitschüler hierdurch Unterstützung erfahren. (Wel-che Fähigkeiten und Fertigkeiten soll der Schüler zur Verfügung stellen,weil die Gruppe dieses Know how braucht?) In einem zweiten Schrittsollten die Mitschüler äußern, auf welche Art und Weise der grenzüber-schreitende Schüler ihnen dieses Wissen nahebringen sollte, damit siees auch tatsächlich nutzen können. (Z. B.: „Ich wünsche mir von dir,dass du meine Ideen ernst nimmst, die ich dir sage. Wenn du über meineIdeen lachst, ärgere ich mich darüber und ich kann dir nicht mehraufmerksam zuhören.“)

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78 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

2.1.5 Die Gruppenentwicklungsphase „Trennung“

Diese Entwicklungsphase vollzieht sich im „Projekt: Soziales Lernen“wesentlich sanfter, als es beispielsweise in anderen Gruppenzusammen-hängen der Fall ist. Die Schüler bleiben ja in ihrem Klassenverband unddie Lehrkräfte sind weiterhin von den Kindern erreichbar. In höchstenszwei bis drei Stunden ist die „Trennung“ („Projekt: Soziales Lernen“)vollzogen. In diesen Stunden finden Wiederholungen beliebter Übungenstatt, spricht die Gruppe noch einmal über das, was sie miteinandererlebt hat, was eindrucksvoll in Erinnerung geblieben ist und wasfortgesetzt werden sollte.

Die verschiedenen Gruppenentwicklungsphasen sind in der Praxis nichtso klar voneinander getrennt, wie es in der Theorie beschrieben wird. Inder Praxis geht eine Gruppe in ihrer Entwicklung i. d. R. zwei Schrittevor und einen zurück. Nach meiner Erfahrung hat eine Gruppe (Schul-klasse) in ca. zwei Jahren die Gruppenentwicklung durchlaufen, wenndie Gruppe angeleitet wird. Die einzelnen Gruppenentwicklungsphasenhaben eine unterschiedliche Dauer. Die folgenden Zeitangaben könnenlediglich als Richtwerte verstanden werden: „Voranschluss und Orien-tierung“ ca. drei Monate, „Machtkampf und Kontrolle“ ca. acht Monate,„Vertrautheit und Intimität“ ca. vier Monate, „Differenzierung“ ca. dreiMonate, „Trennung“ wenige Stunden. Insgesamt beträgt die Unterricht-szeit in zwei Schuljahren etwa 18 Monate und die unterrichtsfreie Zeitetwa 6 Monate (= 24 Monate).

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2. Die Gruppenentwicklung 79

Übungsaufgabe 1

Bitte skizzieren Sie umseitige Tabelle auf einem Blatt Papier undordnen Sie Ihre Antworten in diese Tabelle ein. (Ich nenne die Tabelle„Lernzuwachs“.)

An welchem Schülerverhalten können Sie die verschiedenen Gruppen-entwicklungsphasen erkennen (ausgenommen: „Trennung“)?

Worauf begründet sich das Schülerverhalten in den verschiedenenPhasen (ausgenommen: „Trennung“)? Wie wird es erklärt?

Welches gruppenpädagogische Ziel können die Schüler jeweils am Endeeiner Phase erreichen (ausgenommen: „Trennung“)?

Die Aspekte sozial kompetenten Verhaltens werden bei den Schülern inden verschiedenen Gruppenentwicklungsphasen besonders stark an-gesprochen bzw. gefördert. Bitte ordnen Sie die Schwerpunkte derFörderung der Aspekte den Phasen zu (ausgenommen: „Trennung“).

Bitte erinnern Sie sich an Ihre erste Aufgabe in diesem Lehrbrief. Siesollten beantworten, wie sich die Schüler Ihrer Meinung nach imUnterricht verhalten sollen, damit Sie mit dem Schülerverhalten zu-frieden sein können. In jeweils welcher Gruppenentwicklungsphase sinddie Schüler am besten in der Lage, die Sinnhaftigkeit Ihrer Erwartun-gen an die Schüler (Lernziele) nachvollziehen zu können? In welcherGruppenentwicklungsphase sind die Schüler für Ihre Lernziele be-sonders empfänglich?

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80 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Tabelle: Lernzuwachs

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2. Die Gruppenentwicklung 81

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82 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

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3. Konflikte in der Gruppe 83

3. Konflikte in der Gruppe

Sie wissen jetzt, dass es in allen Gruppenentwicklungsphasen zu Kon-flikten kommt. Am heißesten geht es dabei in der Phase „Machtkampfund Kontrolle“ zu. Für die Praxis in der Schule ist es notwendig, sämtli-che Konflikte, die sich im Schulalltag zwischen den Schülern undzwischen den Lehrkräften und den Schülern ergeben, gemeinsam zulösen. Zumeist wird dieser wichtige Schritt vernachlässigt.

3.1 Die Auswirkungen der Konfliktvermeidung

Die Konfliktvermeidung ist nach meiner Erfahrung der wichtigsteGrund, weshalb viele Schulklassen nicht über die Machtkampf- undKontrollphase hinaus kommen (siehe Fallbeispiel: Christian). Ewigschwelende oder häufige offene Konflikte sind die Folge. Zudemverhindert die Konfliktvermeidung ein Aushandeln von Regeln für dasSozialverhalten. Während der zahlreichen Konfliktklärungen, ins-besondere in der Gruppenentwicklungsphase „Machtkampf und Ver-trauen“ müssen Normen mit den Schülern ausgehandelt werden, die sichauf das Sozialverhalten im Umgang miteinander beziehen. Andernfallssetzt sich die Gruppe selbst Regeln, die mit den Verhaltenserwartungender Lehrkräfte kaum etwas gemein haben. Diese von den Schülernselbst aufgestellten Regeln führen dazu, dass die Gruppe nicht arbeits-fähig sein kann.

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84 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

3.2 Der Umgang mit Konflikten

Was macht den Umgang mit Konflikten in der Schule so schwierig?Richtig ist, dass die Konfliktlösung tatsächlich recht schwierig wird,wenn sich in einer Klasse Schutzgemeinschaften gebildet haben. Ausmeiner Erfahrung kann eine versierte Fachkraft in einer solchen Situati-on das Ruder zwar herum reißen, entsprechende Fachkräfte sind jedochrar gesät. Deshalb ist es m. E. unbedingt erforderlich, die Bildung vonSchutzgemeinschaften von Anbeginn an zu verhindern. Es drängt sichdie Frage auf, wie dies gelingen kann?

! Da Sie in der Schule tätig sind, kennen Sie folgende Situation mitSicherheit. Lesen Sie sich bitte das Beispiel in Ruhe durch undbeantworten Sie anschließend die Fragen.

Beispiel: „Christian hat Thomas verprügelt!“Die Lehrkraft befindet sich auf dem Weg in den Klassen-raum. Es laufen ihr einige Schüler aus ihrer Klasse ent-gegen, die sehr aufgeregt wirken. Die Schüler sprechen dieLehrkraft an: „Christian hat Thomas verprügelt! Thomasweint.“ Nun kommen weitere Schüler aus derselben Klasseund fügen hinzu: „Thomas hat Christian getreten und gebis-sen!“ Die Lehrkraft versucht die Tür des Klassenraumes zuöffnen und kommt vor lauter Gedränge kaum an das Tür-schloss. Sie schafft es endlich die Tür zu öffnen und dieSchüler strömen in den Klassenraum. Alle setzen sich aufihre Plätze. Es herrscht noch allgemeine Unruhe. Thomasweint und schreit Christian voller Wut an: „Du blödes Arsch-loch, nachher mach ich dich fertig!“ Christian schreit trium-phierend zurück: „Wer hat denn aufs Maul gekriegt?“ EinigeSchüler lachen. Thomas zieht die Kapuze seines Pulloversüber den Kopf und schluchzt. Die Lehrkraft schaltet sich ein.Ihre Stimme verrät Verärgerung: „So, nun aber Schluss! Ichhabe euch hundertmal gesagt, dass ihr euch nicht schlagensollt! Wir haben jetzt Deutschunterricht. Nehmt bitte eureBücher heraus und schlagt Seite 128 auf. Maria, lies bittevor.“

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3. Konflikte in der Gruppe 85

Was denkt Thomas vermutlich jetzt und wie fühlt er sich in dieserSituation?

Was denkt Christian vermutlich jetzt und wie fühlt er sich in dieserSituation?

Was denken vermutlich die Schüler in dieser Situation, die die Lehrkraftauf den Konflikt zwischen Christian und Thomas hingewiesen haben?

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86 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Was denken vermutlich die Schüler in dieser Situation, die nur be-obachten konnten, dass die beiden Jungen sich im Klassenraum an-geschrieen haben?

Was denken die Schüler vermutlich in dieser Situation, die überChristians Äußerung gelacht haben?

An welche Norm (Verhaltenserwartung) hat die Lehrkraft die Schülererinnert?

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3. Konflikte in der Gruppe 87

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Schüler in Zukunft andiese Norm halten werden?

Was wird vermutlich im Verlauf der Unterrichtsstunde geschehen?

Warum übergeht die Lehrkraft diesen Konflikt? Was vermuten Sie?

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88 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Hier die Antworten für Sie zum Vergleichen:

Thomas fühlt sich vermutlich hundeelend, weil er in dieser Situation derUnterlegene war und Blessuren davon getragen hat. Er wird sich fragen,warum die Lehrkraft sich nicht in diesen Konflikt eingeschaltet und ihmzur Seite gestanden hat? Und er wird sich fragen, ob er sein Ansehenbei seinen Mitschülern, die gelacht haben, wieder herstellen kann - ober seinen Stand oder Status in der Gruppe retten kann? Sicher ist, dassihn seine Niederlage und die Fragen soweit beschäftigen werden, dasser sich kaum oder gar nicht auf den Unterricht konzentrieren kann.Sicher ist auch, dass sein Vertrauen zu der Lehrkraft und zu den Mit-schülern gesunken ist.

Christian empfindet sich als der Sieger in dieser Situation, der anAnsehen bei den Mitschülern gewonnen hat. Christian geht davon aus,dass er seinen Stand oder Status in der Gruppe verbessern konnte. Ausder Siegerposition heraus, wird sich Christian kaum Fragen stellen.Christian hat erfahren, dass er seine Interessen mit Gewalt durchsetzenkann, ohne dass er mit unangenehmen Konsequenzen konfrontiertwurde. Christian wird schlussfolgern, dass er sich so verhalten darf!

Die Schüler, die die Lehrkraft auf den Konflikt zwischen Christian undThomas hingewiesen haben, werden verunsichert sein. Denn an ihrenHinweis ist nicht nur eine gewisse Sensationslust geknüpft, sondernauch die Erwartung, dass die Lehrkraft etwas unternehmen muss, umdiesen handfesten Streit zu schlichten. Sie soll aus Sicht der SchülerChristian oder Thomas (je nachdem auf wessen Seite die Schülerstehen) jeweils vor dem anderen schützen. Gleichzeitig soll die Lehr-kraft den vermeintlichen Verursacher des Konfliktes bestrafen. Da dieLehrkraft die Erwartungen der Schüler nicht erfüllt, werden die Schülersich überlegen, welchen Schutz sie ergreifen müssen, um sich imKonfliktfall vor Christian selbst schützen zu können. Das Ansehen unddie Autorität der Lehrkraft als Gruppenleitung leiden.

Die Schüler, die nur beobachten konnten, dass sich die Jungen imKlassenraum angeschrieen haben, sind ebenfalls auf Grund der Re-aktion der Lehrkraft verunsichert und vermissen den Schutz der Persondurch die Lehrkraft. Auch diese Schüler werden Überlegungen an-stellen, wie sie sich selbst vor Übergriffen anderer Gruppenmitgliederschützen können. Diese Schüler werden ebenfalls verunsichert sein,

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3. Konflikte in der Gruppe 89

weil keine Bestrafung erfolgte. Das Ansehen und die Autorität derLehrkraft als Gruppenleitung leiden.

Die Schüler, die über Christians Äußerung zu Thomas gelacht haben,signalisieren hiermit, dass sie das Mittel der Gewalt in dieser Situationnicht in Frage stellen und dass sie Christian als Vorbild akzeptieren.Christian ist ja derjenige, der ganz offensichtlich vor Grenzüberschrei-tungen beschützen kann. Das Ansehen und die Autorität der Lehrkraftals Gruppenleitung leiden.

In der obigen Aufgabe hat die Lehrkraft an die Norm erinnert „ DieSchüler sollen sich nicht schlagen!“. Die Wahrscheinlichkeit, dass sichdie Schüler zukünftig nach dieser Norm richten werden, halte ich fürsehr gering, weil der Konflikt nicht gelöst wurde.

Der ungelöste Konflikt nimmt einen großen Raum in der Unterrichts-stunde ein. Die Schüler können sich nicht ausreichend auf den Unter-richtsstoff konzentrieren. Sie sind durch den Konflikt abgelenkt. WennThomas seine Niederlage als unerträglich empfindet, dann wird erChristian mehrfach in der Unterrichtsstunde attackieren. Christiankönnte seinerseits den Triumph über seinen Sieg stärker auskostenwollen und Thomas deshalb weiter piesacken. In jedem Fall ist mitUnterrichtsstörungen zu rechnen.

Wenn die Lehrkraft die Konflikte mit den Schülern auch zukünftig nichtlöst, ist zu erwarten, dass den Anweisungen der Lehrkraft nach einerangemessenen Unterrichtsruhe kaum Folge geleistet werden wird, weildie Lehrkraft an Ansehen und Autorität verloren hätte. Eine diesbe-zügliche einmalige „Verfehlung“ der Lehrkraft wird i. d. R. von denSchülern toleriert.

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90 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

1 Coser, L. A.: Theorie sozialer Konflikte, Luchterhand Neuwied/Berlin, 1972.In: Klaus Antons: Praxis der Gruppendynamik, Göttingen 1976, Seite 224.

3.3 Die häufigsten Befürchtungen derLehrkräfte in Konfliktsituationen

Konflikte werden oftmals als etwas Unangenehmes empfunden. Nachmeiner Erfahrung übergehen Lehrkräfte die Konflikte zwischen denSchülern zumeist deshalb, weil die Lehrkräfte befürchten, dass ihnendie Klasse während des Gespräches aus dem Ruder läuft. Häufig beto-nen die Lehrkräfte auch, dass ihnen das Wissen über die Konflikt-klärung fehle und sie deshalb gar nicht wüssten, wie Konflikte in einemGespräch mit den Schülern besprochen werden könnten. Auch befürch-ten Lehrkräfte, dass sie in einem Konfliktgespräch mit den Schülerneinem Schüler zu nahe treten könnten und dieser deshalb explodierenkönne. Letztlich steht die Befürchtung der Lehrkräfte im Raum, in einerKonfliktsituation als Moderator zu versagen.

Die Befürchtung, in einer Konfliktsituation als Moderator zu versagen,kann erheblich gemildert werden, wenn sich die Lehrkraft in Erinnerungruft, was ein Konflikt überhaupt ist und welche Aufgabe die Lehrkraftbei einer Konfliktklärung übernehmen sollte. „Ein Konflikt ist einKampf um Werte, Status, Macht und Mittel ...“1 In jeder Gruppe kämp-fen die Gruppenmitglieder in der Gruppenentwicklungsphase „Macht-kampf- und Kontrolle“ darum, wer den größten Einfluss besitzt, wersich am besten durchsetzen kann, wer die höchste Anerkennung in derGruppe genießt (Status) usf. Die Aufgabe der Lehrkraft sollte darinbestehen, die in einem konkreten Konflikt einander zuwiderlaufendenInteressen der Konfliktpartner sichtbar zu machen. Dabei ist unbedingtzu bedenken, dass es einen Konfliktauslöser und eine Konfliktursachegibt.

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3. Konflikte in der Gruppe 91

3.4 Die Frage nach der Schuld an einemKonflikt

Nehmen wir in Bezug auf das Beispiel: „Christian verprügelt Thomas!“an, dass Christian Thomas verprügelt hat, weil Thomas Christianwährend der Unterrichtspause den Fußball weg geschossen hat. Thomaswar auch nicht bereit, den Fußball wieder zu holen. Thomas hat statt-dessen Christian mit Schimpfworten belegt: „Hol dir den Ball dochselbst, du Wichser!“

Erfahrungsgemäß kommen Lehrkräfte unter Hinzufügung des neuenSachverhaltes (Verhalten von Thomas) oftmals zu dem Schluss, dassThomas es verdient hat, von Christian in seine Schranken gewiesenworden zu sein. (Christian hätte nur nicht (so stark) zuschlagen sollen.)Und genau an dieser Stelle gerät die Konfliktlösung ins Wanken. WennThomas es verdient hat, von Christian entsprechend behandelt wordenzu sein, dann muss Thomas auch die Schuld an dem Konflikt haben. DieFrage nach der Schuld versperrt jedoch den Blick für die einanderwidersprechenden Interessen. Warum hat Thomas dem Christian denBall weg geschossen und Christian dann auch noch beleidigt? Erfah-rungsgemäß schießt ein Thomas einem Christian den Ball weg, weilsich Thomas über Christian geärgert hat. Thomas hat sich erfahrungs-gemäß über Christian geärgert, weil Christian den Status von Thomasöffentlich, also vor der Gruppe, angegriffen hat.

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92 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

3.5 Die Konfliktlösung

Wenn ich mit einem Konfliktlösungsgespräch beginne, habe ich immerim Gedächtnis, dass sich ein Kampf um den Status hinter dem kon-kreten Konflikt verbergen kann.

Im Beispiel: „Christian verprügelt Thomas!“ nehme ich wahr, dassbeide Jungen emotional aufgewühlt sind. Deshalb spreche ich dieseSchüler nicht direkt an, sondern befrage zunächst die Mitschüler. Zuvorzeichne ich die Tabelle für die Unterrichtsruhe an die Wandtafel undbenutze diese während des Gespräches. Außerdem weise ich darauf hin,dass während des Gespräches niemand beleidigt werden darf, weildadurch der Streit noch größer werden kann. Sollten Beleidigungenwährend des Gespräches erfolgen, unterbreche ich sofort, weise auf dieRegel hin und notiere ein Minuszeichen in die Tabelle.

Dann geht‘s los. Ich frage die Mitschüler: „ Wer hat von euch bei demKonflikt, der in der Pause geschehen ist, etwas direkt gesehen odergehört?“ Ich notiere die Namen der Mitschüler an die Tafel und befragedann diese Mitschüler der Reihe nach: „Was hast du direkt gesehen odergehört (und nicht von Dritten erfahren)?“

Auf diese Weise kläre ich, wer die unmittelbaren Konfliktpartner sindund welcher Auslöser des Konfliktes durch die Mitschüler beobachtetwurde.

Während die Mitschüler über ihre Wahrnehmungen berichten und ichdiese an die Wandtafel in Kurzform notiere, können sich die unmittelba-ren Konfliktpartner beruhigen. Sie werden erfahrungsgemäß damitbeginnen, den Schilderungen der Mitschüler zuzuhören. Die unmittelba-ren Konfliktpartner werden Abweichungen zwischen den Schilderungender Mitschüler und ihren eigenen Wahrnehmungen feststellen. Jetztwerden sich die unmittelbaren Konfliktpartner am Gespräch beteiligenund ihre jeweilige Sichtweise vortragen. Dabei darf keiner den anderenunterbrechen (Tabelle zur Unterrichtsruhe: Einer spricht zur Zeit).Während dieser Beschreibung des Konfliktes werden erfahrungsgemäßMitschüler benannt, die sich in irgendeiner Weise in den Konfliktzwischen Thomas und Christian eingemischt haben. Manche Mitschülernutzen die Gunst der Stunde, um ihren eigenen Statuskampf an einemder unmittelbaren Konfliktpartner fortzuführen. Zum Beispiel kann MaxThomas festgehalten haben, damit sich Christian frei entfalten konnte.

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3. Konflikte in der Gruppe 93

Andere Mitschüler bemühen sich um die Deeskalation des Konfliktes.Die Mitschüler, die sich in den Konflikt eingemischt haben, nenne ichhinzugekommene Konfliktpartner. Den hinzugekommenen Konflikt-partnern sage ich, dass ich später auf ihr Verhalten zu sprechen komme.

Ich stelle nach dem Bericht der unmittelbaren Konfliktpartner fest, dassdiese sich erheblich attackiert haben und werfe die Behauptung auf,dass hinter einem solchen Streit noch ein anderer, tieferer Grund liegenmuss.

Ich befrage dann Thomas, worüber er sich bei Christian vor dem jetzi-gen Konflikt geärgert hat. Die Antworten, die ich dann erhalte, beziehensich zumeist auf den Status des Schülers (Thomas) innerhalb der Grup-pe. Z. B.: „Der verbreitet bei den anderen Lügen über mich!“ oder „Derlacht mich immer vor den anderen aus, wenn ich eine schlechte Zensurerhalten habe!“ Ich räume nun ein, dass ich mich auch über solcheAngriffe ärgern würde. („Das würde mich auch stören.“) Dann befrageich Christian, ob es zutrifft, was Thomas gerade gesagt hat. Eine mögli-che Antwort von Christian könnte es sein: „Von dem lasse ich mir dochnichts gefallen! Der spinnt ja wohl! Neulich hat er mich bei Max in diePfanne gehauen und behauptet, ich hätte Max die Federtasche weggenommen. Das stimmt aber gar nicht!“ Ich fasse dann ChristiansBeitrag zusammen und stelle die Verletzungen heraus, die Christiandurch Thomas erhalten hat. Auch gegenüber Christian räume ich ein,dass mich solche Angriffe ärgern würden.

Jetzt fasse ich meinen Eindruck über die Gesprächsaussagen der beidenJungen zusammen: Ihr verletzt euch gegenseitig z. B. mit den Äußerun-gen, die wir eben gehört haben. Ihr macht euch gegenseitig vor denanderen Schülern schlecht. Dafür rächt ihr euch aneinander. Keiner willschlecht vor den anderen Schülern dastehen. Jeder von uns möchte, dassdie anderen Schüler uns mögen. Im Grunde genommen könntet ihr euchganz gut verstehen, wenn ihr mit dem gegenseitigen Schlechtmachenaufhörtet. Ich habe den Eindruck, dass es euch beiden nicht gefällt, wieihr miteinander umgeht.

Was könnt ihr tun, damit ihr besser miteinander zurechtkommen könnt?Die Mitschüler sollten Vorschläge zu dieser Frage leisten, wenn Tho-mas und Christian die Phantasie ausgeht. Die Verhaltensweisen solltenso konkret wie möglich beschrieben werden. Anschließend fordere ich

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94 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Thomas und Christian auf, den Konflikt zu beenden. (Einleitung: Ichfreue mich, wenn ihr euch jetzt die Hände reichen könnt und damitzeigt, dass ihr in Zukunft anders miteinander umgehen wollt.) Es istäußerst wichtig, dass Thomas und Christian miteinander Frieden schlie-ßen, um einen Neubeginn starten können.

Jetzt leite ich mit der Gruppe Regeln zum Sozialverhalten ab, die sichauf den Status der Schüler in der Gruppe beziehen. Hierfür benutze ichBeispiele, die während des Konfliktgespräches genannt wurden. (Ein-leitung: Wie würdest du dich fühlen, wenn dich jemand vor den anderenblamieren würde? Beispiel: Du hast aber bescheuerte Klamotten an!)

Im Anschluss werden die hinzugekommenen Konfliktpartner befragt:„Was könnt ihr tun, damit ein Konflikt zwischen Schülern gestoppt undnicht verstärkt wird?“ Die Schüler finden einen Weg aus der Sackgasse,weil sie sich grundsätzlich ein friedvolles Miteinander wünschen. Eswerden Absprachen für ein friedvolles Miteinander getroffen. Diegetroffenen Absprachen gelten als Regeln für das Sozialverhalten, wennSchüler einen Konflikt zukünftig beobachten.

Ach ja, da sind ja noch der verschossene Ball von Christian und diePrügel, die Thomas bezogen hat. Ich frage die Schüler zum Abschlussdes Konfliktgespräches, wie wir mit dem verschossenen Ball und denPrügeln umgehen sollten? Erfahrungsgemäß klären die Schüler jetzt nurnoch, wer den verschossenen Ball zurückholen soll. (Christian undThomas haben sich ja schon entschuldigt...) Meistens hilft dann einChristian einem Thomas beim Suchen des Balles. Wird der Ball nichtgefunden, muss Thomas den Ball ersetzen. Falls er dies nicht kann,sollte über den Gebrauch der Klassenkasse mit den Schülern gesprochenwerden.

Anmerkung: Bei einem nächsten Konflikt zwischen den Gruppenmit-gliedern, werden nach der Konfliktklärung die bereits aufgestelltenRegeln zum Sozialverhalten betrachtet und gemeinsam überlegt, anwelchen Stellen in der sozialen Situation (Konflikt) diese Regelngebrochen wurden. Unter Umständen müssen die Regeln zum Sozial-verhalten modifiziert und/oder neue Regeln hinzugefügt werden.

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3. Konflikte in der Gruppe 95

3.5.1 Erstes Konfliktlösungsverfahren

Ich beginne diesen Abschnitt mit Aufgaben, die Sie lösen sollen.

Bitte leiten Sie aus meinem beschriebenen Vorgehen (Konfliktlösungs-gespräch) eine Reihenfolge meiner Arbeitsschritte ab. Diese Reihenfol-ge stellt ein Verfahren zur Konfliktlösung dar. Prägen Sie sich diesesKonfliktlösungsverfahren gut ein, denn Sie werden es wahrscheinlichgebrauchen können.

Machen Sie sich bitte noch einmal bewusst, wann ein Schüler sich inBezug auf seinen Status angegriffen fühlt.

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96 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Durch welche Verhaltensweisen kann der Status eines Schülers vonseinen Mitschülern und den Lehrkräften angegriffen werden?

Formulieren Sie bitte aus Ihrer Erinnerung ausschließlich Redebeiträgebzw. Äußerungen von Schülern und Lehrkräften, mit denen der Statuseines Schülers innerhalb einer Gruppe angegriffen wurde.

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3. Konflikte in der Gruppe 97

Hier gebe ich die Struktur meines Konfliktlösungsverfahrens für Siezum Vergleichen wieder:

• Die Tafeltabelle einrichten, Regel zum Umgangston bekannt gebenund begründen.

• Befragung der Mitschüler zu ihren direkten Beobachtungen imvorliegenden Konfliktfall.(Anmerkung: die Schilderungen der Mitschüler in eine Reihenfol-ge bringen, so dass die Konflikteskalation deutlich wird.)

• Die unmittelbaren Konfliktpartner (Thomas und Christian) und denKonfliktauslöser (verschossener Ball) feststellen.

• Die unmittelbare Konfliktpartner am Gespräch beteiligen.

• Hinzugekommene Konfliktpartner feststellen.

• Eine Zusammenfassung der Aussagen der unmittelbaren Konflikt-partner geben und die Aussage machen, dass sich hinter dem Streitnoch ein anderer Grund verbergen muss.

• Die Konfliktursache klären (Worüber wurde sich vor dem vorlie-genden Konflikt geärgert?).

• Die Konfliktursache in kindgerechter Weise benennen.

• Die Auswirkungen des misslungenen Konfliktlösungsversuchesbeschreiben (fortwährende Rache und Beeinträchtigung des Kli-mas in der Gruppe).

• Eine Behauptung aufstellen: Ihr könntet euch ganz gut verstehen,wenn ...

• Möglichkeiten der Lösung der Konfliktursache sammeln (Verhal-ten so konkret wie möglich beschreiben).

• Wiedergutmachung leisten (gegenseitige Entschuldigung derunmittelbaren Konfliktpartner).Anmerkung: Die Geste der Wiedergutmachung sollte von derLehrkraft unterstützt werden. Z. B.: Ich freue mich, wenn ihr euchjetzt die Hände reichen könnt und damit zeigt, dass ihr in Zukunftanders miteinander umgehen wollt.

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98 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

• Einige Beispiele aufgreifen, die während des Konfliktgesprächesgenannt wurden und von diesen Beispielen mit den SchülernRegeln für das Sozialverhalten ableiten, die sich auf den Status derSchüler innerhalb der Gruppe beziehen. (Höchstens zwei Regeln)

• Möglichkeiten der Konfliktlösung im vorliegenden Fall sammeln.

• Regeln für das Sozialverhalten der Gruppenmitglieder währendeines beobachteten Konfliktes gemeinsam ableiten. (Höchstenszwei Regeln)

• Wiedergutmachung des angerichteten Schadens in Bezug auf denvorliegenden Konflikt leisten (Ball holen oder ersetzen).

Dieses Konfliktlösungsverfahren wirft möglicherweise die Vermutungauf, dass es sich bei den zu führenden Gesprächen um nahezu endloseGespräche handeln könnte. Erfahrungsgemäß dauert ein Konfliktlö-sungsgespräch wie im Beispiel: „Christian verprügelt Thomas!“ maxi-mal 30 Minuten. Diese 30 Minuten nutzt die Lehrkraft in höchsterWeise sinnvoll, wenn sie eine Konfliktklärung betreibt. Andernfallsmuss sie damit rechnen, in der Vermittlung des unterrichtlichen Lerns-toffes behindert zu werden. Die Schüler lernen bei einer solchen Kon-fliktvermeidung weder die Beherrschung der Kulturtechniken noch wiesie miteinander Konflikte lösen können. Die Schüler stellen lediglichfest, dass es in der Schule wieder Streit gegeben hat und dass ein Streitoder Konflikt etwas Unangenehmes ist.

Die Art und Weise, wie Konflikte in der Gruppe gelöst werden, verunsi-chert die Schüler zunächst. Die Schüler fordern oftmals, dass eineBestrafung desjenigen erfolgen soll, der ihrer Meinung nach Schuld hatan einem Streit. Bleibt die Bestrafung aus und wird stattdessen dasKonfliktlösungsverfahren angewendet, gerät die Gruppe anfangs in eineNormenkrise. Diese Normenkrise löst sich auf, wenn die Lehrkraft denSchülern erklärt, dass eine Bestrafung nicht dazu führt, zu verstehen,warum ein Streit geschehen ist und wie dieser Streit gelöst werden kann.

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3. Konflikte in der Gruppe 99

Würden Sie das Konfliktlösungsverfahren bei jedem vorliegendenKonflikt anwenden? Bitte begründen Sie Ihre Antwort.

Sie haben vollkommen Recht. Nicht in jedem Fall wird dieses Kon-fliktlösungsverfahren angewendet. Wenn ein Schüler einem anderenSchüler aus Versehen ein Leid zugefügt hat, steckt hinter diesem Verse-hen kein bewusster und gewollter Angriff auf den Schüler, der das Leidtragen muss. Dennoch benötigen die Schüler oftmals eine Klärungshilfe,wenn versehentlich ein Leid zugefügt wurde, weil die Schüler einandernoch stark misstrauen. Besprechen Sie mit den Schülern, wie man sichverhalten kann, wenn einem ein Missgeschick passiert.

3.5.2 Zweites Konfliktlösungsverfahren

Ich habe mehrfach auf den Status hingewiesen, den ein Schüler in seinerGruppe hat. Der Status ist gleichzusetzen mit der Stellung eines Schü-lers innerhalb seiner Gruppe. Man kann sagen, dass die Stellung einesSchülers um so höher ist, je beliebter ein Schüler in seiner Gruppe ist.Eine hohe Stellung verschafft einem Schüler die Anerkennung derMitschüler. Diese Anerkennung kann erfolgen, weil der Schüler sich z.B. für seine Mitschüler besonders einsetzt; er schlichtet Streit, er erweistsich als vertrauenswürdig, er hilft bei den Hausaufgaben, er lässt anderebei Klassenarbeiten abschreiben usf.

Andererseits kann sich ein Schüler „Anerkennung“ bei seinen Mit-schülern verschaffen, weil es ihm gelingt, die Mitschüler unter Druck zusetzen (z. B. Androhung von Schlägen, Beleidigungen). Es ist ins-besondere für diese Schüler wichtig zu erfahren, dass ihre „Anerken-nung“ in der Gruppe auf sehr wackeligen Beinen steht, weil sie ihre

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1 siehe auch Klaus Antons: Praxis der Gruppendynamik, Göttingen 1976, Seite109 (Regeln für das Feed-Back).

Mitschüler nicht unterstützen, sondern unter Druck setzen. Wer will miteinem Schüler, vor dem man Angst hat, befreundet sein oder ihm einenernstgemeinten Gefallen tun? Lohnt es sich wirklich, die „Anerken-nung“ zu erpressen oder ist es nicht etwas Wunderbares, von denanderen gemocht zu werden, weil die anderen das Verhalten des Schü-lers als hilfreich empfinden? Erfahrungsgemäß wünschen sich dieseSchüler sehnlichst eine echte und ernstgemeinte Nähe zu den Mit-schülern. Sie stehen jedoch vor der Frage, ob und wie sie ihr Verhaltenändern können, ohne von den Mitschülern angegriffen zu werden. Dieum „Anerkennung“ bemühten Schüler wissen, dass sie ihren Mitschü-lern etwas angetan haben und müssen jetzt mit Angriffen rechnen,sobald sich die Gelegenheit für ihre Mitschüler dafür bietet. („Bist dujetzt ein Weichei geworden oder was?“) Die um „Anerkennung“ bemüh-ten Schüler benötigen unbedingt die Unterstützung der Lehrkraft. InEinzelgesprächen sollte zunächst das Verhalten und seine Auswirkun-gen auf die Beziehungen in der Gruppe geklärt werden. Anschließendsollten in diesen Einzelgesprächen konkrete Hinweise gegeben werden,was und wie es diese Schüler anders machen können. Die Lehrkraftsollte diesen Schülern sagen, dass in einem Gespräch mit der Gruppeein Weg gefunden werden kann. Danach folgt eine Einstimmung undAnleitung der Gruppe durch die Lehrkraft auf die bevorstehendenBemühungen dieser Schüler.

Das Gespräch mit der Gruppe kann wie folgt eingeleitet werden: „Chris-tian weiß, dass er in unserer Gruppe einiges falsch gemacht hat. Christi-an möchte das verändern. Ich erwarte von euch, dass ihr ihm die Chancegebt, es besser machen zu können. Ich möchte nämlich, dass wir unsalle hier gut verstehen. Ich möchte jetzt, dass wir darüber sprechen, wasihr euch von Christian wünscht. Achtet bei diesem Gespräch auf eureWortwahl und gebt Beispiele, damit sich Christian gut vorstellen kann,welches Verhalten ihr euch von ihm wünscht.“

Die Lehrkraft moderiert jetzt ein Gespräch, in dem Christian eineRückmeldung (feed-back)1 von seinen Mitschülern über erwünschtesVerhalten bekommt. Auch die Lehrkraft sollte an Christian entsprechen-de Wünsche äußern. Es werden Verhaltenserwartungen an Christian

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3. Konflikte in der Gruppe 101

formuliert. Diese Hinweise benötigt Christian unbedingt, um das Aus-maß seiner Fähigkeiten zur Bewältigung sozialer Situationen erweiternzu können. Auch die Mitschüler erweitern ihre jeweilige soziale Kom-petenz. Bitte untersuchen Sie jetzt selbst, welche Aspekte sozial kompe-tenten Verhaltens bei den Mitschüler sowie Christian angesprochenwerden.

Welche Aspekte des sozial kompetenten Verhaltens werden bei Christi-an und seinen Mitschülern angesprochen?

Welche Aspekte des sozial kompetenten Verhaltens werden bei allenSchülern während des Konfliktlösungsgespräches (Konfliktlösungs-verfahren) angesprochen?

Ich bin mir sicher, dass Sie diese Fragen richtig beantworten konntenund gebe deshalb keine Hinweise für Sie zum Vergleichen.

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1 Z.B. beschäftigt sich der Verein „brothers keepers e. V.“ mit dieser Thematik.Diesem Verein gehören Hiphop-, Soul- und Reggaekünstler an. Im Internetfinden Sie Hinweise zu diesem Verein unter: www.brothers-keepers.de.

3.6 Konflikte von besonderer Tragweite

Es gibt Konflikte im Schulalltag, die sich von den beschriebenenKonflikten in besonderer Weise abheben, weil sie weit über den Klas-senraum, die Schule, den Ort oder das Land hinaus wirken. DieseKonflikte betreffen uns alle und beinhalten aus meiner Sicht mindestenszwei Ebenen:

Die erste Ebene des Konfliktes beinhaltet den Kampf um den Statusinnerhalb einer Gruppe, wobei Beleidigungen geäußert werden, die sichauf die Herkunft der angegriffenen Person beziehen (Nationalität).

Beispiel: Simon, ein Kind mit dunkler Hautfarbe, soll an die Tafelkommen. Während Simon zur Tafel geht, stößt er verse-hentlich die Federtasche von Jörg vom Tisch herunter. Jörgruft empört: „Eh, du blöder Neger, kannst du nicht aufpas-sen?“

Die zweite Ebene des Konfliktes beinhaltet den Kampf um den Statusinnerhalb einer Gruppe, wobei Beleidigungen geäußert werden, mitdenen nicht anwesende Bevölkerungsgruppen anderer Nationalitätdiskriminiert werden.

Beispiel: In einer Klasse, in der es kein dunkelhäutiges Kind gibt, ruftein Schüler quer durch die Klasse einem anderen Schülerzu: „He, Bimbo, wirf mir mal dein Radiergummi rüber!“

In jedem Fall reagiere ich auf derartige Äußerungen und frage dieSchüler nach dem Sinngehalt der diskriminierenden Worte: Was bedeu-ten die Worte „Neger“ oder „Bimbo“?

Ein Blick in die Geschichte hilft den Schülern folgende Fragen zuklären: Wo und wann sind die diskriminierenden Worte entstanden?Wer hat sie erfunden? Warum wurden sie erfunden? Wo und warumwerden sie heute noch benutzt (z. B. Negerkuss)? Wie fühlen sichentsprechende Diskriminierungen an?1

Eine Lehrkraft, die auf derartig diskriminierende Äußerungen reagiert,verleiht der Tatsache Ausdruck, dass alle Menschen gleichwertig sind.Das katastrophale Märchen von den minderwertigen und hochwertigen

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3. Konflikte in der Gruppe 103

Rassen, von der zivilisierten Welt und der unzivilisierten Welt, kann mitden Schülern aufgelöst werden. Bekanntermaßen gehören alle Men-schen zu einer Art, innerhalb derer es Unterschiede und Gemeinsam-keiten gibt.

Es ist ausgesprochen spannend mit den Schülern zu klären, zu welchenSchwierigkeiten oder Problemen und zu welchen Erkenntnissen undBereicherungen diese Unterschiede und Gemeinsamkeiten führenkönnen. (Anmerkung: Selbstverständlich gibt es weitere Konflikte vonbesonderer Tragweite, z. B. die Gangbildung auf Schulebene, Formenschwerer Gewalt, Drogendelikte. In diesen Fällen empfehle ich drin-gend die Einbeziehung der Schulleitung sowie die Einschaltung vonaußerschulischen Beratern.)

An eine Bearbeitung von Konflikten mit besonderer Tragweite kannsich eine recht umfassende Auseinandersetzung mit der Gruppe an-schließen, wie das Beispiel der Diskriminierung zeigt. Die Ausein-andersetzung mit gesellschaftlichen Verhältnissen beinhaltet eineFörderung sozialer Kenntnisse, Einstellungen und Verhaltensweisen derSchüler auf einer neuen Ebene. Diese Ebene betrifft die Organisationder Beziehung zu gesellschaftlichen Verhältnissen. Ich kehre jetztzurück zu der Ebene der Organisation der Beziehungen innerhalb einerGruppe und dem damit verbundenen unmittelbaren Interaktionskontext.

Mehrfach habe ich auf gruppendynamische Übungen hingewiesen, diein den verschiedenen Gruppenentwicklungsphasen mit den Schülerndurchgeführt werden.

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104 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

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4. Gruppendynamische Übungen 105

4. Gruppendynamische Übungen

Aus meiner Sicht ist eine gruppendynamische Übung eine konstruiertesoziale Situation, bei deren Bewältigung die Gruppenmitglieder unwei-gerlich miteinander in einen emotionalen oder seelischen Kontakttreten, eine Selbst- und Fremdwahrnehmung erfahren und das Zu-sammenwirken der Gruppe bzw. eine wechselseitige Beeinflussung derGruppenmitglieder erleben. Die Auswertung des Erlebten bzw. Erfahre-nen mit der Gruppe ist ein Bestandteil der gruppendynamischen Übung.Die Auswertung des Erlebten bzw. Erfahrenen mündet in eine Normen-findung. Die Gruppe partizipiert an der Normenfindung ein. Die Grup-penmitglieder haben ein nahezu gleichberechtigtes Mitspracherecht. DieNormen werden auf der Grundlage des Erlebten bzw. Erfahrenenmiteinander ausgehandelt.

Das Ziel der gruppendynamischen Übungen ist es, Einstellungen undVerhaltensweisen zu verändern, Abhängigkeiten (insbesondere dasMotiv der sozialen Angst)) zu überwinden und eine persönliche Auto-nomie zu erreichen. Gruppendynamische Übungen haben in diesemSinne eine emanzipatorische Funktion.

4.1 Bausteine einer gruppendynamischenÜbung

Jede gruppendynamische Übung besteht aus drei Bausteinen. Der ersteBaustein wird als Vorgespräch bezeichnet. Dieses Gespräch wirdgeführt, bevor die Gruppe die Übung durchführt. Den zweiten Bausteinbezeichne ich als Besonderheiten während der Durchführung derÜbung. Diese Besonderheiten während der Durchführung der Übungbeziehen sich auf das Leitungsverhalten der Lehrkraft. Den drittenBaustein einer gruppendynamischen Übung stellt das Abschlussge-spräch dar. Das Abschlussgespräch beinhaltet die Auswertung derErfahrungen, die die Schüler während der Übung sammeln konnten.

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4.1.1 Erster Baustein:Das Vorgespräch mit der Gruppe

Das ausführliche Vorgespräch bildet in den Phasen „Voranschluss undOrientierung“ sowie „Vertrautheit und Intimität“ einen wichtigenSchwerpunkt zur Förderung der sozialen Kompetenz. In einem ausführ-lichen Vorgespräch werden Fragen gestellt und besprochen, die sich aufdie Befürchtungen der Kinder beziehen und ihr Gefühlsleben anspre-chen. Das ausführliche Vorgespräch dauert ca. 10 Minuten.

In der Phase „Machtkampf und Kontrolle“ wird nur ein kurzes Vor-gespräch geführt. Der Schwerpunkt zur Förderung der sozialen Kompe-tenz liegt in dieser Phase eher in der Durchführung der Übung (sieheBesonderheiten während der Durchführung der Übung). Deshalb wirdin dieser Phase nur ein kurzes Vorgespräch geführt. Diese kurzenVorgespräche beinhalten eher Appelle wie z. B.: „Geht bei dieserÜbung vorsichtig miteinander um.“, „Achtet bitte darauf, dass....“ usf.

In der Phase der Differenzierung liegt der Schwerpunkt zur Förderungder sozialen Kompetenz in den Vorgesprächen, die die Organisation derGruppe betreffen und in der Durchführung der Übungen (Teamarbeit).Vorgespräche in der Phase „Differenzierung“ nenne ich Organisations-gespräche.

Beispiel für ein ausführliches Vorgespräch

Beispiel: Die Lehrkraft will mit den Schülern in der Phase „Voran-schluss und Orientierung“ eine Übung durchführen.In einem ausführlichen Vorgespräch wird den Schülernmitgeteilt, wie der Name der Übung lautet, wie der Übungs-ablauf gedacht ist und welches Ziel die Übung hat. (Z. B.:Die Übung, die ich heute mit euch machen möchte, heißt„Mein rechter, rechter Platz ist leer...“. Die Übung geht so:Alle setzen sich in den Stuhlkreis. Ein Stuhl wird hinzuge-fügt, so dass ein Platz leer bleibt. Das Kind, dessen rechteKörperseite zu dem freien Stuhl weist, benennt ein Kind ausdem Stuhlkreis, das sich dann auf den freien Platz setzenmuss. Nun ist durch den Platzwechsel des aufgerufenenKindes ein neuer Platz frei geworden und ein anderes Kind,dessen rechte Körperseite auf den nun freien Platz weist,ruft einen Mitschüler oder eine Mitschülerin auf. Das Aufru-fen eines Mitschülers oder einer Mitschülerin erfolgt immer

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4. Gruppendynamische Übungen 107

wieder auf die gleiche Art und Weise: Mein rechter, rechterPlatz ist leer, ich wünsche mir den/die...her. Ich machediese Übung mit euch, damit ihr schneller die Namen von-einander kennen lernen könnt.)Jetzt wird es wichtig, denn nun wird mit den Schülern überdie Befürchtungen gesprochen, die bei den Schülern schonbei der Bekanntgabe der Übung oder während des Übungs-ablaufes auftreten können. Das pädagogische Ziel einerÜbung besteht darin, die Befürchtungen der Schüler zumindern und ihre soziale Kompetenz zu fördern.

Nehmen wir an, dass Sie mit den Schülern die Übung durchführenwollen: „Mein rechter, rechter Platz ist leer, ich wünsche mirden/die....her.“

Was befürchten sozial ängstliche Schüler aus Ihrer Sicht während derÜbung „Mein rechter, rechter Platz ist leer,...“ am meisten?

Welche Reaktionen können sozial ängstliche Kinder während dieserÜbung zeigen? (Warum zeigen die sozial ängstlichen Kinder dieseReaktionen? Welche Auswirkungen auf das Gruppenklima sind hier-durch zu erwarten?)

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108 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Wie kann die Lehrkraft über die kindlichen Befürchtungen, die dieLehrkraft erkannt hat, mit den Kindern ins Gespräch kommen? Welchekonkreten Fragestellungen helfen den Schülern dabei? (Welche Fähig-keit benötigt eine Lehrkraft, um im Vorweg Reaktionsweisen zu erken-nen, die während dieser Übung auftreten könnten?)

Konkretisieren Sie bitte die sozialen Kompetenzen, die bei den Schü-lern gefördert werden.

Hier meine Hinweise für Sie zum Vergleich für Ihre Antworten:

Erfahrungsgemäß befürchten sozial ängstliche Schüler am meisten beidieser Übung, dass sie einerseits nicht aufgerufen werden und übrig-bleiben; andererseits befürchten sie, dass sie von jemandem aufgerufenwerden, den sie für unattraktiv halten und deshalb in Bezug auf dieGruppe einen Schaden an der eigenen Integrität erleiden könnten. ImWesentlichen haben diese Schüler Angst vor seelischer Verletzung.Sozial ängstliche Schüler werden sich deshalb entweder betont ag-gressiv verhalten oder mit Rückzug reagieren. (Das erwartete Handeln

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4. Gruppendynamische Übungen 109

der Mitschüler in dieser sozialen Situation dient insbesondere demsozial ängstlichen Schüler als Auslöser für seine Befürchtungen. DieReaktionen der Mitschüler werden von dem sozial ängstlichen Schülerentsprechend bewertet und in unserem Beispiel mit dem Gefühl desZurückgewiesenwerdens oder des Sich-Schämens belegt. Vor einersolchen seelischen Verletzung muss sich das sozial ängstliche Kindschützen. Es wird sich deshalb entweder betont aggressiv verhalten odermit Rückzug reagieren. Das Verhalten des sozial ängstlichen Kindeswird von den Mitschülern als fremd, unangenehm oder unangemessenempfunden. Die Mitschüler reagieren mit erhöhter Ablehnung auf dassozial ängstliche Kind usf. Das Gruppenklima ist spannungsgeladen undes kommt zu Streitereien.)

Um bei den Schülern Reaktionsweisen zu erreichen, die dem Gruppen-klima zuträglich sind, muss die Lehrkraft vor der Durchführung derÜbung einen Hinweis auf die Befürchtungen geben, die insbesonderedie sozial ängstlichen Kinder haben. (Hierfür benötigt die Lehrkraft dieFähigkeit der Empathie.)

Die Lehrkraft sollte zunächst die Übung erklären und dann mit denKindern über die kindlichen Befürchtungen sprechen. Die Lehrkraftkann z. B. folgendes zu den Kindern sagen: Wir werden die Übunggleich durchführen. Mir ist da noch etwas durch den Kopf gegangen:Stell dir vor, dass wir schon im Stuhlkreis sitzen und die meisten Kinderaufgerufen wurden. Du wurdest nicht aufgerufen. Was denkst du darü-ber, warum dich die anderen Schüler nicht aufgerufen haben? (MöglicheSchülerantwort: „Die anderen wollen nichts mit mir zu tun haben.“).Wie fühlt sich das an? Wie würdest du das finden? Was würdest dudann wohl tun? Wozu würde das führen? Wie können wir das verhin-dern?

Die Lehrkraft sollte den Schülern ausreichend Zeit für die Antwortengewähren und am Schluss dieses Gespräches eine Abmachung (Regel)mit den Schüler finden, die geeignet ist, die Übung erfolgreich durch-führen zu können.

Erfolgreich verläuft die Übung dann, wenn alle Gruppenmitglieder ihrEinfühlungsvermögen/ Mitgefühl, ihre Rücksichtnahme und ihreToleranz unter Beweis stellen konnten. Einfühlungsvermögen/Mit-gefühl, Rücksichtnahme und Toleranz müssen aufgebracht werden,

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110 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

wenn ein oder mehrere Schüler als unsympathisch empfunden werdenund diese Schüler trotzdem während der Übung aufgerufen werden. DasAufstellen einer Regel hilft den Gruppenmitgliedern dabei, die sozialenKompetenzen (Einfühlungsvermögen/Mitgefühl, Rücksichtnahme undToleranz) anzuwenden und die Befürchtungen vor seelischen Verlet-zungen zu vernachlässigen.

Zusammenfassung der Kriterien des ersten Bausteines(Vorgespräch)

Die soziale Situation (Übung) und die daran geknüpften erwar-teten Reaktionsweisen der Schüler lösen insbesondere bei sozialängstlichen Schülern Befürchtungen aus.

Durch Empathie kann die Lehrkraft die Befürchtungen derSchüler im voraus erkennen.

Die von den Schülern erwarteten und als bedrohlich empfunde-nen Reaktionsweisen werden vor Durchführung einer Übung inaltersgemäßer Form besprochen und benannt. Dabei werdendie an die Erwartungen geknüpften Gefühle transparent ge-macht.

Die Auswirkungen der benannten Gefühle auf das Verhaltendes einzelnen Gruppenmitglieds und auf das Gruppenklimawerden verdeutlicht.

Im Anschluss werden gemeinsam (Übungs-)Regeln erarbeitetund gegebenenfalls abgestimmt, die eine erfolgreiche Durch-führung der Übung ermöglichen.

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4. Gruppendynamische Übungen 111

4.1.2 Zweiter Baustein: Besonderheiten während derDurchführung einer Übung

Kennen Sie die Übung: Mexikanische Welle? Alle Schüler sitzen imStuhlkreis. Ein Stuhl wird hinzugefügt und ist deshalb unbesetzt. EinSchüler geht in die Mitte des Stuhlkreises. Die Schüler, die im Stuhl-kreis sitzen, sollen sich wie folgt verhalten: Wenn die Lehrkraft ruft:„Links herum!“, muss sich der Schüler, dessen linke Körperseite zu demfreien Platz zeigt, auf den freien Stuhl setzen. Sofort danach rückt dernächste Schüler auf den nun frei gewordenen Platz usf. Ruft die Lehr-kraft: „Rechts herum!“, bewegen sich die Schüler nacheinander in dieandere Richtung. Der Schüler, der in der Mitte steht, muss versuchen,den freien Platz (während der „Rotation“ der Gruppenmitglieder) zubesetzen. Gelingt dem Schüler dies, so muss derjenige aus dem Stuhl-kreis in die Mitte, der nicht schnell genug auf seinem freien Nebenstuhlsaß.

Stellen Sie sich vor, dass Melina bei der Übung „Mexikanische Welle“in die Mitte muss. Melina ist ein schüchternes Mädchen. Sie traut sichnoch recht wenig zu. Melina steht sehr zögerlich von ihrem Platz aufund bekommt einen roten Kopf. Sie ahnen, dass Melina das Herz imHalse pocht.

Würden Sie reagieren, wenn Sie Melina so erlebten? Was würden Siegegebenenfalls tun?

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112 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Stellen Sie sich vor: Christian steht in der Mitte. Die Übung beginnt.Christian rast los und versucht den Platz zu ergattern. Während erzielstrebig eine Platzlücke ansteuert, versucht Max ihm ein Bein zustellen.

Würden Sie reagieren, wenn Sie Max bei seinem Verhalten beobachte-ten? Was würden Sie gegebenenfalls tun?

Sie beobachten, dass Marianne bei ihrem Versuch der Platzeroberungmit vollem Körpereinsatz in die Schülermenge springt.

Würden Sie reagieren, wenn Sie dies beobachteten? Was würden Siegegebenenfalls tun?

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4. Gruppendynamische Übungen 113

Stellen Sie sich vor, dass die Schüler im Stuhlkreis dem Schüler in derMitte keine Chance geben, eine Platzlücke zu erobern.

Würden Sie reagieren? Was würden Sie gegebenenfalls tun?

In allen beschriebenen Fällen ist in ein zügiges oder sofortiges Ein-greifen durch die Lehrkraft erforderlich. Dieses Eingreifen beschreibtgleichzeitig zwei Prinzipien, die während der Übungsdurchführunggewährleistet werden müssen: Das Prinzip der relativen Freiwilligkeitund das Prinzip Schutz der Person und Schutz des Eigentums.

Im Falle von Melina reagiere ich, indem ich rasch frage, ob Melina inder Mitte stehen oder lieber eine/n Mitschüler/in dafür auswählenmöchte. Melina soll selbst entscheiden, ob sie in der Mitte stehenmöchte oder nicht. Die Übernahme einer herausragenden Aufgabewährend einer Übung soll freiwillig erfolgen. Die generelle Teilnahmean einer Übung ist jedoch verbindlich. (Das Prinzip der relativenFreiwilligkeit.)

In den Fällen von Max und Marianne unterbreche ich die Übung sofort.

Max muss sich für sein Verhalten verantworten. Ich frage ihn, warum erChristian ein Bein stellen wollte („Das war doch nur Spaß!“) underkläre ihm, was Spaß ist („Spaß ist, wenn wir alle lachen können.“)Ich sage ihm, dass er nur Freunde in der Klasse finden kann, wenn ersich fair verhält und füge hinzu, dass unfaires Verhalten zu Streit in derGruppe führt. Anmerkung: Wenn die Übung bei einem solchen Vor-kommnis nicht sofort unterbrochen wird, werden sich blitzschnellweitere Schüler ähnlich wie Max verhalten. Die Auswirkungen liegenauf der Hand.

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114 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Marianne muss ihr Temperament zügeln, um andere Schüler und derenEigentum (z. B. Brille) nicht zu gefährden. Das erkläre ich Marianne.(Prinzip: Schutz der Person und des Eigentums)

Im Falle der verweigerten Chance unterbreche ich ebenfalls die Übungund weise die Gruppe daraufhin, dass sie mit einem Feuereifer bei derSache ist und wohl vergessen hat, dass der Schüler in der Mitte auchmitspielen möchte. Ich appelliere an die Rücksichtnahme. (Prinzip:Schutz der Person)

Eine weitere wichtige Besonderheit während der Durchführung einerÜbung stellt die Bereitstellung von Alternativaufgaben für bestimmteSchüler dar. Die Alternativaufgaben sind dem Prinzip: Schutz derPerson und Schutz des Eigentums zuzuordnen.

Denken Sie bitte noch einmal an Marianne. Ich habe Marianne unter-stellt, dass ihr Temperament mit ihr durchgegangen ist und sie deshalbwährend der Übung recht ruppig war.

Stellen Sie sich bitte vor, dass Marianne nicht temperamentvoll, son-dern mit erhöhter sozialer Angst konfrontiert ist und sich deshalbruppig verhält. Sie verhält sich auch dann ruppig, wenn sie im Stuhl-kreis sitzt und keine herausragende Aufgabe zu bewältigen hat.

Wird Marianne ihr Verhalten (nach einem Hinweis von der Lehrkraft)verändern können, wenn sie mit erhöhter sozialer Angst konfrontiertist?

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4. Gruppendynamische Übungen 115

Wie wird die Lehrkraft auf Marianne reagieren, wenn Marianne immerwieder bei den Übungen durch ihr ruppiges Verhalten auffällt?

Wie wird die Gruppe auf Marianne reagieren, wenn Marianne immerwieder bei den Übungen durch ihr ruppiges Verhalten auffällt?

Sicher ist Ihnen längst klar geworden, dass eine Schülerin wie Mariannekeinesfalls auf Grund eines Hinweises durch die Lehrkraft ihr Verhaltenändern kann, wenn das Verhalten von sozialer Angst geprägt ist. Mari-anne wird sich immer wieder „grenzüberschreitend“ verhalten. DieLehrkraft, die die Auswirkungen von sozialer Angst auf das Verhaltennicht kennt, wird Marianne negativ sanktionieren. Ermahnende Gesprä-che werden geführt, Marianne wird den Klassenraum z. B. phasenweiseverlassen müssen usf. Die Gruppe wird Marianne bestenfalls verteidi-gen oder genauso ausgrenzen, wie es die Lehrkraft vormacht. BeideReaktionen der Gruppe sind mindestens aus gruppenpädagogischerSicht schädlich (Schutzgemeinschaft, Sündenbock/Außenseiter).

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116 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Wie kann Marianne es schaffen, ihre erhöhte soziale Angst zu mindernbzw. zu bewältigen, ohne aus der Gruppe ausgegrenzt zu werden?

Wie kann die Gruppe es schaffen (inkl. Lehrkraft), Marianne zu inte-grieren, ohne Mariannes ständige Übergriffe ertragen zu müssen?

Das Geheimnis der Auflösung dieser Fragen liegt in einem parallelenAngebot für Marianne. Marianne kann weder über längere Strecken imStuhlkreis sitzen, noch kann Marianne eine im obigen Sinn beschriebe-ne herausragende Aufgabe während einer Übung ausführen, ohneruppig mit den Gruppenmitgliedern umzugehen. Marianne benötigt eineAufgabe, die sie in der sozialen Situation entlastet und gleichzeitig ihreTeilnahme am Gruppengeschehen ermöglicht.

Marianne will die Nähe zu den Gruppenmitgliedern, doch sie fürchtetsich davor.

Die Entlastung Mariannes besteht in der Schaffung einer Distanz zu denGruppenmitgliedern, ohne die Nähe zu den Gruppenmitgliedern gänz-

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4. Gruppendynamische Übungen 117

lich aufzuheben, sondern die Nähe zu den Gruppenmitgliedern zuerhöhen. Diese Entlastung wird durch Parallelaufgaben hergestellt.

Die Übung: Mexikanische Welle enthält mehrere Aufgaben. Eine idealeAufgabe für Marianne könnte es sein, z. B. das Kommando „Linksherum! Rechts herum!“ anzusagen.

Würde Marianne diese Aufgabe ausführen, so säße sie nicht im Stuhl-kreis oder stünde nicht in der Mitte des Stuhlkreises. Sie befände sichräumlich gesehen am Rande der Gruppe (Distanz), würde aber einewichtige Aufgabe für die Gruppe übernehmen (Nähe).

Ich vergebe die Parallelaufgaben ohne besondere Ankündigung, son-dern ganz selbstverständlich. Derjenige, der eine Parallelaufgabeübernehmen soll, wird nicht besonders hervorgehoben („Marianne, dubekommst jetzt eine ganz besondere Aufgabe.“) Eine solche Hervorhe-bung halte ich für falsch. Ich äußere lediglich, dass ich einen Schüler füreine Aufgabe benötige und bestimme den Schüler, der die Aufgabeübernehmen soll.

Die Alternativaufgaben unterstützen die Integration von Schülern, diemit erhöhter sozialer Angst konfrontiert sind. Es liegt am Geschick undan der Phantasie der Lehrkraft, Parallelaufgaben aus Übungen ab-zuleiten (siehe Mexikanische Welle: Kommando geben) oder Parallel-aufgaben einer Übung hinzuzufügen. Lässt sich keine Parallelaufgabeableiten, so kann die Übung leicht verändert werden und durch dieseVeränderung eine Parallelaufgabe hinzugefügt werden.

Beispiel für eine Hinzufügung einer Parallelaufgabe

Beispiel: Übung: Zublinzeln.Die Schüler bilden zwei Kreise, einen Innen- und einenAußenkreis. Die Schüler im Innenkreis sitzen auf Stühlen.Die Schüler im Außenkreis stehen jeweils hinter einemsitzenden Schüler - mit einer Ausnahme: Ein Platz im In-nenkreis wird hinzugefügt und ist unbesetzt. Hinter diesemPlatz steht ein Schüler. Dieser Schüler beginnt. Durch einAugenzwinkern gibt er einem Schüler im Innenkreis dasSignal, sich auf den freien Platz zu setzen. Der angezwin-kerte Schüler muss sich auf den freien Platz setzen. Derhinter dem angezwinkerten Schüler Stehende soll diesverhindern, indem er den Schüler vorsichtig festhält. Eine

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118 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Parallelaufgabe kann eingebaut werden, wenn der Übungs-ablauf zeitlich bemessen wird (Zeitstopper). Mit einer Stopp-uhr kann gemessen werden, wie lange die Schüler im In-nenkreis brauchen, bis jeder Schüler im Innenkreis einenneuen Platz hat. Anschließend setzen sich die Schüler ausdem Außenkreis in den Innenkreis und die Schüler aus demInnenkreis stellen sich in den Außenkreis. Nun wird derÜbungsablauf wieder zeitlich gemessen. Welcher Schüler-kreis war schneller?

Sie haben Parallelaufgaben kennen gelernt. Die Schüler können alterna-tiv z. B. auch als Helfer, Beobachter und Beschützer eingesetzt werden.

Manchmal wird der Vorwurf von Seiten der Lehrkräfte erhoben, dassdie Schüler, die eine Parallelaufgabe erhalten, eine gewisse Sonderrollein der Gruppe einnehmen und dadurch eine Bevorzugung erfahrenkönnten. Das sei ungerecht gegenüber den Mitschülern. Die Schüler, dieeine Parallelaufgaben erhielten, würden auch noch für ihr frechesVerhalten belohnt.

Welche persönliche Haltung liegt dieser Reaktionsweise (Vorwurf)zugrunde?

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4. Gruppendynamische Übungen 119

Was würden Sie einer Lehrkraft erwidern, die einen solchen Vorwurfäußerte? Mit welchen Argumenten können Sie den Vorwurf entkräften?

Die persönliche Haltung, die dem Vorwurf zugrunde liegt, beinhaltetden Aspekt der Schuld. Der Aspekt der Schuld beinhaltet die Sicht-weise, dass ein Schuldiger bestraft werden muss. Eine Schuld mussdurch Strafe gesühnt werden. Das hilft den Schülern nicht, sondernerhöht ihre Schwierigkeit bis hin zur Ausgrenzung aus dem Klassen-verband/der Schule. Die Schule hat einen Erziehungsauftrag und einenUnterrichtsauftrag. Der Erziehungsauftrag beinhaltet u. a. die Förderungder sozialen Kompetenz der Schüler. Die soziale Kompetenz der Schü-ler kann z. B. durch Parallelaufgaben gefördert werden. Es müssen nichtnur die Schüler mit erhöhter sozialer Angst Parallelaufgaben überneh-men. Auch Schüler, die sich ausgesprochen sozialintegrativ verhalten,sollten hin und wieder mit Parallelaufgaben bedacht werden. Es könnenwährend eines Übungsablaufes bis zu sechs Schüler Parallelaufgabenübernehmen. Eine „Sonderrolle“ wird dann von keinem Schüler einge-nommen.

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120 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Während der Durchführung einer Übung müssen Sie unbe-dingt auf folgendes achten:

Gewährleistung der zwei Prinzipien:

– relative Freiwilligkeit (bei Übernahme einer herausragenden-Aufgabe),

– Schutz der Person und des Eigentums (sofortiges Eingreifenbei Grenzüberschreitungen).

Verteilung von Parallelaufgaben (für Schüler mit erhöhter sozia-ler Angst und auch für Schüler, die sich sozialintegrativ verhalten).

4.1.3 Dritter Baustein:Das Abschlussgespräch mit der Gruppe

Das Abschlussgespräch orientiert sich an den Ergebnissen des Vor-gespräches (aufgestellte Regeln für die Übung) und den Erfahrungen,die die Schüler miteinander während der Durchführung der Übungsammeln konnten. Das Abschlussgespräch dauert ca. 10 Minuten.

Nehmen wir an, dass die Übung: „Mein rechter, rechter Platz istleer,...“ ohne Zwischenfälle mit den Schülern durchgeführt werdenkonnte.

Wonach würden Sie die Schüler im Anschluss an die Übung befragen?Formulieren Sie bitte Ihre Abschlussfragen so konkret wie möglich.

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4. Gruppendynamische Übungen 121

Nehmen wir an, Sie hätten die vertrauensbildende Übung (je ein Ar-beitspaar; ein Arbeitspartner schließt die Augen und wird vom demanderen durch einen Hindernisparcours geführt) mit Ihrem Kollegiumdurchgeführt. Sie wurden von einem Kollegen geführt und anschließendführten Sie den Kollegen. Wonach wollen Sie im Abschlussgesprächbefragt werden? Formulieren Sie bitte die Fragestellungen.

Nehmen wir an, dass ein Schüler Ihnen auf die Frage, wie ihm dieÜbung gefallen hat, antwortet: „Ich fand die Übung bescheuert!“ Wiereagieren Sie auf diese Äußerung?

Nachfolgende Fragen eigenen sich für das Abschlussgespräch:

Wie hat dir die Übung gefallen? Ist dir während der Übung irgendetwasaufgefallen? Hast du während der Übung irgendetwas Neues erfahren?Hattest du Spaß während der Übung? Wie hast du dich während derÜbung gefühlt? War dir während der Übung irgendetwas peinlich? Hastdu dich während der Übung über irgendetwas geärgert? Wie konntendie Absprachen/Regeln, die im Vorgespräch getroffen wurden, einge-

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122 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

halten werden? Wozu hat die (Nicht-)Einhaltung der Absprachen/Regeln geführt? Sollen die Absprachen/Regeln deiner Meinung nachverändert werden?

Die zuvor genannten Fragen würde ich gern nach vertrauensbildendenÜbungen gestellt bekommen.

Wenn ich von einem Schüler diese Antwort erhalte („Ich fand dieÜbung bescheuert!“), frage ich den Schüler zunächst, was bescheuert ander Übung war? Ich möchte mit dieser Nachfrage erreichen, dass derSchüler lernt, seine Kritik so zu formulieren, dass die Gruppenmit-glieder die Kritik verstehen und nachvollziehen können. Anschließendkönnen wir die gegebenenfalls unterschiedlichen Sichtweisen austau-schen. Ich bitte den Schüler, der die Übung bescheuert fand, darum,zukünftig seine Kritik zu begründen und dabei Worte zu wählen, dienicht verletzend wirken.

Am Ende des Abschlussgespräches ist Ihre Sicht über die Gruppegefragt. Wie hat die Gruppe Ihrer Meinung nach die Übung bewältigt?Was ist der Gruppe gut gelungen und was noch nicht so gut? DieSchüler sind gespannt auf Ihre Meinung!

Die Abschlussfragen beziehen sich auf

– die Erfahrungen der Schüler, die während der Übung ge-sammelt werden konnten,

– die emotionale Befindlichkeit der Schüler während derÜbungsdurchführung,

– die Einhaltung der Absprachen/Regeln, die im Vorgesprächfestgelegt wurden,

– die eventuelle Modifizierung der Absprachen/Regeln.

Das Abschlussgespräch dient der Förderung der Kommunika-tion.

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4. Gruppendynamische Übungen 123

4.2 Gruppenentwicklungsphasen undgruppendynamische Übungen

Es gibt mittlerweile eine Fülle von veröffentlichten Spielen und grup-pendynamischen Übungen, die in der Schule bzw. im Unterricht durch-geführt werden können. Aus Sicht einer Gruppenpädagogin vermisseich bei den meisten mir bekannten Veröffentlichungen eine ausreichen-de Berücksichtigung der Gruppenentwicklung.

Der Gruppenentwicklungsstand und die Anforderungen der gruppendy-namischen Übungen an das Sozialverhalten der Schüler müssen zu-sammen passen.

Ein Beispiel für die Einordnung einer Übung in die „passende“ Grup-penentwicklungsphase

Nehmen wir an, dass Sie mit Ihren Schülern folgende Übung durch-führen sollen:

Die Schüler bilden Arbeitspaare. Ein Arbeitspartner schließt die Augenund soll von dem anderen Schüler durch einen Hindernisparcoursgeführt werden. Dabei darf der Nichtsehende gegen keines der Hinder-nisse stoßen. Der führende Schüler fasst den Nichtsehenden an Schulterund Arm oder Taille und Arm an. Der führende Schüler informiert denNichtsehenden ständig verbal über den Weg, der zurückgelegt werdenmuss. Anschließend erfolgt ein Rollentausch. (Eine sehr genaue Weg-beschreibung ist erforderlich.)

In welcher Gruppenentwicklungsphase würden Sie diese Übung IhrenSchülern anbieten?

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124 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Was könnte geschehen, wenn Sie diese Übung mit Ihren Schülern in derPhase „Machtkampf- und Kontrolle“ durchführten und wie erklären Siesich dies?

Welchen Sinn macht diese Übung? Welche Erfahrung können dieSchüler während dieser Führübung sammeln?

Bei dieser Übung handelt es sich um eine vertrauensbildende Übung.Diese Übung sollte in der Phase „Vertrautheit und Intimität“ angebotenwerden und keinesfalls vorher.

Mit Sicherheit können die Schüler kaum/keine Arbeitspaare für dieseÜbung bilden. Sollten die Schüler dies wider Erwarten schaffen, sokäme es zu „Unfällen“ während der Durchführung der Übung. Bei-spielsweise würden Schüler, die die Augen geschlossen hielten, absicht-lich gegen Hindernisse geführt werden.

Es käme zu gegenseitigen Verletzungen, weil die Schüler noch nichtbereit sind, Verantwortung für das eigene Verhalten in dieser Größen-

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4. Gruppendynamische Übungen 125

ordnung zu übernehmen. Sie sind zu sehr damit beschäftigt, ihren Statusin der Gruppe zu finden bzw. zu verteidigen.

Die Schüler, die einen Arbeitspartner führen sollen und mit sozialerAngst konfrontiert sind, werden ihre Befürchtungen (oder Rachegelüs-te) an dem Arbeitspartner ausleben.

Die Schüler, die geführt werden sollen und mit sozialer Angst kon-frontiert sind, werden die Aufgabe verweigern, weil die Befürchtungenvor Frustration zu groß sind (oder weil Rachegelüste des Arbeits-partners befürchtet werden müssen).

Die Übung macht Sinn, weil die Schüler den Themenbereich „Vertrauenund Vertrauenswürdigkeit“ sinnlich bzw. konkret erfassen können.

Der zu führende Schüler sammelt die Erfahrung, dass er sich währendder Übung auf seinen Arbeitspartner verlassen und ihm deshalb Ver-trauen entgegenbringen konnte.

Der führende Schüler sammelt die Erfahrung, dass er während derÜbung gut auf seinen Arbeitspartner aufpassen und ihn beschützenkonnte und er deshalb vertrauenswürdig war. (Je häufiger die Schülerderartige Erfahrungen sammeln können, um so eher stellt sich eineVerhaltenssicherheit in Bezug auf das gegenseitige Vertrauen bei ihnenein.)

Jede Übung, die mit den Schüler durchgeführt wird, muss zuvor auf ihreEignung in Bezug auf die Gruppenentwicklungsphase geprüft werden.Dennoch haben nahezu alle Übungen eine Gemeinsamkeit. Jede Übungbesteht aus drei Abschnitten, die ich Bausteine nenne.

Der umseitigen Tabelle „Gruppenphasen, Übungen und Übungsziele“können Sie entnehmen, welche Übungen in welcher Gruppenentwick-lungsphase angeboten werden sollten und welche Ziele mit den Übun-gen angestrebt werden. In meinem Buch (Projekt: Soziales Lernen,Verlag an der Ruhr, 1996) habe ich insgesamt 65 erprobte Übungenaufgeführt. Die Tabelle: Übungen, Übungsziele und Gruppenphasenenthält den Hinweis, dass während der Phase „Differenzierung“ keinegruppendynamischen Übungen angeboten werden. Die Schüler erhaltenin der Phase „Differenzierung“ ein anderes Angebot, auf das ich imAnschluss an die Tabelle: Übungen, Übungsziele und Gruppenphaseneingehen werden.

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126 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

4.2.1 Tabelle:Gruppenphasen, Übungen und Übungsziele

Gruppenentwick-lungsphase

Geeignete Übungen Ziele der Übungen(Schwerpunkte)

Voranschluss undOrientierung

Gedächtnisspiele (Namen),Interviews, Fragebögen,Rallyes,

Ein gegenseitiges Kennen-lernen der Gruppenmit-glieder und ein Kennen-lernen der räumlichenUmgebung ermöglichen.

leichte, relativ ruhige Regel-spiele, bei denen die ganzeGruppe Rekorde erzielenbzw. einen fiktiven Gegner-besiegen kann.

Eine Entscheidung in Be-zug auf die Gruppenzuge-hörigkeit treffen können.(Soziale Angst mindern)

Machkampf undKontrolle

Bewegungsstarke Regelspielemit Siegern (auch Gelände-spiele)

Fair verlieren oder gewin-nen können. Stärken derSchüler in Bezug auf dieFragestellungen dieserPhase herausarbeiten.Das Treffen von Entschei-dungen lernen.

Zeichenspiele (Wünsche undBefürchtungen in Bezug aufdie Gruppe bildnerisch aus-drücken)

Konflikte erkennen, be-nennen und gemeinsamlösen können. Konflikt-fähigkeit herstellen/erhöhen.

Streitgespräche führen(Themen vorgeben)

Meinungen/Standpunktebegründen lernen.Das gegenseitige Zuhörenlernen. Kommunikationlernen.

Rollenspiele (z. B. Konflikt-situationen vorgeben)

Verhaltensmöglichkeitenkennen lernen, sichexponieren lernen.

Suchspiele (z. B. Verände-rungen im Klassenraum und/oder an Personen vornehmenlassen)

Wahrnehmung schulen.

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4. Gruppendynamische Übungen 127

Kettenpantomime Wahrnehmung schulen, sichexponieren lernen.

Ratespiele, z. B. pantomi-misch durchgeführt

Wahrnehmung schulen, sichexponieren lernen.

Vertrautheit undIntimität

Im Schwierigkeitsgrad an-wachsende Vertrauensübun-gen (Keine Fallübungen wiez. B. der Vertrauensfall!)

Lernen, sich aufeinanderverlassen zu können.

Im Schwierigkeitsgrad an-wachsende Übungen zumFeedback

Unterschiede von Fremd-bild und Selbstbild erken-nen. Neue, veränderte Ver-haltensweisen ausprobie-ren können und sich an-eignen (lernen).

Differenzierung Teamarbeit (Da die Team-arbeit keine gruppendyna-mischen Übungen im übli-chen Sinn beinhaltet, wird dieTeamarbeit im Anschluss andiese Tabelle erläutert.)

Kooperation (Sachebene)einüben und die Bezie-hungsebene dabei berück-sichtigen lernen.

Übernahme von Verant-wortung für das Lernenund Verhalten durch dieSchüler.

Trennung Wiederholung beliebterÜbungen, Zusammenfassungder wichtigsten Erfahrungenund Ereignisse; Klärung des-sen, was fortgeführt werdensoll.

Beendigung des Projektes:Soziales Lernen.

Anmerkung: Ich kann Ihnen nur empfehlen, gruppendynamische Übun-gen vor deren Durchführung in der Klasse selbst mit Kollegen oderFreunden auszuprobieren, um Überforderungen der Schüler zu vermei-den. Die Anforderungen, mit denen die Schüler während der Durch-führung von Übungen konfrontiert sind, lassen sich erst dann nach-empfinden, wenn man selbst diese Anforderungen erfahren hat. Manspürt die eigene Aufgeregtheit, Verunsicherung o.ä. und wird sich in derFolge besser in die Lage der Schüler hineinversetzen und ihre Befürch-tungen verstehen können.

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128 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

4.2.2 Übungen in der Phase der Differenzierung

Die Übungen in der Phase der Differenzierung unterscheiden sich inihrer Ausgestaltung und in ihrem thematischen Bezug von den gruppen-dynamischen Übungen. In der Phase „Differenzierung“ werden Auf-gaben angeboten, die die Schüler im Team lösen müssen. Die Team-arbeit wird inhaltlich mit Aufgaben gefüllt, die den Lehrplänen entnom-men werden.

Die Teamarbeit dient der Einübung von Kooperation auf der Sachebeneunter Berücksichtigung der Kommunikation auf der Beziehungsebene.Im folgenden Text beschreibe ich, was Teamarbeit ist und welcheKriterien sie enthalten muss, damit die Schüler tatsächlich im Teamkooperieren können.

4.2.2.1 Definition: Teamarbeit

Ich definiere die Teamarbeit in Tischgruppen als die effektive, arbeits-teilige Bearbeitung einer umfassenden Aufgabe in eigener Verant-wortung.

4.2.2.2 Legitimation von Teamarbeit

Ich legitimiere die Teamarbeit in Tischgruppen gegenüber den Elternwie folgt legitimiert:

– Die Schüler/innen lernen, Verantwortung für das eigene Lernenund Verhalten auf der Sachebene und auf der Beziehungsebene zuübernehmen.

– Die Schüler/innen lernen, Verantwortung für das Lernen undVerhalten anderer auf der Sachebene und auf der Beziehungsebenezu übernehmen.

– Die Schüler/innen lernen, unterschiedliche Kompetenzen auf derSachebene und auf der Beziehungsebene zu akzeptieren und zunutzen.

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4. Gruppendynamische Übungen 129

4.2.2.3 Die Zusammensetzung der Teams

Die Teams werden von den Lehrkräften zusammengesetzt. Die Schülerkönnen schriftlich Wünsche äußern, die jedoch nicht immer berücksich-tigt werden können.

Jedes Team bildet eine heterogene Lerngruppe (leistungsschwächere –leistungsstärkere Schüler; Jungen und Mädchen sollten möglichstgleichermaßen vertreten sein). Die Teams bestehen aus mindestens vierund höchstens sechs Schülern.

Die Zusammensetzung der Teams wird nur dann verändert, wenn es zunicht lösbaren Unverträglichkeiten zwischen Schülern innerhalb einesTeams kommen sollte. Da eine Umsetzung eines Schülers alle Teamsder Klasse betrifft, wird eine Umsetzung mit der gesamten Klassebesprochen und gemeinsam eine Lösung erarbeitet (siehe auch: Be-wertung der Teamarbeit, Anmerkung).

4.2.2.4 Die Organisation der Teamarbeit - Der Arbeitsplan

Die Organisation der Teamarbeit erfolgt mit Hilfe eines Arbeitsplanes.Der Arbeitsplan wird vor Beginn der Teamarbeit ausgefüllt. In diesemArbeitsplan werden die Arbeitsschritte aufgeführt, die die Schüler zurLösung der Aufgabe bewältigen müssen.

Die verschiedenen Arbeitsschritte werden anfangs gemeinsam mit derLehrkraft formuliert. Nach etwa 8-10 Teamaufgaben formulieren dieSchüler die Arbeitsschritte selbst und die Lehrkraft überprüft im An-schluss die von den Schülern aufgestellten Arbeitsschritte auf Voll-ständigkeit und Sinnhaftigkeit. Nach etwa 20-25 Teamaufgaben könnendie Schüler die Arbeitsschritte erfahrungsgemäß völlig selbstständigaufstellen.

Im Anschluss werden die Arbeitsschritte zwischen den Mitgliedern desjeweiligen Teams verteilt. Die Verteilung der Arbeitsschritte führen dieTeams selbstständig durch. Die Teams wenden für die Verteilung derArbeitsschritte die ihnen bereits bekannten Verfahren an: die geheimeWahl, die offene Wahl, das Losverfahren oder die freiwillige Zuord-nung. Bei der Verteilung der Arbeitsschritte müssen die Schüler daraufachten, dass jeder Schüler in seinem jeweiligen Team so viele Arbeits-

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130 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

schritte übernehmen kann, dass er während der Teamarbeit keinenLeerlauf hat. Eine durchgängige Beschäftigung der Schüler mit denArbeitsschritten während der Teamarbeit stellt eine Bedingung dar.

Da jeder Schüler einzelne Arbeitsschritte aus der Teamaufgabe bewälti-gen muss und diese Arbeitsschritte schriftlich im Arbeitsplan fest-gehalten werden, können auch die Einzelleistungen der Schüler von derLehrkraft nachvollzogen und gegebenenfalls bewertet werden. DieBerücksichtigung des Arbeitsplanes unterstützt die Lehrkraft bei derPlanung eines binnendifferenzierten Unterrichts (siehe auch Dimensio-nen der Arbeitsschritte).

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4. Gruppendynamische Übungen 131

Beispiel für einen Arbeitsplan

Namen: ...................... Datum: ..................................................................................................................................

Gruppe: ............

Arbeitsplan

Aufgabe: ..............................................................................................................................................................................

Arbeitsschritte: Umsetzung der Arbeitsschritte von:(Was muss getan werden?) (Wer setzt den Arbeitsschritt um?)

.......................................... ........................................................

.......................................... ........................................................

.......................................... ........................................................

.......................................... ........................................................

.......................................... ........................................................

.......................................... ........................................................

.......................................... ........................................................

.......................................... ........................................................

.......................................... ........................................................

.......................................... ........................................................

.......................................... ........................................................

.......................................... ........................................................usf. usf.

Regel: Jedes Gruppenmitglied muss sich durchgehend mit derLösung von Arbeitsschritten beschäftigen können.

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132 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

4.2.2.5 Unterrichtsaufgaben für die Teamarbeit

Nach einer Einführung in die jeweilige Thematik (Frontalunterricht)erhalten alle Tischgruppen bzw. Teams jeweils die gleiche Aufgabe. DieBearbeitung der Aufgabe dient der Vertiefung des Lernstoffes.

Die Aufgaben für die Teamarbeit müssen in verschiedene Arbeits-schritte gegliedert werden können, denn jeder Schüler soll zu jedemZeitpunkt der Teamarbeit eine sachdienliche Arbeit leisten können. (DieAnzahl der Arbeitsschritte muss groß genug sein!) Die einzelnenArbeitsschritte müssen von den Schülern innerhalb einer Tischgruppebenannt und nach einem festgelegten Verfahren aufgeteilt und an-schließend bearbeitet werden. (Was muss getan werden? Wer über-nimmt welche Arbeitsschritte?) Um die Arbeitsschritte erkennen undbenennen zu können, benötigen die Schüler Ihre Hilfestellung. WählenSie hierfür ein induktives Vorgehen.

Z. B.: Die Teams erhalten die Aufgabe, ein Puzzle zusammenzulegen.Ich sage an: Jedes Team soll gleich ein Puzzle zusammenlegen. DasPuzzle befindet sich in einem Umschlag. Die Umschläge liegen hiervorn auf dem Pult. Alle Umschläge enthalten das gleiche Puzzle. JedesPuzzle besteht aus 24 Puzzleteilen. Was geschieht wohl, wenn ich euchjetzt auffordere, mit der Arbeit zu beginnen? Alle stürzen nach vorne,um ein Puzzle zu ergattern. Was passiert, wenn alle nach vorne stürzen?Es entsteht ein Gedränge und Gerangel. Was kann daraus erwachsen?Streit. Das Material kann beschädigt werden. Wie könnt ihr das vermei-den? Nur ein Schüler pro Team holt das Puzzle. Wie wollt ihr diesenArbeitsschritt nennen, den derjenige übernimmt? Materialholer. Waspassiert, wenn der Materialholer den Umschlag mit dem Puzzle auf denTisch deines Teams legt? Alle Schüler aus meinem Team werdengleichzeitig versuchen, nach den Umschlag zu greifen. Was passiert,wenn alle Schüler eines Teams gleichzeitig nach dem Umschlag grei-fen? Ein Schüler hält den Umschlag besonders stark fest. Das Materialkann beschädigt werden und es kann zu Streit kommen. Wie könnt ihrdas verhindern? Nur ein Schüler darf den Umschlag in seinem Teamöffnen und die Puzzleteile herausnehmen. Welchen Namen wollt ihrdiesem Arbeitsschritt geben? Umschlagöffner. Nun liegen die Puzzletei-le auf dem Tisch. Was kann jetzt passieren? Jeder versucht so vielePuzzleteile wie möglich zu ergattern. Wenn jeder dies versucht, werdenvielleicht zwei Schüler aus dem Team keine Puzzleteile abbekommen.

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4. Gruppendynamische Übungen 133

Was werden diese Schüler tun? Sie werden versuchen, den anderenSchülern Puzzleteile wegzunehmen. Was kann dadurch entstehen? Streitund Materialbeschädigung. Wie könnt ihr das verhindern? Wir brau-chen einen Puzzleteile-Verteiler. Der Arbeitsschritt lautet also Puzzletei-le-Verteiler. Wie sollen die Puzzle-Teile verteilt werden? Wie dieKarten bei einem Kartenspiel. Usf.

Die Schüler können für die Verteilung der Arbeitsschritte z.B. dieoffene Wahl, die geheime Wahl, das Losverfahren oder die freiwilligeZuordnung anwenden. Wichtig ist, dass die Arbeitsschritte verbindlichverteilt wurden, bevor das Team mit der Lösung der Aufgabe beginnt.Andernfalls kann es während der Teamarbeit zu heftigen Konfliktenkommen. Während der Teamarbeit dürfen Arbeitsschritte getauscht oderhinzugefügt werden. Ein Tausch oder eine Hinzufügung muss jedochunbedingt sofort im Arbeitsplan festgehalten werden (Bedingung).

4.2.2.6 Die Dimensionen der Arbeitsschritte

Die Aufgaben für die Teamarbeit müssen Arbeitsschritte beinhalten, diein der Regel vier Dimensionen umfassen sollten:

1. Arbeitsschritte, die das Sozialverhalten regeln.Ein differenziertes kleinschrittiges Vorgehen in der Unterteilung/Gliederung des Arbeitsablaufes ist erforderlich, um Konflikte vonvornherein verhindern zu können; z. B.: ein Kind holt das Materialfür sein Team (und nicht das gesamte Team), ein anderes Kindverteilt das Material in der Tischgruppe, so dass jedes Kind Ar-beitsmaterialien erhalten kann, ohne darum ‚kämpfen‘ zu müssen.Um den Arbeitsablauf in Arbeitsschritte mit dieser Dimensiongliedern zu können, ist es unbedingt erforderlich, das kindlicheVerhalten (besonders auch sozial ängstlicher Schüler) vorher sehenzu können und in Form deeskalierend wirkender Arbeitsschritte zuberücksichtigen.

2. Arbeitsschritte, die den musisch-gestalterischen Bereich fördern(z.B. Zeichnen, Kleben, Schneiden, Basteln).

3. Arbeitsschritte, die den kognitiven Bereich fördern(z.B. Lesen, Rechnen, Schreiben, Interpretieren).

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134 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

1 Vgl. Frederic Vester: Denken, Lernen, Vergessen, München 1978.

2 Frederic Vester: Denken, Lernen, Vergessen, München 1978, Seite 97.

4. Arbeitsschritte, die die soziale Kompetenz in besonderer Weisefordern (z.B. Moderieren, Präsentieren, Wahrnehmen von Kon-flikten/Gruppenleiter, Gruppensprecher).

Die Dimensionen der Arbeitsschritte sind auch deshalb erforderlich,weil wir spätestens seit dem Erscheinen des Buches von FredericVester1 wissen, dass Menschen einen Lernstoff unterschiedlich auf-nehmen. Wir Menschen nutzen unterschiedliche ‚Eingangskanäle‘unseres Gehirns, um uns individuell einen Lernstoff in optimaler Weisezu erschließen oder anzueignen. Frederic Vester hat vier bzw. fünfLerngruppen von Menschen beschrieben und eine Zuordnung der‚Eingangskanäle‘ vorgenommen. Nach Vester gibt es: „den visuellenSehtyp, den auditiven Hörtyp, den haptischen Fühltyp, ...den verbalenTyp und den Gesprächstyp.“2 Nach Frederic Vester sind diese ver-schiedenen Lerntypen in jeder Klasse vorhanden. Die Konsequenz, diesich hieraus für den Schulalltag ergibt, beinhaltet eine Berücksichtigungdieser Lerntypen in Bezug auf das Lernangebot.

Die Erkenntnisse Ferderic Vesters versucht die Teamarbeit durch dieEinführung der Dimensionen der Arbeitsschritte zu berücksichtigen.

4.2.2.7 Eine Herausforderung für die Lehrkräfte -Die Anfertigung von Teamaufgaben

Die schwierigste Aufgabe für die Lehrkräfte scheint es zu sein, denTeams geeignete Aufgaben zur Verfügung zu stellen.

Wenn Sie eine Teamaufgabe herstellen wollen, sollten Sie analytischvorgehen.

Der zu vermittelnde Lehrstoff ist Ihnen bekannt. Sie wissen, was dieSchüler lernen sollen (Lernziel). Sie kennen die Dimensionen derArbeitsschritte. Sie wissen, dass eine Teamaufgabe in ausreichendeArbeitsschritte gegliedert werden soll, damit sich bis zu sechs Schülerüber einen festgelegten Zeitraum sinnvoll mit der Aufgabe beschäftigenkönnen. Nun müssen Sie kreativ werden:

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4. Gruppendynamische Übungen 135

Leiten Sie von dem vorgegebenen Lernziel der Unterrichtsaufgabe ab,welche kognitiven Anforderungen die Schüler zu erfüllen haben, um dieAufgabe lösen zu können (z. B. lesen, schreiben, rechnen; zergliedern,definieren, zusammenfassen, korrigieren, interpretieren, Ideen geben).Beschreiben Sie die Anforderungen in Form von Arbeitsschritten (3.Dimension). Nun sollten Sie überlegen, wie Sie die Aufgabe um mu-sisch-gestalterische Elemente erweitern können. Was könnte passendzur Unterrichtsaufgabe z. B. gebastelt, gezeichnet, ausgeschnitten undaufgeklebt werden (2. Dimension)?

Jetzt müssten Sie für die kognitiven und die musisch-gestalterischenElemente Arbeitsschritte definieren, die Sie in eine logische Reihenfol-ge hinsichtlich des Arbeitsablaufes bringen müssen (ähnlich wie bei derFließbandarbeit). Nun kommt die ‚Unbekannte‘ hinzu: das kindlicheVerhalten. Wie wird sich ein Kind bei der Umsetzung des Arbeits-ablaufes verhalten? Gehen Sie dabei immer von ungünstigen oderstörenden Verhaltensweisen aus (siehe Beispiel: Puzzle). EntschärfenSie die Situationen, die bei der Umsetzung des Arbeitsablaufes auf-treten, indem Sie die Situationen durch den Einbau von Arbeitsschrittenstrukturieren (1. Dimension). Die Arbeitsschritte mit der 4. Dimensionsind vorgegeben: Der Gruppenleiter moderiert das Gruppengespräch,ruft zur Abstimmung auf und greift bei Konflikten in der Gruppe ein.Der Gruppensprecher präsentiert das Ergebnis der Teamarbeit imPlenum. Zum Schluss sollten Sie sich überlegen, welches Material dieSchüler für die Teamaufgabe benötigen und wie viel Zeit die Schülerfür die Erledigung der Teamaufgabe etwa benötigen werden (Materi-al/Zeit).

Ich empfinde es als ausgesprochen hilfreich, wenn ich Teamaufgabenmit Kolleginnen und Kollegen gemeinsam erstellen kann. MehrereKöpfe entwickeln auch mehr Phantasie/Ideen. Die Anfertigung vonArbeitsmaterialien kann recht zeitaufwendig sein. Das Material (z. B.Arbeitsbögen), das für die Teamaufgaben zur Verfügung gestellt wird,sollte m. E. in der Schule gesammelt werden, so dass jeder Kollegehierauf Zugriff haben kann.

In meinem Buch („Projekt: Soziales Lernen“) habe ich einige Teamauf-gaben aufgeführt.

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136 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

4.2.2.8 Die Bewertung der Teamarbeit

Die Bewertung der Teamarbeit erfolgt mit Hilfe der Tabelle zur Unter-richtsruhe. Die Tabelle wird wie folgt erweitert:

Team I Team II Team III Team IV Team V

UR(Unterrichts-ruhe)

AP(Arbeitsplan)

MI(Mitarbeit)

BdA (Bewertungder Aufgabe)

TOTAL (Be-wertung derTeamarbeit)

Die Bewertung der einzelnen Kategorien (UR, AP, MI) erfolgt infestgelegten zeitlichen Abständen (z.B. 5 Minuten) oder aus der Situati-on heraus (z.B. wenn die Gruppe sehr unruhig oder besonders ruhigarbeitet).

Die Bewertung erfolgt durch Eintragung von Plus- und Minuszeichen indie Tabelle durch die Lehrkraft.(Pluszeichen werden gegeben, wenn einTeam in der jeweiligen Kategorie erfolgreich ist, Minuszeichen werdengegeben, wenn ein Team nicht erfolgreich ist.) Wichtig ist, dass dieBewertung eines Teams zum Zeitpunkt x gleichzeitig auch die Be-wertung der anderen Teams nach sich zieht. Es werden also alle Teamszu einem Zeitpunkt x bewertet.

Die Kategorie AP kann dann bewertet werden, wenn die Lehrkraftüberprüft, ob die Eintragungen auf dem Arbeitsplan des Teams mit derRealität übereinstimmen oder voneinander abweichen (z. B.: Peter ist

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4. Gruppendynamische Übungen 137

Schreiber aber Sabine schreibt. Das ergibt ein Minuszeichen in derTabelle.). Die Kategorie MI kann bewertet werden, wenn die Lehrkraftdie Mitarbeit der Schüler beobachtet. Scheint ein Schüler zu träumen,muss sich die Lehrkraft durch Ansprache dieses Schülers vergewissern,ob dies zutrifft. Ist das der Fall, gibt es ein Minuszeichen in der Tabelle.Trifft der Fall nicht zu, gibt es ein Pluszeichen. Wird ein Schüler hin-sichtlich seiner Mitarbeit kontrolliert, muss diese Kontrolle anschlie-ßend auch in den anderen Teams durchgeführt werden, damit dieMitarbeit aller Teams zu einem Zeitpunkt x bewertet werden kann.

Die Bewertung der Aufgabe (BdA) erfolgt ausschließlich in Form vonPluszeichen. Die Anzahl der Pluszeichen werden - wie die Punkte beieiner Klassenarbeit - vorher festgelegt. Zum Schluss (TOTAL) werdenalle Plus- und Minuszeichen gegeneinander verrechnet (für jeweils einMinuszeichen wird ein Pluszeichen gestrichen). Diese Verrechnungerfolgt über alle Kategorien. So kann für ein Minuszeichen in derKategorie UR ein Pluszeichen in der Kategorie BdA gestrichen werden.

Diese Form der Bewertung beabsichtigt ausdrücklich, dass der Arbeits-prozess (Sozialverhalten) innerhalb eines Teams genauso in die Gesamt-bewertung (TOTAL) hineinwirkt wie das Arbeitsergebnis. Es ist daraufzu achten, dass in den Bereichen Arbeitsprozess und Arbeitsergebniseine Ausgewogenheit hinsichtlich der Anzahl der Zeichen besteht (z. B.UR 10 Zeichen, AP 5 Zeichen, MI 5 Zeichen und BdA 20 Zeichen).

Der Arbeitsprozess und das Arbeitsprodukt sollte eine gleichgewichtigeBewertung erfahren.

4.2.2.9 Konflikte während der Teamarbeit

Wenn in einer Tischgruppe ein Kind immer wieder besonders stark‚stört‘ und von den Mitgliedern der Tischgruppe nicht beruhigt werdenkann, liegt in der Regel ein Konflikt vor, den die gesamte Tischgruppehat. In diesem Fall wird zunächst die Arbeit in der gesamten Klasse vonder Gruppenleitung unterbrochen, und die Tischgruppe erhält denAuftrag zu berichten, was in den letzten 10 Minuten geschehen ist, wiees zu dem Konflikt gekommen ist. Gemeinsam wird dann nach Lösun-gen gesucht. Mit fortschreitender Umsetzung der Teamarbeit wird beieinem Konflikt innerhalb einer Tischgruppe nicht mehr die Arbeit aller

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138 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Schüler einer Klasse unterbrochen. Der Konflikt kann dann mit derTischgruppe allein besprochen und gelöst werden.

Die Haltung, mit der eine Lösung erarbeitet wird, sollte nicht darinbestehen, die Tischgruppe unbedingt (‚auf Gedeih und Verderb‘)zusammenzuhalten. Vielmehr sollte es im Gespräch mit den Schülerneiner Tischgruppe darum gehen zu ergründen, was jeder einzelneSchüler der Tischgruppe benötigt, um konzentriert arbeiten zu könnenund womit jeder einzelne Schüler die anderen Schüler seiner Tisch-gruppe unterstützen kann. So können z. B. innerhalb einer TischgruppeSitzveränderungen vorgenommen oder bestimmte Absprachen getroffenwerden (Regeln), die für die Zusammenarbeit hilfreich sind.

Manchmal kommen die Schüler zu dem Ergebnis, dass es hilfreich ist,die eigene Tischgruppe aufzulösen. Eine Auflösung der Tischgruppeberührt jedoch alle anderen Tischgruppen in der Klasse. Deshalb solltedie Auflösung einer Tischgruppe mit der gesamten Klasse besprochenwerden und zwar unter der Fragestellung: Wer kann wen am bestenunterstützen?

Manchmal kommt eine Tischgruppe zu dem Ergebnis, dass ein be-stimmter Schüler aus der Tischgruppe allein arbeiten sollte. Bei einerentsprechenden Gesprächsführung (Haltung) wird dieser Schüler diesesErgebnis als Hilfestellung empfinden und nicht als Ausgrenzung. DieserSchüler bildet eine eigene Tischgruppe und wird wie alle anderenbewertet.

Mit diesem Schüler ist jedoch immer wieder abzuklären, ob er das‚Alleinsitzen‘ bzw. ‚-arbeiten‘ tatsächlich als Hilfestellung empfindet.Andernfalls ist mit dem Schüler zu überlegen, was diesem Schülerweiter helfen kann (z.B. ein Sitznachbar).

Für die Lehrkraft ist eine hohe Anzahl der Minuszeichen, die sie ver-gibt, immer ein Hinweis darauf, dass es in einer Tischgruppe zu einemKonflikt gekommen ist. Sie sollte sich des Konfliktes annehmen und dieVergabe von Minuszeichen frühzeitig unterbrechen.

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4. Gruppendynamische Übungen 139

4.2.2.10 Der Schülerfragebogen zur Teamarbeit

Ein Fragebogen wird hin und wieder an die Schüler verteilt, um Kon-flikte innerhalb der Teams besser erkennen und offen bearbeiten zukönnen und um der Lehrkraft die Möglichkeit zu geben, eine Rückmel-dung von den Schülern zu erhalten.

Die Fragen an die Schüler sollten sich beziehen auf:

– die Art und Weise der Aufgabenverteilung,

– die Qualität der Zusammenarbeit (Ideen aufgreifen, Umgangstonu.a.),

– den Umgang mit Konflikten,

– das Gefühl/Empfinden bzgl. der eigenen Gruppenzugehörigkeit,

– die Zufriedenheit mit dem Arbeitsergebnis (Produkt),

– die Zufriedenheit hinsichtlich des unterrichtlichen Verhaltens derLehrkraft und ihrer Bewertung des Gesamtergebnisses der Team-aufgabe.

Im Anhang befindet sich ein Schülerfragebogen zur Teamarbeit. DerSchülerfragebogen ist recht umfangreich und kann nach Bedarf gekürztwerden. Ein Auswertungsergebnis wird für jedes Team erstellt und mitdem Team besprochen. Wurde beispielsweise festgestellt, dass in einemTeam ein zu rauer Umgangston herrscht, so wird das Team auf dieAuswirkungen hingewiesen und nach Veränderungsmöglichkeitenbefragt. Gegebenenfalls muss das Team Regeln bilden, die einenfreundlichen Umgangston befördern.

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140 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

4.2.2.11 Zusammenfassung der Kriterien für die Teamarbeit

Damit die Teamarbeit erfolgreich sein kann, sollten folgende Kriterienberücksichtigt werden:

– Definition und Legitimation der Teamarbeit gegenüber den Eltern,

– Zusammensetzung der Teams,

– eine geeignete Aufgabenstellung

– (ausreichende Schülermaterialien und Dauer der Teamarbeit),

– der Arbeitsplan (ausreichende Arbeitsschritte),

– die Berücksichtigung der Dimensionen der Arbeitsschritte,

– die Bewertung der Teamarbeit / erweiterte Tabelle zur Unterrichts-ruhe,

– der Schülerfragebogen zur Teamarbeit.

Im Anhang dieses Lehrbriefes befindet sich eine Aufgabe, die sich fürdie Teamarbeit eignet sowie die dazugehörigen Arbeitsmaterialien undLösungsbogen. Wenn Sie diesen Abschnitt durcharbeiten, finden Sienoch weitere Aufgaben/Fragen, die Sie beantworten sollten.

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5. Die Zusammenarbeit mit den Eltern 141

5. Die Zusammenarbeit mit den Eltern

Von Zeit zu Zeit bearbeiten die Eltern der Schüler auf einem Eltern-abend auch Aufgaben zur Teamarbeit. Allerdings handelt es sich danneher um Teamaufgaben, die lustig sind. Zum Beispiel können die Elternein Flugobjekt aus vorgegebenem Material bauen. Dieses Flugobjektsoll ein rohes Ei aus dem zweiten Stockwerk heil zu Boden bringen.(Auf die Anfertigung eines Arbeitsplanes verzichte ich bei den Eltern.Allerdings informiere ich die Eltern über den Zweck des Arbeitsplanes.)Die Eltern haben großen Spaß an entsprechenden Angeboten auf denElternabenden. Die Zusammenarbeit mit den Eltern erfährt durch einesolche Gestaltung der Elternabende eine hohe Unterstützung.

Für die meisten Eltern ist es vor allem wichtig, dass ihre Kinder gernzur Schule gehen, sich dort wohl fühlen und gute Leistungen erbringen.Die Eltern erwarten i. d. R. von den Lehrkräften, dass diese die Kinderv. a. in diesen drei Punkten unterstützen.

Anfangs wollen die Eltern nicht nur einen Einblick in die Unterricht-sinhalte und die Leistungsanforderungen erhalten, sondern auch erfah-ren, was die Lehrkräfte unternehmen, damit die Kinder gern zur Schulegehen. Die Eltern fragen erfahrungsgemäß selten offen und direktdanach, was die Lehrkräfte tun, damit sich die Kinder in der Schulewohl fühlen können. Die meisten Eltern hoffen, dass sich ihre Kinderwohl fühlen werden. Sprechen Sie diese Hoffnung der Eltern offen an.Nutzen Sie die Elternabende auch unbedingt dafür, um den Eltern dieTabelle für die Unterrichtsruhe (z. B. Elternmitteilung) und den Inhaltder Gruppenentwicklungsphasen mit den dazugehörigen Übungen nahezu bringen. Führen Sie mit den Eltern Übungen durch, die Sie auch mitden Kindern gemacht haben.

Bieten Sie den Eltern die Teilnahme am Unterricht an - öffnen Sie denKlassenraum für die Eltern.

Ich habe es leider sehr selten erlebt, dass Eltern im Unterricht hospitier-ten. Dagegen habe ich es immer wieder erlebt, dass Eltern das Angeboteiner Unterrichtshospitation mit Erleichterung zur Kenntnis nahmen.

Informieren Sie die Eltern auf den Elternabenden ebenso darüber,womit die Kinder im Umgang miteinander noch Schwierigkeiten habenund was ihnen schon gut gelingt. Erklären Sie, wie Sie mit den Schwie-

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142 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

rigkeiten umgehen, die Ihnen im Schulalltag mit den Kindern begegnen.Gehen Sie bei diesen Erklärungen von der Fragestellung aus: Was isthilfreich für die Kinder, damit sie den nächsten Lernschritt bewältigenkönnen? Diskutieren Sie diese Fragestellung mit den Eltern anhandkonkreter Beispiele, selbstverständlich ohne dabei einzelne Kindernamentlich zu benennen.

Die generelle Orientierung an der Kernfrage (Was hilft dem Kind?)verringert auch in Bezug auf den Einzelfall die Gefahr, nach einemSchuldigen im Falle von Schwierigkeiten zu suchen. Denken Sie bittenoch einmal an das Fallbeispiel: Christian. Welche Informationen wirddie Mutter von Christian von den Lehrkräften über ihren Sohn erhaltenhaben? Mit welchen Erwartungen und Vorwürfen wird sie wohl kon-frontiert worden sein? Wie wird der Mutter von Christian die Empfeh-lung für eine Förderschulüberprüfung ihres Sohnes nahe gebrachtworden sein? Warum war die Mutter völlig gegen die Schule eingestelltund hatte jeglichen Kontakt zur Schule abgebrochen?

Die Fragestellung, wer die Schuld an dem Verhalten des Kin-des trägt, lässt in keinem Fall ein konstruktives Gespräch zu.

Ein konstruktives Gespräch entsteht, wenn Sie mit den Elterndie Kernfrage klären:

Was ist hilfreich für das Kind, damit es sich in der Klasse wohlfühlen und konzentriert mitarbeiten kann?

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6. Gruppenarbeit 143

1 (Herausgeber) Evangelische Kirche in Deutschland: Die Bibel, Stuttgart 1985,Lukas 2, 1-7 und Matthäus 2, 1-16.

6. Beispiel für eine Gruppenarbeit

1. Beispiel: Teamaufgabe(Unterrichtsaufgabe für die Teamarbeit)

Nehmen wir an, dass die Schüler die Geschichte von König Herodeskennen lernen sollen.

Ich habe den Text zu dieser Geschichte der Bibel entnommen.1 DerBibeltext wird mit den Schülern gemeinsam gelesen und anschließendbesprochen. Die Schüler erhalten aus dem Bibeltext u.a. die Hinweise,dass Josef und Maria von Nazareth nach Bethlehem ziehen mussten,weil der Kaiser Augustus das Gebot der Schätzung erlassen hatte. DieseInformationen werden für die Beantwortung des Fragebogens zurTeamaufgabe wichtig, denn sie fehlen in den Schülermaterialien zurTeamaufgabe. Die Schüler müssen diese Informationen aus dem Ge-dächtnis abrufen, um den Fragebogen zur Teamaufgabe vollständigbearbeiten zu können.

Formulierung der Teamaufgabe:

Liebe Schülerinnen und Schüler,nachfolgend ein durcheinander geratener Text zur Geschichte „KönigHerodes und Jesus“ sowie Arbeitsaufgaben für die Teamarbeit.

Bevor ihr mit der Arbeit beginnt, wählt bitte die Gruppenleiterin bzw.den Gruppenleiter für eurer Team und füllt anschließend den Arbeits-plan aus.

Bitte beachtet hierbei auch besonders die Arbeitsschritte, die Konfliktevon vornherein verhindern.

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144 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

1. Aufgabe

Bitte schneidet die Textabschnitte des Arbeitsbogens aus, klebt jedeneinzelnen Textabschnitt auf eine Karteikarte und legt anschließend dieTextkarten so auf den Tisch, dass ihr eine zusammenhängende Ge-schichte erhaltet.

2. Aufgabe

Bitte lest die Geschichte einmal durch.

3. Aufgabe

Bitte beantwortet die Fragen zur Rätselgeschichte „König Herodes undJesus“.

4. Aufgabe

Erstellt bitte eine Collage zur Rätselgeschichte „König Herodes undJesus“, die aus mindestens sieben Bildern oder/und Symbolen bestehenmuss.

Die sieben Bilder oder/und Symbole müssen auf einen Bogen Buntkar-ton geklebt werden.

5. Aufgabe

Die Teamarbeit wird der Gruppe präsentiert.

Hinweis:

Für die Erledigung aller Aufgaben habt ihr drei Unterrichtsstunden zurVerfügung.

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6. Gruppenarbeit 145

Jetzt folgen zwei Aufgaben für Sie:

Bitte versuchen Sie die Arbeitsschritte ausfindig zu machen und auf-zuschreiben, die für die Bewältigung der Teamaufgabe erforderlichsind.

Bitte ordnen Sie jetzt jedem Arbeitsschritt, den Sie notiert haben, eine„passende“ Dimension zu (siehe Dimensionen der Arbeitsschritte).

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146 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

2. Beispiel: Der Arbeitsplan (zur Teamaufgabe)

Die Arbeitsschritte, die für die Bewältigung der Teamaufgabe erforder-lich sind, habe ich für Sie zum Vergleichen notiert. Außerdem habe ichdie Dimensionen zugeordnet und eine Zuordnung von fiktiven Personenzu den Arbeitsschritten vorgenommen. Es handelt sich dabei um vierPersonen. Die Teamaufgabe ist aber auch für bis zu sechs Personengeeignet.

Arbeitsschritte: Umsetzung derArbeitsschritte von:

Gesprächsleiter/in o.Gruppenleiter/in wählen(geheime, offene Wahl,Losverfahren,freiwillige Zuordnung)gewählte/r Gesprächsleiter/ino. Gruppenleiter/in Simon(1. Dimension)

................................................... ...........................................

Arbeitsplan ausfüllenSchreiber/in MarianneHelfer/in Markus, Marianne, Manuela(Arbeitsschritte benennen)(3. Dimension)

Arbeitsschritte den Personenzuordnen(Gesprächsleiter/ino. Gruppenleiter/inführt gegebenenfalls Abstimmung herbei) Simon(1. Dimension undgegebenenfalls 4. Dimension)

................................................... ...........................................

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6. Gruppenarbeit 147

Material holen(Materialholer/in) Markus (1. Dimension)

..................................................... ...........................................

Textabschnitte ausschneiden(Ausschneider/in) Marianne, Markus,(2. Dimension) Simon, Manuela

..................................................... ...........................................

Textabschnitte aufKarteikarten kleben(Kleber/in) alle vier Personen(2. Dimension)

..................................................... ...........................................

Karteikarten ordnen(Ordner/in) Markus, Marianne(Helfer/in) Simon, Manuela(3. Dimension)

..................................................... ...........................................

Geschichte lesen(Vorleser/in) Manuela(Zuhörer/in) Marianne, Markus, Simon3. Dimension)

..................................................... ...........................................

Collage anfertigenGesprächsleiter/in(Gruppenleiter/in) Simon(4. Dimension)

Ideen nennen(Ideensammler/in) alle vier Personen3. Dimension)

Ideen notieren(Schreiber/in) Marianne(3. Dimension)

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148 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Über die Ideen abstimmen(Gesprächsleiter/ino. Gruppenleiter/in) Simon(4. Dimension)

..................................................... ...........................................

Gewählte Idee umsetzen(mind. sieben Bilderoder Symbole)(Zeichner/in) Markus, Manuela,

Marianne, (Simon)(gegebenenfalls Schreiber/infür Sprech- und Denkblasen) (Simon)(2. Dimension undgegebenenfalls 3. Dimension)

Mind. sieben Bilder o.Symbole auf einem BogenBuntkarton anordnen(Berater/in oder Gestalter/in) alle vier Personen(2. Dimension)

Bilder oder Symbole aufkleben(Kleber/in) Manuela(2. Dimension)

..................................................... ...........................................

Präsentation desArbeitsergebnissesGruppensprecher/in wählen,Wahlleitung hat derGesprächsleiter o. Gruppenleiter Simon(gewählte Gruppensprecher/in) Marianne und Markuseventuell Helfer/in bei derPräsentation Manuela und Simon(4. Dimension)

..................................................... ...........................................

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6. Gruppenarbeit 149

Arbeitsplatz aufräumen(Aufräumer/in) alle vier PersonenMaterial wegbringen(Materialwegbringer/in) Simon(1. Dimension)

..................................................... ...........................................

Für die Teamaufgabe „König Herodes und Jesus“ benötigen die Schülerz. B. den folgenden Arbeitsbogen (der Schriftgrad und der Abstand derTextabschnitte sind im Original erheblich größer, Schriftgrad 20):

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150 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

3. Beispiel: Schülermaterialien zur Teamaufgabe(Arbeitsbogen)

König Herodes und Jesus

Herodes war ein herrschsüchtiger und brutalerKönig, der in Jerusalem regierte. Er ließ jedenumbringen, der mächtiger sein wollte alsHerodes.

Nur sehr wenige Kinder überlebtendieses grausame Morden, weil sievon ihren Eltern rechtzeitigversteckt werden konnten.

Die weisen Männer waren so erschöpftvon ihrer langen Suche, dass sie sich inder Hütte ausruhten und einschliefen.

Immer wieder wurde König Herodes vonder Angst befallen, seine Macht zu verlieren.

Das erzählten Herodes jedenfalls dreiweise Männer, die aus dem Auslandgekommen waren. Diese weisen Männerwollten unbedingt das Kind sehen, dasspäter einmal der Herrscher sein würde.

Selbst seine römische Familie fürchtete ihn,denn er hatte bereits einige Familienmitgliederumbringen lassen, weil sie seine Herrschsuchtbemängelt hatten.

Er bat die weisen Männer, ihn sofort zuinformieren, sobald sie das Kind gefundenhätten.

Das taten die Soldaten auch.

König Herodes überlistete die weisenMänner, indem er seine Wut und Angstvor ihnen versteckte und so tat, als ob er

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6. Gruppenarbeit 151

sich riesig über die Geburt des besonderenKindes freute.

Über der Hütte leuchtete ein Stern - sohell wie kein anderer.

Alle weisen Männer hatten den gleichenTraum.

Als König Herodes dies hörte, war er fastohnmächtig vor Wut, trotzdem gelang esihm, eine List anzuwenden.

Die weisen Männer befolgten den Rat,der ihnen im Traum gegeben wurde undverließen Judäa so schnell sie konnten.

Die weisen Männer machten sich auf denWeg und fanden tatsächlich das Kindund seine Eltern in einer verlassenen undärmlichen Hütte.

Eines Tage hörte Herodes, dass ihn ein vielmächtigerer Herrscher besiegen werde.

Einige Monate später erfuhr KönigHerodes von der Flucht der weisenMänner. Seine Wutausbrüche warenunbeschreiblich. Er fühlte sich vonden weisen Männern betrogen, weilsie ihm nicht gesagt hatten, wo erdas besondere Kind finden konnte,

Die Soldaten sollten alle jüdischenKinder bis zum Alter von zweiJahren töten.

...denn König Herodes fühlte sichdurch dieses Kind bedroht.Er hatte nun so große Angst vor demVerlust seiner Macht, dass er seinenSoldaten einen schrecklichen Befehl gab.

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152 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Das besondere Kind wurde auchgerettet, denn seine Eltern flüchtetenmit ihm nach Ägypten.

Sie träumten, dass sie auf keinen Fallvon Bethlehem nach Jerusalem zu KönigHerodes gehen sollten um ihm zu sagen,wo sich das Kind befindet.

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6. Gruppenarbeit 153

4. Beispiel: Fragebogen zur Teamaufgabe (Arbeitsbogen)

1. Welche Staatsangehörigkeit hat König Herodes?

2. Wie viele Männer erzählten Herodes von der Geburt des besonde-ren Kindes?

3. Wie heißt der Ort (die Stadt), an dem die Männer übernachteten?

4. Warum sagten die Männer dem König nicht, wo er das besondereKind finden konnte?

5. Welchen Landesteil von Palästina verließen die weisen Männer soschnell sie konnten?

6. Warum sollten die Soldaten alle jüdischen Kinder bis zum Altervon 2 Jahren töten?

7. Wie heißt das besondere Kind?

8. Wie heißen die Eltern des besonderen Kindes und welche Stadthaben sie verlassen müssen?

9. Warum war die Familie in der ärmlichen Hütte?

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154 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

5. Beispiel: Lösungsbogen zur Teamaufgabe

Reihenfolge der Karten

1. KarteKönig Herodes und JesusHerodes war ein herrschsüchtiger und brutalerKönig, der in Jerusalem regierte. Er ließ jedenumbringen, der mächtiger sein wollte alsHerodes

2. KarteSelbst seine römische Familie fürchtete ihn,denn er hatte bereits einige Familienmitgliederumbringen lassen, weil sie seine Herrschsuchtbemängelt hatten.

3. KarteImmer wieder wurde König Herodes vonder Angst befallen, seine Macht zu verlieren.

4. KarteEines Tage hörte Herodes, dass ihn ein vielmächtigerer Herrscher besiegen werde.

5. KarteDas erzählten Herodes jedenfalls dreiweise Männer, die aus dem Auslandgekommen waren. Diese weisen Männerwollten unbedingt das Kind sehen, dasspäter einmal der Herrscher sein würde.

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6. Gruppenarbeit 155

6. KarteAls König Herodes dies hörte, war er fastohnmächtig vor Wut, trotzdem gelang esihm, eine List anzuwenden.

7. KarteKönig Herodes überlistete die weisenMänner, indem er seine Wut und Angstvor ihnen versteckte und so tat, als ob ersich riesig über die Geburt des besonderenKindes freute.

8. KarteEr bat die weisen Männer, ihn sofort zuinformieren, sobald sie das Kind gefundenhätten.

9. Karte

Die weisen Männer machten sich auf denWeg und fanden tatsächlich das Kindund seine Eltern in einer verlassenen undärmlichen Hütte.

10. KarteÜber der Hütte leuchtete ein Stern - sohell wie kein anderer.

11. KarteDie weisen Männer waren so erschöpftvon ihrer langen Suche, dass sie sich inder Hütte ausruhten und einschliefen.

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156 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

12. KarteAlle weisen Männer hatten den gleichenTraum.

13. KarteSie träumten, dass sie auf keinen Fallvon Bethlehem nach Jerusalem zu KönigHerodes gehen sollten um ihm zu sagen,wo sich das Kind befindet.

14. KarteDie weisen Männer befolgten den Rat,der ihnen im Traum gegeben wurde undverließen Judäa so schnell sie konnten.

15. KarteEinige Monate später erfuhr KönigHerodes von der Flucht der weisenMänner. Seine Wutausbrüche warenunbeschreiblich. Er fühlte sich vonden weisen Männern betrogen, weilsie ihm nicht gesagt hatten, wo erdas besondere Kind finden konnte,

16. Karte...denn König Herodes fühlte sichdurch dieses Kind bedroht. Erhatte nun so große Angst vor demVerlust seiner Macht, dass er seinenSoldaten einen schrecklichen Befehl gab.

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6. Gruppenarbeit 157

17. KarteDie Soldaten sollten alle jüdischenKinder bis zum Alter von zweiJahren töten.

18. KarteDas taten die Soldaten auch.

19. KarteNur sehr wenige Kinder überlebtendieses grausame Morden, weil sievon ihren Eltern rechtzeitigversteckt werden konnten.

20. KarteDas besondere Kind wurde auchgerettet, denn seine Eltern flüchtetenmit ihm nach Ägypten.

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158 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Antworten zum Fragebogen der Teamarbeit

Zu 1.Er war ein Römer.

Zu 2.Drei Männer

Zu 3.Bethlehem

Zu 4.Weil sie alle träumten, dass sie auf keinen Fall Herodes sagen sollten,wo sich das Kind befindet.

Zu 5.Judäa

Zu 6.

Weil Herodes wusste, dass der neue Herrscher noch ein Kind war undHerodes seine Macht nicht verlieren wollte.

Zu 7.Jesus.

Zu 8.Maria und Josef. Nazareth.

Zu 9.Weil Maria und Josef sich in Bethlehem in die Steuerlisten eintragenmussten und sie in Bethlehem keine Herberge fanden.

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6. Gruppenarbeit 159

6. Beispiel: Schülerfragebogen zur Teamarbeit

Name: Datum:

Fragebogen zur Teamarbeit

1. Wie habt ihr die Arbeitsschritte in deinem Team verteilt?

Offene WahlGeheime WahlLosesonstiges

2. Konntest du die Arbeitsschritte übernehmen, die du auch habenwolltest?

Ja Nein

Wenn du mit Nein geantwortet hast: Wie bist du mit deinem Ärgerdarüber umgegangen? Oder hast du dich gar nicht darüber ge-ärgert?

3. Wurde über die Ideen, die du für die Lösung der Aufgabe genannthast, gelacht?

Ja Nein

4. Hast du dich dafür eingesetzt, dass andere Kinder aus deinemTeam ihre Vorschläge ausführlich vortragen konnten?

Ja Nein

Wenn du mit Ja geantwortet hast: Wie hast du dich eingesetzt?Was hast du getan?

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160 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Wenn du mit Nein geantwortet hast: Warum hast du dich nichteingesetzt?

5. Bist du heute von einem oder mehreren Kindern aus deinem Teamgelobt worden?

Ja Nein

6. Gab es heute in deinem Team Streit?

Ja Nein

Wenn du mit Ja geantwortet hast: Welchen Streit gab es und wiehabt ihr diesen Streit gelöst?

7. Gibt es etwas, worüber du dich immer wieder während der Team-arbeit ärgerst?

Ja Nein

Wenn du mit Ja geantwortet hast: Worüber ärgerst du dich immerwieder?

8. Hast du dich heute in deinem Team meistens wohl gefühlt?

Ja Nein

9. Überlege jetzt bitte ganz sorgfältig:Worüber hast du dich heute während der Teamarbeit gefreut?

10. Bist du mit dem Arbeitsergebnis deines Teams zufrieden?

Ja Nein

11. Hast du noch Verbesserungsvorschläge für eure vorgelegte Arbeit?

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6. Gruppenarbeit 161

12. War die Lehrkraft heute für dich eine Hilfe?

Ja Nein

Wenn du mit Nein geantwortet hast: Was hast du bei der Lehrkraftvermisst?

Wenn du mit Ja geantwortet hast: Womit hat dir die Lehrkraftgeholfen?

13. Bist du mit der Bewertung des Arbeitsergebnisses durch die Lehr-kraft einverstanden?

Ja Nein

Wenn du mit Nein geantwortet hast: Was findest du an der Be-wertung nicht richtig?

14. Was sollten die Kinder in deinem Team tun, damit du dich indeinem Team noch wohler fühlen kannst?

15. Was kannst du tun, damit sich die Kinder in deinem Team nochwohler fühlen?

Wenn du alle Fragen beantwortet hast, aber andere Kinder noch an demFragebogen arbeiten, kannst du jetzt ein Bild auf diesem Blatt malenoder in einem Buch lesen.

Es ist wichtig, dass du jetzt die anderen Kinder nicht bei ihrer Arbeitstörst.

Der Fragebogen wird von mir eingesammelt, wenn alle Kinder fertigsind.

Vielen Dank für deine Mitarbeit!

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162 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

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Schlussbemerkungen 163

Schlussbemerkungen

Wenn ich im Rahmen von Lehrerfortbildungen von der Qualität desMiteinanders in einer Klasse berichte, an die eine gut funktionierendeTeamarbeit geknüpft ist, ernte ich häufig Zweifel. Die Zweifel derKolleginnen und Kollegen sind gefüllt mit den jeweils eigenen Erfah-rungen aus dem Schulalltag und den Schwierigkeiten im Umgang mit„verhaltensauffälligen“ Schülern. In diesem Zusammenhang erinnereich an das Fallbeispiel „Christian“, das ich in der Einleitung diesesLehrbriefes geschildert habe. Christian und die vielen weiteren sozialängstlichen Schüler, die wir in unseren Schulen haben, erschweren esunbestreitbar ihren Mitschülern und ihren Lehrkräften, zu einem ge-meinsamen friedvollen Miteinander zu finden. Doch eines darf man m.E. nicht dabei vergessen: Kinder wie Christian erwerben die sozialeAngst im Laufe ihrer (schulischen) Entwicklung; auch diese Kinderleiden unter der sozialen Angst und ihren Auswirkungen. UnsereSchwierigkeiten im Umgang mit sozial ängstlichen Kindern wie Christi-an dürfen aus meiner Sicht nicht zu einer Ausgrenzung dieser Kinderführen, sondern müssen die Fragestellung zur Folge haben, was fürdiese Kinder und die Verantwortlichen in der Schule hilfreich ist, umden Kindern eine Integration in die Schulgemeinschaft zu ermöglichen.Unsere persönliche Haltung in der Begegnung mit (uns auffallenden)Schülern und die Umsetzung der Möglichkeiten der Einflussnahme aufdie positive Entwicklung jedes einzelnen Schülers und seines Klassen-verbandes beinhalten aus meiner Sicht die Antwort, wie die Schwierig-keiten im Umgang mit (uns auffallenden) Kindern gelöst werden kön-nen. Wird die soziale Kompetenz der Schüler gefördert, die Gruppen-entwicklung einer Klasse angeleitet und die Arbeitsproduktivität derSchüler gesteigert, dann erhöht sich nicht nur die Wahrscheinlichkeiteiner erfolgreichen Integration uns auffallender Schüler um ein Vielfa-ches, sondern auch unser Einfluss auf den jeweils erreichbaren optima-len Schulerfolg aller Schüler. Selbstredend erfährt unsere eigene Ar-beitszufriedenheit in entsprechend angeleiteten Klassen einen erhebli-chen Auftrieb und wir können uns wieder besser darauf besinnen, dassdie Schüler Lernende sind, die wir dazu anleiten sollen, damit sie inunsere Gesellschaft hinein wachsen können.

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164 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

1 Aus: Hamburgisches Schulgesetz vom 16. April 1997, § 2 (Bildungs- undErziehungsauftrag der Schule), Hrsg.: Behörde für Schule, Jugend und Berufs-bildung, Hamburger Str. 31, 22083 Hamburg.

“Es ist (die) Aufgabe der Schule, die Schülerinnen und Schülerzu befähigen und ihre Bereitschaft zu stärken, ihre Beziehungen

zu anderen Menschen nach den Grundsätzen der Achtung und Toleranz,der Gerechtigkeit und Solidarität sowie der Gleichberechtigung der

Geschlechter zu gestalten und Verantwortung für sich und anderezu übernehmen, an der Gestaltung einer der Humanität

verpflichteten demokratischen Gesellschaft mitzuwirken undfür ein friedliches Zusammenleben der Kulturen sowie

für die Gleichheit und das Lebensrecht aller Menschen einzutreten,das eigene körperliche und seelische Wohlbefinden ebenso

wie das der Mitmenschen wahren zu können undMitverantwortung für die Erhaltung und den Schutz

der natürlichen Umwelt zu übernehmen.“1

Es liegt an jedem einzelnen von uns, die Kinder dabei zu unterstützen,Fähigkeiten zu erwerben, wie sie in dem zitierten Textabschnitt zumAusdruck kommen. In diesem Sinne möchte ich Ihnen Mut machen,sich auf das „Abenteuer“ des Sozialen Lernens einzulassen und wün-sche Ihnen hierfür ein gutes Gelingen!

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Lösungshinweise zu den Übungsaufgaben 165

Lösungshinweise zu den Übungsaufgaben

Übungsaufgabe 1: Tabelle: Lernzuwachs - Ergebnisse

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166 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

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Wiederholungsfragen 167

Wiederholungsfragen

1. Auf welches Prinzip ist das lerntheoretische Modell: Lernen amErfolg ausgerichtet? (1.4.2)

2. Welche externen Reize befördern bei Schülern die soziale Angst?(1.5)

3. Wovor schützen sich sozial ängstliche Schüler? (1.5)

4. Was hilft den Schülern, um eine Sinnhaftigkeit von Normen nach-vollziehen zu können? (1.8.5)

5. Welche Auswirkungen können unstrukturierte soziale Situationenauf das Schülerverhalten haben? (1.8.5)

6. Was hat in der Gruppenentwicklungsphase „Machtkampf undKontrolle“ die höchste Priorität? (2.1.2)

7. Was sind gruppendynamische Übungen und welche Ziele werdenmit gruppendynamischen Übungen verfolgt? (4. Kapitel)

8. Welche grundsätzliche Fragestellung eröffnet die Möglichkeiteines konstruktiven Gespräches mit Eltern und Schülern im Fallevon Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit? (6. Kapitel)

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168 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

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Literaturverzeichnis 169

Literaturverzeichnis

Antons, Klaus:

Praxis der Gruppendynamik, Göttingen, 1976.

Übersichtliche Darstellung von Schwerpunkten in der Gruppendynamikwie z. B. Entscheidungen treffen, Symptome von Konflikten; dievorgestellten Übungen eignen sich eher für Gruppen mit Erwachsenen.

Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung, Amt für Schule(Hrsg.):

Aktive Pause, Hamburg, 1997.

Gute Einführung, Übersicht und Hinweise für die aktive Pausengestal-tung.

Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge (Hrsg.):

Fachlexikon der sozialen Arbeit, Frankfurt am Main, 1997.

Fachbegriffe rund um die Sozialarbeit werden in diesem Lexikon sehrgut und anschaulich erklärt.

Großmann, Christina:

Projekt: Soziales Lernen - Ein Praxisbuch für den Schulalltag,Verlag an der Ruhr, 1996.

Die vorgestellten Übungen bauen aufeinander auf und fördern dieGruppenentwicklung innerhalb von Schulklassen der Stufe 5/6.

Hoffmann, Nicolas / Freese, Michael:

Verhaltenstherapie in der Sozialarbeit, Salzburg, 1975.

Das Arbeitsbuch besteht aus einer theoretischen Einführung (Lern-theorien und aus einem Praxisteil mit Übungen zum Selbsttraining.)

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170 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

Langmaack, Barbara / Braune-Krickau, Michael:

Wie die Gruppe laufen lernt, 5. Auflage, Weinheim, 1995.

Anschauliche Schilderung der Planung, Vorbereitung, der Leitungsowie der Beendigung von Arbeitsgruppen, deren Mitglieder Erwachse-ne sind.

Lowy, Louis / Bernstein, Saul:

Untersuchungen zur sozialen Gruppenarbeit, Lambertus Verlag,1969.

Ein Klassiker in der Sozialarbeit, in dem die Gruppenentwicklungbeschrieben wird.

Nickel, Horst:

Entwicklungspsychologie des Kindes- und Jugendalters, Band 1,3. Auflage, Bern, 1979.

Anschauliche Darstellung der allgemeinen Voraussetzungen und Bedin-gungen des Entwicklungsprozesses im Kindesalter.

Petermann, Ulricke:

Training mit sozial unsicheren Kindern, München-Weinheim,1986.

Sehr gute, anspruchsvolle Darstellung mit weiterführenden Literaturhin-weisen zum Thema „sozial unsichere Kinder“.

Stanford, Gene:

Gruppenentwicklung im Klassenraum und anderswo, 2. Auflage,Aachen-Hahn, 1991.

Die Schilderung der Gruppenentwicklungsphasen ist den Bedingungenin der Schule angepasst. Die vorgestellten Übungen sind m. E. nicht fürSchüler/innen der Klassenstufe 5/6 geeignet.

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Literaturverzeichnis 171

Vester, Frederic:

Denken, Lernen, Vergessen, München, 1978.

Wie funktioniert unser Gehirn? Wie eignen wir uns Wissen an? Dieseu. a. Fragen beantwortet Vester in seinem Buch sehr anschaulich.

Watson, John B.:

Behaviorismus, Frankfurt am Main, 1984.

Ein Klassiker in der Verhaltensforschung.

Watzlawick, Paul / Beavin, Janet H. / Jackson, Don D.:

Menschliche Kommunikation, 5. Auflage, Wien, 1980.

Wie funktioniert die menschliche Kommunikation? Wie kann dieKommunikation zwischen Menschen verbessert werden und worauf istdabei zu achten? Watzlawick u. a. geben anhand konkreter BeispieleAntworten auf diese und weitere Fragen.

Zellinger, Eduard:

Die empirische Humanwissenschaft im Umbruch - Vom Behavio-rismus zu einer adäquaten Erforschung des Menschen, Stuttgart,1979.

Das menschliche Verhalten wird unzureichend erklärt, wenn das Ver-halten als eine reine Reiz-Reaktions-Kette verstanden wird. Mensch-liches Verhalten umfasst weit mehr Aspekte und bedarf deshalb eineranderen, dem Menschen würdigen Erforschung.

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172 Soziales Lernen und Gruppenentwicklung

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Einsendeaufgaben 173

Einsendeaufgabe

1. Sie wollen mit Ihrer Klasse eine Übung durchführen, bei der sichdie Schüler im Kreis aufstellen und bei den Händen fassen müssen.

Einige Schüler wollen ihre Mitschüler nicht bei den Händen fassenund machen dies deutlich durch Aussagen wie: „Ih, den/die fasseich doch nicht an!“

1. Wie reagieren Sie als Lehrkraft in dieser Situation?

2. Welche Angebote durch die Lehrkraft helfen den Schülern,um die Situation zukünftig meistern zu können?

2. Rufen Sie sich bitte Ihre eigene Klasse/Lerngruppe ins Gedächtnis.

1. In welcher Gruppenentwicklungsphase befindet sich IhreKlasse/Lerngruppe zur Zeit? Bitte begründen Sie Ihre Ant-wort.

2. Mit welchem Grundkonflikt ist Ihre Klasse/Lerngruppe zurZeit konfrontiert? Bitte beschreiben Sie den Grundkonflikt.

3. Was wollen sie konkret unternehmen, um diesen Grundkon-flikt mit Ihrer Klasse/Lerngruppe zu lösen?

4. Womit können Sie Ihre Klasse/Lerngruppe gegebenenfallsüber den Grundkonflikt hinaus unterstützen, um eine Ver-besserung des sozialen Klimas zu erreichen?