SPATIUM - issibern.ch · Das Weltbild des Aristoteles war geozentrisch.Demzufolge kreisen der...

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SPAT IUM Publikationsorgan des Vereins Pro ISSI Entstehung des Universums No.1, April 1998 Entstehung des Universums Faszination des Ursprungs: Die drei ersten Minuten vor rund 14 Milliarden Jahren waren bestimmend für unser Universum. Experimente der Weltraumwissenschaft er- möglichen uns Einblicke in die Tiefen von Raum und Zeit. INTERNATIONAL SPACE SCIENCE INSTITUTE

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SPAT IUMPublikationsorgan des Vereins Pro ISSI

Entstehung des Universums

No.1, April 1998

Entstehung des Universums

Faszination des Ursprungs:Die drei ersten Minuten vorrund 14 Milliarden Jahrenwaren bestimmend für unserUniversum.Experimente derWeltraumwissenschaft er-möglichen uns Einblicke indie Tiefen von Raum undZeit.

INTERNATIONAL SPACESCIENCEINSTITUTE

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Editorial

ImpressumDie vorliegende erste Nummer desSPATIUM ist den ersten drei Mi-nuten unseres Universums gewid-met.Sie stellt aber auch den Auftaktfür eine lockere Folge von Mit-teilungen des Vereins Pro ISSI dar.Dieser Verein hat sich die Förderungder Raumfahrt in der Schweiz zurAufgabe gemacht. Seine Mitgliedersind Einzelpersonen und Firmen,die sich für die Erforschung desSonnensystems, der Milchstrasseund des gesamten Universums in-teressieren. Sein Mitteilungsorganist das vorliegende SPATIUM, des-sen Name sich vom lateinischenRaum ableitet.

Herrn Professor Johannes Geiss,dem Gründer unseres Vereins undgeschäftsführenden Direktor desInternational Space Science Insti-tuts, sind wir dankbar, dass er mitdieser Arbeit nicht nur den Anfangmacht, sondern gleich auch zeigt,was wir wollen: Forschungsergeb-nisse in diesen Wissensbereichen sovermitteln, dass auch Nichtfach-leute berührt werden von der Faszi-nation, die der Himmel ausübt,seitdem es Menschen gibt, die sichFragen stellen zu ihrem Woher undWohin.

Hansjörg SchlaepferBern,im März 1998

SPATIUMPublikationsorgan des Vereins Pro ISSIErscheint ein- bis zweimal jährlich

Verein Pro ISSIHallerstrasse 6,3012 BernTel. 031 63148 96Fax 031 63148 97

Präsident: Prof.Hermann Debrunner,Universität BernHerausgeber/Quästor: Dr.Hansjörg Schlaepfer,ContravesSpace,ZürichRedaktion dieses Beitrags: Peter Abgottspon, ThunGraphik: Gian-Reto Roth,Contraves Space,ZürichDruck: Drucklade AG,8008 Zürich

Inhalt

Die ersten Minuten und das weitere Schicksal des Universums 3

INTERNATIONAL SPACESCIENCEINSTITUTE

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Abbildung 1: Das alte WeltbildDas Weltbild des Aristoteles war geozentrisch.Demzufolge kreisen der Mond,die Sonne und diePlaneten um die Erde.Bis ins 18.Jahrhundert hinein galt der Saturn als der entfernteste Planet. ImJahre 1781 wurde Uranus und später noch zwei Grossplaneten,Neptun und Pluto, entdeckt. ImWeltbild des klassischen Altertums lagen die Sphären der Fixsterne jenseits des Saturn.Heute wis-sen wir,dass alle Fixsterne, auch die nächsten unter ihnen,mindestens 20000 Mal weiter von derErde entfernt sind als der Saturn.

Die Kosmologie im Sinne einernaturwissenschaftlichen Gesamt-sicht des Universums ist ein Produktdes 20. Jahrhunderts. Dies gilt so-wohl für die relevanten astronomi-schen Beobachtungen und physika-lischen Experimente, wie auch fürdie mathematische Theorie desKosmos, denn erst seit 1915 habenwir mit Einsteins Allgemeiner Rela-tivitätstheorie die Möglichkeit einermathematischen Formulierung fürden Raum, die Zeit, das Licht unddie Materie des Kosmos.

Die Kosmologie ist die Wissenschaftvom Universum als Ganzem. Manmuss daher aus der Fülle der Be-obachtungen und Messungen dieje-nigen herausfinden, welche für dasVerständnis des gesamten Kosmosrelevant sind. Für die moderneKosmologie sind drei Beobach-tungsbereiche wesentlich:

– Die Expansion des Universums– Charakter und Zusammensetzung

der Materie, die beim Urknall (Big Bang) entstanden ist.

– Die Restwärme im heutigenUniversum

Bis 1960 standen für die Kosmologieausschliesslich Beobachtungen vonder Erde aus zur Verfügung. ImLaufe der letzten Jahrzehnte habenjedoch Beobachtungen vom Welt-

Die ersten Minuten und das weitereSchicksal des Universums

Johannes Geiss, International Space Science Institute, Bern Vortrag für den Verein Pro ISSI am 30.10.1997

Der Weg zurnaturwissen-schaftlichenKosmologie

raum aus an Bedeutung gewonnen.Aus der kosmologischen Forschungsind heute das Hubble Space Tele-scope, das einen tiefen Blick in dasUniversum erlaubt, der NASA-Sa-tellit COBE,mit dem die Restwär-me im Universum genau bestimmtwird, und der europäische SatellitHIPPARCOS, der das System derkosmischen Distanzen auf eine si-chere Basis gestellt hat, nicht mehrwegzudenken. Auch bei den Be-obachtungen und Messungen, die

uns Aufschluss über Art und dieZusammensetzung der Materie ge-ben, wie sie im Urknall entstandenist, stehen Ergebnisse aus dem Welt-raum gleichrangig neben Beobach-tungen vom Boden aus. Es seienhier etwa die Beobachtungen mitdem Hubble Telescope, Ergebnisseder Apollo-Landungen auf demMond, oder Resultate der euro-päisch-amerikanischen Weltraum-sonde Ulysses erwähnt.

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Obwohl ein Produkt des 20. Jahr-hunderts, steht die Kosmologie aufdem Fundament der allgemeinenNaturgesetze, welche die Forscherüber Jahrhunderte bis in die neuesteZeit hinein mit Hilfe von Natur-beobachtungen, Experimenten imLabor und theoretischen Ansätzenherausgefunden haben.

Vom Geozentrischen zumHeliozentrischen System

Bis ins 17.Jahrhundert hinein prägtedas geozentrische System, bei demdie Erde im Mittelpunkt des Uni-versums steht,das menschliche Den-ken (Abbildung 1). Es entsprach derphilosophisch-religiösen Einstel-lung, dass der Mensch und seine Lebenswelt im Zentrum des Uni-versums angesiedelt sei.Dieses Welt-bild wurde von Aristoteles undanderen Philosophen des klassischenAltertums auf der Grundlage vonBeobachtungen des Himmels mitblossem Auge geschaffen.

Schon Aristarch von Samos unddann später, im 15.Jahrhundert,Ko-pernikus hatten ein heliozentrischesSystem eingeführt.Schliesslich warenes aber die Beobachtungen Galileismit dem von Holländern neu erfun-denen Fernrohr und Galileis physi-kalischen Argumente, welche einebreite Öffentlichkeit und schliesslichauch die römische Kirche davonüberzeugten, dass die Planeten –einschliesslich der Erde – um dieSonne kreisen. Diese revolutionäreÄnderung des Weltbildes steht amAnfang der erfolgreichen naturwis-senschaftlichen Methodik, die fürdas Abendland charakteristisch ist.

Entfernungsmessung imKosmos

Der Übergang vom geozentrischenzum heliozentrischen System hatteaber noch eine andere, ebensowichtige Auswirkung: zum erstenMal wurde es möglich,Distanzen zuFixsternen zu bestimmen. Im helio-zentrischen System bewegt sich dieErde, und dies ermöglicht die Be-trachtung des Sternenhimmels vonverschiedenen Positionen aus unddamit eine Bestimmung der Paralla-xen (griechisch: Abweichungen)von Fixsternen (Abbildung 2). Dieersten Messungen gelangen im 18.Jahrhundert, und es zeigte sich,dassselbst die nächsten Fixsterne in ei-ner Entfernung von einigen Licht-jahren liegen: Sie sind ungefährfünftausendmal weiter entfernt vonder Erde als Pluto,der fernste Planetdes Sonnensystems. So konnte manerstmalig ahnen,wie riesig gross dasUniversum ist, sogar im Vergleichzum gesamten Sonnensystem.DieseErkenntnis bewirkte eine ebensofundamentale Änderung des Welt-bildes wie der Übergang vom geo-zentrischen zum heliozentrischenSystem.

Im Vergleich zu kosmischen Di-mensionen ist die Parallaxen-Me-thode auf ein kleines, begrenztesUmfeld der Sonne beschränkt.Wiekommt man aber weiter? Wie be-

DasexpandierendeUniversum

Abbildung 2: Die Entfernungs-messung mit der Parallaxen-MethodeVon 2 Punkten der Erdbahn aus gesehen ver-schiebt sich die scheinbare Position einesnäher liegenden Sterns vor dem Hintergrundsehr weit entfernter Sterne. Aus der Ände-rung der Richtung (Parallaxe), in welcher derStern gesehen wird, lässt sich dessen Entfer-nung genau bestimmen.Obwohl der Durch-messer der Erdbahn 300 Mio Kilometer beträgt,misst man als Winkeländerung (Paral-laxe) selbst zu den nächsten Sternen nur eini-ge Bogensekunden. Daraus folgt unter An-wendung einfacher geometrischer Gesetze,dass die entsprechenden Entfernungen unge-fähr 100 000 Mal grösser sind als der Erd-bahndurchmesser, das heisst die nächstenFixsterne finden wir in einer Entfernung voneinigen Lichtjahren. Der Satellit Hipparcosder europäischen Weltraumbehörde ESA hatmit dieser Methode die Entfernung von20 000 Fixsternen mit einer Genauigkeit vonbesser als 10% bestimmt.Dies ist erstaunlich,wenn man bedenkt, dass man mit blossemAuge nur etwa 5000 Sterne erkennen kann.

Die gleiche Parallaxen-Methode wird auchbei der Erdvermessung verwendet.Es sei hierein einfaches Beispiel genannt: Wenn zweiPersonen auf der grossen Schanze in Bern imAbstand von 200 Metern stehen, sehen sie dieSphinx auf dem Jungfraujoch in verschiede-nen Richtungen.Der Unterschied beträgt 11Bogenminuten. Daraus ergibt die einfacheRechnung eine Distanz zur Sphinx von etwa60 Kilometern.

Stern

Erde (Winter)

Erde (Sommer)

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stimmt man die Distanzen zu denentferntesten Objekten im Kosmos?Die Antwort ist im Prinzip einfach:Die Helligkeit einer jeden Licht-quelle nimmt mit dem Quadratihrer Entfernung ab.Wenn die abso-lute Helligkeit einer Quelle bekanntist, kann man daher deren Ent-fernung bestimmen.Diese «Metho-de der Standardkerzen» funktioniertsowohl auf der Erde als auch imKosmos. Die Astronomen habenverschiedene solcher Standardker-zen gefunden. Besonders wichtigsind die Cepheiden,das sind Sternevariabler Leuchtkraft.Aus der Fre-quenz ihrer Lichtschwankungenkann ihre absolute Helligkeit abge-lesen werden. Für grössere Distan-zen sind Supernova-Explosioneneines bestimmten Typs verwendbar,und für die grössten Entfernungennimmt man das Licht ganzer Gala-xien oder deren Durchmesser.Aufdiese Weise wird die kosmischeDistanzleiter Stufe um Stufe aufge-baut. Das Ganze klingt heute sehreinfach. Es handelt sich aber umeine hochentwickelte Methodik,die nach vielen Jahren der Grund-lagenforschung zu einer Ausmes-sung des Kosmos bis zu Distanzenvon Milliarden von Lichtjahren ge-führt hat(1).

Sterne,Galaxien undGalaxienhaufen

Ein Blick zum Himmel zeigt uns:Die Materie im Universum ist sehrungleichmässig verteilt.Wir findensie konzentriert in Sternen, unddiese sind in grösseren Gebilden,den Sternsystemen oder Galaxienorganisiert. Galaxien kommen in

verschiedenen Formen vor, am be-kanntesten sind die «Spiralnebel»(Abbildung 3). Doch auch dieGalaxien sind nicht gleichmässig,d.h. rein statistisch im Raume ver-teilt. Sie kommen vielmehr inHaufen (Clusters of Galaxies) vor,von denen die grössten mehr alstausend Galaxien enthalten.Der unsnächstgelegene Haufen ist derVirgo-Haufen (Abbildung 4), an des-sen Rand sich die Galaxis, die unserSonnensystem beherbergt,befindet.

Aber auch jenseits der Dimensionenvon Galaxienhaufen beobachtenwir noch Inhomogenitäten in derMaterieverteilung. Diese werdenmit exotischen Namen wie «GreatAttractor» belegt.Trotzdem herrschtbis heute die Ansicht vor, dass mitzunehmender Grösse des betrachte-ten Volumens die Verteilung derMaterie im Verhältnis immer homo-gener wird.

Abbildung 3: Die Galaxie M66Das Licht der Galaxien ist das Licht ihrer Sterne.Wie andere Galaxienbesteht M66 aus schätzungsweise 100Milliarden Sternen.

Abbildung 4: Der Virgo-HaufenUnsere Galaxis liegt am Rande des Virgo-Haufens und wird daher von die-sem merklich angezogen.Daraus resultiert eine lokale Bewegung,die dergrossräumig beobachteten Flucht der Spiralnebel überlagert ist. So kommtes, dass unsere Galaxis und der Andromedanebel sich nicht voneinanderentfernen, sondern sogar nähern.

(1) Das Heft Nr. 78 (Februar 1997) von Uninova,dem Wissenschaftsmagazin der Universität Basel, ist der Astronomie gewid-met.Der Artikel von Gustav Andreas Tammann in diesem Heft beschreibt die Methoden und Ergebnisse der kosmischenDistanzmessungen.Prof.Tammann hat zur Bestimmung der Dimensionen und des Alters des Universums bahnbrechendeBeiträge geleistet.

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Im Raum zwischen den Galaxienund noch mehr zwischen denHaufen ist die Materiedichte äus-serst gering (Abbildung 5). «Leereherrscht im Universum!»

Die «Flucht der Spiralnebel»

Im Jahre 1929 entdeckte der ameri-kanische Astronom Edwin Hubbledie «Flucht der Spiralnebel»: Erbeobachtete, dass die Galaxien sichsystematisch von uns entfernen:Dievon ihm gemessene Fluchtge-schwindigkeit der Galaxien wirdmit zunehmendem Abstand immergrösser (vgl. Abbildung 6). Diese Ent-deckung ist heute nachdrücklichbestätigt und erhärtet(1).Heute sindwir sicher,dass das Universum wirk-lich expandiert.

Die Darstellung in Abbildung 6 ver-anschaulicht, dass sich die fernen

sen geringere Rotverschiebungenauf als die kleineren, das heisst, dieersteren liegen uns näher. Der ent-fernteste Galaxienhaufen ist in Ab-bildung 8 gezeigt. Seine Distanzwurde zu 12 Milliarden Jahre be-stimmt. Das Universum kann abernoch grösser sein, und wir könnenzur Zeit nicht ausschliessen, dass esunendlich gross ist.Wir wollen dieseFrage nicht weiter verfolgen, weilwir dann näher auf die AllgemeineRelativitätstheorie Einsteins einge-hen müssten. Diese Theorie lässtverschiedene Lösungen zu; manmuss die Frage nach der Homo-genität und der Unendlichkeit desUniversums durch Vergleich zwi-schen diesen Lösungen und denBeobachtungen beantworten.

Abbildung 5: Vergleich von Dichten Man sagt,die Luft auf dem 3475m hohen Jungfraujoch sei schon recht dünn,ihre Dichte ist aber im Vergleich zur Dichte in einer Galaxie und erst rechtzur Dichte im Universum unglaublich gross.Dieser Vergleich veranschaulichtdie sprichwörtliche Leere des Universums.

Abbildung 6: «Flucht der Spiralnebel»Von uns aus gesehen fliegen die fernen Gala-xien davon.Die Fluchtgeschwindigkeit wirdmit zunehmendem Abstand grösser, worausfolgt, dass das Universum kein Zentrum hat.Die Fluchtbewegung wird nämlich vonjedem Punkt des Universums aus in gleicherWeise wahrgenommen. Dieses Bild (nachHubert Reeves) lässt dies leicht erkennen:Nehmen wir irgendeine der als Punkt darge-stellten Galaxien und beziehen – mit Hilfeder Vektor-Additionsregeln – alle Geschwin-digkeitspfeile auf diesen Punkt, so sehen wir,dass sich alle anderen Galaxien auch von die-sem Bezugspunkt entfernen. Jeder Punkt, jedeGalaxie ist also gleichberechtigt bezüglich derRelativbewegungen im Raume.

Dichten

5 m

1 m 5 m3

5 m3

5 m3

Universum

Galaxie(Nachbarsschaftder Sonne)

Luft amJungfraujoch

1 Atom

1 000 000 Atome

130 000 000 000 000 000000 000 000 Atome

Spiralnebel systematisch nicht nurvon uns entfernen, sondern auchvon jedem anderen Punkt des Uni-versums.Dies bedeutet:Das Univer-sum hat kein Zentrum: Es ist dem-nach gleichgültig, ob ich ein Be-wohner des Andromedanebels oderin unserer Galaxis zu Hause bin. Injedem Falle fliegt sozusagen allesvon mir weg.

Durch die Entdeckung Hubbleswurde auch das heliozentrische Sy-stem des Universums endgültig wi-derlegt.Wir betonen aber, dass dieSonne selbstverständlich nach wievor das Zentrum des Planeten-systems bildet.

Dimensionen im Universum

Die Abbildung 7 gibt einen Eindruckvon der Tiefe des Universums. Diegrösser erscheinenden Galaxien wei-

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Abbildung 7: Hubble Deep FieldEs handelt sich hier um eine der schönsten und wissenschaftlich ergiebigsten Aufnahmen mitdem grossen Hubble Space Telescope.Fast alle Objekte,die man sieht, sind Galaxien.Die grosserscheinenden liegen näher bei uns als die kleineren.Sterne sind an der kreuzförmigen Erschei-nung ihres Lichts erkennbar. Es gibt nur ein oder zwei Sterne auf diesem Bild. Sie liegen ver-gleichsweise sehr nahe bei uns und gehören unserer Galaxis an.

Abbildung 8: Der entferntesteGalaxienhaufenDerartig entfernte Objekte können nur mitdem Hubble Space Telescope beobachtetwerden. Dieses wurde von der NASA kon-struiert und in den Weltraum gebracht,wobeidie europäische Weltraumbehörde ESA einenAnteil von 15% hat.

Anfangs war die Bildschärfe des Teleskopsdurch einen Konstruktionsfehler beeinträch-tigt. Im Jahre 1993 wurde dieser Fehleranlässlich des Shuttle-Fluges STS 61 korri-giert.Hierbei hatte der Schweizer AstronautClaude Nicollier einen hervorragenden An-teil.

Im Kasten «Vergleich der Dimensionen»werden die Dimensionen des Kos-mos, der Galaxis und des Sonnen-systems verglichen. Die Hierarchieder Grössen ist beeindruckend.Dienächsten Sterne sind 3 Lichtjahrevon uns entfernt, im Vergleich zukosmischen Dimensionen ist dassehr nah. Doch wie winzig kleinnimmt sich erst unser Sonnen-system mit seinem Durchmesservon 0.002 Lichtjahren aus! Unddann die Distanz Erde – Mond, diedoch die grösste Entfernung ist, dieje zwischen Menschen und ihremMutterplaneten lag.Die erste Reisezum Mond war eine bahnbrechen-de Leistung.Aber,wie der Vergleichzeigt, ist es nicht einmal ein ersterSchritt zur Eroberung des Weltalls.

Alter des Universums

Rechnet man die Flucht derSpiralnebel zurück bis zu demZeitpunkt,da alles noch beieinan-der lag, und berücksichtigt dabeinoch Korrekturen für die An-ziehung, so kommt man auf einAlter von zirka 14 Milliarden

Jahren. Diese Zahl ist mit gewissenUnsicherheiten behaftet, es können15 Milliarden oder auch nur 12Milliarden Jahre sein. Den Grundfür die Ungenauigkeit bilden zweiFaktoren: die zu unpräzisenDistanzangaben der Millionen vonLichtjahren entfernten Galaxien-haufen und die Verlangsamung der

Vergleich der Dimensionen

Beobachtetes Universum > 12 000 000 000 LichtjahreDistanz zum Andromeda Nebel 2 000 000 LichtjahreNächste Sterne 3 LichtjahreSonnensystem 0,002 LichtjahreDistanz Erde-Mond 0,00000005 Lichtjahre

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Expansion des Universums im Lau-fe der Zeit,die durch die gegenseiti-gen Anziehungskräfte bewirkt wird.Bevor man derartige Rückwärts-berechnungen mit genügender Ge-nauigkeit anstellen konnte, schätzteman das Alter des Universums aufetwa 2 1/2 Milliarden Jahre,währendman das Alter der Erde mit4 1/2 Milliarden Jahren schon rechtgenau bestimmt hatte.Dieser offen-sichtliche Widerspruch ist seit etwa35 Jahren durch immer bessereMessungen vom Tisch.

Der Kasten «Zeiten und Alter» gibteinen Überblick über kosmischeund erdgeschichtliche Zeiten.Zwischen dem Big Bang und derEntstehung der Galaxien lag wahr-scheinlich ein Intervall von 1 bis 2Milliarden Jahren.Man nennt dieseEpoche auch «Dark Age of theUniverse», etwa mit «FinsteremMittelalter» zu übersetzen.Dies hatzwei Gründe: Erstens weiss manwenig über diese Epoche,und zwei-tens war dazumal das Universumnach dem unglaublich hellen undheissen Big Bang unter 0o Celsiusabgekühlt. Aber die ersten Sternehatten noch nicht begonnen zuleuchten. Diese bildeten sich erstetwa 1–2 Milliarden Jahre später.(Abbildung 9).

Zur Entschlüsselung der Chrono-

logie des Sonnensystems und derErde hat auch das Physikalische In-stitut der Universität Bern seitJahrzehnten mit Altersbestimmun-gen an Meteoriten-, Mond- undErdproben beigetragen.Wir wissenheute, dass die Sonne und allePlaneten vor 4,6 Milliarden Jahrenwährend einer relativ kurzen Zeit-spanne entstanden sind. Die Erdehat also ein respektables Alter, im-merhin sind es 30% des Alters desUniversums. Dagegen ist die Epo-che der klassischen Geologie, diemit dem Kambrium begann, dochschon relativ kurz.

Materie imUniversum(2)

Art und Verteilung der Materieermöglichen uns, die Vorgänge imFrühstadium des Universums zu re-konstruieren (2). Sie geben unsAufschluss über den Bildungspro-zess und die Weiterentwicklung derGalaxis, aber auch über den Ur-sprung des Sonnensystems sowieüber die Geschichte von Sonne,Planeten und Monden.

Die uns im heutigen Universum be-kannten Teilchen sind in (Abbil-dung 10) zusammengestellt.Wir stel-len damit drei grundsätzlich ver-schiedene Materietypen vor:1 Die Atome bilden die «gewöhn-

liche» Materie.2 Die Photonen oder Lichtteilchen

Abbildung 9: KugelsternhaufenDie Kugelsternhaufen sind in ihrer Gesamtheit innerhalb relativ kurzerZeit entstanden.Dies gibt uns die Möglichkeit, aus einem Vergleich desEntwicklungsstadiums von Sternen verschiedener Grösse das Alter desHaufens,welches dem Alter seiner Sterne entspricht, zu bestimmen.Fürdie Sterne des gezeigten Haufens ergibt sich so ein Alter von 12 Milliar-den Jahren.

Zeiten und Alter

Universum ca. 14 Milliarden Jahre«Dark Age of the Universe» um 13 Milliarden JahreErste Galaxien ca. 12 Milliarden JahreSonne & Erde 4,6 Milliarden JahreKambrium 0,5 Milliarden JahreLetzte Eiszeit 0,00002 Milliarden Jahre

(2) Über dieses Thema fand im Mai 1997 am International Space Science Institute in Bern ein Workshop statt. DieErgebnisse erscheinen im April 1998 unter dem Titel «Primordial Nuclei and their Galactic Evolution» (eds. NikosPrantzos,Monica Tosi und Rudolf von Steiger) als Band 4 der Space Science Series of ISSI,Kluwer Academic Publishers.

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sind zwar sehr zahlreich,aber ihreGravitationskraft spielt im heuti-gen Universum nur eine geringeRolle,da sie masselos sind.

3 Die Neutrinos gehören zu einemdritten Typus,den wir «exotische»Materie nennen wollen.

Die «exotische» Materie zeichnetsich dadurch aus, dass sie mit dergewöhnlichen Materie und mitdem Licht nur sehr schwach inWechselwirkung tritt.Deshalb wirddie «exotische» Materie von unsnicht direkt wahrgenommen. Siekann nur mit den subtilsten Metho-

den der modernen Physik nachge-wiesen werden.Die Massen der ein-zelnen Neutrinos sind sehr klein,wir wissen aber nicht, ob die Neu-trinos vollständig masselos sind.Deshalb sind wir noch nicht sicher,ob ihre Gravitationskräfte im heuti-gen Universum eine wesentlicheRolle spielen.Wir werden später aufdie «exotische» Materie zurück-kommen und zunächst näher aufdie «gewöhnliche» Materie einge-hen.

Die «gewöhnliche» Materie umfasstalle chemischen Elemente mit ihren

stabilen und radioaktiven Isotopen.Sonne,Erde,Wasser und Luft sowiealle Lebewesen bestehen aus dieser«gewöhnlichen» Materie.

Die Bausteine der «gewöhnlichen»Materie sind die Protonen, Neu-tronen und Elektronen, deren Ei-genschaften in Kasten «Die Bausteineder Atome» zusammengestellt sind.Sitz der Protonen und Neutronensind die Atomkerne,die Elektronenbilden die Atomhülle. In Abbildung11 ist angegeben, wie die einzelnenKerne entstanden sind. Im Big Bangwerden nur die 6 leichtesten syn-thetisiert, nämlich die zwei Isotopevon Wasserstoff (1H und 2H), vonHelium (3He und 4He) und vonLithium (6Li und 7Li).Vollständig ausdem Big Bang stammt allerdings nurder schwere Wasserstoff (2H, auchDeuterium genannt).Wie wir später zeigen werden, istder Prozess der Elementsynthese imBig Bang nach etwa drei Minutenabgeschlossen. Lithium ist dasschwerste Element, das dabei ent-standen ist.Zu den extrem seltenenElementen Lithium, Beryllium und Bor trägt die Zertrümmerungschwerer Kerne durch die kosmi-

Die Bausteine der Atome

Baustein Atomgewicht Ladung Ort im AtomProton 1,0073 positiv AtomkernNeutron 1,0087 neutral AtomkernElektron 0,0005 negativ Elektronenhülle

Abbildung 11: Die Herkunft der chemischenElemente und ihrer IsotopeIm Big Bang werde nur die Isotope der drei leichtestenElemente synthetisiert. Isotope eines Elements (z.B. 3He und4He) haben ungefähr gleiche chemische Eigenschaften. Sieunterscheiden sich nur durch ihr Atomgewicht, dessen abge-rundeter Wert links vom Element-Symbol angegeben wird.

5 m

1 m 5 m3

5 m3

5 m3

1 Atom

2 100 000 000 Photonen

1 700 000 000 Neutrinos

Abbildung 10: Welche Bestandteile kennen wir im Universum?Die mittlere Anzahl Teilchen pro 5 m3 im heutigen Universum. Die Atome und die Photonenlassen sich aus Beobachtungen direkt «abzählen».Die Anzahl Neutrinos erhält man,wenn man dieTheorie der Elementarteilchen,die Relativitätstheorie und die Thermodynamik auf die Prozesseim frühen Universum anwendet. Da die Photonen masselos sind, tragen sie im heutigenUniversum zur Dichte (in kg/m3) nur wenig bei.Die Massen der Neutrinos sind noch nicht gutbekannt.Falls sie nicht völlig masselos sind,könnte ihr Beitrag zur Gesamtdichte im Universumwichtig sein.

10SPAT IUM 1

sche Strahlung bei.Der Aufbau allerschweren Elemente wie Kohlen-stoff, Sauerstoff oder Eisen wird imBig Bang durch die Instabilität derZwischenprodukte verhindert.Die-se Elemente werden ausschliesslichbei den extrem hohen Dichten,dieim Inneren der Sterne herrschen,synthetisiert (Abbildungen 12 und 13).

Kernsynthese im Big Bang

Die Expansion des Universums be-wirkt eine kontinuierliche Abküh-lung der Materie. Diese erreichteeine Zehntelsekunde nach dem BigBang (Universalzeit 0,1 Sekunde)eine Temperatur von 40 MilliardenGrad. Bei dieser Hitze sind alle

zusammengesetzten Atomkerne in-stabil, d.h.unsere gewöhnliche Ma-terie bestand dazumal aus freienNeutronen,Protonen und Elektro-nen.Neutronen und Protonen wur-den laufend ineinander umgewan-delt, durch Austausch mit den inÜberzahl vorhandenen Elektronenund Neutrinos. Hierbei resultierteein Überschuss an Protonen, dadiese etwas leichter und stabiler sindals die Neutronen. Expansion undAbkühlung des Universums be-wirkten eine rasche Abnahme derDichte von Elektronen und Neutri-nos, so dass der genannte Austausch-prozess bei der Universalzeit von 1Sekunde praktisch zum Stillstandkam. Das Neutronen/ Protonen-Verhältnis «fror ein».Nach etwa 100

Sekunden, als die Temperatur aufeine Milliarde Grad abgesunkenwar, begannen sich Neutronen undProtonen miteinander zu verbin-den,es entstanden zusammengesetz-te Atomkerne(3). Dabei verbandensich je zwei Neutronen und Proto-nen zu 4He, dem sehr stabilen,schweren Heliumisotop. Fast alleNeutronen wurden so im Heliumfixiert, die Ausbeute an leichterenund schwereren Kernen ist sehrgering. Die Synthese im Big Bangergab also im wesentlichen schweresHelium ( 4He) und, wegen desProtonenüberschusses, auch leich-ten Wasserstoff (1H).

Gültigkeitsbereich unsererphysikalischen Gesetze: Test beim Universalalter voneiner Sekunde

Die Messung der Menge an Heliumim Kosmos stellt einen kritischenTest dar für unser Verständnis derVorgänge im frühen Universum,zueiner Zeit, da die Temperatur bei1–10 Milliarden Grad lag, und derDruck bei 1014–1018 Atmosphären.Die Übereinstimmung von theore-tischer Vorhersage und Beobach-tung ist verblüffend: Mit den ausVersuchen im Labor und Beobach-tungen von Planetenbahnen herge-leiteten physikalischen Gesetzenberechnen wir, ohne irgendwelcheZusatzannahmen,dass der Big Bang24–25 Gewichtsprozent an Heliumproduzieren sollte. Die astronomi-sche Beobachtung ergibt 24.3–24.6Prozent. Diese perfekte Überein-stimmung zwischen theoretischerVorhersage und Himmelsbeobach-

Abbildung 12: Die Bildung der SterneEin Stern entsteht durch Gravitationskollapseines Fragments einer interstellaren Dunkel-wolke. In diesen Wolken ist die Dichte derMaterie hoch und die Temperatur gering, sodass die Gravitationskräfte den Gasdrucküberwinden können.Es kommt örtlich zumKollaps,und es entstehen Sterne.Die oberenBereiche der hier abgebildeten Dunkelwolke«Adler Nebel» sind durch neugebildete Ster-ne beleuchtet. Beobachtungen, chemischeDaten und Isotopenanalysen in unserem Son-nensystem lassen darauf schliessen,dass Sonneund Planeten vor 4,6 Milliarden Jahren aufähnliche Weise entstanden sind.

Abbildung 13: Sterne als Quelleschwerer ElementeBei den hohen Temperaturen und Dichtenim Innern der Sterne werden aus den leichte-ren Elementen schwerere aufgebaut.GrössereSterne verlieren im fortgeschrittenen Altereinen Teil ihrer Materie, manchmal relativsanft, wie im Falle des hier abgebildetenRingnebels, oder, im Falle sehr grosser Ster-ne, durch Super Novae Explosion. Gas undStaub in der Galaxis werden so allmählich im-mer reicher an schweren Elementen.

(3) Diese Synthese von Atomkernen im Big Bang erfolgte bei wesentlich höheren Temperaturen als die Synthese von chemi-schen Stoffen.Ansonsten gibt es aber Analogien.Nehmen wir zum Beispiel die Verbrennung von Kohle:hier wird aus denBestandteilen C (Kohlenstoff) und O2 (Sauerstoff) das sehr stabile CO2-Molekül (Kohlendioxyd) synthetisiert.

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tung lässt sich in ihrer Tragweitedurchaus mit Newtons mathemati-scher Herleitung der Gesetze Kep-lers vergleichen. In beiden Fällenhaben wir den Beweis des Wirkensder gleichen Gesetze am Himmelund auf der Erde,nur dass jetzt unterHimmel nicht nur unser Planeten-system, sondern das gesamte Uni-versum zu verstehen ist.Umgekehrtdeutet für sich genommen diesekeineswegs selbstverständliche, son-dern eher erstaunliche Gültigkeitder Naturgesetze an allen Ortenund zu allen Zeiten im gesamtenUniversum darauf hin, dass dieseseinen wohldefinierten Anfang hatte.

Wieviel Materie gibt es imUniversum?

Die Synthese von 4He im Big Bangging über Zwischenprodukte. Zudiesen gehört der schwere Wasser-stoff ( 2H), auch Deuterium ge-nannt. Je geringer die Dichte zurZeit der Elementsynthese war,destounvollständiger verlief die Synthesezum 4He, d.h. desto mehr an Deu-terium und anderen Zwischenpro-dukten blieb übrig. Man kann alsoaus der kosmischen Häufigkeit desDeuteriums die Menge an «ge-wöhnlicher» Materie im Universumberechnen.

Abbildung 15: Das schweizerische SonnenwindexperimentDie Abbildung zeigt das schweizerische Apollo-Experiment SWC,welches kurz nach der erstenMondlandung am 21. Juli 1969 von Edwin Aldrin aufgestellt worden ist. Bei vier weiterenMondlandungen kam dieses Experiment zum Einsatz. Da Deuterium unmittelbar nach derEntstehung der Sonne in das leichte Heliumisotop 3He verwandelt wurde,konnte damit schon1972 am Physikalischen Institut der Universität Bern aus dem gemessenen Isotopenverhältnis desHeliums im Sonnenwind der Deuteriumgehalt der Ur-Sonne und damit die Dichte der«gewöhnlichen» Materie im gesamten Universum berechnet werden.

Abbildung 14: Die Erde aus grosserDistanz gesehenWasser und andere wasserstoffhaltige Substan-zen enthalten neben dem normalen, leichtenWasserstoffisotop ( 1H) eine kleine Bei-mischung des schweren Isotops Deuterium(2H).Auf der Erde, also in den Gesteinen, imMeerwasser und in den Lebewesen,haben wirungefähr ein Deuteriumatom unter 6000Wasserstoffatomen.

Wie alles Deuterium im Universum wurdeauch das irdische im Big Bang erzeugt.Oderanders ausgedrückt, fänden wir überhauptkein Deuterium im Meer, so wäre bewiesen:es gab den Big Bang nicht. Also auch diegesamte Deuteriummenge,die wir in uns tra-gen – 2 bis 3 Gramm, je nach Körpergewicht– wurde im Big Bang synthetisiert, hat 14Milliarden Jahre überdauert und ist un-verfälscht in unseren Körper gelangt, einefaszinierende Vorstellung!

Der irdische Deuteriumgehalt im Wasserstoffvon 1/6000 ist aber nicht repräsentativ für dasUniversum, weil in dem Wasserstoff, der aufdie Erde gelangte, das Deuterium durchchemische Reaktionen angereichert wurde.Am genauesten lässt sich die universelle Deu-teriumhäufigkeit bisher aus Sonnenwind-messungen und aus Absorptionsspektren desinterstellaren Gases bestimmen.

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Wie können wir nun die Menge anschwerem Wasserstoff im Univer-sum bestimmen? Das Wasser auf derErde gibt keine schlüssige Antwort(Abbildung 14). Aus Isotopenmessun-gen im Sonnenwind wurde schonAnfang der 70er Jahre das Verhältnisvon schwerem zu leichtem Wasser-stoff in der ursprünglichen Sonnen-materie ermittelt (Abbildung 15). In-zwischen ist das Deuterium auch iminterstellaren Gas, das uns heuteumgibt, gemessen worden.Berück-sichtigt man die Zerstörung vonDeuterium in den Sternen unsererGalaxis, so ergibt sich, dass es imUniversum direkt nach dem BigBang 1 Deuteriumatom unter30 000 Wasserstoffatomen gab.Hieraus kann man nun, wie obenerläutert, den Gehalt an «gewöhn-licher» Materie im Universumberechnen.Es ergibt sich 1 Atom in 5 m3 (vgl. Abbildung 10).

«Exotische» Materie imUniversum

Die Materiedichte im Universumlässt sich aber auch auf ganz andereArt bestimmen, nämlich aus denAnziehungskräften zwischen denGalaxien untereinander oder zwi-schen den Galaxien und dem Licht.Dabei ergeben sich aber 3–5 malgrössere Materiedichten! Wie kannman sich diese Diskrepanz erklären?Hierüber ist viel diskutiert worden,aber es scheint nur die eine Mög-lichkeit zu geben: neben der unsvertrauten «gewöhnlichen» Materiegibt es im Universum noch eineandere, «exotische» Art von Materie,die in ihrer Dichte und damit ihrerGravitationswirkung die «gewöhn-

Abbildung. 16: Die Temperaturstrahlung («Hintergrundstrahlung») im Universum Das Bild zeigt die Temperaturstrahlung aus der gesamten Himmelskugel. Die kosmischeTemperatur, die im gesamten Universum herrscht, beträgt heute 2.73 K (2.73 Grad über demabsoluten Nullpunkt).Aufgezeichnet sind hier nicht die Temperaturen selbst, sondern deren win-zige Anisotropien.Zwischen blau und rot besteht ein Temperaturunterschied von einem hundert-tausendstel Grad. (COBE data,provided by the COBE Science Working Group,NSSDC,NASAGoddard Space Flight Center).

liche» sogar übertrifft.Zwischen der«gewöhnlichen» Materie und denTeilchen der «exotischen» Materiebesteht nur eine sehr schwacheWechselwirkung. Die «exotischen»Materieteilchen laufen durch unsereKörper, ja durch die gesamte Erdeungehindert hindurch, man nenntsie daher weakly interacting par-ticles. Es ist schwer vorstellbar: imUniversum dominiert eine Formder Materie, von der wir direktnichts merken.

Die Neutrinos, die wir aus Labora-toriumsexperimenten kennen,undderen Häufigkeit im heutigen Uni-versum wir berechnen können (vgl.Abbildung 10) gehören in diese Klas-se der «exotische» Materie. FallsNeutrinos eine wenn auch nurgeringe Masse besitzen,könnten siedie beobachtete, zusätzliche Anzieh-ungswirkung erzeugen.Es könntenaber auch viel schwerere «exotische»Teilchen existieren(4).

Wie können Galaxien entstehen?

Für die Zusammenballung der Ma-terie in Galaxien und Galaxienhau-fen sind zweifellos Gravitations-kräfte verantwortlich. Berechnun-gen zeigen jedoch, dass diese Zu-sammenballung gar nicht so einfachzu bewerkstelligen ist.Während derersten hunderttausend Lebensjahreunseres Universums war die ge-wöhnliche Materie nämlich an dasPhotonengas gekoppelt, und diesesbestimmte dannzumal den Verlaufder Expansion. Weil sie masselossind, zeigten die Photonen jedochkeinerlei Neigung zur Zusammen-ballung und verhinderten dadurchauch das Zusammenballen der«gewöhnlichen» Materie. Als sichdann, nach etwa hunderttausendJahren der Expansion,die Kopplungan das Photonengas abschwächte,war die «gewöhnliche» Materie

(4) Vgl. den Artikel «Bringing Dark Matter in from the Dark» von Prof. Klaus P. Pretzl, Leiter des Laboratoriums fürHochenergiephysik an der Universität Bern, in der Zeitschrift «Europhysics News»,Band 24,S.167–171 (1993).

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schon zu stark verdünnt, um nocheine für die Bildung von Galaxien-haufen ausreichende Gravitations-wirkung zu entfalten.

Die Existenz von «exotischer» Ma-terie im Universum könnte dieEntstehung der Galaxien und derGalaxienhaufen entscheidend be-günstigt haben.Erstens scheint,wieoben gezeigt, ihre Dichte und damitihre Gravitationswirkung stärker zusein als diejenige der «gewöhnli-chen» Materie. Zum anderen, unddas ist noch wichtiger, ist die Kopp-lung der «exotischen» Materie andas Photonengas gering. Deshalbkann sie schon relativ früh «aus-

spricht einer Temperatur von 2.73Kelvin (d.h. 2.73 Grad über demabsoluten Nullpunkt). Obwohl diePhotonen – weil masselos – nichtzur Zusammenballung neigen,beobachten wir doch ganz geringeAnisotropien in der Temperatur desUniversums (Abbildung 16). Diesespiegeln den Beginn der Zusam-menballungen der «gewöhnlichen»Materie und der «exotischen» Ma-terie wider.Mit den sich in der Ent-wicklung befindlichen Satelliten,MAP der NASA und Planck derESA, sowie mit Beobachtungenvom Boden aus, sollen die Tempera-turanisotropien wesentlich genauerausgemessen werden. Wir hoffen,

Abbildung 17: Der Andromeda-NebelDies ist die uns am nächsten gelegene voll ausgebildete Galaxie.Sie ist unserer Galaxis bezüglichGrösse und Struktur ähnlich und ist von blossem Auge im Sternbild Andromeda sichtbar. DieBezeichnung «Nebel» ist irreführend,denn das Licht stammt von 100 Milliarden Sternen.

flocken» und Gravitationszentrenbilden, die dann auch die Zusam-menballung der «gewöhnlichen»Materie begünstigen.

Die Restwärme imUniversum

Wir haben oben erwähnt, dass dasPhotonengas die Dynamik desfrühen Universums entscheidendbeeinflusst hat. Durch die mit derExpansion während 14 MilliardenJahren einhergehende Abkühlungsind die Photonen heute für dieDynamik recht bedeutungslos. IhreZahl und mittlere Energie ent-

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dass die Resultate eindeutig Aus-kunft geben werden über die Ent-stehung der Galaxienhaufen. Insbe-sondere darüber, ob «exotische»Materie dabei eine wesentlicheRolle gespielt hat, und welcher Artdiese «exotische» Materie ist, diewahrscheinlich heute noch dasUniversum füllt.

Wo stehen wir,was bringt dieZukunft?

Ein paar zukünftige Ereignisse sindim Kasten «Zukunftsperspektiven» zu-sammengestellt.

Von unmittelbarem Interesse für dieMenschheit sind die beiden erstenAussagen. Trotzdem wollen nicht

nur Wissenschafter liebend gernewissen,was eigentlich mit der Son-ne und der Erde langfristig passierenwird. Die Wahrscheinlichkeit, dassunser Zentralgestirn einstmals miteinem Stern kollidiert und zerstörtwird, ist klein. Hingegen wird sichdie Sonne in etwa 5 MilliardenJahren, wenn ihr Wasserstoffvorrataufgebraucht ist, in einen RotenRiesen verwandeln.Dabei dehnt siesich gewaltig aus und verbreitet eineunglaublich starke Strahlung. Dasbedeutet das Ende allen Lebens aufder Erde. Als weitere direkte Aus-wirkung werden die Planeten undderen Atmosphären ihre Eigen-schaften ändern, was das Aus fürunser Sonnensystem, so wie wir esheute kennen,bedeutet.

Bald darauf, in kosmischer Zeit-rechnung gedacht,bahnt sich bereitsdie nächste Katastrophe an. Der

Zukunftsperspektiven

Verdoppelung des CO2 in der Luft in 60 JahrenNächste Eiszeit in 20000 JahrenDie Sonne wird zum Roten Riesen in 5000000000 JahrenKollision oder «near miss» mit in 6000000000 Jahrendem Andromeda-NebelUnser Universum fällt in sich zusammen wahrscheinlich nie

Abbildung 18: Infrarot-Aufnahme der Galaxis durch denCOBE-Satelliten. Das Bild könnte den Endruck erwecken,es sei von einem Ort ausserhalbunserer Galaxis aufgenommen,was natürlich nicht zutrifft.Aufnahmendieser Art sind nur deshalb möglich, weil wir uns im äusseren Teil derGalaxis befinden und die Intensität der Infrarotstrahlung gegen dasZentrum hin stark zunimmt.

Abbildung 19: Kollision zweier GalaxienSollten unsere Galaxis und der Andromeda-Nebel in sechs MilliardenJahren kollidieren,könnte sich einem zukünftigen entfernten Betrachterein Bild dieser Art zeigen. Die Cartwheel Galaxy ist nämlich dasProdukt einer Kollision zweier Galaxien.

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Andromedanebel (Abbildung 17) undunsere Galaxis (Abbildung 18) bewe-gen sich nämlich aufeinander zu.Nach heutigen Beobachtungenwerden die beiden in sechs Milliar-den Jahren entweder nahe aneinan-der vorbeifliegen oder gar mitein-ander kollidieren.Was dann genaupassieren wird, ist offen und dieseFrage ist ja auch nicht sehr akut.Abbildung 19 zeigt aber die Aus-wirkungen einer Kollision zweierGalaxien recht eindrücklich.

Die grosse philosophische Frage,obsich das Universum immer nochweiter ausdehnen wird oder in sichzurückfällt (der sogenannte BigCrunch) können wir noch nichtschlüssig beantworten.Nach heuti-ger Einschätzung reichen aber dieAnziehungskräfte der Materie nichtaus, um die Expansion des Univer-sums umzukehren.

Schluss-bemerkung

Spezialisierung, aber auchIntegration bei denNaturwissenschaften

Es wird heute oft geklagt, die Na-turwissenschaft begäbe sich immermehr auf den Weg der Speziali-sierung. Dies ist in mancher Bezie-hung richtig, aber es sollte auch er-kannt werden, dass gegenläufig zurSpezialisierung fortwährend auchein den Naturwissenschaften inhä-renter Integrationsprozess abläuft.Der Grund liegt in der Allgemein-gültigkeit der Naturgesetze,die im-mer wieder zu Vereinheitlichungenvon Theorien und zu neuen Quer-verbindungen zwischen scheinbarstreng getrennten Wissensgebietenführt.Eines der wichtigsten Beispie-le in neuerer Zeit ist die Molekular-biologie, in der sich Quantenphysik,Chemie und Biologie treffen.

Never say never!

Auch in die Kosmologie werdenimmer mehr Teildisziplinen undMethoden der Astronomie undPhysik einbezogen. Mein Vortragvermittelt davon vielleicht einenEindruck.Dies wird sich fortsetzen.Und – wer weiss – vielleicht wirdeines Tages ein ganz grosser Schrittgetan: Die Suche nach Anzeichenoder Spuren ausserirdischen Lebens

wächst allmählich aus dem Stadiumder zum Teil wilden Spekulationenund unbegründeten Behauptungenhinaus. Es gibt heute Ansätze undMöglichkeiten der Beobachtung,die es erlauben, mit naturwissen-schaftlichen Methoden nach direk-ten oder indirekten Spuren ausserir-dischen Lebens im Sonnensystemund sogar in der Galaxis zu suchen.Sollten diese Versuche konkreteHinweise oder gar Ergebnisse zeiti-gen, so würden nicht nur die Bio-logie, sondern auch viele Geistes-wissenschaften näher an die astro-nomisch-physikalische Kosmologierücken. Ich persönlich glaube, wirsind noch recht weit davon entfernt,konkrete Evidenz für ausserirdi-sches Leben zu finden, aber nie-mand weiss,wie weit.

Ich möchte diesen Artikel Sir HermannBondi widmen. Dieser hat währendmehr als vierzig Jahren wichtige wissen-schaftliche Arbeiten und tiefe Gedankenzur Kosmologie und zur Kosmogoniebeigetragen. In seiner Zeit als DirectorGeneral der Europäischen Weltraumfor-schungsorganisation ESRO hat erAstronomie und Astrophysik in dasWissenschaftsprogramm aufgenommen.Schliesslich hat Sir Hermann bei derGründung des International SpaceScience Institute Pate gestanden, er hieltam Eröffnungsabend die Festrede.

Ich danke Frau Dr.Kathrin Altwegg fürihren Rat und ihre Hilfe bei der Vorbe-reitung meines Vortrags und Herrn Prof.Rudolf Treumann für die kritischeDurchsicht des Manuskripts. HerrnPeter Abgottspon danke ich für dieRedaktion und Herrn Dr. HansjörgSchlaepfer für die Herausgabe diesesArtikels.

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Zum Autor

Prof. Johannes Geiss wurde 1926 inPommern geboren, promovierte1953 an der Universität Göttingenund habilitierte sich 1957 nachmehreren Forschungsaufenthaltenin den USA an der Universität Bern. Nach einer Professur fürOzeanwissenschaften an der Uni-versität von Miami wurde er 1960Professor, ab 1966 Direktor desPhysikalischen Instituts und 1982/83 Rektor der Universität Bern.

In diese Zeit fallen auch weitereForschungsaufenthalte in Frank-reich und den USA. Die Öffent-lichkeit verbindet den Namen vonProf. Geiss mit dem Sonnenwind-Segel,das die amerikanischen Astro-nauten 1969 als erstes Experimentauf dem Mond in Betrieb genom-men haben.

Seither war und ist Professor Geissmassgeblich an wissenschaftlichenProjekten der NASA und der Euro-päischenWeltraumorganisation ESAbeteiligt.

Johannes Geiss ist Gründer desVereins Pro ISSI und heute ge-schäftsführender Direktor des Inter-national Space Science InstitutesISSI in Bern. ISSI wird von dergleichnamigen durch ContravesSpace in Zürich gegründeten Stif-tung getragen. Das Institut wirdhauptsächlich von der EuropäischenWeltraumorganisation ESA,von derSchweizerischen Eidgenossenschaft,vom Kanton Bern sowie vomSchweizer Nationalfonds finanziert.ISSI widmet sich der interdiszipli-nären Erforschung des Sonnen-systems und des Universums, indemes Wissenschaftler aus aller Welt zuArbeitstagungen und Workshopseinlädt und ihnen Gelegenheit gibt,ihre Erkenntnisse und die neuestenErgebnisse der Forschung auszutau-schen und zu bewerten.Grundlagendieser Forschungstätigkeiten sinddie Weltraummissionen der Raum-fahrtagenturen Europas, der USA,Russlands und Japans, aber auchExperimente im Labor und Simula-tionen auf dem Computer.