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Spezialisierungsfach- und APMB-Versuche Bereich Dichtungstechnik Zur Vorlesung „Dichtungstechnik“ werden 5 Versuche an jeweils zwei Terminen angeboten. Sie können sich zu einzelnen oder zu allen Versuchen anmelden. Pro Versuch erhalten Sie eine Unterschrift. Alle Versuche können als Spezialisierungsfach- oder APMB-Versuch besucht werden, Vorlesungsteilnehmer werden bei der Anmeldung bevorzugt. Pro Termin stehen 10 Plätze zur Verfügung. Bei Bedarf werden Zusatztermine angeboten. Versuch 1. Termin/ Uhrzeit 2. Termin/ Uhrzeit Raum Mechanisches Verhalten von Elastomeren 05.11.19 10:00 05.11.19 13:00 2.145 FEM-Simulation von Elastomer-Dichtungen 13.11.19 9:00 13.11.19 11:00 2.257 Oberflächenbeurteilung 2D 12.11.19 8:30 12.11.19 10:00 0.146 Oberflächenbeurteilung 3D 12.11.19 14:00 12.11.19 15:30 2.141 Radial-Wellendichtring 12.11.19 9:15 12.11.19 13:30 2.257 Alle Versuche finden am Campus Vaihingen, Pfaffenwaldring 9 statt. Bitte finden Sie sich rechtzeitig vor Beginn der Versuche an den angegebenen Räumen ein. Bei Verspätung erhalten Sie keine Unterschrift. Voraussetzung für die Versuchsteilnahme ist eine angemessene Vorbereitung der Studierenden und die Vorlage einer unterzeichneten Erklärung zu den Sicherheitsvorschriften in Laboren. Die Unterlagen sind auf der Homepage https://www.ima.uni-stuttgart.de/ zum Download verfügbar. Anmeldung: Bis spätestens 03.11.19 per E-Mail an [email protected] Mit Angabe von: - Name, Vorname - Matrikelnummer - Welche(r) Versuch(e)? - Termin 1 oder Termin 2? - Vorlesungsteilnehmer Dichtungstechnik Ja/ Nein? Kontakt: Lukas Merkle Institut für Maschinenelemente Tel.: +49 (0) 711 / 685-66153 [email protected] Universität Stuttgart Institut für Maschinenelemente Dichtungstechnik

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Spezialisierungsfach- und APMB-Versuche

Bereich Dichtungstechnik

Zur Vorlesung „Dichtungstechnik“ werden 5 Versuche an jeweils zwei Terminen angeboten. Sie können sich zu einzelnen oder zu allen Versuchen anmelden. Pro Versuch erhalten Sie eine Unterschrift. Alle Versuche können als Spezialisierungsfach- oder APMB-Versuch besucht werden, Vorlesungsteilnehmer werden bei der Anmeldung bevorzugt. Pro Termin stehen 10 Plätze zur Verfügung. Bei Bedarf werden Zusatztermine angeboten.

Versuch 1. Termin/ Uhrzeit 2. Termin/ Uhrzeit Raum

Mechanisches Verhalten von Elastomeren 05.11.19 10:00 05.11.19 13:00 2.145

FEM-Simulation von Elastomer-Dichtungen 13.11.19 9:00 13.11.19 11:00 2.257

Oberflächenbeurteilung 2D 12.11.19 8:30 12.11.19 10:00 0.146

Oberflächenbeurteilung 3D 12.11.19 14:00 12.11.19 15:30 2.141

Radial-Wellendichtring 12.11.19 9:15 12.11.19 13:30 2.257

Alle Versuche finden am Campus Vaihingen, Pfaffenwaldring 9 statt. Bitte finden Sie sich rechtzeitig vor Beginn der Versuche an den angegebenen Räumen ein. Bei Verspätung erhalten Sie keine Unterschrift. Voraussetzung für die Versuchsteilnahme ist eine angemessene Vorbereitung der Studierenden und die Vorlage einer unterzeichneten Erklärung zu den Sicherheitsvorschriften in Laboren. Die Unterlagen sind auf der Homepage https://www.ima.uni-stuttgart.de/ zum Download verfügbar.

Anmeldung: Bis spätestens 03.11.19 per E-Mail an [email protected] Mit Angabe von:

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Dichtungstechnik

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Institut für Maschinenelemente Dichtungs- ● Schienenfahrzeug- ●

Antriebs- ● Zuverlässigkeitstechnik

Wichtige Hinweise zum Aufenthalt in Laboren

Zum APMB/SF muss diese Einverständniserklärung unterzeichnet mitgebracht werden. Andernfalls ist keine Teilnahme am APMB/SF möglich!

Selbstschutz:

Die Labore dürfen nur unter Aufsicht, keinesfalls alleine, betreten werden

Im Labor dürfen keine langen, offenen Haare getragen werden

Beim Umgang mit Versuchsteile bzw. Prüfständen ist stabile, eng anliegende Kleidung zu tragen die schmutzig werden darf

Im Umgang mit Ölen und Lösungsmitteln sind stets Schutzhandschuhe zu tragen

Ohne ausdrückliche Erlaubnis dürfen Prüfstände und Messgeräte nicht berührt werden Gefahren:

Gefahr durch heiße Oberflächen Oberflächen von Prüfständen, Antrieben und Messgeräten können mitunter mehr als 100 °C aufweisen. Da dies nicht ersichtlich ist, ist das Berühren von Aufbauten und Bauteilen im Labor strengstens untersagt!

Gefahr durch Quetschen An Riemen, hydraulischen Antrieben, Pressen sowie vielen weiteren Einrichtungen im Labor besteht die Gefahr Extremitäten wie Finger einzuklemmen. Daher gilt: Prüfstände dürfen nicht berührt werden!

Gefahr durch heiße Flüssigkeiten und Gase Bei den im Prüffeld durchgeführten Versuchen kann es in seltenen Fällen dazu kommen, dass heiße Gase oder Öle aus den Prüfständen austreten. Daher ist Abstand von allen laufenden Versuchseinrichtungen zu halten!

Gefahr durch automatischen Anlauf Prüfläufe werden computergesteuert durchgeführt. Daher sind stehende Prüfstände nicht zwingend abgeschaltet. Daher gilt: Ohne Einwilligung der Aufsichtsperson ist das Berühren der Prüfstände untersagt!

Allgemeine Gefahren Die Arbeit sowie der Aufenthalt im Labor ist grundsätzlich als gefährlich einzustufen. Daher ist während der Versuche die volle Aufmerksamkeit gefordert.

Hinweise: Sollte der Betreuer während des APMB/SF der Meinung sein, dass die allgemeinen Hinweise zur Sicherheit nicht berücksichtigt oder mutwillig missachtet werden, so kann er der betroffenen Person jederzeit die weitere Teilnahme verweigern. In diesem Fall kann der APMB/SF nicht abgeschlossen werden und das Labor ist unverzüglich zu verlassen. Mit meiner Unterschrift bestätige ich, dass ich die Hinweise gelesen und verstanden habe. Daher werde ich mich an die Sicherheitsvorschriften halten und den Anweisungen der Betreuer Folge leisten. Name _______________________ Matrikelnummer ________________________ Stuttgart, den _______________________ Unterschrift ________________________

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Mechanisches Verhalten von Elastomeren 

Hauptfach‐, Spezialisierungsfach‐ und APMB‐Versuch 

1 Einleitung

Bild 1.1: FEM-Simulation eines O-Rings

(links: vor Montage, mitte: nach Montage, rechts: mit Betriebsdruck von unten)

Kunststoffe werden seit vielen Jahren als Konstruktions- und Funktionswerkstoffe eingesetzt. Ein spe-zieller Vertreter der Funktionswerkstoffe sind Elastomere. Elastomere weisen bei Gebrauchstemperatur gummielastische Eigenschaften auf. Diese Eigenschaften hängen allerdings stark von den Umgebungs- und Einsatzbedingungen ab. Für die Abschätzung des Bauteilverhaltens sind umfangreiche Kenntnisse über das mechanische Verhalten der Elastomere unter Belastung notwendig. Dies ist das Ziel der mechanischen Werkstoffprüfung.

Um das mechanische Verhalten von Kunststoffen zu beschreiben, werden entsprechende Material-modelle benötigt. Diese enthalten Modellparameter, die über Experimente bestimmt werden müssen (Optimierungsproblem). Häufig werden zur Berechnung komplexer dreidimensionaler Geometrien Modellparameter herangezogen, die im einachsigen Zugversuch ermittelt wurden. Meist liegt im Bauteil allerdings ein dreiachsiger Spannungszustand vor. Deshalb empfiehlt es sich, auch andere Spannungs- bzw. Dehnungszustände in die Kennwertermittlung einzubeziehen.

Das mechanische Verhalten eines Elastomers hängt vom Dehnungsmodus ab. Das Spannungs-Dehnungs-Verhalten für die drei Dehnungsmodi „uniaxialer Zug“, „reine Scherung“ und „biaxialer Zug“ ist in Bild 1.2 dargestellt.

11/ 2017 (Fe, Lo)

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Spezialisierungsfach-Versuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

Bild 1.2: Verschiedene Dehnungsmodi [10]

Dieser Praktikumsversuch umfasst die mechanische Werkstoffprüfung von Elastomeren und deren Beschreibung zur Anwendung in der FEM-Simulation (Finite-Elemente-Methode).

An einer Zugprüfmaschine werden verschiedene Prüfungen durchgeführt. Aus den gewonnenen Mess-daten werden die Modellparameter für verschiedene Materialmodelle bestimmt. Diese werden im An-schluss zur FEM-Simulation einer Dichtung verwendet.

2 Mechanisches Verhalten von Kunststoffen Metallische Werkstoffe zeigen keine signifikante Änderung ihrer mechanischen Eigenschaften über die Temperatur und Zeit. Bei Kunststoffen ist dies in den meisten Fällen anders. Das mechanische Verhalten von Kunststoffen hängt stark von den Umgebungsbedingungen ab. Die wichtigsten Einflussfaktoren sind die Temperatur, Zeit und Schädigungseffekte. Diese werden im Folgenden kurz vorgestellt.

2.1 Chemischer Aufbau von Elastomeren Das mechanische Verhalten von Kunststoffen wird maßgeblich durch deren chemischen Aufbau, d.h. deren Molekülstruktur, bestimmt. Elastomere bestehen aus langen Kettenmolekülen (Polymere), die ineinander zu einem Knäuel verschlungen sind, Bild 2.1. Über Nebenketten sind die Hauptketten miteinander vernetzt. Diese Vernetzungen sind im Vergleich zu Duroplasten sehr weitmaschig. Die Vernetzung basiert auf chemischen Bindungen, die während der sogenannten Vulkanisation entstehen und nicht lösbar sind.

Biaxialer Zugversuch Reine ScherungZugversuch

Technische Dehnung

0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0

0,5

1,0

1,5

2,0Te

chni

sche

Spa

nnun

g [M

Pa]

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Spezialisierungsfach-Versuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

Bild 2.1: Molekülstruktur von Elastomeren [10]

2.2 Temperaturabhängigkeit Die mechanischen Eigenschaften von Kunststoffen sind temperaturabhängig. Bei tiefen Temperaturen verhalten sie sich spröde, bei höheren Temperaturen weicher. Im Bereich der sogenannten Glasüber-gangstemperatur ändern sich die Eigenschaften abrupt, Bild 2.2.

Bild 2.2: Temperaturabhängigkeit des Elastizitätsmoduls bei Elastomeren [11]

Oberhalb der Glasübergangstemperatur, im so genannten entropieelastischen Bereich, ist das E-Modul um mehrere Größenordnungen geringer als im energieelastischen Bereich. Als Entropieelastizität be-zeichnet man das Bestreben der Kettenmoleküle, nach einer Verformung in den entropisch günstigsten Zustand, d.h. den Knäuelzustand, zurückzukehren. Unterhalb der Glasübergangstemperatur, im so genannten energieelastischen Bereich verhalten sich Kunststoffe deutlich steifer. In diesem Bereich sind

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Spezialisierungsfach-Versuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

die Bewegungen der Kettenmoleküle eingefroren. Auf äußere Belastung reagiert der Kunststoff lediglich mit interatomaren und intermolekularen Abstandsänderungen.

Im Gegensatz zu Duroplasten und Thermoplasten befindet sich der Anwendungsbereich bei Elastomeren oberhalb der Glasübergangstemperatur. Diese liegt in Abhängigkeit vom Elastomer sowie den Füll- und Hilfsstoffen (z.B. Weichmachern) im Bereich von -80 bis +20°C.

2.3 Zeitabhängigkeit (Viskoelastizität)

Die zeitlichen Effekte basieren wie auch die Temperaturabhängigkeit auf der molekularen Struktur des Kunststoffs.

Belastungsgeschwindigkeit

Das Molekül-Netzwerk (vergleichbar mit einem Teller Spaghetti) antwortet auf zeitliche Belastungen unterschiedlich. Wird das Netzwerk schnell belastet, haben die Molekülketten keine Zeit, sich zu entfädeln oder aneinander abzugleiten. Das Netzwerk verhält sich steifer. Bei langsamer Belastung haben die Ketten hingegen ausreichend Zeit, das Kettennetzwerk orientiert sich neu und es verhält sich weicher, Bild 2.3.

Bild 2.3: Einfluss der Traversengeschwindigkeit auf das Spannungs-Dehnungs-Verhalten

Neben der Belastungsgeschwindigkeit hat auch die Temperatur einen Einfluss auf die Steifigkeit. Bei höheren Temperaturen laufen die Relaxationsvorgänge schneller ab. Deshalb verhalten sich Elastomere

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Spezialisierungsfach-Versuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

bei gleicher Belastungsgeschwindigkeit und höherer Temperatur weicher. In Bild 2.4 ist der logarithmische Schubmodul G über der logarithmischen Zeit aufgetragen.

Bild 2.4: Zeitverhalten [10]

Schubmodul und Elastizitätsmodul hängen über die Querkontraktionszahl zusammen,

)1.2(

Für inkompressible Werkstoffe ( ) gilt

)2.2(

Spannungsrelaxation

Ein weiterer Zeit-Effekt ist die Spannungsrelaxation: Eine Zugprobe wird mit konstanter Dehnrate bis zu einer Maximaldehnung (z.B. 200 %) deformiert. Im Anschluss wird die Dehnung konstant gehalten. Aufgrund von Entspannungsvorgängen und Reorientierungen im Polymer lassen die inneren Span-nungen nach. Dies ist mit einem Abfall der zu messenden Spannung verbunden, Bild 2.5.

Bild 2.5: Spannungsrelaxation [10]

T3 > T2 > T1

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Spezialisierungsfach-Versuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

2.4 Schädigungseffekt Bei der Deformation von Polymeren können sich Vernetzungspunkte lösen. Bei gefüllten Kunststoffen kann zusätzlich die Füllstoff-Matrix-Kopplung versagen. Füllstoffe werden verwendet, um bestimmte Eigenschaften der Matrix gezielt zu verbessern. Bei Fahrzeugreifen wird dem Kautschuk beispielsweise Ruß beigemischt, um die Verschleißfestigkeit zu steigern. Bei solchen rußgefüllten Elastomeren kann die Ruß-Elastomer-Kopplung versagen. Dies reduziert die Steifigkeit und führt zu einer Art Plastizität, einer bleibenden Dehnung. Dies wird z.B. bei mit Kohlenstoff gefülltem Gummi als Mullins-Effekt bezeichnet, Bild 2.6.

Bild 2.6: Schädigungseffekt [10]

Für die Werkstoffprüfung bedeutet dies, dass die ersten Belastungszyklen eines Zugversuchs nicht verwertbar sind, weil sich das Werkstoffverhalten bei jedem Zyklus ändert und nur einmal auftritt. Der Probenkörper muss vor der eigentlichen Messung konditioniert, d.h. mehrmals (Empfehlung dreimal, [1], [2]) bis zur maximal im Bauteil auftretenden Dehnung (besser noch etwas darüber hinaus) be- und entlastet werden.

3 Materialmodelle Elastomere zeigen im Zugversuch einen stark nichtlinearen Zusammenhang zwischen Spannung und Dehnung, Bild 3.1. Der Verlauf der Spannungs-Dehnungs-Kurve beschreibt eine liegende S-Form. Im Gegensatz zu Metallen lässt sich dieser Verlauf nicht mittels eines Ursprungsmoduls (E-Modul, Young’s modulus) beschreiben. Zur Beschreibung dieses nichtlinearen Werkstoffverhaltens werden so genannte hyperelastische Materialmodelle verwendet werden.

bleibende Dehnung

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Spezialisierungsfach-Versuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

Bild 3.1: Spannungs-Dehnungs-Diagramm [10]

3.1 Grundlagen Materialmodelle dienen dazu, das Verhalten von Werkstoffen mathematisch zu beschreiben. Sie stellen einen Zusammenhang zwischen Spannung, Dehnung, Temperatur und/oder Zeit her. Im Folgenden werden die für hyperelastische Materialmodelle erforderlichen Größen (Spannung und Dehnung) kurz vorgestellt.

3.1.1 Spannungen

Als Spannung wird der Quotient aus Kraft und Fläche bezeichnet,

. (3.1)

Spannungstensor

Die Spannung ist wie die Kraft eine vektorielle Größe. Zur Beschreibung des Spannungszustandes an einem bestimmten Punkt im Bauteil dient der Spannungstensor ,

(3.2)

Der Spannungstensor besteht aus Schubspannungen ( ) und Normalspannungen ( ). Aufgrund des Momentengleichgewichts am infinitesimalen Würfelelement (Bild 3.2) ist der Spannungstensor symmetrisch ( ).

Einfaches Materialmodell

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Spezialisierungsfach-Versuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

Bild 3.2: Spannungen am infinitesimalen Würfelelement [3]

Unterschied zwischen technischer und wahrer Spannung

Bei der technischen Spannung wird als Fläche die Ursprungsfläche herangezogen. Zur Bestim-mung der wahren Spannung wird dagegen die tatsachliche Fläche verwendet. Beim uniaxialen Zugversuch wird dadurch z.B. die Querschnittsverkleinerung infolge Querkontraktion berücksichtigt,

1 ⋅ . (3.3)

3.1.2 Dehnungen

Jeder Körper reagiert auf angreifende äußere Kräfte mit einer Verformung. Wie die Spannung ist auch die Verformung eine vektorielle Größe, die durch den Verformungstensor beschrieben wird,

2 2

2 2

2 2

. (3.4)

Der Dehnungstensor besteht aus Dehnungen ( ), die durch Normalspannungen hervorgerufen werden, und Gleitungen ( , ), die durch Schubspannungen verursacht werden.

Unterschied zwischen technischer und wahrer Dehnung

Wie bei der Spannung, wird auch bei der Dehnung zwischen technischer und wahrer Dehnung unterschieden. Die technische Dehnung ist definiert als die Längenänderung Δ eines Körpers bezogen auf die Ursprungslänge ,

Δ

. (3.5)

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Spezialisierungsfach-Versuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

Bei der wahren Dehnung wird die Längenänderung des Körpers auf die aktuelle Länge bezogen,

ln lnL Δ

ln 1 . (3.6)

Im Bereich kleiner Dehnungen sind technische und wahre Dehnung ungefähr gleich,

ln 12 3 4

⋯ für ≪ 1. (3.7)

3.1.3 Streckung

Die Streckung (auch Verstreckgrad genannt) beschreibt das Verhältnis aus Endlänge L und Ur-sprungslänge ,

L L Δ

1 . (3.8)

Die drei Streckungen in Richtung der Hauptachsen werden zur Definition des Cauchy-Green-Tensors herangezogen. Dieser Tensor wird in FEM-Programmen zur Beschreibung großer Deformationen verwendet,

0 00 00 0

. (3.9)

Der Cauchy-Green-Tensor kann durch seine drei Invarianten , und charakterisiert werden. Diese sind unabhängig von der Wahl des Koordinatensystems, d.h. sie verändern sich bei Transformation (Drehung) des Koordinatensystems nicht.

Die erste Invariante beschreibt die Längenänderung der Raumdiagonalen des Würfelelements,

. (3.10)

Die zweite Invariante drückt die Oberflächenänderung des Würfelelements aus,

. (3.11)

Die dritte Invariante beschreibt die Volumenänderung des Würfelelements,

⋅ ⋅ . (3.12)

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Spezialisierungsfach-Versuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

Für inkompressible Werkstoffe gilt

1 . (3.13)

Die Invarianten des Cauchy-Green-Tensors werden zur Formulierung von hyperelastischen Material-modellen verwendet.

3.2 Beanspruchungszustände

Zur Gewinnung von Materialkennwerten werden bei der mechanischen Materialprüfung von Elasto-meren verschiedene Untersuchungen mit unterschiedlichen Deformationszuständen (Deformations-modi) durchgeführt. Im Folgenden werden die drei wichtigsten Deformationsmodi vorgestellt.

3.2.1 Uniaxialer Versuch

Beim uniaxialen Zugversuch, wie er auch bei der Prüfung metallischer Werkstoffe verwendet wird, stellt sich ein einachsiger Spannungszustand im Messbereich des Probenkörpers ein, Bild 3.3.

Bild 3.3: Uniaxialer Zugversuch

Der Spannungstensor ergibt sich im Messbereich zu

0 0

0 0 00 0 0

. (3.14)

Der zugehörige Cauchy-Green-Tensor lautet bei Annahme von Inkompressibilität ( =1)

0 0

01

0

0 01

. (3.15)

Ausgangsgeometrie

deformierteGeometrie

2

31

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3.2.2 Biaxialer Versuch

Ein zweiachsiger Spannungszustand lässt sich beispielsweise beim Aufblas-Versuch im Pol der Membran (Bild 3.4) oder durch einen Druckversuch (Bild 3.5) erzielen,

0 0

0 00 0 0

. (3.16)

Bild 3.4: Aufblas-Versuch [4]

Der zugehörige Cauchy-Green-Tensor lautet unter Annahme von Inkompressibilität ( =1)

0 00 0

0 01

. (3.17)

Bild 3.5: Biaxialer Versuch

2

31

Ausgangsgeometrie

deformierteGeometrie

Membran

Pol x3

x1

x2

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3.2.3 Reine Scherung (Ebene Dehnung)

Reine Scherung („Pure Shear“) bzw. ein ebener Dehnungszustand („Plane Strain“) lässt sich erreichen, indem beim Zugversuch die Querkontraktion in eine Raumrichtung durch die Einspannung über die gesamte Probenbreite unterbunden wird.

Bild 3.6: Reine Scherung (Ebene Dehnung)

Der Cauchy-Green-Tensor ergibt sich in diesem Fall zu

0 00 1 0

0 01 . (3.18)

3.3 Hyperelastische Materialmodelle

Beschränkt man sich bei Elastomeren auf die Berechnung quasistatischer Bauteileigenschaften, können hyperelastische Materialmodelle verwendet werden. Diese Materialmodelle beschreiben das ge-schichtsunabhängige, nichtlinearelastische und inkompressible Werkstoffverhalten von Elastomeren.

Zur Beschreibung des Spannungs-Dehnungs-Zusammenhangs dient bei hyperelastischen Material-modellen die so genannte Formänderungsenergiedichte . Die Spannung ergibt sich durch partielle Differentiation der Formänderungsenergiedichte-Funktion nach der jeweiligen Streckung ,

. (3.19)

2

31

Ausgangsgeometrie

deformierteGeometrie

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Spezialisierungsfach-Versuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

Je nach Materialmodell existieren unterschiedliche Ansätze zur Beschreibung der Formänderungs-energiedichte. Im Folgenden werden exemplarisch drei Materialmodelle vorgestellt:

Neo-Hooke-Modell Mooney-Rivlin-Modell Ogden-Modell

3.3.1 Neo-Hooke-Modell

Das Neo-Hooke-Modell ist das einfachste hyperelastische Materialmodell. Die Formänderungsenergie-dichte wird dabei als Funktion der ersten Invarianten des Cauchy-Green-Tensors und einem konstanten Materialparameter angenommen,

3 3 . (3.20)

Die Anpassung des einzigen Parameters kann beim Neo-Hooke-Modell anhand des uniaxialen Zugversuchs erfolgen. Alternativ lässt sich der Neo-Hooke-Paramater näherungsweise aus dem E-Modul oder über den Schubmodul aus der Shore-A-Härte bestimmen,

6. (3.21)

2. (3.22)

Der Schubmodul kann aus der Shore-A-Härte abgeschätzt werden (1),

0,07515 ⋅ 0,549

4,1 3,9 ⋅ , ⋅ 0,395 ⋅ 0,315 ⋅. (3.23)

0,025 ⋅ 100 . (3.24)

3.3.2 Mooney-Rivlin-Modell

Das Mooney-Rivlin-Modell kann als eine Erweiterung des Neo-Hooke-Modells aufgefasst werden. Neben der Abhängigkeit von der ersten Invarianten des Cauchy-Green-Tensors ist die Form-änderungsenergiedichte nun auch eine Funktion der zweiten Invarianten ,

31 1 1

3 . (3.25)

Mit der Inkompressibilitätsbedingung, Gleichung (3.13), lautet das Mooney-Rivlin-Modell

3 3 . (3.26)

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Zur Verbesserung der numerischen Konvergenz nimmt die FEM-Software MSC.Marc/Mentat eine (sehr kleine) Kompressibilität an [5]. Diese berechnet sich standardmäßig zu

10 ⋅ (3.27)

und wird in Form eines zusätzlichen Terms zur Formänderungsenergiedichte hinzuaddiert

3 392

1

zusätzlicherTerm

. (3.28)

3.3.3 Ogden-Modell

Die in MSC.Marc/Mentat implementierte Form des Ogden-Modells ermöglicht eine Anwendung auf kompressible Elastomere. Bei dieser Formulierung wird die Formänderungsenergiedichte als Funktion der Hauptstreckungen des Cauchy-Green-Tensors dargestellt [5],

392

1 . (3.29)

Dabei sind und Materialkonstanten und der Ordnungsgrad (üblich 2 bzw. 3). Das Kompressionsmodul wird oft nur abgeschätzt, da volumetrische Tests sehr aufwändig sind. Ist kein Kompressionsmodul bekannt, kann dies mit folgender Gleichung abgeschätzt werden,

2500 | ⋅ | . (3.30)

3.3.4 Beispiel

Zur Verdeutlichung des Zusammenhangs zwischen Spannung und Dehnung soll dieser am Beispiel des uniaxialen Zugversuchs mit Hilfe des Neo-Hooke-Modells hergeleitet werden [6].

Mit den drei Hauptstreckungen des einachsigen Spannungszustands

,1

√,

1

√ (3.31)

lautet die Formänderungsenergiedichte-Funktion beim Neo-Hooke-Modell

3 32

3 . (3.32)

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Spezialisierungsfach-Versuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

Die Spannung ergibt sich nach Gleichung (3.19) durch Ableiten der Formänderungsenergiedichte-Funktion nach der Streckung ,

22

2 ⋅1

. (3.33)

Damit lautet der Zusammenhang zwischen Spannung und technischer Dehnung

2 ⋅ 11

1. (3.34)

Dieser nichtlineare Spannungs-Dehnungs-Verlauf ist für verschiedene Werte des Parameters in Bild 3.7 dargestellt.

Bild 3.7: Nichtlinearer Spannungs-Dehnungs-Zusammenhang beim Neo-Hooke-Modell

Die Steigung der Spannungs-Dehnungs-Kurve im Ursprung beträgt

2 ⋅ 12

16 ⋅ . (3.35)

und entspricht damit dem E-Modul, vgl. Abschnitt 3.3.1.

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Spezialisierungsfach-Versuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

3.3.5 Gefahren von mathematischen Modellen

Nichtphysikalische, d.h. rein mathematische Materialmodelle sind im Gegensatz zu physikalisch motivierten Ansätzen (Beispiel: 8-chain model) nur im angepassten Datenbereich hinreichend genau. Außerhalb dieses Bereichs weichen sie meist stark von der Realität ab, Bild 3.8. Mathematische Werkstoffmodelle dürfen deshalb nur innerhalb ihrer Gültigkeitsgrenzen verwendet werden.

Bild 3.8: Gültigkeitsbereich von Materialmodellen [10]

4 Werkstoffprüfung Im Rahmen des Praktikumsversuchs werden zwei Werkstoffprüfungen durchgeführt:

Härtemessung mittels Durometer Aufzeichnung einer Spannungs-Dehnungs-Kurve bei einem uniaxialen Zugversuch mittels

Zugprüfmaschine

4.1 Härtemessung Die Härte von Elastomeren wird nach DIN ISO 7619-1 [7] (Nachfolger für DIN 53505) mit einem so genannten Durometer bestimmt, Bild 4.1. Dabei wird das Härteprüfgerät stoßfrei auf den Probenkörper aufgesetzt, so dass es satt auf der Auflagefläche aufliegt. Dabei wird ein spitzer Eindringkörper in den Probenkörper gedrückt. Je weiter der Eindringkörper in den Prüfkörper eindringt, umso geringer ist dessen Härte. Die Shore-Härte wird nach 3 Sekunden am Schleppzeiger der Messuhr abgelesen.

Härteprüfgeräte nach Shore A sind im Bereich von 10 bis 90 Shore A anwendbar. Härtere Probekörper werden mit einem Härteprüfgerät nach Shore D gemessen. Die Messgenauigkeit bei der Härtemessung nach Shore A beträgt ± 5 Shore A.

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Spezialisierungsfach-Versuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

Bild 4.1: Härtemessung mittels Durometer

4.2 Uniaxialer Zugversuch

Zur Ermittlung der Spannungs-Dehnungs-Kurve wird im Praktikum ein uniaxialer Zugversuch nach DIN EN ISO 527 [8] bzw. DIN 53504 [9] an der Universalprüfmaschine Instron 5566 durchgeführt, Bild 4.2.

Bild 4.2: Universalprüfmaschine Instron 5566

Die Zugprüfmaschine ermöglicht das gleichzeitige Aufzeichnen von Kraft und Verformung während eines zuvor definierten Prüfzyklus. Mit Hilfe der Ausgangsgeometrie des Prüfkörpers lassen sich aus den Messwerten die im Prüfkörper wirkende Spannung und die sich ergebende Dehnung berechnen, vgl. Abschnitt 3.1.

Kraftmessdose

Rahmen

Probe

Video-extensometer

Traverse

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Spezialisierungsfach-Versuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

4.2.1 Probengeometrie

Bei der Ermittlung der Spannungs-Dehnungs-Kurve werden als Prüfkörper Schulterstäbe der Form „S2“ nach DIN 53504 [9] verwendet, die aus Elastomerplatten mit einer Dicke von 2 mm ausgestanzt werden.

Bild 4.3: Probengeometrie Schulterstab S2 nach DIN 53504 [9]

Die Abmessungen des Schulterstabs „S2“ können Tabelle 4.1 entnommen werden.

Tabelle 4.1: Probenabmessungen Schulterstab „S2“ [9]

Größe Symbol Wert Einheit

Gesamtlänge 75 mm

Breite der Köpfe 12,5 mm

Länge des Stegs 25 mm

Breite des Stegs 4 ± 0,05 mm

Übergangsradius, innen 12,5 mm

Übergangsradius, außen 8 mm

Dicke 2 ± 0,2 mm

Anfangsmesslänge 20 mm

4.2.2 Kraftmessung

Die auf die Probe wirkende Kraft wird mittels einer austauschbaren Kraftmessdose gemessen. Vor jeder Prüfung muss der erwartete Kraftbereich abgeschätzt werden. Dementsprechend ist die Kraftmessdose zu wählen (100 N, 500 N, 10.000 N). Als Faustregel gilt: Eine Kraftmessdose sollte nicht unterhalb 10 % der Maximallast eingesetzt werden. Aus der gemessenen Kraft und der Probengeometrie berechnet die Mess-Software die in der Probe wirkende (technische) Spannung.

4.2.3 Dehnungsmessung

Bei der Verwendung von Schulterstäben liegt nur im Messbereich des Prüfkörpers ein einachsiger Spannungszustand vor. Zur Bestimmung einer Spannungs-Dehnungs-Kurve darf deshalb auch nur die Dehnung dieses Messbereichs (Messlänge , vgl. Bild 4.3) herangezogen werden. Unter Last verformt

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Spezialisierungsfach-Versuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

sich die Probe nicht nur im Messbereich, sondern im gesamten Bereich zwischen den beiden Ein-spannungen. Deswegen darf die Dehnung (bzw. auch die daraus abgeleitete Dehnungsgeschwindigkeit) nicht aus dem Traversenweg berechnet werden. Bei dieser Methode würde sich eine viel zu große Dehnung ergeben, Bild 4.4.

Stattdessen muss eine andere Methode verwendet werden, mit der ausschließlich die Dehnung im Messbereich der Probe erfasst wird. Dazu existieren zwei Möglichkeiten:

Videoextensometer Berührendes Extensometer

Bild 4.4: Dehnungsmessung über Traverse und Videoextensometer

Videoextensometer

Eine berührungslose und damit sehr elegante Möglichkeit zur Dehnungsmessung stellt das so genannte Advanced Videoextensometer (AVE) dar, vgl. Bild 4.2. Hierzu werden vor Prüfbeginn mit einem Filz-stift zwei Punkte auf der Probe im Abstand der Messlänge ( ) angebracht, Bild 4.5. Während der Messung werden die optischen Mittelpunkte vom Videoextensometer verfolgt und aus deren Verschie-bungen die Dehnung berechnet. Filzstift- und Elastomerfarbe sollten für eine gute Erfassung einen möglichst großen Kontrast aufweisen.

Gesamte Dehnung der Probe (aus Traversenweg berechnet)

Dehnung im Messbereich der Probe (mittels Video-Extensometer gemessen)

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Spezialisierungsfach-Versuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

Bild 4.5: Schulterstäbe mit Markierungen für die Messung mit Videoextensometer

Berührendes Extensometer

Alternativ kann die Dehnung der Probe auch über einen so genannten Clip-Gauge (DMS-Aufnehmer, Bild 4.6) gemessen werden. Dessen scharfe Schneiden können aber die Probe beschädigen. Aufgrund des deutlich geringen Messbereichs wird diese Prüfmethode vor allem bei der Prüfung von Hantelproben aus PTFE-Compounds verwendet.

Bild 4.6: Berührendes Extensometer [Quelle: Instron.de]

5 Zusammenfassung

Sollen mit der mechanischen Werkstoffprüfung Kennwerte für die FEM-Simulation ermittelt werden, sind möglichst viele Dehnungsmodi zu berücksichtigen. Die Deformationsgeschichte (Viskoelastizität, Schädigungseffekte) spielt eine ebenso wichtige Rolle. Alle Werkstoffmodelle haben Limitierungen, die berücksichtigt werden müssen: Werkstoffmodelle liefern nur innerhalb ihres Gültigkeitsbereichs (angepasster Bereich) sinnvolle Ergebnisse.

Farbmarkierungen

Probenkörper

Schneiden

Clip-Gauge

L0

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Spezialisierungsfach-Versuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

6 Ablauf des Praktikumsversuchs Der Praktikumsversuch gliedert sich in drei Teile:

Einführung (Institutsbibliothek) o Begrüßung und Sicherheitsunterweisung o Kurztest o Gemeinsame Diskussion der theoretischen Grundlagen o Manuelles „Ausprobieren“ verschiedener Materialeigenschaften von Elastomoren o Messung der Shore-Härte

Materialprüfung (Messraum) o Ermittlung einer Spannungs-Dehnungs-Kurve im einachsigen Zugversuch

Abschlussbesprechung (Institutsbibliothek)

Als Fortsetzung des Praktikumsversuchs „Mechanisches Verhalten von Elastomeren“ wird ab dem WS 2017/18 der Praktikumsversuch „FEM-Simulation von Elastomer-Dichtungen“ angeboten. In diesem werden Dichtungen aus Elastomer mit hyperelastischen Materialmodellen simuliert.

7 Literaturverzeichnis [1] Stojek, Marcus ; Stommel, Markus ; Korte, Wolfgang: FEM zur mechanischen Auslegung

von Kunststoff- und Elastomerbauteilen. [Hrsg.] Walter Michaeli. Düsseldorf : Springer-VDI, 1998.

[2] DIN 53535: Prüfung von Kautschuk und Elastomeren : Grundlagen für dynamische Prüfverfahren. März 1982.

[3] Gross, Dietmar; Hauger, Werner und Wriggers, Peter: Technische Mechanik 4. 8. Aufl. Berlin : Springer, 2011.

[4] Baaser, Herbert: Simulationsmodelle für Elastomere. ATZ 05/2010. S. 364-369.

[5] MSC Software: Marc 2014 : Volume A: Theory and User Information. 2014.

[6] MSC Software: Nonlinear Finite Element Analysis of Elastomers. http://www.axelproducts.com/downloads/WP_Nonlinear_FEA-Elastomers.pdf, 21.11.2011.

[7] DIN ISO 7619-1: Elastomere oder thermoplastische Elastomere. Bestimmung der Eindringhärte. Teil 1: Durometer-Verfahren (Shore-Härte). Februar 2012.

[8] DIN EN ISO 527-1: Kunststoffe : Bestimmung der Zugeigenschaften : Teil 1: Allgemeine Grundsätze. Mai 2010.

[9]

[10]

DIN 53504:

MSC Software Corporation: Experimental Elastomer Analysis

Prüfung von Kautschuk und Elastomeren. Bestimmung von Reißfestigkeit, Zugfestigkeit, Reißdehnung und Spannungswerten im Zugversuch. Oktober 2009.

MA*V2010*Z*Z*Z*SM-MAR103-NT

[11] Domininghaus, Hans: Kunststoffe: Eigenschaften und Anwendungen. 8. Auflage,Springer-Verlag Heidelberg, 2012; ISBN: 978-3-642-16172-8

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27.10.2017, Da.

FEM-Simulation von

Elastomer-Dichtungen

Spezialisierungsfachversuch und Hauptfachversuch

Universität Stuttgart

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1

1 Einleitung

Bei der rechnerischen Lösung von technischen Problemstellungen stellt man häufig fest, dass

sich viele Probleme nicht mit analytischen Rechenansätzen erfassen lassen. Analytische An-

sätze funktionieren nur bei idealisierten Modellen. Mit gewissen Einschränkungen können ana-

lytische Ansätze auf einfache reale Fälle übertragen werden. Bei komplizierteren Fällen führen

jedoch analytische Ansätze zu keinen brauchbaren Ergebnissen.

Die Finite-Elemente-Methode (FEM) ist ein numerisches Lösungsverfahren für die Näherungs-

lösung von partiellen Differentialgleichungen in Form von Anfangs- und Randwertaufgaben.

Die FEM hat ihre Ursprünge in der Strukturmechanik. Hierbei wird das Verfahren standardmä-

ßig eingesetzt, um messtechnisch schwer zu erfassende Verformungen und Spannungen in

Bauteilen unter Lasteinwirkung zu ermitteln. Das Verfahren findet heutzutage auch eine breite

Anwendung in einer Vielzahl von technischen Problemstellungen aus den Bereichen Wärme-

übertragung, Fluiddynamik und Elektromagnetismus.

Folgender Praktikumsversuch stellt eine Einführung in die Finite-Elemente-Simulation von

Elastomer-Dichtungen dar. Kapitel 2 dient der selbstständigen Vorbereitung auf den Prakti-

kumsversuch. Praktikumsteilnehmern sollen die Inhalte des Kapitels 2 zu Beginn des Prakti-

kumsversuchs bereits kennen. Das Beispiel aus Kapitel 3 wird während des Praktikumsver-

suchs gemeinsam durchgeführt. Eine Kenntnis der Inhalte von Kapitel 3 wird nicht vorausge-

setzt.

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2

2 Grundlagen

In folgenden Abschnitten wird die Grundidee der FEM sowie das zugehörige mathematische

Modell vorgestellt. Ein wichtiger Schritt bei der Erstellung eines Simulationsmodells ist die Ge-

nerierung eines Netzes aus finiten Elementen. Die hierzu zur Auswahl stehenden Grundele-

menttypen werden vorgestellt und möglich Netztopologie-Type gezeigt. Zum Schluss wird der

Ablauf der FEM-Simulation näher vorgestellt.

2.1 Idee der FEM

Die Grundidee der FEM ist die Diskretisierung eines kontinuumsphysikalischen Differential-

gleichungsproblems in eine endliche Anzahl an einfach zu lösenden algebraischen Gleichun-

gen. Die folgenden Abschnitte beschränken sich auf den Einsatz der FEM für die Lösung struk-

turmechanischer Probleme.

2.2 Mathematisches Modell

Im Folgenden wird das mathematische Modell hinter der FEM anhand eines statischen struk-

turmechanischen Problems vorgestellt.

Bei statischen linear-elastischen Festigkeitsberechnungen wird als analytischer Grundansatz

das HOOKE-Gesetz verwendet:

E ∙ ε = σ (1)

Arbeitet man gegebene Querschnittswerte ein, so wird aus dem Elastizitätsmodul E die Stei-

figkeit k, aus der relativen Dehnung ε die Verschiebung u und aus der Spannung σ die Last F:

k ∙ u = F (2)

Dieses Gesetz gilt prinzipiell für jedes finite Element. Es muss nun von jedem Element die

Steifigkeit im lokalen System ermittelt werden. Damit lässt sich für jeden Knoten die Gl. (2)

aufstellen. So lässt sich schließlich durch Drehen und Zusammensetzen der lokalen Systeme

ein globales lineares Gleichungssystem bilden, das zweckmäßigerweise in Matrixschreib-

weise dargestellt wird:

[K] ∙ {u} = {F} (3)

Dabei ist [K] die Steifigkeitsmatrix, {u} der Verschiebungsvektor und {F} der Lastvektor. Da die

Verschiebungen gesucht werden, wird von der Steifigkeitsmatrix die Inverse gebildet und auf

die rechte Seite der Gleichung gestellt:

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3

{u} = [K]-1{F} (4)

Die vorgestellten Berechnungen setzen einen linearen Zusammenhang zwischen der Span-

nung σ und der Dehnung ε, beschrieben durch den Elastizitätsmodul E, voraus (Zusammen-

hang zwischen Systembelastung und Systemantwort). In vielen praktischen Fällen ist jedoch

die Annahme eines linearen Zusammenhangs nicht gerechtfertigt bzw. kann das jeweilige

Problem mit linearen Zusammenhängen nicht ausreichend genau abgebildet werden. Nicht-

lineare Zusammenhänge können durch drei übergeordnete Begriffe charakterisiert werden.

Diese sind:

Werkstoff-Nichtlinearitäten (z.B. nicht-lineares Spannungs-Dehnungsgesetz o-der Ver-

sagenskriterien).

Geometrisch bedingte Nichtlinearitäten (z.B. bei großen Verformungen, da dort durch

die Berücksichtigung der Verformungen die Veränderung des Hebelarms und damit

der Momentbelastung einfließt).

Kinematische Nichtlinearitäten (z.B. bei Kontaktbedingungen).

Nicht-lineare Analysen sind in der Regel komplexer und aufwändiger als lineare Berechnun-

gen. Daher unterscheiden sich die Lösungsalgorithmen, die zu einer Berechnung eines nicht-

linearen Problems benötigt werden, von denen der linearen Berechnung unterschiedlich. Wei-

terhin kann kein nicht-lineares Problem durch einen Satz linearer Gleichungen formuliert wer-

den. Zu einer der wirkungsvollsten Methoden zur Lösung nichtlinearer Probleme gehört die

inkrementelle Methode. Das bedeutet, ein nicht-lineares Problem wird durch die Überführung

in die inkrementelle Form schrittweise berechnet. Die Grundlage der einzelnen Schritte bilden

linearisierte Gleichungen. Die großen Verformungen werden somit nicht auf einmal berechnet,

sondern der Verformungsweg oder allgemein die Belastung wird Schritt für Schritt vorgegeben

und berechnet. Manchmal sind Iterationen in jedem Belastungs/Zeit-Inkrement erforderlich um

sicherzustellen, dass das Ergebnis in der vorgegebenen Toleranz der Konvergenz liegt. Es ist

zu beachten, dass bei nicht-linearen Problemen keine Superposition möglich ist.

2.3 Netzgenerierung

Schon zu Beginn der FE-Modellierung muss ein geeigneter Elementtyp für die Diskretisierung

der Geometrie ausgewählt werden. So lassen sich z. B. viele Probleme auf ein 2D-Modell

reduzieren, wofür geeignete 2D-Elemente zur Verfügung stehen. Ein weiterer wichtiger Punkt

ist die Anzahl der Knoten pro Element, welche die geometrische Form des Elements bestimmt.

Die Grundelementtypen sind in Bild 1 dargestellt.

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Bild 1: Wichtige Elementtypen

Für Strukturanalysen lassen sich die Elemente in drei Grundklassen unterteilen:

1D-Elemente: Liniensegmente (Stab, Balken, Seil)

2D-Elemente: Flächenelemente (Dreieckselement, Rechteckelement)

3D-Elemente: Volumenelemente (Tetraeder, Hexaeder)

Bei der einfachsten Ausführung von 1D-, 2D- oder 3D- Elementtypen gilt die Annahme eines

linearen Ansatzes zur Berechnung der Verformungen in den Elementen aus der angreifenden

Lasten an den Knoten. Ist eine höhere Genauigkeit innerhalb der Elemente gefordert, so kön-

nen Elemente mit quadratischen oder kubischen Ansatzfunktion verwendet werden.

FEM-Netze können weiterhin strukturiert oder unstrukturiert sein. Strukturierte Netze bestehen

meist aus Rechteck- oder Hexaeder-Elemente und kennzeichnen sich durch eine regelmäßige

Anordnung. Unstrukturierte Netze bestehen in der Regel aus Dreieck- oder Tetraeder-Ele-

mente und weisen keine Regeltopologie auf. Unstrukturierte Netze zeichnen sich bei gleicher

Elementgröße mit deutlich höherer Elementanzahl als strukturierte Netze aus. Der Vorteil bei

den unstrukturierten Netzen liegt in der Flexibilität bei der Diskretisierung von beliebig geform-

ten Bauteilen.

2.4 Ablauf einer FEM-Simulation

Eine FEM-Simulation wird grundsätzlich in drei einzelnen Schritten unterteilt. Im Preproces-

sing-Schritt wird das rechenfähige Modell definiert. Die Geometrie wird diskretisiert und Rand-

bedingungen werden festgelegt. Im Schritt Solving wird das (nicht-)lineare Gleichungssystem

gelöst. Die durch die angreifenden Lasten hervorgerufenen Verformungen und Spannungen

werden berechnet. Im Postprocessing-Schritt wird standardmäßig die Auswertung der Ergeb-

nisse durch Falschfarbendiagramme zum Aufzeigen von Spannungen und Dehnungen im

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Bauteilinneren durchgeführt. Bild 2 fasst die drei Hauptschritte mit wichtigen Unterpunkten bei

dem Ablauf einer Strukturanalyse mit der FEM zusammen.

Bild 2: Ablauf der Strukturanalyse mit der Finite-Elemente-Methode1

Ein wichtiger Punkt bei der Durchführung von FEM-Simulationen ist die Einhaltung eines kon-

sistenten Einheitensystems. Dies bedeutet, dass der Anwender häufig selbst dafür Sorge tra-

gen muss, dass sämtliche Zahlenwerte durchgehend dasselbe SI-Einheitensystem benutzen.

Ein Beispiel für ein konsistentes Einheitensystem, welches in der Dichtungstechnik üblich ist,

ist dem Bild 3 zu entnehmen.

1 Robert Bosch GmbH: „Kraftfahrzeugtechnisches Taschenbuch“, 22. Auflage, VDI-Verlag, 1995.

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Größe Einheit

Länge mm

Zeit s

Masse Tonne

Mg

Kraft Tonne∙mm/s2

N

Dichte Tonne/mm3

Mg/mm3

Spannung bzw. Druck

Tonne/mm/s2

MPa

N/mm2

Energie

Tonne∙mm2/s2

mJ

N∙mm

Temperatur °C

Bild 3: Konsistentes Einheitensystem

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3 FEM-Montagesimulation eines Radial-Wellendichtrings aus Elastomer

Montagesimulationen sind in der Dichtungstechnik eine Möglichkeit zur Analyse der Pressung

zwischen einem Dichtkörper und einem oder mehreren abzudichtenden Bauteilen. In folgen-

den Abschnitten wird eine FEM-Simulation zur Montage eines Radial-Wellendichtrings auf

eine Welle durchgeführt. Hierzu wird die kommerzielle FEM-Software MSC Marc Mentat

2014.2.0 eingesetzt.

3.1 Modellbildung

Aufgrund der komplexen Geometrie des RWDR wird ein fertiges Netz eines RWDR zur Verfü-

gung gestellt, dem nun weitere Objekte wie Welle und Dichtringaufnahme hinzugefügt werden

sollen. Dieses Modell dient nur als Simulationsbeispiel und gibt keine realen Bedingungen

wieder. In weiteren Schritten sollen dem RWDR-Modell noch andere Eigenschaften wie z.B.

Kontaktkörper oder Randbedingungen hinzugefügt werden.

Netzimport und Geometrieerstellung

Im Folgenden wird das RWDR-Netz importiert und die Geometrie der Welle und der Dich-

tringnut erstellt.

FILE Open rwdr.mud öffnen Vernetztes Geometriemodell

Fill view

Zeigt gesamtes Modell im Ansichtsfenster an.

Zusätzlich zu der Nut soll die Welle modelliert werden.

GEOMETRY & MESH Basic Manipulation Geometry & Mesh

Es öffnet sich das “Geometry & Mesh“-Fens-ter im dynamischen Menü.

Add (rechts von „Points“) Um weitere Punkte hinzuzufügen.

Koordinaten:

Point 13: -1 12.2 0

Point 14: 8 12.2 0

Koordinaten in Dialogfeld eingeben.

1. Möglichkeit: Einzeln die x-, y- und z-Koordi-naten jedes Knotens eingeben und jeweils mit Enter bestätigen.

2. Möglichkeit: Die x-, y-, z-Koordinaten jedes Knotens mit Leerzeichen in Zeile eingeben.

Add (rechts von „Curves“) Erzeugt Linien, welche die zuvor erstellten Punkte miteinander verbinden.

Point 13 und Point 14 Curve 4 Punkte werden verbunden.

Hinweis: Nummern der Punkte anzeigen las-sen: View Plot Control Points Settings Labels aktivieren Draw

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Elem. Wireframe Elem. Solid

Darstellung der Elemente von Drahtdarstel-lung auf Vollkörperdarstellung wechseln

Save Modell wird gespeichert.

Das fertige Geometriemodell ist in Bild 4 dargestellt.

Bild 4: Modell des Radialwellendichtrings (rwdr.mud)

Materialdefinition

Für den RWDR werden Materialeigenschaften definiert. Das Materialverhalten des Elastomers

wird hierbei durch ein hyperelastisches Materialmodell angenähert. Das Material „Stahl“ ist

bereits vordefiniert.

MATERIAL PROPERTIES Material Properties

Das „Material Properties“-Menü wird geöffnet.

New Finite-Stiffness-Region Standard Neuen Standard-Werkstoff definieren.

Name Als neuen Namen „NBR“ eingeben. Enter.

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Type „Mooney“ auswählen, um Mooney-Rivlin oder Neo-Hooke-Modell zu verwenden.

C10 Den Wert „0.873“ (NBR) eingeben. Enter.

C01 Den Wert „1.45“ (NBR) eingeben. Enter. Mit OK bestätigen.

Identify „Identify“ aktivieren. Es wird angezeigt, dass dem Material NBR noch keine (‚none‘) Ele-mente hinzugefügt wurden.

Add (rechts von „Elements“) Fügt den Elementen die Materialeigenschaft „NBR“ hinzu.

Pick Set

Set „NBR“ auswählen und mit OK bestätigen.

„Identify“ noch aktiv und Materialeigenschaften werden angezeigt.

Save Neuerungen im Modell werden gespeichert.

Bild 5: Materialeigenschaften (rwdr.mud)

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Kontaktdefinition

Für den RWDR werden Kontaktbedingungen festgelegt. Die Kontaktkörper „Nutwand“, „Nut-

grund“ und „Feder“ sind bereits vordefiniert.

CONTACT Contact Bodies New Meshed (Deformable)

Das „Contact-Body-Properties“-Menü wird ge-öffnet.

Name Dem Kontaktkörper den Namen „RWDR“ zu-weisen.

Add (rechts von „Elements“) Pick Set

Set „Kontaktelemente“ auswählen und mit OK bestätigen.

Identify „Identify“ aktivieren. Es werden die Kontakt-körper angezeigt. Es fehlt der Kontaktkörper „Welle“.

CONTACT Contact Bodies New Geometric

Das „Contact-Body-Properties“-Menü wird ge-öffnet.

Name Dem Kontaktkörper den Namen „Welle“ zu-weisen.

Body Control Position Parameters „Position (Center of Rotation)“ Y 0.3 Table „lc1“

Verschiebung d = 0,3 mm vorgeben.

Add (rechts von „2-D: Curves”) „Curve 4“ auswählen und mit rechter Maus-taste bestätigen.

„Identify“ noch aktiv Kontaktkörper werden angezeigt. Gestrichel-ter Bereich des starren Körpers „Welle“ auf falscher Seite.

CONTACT Contact Bodies Tools Flip Curves

„Curve 4“ auswählen und mit rechter Maus-taste bestätigen.

Save Modell wird gespeichert.

CONTACT Contact Tables Properties Das „Contact-Table-Properties“-Menü wird ge-öffnet.

2 (rechts von „Meshed (Deformable)”) Das „Contact-Table-Entry-Properties“-Menü wird geöffnet.

Active Haken setzen ‘Contact Intreraction’ aktivieren

Contact Interaction Assign Existing “interact1” auswählen. Mit OK bestätigen.

3 (rechts von „Meshed (Deformable)”) Das „Contact-Table-Entry-Properties“-Menü wird geöffnet.

Active YES ‘Contact Intreraction’ aktivieren

Contact Interaction Assign Existing “interact1” auswählen. Mit OK bestätigen.

4 (rechts von „Meshed (Deformable)”) Das „Contact-Table-Entry-Properties“-Menü wird geöffnet.

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Active YES ‘Contact Intreraction’ aktivieren

Contact Interaction Assign Existing “interact1” auswählen. Mit OK bestätigen.

5 (rechts von „Meshed (Deformable)”) Das „Contact-Table-Entry-Properties“-Menü wird geöffnet.

Active YES ‘Contact Intreraction’ aktivieren

Contact Interaction Assign Existing “interact1” auswählen. Mit OK bestätigen.

CONTACT Contact Areas Properties Das „Contact-Area-Properties“-Menü wird geöffnet.

Contact Body “RWDR” auswählen

Nodes Add Pick Set

Set “Kontaktknoten” auswählen

Save Neuerungen im Modell werden gespeichert.

Bild 6: Kontaktkörper (rwdr.mud)

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Randbedingungen

Für den RWDR werden Randbedingungen definiert. Die Einspannung an dem Versteifungs-

ring ist bereits vordefiniert.

BOUNDARY CONDITIONS Boundary Con-ditions New (Structural) Point Load

Das „Boundary-Condition-Properties“-Menü wird geöffnet.

Name Dem Kontaktkörper den Namen „Federkraft“ zuweisen.

Force Y Haken setzen und einen Wert von „-5“ einge-ben. Dies entspricht der Kraft F = 5 N in negati-ver y-Richtung.

Bei Table die Tabelle „lc3“ auswählen

Add (rechts von „Nodes“) Knoten „1“ wählen und mit rechter Maustaste bestätigen. Mit rechter Maustaste bestätigen.

Save Neuerungen im Modell werden gespeichert.

3.2 Simulation

Im folgenden Abschnitt wird die Simulation des RWDRs durchgeführt. Dafür werden zunächst

die zu berücksichtigenden Lastfälle definiert. Im Anschluss wird das rechenfähige Modell dem

Solver zur Berechnung der Verformungen und Spannungen übermittelt.

Lastfälle

Die relevanten Belastungsfälle sind das Anheben der Welle, das Absenken des Nutgrundes

und das Belasten der Feder. Diese werden über separate Lastfälle berücksichtigt. Im Folgen-

den soll der Lastfall „Welle Anheben“ erstellt werden, während die anderen zwei Lastfälle vor-

definiert wurden und müssen lediglich um die Federkraft ergänzt werden.

LOAD CASES Load Cases New Static

Das „Loadcase Properties“-Menü wird geöff-net.

Name Als Namen „Welle_anheben“ eingeben. Enter.

Contact Contact Table „ctable1“ auswählen.

Contact Areas Häkchen vor „carea1“ setzen und mit OK be-stätigen.

Steps Wert auf „20“ ändern. Dies entspricht i = 20 Iterationen für den Lastfall.

Loadcase „Nutgrund_senken“ auswählen Loads Einspannung auswählen und mit OK bestätigen.

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Loadcase „Feder_belasten“ auswählen Loads Einspannung und Federkraft auswählen und mit OK bestätigen.

Save Neuerungen im Modell werden gespeichert.

Jobs

Die relevanten Solver-Einstellungen sind hier bereits vordefiniert. Diese schließen u. A. die

Berücksichtigung von großen Verformungen ein. Darüber hinaus wurden bereits die Ergeb-

nisse ausgewählt, welche von Interesse sind und daher von dem Solver gespeichert werden

sollen.

JOBS Jobs Properties Das „Job Properties“-Menü wird geöffnet.

Name Als Namen „Montagesimulation“ eingeben. Enter.

Loadcases Clear Auswahl an Lastfällen aufheben. Unter „Available“ Lastfälle und folgender Reihen-folge auswählen: 1. „Welle_anheben“; 2. „Nutgrund_senken“; 3. „Feder_belasten“

Check Überprüfen, ob Modell vollständig ist.

Steps Wert auf „20“ ändern. Dies entspricht i = 20 Iterationen für den Lastfall. Mit OK bestätigen.

Save Neuerungen im Modell werden gespeichert.

Run Submit Modell dem Solver zur Berechnung übermit-teln.

Exit number 3004 Erfolgreiches Ende der Simulation.

Eine andere „Exit number“ bedeutet i. A. dass ein Fehler vorliegt und die Simulation nicht er-folgreich durchgeführt wurde

Geöffnete Menüs schließen.

3.3 Auswertung

File Results Open „rwdr_Montagesimulation.t16“ auswählen.

RESULTS Model Plot Path Plot Node Path

Knoten “826” eingeben. Enter. Knoten „983“ eingeben. Enter. Mit rechter Maustaste bestätigen.

Add Curves Add Curve Arc Length & Contact Normal Stress

Kontaktpressung darstellen.

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In der Auswertung können u. A. Verschiebungen, Dehnungen, Spannungen und Reaktions-

kräfte ermittelt werden.

Bild 7: Kontaktpressung (rwdr.mud)

Im Folgenden wird die Radialkraft ausgewertet. Die Radialkraft ist die Kraft, mit welcher der

Dichtring gegen die Welle angepresst wird.

RESULTS History Plot Presets Body Force vs. Time

zeigt die Kräfte auf alle Körper im Modell an

Remove Curve Die Kurven von „Force Nut-grund“, „Force Nutwand“, „Force RWDR“ und „Force Feder“ anklicken

Entfernt die unnötigen Kurven aus dem Dia-gramm.

Die Radialkraft beträgt F = 9,76 N. Die Linienpressung errechnet sich zu

pL =

F

πd=

9,76 N

π∙25 mm= 0,124 N/mm. (5)

Path Plot Limits Fit Achsen werden automatisch an das Dia-gramm angepasst.

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und liegt somit in dem üblichen Bereich von pL = 0,1 … 0,15 N/mm

Die Vergleichsspannung wird im Folgenden dargestellt.

RESULTS Model Plot Scalar Plot Style: Contour Bands Scalar Equiva-lent of Stress

Vergleichsspannung anzeigen

Scalar Plot Settings Range Manual In der linken Spalte:

Untere Grenze auf 0 MPa setzen; Obere Grenze auf 2 MPa setzen.

Scalar Plot Settings und Model Plot Menü schließen

View Plot Control Haken vor „Nodes“ abwählen und mit „Draw“ Darstellung aktualisieren;

Settings (rechts von “Elements”) „Outline“ statt „Surface“ wählen und mit „Draw“ Darstellung aktualisieren; Plot Control Menü schließen.

Zoom box Anklicken und ein Feld um den gewünschten Bereich aufziehen.

Der vergrößerte Ausschnitt wird angezeigt.

Bild 8: Vergleichsspannung (rwdr.mud)

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Oberflächenbeurteilung Teil 1 -2D-Rauheitsmessung-

Spezialisierungsfachversuch und Hauptfachversuch Universität Stuttgart

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Spezialisierungsfachversuch und Hauptfachversuch Oberflächenbeurteilung – Rauheitsmessung

1/17

1 Einleitung

Die Werkstückoberfläche trennt ein Objekt von seiner Umgebung. Im einfachsten Fall ist das umgebende

Medium Luft und die maßgebliche Forderung an die Oberfläche ist, dass diese möglichst kostengünstig ist.

In vielen technischen Anwendungen haben Oberflächen jedoch bestimmte Funktionen zu erfüllen (vgl. Ta-

belle 1). In solchen Fällen müssen die Eigenschaften der betreffenden Oberfläche möglichst genau definiert

und kontrolliert werden, damit die vorgesehene Funktion optimal erfüllt wird.

Funktion Geforderte Eigenschaften Beispiel

Lagerfläche Geringe Reibung Pleuellager

Leitfähigkeit Große Kontaktfläche Elektrische Schalter

Sichtflächen Gleichmäßige Lichtreflexion Lackierte Bleche

Haftfestigkeit Definierte Mindestrauheit, spezielles Profil Karosseriebleche

Reibung Scharfe Spitzen, geringe Auflagefläche Antriebswalzen

Dichtung geringer Abrieb, geringe Reibung Kolbenringe

Haptik gefühlte / tastbare Wahrnehmung Smartphone

Tabelle 1, Zusammenhang zwischen Funktion und geforderten Eigenschaften1

Ein Beispiel für eine Funktionsfläche im Bereich der Dichtungstechnik ist bei Radialwellendichtringen zu fin-

den. Um die Funktionalität einer derartigen Dichtung sicherzustellen, empfehlen Dichtungshersteller2 für

die Rauheit von Dichtflächen einen Mittenrauwert von Ra=0,2…0,8 μm, eine gemittelte Rautiefe Rz=1...5 μm

und eine maximale Rautiefe Rmax<6 μm. Um den Radialwellendichtring im Betrieb vor zu starkem Verschleiß

zu schützen, ist der Bereich der tolerierten Rauheit nach oben hin begrenzt. Gleichfalls darf die Dichtfläche

aber auch nicht zu glatt sein, weswegen auch ein unterer Grenzwert spezifiziert ist. Eine minimale Rauheit

ist erforderlich damit der Radialwellendichtring in einem Konditionierungsvorgang eine funktionsrelevante

charakteristische Rauheitsstruktur an der Dichtkante ausbildet. Zudem sorgen richtig ausgeprägte Rauheits-

strukturen auf der Dichtfläche der Welle für eine optimale Schmierstoffversorgung im Dichtspalt.

In den Praktikumsversuchen Oberflächenbegutachtung soll ein Einblick in den derzeitigen Stand der Ober-

flächenmesstechnik gegeben werden. Der Versuch Oberflächenbegutachtung Teil 1 konzentriert sich auf die

klassische taktile 2D-Rauheitsmesstechnik und die damit verbundenen Normen und Richtlinien. Im Versuch

Oberflächenbegutachtung Teil 2 werden moderne 3D-Messverfahren behandelt.

1 Rauheitsmessung Theorie und Praxis, Raimund Volk, 2005 2 Bspw. nach DIN 3760

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2 Grundlagen der Oberflächenmesstechnik

2.1 Allgemeines

Reale Werkstückoberflächen (Istoberfläche) weichen von ihrer idealen Form (Solloberfläche) ab. Diese Un-

terschiede werden als Gestaltabweichungen bezeichnet und in DIN 4760:1982 in sechs Kategorien (Tabelle

2) klassifiziert. Die Gestaltabweichungen 5. und 6. Ordnung, welche in Tabelle 2 nicht mehr grafisch darge-

stellt sind, beziehen sich auf die Gefügestruktur und den Gitteraufbau von Werkstoffen. Sie finden Anwen-

dungen in der Materialwissenschaft. Die Istoberfläche wird in Oberflächenstrukturen unterschiedlicher Wel-

lenlängen aufgeteilt. Die Wellenlänge nimmt mit der Ordnung der Gestaltabweichungen ab.

Gestaltabweichung Art der

Abweichung Beispiele für die Entstehungsursache

1. Ordnung: Formabweichung

Geradheits-, Ebenheits-,

Rundheits-Ab-weichungen

- Fehler in der Führung der Werkzeugmaschine - Durchbiegung der Maschine oder des Werk-stücks - falsche Einspannung des Werkstückes

2. Ordnung: Welligkeit

Wellen

- außermittige Einspannungen - Form der Laufabweichungen eines Fräsers - Schwingungen der Werkzeugmaschine oder des Werkzeuges

3. Ordnung: Rauheit

Rillen - Form der Werkzeugschneide - Vorschub oder Zustellung des Werkzeuges

4. Ordnung: Rauheit

Riefen Schuppen Kuppen

- Vorgang der Spanbildung (Reißspan, Scherspan, Aufbauschneide)

Gestaltabweichungen 1. bis 4. Ordnung überlagern sich zu der Istoberfläche

Tabelle 2, Gestaltabweichung nach DIN 4760:1982

2.2 Profilfilter

Ein Profilfilter (digitales Gaußfilter, DIN EN ISO 16610-20:2015) trennt das ungefilterte Primärprofil (P-Profil)

in Rauheit (R-Profil) und Welligkeit (W-Profil). Dabei ergibt sich das Rauheitsprofil aus der Abweichung des

Primärprofils von der Welligkeit (R = P-W). Die Bezugslinie bzw. die Mittellinie im Rauheitsprofil ist die Linie,

die den langwelligen Profilanteilen entspricht, die durch den Gaußfilter ermittelt und unterdrückt werden.

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Abbildung 1, ungefilterte und gefilterte Profildarstellung

Bis 1990 wurde in der Praxis ein analoges 2RC-Filter nach DIN 4777:1979 zur Filterung von Rauheit und

Welligkeit verwendet. Das Messsignal wurde hierbei durch eine elektrische Schaltung aus einem Widerstand

(R) und einem Kondensator (C) (Hochpassfilterung) geleitet. Eine derartige Filterung funktioniert bei rein

sinusförmigen Profilen brauchbar gut. Es gibt jedoch nur wenige reale Oberflächen mit streng sinusförmigen

Oberflächenstrukturen. Bei vielen realen Oberflächenprofilen verursacht das analoge 2RC-Filter daher Ein-

schwingvorgänge, Phasenverschiebungen und Überschwingungen am gefilterten Profil.

Dies und die Weiterentwicklung von Computersystemen, führte letztlich zur Einführung eines phasenkor-

rekten digitalen Gaußfilters (DIN EN ISO 16610-20:2015). Dieses wurde erstmals 1990 genormt. Bei Verwen-

dung des Gaußfilters werden die Verzeichnungen des Profils in senkrechter Richtung, bedingt durch plötzli-

che Änderung der Profilhöhe, verringert. Die Phasenverschiebung in waagrechter Richtung entfällt ganz. Zur

Bestimmung der mittleren Linie wird mit Hilfe des Gaußfilters an jedem Punkt das gewichtete arithmetische

Mittel der Ordinatenhöhen berechnet. Damit Punkte am Beginn und Ende der Messstrecke ebenfalls richtig

gewichtet werden können, muss zum Ein- und Ausschwingen des Filters die Taststrecke länger als die Ge-

samtmessstrecke sein (vgl. Tabelle 3 und Abbildung 4, S. 6). Üblich sind Vor- und Nachlaufstrecken von je

der halben Grenzwellenlänge λc (vgl. Kap. 2.3).

Bei der Verwendung des phasenkorrekten digitalen Gaußfilters treten im Vergleich zum 2RC-Filter nun nur

noch vernachlässigbar kleine Verzeichnungen am Rauheitsprofil auf. Für einen Vergleich von Rauheitskenn-

größen muss jedoch sichergestellt sein, dass jeweils dasselbe Filter und dieselben Filtereinstellungen ver-

wendet wurden. Bei der Filterung von vertikal stark asymmetrischen Profilen liefert jedoch auch das pha-

senkorrekte Gauss-Filter noch erhebliche Verzeichnungen in senkrechter Richtung. Dieser Effekt tritt vor

allem bei plateau-artigen, z.B. gehonten, geläppten, porösen und gesinterten Oberflächen mit tiefen Riefen

auf. Speziell hierfür wurde ein Sonderfilter (DIN EN ISO 13565-1:1998) entwickelt. Mit ihm müssen asym-

metrische Profile gefiltert werden um korrekte Kenngrößen zu ermitteln.

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2.3 Grenzwellenlängen

Die Grenzwellenlänge λc eines Profilfilters ist diejenige Wellenlänge, bei welcher das Filter die Amplitude

einer Sinuswelle auf 50 % reduziert. Sie kann somit als Maß für die Grenze zwischen Rauheit und Welligkeit

verstanden werden. Die Grenzwellenlänge λs definiert den Übergang der Rauheit zu noch kürzeren Wellen-

längen. In der Praxis findet die Grenzwellenlänge λs nach VDA 2006 jedoch keine Anwendung. Die Grenzwel-

lenlängen sind bei periodischen Profilen nach der mittleren Rillenbreite (Rsm) und bei aperiodischen nach

dem zu messenden Rauheitswert (Ra oder Rz) zu wählen (vgl. Tabelle 4, S. 15). Die Gesamtmessstrecke (ln)

einer Messung ist immer das 5-fache der Grenzwellenlänge λc. Die Taststrecke, sofern nicht anders angeben,

das 6-fache.

Mit abnehmender Grenzwellenlänge nehmen die Amplitude des gefilterten Rauheitsprofils ab und die des

Welligkeitsprofils zu. Somit werden bei kürzeren Grenzwellenlängen auch kleinere Rauheitswerte (Ra, Rz)

gemessen. Der λs-Profilfilter orientiert sich an der Grenzwellenlänge λc und wird deshalb nur selten angege-

ben.

Grenzwellenlänge λc [mm]

= Einzelmessstrecke lr

Kurzwelliger Pro-

filfilter λs [µm]

Gesamtmessstrecke ln [mm]

= 5 x λc

Taststrecke lt [mm]

= 6 x λc

0,08 2,5 0,4 0,48

0,25 2,5 1,25 1,5

0,8 2,5 4,0 4,8

2,5 8 12,5 15,0

8,0 25 40,0 48,0

Tabelle 3, Zusammenhang zwischen Grenzwellenlänge, Taststrecke und Messstrecke nach DIN EN ISO 4288:1998 und

DIN EN ISO 3274:1998

2.4 Rauheitskenngrößen

Rauheitskenngrößen (R-Kenngrößen) werden aus dem gefilterten Rauheitsprofil (R-Profil) berechnet. Des-

wegen ist es wichtig zu wissen, mit welcher Grenzwellenlänge λc gefiltert wurde – insbesondere bei Ver-

gleichsmessungen. Grundsätzlich können die Definitionen der Kenngrößen auf das Primärprofil (P-Profil),

die Welligkeit (W-Profil) und die Rauheit (R-Profil) angewandt werden. Bezeichnet werden die Kenngrößen

daher, je nach verwendetem Profil, mit den Großbuchstaben P, W oder R und dem zur Kenngröße zugehö-

rigen Index.

Viele Kenngrößen sind nach DIN EN ISO 4287 an der Einzelmessstrecke definiert und werden daher zunächst

anhand dieser berechnet. In der Praxis und sofern nicht anders angegeben, wird der Wert derartiger Kenn-

größe jedoch durch eine Mittelung der Einzelergebnisse von direkt hintereinander liegenden Einzelmess-

strecken ermittelt. Dieses Vorgehen ist in der Anwendungsnorm DIN EN ISO 4288 festgelegt3.

Moderne Oberflächenmessgeräte geben eine große Anzahl verschiedener Oberflächenkenngrößen aus. de-

ren Aussagekraft recht unterschiedlich ist. Die folgende Aufstellung gibt eine Übersicht über die Ermittlung

und die Aussagekraft der wichtigsten Kenngrößen.

3 Dies betrifft bspw. die bekannte Kenngröße Rz

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Der arithmetische Mittenrauwert Ra ist das arithmetische Mittel der Beträge der Ordinatenwerte des

Rauheitsprofils innerhalb der Einzelmessstrecke lr. Er stellt die mittlere Abweichung des Profils von der

mittleren Linie dar.

𝑅𝑎 =1

𝑙𝑟∫ |𝑧(𝑥)|𝑑𝑥

𝑙𝑟

0 bzw. 𝑅𝑎 =

1

𝑙𝑛∫ |𝑧(𝑥)|𝑑𝑥

𝑙𝑛

0

Abbildung 2, Bildung des arithmetischen Mittenrauwert Ra

Der Mittenrauwert kann nicht zwischen Spitzen und Riefen unterscheiden, ebenso wenig kann er verschie-

dene Profilformen erkennen. Da seine Definition auf einer starken Mittelwertbildung beruht, streuen die

Werte nur gering und sind gut reproduzierbar.

Abbildung 3, Unterschiedliche Profile mit gleichem Mittenrauwert Ra

Der quadratische Mittenrauwert Rq ist der quadratische Mittelwert der Profilabweichung. Rq ist ähnlich

definiert wie Ra, reagiert aber empfindlicher auf einzelne Spitzen und Riefen.

𝑅𝑞 = √1

𝑙𝑟∫ 𝑧²(𝑥)𝑑𝑥

𝑙𝑟

0 bzw. 𝑅𝑞 = √

1

𝑙𝑛∫ 𝑧²(𝑥)𝑑𝑥

𝑙𝑛

0

Die gemittelte Rautiefe Rz ist die Summe aus der Höhe der größten Profilspitze und der Tiefe des größ-

ten Profiltals innerhalb einer Einzelmessstrecke lr. Nach DIN EN ISO 4288 ergibt sich Rz aus Mittelung

der Ergebnisse von 5 Einzelmessstrecken. Insgesamt reagiert Rz empfindlicher auf die Veränderung von

Oberflächenstrukturen als Ra.

mittlere Linie

0

z

Ra

x

lr = λc

Ra = 2,4 µmRmax = 10,2 µmRz = 5,2 µm

= 2,4 µm= 10,4 µm= 7,3 µm

= 2,5 µm= 10,2 µm= 9,5 µm

gehonte Oberfläche

gedrehte Oberfläche

erodierte Oberfläche

RaRmaxRz

RaRmaxRz

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𝑅𝑧 =1

5∑ 𝑅𝑧(𝑖)

5

𝑖=1

lr = Einzelmessstrecke ln=Gesamtmessstrecke lt=Taststrecke

Abbildung 4, Definition der Rautiefe Rz, der maximalen Einzelrautiefe Rmax und der Rautiefe Rt

Die maximale Einzelrautiefe Rmax findet nur nach VDA 2005 Anwendung und ist die größte Einzelrau-

tiefe aus Rz.

Die Rautiefe Rt ist die vertikale Differenz der tiefsten Riefe und der höchsten Spitze innerhalb der

Gesamtmessstrecke.

Die bis jetzt beschriebenen Kenngrößen charakterisieren ein Profil nur „vertikal“. Sie lassen keine Unter-

scheidung von Profilen mit vielen Spitzen von Profilen mit vielen Riefen zu. Beispielsweise besitzt ein Profil

mit vielen Spitzen die gleichen Ra und Rz-Werte wie ein Profil mit Riefen gleicher Tiefe (vgl. Abbildung 3). Die

folgenden Rauheitskenngrößen helfen bei der „horizontalen“ Charakterisierung eines Profils.

Die Definition der mittleren Glättungstiefe Rp ist nahezu identisch mit der gemittelten Rautiefe. Das

gefilterte Profil wird in 5 gleiche Stecken unterteilt, die der Grenzwellenlänge entsprechen. Im Gegen-

satz zur Bestimmung von Rz wird hier in jedem Segment der Abstand von der Mittellinie bis zur höchsten

Spitze (pi) entnommen. Die gemittelte Glättungstiefe Rp ist das arithmetische Mittel dieser 5 Werte.

𝑅𝑝 =1

5∑ 𝑝𝑖

5

𝑖=1

lr=λc

ln = 5 lr

Rz(5)

Rz(1)

Rz(2) Rz(3)=Rmax Rz(4)

Rt

lt = 6 lr

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Abbildung 5, Ableitung der mittleren Glättungstiefe Rp und der mittleren Riefentiefe Rv

Die mittlere Riefentiefe Rv wird analog zu Rp gebildet. Anstatt den Spitzenhöhen pi werden die Riefen-

tiefen vi verwendet.

𝑅𝑣 =1

5∑ 𝑣𝑖

5

𝑖=1

Rp bzw. Rv wird verwendet, wenn eine bestimmte Profilform verlangt wird. Bei Lagerflächen dienen Riefen

beispielsweise als Schmierstofftaschen. Spitzen sind wiederum nicht erwünscht, da sie die Reibung und den

Verschleiß erhöhen würden. Bei Pressverbänden wird ebenfalls häufig mit der mittleren Glättungstiefe Rp

gearbeitet, da Pressverbände eine möglichst große Berührungsfläche benötigen. Rp alleine, liefert aber noch

keine Aussage über die Profilform. Erst das Verhältnis Rp/Rv kann Profilformen unterscheiden.

Der mittlere Rillenabstand RSm ist der arithmetische Mittelwert der Breiten der Profilelemente des

Rauheitsprofils innerhalb einer Einzelmessstrecke lr. Hierbei ist ein Profilelement eine Profilerhebung

mit einer benachbarten Vertiefung. Üblicherweise ergibt sich RSm aus Mittelung der Ergebnisse von 5

Einzelmessstrecken. Sie wird bei periodischen Profilen zur Auswahl der Grenzwellenlänge des Filters

herangezogen.

𝑅𝑆𝑚 =1

5∑ 𝑋𝑠𝑖

5

𝑖=1

Abbildung 6, Definition der mittleren Rillenbreite Rsm

lr=λc

ln = 5 lr

p1p5p4

p3p2

v1 v5v4v3v2

lr

Xs1 Xs2 Xsm

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Um die vertikale Materialverteilung einer Oberfläche zu charakterisieren, wird die Abbott-Kurve, auch Ma-

terialanteilskurve genannt, verwendet.

Der Materialanteil Rmr(c) gibt an, welchen Anteil die summierten, im Material verlaufenden Strecken-

abschnitte relativ zur Gesamtmessstrecke einnehmen (vgl. Abbildung 7). Die Größe bezieht sich immer

auf eine Tiefe c.

𝑅𝑚𝑟(𝑐) = 100

𝑙𝑛∑ 𝑀𝐼𝑖(𝑐) =

𝑀𝐼(𝑐)

𝑙𝑛

𝑛

𝑖=1

[%]

Die Abbott-Kurve (vgl. Abbildung 7) wird gebildet, indem man den Materialanteil über die Höhe des Profils

aufträgt. Hierzu wird das Profil in einer entsprechenden Höhe geschnitten und die materialschneidenden

Stecken li werden aufaddiert und ins Verhältnis zur Gesamtmessstrecke ln gesetzt. Aufgrund der starken

Abhängigkeit der Kurve zur höchsten Spannungsspitze (0%-Linie) wird in der Praxis häufig eine Nulllinien-

verschiebung von typischerweise 5 % angewandt. Diese Bezugslinie wird bevorzugt, da einzelne Spitzen

schon kurz nach dem Zusammenbau bzw. Betriebsbeginn abgetragen sind und somit kaum Bedeutung ha-

ben. Eine Nulllinienverschiebung muss angeben werden, da sonst gravierende Unterschiede der Messwerte

zu erwarten sind.

Abbildung 7, Zusammenhang zwischen Rauheitsprofil und Abbott-Kurve

Aus der Abbott-Kurve lassen sich verschiedene Kenngrößen ermitteln. Hierzu wird diese aus dem gefilterten

Profil ermittelt. Eine Sekante mit einer Länge von 40% der Länge der x-Achse wird an der Kurve verschoben

bis sie die geringste Neigung hat und an beide Schaubildränder verlängert (vgl. Abbildung 8).

Die folgenden Kenngrößen können nur berechnet werden, wenn die Abbott-Kurve einen S-förmigen Verlauf

hat und nur einen Wendepunkt aufweist. Dies ist bei geläppten und gehonten Oberflächen meistens der

Fall.

Die Kernrautiefe Rk ist die Tiefe des Rauheitskernprofils.

Der kleinste Materialanteil Mr1 ist die Länge (in %) einer Parallelen zur x-Achse vom Schnittpunkt Se-

kante/Abszisse (bei 0%) bis zum Schnittpunkt mit der Abbott-Kurve.

ln = 5 lr Materialanteil Rmr(c)

Abbott-KurveRauheitsprofil

Schnittlinie (Tiefe c)

Sch

nit

tlin

ien

lage

m]

0% 100%

MI1(c) 5%MI2(c) MI3(c) MIn(c)

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Der größte Materialanteil Mr2 ist die Länge (in %) einer Parallelen zur x-Achse vom Schnittpunkt Se-

kante/Abszisse (bei 100%) bis zum Schnittpunkt mit der Abbott-Kurve

Die reduzierte Spitzenhöhe Rpk ist die Höhe des mit den Kuppenflächen (Fläche A in Abbildung 8) flä-

chengleichen Dreiecks mit der Basislänge Mr1.

Zur Bestimmung der reduzierten Riefentiefe Rvk wird ein zu den Talflächen flächengleiches Dreieck mit

der Basislänge 100% - Mr2 erzeugt. Die Höhe entspricht Rvk.

Abbildung 8, Ableitung der Parameter Rk, Rpk, Rvk, Mr1 und Mr2

Die Parameter Rk, Rpk und Rvk ermöglichen die getrennte Beurteilung von Kernbereich, Spitzenbereich und

Riefenbereich. In den meisten Fällen werden niedrige Rpk-Werte und größere Rvk-Werte angestrebt. Dies

beschreibt eine plateauartige Oberfläche mit tiefen Riefen, wie es häufig für tribologische Funktionsflächen

verlangt wird. Der Rvk-Wert kann als Ölhaltevolumen einer Oberfläche interpretiert werden.

Abbildung 9 zeigt unterschiedliche Rauheitsprofile und die dazugehörenden Abbott-Kurven. Werden be-

stimmte Oberflächenstrukturen gewünscht, werden diese meist mit einer Abbott-Kurve oder ihrer Parame-

ter definiert. Ein weiteres Beispiel für die Charakterisierung von Oberflächen mit Hilfe der Parameter

der Abbott-Kurve ist in Abbildung 10 dargestellt

0% 100%

Mr1 Mr2

40%

40%

Rk

Rvk

Rpk

Rpk

Mr1A

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Abbildung 9, unterschiedliche Rauheitsprofile und deren Abbott-Kurven

Abbildung 10, Vergleich der Parameter Rk, Rpk, Rvk bei Profilen mit gleichen Ra-Werten

2.5 Wichtige Oberflächenkenngrößen aus dem Primär- und Welligkeitsprofil

Die Wellentiefe Wt zeigt die maximale Tiefe des gefilterten Profils nachdem die Rauheit durch einen

geeigneten Filter entfernt wurde.

Rauheitsprofil Abbott-Kurve0 100%

Rz

Rz

Rmax = 2Rz

Rmax = 2Rz

= 2,4 µm= 2,6 µm= 8,2 µm= 2,6 µm

RaRpkRkRvk

= 2,4 µm= 0,9 µm= 1,9 µm= 9,8 µm

RaRpkRkRvk

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Abbildung 11, Ableitung der Wellentiefe Wt

Die Profiltiefe Pt ist der Abstand zweier paralleler Linien, die das ungefilterte Oberflächenprofil ein-

schießen. Die Linien haben die Form des idealen Profils (z.B. Gerade, Kreis).

Abbildung 12, Ableitung der Profiltiefe Pt

3 Oberflächenmessgeräte

Um 2D-Oberflächenkennwerte zu bestimmen werden hauptsächlich taktile, manchmal aber auch optische4

Messgeräte eingesetzt. Bei taktilen Geräten wird die Oberfläche mit einer Diamantspitze tastend abgefah-

ren. Im Gegensatz dazu arbeiten optische Messgeräte berührungslos.

Bei taktilen Geräten wird die gemessene Amplitude durch die Geometrie der Tastspitze beeinflusst (vgl.

Abbildung 13). Da die geltenden Normen die herkömmliche taktile Rauheitsmessung jedoch als Standard

definieren, ist dies durchaus so gewünscht und berücksichtigt. Da bei optischen Messgeräten keine derartige

Beeinflussung des Messsignals auftritt, unterscheiden sich die Messergebnisse die an verschiedenen Gerä-

ten aufgenommen wurden deutlich. Dies muss bei einer Rauheitsmessung mit optischen Geräten zwingend

berücksichtigt und dokumentiert werden.

4 Optische Messgeräte finden zur Bestimmung von 2D-Kenngrößen bevorzugt dann Verwendung, wenn weiche Ober-

flächen durch das Antasten der Oberfläche beschädigt werden würden.

Pt

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Abbildung 13, Vergleich von Ist-Profil und aufgezeichnetem Profil beim Tastschnittverfahren

Bei vielen Messgeräten besteht die Möglichkeit, Oberflächenkenngrößen über eine Fläche (3D) zu ermitteln.

Die Grundlagen, Kenngrößen und Definitionen hierfür sind Bestandteil des Versuches Oberflächenbegut-

achtung Teil 2.

3.1 Tastschnittverfahren

In der Industrie stellen taktile Rauheitsmessgeräte nach wie vor den Stand der Technik bei der Ermittlung

von Rauheitskenngrößen dar. Diese Geräte arbeiten nach dem Tastschnittverfahren und wandeln das ange-

tastete Oberflächenprofil meistens über einen induktiven Wandler in ein elektrisches Signal. Hierfür fährt

ein Taster mit Diamantspitze in der Regel senkrecht zur Vorzugsrichtung der Oberflächenstruktur über die

Oberfläche des Werkstücks. Der senkrechte Hub der Tastspitze ergibt das gemessene Höhenprofil. Die Mess-

signale des Primärprofils werden heutzutage direkt mit Hilfe eines digital/analog Wandlers in ein Auswerte-

gerät eingelesen. Dort erfolgen durch digitale Filterung die Bestimmung des Welligkeit- und des Rauheits-

profils sowie die Berechnung der Kenngrößen.

Ein Oberflächenprüfgerät, welches nach dem Tastschnittverfahren arbeitet, kann in die drei Komponenten

aufgeteilt werden: Taster, Vorschubapparate sowie Auswertegerät mit Anzeige und Dokumentation.

3.1.1 Taster

Der Taster wandelt die Vertikalbewegung der Tastspitze in ein elektrisches Signal um. Er besteht aus einer

hochpräzise gelagerten Tastspitze und einem Wandler. Zudem kann er durch eine Gleitkufe ergänzt werden.

Für die große Vielfalt an den zu messenden Geometrien, wie etwa Flächen, Wellen, Bohrungen, Evolventen,

etc., existiert eine breite Vielfalt an verschiedenen Tasterformen. Grundsätzlich wird zwischen Einkufentas-

tern, Zweikufentastern und Bezugsebenentastern unterschieden.

Taster mit Gleitkufen kommen vor allem in Handgeräten zum Einsatz. Die Gleitkufe folgt der Welligkeit. Sie

wirkt als Hochpassfilter und lässt die makroskopische Form des Profils unberücksichtigt. Gleitkufentaster

geben keine exakten Angaben über Form und Welligkeit, müssen aber nicht ausgerichtet werden und sind

unempfindlich gegen Schwingungen. Solche Taster kommen vor allem im Werkstattbereich zum Einsatz. Das

R R R

R

Rtip

Tastspitze

Diamantspitze

Oberfläche

aufgezeichnetesProfil

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Bezugsebenentastsytem hingegen misst gegen eine Referenzfläche und liefert somit eine weitestgehend

unverfälschte Abbildung des P-Profils.

Abbildung 14, Taster mit und ohne Gleitkufe

Als Tastspitze werden Diamantkegel mit einer abgerundeten Spitze verwendet. Nennwerte für die Tastspitze

sind der Spitzenradius mit rtip = 2 μm, 5 μm oder 10 μm sowie der Öffnungswinkel des Kegels mit 60° bzw.

90° (DIN EN ISO 3274:1998). Die Geometrie der Tastspitze wirkt sich auf das Messergebnis (vgl. Abbildung

13) aus. Dieser Einfluss ist vor allem bei sehr kleinen und steilen Strukturen groß. Er kann durch die Verwen-

dung einer Messspitze mit kleinerem Spitzenradius reduziert werden. Steilere Flanken können mit einem

kleineren Öffnungswinkel detaillierter wiedergegeben werden, wie in Abbildung 13 dargestellt.

Abbildung 15, Aufnahme einer Tastspitze mit einem Rasterelektronenmikroskop

3.1.2 Vorschubapparate

Ein Rotationsvorschubapparat dreht eine zylinderförmige Probe unter dem feststehenden Taster hindurch

und führt den Taster kontinuierlich und mit konstanter Geschwindigkeit über die Oberfläche. Teilweise wird

auch das Werkstück unter dem feststehenden Taster hindurchbewegt. Man unterscheidet zwischen Vor-

schubapparaten mit und ohne Bezugsebene sowie Rotationsvorschubapparaten.

Die meisten Messgeräte besitzen einen Vorschubapparat mit eingebauter Bezugsebene. Sie erlauben den

Einsatz von Tastern mit und ohne Gleitkufe. Vorschubapparate ohne Bezugsebene gestatten ausschließlich

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den Einsatz von Gleitkufentastern. Nur Vorschubapparate mit eingebauter Bezugsebene in Verbindung mit

einem Taster ohne Gleitkufe gestatten das exakte Erfassen von Form, Welligkeit und Rauheit. Die Genauig-

keit der Formmessung hängt in erster Linie von der Genauigkeit der Bezugsebene ab. Rundlauffehler des

Werkstückes lassen sich durch den Einsatz von Gleitkufentastern eliminieren.

3.2 Hommel Tester T8000

Der Hommel Tester T8000 ist ein taktiles Messgerät, welches nach dem Tastschnittverfahren arbeitet und

sowohl Rauheits- als auch Konturmessungen ermöglicht. Je nach Messaufgabe wird der passende Rauheits-

oder Konturentaster eingesetzt. Er unterstützt Taster mit und ohne Gleitkufe. Somit besitzt er eine Bezugs-

ebene, deren maximale Vorschublänge bei dieser Ausführung 60 mm beträgt. Das Gerät besitzt einen voll

justierbaren Tisch, ein Rotationsvorschubgerät sowie einen in xy-Richtung automatisch beweglichen Tisch,

um Topografiemessungen durchzuführen. Alle Einstellungen sowie die Steuerung des Messgeräts werden

am Messrechner vorgenommen.

Abbildung 16, Hommel Tester T8000 RC am IMA

4 Versuchsdurchführung

4.1 Messen von Oberflächenkenngrößen

In diesem Versuch werden zwei gedrehte, eine gehonte und eine einstichgeschliffene Wellenhülse mit dem

Oberflächenmessgerät Hommel Tester T8000 analysiert. Anhand der Messungen sollen Unterschiede der

verschiedenen Oberflächen sowie die Verwendung der verschiedenen Rauheitskenngrößen veranschaulicht

und diskutiert werden.

Die Erfassung und Berechnung der Rauheitsparameter einer Oberfläche ist heute weitestgehend automati-

siert. Dennoch sind bei einer Messung einige Dinge zu beachten. Im Folgenden werden diese am Beispiel

des Tastschnittverfahrens erläutert.

1. Oberfläche säubern

Es muss darauf geachtet werden, dass die Oberfläche frei von Schmutz, Partikeln, Ölen und Fetten ist.

Gegebenenfalls ist sie mit einem Lösungsmittel zu reinigen.

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2. Taststrecke/Grenzwellenlänge einstellen

Die Grenzwellenlänge und somit auch die genormte Taststrecke wird nach Tabelle 3 (S. 4) und Tabelle 4

ausgewählt. Einziges Kriterium hierfür ist die Angabe der Rauheit aus der Konstruktionszeichnung. Ist

kein Rauheitswert bekannt, kann die Rauheit über Handraunormale abgeschätzt werden. Ist auch dies

nicht verfügbar ist grundsätzlich eine Filtergrenzwellenlänge von λc = 0,8 mm empfehlenswert, da sich in

dieser Klasse die meisten Rauheitswerte befinden. Es ist zu beachten, dass sich bei einer Änderung der

Grenzwellenlänge auch der Rauheitswert verändert. Aus der Norm lässt sich ebenfalls der einzusetzende

Tastspitzenradius rtip entnehmen.

Meistens werden über die Wahl der Grenzwellenlänge bzw. der Taststrecke alle Parameter normgerecht

voreingestellt. Bei computergesteuerten Oberflächenmessgeräten lassen sich oft Taststrecke und Grenz-

wellenlänge unabhängig voneinander einstellen. So können auch Messaufgaben getätigt werden, bei de-

nen die genormte Taststrecke nicht verwendbar ist. Sind aus besonderen Gründen andere Zuordnungen

der Grenzwellenlänge notwendig, so sind diese beim Rauheitswert anzugeben (z.B. Ra = 0,5µm bei λc =

0,8 mm). Die Grenzwellenlängen und die Einzelmessstrecken sind in jedem Fall gleich lang. Des Weiteren

muss die minimale Taststrecke das Zweifache der Grenzwellenlänge λc betragen.

Bei aperiodischen Profilen (Schleifen, Umfangfräsen, Stirnfräsen ohne Sturz, Reiben, Umformen, usw.)

Bei periodischen Profilen (Drehen, Hobeln, usw.)

Cut-off

Wellenfilter

Tastspit-

zenradius

Digitalisie-

rungsabstand

Ra [μm] Rz [μm] RSm [mm] λc [mm] rtip [μm] ∆x [μm]

0,02 0,1 >0,013 bis 0,04 0,08 2 0,5

>0,02 bis 0,1 >0,1 bis 0,5 >0,04 bis 0,13 0,25 2 0,5

>0,1 bis 2 >0,5 bis 10 >0,13 bis 0,4 0,8 2 od. 5* 0,5

>2 bis 10 >10 bis 50 >0,4 bis 1,3 2,5 5 1,5

>10 >50 >1,3 bis 4 8 10 5

Beim Messen von Rmax richtet sich die Grenzwellenlänge nach Rz *Bei Rz ≤2 μm ist rtip = 2 μm und bei Rz > 2 μm ist rtip = 5 μm

Tabelle 4, Auswahl von Filter, Tastspitzenradius und Digitalisierungsabstand nach DIN EN ISO 4288:1998 und

DIN EN ISO 3274:1998

3. Formabweichung eliminieren

Bei Verwendung von Tastern mit Bezugsebene müssen nach der Messung zuerst die Formabweichungen

eliminiert werden. Das bedeutet, dass beim Vermessen wie beispielsweise einer Kugel ein Kreis vom

Profil abgezogen werden muss. Gleitkufentaster entfernen Formabweichungen während Der Messung

durch die Gleitkufe. Ist die gemessene Oberfläche eben, kann direkt mit dem Ausrichten des Profils be-

gonnen werden.

4. Profil ausrichten

Bei Messgeräten mit Bezugsebene kann es vorkommen, dass die Bezugsebene nicht exakt ausgerichtet

ist. Dies bedeutet eine Schräglage des Profis, welche nicht einer Gestaltabweichung zuzurechnen ist. Zur

Messung der Geradheit und der Welligkeit muss in diesem Fall eine Ausgleichsgerade durch das Profil

gelegt werden, die nach dem Verfahren der kleinsten Fehlerquadrate ermittelt wird. Zur Bestimmung

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der Rauheitswerte ist dieser Schritt nicht zwingend notwendig, da das Gaußfilter (vgl. Kap. 2.2) einfache

Linearitätsabweichungen ebenfalls filtert.

4.2 Auswertung

Im Anschluss an die Messungen sollen folgende Fragen diskutiert werden:

Wie ändern sich die Rauheitswerte wenn man einen anderen Filter bzw. eine andere Grenzwellenlänge

λc wählt?

Weshalb lassen sich mit Gleitkufentastern nur Rauheitswerte messen (und keine P, W-Werte)?

Welche Vorteile haben die Abbott-Kurve und ihre Kenngrößen im Vergleich zu Ra, Rz oder Rmax?

Wie groß ist die Streuung bei mehreren Messungen auf einer Wellenoberfläche?

Was ist charakteristisch bei den Traganteilen von gehonten, geschliffenen und gedrehten Oberflächen?

Wie kann ein asymmetrisches Flankenprofil bei gedrehten Wellen erklärt werden?

Worauf muss geachtet werden wenn gedrehte Profile mit Linearitätsabweichung gemessen und an-

schließend mittels der Methode der kleinsten Fehlerquadrate korrigiert werden?

Wie ist vorzugehen, wenn auf einem Werkstück keine ausreichende Messstrecke verfügbar ist?

Wie ist vorzugehen wenn die Rauheit vor einer Messung unbekannt ist?

Wie ist vorzugehen wenn die Rauheitskenngrößen nach einer Messung außerhalb des Toleranzberei-

ches für die Filtereinstellungen liegen?

Wie ist vorzugehen wenn Werkstücke untersucht werden, bei denen die Rauheit exakt an der Grenze

des Toleranzbereiches für die Filtereinstellungen liegen und einzelne Werte jeweils über oder unterhalb

der Grenzen liegen?

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5 Normen zur Oberflächenmesstechnik

Bezeichnung Norm ersetzte Normen

Gestaltabweichungen DIN 4760:1982

2RC-Filter DIN 4772:1979

Phasenkorrekte Filter DIN EN ISO 1610-20:2015 DIN 4777

Sonderfilter für plateauartige funktionsrelevante

Oberflächen (Abbott-Kurve)

DIN EN ISO 13565:1998 DIN 4776

Arithmetischer Mittenrauwert Ra DIN EN ISO 4287:2010 DIN 4768

Quadratischer Mittenrauwert Rq DIN EN ISO 4287:2010 DIN 4762

Rautiefe Rz DIN EN ISO 4287:2010 DIN 4768

Maximale Einzelrautiefe Rmax DIN EN ISO 4287:2010 DIN 4768

Rautiefe Rt DIN EN ISO 4287:2010

Mittlere Glättungstiefe Rp DIN EN ISO 4287:2010

Mittlere Riefentiefe Rv DIN EN ISO 4287:2010

Mittlere Rillenbreite RSm DIN EN ISO 4287:2010

Abbott-Kurve DIN EN ISO 4287:2010

Materialanteil Rmr DIN EN ISO 4287:2010

Kernrautiefe Rk DIN EN ISO 13565:1998 DIN 4776

Materialanteil 1 Mr1 DIN EN ISO 13565:1998 DIN 4776

Materialanteil 2 Mr2 DIN EN ISO 13565:1998 DIN 4776

Reduzierte Spitzenhöhe Rpk DIN EN ISO 13565:1998 DIN 4776

Reduzierte Riefentiefe Rvk DIN EN ISO 13565:1998 DIN 4776

Wellentiefe Wt DIN EN ISO 4287:2010

Profiltiefe Pt DIN EN ISO 4287:2010

Tastschnittverfahren (Messbedingungen, Filter,…) DIN EN ISO 4288:1998

DIN EN ISO 3274:1998

DIN 4775

DIN 4772 Tabelle 5, Normen zur Oberflächenmesstechnik

6 Quellen/Literatur

[1] Volk, Raimund (2005): Rauheitsmessung Theorie und Praxis, DIN Deutsches Institut für Normung e.V.;

München, Beuth Verlag GmbH

[2] Sorg, Horst (1995): Praxis der Rauheitsmessung und Oberflächenbeurteilung, München, Carl Hanser

Verlag

[3] Hommelwerke GmbH (1993): Rauheitsmessung Theorie und Praxis, VS-Schwenningen

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Oberflächenbeurteilung Teil 2 -3D-Rauheitsmessung-

Spezialisierungsfachversuch und Hauptfachversuch

Universität Stuttgart

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1 Einleitung

Die Werkstückoberfläche trennt ein Objekt von seiner Umgebung. Im einfachsten Fall ist das umgebende

Medium Luft und die maßgebliche Forderung an die Oberfläche ist, dass diese möglichst kostengünstig ist.

In vielen technischen Anwendungen haben Oberflächen jedoch bestimmte Funktionen zu erfüllen (vgl. Ta-

belle 1.1). In solchen Fällen müssen die Eigenschaften der betreffenden Oberfläche möglichst genau defi-

niert und kontrolliert werden, damit die vorgesehene Funktion optimal erfüllt wird.

Tabelle 1.1: Zusammenhang zwischen Funktion und geforderten Eigenschaften1

Funktion Geforderte Eigenschaften Beispiel

Lagerfläche Geringe Reibung Pleuellager

Leitfähigkeit Große Kontaktfläche Elektrische Schalter

Sichtflächen Gleichmäßige Lichtreflexion Lackierte Bleche

Haftfestigkeit Definierte Mindestrauheit, spezielles Profil Karosseriebleche

Reibung Scharfe Spitzen, geringe Auflagefläche Antriebswalzen

Dichtung Geringer Abrieb, geringe Reibung Kolbenringe

Haptik Gefühlte / tastbare Wahrnehmung Smartphone

In den Praktikumsversuchen Oberflächenbeurteilung soll ein Einblick in den derzeitigen Stand der Oberflä-

chenmesstechnik gegeben werden. Der Versuch Oberflächenbeurteilung Teil 1 konzentriert sich auf die klas-

sische taktile 2D-Rauheitsmesstechnik und die damit verbundenen Normen und Richtlinien. Im Versuch

Oberflächenbeurteilung Teil 2 werden moderne 3D-Messverfahren behandelt.

2 Grundlagen der optischen 3D-Oberflächenmesstechnik

2.1 Allgemeines

Die Entwicklung optischer Topographiemessgeräte erfolgte nahezu zeitgleich zur Entwicklung der, bis heute

in der Industrie als etabliert anzusehenden taktilen Rauheitsmessgeräte2. Da die Datenerfassung optischer

Messgeräte indirekt unter Ausnutzung der verschiedenen Eigenschaften des Lichtes erfolgt, sind nach der

eigentlichen Messung komplexe Berechnungsalgorithmen notwendig, um die gewünschten topographi-

schen Daten zu erzeugen. Wesentliche Fortschritte bei der optischen Messung von Oberflächen wurden

daher im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung von Computersystemen seit den 80er Jahren des letz-

ten Jahrhunderts erzielt. Heute sind optische Messverfahren vielfach schneller und präziser als taktile Mess-

1 Nach Rauheitsmessung Theorie und Praxis, Raimund Volk, 2005 [1]

2 Siehe Oberflächenbeurteilung Teil 1 – 2D-Rauheitsmesstechnik

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verfahren. Sie ermöglichen eine kontakt- und damit zerstörungsfreie, flächenhafte Messung vieler techni-

scher Oberflächen und weisen aufgrund der, verglichen mit taktilen Methoden, hohen Anzahl an Messpunk-

ten in der Regel eine bessere statistische Aussagegüte auf.

Neben den bereits genannten Vorteilen ist zu ergänzen, dass dreidimensionale Oberflächenmessdaten in

vielen Bereichen unerlässlich sind. Laterale Oberflächeneigenschaften entscheiden in vielen Applikationen

maßgeblich über die Funktionalität. So bestimmt beispielsweise die Orientierung von Schleifstrukturen auf

Dichtungsgegenlaufflächen für Radial-Wellendichtringe, ob es im Betrieb zu Leckage kommt oder ob ein

Dichtsystem über die geforderte Lebensdauer die vorgesehene Funktion erfüllen kann3. Da es nicht möglich

ist, die Geometrie von Oberflächenstrukturen in einzelnen Profilen vollständig zu erfassen, sind die her-

kömmlichen taktilen Rauheitsmessverfahren für derartige Anwendungen schlicht nicht ausreichend. Ebenso

existieren vielerlei Oberflächen mit stochastisch angeordneten singulären Oberflächenstrukturen, bei wel-

chen mehrere einzeln gemessene Oberflächenprofile, mitunter nach dem Zufallsprinzip, um Faktoren un-

terschiedliche Oberflächenkennwerte ergeben. 3D-Messungen reduzieren in diesem Zusammenhang das

Risiko, mangelhafte Messdaten zu generieren, beträchtlich.

Den Vorteilen optischer 3D-Messverfahren stehen einige nachteilige Punkte entgegen, welche ihre Akzep-

tanz in der Industrie erschweren. Während die Normung im Bereich der taktilen Rauheitsmessverfahren bis

auf einige Kleinigkeiten alle relevanten Einflussparameter strikt festlegt, lassen die bisher bestehenden Nor-

men für 3D-Messverfahren4 dem Anwender einen hohen Freiheitsgrad. Dies führt vielfach zur Verunsiche-

rung, bietet aber gleichfalls Potential für individuelle Lösungen. Diese erfordern jedoch ein hohes Maß an

Fachwissen. Ein weiterer Nachteil besteht in der Anfälligkeit optischer Messverfahren für Messprinzip-spe-

zifische Messfehler. Optisch erfasste Messdaten ergeben daher ohne eine geeignete Messdatenaufberei-

tung oftmals keine belastbaren Oberflächenkenngrößen. Genaue Angaben, wie die Messdaten gefiltert wer-

den müssen, sind nicht festgelegt, sondern müssen von Fall zu Fall neu abgewogen und definiert werden.

2.2 Überblick bestehender Normen

Die für die 3D-Rauheitsmessung relevanten Normen bestehen im Wesentlichen aus zwei umfassenden Nor-

menserien. In der Normenserie DIN EN ISO 25178 sind unter anderem die Zeichnungseintragung, 3D-Ober-

flächenkenngrößen, Begriffe und Definitionen, 3D-Messverfahren und Inhalte zur Kalibrierung derartiger

Verfahren genormt. DIN EN ISO 16610 legt hingegen verschiedene Filterverfahren für 2D- und 3D-Messda-

ten fest. Beide Normen befinden sich derzeit noch in aktiver Bearbeitung und werden sukzessive um weitere

geplante Teile ergänzt. Tabelle 5.1 in Kapitel 5 gibt Aufschluss über den derzeitigen Stand.

Nachfolgend werden die wichtigsten Inhalte der beiden Normenserien vorgestellt.

2.3 Die skalenbegrenzte Oberfläche

In der taktilen Rauheitsmessung (2D-Messtechnik) werden die Messdaten ausgehend vom erfassten Primär-

profil (P-Profil) mit Hilfe eines Gauss-Filters in ein Rauheits- (R-Profil) und Welligkeitsprofil (W-Profil) zerlegt,

3 In der Dichtungstechnik werden förderaktive Oberflächenstrukturen auf Dichtungsgegenlaufflächen als Drall bezeich-

net.

4 Die Normung der 3D-Topographiemessverfahren und zugehörigen Kenngrößen ist aktuell in Bearbeitung. Zukünftige

Änderungen sind daher noch nicht bekannt und nicht ausgeschlossen.

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vergl. Teil 1 des Versuchs Oberflächenbeurteilung. Kenngrößen, welche an dem jeweiligen Profil abgeleitet

werden, sind jeweils mit den entsprechenden Buchstaben gekennzeichnet (P-, R- und W-Kenngrößen).

Ein ähnliches Konzept existiert auch in der 3D-Messtechnik, das Konzept der sogenannten skalenbegrenzten

Oberfläche. Hierfür sind in DIN EN ISO 25178-2 [2] verschiedene Begriffe festgelegt. Ausgehend von erfass-

ten Messdaten, welche alle Skalenbereiche, also Oberflächenstrukturen mit Wellenlängen innerhalb des

vom jeweiligen Gerät messbaren Bereiches, aufweisen, werden verschiedene Skalenbereiche definiert und

abgegrenzt. Diese verschiedenen Skalenbereiche ergeben sich jeweils durch Filterung der Messdaten mittels

verschiedener Operatoren oder Filter gemäß der nachfolgenden Darstellung in Bild 2.1.

Mit Hilfe des F-Operators werden in der Messung enthaltene Formanteile (Linearitätsabweichungen, Ober-

flächenkrümmungen oder sonstige der Werkstückform zuzuordnende Anteile) gefiltert. Hieraus resultiert

die S - F Oberfläche.

Die sogenannte Primäroberfläche ergibt sich nach DIN EN ISO 25178-2 aus einer Filterung der Messdaten

mit einem S-Filter. Dieses trennt laterale Anteile kleiner Wellenlänge von den Messdaten.

Mittels eines L-Filters werden von der S - F Oberfläche laterale Anteile großer Skala von den Messdaten

gefiltert, wodurch sich die S - L Oberfläche ergibt.

Bild 2.1: Zusammenhang zwischen S-Filter, L-Filter, F-Operator und S-F und S-L Oberflächen nach DIN

EN ISO 25178-2 [2]

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Insgesamt sind die Primäroberfläche, die S-F Oberfläche und die S-L Oberfläche somit dem Vorgehen bei der

taktilen Rauheitsmessung ähnlich. Im Gegensatz zur taktilen Rauheitsmessung muss jedoch beachtet wer-

den, dass DIN EN ISO 25178-2 bezüglich der Filter und Filtereinstellungen keine Angaben macht. Das be-

schriebene Ziel der jeweiligen Filter, unterschiedliche Skalenbereiche festzulegen, kann mit verschiedenen

Algorithmen5 erreicht werden. Je nach Art und Anwendung können dabei unterschiedliche Ergebnisse re-

sultieren. Aus diesem Grund ist eine genaue Dokumentation des Vorgehens bei der Messung bzw. die ge-

naue Festlegung einer Messvorschrift bei der Zeichnungseintragung von essentieller Bedeutung.

2.4 Filterung und Messdatenaufbereitung von 3D-Messdaten

Die zur Aufbereitung von Messdaten gemäß DIN EN ISO 25178 benötigten Filterverfahren sind in

DIN EN ISO 16610 genormt. Die Norm ist als eine Art Filter-Toolbox zu verstehen die dem Anwender für

verschiedene Anwendungen verschiedene Filter anbietet. Eine Übersicht über den gesamten Umfang der

Normenserie ist nachfolgend in Bild 2.2 dargestellt.

Bild 2.2: Struktur der Teile in der Reihe DIN EN ISO 16610 nach DIN EN ISO 16610-1 [3]

Grundlegend wird innerhalb der Normenserie in Profil- (FP) und Flächenfilter (FA) unterteilt. Ferner werden

in jedem Bereich lineare (bspw. FAL), robuste (bspw. FAR) und morphologische (bspw. FAM) Filterverfahren

unterschieden. Die weitere Kennzeichnung der Filter erfolgt darauf aufbauend gemäß der in Bild 2.3 darge-

stellten Tabelle.

5 Z.B. Gauss-Filter, Robustes Gauss-Filter, Spline-Filter uvm.

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Bild 2.3: Struktur der Teile in der Reihe DIN EN ISO 16610 nach DIN EN ISO 16610-1 [3]

2.5 3D-Oberflächenkenngrößen

Ein umfangreicher Satz an 3D-Oberflächenkenngrößen ist in DIN EN ISO 25178-2 [2]festgelegt. Die Entwick-

lung dieser Kenngrößen bis hin zur Normung erfolgte im Wesentlichen in zwei großen kooperativen For-

schungsprojekten unter der Leitung von STOUT [5] und BLUNT [6].

Grundsätzlich teilt DIN EN ISO 25178-2 alle genormten flächenbasierten Kenngrößen in fünf Hauptgruppen

auf. Diese sind schematisch in Bild 2.4 dargestellt. Ein eklatanter Unterschied zur 2D-Rauheitsmessung be-

steht in der Bezeichnung der Kenngrößen. Bei 3D-Kenngrößen wird nicht länger in Primärprofil, Rauheit und

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Welligkeit und entsprechende Kenngrößen unterschieden. Grundsätzlich werden alle 3D-Kenngrößen mit

den Buchstaben S für Surface- und V für Volumenkenngrößen bezeichnet und mit entsprechenden Indizes

kombiniert. Unabhängig davon, auf Basis welcher skalenbegrenzten Oberfläche die Kenngrößen abgeleitet

wurden und mit welchen Messbedingungen wie z.B. Messauflösung oder Messbereich die Vermessung er-

folgte, tragen alle Kenngrößen dieselben Bezeichnungen. Aus diesem Grund ist es besonders essentiell, ein-

mal abgeleitete Kenngrößen nie ohne eine Angabe der Filter- und Messbedingungen darzustellen.

Bild 2.4: Übersicht über die 3D-Kenngrößen nach DIN EN ISO 25178-2 [4]

Ausgewählte Kenngrößen der einzelnen Gruppen werden nachfolgend beschrieben.

2.5.1 Höhen- oder Amplitudenkenngrößen

Als Grundlage für die Höhenkenngrößen nach DIN EN ISO 25178-2 dienen die etablierten 2D-Rauheitskenn-

größen nach DIN EN ISO 4287 [7]. Mit einer Ausnahme stellen die 3D-Kenngrößen auf einfache Weise in die

dritte Dimension erweiterte Formulierungen der bekannten 2D-Kenngrößen dar. So ist die Kenngröße Sa

beispielsweise analog zur Kenngröße Ra als das arithmetische Mittel aller erfassten Höhenwerte auf der be-

trachteten Oberflächentopographie definiert. Algorithmisch entspricht dies einer Erweiterung der Formu-

lierung um ein zweites Integral in lateraler Richtung:

𝑅𝑎 =

1

𝑙∫ |𝑧(𝑥)|𝑑𝑥

𝑙

0

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𝑆𝑎 =1

𝐴∬|𝑧(𝑥, 𝑦)|𝑑𝑥𝑑𝑦

𝐴

Eine Besonderheit stellt die Kenngröße Sz dar. Sie ist definiert als die maximale Höhendifferenz aller inner-

halb einer Oberflächentopographie vorkommender Messwerte. Aufgrund der Kenngrößenbezeichnung

wäre es naheliegend einen Vergleich zum Rz-Wert einer Oberfläche zu ziehen. Zwar entsprechen sich die

grundlegenden Definitionen von Sz und Rz (DIN EN ISO 25178 und DIN EN ISO 4287), in der Praxis und gemäß

der Anwendungsnorm DIN EN ISO 4288 [8] wird der Rz-Wert aber als arithmetisches Mittel von 5 Einzel-

messstrecken ermittelt. Somit kann die Kenngröße Sz eher mit der Kenngröße Rt verglichen werden.

Eine Übersicht aller Höhenkenngrößen nach DIN EN ISO 25178-2 ist nachfolgend in Tabelle 2.1 aufgelistet.

Tabelle 2.1: Höhenkenngrößen nach DIN EN ISO 25178-2

Sp Maximale Spitzenhöhe der Oberfläche

Sv Maximale Talhöhe der Oberfläche

Sz Maximale Höhe der Oberfläche

Sa Arithmetische mittlere Höhe

Sq Durchschnittliche quadratische Höhe der Oberfläche

Ssk Schiefe der Oberfläche

Sku Kurtosis der Oberfläche

2.5.2 Raum- und Mischkenngrößen

Im Gegensatz zu den zuvor beschriebenen Höhenkenngrößen erlauben die Raum- und Mischkenngrößen

(Tabelle 2.2 ) eine Aussage über laterale Eigenschaften einer Oberflächentopographie. Grundlage für die Be-

rechnung der Kennwerte sind frequenzbasierte Auswertungsmethoden.

Tabelle 2.2: Räumliche Kenngrößen und Mischkenngrößen nach DIN EN ISO 25178-2

Sal Autokorrelationslänge der Oberfläche

Str Textur-Aussehensverhältnis der Oberfläche

Std Texturrichtung der Oberfläche

Die Kenngrößen Sal und Str werden beispielsweise mit Hilfe der Autokorrelationsfunktion ACF berechnet. Mit

dieser werden Oberflächen quasi mit sich selbst korreliert, wodurch periodische und gerichtete Strukturan-

teile hervorgehoben werden. Anhand des Ergebnisses der ACF kann eine Einschätzung über die auf einer

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Oberflächentopographie vorhanden Wellenlängen getroffen werden. Zudem kann geprüft werden, ob die

gemessene Oberflächenstruktur eine Vorzugsrichtung aufweist und wie hoch deren Grad der Isotropie bzw.

Anisotropie ist6. Das Vorgehen zur Berechnung der Kenngrößen ist nachfolgend schematisch dargestellt, Bild

2.5.

Bild 2.5: Verfahren zur Berechnung von Sal und Str nach DIN EN ISO 25178-2 [4]

Sofern eine Oberflächenstruktur eine ausgeprägte Vorzugsrichtung aufweist, kann anhand der Kenngröße

Std deren Vorzugsrichtung abgeleitet werden. Die Kenngröße Std wird mit Hilfe der Fourier Transformation

aus dem spektralen Leistungsdichtespektrum einer Oberflächentopographie berechnet. Sie gibt die angu-

lare Position des Maximums des Winkelspektrums an. Das Vorgehen zur Berechnung der Kenngröße ist

nachfolgend exemplarisch anhand einer geschliffenen Oberfläche in Bild 2.6 dargestellt.

6 Anisotrope Oberflächen weisen Str-Werte kleiner 0,5; isotrope Oberflächen Str-Werte größer 0,5 auf.

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Bild 2.6: Schematische Darstellung des Verfahrens zur Berechnung von Std

2.5.3 Hybridkenngrößen

Hybridkenngrößen (Tabelle 2.3) kombinieren laterale Informationen mit vertikalen Informationen der Ober-

flächentopografie.

Die Kenngröße Sdq berechnet sich als quadratisches Mittel aller, auf einer Oberfläche vorhandenen, lokalen

Gradienten. Die Kenngröße wird daher auch RMS-Gradient genannt. Porige Oberflächen weisen zum Bei-

spiel Strukturen mit hohen Flankensteigungen auf. Dies führt zu einem hohen Sdq-Wert. Oberflächenstruk-

turen mit geringen Flankensteigungen weisen dementsprechend geringe Sdq-Werte auf.

Das Verhältnis zwischen der wahren (gemessenen) und der projizierten Oberfläche wird mit der Kenngröße

Sdr ausgedrückt, siehe Bild 2.7. Zur Berechnung der wahren Oberfläche werden alle Flankenflächen der To-

pografie addiert. Bei rauen Oberflächen ist die wahre Oberfläche deutlich größer als die projizierte Oberflä-

che. Bei einer ideal glatten Oberfläche, zum Beispiel bei einer polierten Oberfläche, entspricht die wahre

Oberfläche der projizierten Oberfläche.

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Tabelle 2.3: Hybridkenngrößen nach DIN EN ISO 25178-2

Sdq RMS-Gradient der Oberfläche

Sdr Gestrecktes Aussehensverhältnis der Oberfläche

Bild 2.7 Beziehung zwischen wahrer und projizierter Oberfläche

2.5.4 Funktionskenngrößen

Die meisten 3D-Funktionskenngrößen basieren auf der sogenannten Abbott-Kurve, welche den Materialan-

teil einer Oberfläche über deren Höhe darstellt (Bild 2.8). Diese Kenngrößen sind an die bekannten zweidi-

mensionalen Kenngrößen nach DIN EN ISO 13565 [9] angelehnt, mit dem Unterschied, dass die Materialan-

teilskurve über die gesamte betrachtete Fläche ermittelt wird.

Die Kenngröße Smr (c) gibt den flächenbezogenen Materialanteil über der Schnitthöhe c in % an. Mit der

Kenngröße Smc (mr) kann in der umgekehrten Vorgehensweise die Schnitthöhe bei einem definierten Mate-

rialanteil beschrieben werden.

Analog zu DIN EN ISO 13565 werden die Sk-Funktionskenngrößen aus dem S-förmigen Verlauf der Material-

anteilskurve ermittelt. Diese Form der Materialanteilskurve ist zum Beispiel typisch für geschliffene Ober-

flächen. Andere Oberflächen weisen nicht zwangsläufig einen S-förmigen Verlauf der Materialanteilskurve

auf. In diesen Fällen können funktionsbedingt nicht alle Kenngrößen berechnet werden.

Neben den S-Kenngrößen sind im Bereich der Funktionskenngrößen auch diverse Volumenkenngrößen de-

finiert. Werden die Höhenwerte einer Oberfläche unterhalb einer definierten Schnitttiefe integriert, ergibt

sich das unterhalb der Schnitttiefe liegende Strukturvolumen. In einer kontinuierlich dargestellten Kurve

über die Schnitttiefe aufgetragen ergibt sich somit eine der Materialanteilskurve ähnliche Kurve für das

Strukturvolumen. Die von der Kurve abgeleiteten Kenngrößen können beispielsweise Aufschluss über die

auf einer Oberfläche vorhandenen Öl-Kavitäten geben.

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Bild 2.8 Flächenhafte Materialanteilskurve (Abbott-Kurve) nach [4]

Tabelle 2.4: Funktionskenngrößen nach DIN EN ISO 25178

Smr Flächenhafter Materialanteil

Smr1 Oberer Materialanteil

Smr2 Unterer Materialanteil

Smc Inverser flächenhafter Materialanteil der Oberfläche

Sxp Extreme Spitzenhöhe der Oberfläche

Spk Reduzierte Spitzenhöhe der Oberfläche

Sk Kernhöhe der Oberfläche

Svk Reduzierte Talhöhe der Oberfläche

Spq Durchschnittliche quadratische Rauheit der Spitzen-Region

Svq Durchschnittliche quadratische Rauheit der Tal-Region

Smq Materialanteil am Übergangsbereich zwischen Spitzen- und Tal-Region

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Vm Materialvolumen der Oberfläche

Vmp Materialvolumen der Spitzen der begrenzten Oberfläche

Vmc Materialvolumen des Kerns der begrenzten Oberfläche

Vv Leervolumen der Oberfläche

Vvc Leervolumen des Kerns der begrenzten Oberfläche

Vvv Leervolumen der Täler der begrenzten Oberfläche

2.5.5 Elementkenngrößen

Bei den Elementkenngrößen handelt es sich im Gegensatz zu den bisher vorgestellten Kenngrößen um struk-

turbasierte Kenngrößen. Dies bedeutet, dass Oberflächen, anders als bisher, im Sinne einzelner Strukturele-

mente betrachtet werden. Mit Hilfe sogenannter Segmentierungsalgorithmen wird die Oberflächentopo-

graphie in einzelne Strukturelemente (Hügel oder Täler) zerlegt, welche dann getrennt voneinander auf

bspw. geometrische Merkmale hin untersucht werden. Dieses Vorgehen ermöglicht eine statistische Be-

trachtung über die Strukturzusammensetzung auf einer Oberfläche oder eine Identifikation von „wesentli-

chen“ (bspw. der größten oder der kleinsten o.ä.) Strukturen.

DIN EN ISO 25178-2 legt als Segmentierungsverfahren für die Elementkenngrößen die Wasserscheiden-

transformation in Kombination mit einem Reduktionsverfahren nach Wolf fest. Die Oberflächentopographie

wird zunächst mittels der Wasserscheidentransformation in Flächenelemente unterteilt, vergl. Bild 2.3. Mit

Hilfe des nachgeschalteten Wolf-Verfahrens [10] wird der Grad der Segmentierung gesteuert. Bei geringen

WP-Werten7 (Wolf-Pruning) wird die Oberflächentopographie in viele kleine (unwesentliche) Flächenele-

mente unterteilt. Höhere WP-Werte führen zu größeren Flächenelementen. Je nachdem ob das Verfahren

auf die Oberfläche selbst oder auf die invertierte Oberfläche angewandt wird, werden Hügel oder Täler seg-

mentiert.

7 Der WP-Wert wird prozentual in Abhängigkeit des Sz-Wertes der betrachteten Oberfläche angegeben.

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Bild 2.9 Verschiedene Segmentierungsergebnisse einer hartgedrehten Wellenoberfläche in Abhängig-

keit des Segmentierungsgrades WP [11]

Ausgehend vom Segmentierungsergebnis können verschiedene Kenngrößen berechnet werden:

Die sogenannte Fünf-Punkt-Spitzenhöhe S5p ist beispielsweise die durchschnittliche Höhe der fünf höchsten

Hügel, die Fünf-Punkt-Talhöhe S5v ist dementsprechend die durchschnittliche Höhe der fünf tiefsten Täler.

Die Spitzendichte Spd gibt die flächenbezogene Anzahl an Hügeln an. Die Spitzenkrümmung Spc ist als der

arithmetische Mittelwert der Hauptkrümmungswerte der Hügel definiert. Darüber hinaus kann mit den

Kenngrößen Sha und Sda die mittlere Fläche der Hügel bzw. der Täler in einer definierten Höhe angegeben

werden. Das mittlere Volumen der Hügel bzw. der Täler wird anhand der Kenngrößen Shv und Sdv beschrie-

ben. In Tabelle 2.5 sind die Elementkenngrößen nach DIN EN ISO 25178 nochmals aufgelistet.

Tabelle 2.5: Elementkenngrößen nach DIN EN ISO 25178

S5p Fünf-Punkt-Spitzenhöhe

S5v Fünf-Punkt-Talhöhe

S10z Zehn-Punkt-Höhe

Spd Spitzendichte der Oberfläche

Spc Arithmetischer Mittelwert der Spitzenkrümmung

Sha Geschlossene Fläche eines Hügels

Sda Geschlossene Fläche eines Tals

Shv Geschlossenes Volumen eines Hügels

Sdv Geschlossenes Volumen eines Tals

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2.6 Zeichnungseintragung

Die Zeichnungseintragung von 3D-Kenngrößen erfolgt gemäß DIN EN ISO 25178-1. Zur technischen Produkt-

dokumentation werden die bisher gebräuchlichen graphischen Symbole um einen Rhombus ergänzt, siehe

Bild 2.10.

Bild 2.10 Entfernung der Form

Für eindeutige Angaben einer 3D-Kenngröße ist es nötig neben der Kenngröße und deren Zahlenwert auch

weitere Anforderungen, wie z.B. Skalenbegrenzung, Filtertyp, Herstellungsprozess, Bearbeitungszugaben,

etc. festzulegen. Die Anforderungen sind dabei gemäß den Positionen in Bild 2.11 anzugeben. Die einzelnen

Positionen werden im Folgenden näher beschrieben.

Bild 2.11 Normgerechte Positionierung der Anforderungen

An Position a wird eine einzelne Anforderung an die Oberflächenbeschaffenheit beschrieben. Dazu werden

in folgender Reihenfolge die Art der Spezifikation8, die Art der skalenbegrenzten Oberfläche (S-F- oder S-L-

Oberfläche) und ihre Filtergrenzwellenlängen, die Kenngröße mit ihrem Grenzwert und sonstige Angaben

aufgeführt. Die Abkürzungen zur Darstellung des verwendeten Filtertyps und Grenzwellenlängen sind im

Anhang E der Norm aufgeführt.

8 Hiermit ist gemeint: Obere Grenze, Untere Grenze, oder Bereichsvorgabe

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Die Spezifikationsabschnitte werden mit Schrägstrichen voneinander getrennt. An Position b kann eine

zweite Anforderung an die Oberflächenbeschaffenheit, wie für Punkt a bereits beschrieben, aufgeführt wer-

den. An Position c kann eine Angabe über die Ausrichtung des betrachteten Messfeldes im Bezug zum zu

vermessenden Bauteil erfolgen. Für die Angabe von Herstellungsanforderungen steht Position d zu Verfü-

gung. Zu diesen Angaben zählen die Herstellungs- und Behandlungsverfahren, Beschichtungen oder weitere

Anforderungen an den Herstellungsprozess. An den Position e und f können weitere Angaben zum ge-

wünschten Bearbeitungsverfahren, bspw. die Bearbeitungsrichtung, festgelegt werden, vergl. Bild 2.12.

Bild 2.12: Richtung der Oberflächenrillen

In Bild 2.13 ist eine exemplarische Zeichnungseintragung dargestellt. Das Beispiel zeigt eine Oberfläche ohne

konkrete Angabe eines Herstellungsverfahrens. Die S-L-Oberfläche ist mit einer Filtergrenzwellenlänge des

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S-Filters = 0,008 mm und einer Filtergrenzwellenlänge des L-Filters = 2,5 mm zu filtern. Die mittlere quadra-

tische Höhe der skalenbegrenzten Oberfläche darf einen maximalen Grenzwert von 0,7 µm nicht überschrei-

ten.

Bild 2.13 Beispiele für die Angabe von Anforderungen an die flächenhafte Oberflächenbeschaffenheit

3 Oberflächenmessgeräte

Nachfolgend werden die am Institut zur Verfügung stehenden optischen Oberflächenmessgeräte beschrie-

ben.

3.1 Keyence

Das Keyence VK-9710 ist ein konfokales Laserscanningmikroskop (LSM). Das Messgerat befindet sich zur

Schwingungsdämpfung auf einem luftgelagerten Sockel, vergl. Bild 3.1. Auf einem Objekttisch lassen sich

Proben in x-/y- und z-Richtung positionieren und werden mit einem am Objektivrevolver montierten Objek-

tiv vermessen. Die Oberflächentopographien werden mit einem 408 nm-Laser vermessen und können mit-

tels eines weiteren Strahlengangs mit Weißlicht auch in Echtfarben dargestellt werden.

Bild 3.1: Keyence VK 9710

Zur Erstellung einer 3D-Topographie von Oberflächen wird das Prinzip der Fokusvariation genutzt, vergl. Bild

3.2. Hier wird beim Messvorgang das Objektiv in Richtung der Probenoberfläche bewegt, dabei durchläuft

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die Schärfeebene des Objektivs die Oberfläche des Messbereichs. Von jedem Messpunkt lässt sich ein In-

tensitätsverlauf aufzeichnen, dessen Maximum Aufschluss über die Höhenlage des Punktes gibt. Die Höhen-

daten sämtlicher Messpunkte werden zu einer 3D-Topographie zusammengefasst.

Bild 3.2: Messprinzip Fokusvariation

3.2 Bruker

Beim NPFLEX-LA (Bild 3.3) handelt es sich um ein Weißlichtinterferometer (WLI) des Herstellers Bruker, wel-

ches ebenfalls in der Lage ist Oberflächen dreidimensional zu vermessen. Auf einem luftgelagerten Granitso-

ckel befindet sich ein in x-/y-Richtung steuerbarer Probentisch mit integrierter Rotationseinheit. Das Mess-

gerät lässt sich in z-Richtung auf den richtigen Abstand zur Probe positionieren.

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Bild 3.3: Bruker NPFLEX-LA

Ein Weißlichtinterferometer funktioniert mithilfe von Lichtinterferenzen. Ein Lichtstrahl wird von einem

Strahlteiler in zwei Strahlengänge, den Referenzstrahlengang und den Probenstrahlengang, geteilt. Der Re-

ferenzstrahl wird von einem Referenzspiegel - der Probenstrahl von der Probe - reflektiert und zurück in den

Strahlteiler geleitet (Bild 3.4). Die Strahlengänge werden anschließend im Strahlteiler zusammengeführt und

in den Sensor geleitet. Beim Messvorgang wird das Modul aus Strahlteiler, Referenzstrahlengang und Pro-

benstrahlengang in Richtung Probe bewegt. Dabei ändert sich die Länge des Probenstrahlengangs, folglich

variiert die Intensität des Strahls, welcher in den Sensor geleitet wird aufgrund von Interferenzen. Von je-

dem Messpunkt lässt sich ein Intensitätsverlauf aufzeichnen, welches über das Maximum der einhüllenden

Kurve Aufschluss über die Höheninformation gibt (Bild 3.5).

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Bild 3.4 Funktionsprinzip eines Interferometers Bild 3.5 Intensitätsverlauf

4 Versuchsdurchführung

4.1 Messen von Oberflächenkennwerten

In diesem Praktikum werden zwei gedrehte, eine gehonte und eine einstichgeschliffene Wellenhülse unter-

sucht. Die Vermessung der Oberflächen erfolgt mit den Messgeräten des Institutes. Anhand der Messungen

sollen Unterschiede der verschiedenen Oberflächen aber auch der verschiedenen Messprinzipien veran-

schaulicht und diskutiert werden. Darüber hinaus wird anhand der Auswertung verdeutlicht, welchen Ein-

fluss die Wahl einer Oberflächenkenngröße und das Vorgehen zur Messdatenfilterung auf die Messergeb-

nisse verschieden gefertigter Oberflächen haben.

Im Gegensatz zu der Bestimmung von zweidimensionalen Rauheitskenngrößen ist das Vorgehen zur Filte-

rung von dreidimensionalen Messdaten und damit indirekt der Bestimmung von 3D-Rauheitsparametern

nicht festgelegt. Daher erfolgt die Erfassung der Messdaten zwar automatisiert, die Filtereinstellungen müs-

sen allerdings manuell vorgenommen werden. Neben den Filtereinstellungen sind einige Dinge bei der

Durchführung der Messung zu beachten. Im Folgenden werden diese am Beispiel des Weißlichtinterfero-

meters und der Auswertesoftware MountainsMap erläutert.

1. Oberfläche säubern

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Es muss darauf geachtet werden, dass die Oberfläche frei von Schmutz, Partikeln, Ölen und Fetten ist.

Gegebenenfalls ist sie mit einem Lösungsmittel zu reinigen.

2. Messeinstellungen vornehmen

3. Optional: Stitchen der Messoberfläche

Unter Stitchen wird das Zusammenfügen einzelner Bilder zu einem größeren Bildausschnitt bezeichnet.

Das Stitchen der Messoberfläche erfolgt um einen ausreichend großen Oberflächenausschnitt in den

Messdaten zu erfassen. Die Größe des für eine Messung benötigten Bildausschnitts hängt von den Wel-

lenlängen der Oberflächengestalt ab. Generell gilt: Je größer die Wellenlängen der Oberflächengestalt,

desto größer muss der Bildausschnitt gewählt werden. Für technisch gebräuchliche Oberflächen wird

eine Bildgröße von 1,5 x 1,5 mm empfohlen.

4. Messung durchführen

Nachdem alle Messeinstellungen vorgenommen sind und der Messbereich definiert wurde, wird die

Messung durchgeführt.

5. Auswertung der Messdaten

Die Vorstellung der Auswertung erfolgt exemplarisch an Hand der Messdaten einer Messung.

6. Besprechen der Oberflächenanalyse

Um Unterschiede der verschieden bearbeiteten Wellen mit Hilfe der 3D-Rauheitskenngrößen zu erör-

tern, wird auf bereits ausgewertete Messdaten und Kenngrößen zurückgegriffen. Außerdem werden

unter anderem die nachfolgend aufgeführten Fragen besprochen.

4.2 Auswertung

Welche Unterschiede gibt es bei der Filterung von 2D- und 3D-Oberflächendaten?

Sind taktile und optische Oberflächenmessungen direkt miteinander vergleichbar?

Worin ist der Vorteil der 3D Oberflächenmesstechnik zu sehen?

Was muss bei der Datenaufbereitung beachtet werden?

Welche Möglichkeiten gibt es zur Datenaufbereitung?

Was versteht man unter Spikes?

Welche Nachteile hat die 3D-Oberflächenmesstechnik gegenüber der herkömmlichen taktilen Mess-

technik?

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5 Normen zur 3D-Oberflächenmesstechnik

Tabelle 5.1: Übersicht Normen für die 3D-Rauheitsmessung

Bezeichnung Norm Status

Indication of surface texture DIN EN ISO 25178 - 1 Veröffentlicht

Terms, definitions and surface texture param-eters

DIN EN ISO 25178 – 2 Veröffentlicht

Specification operators DIN EN ISO 25178 – 3 Veröffentlicht

Comparison rules DIN EN ISO 25178 – 4 Geplant

Verification operators DIN EN ISO 25178 – 5 Geplant

Classification of methods for measuring sur-face texture

DIN EN ISO 25178 – 6 Veröffentlicht

Physical measurement standards DIN EN ISO 25178 – 70 Veröffentlicht

Software measurement standards DIN EN ISO 25178 – 71 Veröffentlicht

XML file format x3p DIN EN ISO 25178 – 72 Veröffentlicht

Metrological characteristics for areal-topog-raphy measuring method

DIN EN ISO 25178 – 600 Geplant

Nominal characteristics of contact (stylus) in-struments

DIN EN ISO 25178 – 601 Veröffentlicht

Nominal characteristics of non-contact (con-focal chromatic probe) instruments

DIN EN ISO 25178 – 602 Veröffentlicht

Nominal characteristics of non-contact (phase shifting interferometric microscopy) instru-ments

DIN EN ISO 25178 – 603 Veröffentlicht

Nominal characteristics of non-contact (co-herence scanning interferometry) instruments

DIN EN ISO 25178 – 604 Veröffentlicht

Nominal characteristics of non-contact (point autofocus probe) instruments

DIN EN ISO 25178 – 605 Veröffentlicht

Nominal characteristics of non-contact (focus variation) instruments

DIN EN ISO 25178 – 606 Veröffentlicht

Nominal characteristics of non-contact (con-focal microscopy) instruments

DIN EN ISO 25178 – 607 Geplant

Calibration and verification of metrological characteristics of areal-topography measur-ing instruments

DIN EN ISO 25178 – 700 Geplant

Calibration and measurement standards for contact (stylus) instruments

DIN EN ISO 25178 – 702 Veröffentlicht

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Overview and basic concepts DIN EN ISO 16610 – 1 Veröffentlicht

Linear profile Filters DIN EN ISO 16610 – 20 bis 29 Veröffentlicht

Robust profile filters DIN EN ISO 16610 – 30 bis 32 Veröffentlicht

Morphological profile filters DIN EN ISO 16610 – 40 bis 49 Veröffentlicht

Linear areal filters DIN EN ISO 16610 – 60 bis 61 Veröffentlicht

Robust areal filters DIN EN ISO 16610 – 71 Veröffentlicht

Morphological areal filters DIN EN ISO 16610 – 85 Veröffentlicht

6 Literaturverzeichnis:

[1] Volk, R.: Rauheitsmessung. Theorie und Praxis, 1. Auflage, Berlin, Wien, Zürich: Beuth, 2005, - ISBN

3-410-15918-5.

[2] DIN EN ISO 25178-2: Geometrische Produktspezifikation (GPS) - Oberflächenbeschaffenheit: Flächen-

haft; Teil 2: Begriffe und Oberflächen-Kenngrößen: Beuth, 17.040.30. September 2012.

[3] DIN EN ISO 16610-1: Geometrische Produnktspezifikation (GPS) - Filterung; Teil 1: Überblick und

grundlegende Konzepte: Beuth. November 2015.

[4] DIN EN ISO 25178-2: Geometrische Produktspezifikation (GPS) - Oberflächenbeschaffenheit: Flächen-

haft; Teil 2: Begriffe und Oberflächen-Kenngrößen: Beuth, 17.040.30. September 2012.

[5] Stout, K.: The Development of Methods for the Characterisation of Roughness in Three Dimensions.

European Report EUR 15178N, Luxembourg: Office for Official Publications of the European Commu-

nities, 1993, - ISBN 0704413132.

[6] Blunt, L.; Jiang, X.: Advanced Techniques for Assessment Surface Topography. Development of a Ba-

sis for 3D Surface Texture Standards "Surfstand", London: Kogan Page Science, 2003, - ISBN

1903996112.

[7] DIN EN ISO 4287: Geometrische Produktspezifikation (GPS) - Oberflächenbeschaffenheit: Tastschnitt-

verfahren; Bennenung, Definition und Kenngrößen der Oberflächenbeschaffenheit: Beuth. Juli 2010.

[8] DIN EN ISO 4288: Geometrische Produktspezifikation (GPS) - Oberflächenbeschaffenheit: Tastschnitt-

verfahren; Regeln und Verfahren für die Beurteilung der Oberflächenbeschaffenheit: Beuth. April

1998.

[9] DIN EN ISO 13565-2: Geometrische Produktspezifikation (GPS) - Oberflächenbeschaffenheit: Tast-

schnittverfahren; Oberflächen mit plateuartigen funktionsrelevanten Eigenschaften; Teil 2: Beschrei-

bung der Höhe mittels linearer Darstellung der Materialanteilkurve: Beuth. April 1998.

[10] Wolf, G.: A Fortran Subroutine for Cartographic Generalization. Computers & Geoscience. 1991, 17

(10), S. 1359–1381.

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[11] Baumann, M.: Abdichtung drallbehafteter Dichtungsgegenlaufflächen - Messung, Analyse, Bewer-

tung und Grenzen. Dissertation 2017, Universität Stuttgart.

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Hauptfachpraktikum Dichtungstechnik

FÖRDERVERHALTEN VON RADIAL-WELLENDICHTRINGEN

1 Grundlagen

Radial-Wellendichtringe (RWDR) (Bild 1) werden in großem Umfang zur Abdichtung vor-wiegend druckloser Flüssigkeiten verwendet. RWDR bestehen aus einem Blechgehäuse und einem Elastomerdichtkörper, der über eine Membran mit dem Gehäuse verbunden ist. Die Dichtkante des Dichtrings besitzt auf der Welle eine Berührbreite b von 0,1 bis 0,2 mm. Der stirnseitige Kontaktwinkel α beträgt bei modernen RWDR ca. 45°, der bo-denseitige Kontaktwinkel ß ca. 20° (Bild 2). Durch die Aufweitung des RWDR auf den Nenndurchmesser und eine Spiralfeder wird die Dichtkante radial auf die Welle gepresst. Der Anteil der Spiralfeder an der Radialkraft beträgt bei modernen RWDR ca. 50 %. Bei rotierender Welle ergibt sich infolge einer elasto-hydrodynamischen Schmierfilmbildung eine Spalthöhe von h < 1µm.

Bild 1: Radialwellendichtring nach [1] Bild 2: Dichtspalt nach [1]

Eine Radial-Wellendichtung muss immer als Dichtsystem bestehend aus dem Radial-Wellendichtring, der Wellenoberfläche und dem abzudichtenden Fluid betrachtet werden. Eine zuverlässige Funktion des Systems ist abhängig vom geeigneten Zusammenwirken der Systempartner. Abdichtung:

Bei ruhender Welle gummielastischer Berührdichtring als statische Dichtung.

Bei rotierender Welle wirkt ein aktiver Dichtmechanismus, d.h. der Dichtring fördert Flüssigkeit von der Bodenseite unter der Dichtkante hindurch zur Stirnseite.

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2

1.1 Förderverhalten von Radialwellendichtringen

Schon lange ist beim RWDR die Fähigkeit bekannt, Flüssigkeit (Öl) von der Bodenseite der Dichtkante unter ihr hindurch zur Stirnseite zu fördern (Bild 3). Diese Erscheinung ist drehrichtungsunabhängig und bei fast allen handelsüblichen RWDR festzustellen. Nach Kammüller ist die Größe des Fördervermögens ein wichtiges Kriterium für die dynami-sche Dichtheit des RWDR. Dichtringe mit hoher Förderleistung haben sich in Dauerver-suchen im Vergleich zu den RWDR mit geringer oder sogar nicht vorhandener Förder-wirkung als länger dicht erwiesen. Grenzwerte als Auswahlkriterium für die Eignung der Dichtung wurden jedoch bisher noch nicht ermittelt, da die Förderwirkung von vielen Pa-rametern abhängig ist und somit auch für nachgewiesen dichte RWDR stark differiert. Die Förderwirkung lässt sich bisher durch drei Hypothesen erklären.

Stirnseite Bodenseite

Ein funktionsfähiger Radial-Wellendichtring fördert eine an der Bodenseite der Dichtkante zugeführte Flüssigkeit durch den hydrodynamischen Dichtspalt auf die Stirnseite hinüber.

In umgekehrter Richtung zeigt der RWDR keine Förderwirkung.

Stirnseitige Ölzuführung

Bodenseitige Ölzuführung

Das Öl wird auf die Stirnseitehinüber gefördert.

Es bildet sich ein Schmierfilm.Das Öl bleibt auf der Stirnseite.

Bild 3: Förderverhalten von RWDR nach [2]

1.1.1 Verzerrungshypothese

Axiale Verschleißstrukturen auf der Dichtkante des RWDR werden bei der Rotation der Welle so verzerrt, dass Strukturen ähnlich einer Gewindewellendichtung entstehen. Bei einer asymmetrischen Pressungsverteilung unter der Dichtkante, mit Pressungsmaxi-mum zur Stirnseite hin, ergibt sich eine asymmetrische Verzerrungsstruktur (Bild 4). Diese Verzerrungsstrukturen wirken ähnlich wie zwei gegeneinander gerichtete, unter-schiedlich große Gewindewellendichtungen. Durch die unterschiedliche Größe der ge-geneinander geförderten Flüssigkeitsmengen ergibt sich insgesamt ein gerichteter Flüs-sigkeitsstrom von der Boden- auf die Stirnseite. Durch die entgegengesetzte Förderwir-kung bleibt immer Öl zur Schmierung unter der Dichtkante. Befindet sich auf der Boden-seite kein Öl mehr, so stellt sich unter der Dichtkante ein stationäres Gleichgewicht zwi-schen beiden Förderrichtungen ein und die globale Förderung ist beendet.

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3

bei Stillstand:unverzerrte Struktur

Verlauf derReibungsschub-spannung

bei Rotation:durch Reibungverzerrte welligeRauheitsstruktur

Stirnseite Bodenseite

Bild 4: Verzerrungshypothese nach [2]

1.1.2 Oszillationshypothese

Die Berührspur von RWDR liegt im Allgemeinen nicht in einer Ebene, sie ist vielmehr unregelmäßig gewellt (Bild 5). Die Abweichung von einer Ebene kann ein Mehrfaches der Berührspurbreite betragen. Bei Rotation der Welle wischen die schräg stehenden Teile der Dichtkante mit einem geringen Anteil quer zur Bewegungsrichtung über die Wellen-oberfläche. Bei einer asymmetrischen Pressungsverteilung unter der Dichtkante ergeben sich beim Überfahren des Flüssigkeitsfilmes unterschiedliche Schmierfilmdicken. Der auf der Welle verbleibende Schmierfilm ist bei einem großen Druckgradienten dünner als bei einem kleinen Druckgradienten. Beim stirnseitigen Abwischen bleibt daher ein dünnerer Schmierfilm auf der Welle als beim bodenseitigen Abwischen. Aus der Schmierfilmdi-ckendifferenz ergibt sich, ähnlich einer Stangendichtung, eine gerichtete Flüssigkeitsströ-mung.

Eine Exzentrizität zwischen Welle und RWDR bewirkt eine Verschiebung und damit eine Schrägstellung der Berührspur

Berührspur

Wellenachse

RWDR-Achse

Dadurch entsteht eine breite Laufspur ("Wischfläche")

Ein Punkt der Wellenoberflächeführt relativ zurDichtkante eineaxiale Schwing-bewegung aus

Bild 5: Oszillationshypothese [3]

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1.1.3 Seitenstromhypothese

Durch die Rotation mitgeschleppte Fluidteilchen werden an statistisch verteilten Rau-heitserhebungen auf der Dichtkante abgelenkt (Bild 6). Einzelne Fluidteilchen können dabei den lokalen Pressungsanstieg in Richtung Pressungsmaximum überwinden. Die notwendige Energie hierzu erhält das Fluidteilchen aus dem lokalen Überdruck vor der Rauheitserhebung. Der Überdruck wiederum entsteht durch die, von der Rotation der Welle bedingten, Schleppströmung. Es wird also ein Teil der kinetischen Energie der Flüssigkeit in Druckenergie umgewandelt. Bei unterschiedlichen globalen Druckgradien-ten sind die Potentialunterschiede, die von den Fluidteilchen überwunden werden müs-sen, auf der Seite mit dem kleineren Druckgradienten geringer. Auf dieser Seite werden daher statistisch mehr Fluidteilchen in Richtung Pressungsmaximum abgelenkt als auf der Seite mit dem höheren Druckgradienten. Insgesamt ergibt sich damit eine gerichtete Flüssigkeitsförderung unter der Dichtkante.

DichtlippeStirn-seite Boden-

seite

AbgeplatteteRauheitserhebungen

BewegungderFlüssigkeitinfolgeSchlepp-strömungund Seitenfluss

Druck-Äquator

Welle unverformteRauheitserhebungen

Pre

ssung

Die Strömung überquertden Druckäquator inbeiden Richtungen

Flüssigkeit wird hiergegen den globalen Pressungsgradienten"gepumpt"

globalerPressungs-verlauf

Elastomer-Gleitdichtfläche(Draufsicht)

Infolge der Schleppströmungin Umfangsrichtung entstehen lokal an den Rauheitserhebungenkleine Druckfelder, die insgesamtdie Radialkraft kompensieren.

K

K

p

Bild 6: Seitenstromhypothese nach [4]

1.1.4 Förderwert

Die aktive Fluidförderung durch den RWDR kann in unterschiedlichen Versuchen nach-gewiesen und mit dem sogenannten Förderwert quantifiziert werden. In der Literatur wird der Förderwert auch als Förderrate oder Förderleistung angegeben. Im dynamischen Be-trieb eines RWDR gelangt der Schmierstoff unter die Dichtkante, d.h. es entsteht ein zur Luftseite hin gerichteter Leckagestrom. Gleichzeitig wird der Schmierstoff zurück in den

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Ölraum gefördert. Die Differenz aus dem „Förderstorm“ und dem Leckagestrom ent-spricht dem Förderwert. Bei einem dichten System ist der Förderwert positiv. Ein lecka-gebehaftetes System weist einen negativen Förderwert auf (Bild 7).

Bild 7: Förderwert von RWDR nach [5]

1.2 Förderaktive Strukturen (Drall)

Der aus der "natürlichen" Förderwirkung eines Radial-WeIlendichtrings resultierende dy-namische Dichtmechanismus reicht nicht immer aus, um Leckage erzeugende Spaltströ-mungen völlig zu kompensieren. Beispielsweise können größere Flüssigkeitsmengen auf die Bodenseite gelangen, wenn infolge einer Rundlaufabweichung die Dichtkante perio-disch abhebt. Als „Notbremse“ dienen sogenannte hydrodynamische Dichthilfen. Sie be-stehen heute in der Regel aus erhabenen Strukturen auf der bodenseitigen Kontaktfläche der Dichtkante. Die vielen in der Literatur beschriebenen, zum Teil patentierten hydrody-namischen Dichthilfen, zeigen, dass mit ganz unterschiedlichen Elementen eine Rückför-derung erreicht werden kann. Alle Dichthilfen wirken jedoch grundsätzlich nach demsel-ben Prinzip.

1.2.1 Drallstrukturen am Dichtelement

Bild 8 zeigt Elemente, die sich am Radial-Wellendichtring von der Luftseite kommend bis zur Dichtkante hin erstrecken. Das Bild zeigt prinzipiell die Berührstruktur eines Radial-Wellendichtrings mit Wechsel- und Einfachdrall.

Bild 8: Förderstrukturen an Dichtkanten: links Wechseldrall, rechts Einfachdrall nach [4]

System dicht

Leckage

= −

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Die hydrodynamischen Dichthilfen werden aktiv, sobald Öl unter der Dichtkante hindurch auf die Luftseite vorgedrungen ist. Die Flüssigkeit wird zwischen Dichtkante und Drallsteg in die keilförmigen Räume hineingeschleppt, die sowohl in der Höhe als auch in der Breite immer enger werden. Dadurch steigt der Druck zur engsten Stelle hin immer mehr an und die Dichtkante wird örtlich entlastet. Zugleich wird der bodenseitige Keilspalt mit Druck-flüssigkeit gespeist. Dieser hydrodynamische Staudruck verstärkt die "natürliche" Förder-wirkung, dabei ist der Förderwert eines guten Radial-Wellendichtrings mit Einfachdrall bis zu hundert Mal größer als der eines Rings ohne Dichthilfen. Wegen ihrer dynamischen Abdichtreserve können die mit hydrodynamischen Dichthilfen versehenen Radial-Wellen-dichtringe mit geringerer Radialkraft ausgeführt werden. Wird diese Möglichkeit genutzt, so nehmen Reibung und Verschleiß ab und die mittlere Lebensdauer zu. Es bleibt jedoch zu bedenken, dass nur in einer Drehrichtung abgedichtet werden kann. Werden die Struk-turen in umgekehrter Richtung eingesetzt, fördern sie nach außen und führen zum Ausfall des Systems. In Bild 8 sind links zwei verschiedene Formen von Wechseldrall dargestellt, die in beide Drehrichtungen wirksam sind. Rechts ist der oben beschriebene Einfachdrall zum Ver-gleich gezeigt. Die Wirkungsweise der Strukturen für Wechseldrall ist analog zu denen von Einfachdrall. Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass die Hälfte der Struktu-ren immer nach außen fördert. Dadurch wird der Wirkungsgrad reduziert und die Dichtsi-cherheit sinkt.

1.2.2 Förderaktive Oberflächenstruktur der Welle

Axial gerichtete Strukturen auf der Wellenoberfläche führen ebenso wie Strukturen am Dichtelement zu einer Veränderung des Förderwerts. Die Strukturen auf der Wellenober-fläche bewegen sich in der Größenordnung der Rauheit, weshalb sie nur schwer erkannt werden können. Um sie zu erfassen, werden Messgeräte eingesetzt, die über eine Ge-nauigkeit im mittleren Nanometer-Bereich verfügen. Mittels mathematischer Algorithmen lassen sich Form, Welligkeit, Rauheit und Drall separieren, wodurch eine Analyse der Oberfläche möglich wird. Bild 9 zeigt links eine schematische Darstellung der Drallstrukturen auf der Wellenober-fläche sowie deren Auswirkung auf die Förderwirkung. Rechts im Bild 9 ist eine schema-tische Darstellung eines über den Wellenumfang abgewickelten Oberflächenabschnittes zu sehen. Zusätzlich sind hier Messgrößen eingetragen, die eine Quantifizierung der Drallstrukturen ermöglichen.

Bild 9: Darstellung von Wellendrall und zugehörige Oberflächenstrukturen

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Liegt Drall vor, müssen entsprechende Maßnahmen getroffen werden, um diesen zu ver-meiden. Im Vergleich zu den beabsichtigt eingesetzten Strukturen an der Dichtkante sind diejenigen auf der Welle im Allgemeinen nicht erwünscht, da sie zu Leckage und damit zu einem verfrühten Systemausfall führen. Die wichtigsten Entstehungsgründe für Wel-lendrall sind dabei:

spitzenloses Schleifen

Schleifen mit Vorschub

verkippte Schleifscheibe

Strukturen auf Schleifscheibe

ganzzahliges Drehzahlverhältnis Hinzu kommen noch weitere Einflüsse, deren Wirkmechanismen aktuell noch Gegen-stand der Forschung sind. Um hier ein vertieftes Verständnis zu erlangen, wird auf die Spezialisierungsfachversuche „2D Oberflächenbeurteilung“ und „3D Oberflächenbeurtei-lung“ verwiesen. Es ist jedoch zu erwähnen, dass es keine genormten Grenzwerte oder Empfehlungen gibt, sodass Anwender auf das Wissen von Experten angewiesen sind.

1.3 Förderwertmessung

Es gibt mehrere Methoden, die zur Förderwertmessung eines Dichtsystems eingesetzt werden können. Allgemein basieren die Methoden zur Förderwertmessung auf zwei Prin-zipien. Es kann die Zeit, die zum Fördern einer vorgegebenen Schmierstoffmenge vom Dichtsystem benötigt wird, oder die Schmierstoffmenge, die in einem vorgegebenen Zeit-abschnitt gefördert wird, gemessen werden.

1.3.1 Messung mit benetzter Bodenseite („Öltropfenmethode“)

Bei der Öltropfenmethode wird der Kontaktbereich zwischen RWDR und Dichtungsge-genlauffläche auf der Bodenseite mit einem definierten Ölvolumen V benetzt. Das Öl wird vom RWDR unter der Dichtkante hindurch zur Stirnseite gefördert. Die hierfür benötigte Förderzeit wird gemessen und ein Förderwert bestimmt. Die Fluidförderung kann sowohl gegen einen auf der Stirnseite anstehenden Ölsumpf als auch gegen Luft (leere bzw. keine Ölkammer auf der Stirnseite) erfolgen. Welche Vari-ante gewählt wird, hängt vom Ziel der Untersuchung ab. Die größere Realitätsnähe ist bei der Förderung gegen einen anstehenden Ölsumpf gegeben. Für vergleichende Un-tersuchungen sind Messungen ohne Ölsumpf ausreichend. Dies hat bei der Bestimmung der Förderzeit über das Reibmoment den Vorteil, dass das Schleppmoment des Öls kei-nen störenden Einfluss hat. Zur Erfassung der Förderzeit gibt es ebenfalls unterschiedliche Möglichkeiten. Wie vo-rangehend bereits erwähnt, kann die Förderzeit durch Messung des Reibmoments be-stimmt werden, Bild 10: Bei Benetzung der Bodenseite durch Zugabe des Öltropfens, ist mit dem Beginn der Fluidförderung ein Reibmomentsprung zu beobachten. Das Reibmo-ment kann in Abhängigkeit der Viskosität des Öls entweder abnehmen oder ansteigen. In beiden Fällen ist jedoch eine deutliche Änderung des Reibungszustandes zu beobach-ten. Dieser Zustand hält inne bis der Fördervorgang zu Ende ist. Dann kehrt das Reib-moment wieder annähernd auf seinen ursprünglichen Wert zurück. Der Zeitpunkt der Öl-zugabe und das Ende der Förderung sind im Reibmomentverlauf erkennbar. Damit kann die Förderzeit ∆t bestimmt werden.

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Bild 10: Öltropfenmethode: Erfassung der Förderzeit durch Reibmomentmessung [4]

Die Reibmomentmessung setzt jedoch eine drehbare und möglichst reibungsarme Lage-rung der Dichtringaufnahme voraus. Üblicherweise wird eine aerostatische Lagerung ver-wendet. Ist dies jedoch nicht möglich, kann die Förderzeit alternativ auch visuell bestimmt werden. Dabei wird der Dichtspalt auf der Bodenseite beobachtet. Nach Zugabe des Öltropfens ist für die Förderdauer ein Fluidring im Dichtspalt zu erkennen, der nach Ab-schluss der Förderung verschwindet. Zur genaueren Auswertung der Förderdauer zwi-schen Ölzugabe und Verschwinden des Fluidrings kann eine Kamera eingesetzt werden. Der Öltropfen kann zur besseren Sichtbarkeit des Fluidrings zudem mit einer fluoreszie-renden Substanz versetzt werden. Die Förderdauer kann ebenfalls mithilfe einer Infrarot-kamera bestimmt werden. Dabei wird die durch die Fluidförderung hervorgerufene Tem-peraturänderung am Dichtspalt beobachtet. Die Schwierigkeit der Öltropfenmethode liegt in der Zufuhr der kleinen Ölmenge (20 bis 50 µl). Es besteht die Gefahr, dass das Öl nicht vollständig in die Kontaktzone gelangt und auf der Dichtungsgegenlauffläche oder an der Membrane des RWDR verbleibt. Dies hat zur Folge, dass zu hohe Förderwerte gemessen werden.

1.3.2 Messung mit überfluteter Bodenseite und invers eingebautem RWDR („Ka-

wahara-Methode“)

Bei dieser Methode werden der RWDR entgegen seiner eigentlichen Einbaurichtung montiert und die Versuchskammer mit Öl gefüllt. Durch den inversen Einbau ist die Bo-denseite nun dem Öl zugewandt und die Stirnsite befindet sich auf der Luftseite (Bild 11). Dem Dichtring wird dabei auf der Bodenseite dauerhaft Öl angeboten. Es kommt zur kon-tinuierlichen Schmierstoffförderung. Das aus der Kammer geförderte Öl kann über einen definierten Zeitraum in einem Becherglas aufgefangen und gewogen werden. Dann kann anhand der Masse des aufgefangenen Öls ein Förderwert mit einer guten Reproduzier-barkeit bestimmt werden.

1

2

Ölzugabe (1)

Zeit

Dt

Reib

mo

ment

Förderung (2)

Ende der

Förderung (3)

3

Bild 11: Kontinuierliche Förderung durch inversen Einbau des Dichtrings [6]

Stirnseite Bodenseite

Ölsumpf

kontinuierliche

Förderung

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Die Bedingungen bzgl. der Förderwirkung weichen von der realen Anwendung ab, bei der ein statischer Öldruck der Förderwirkung entgegenwirkt. Bei invers eingebautem RWDR wirkt der statische Öldruck in Richtung der Förderwirkung, der RWDR fördert ge-gen Luft. Weiterhin unterscheidet sich der Schmierungszustand beim inversen Einbau deutlich vom Schmierungszustand in realen Anwendungen. Durch die anhaltende Förderung herrschen im Dichtsystem perfekte Schmierungsbedingungen. Dadurch eignet sich der Versuchsaufbau nur zur Förderwertmessung, der Verschleiß des Systems kann nicht be-urteilt werden. Die mit unterschiedlichen Methoden gemessenen Förderwerte weichen grundsätzlich voneinander ab und sind mit denen realer Systeme nur qualitativ vergleichbar. Systeme, bei denen mit der Öltropfenmethode hohe Förderwerte gemessen werden, zeigen auch bei der Messung mit inversem Einbau hohe Förderwerte. Es gibt noch weitere Methoden zur Förderwertmessung (z. B. Messung mit bespritzter Bodenseite, Zweikammermethode, Messmethode nach Raab für drallbehaftete Wellen-oberflächen, usw.), die an dieser Stelle aber nicht weiter beschrieben werden.

1.3.3 Angabe des Förderwertes

Der Förderwert kann abhängig von der Anwendung und Messmethode in unterschiedli-cher Form und Einheit angegeben werden. Bei unterschiedlichen Förderwertbestim-mungsmethoden und -angabemethoden ist nur ein qualitativer Vergleich möglich. Für die oben beschriebenen Förderwertmessmethoden kann ein umdrehungsbezogener Förderwert 𝜑 [µI/U] aus dem Verhältnis des geförderten Ölvolumens 𝑉 und der dazu be-nötigten Anzahl von Wellenumdrehungen 𝑈 gebildet werden.

Zum Vergleich von Dichtsystemen mit unterschiedlichen Wellendurchmessern wird ein normierter Förderwert benötigt. Hierfür wird der wegbezogene Förderwert 𝐹𝑊 [µI/m] be-rechnet. Dieser gibt das Verhältnis zwischen dem geförderten Schmierstoffvolumen in [µl] und dem zurückgelegten Weg der Welle in [m] an.

𝜑 =𝑉

𝑈= 𝑉 ∙

60

𝑛 ∙ 𝑡 Gleichung 1

𝜑 umdrehungsbezogener Förderwert [µI/U] 𝑉 gefördertes Volumen [µl] 𝑈 Wellenumdrehungen [-] 𝑛 Drehzahl [min-1]

𝑡 Förderzeit [s]

𝐹𝑊 =𝜑

𝜋 ∙ 𝑑= 𝑉 ∙

60

𝑛 ∙ 𝑡 ∙ 𝜋 ∙ 𝑑 Gleichung 2

𝐹𝑊 wegbezogener Förderwert [µI/m] 𝜑 umdrehungsbezogener Förderwert [µI/U] 𝑑 Wellendurchmesser [m] 𝑉 gefördertes Volumen [µl]

𝑛 Drehzahl [min-1] 𝑡 Förderzeit [s]

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1.4 Visuelle Schadensanalyse

Zur Dichtkantenanalyse wird die Dichtkante zunächst visuell untersucht. Hierzu wird am IMA das digitale Auflichtmikroskop VHX-1000D der Firma Keyence eingesetzt. Es be-steht aus einer Recheneinheit mit eingebautem Bildschirm, einer Steuereinheit, einem Objekttisch und einer Kamera mit daran angebrachtem Objektiv. Die wichtigsten Kompo-nenten des Digitalmikroskops sind in Bild 12 zu sehen. Mit diesem Digitalmikroskop sind Bilder mit hoher Tiefenschärfe möglich. Durch Verfahren der Kamera in der z-Achse kön-nen tiefenscharfe Bilder und 3D-Bilder erzeugt werden.

Bild 12: Aufbau des Digitalmikroskop Keyence VHX-1000D nach [7]

Je nach Wahl des Objektivs sind verschiedene Vergrößerungen möglich. Das Standard-objektiv ermöglicht die Vergrößerungen 20-, 30-, 50-, 100-, 150- und 200-fach. Bilder von Dichtringen im ungereinigten Zustand werden mit 50-facher Vergrößerung aufgenom-men. Die geringe Vergrößerung bietet einen guten Überblick über den Bereich der ge-samten Dichtlippe. Hier steht die Begutachtung der Verschmutzung im Vordergrund. Be-wertet wird hier, wieviel Abrieb sich im Bereich der Dichtkante befindet, ob sich Ölkohle gebildet hat und ob sich auf der Luftseite Öl befindet. Luftseitiges Öl ist ein Hinweis auf Leckage im Betrieb. Das Bild eines Dichtrings mit starkem Abrieb sowie das Bild eines Dichtrings aus einem Dichtsystem mit Leckage sind in Bild 13 zu sehen.

Bild 13: Dichtkanten, nicht gereinigt: starker Abrieb (links), Leckage (rechts)

Dichtringe mit Dichtkantenverschleiß im normalen Bereich (Breite < 1 mm) werden an-schließend mit Reinigungsbenzin oder Aceton gereinigt und mit 200-facher Vergrößerung aufgenommen. Wichtig ist es, auf die chemische Verträglichkeit der Elastomerwerkstoffe mit dem Lösungsmittel zu achten.

Kamera

Objektiv

Objekttisch

Recheneinheit

Steuereinheit

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Bei der visuellen Analyse im gereinigten Zustand (200-fach) wird die Verschleißbreite ermittelt. Hierzu werden mit einer speziellen Auswertungssoftware die mittels Digitalmik-roskop erstellten Bilder vermessen. Das Originalbild einer unbeschädigten, funktionsfä-higen Dichtkante und das vermessene Bild dieser Dichtkante sind in Bild 14 abgebildet.

Bild 14: Dichtkante, gereinigt: mit (links) und ohne (rechts) Verschleißbreiten-

angabe

Zum Vergleich sind in Bild 15 eine Dichtkante im Neuzustand (links) und eine Dichtkante nach einer Laufzeit von 240 h (rechts) dargestellt. Die Darstellung als 3D-Bild ist gewählt, weil Dichtkanten im Neuzustand mit sehr geringer Berührbreite im 2D-Bild nur sehr schlecht zu erkennen sind.

Bild 15: Dichtkanten, gereinigt, 3D: Neuzustand (links), nach 240 h Laufzeit

(rechts)

Zusätzlich zur Verschleißbreite wird der Zustand der Dichtkante untersucht. Hier wird zwischen drei verschiedenen Schädigungsmechanismen unterschieden:

Mechanische Schädigung

Thermische Schädigung

Chemische Schädigung

In Bild 16 sind ein chemisch geschädigter Dichtring (links) und ein thermisch geschädigter Dichtring (rechts) abgebildet.

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Bild 16: Dichtkanten, nach Versuch, gereinigt: Blasenbildung (links), Verhär-

tung (rechts)

1.5 Radialkraft

Die Radialkraft, die integrale Größe der Dichtflächenpressung am Umfang, bestimmt die Anpressung des Dichtrings auf die Welle. Die spezifische, auf den Umfang bezogene, Radialkraft beträgt bei modernen RWDR 0,1 ... 0,15 N/mm.

1.6 Spezifische Reibleistung

Die spezifische Reibleistung 𝑃/𝐴 ist die auf die Berührfläche des Dichtrings bezogene Reibleistung. Die Reibleistung 𝑃 lässt sich aus dem gemessenen Reibmoment 𝑀 und der im Versuch gefahrenen Drehzahlen bestimmen.

Die Berührfläche 𝐴 lässt sich durch die Laufspurbreite 𝑏 und den Nenndurchmesser 𝑑 des Dichtrings bestimmen.

2 Versuchsdurchführung

Bei zwei verschiedenen RWDR werden Radialkraft, Berührbreite, Reibmoment und För-derwert gemessen sowie die spezifische Reibleistung ermittelt. Hierbei werden Reibmo-ment und Förderwert bei vier verschiedenen Drehzahlen gemessen. Es wird jeweils ein Schmierstoff gleicher Viskosität eingesetzt.

𝑃 = 𝑀 ∙ 𝜔 = 𝑀 ∙ (2 ∙ 𝜋 ∙𝑛

60) Gleichung 3

𝑃 Reibleistung [W] 𝑀 Reibmoment [Nm]

𝜔 Winkelgeschwindigkeit [s-1] 𝑛 Drehzahl [min-1]

𝐴 = 𝑏 ∙ 𝜋 ∙ 𝑑 Gleichung 4

𝐴 Berührfläche [m2]

𝑏 Laufspurbreite [m] 𝑑 Durchmesser [m]

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2.1 Radialkraftmessung

Das Radialkraftmessgerät (Radiameter) ermittelt die Kraft, die der RWDR auf zwei Mess-backen ausübt und rechnet sie sofort in die gesamte Radialkraft am Umfang um. Pro Versuchsdichtung werden vier Messungen durchgeführt. Der Dichtring wird dabei immer von den Messbacken abgezogen und um 90° verdreht wieder aufgesteckt.

2.2 Messung der Berührbreite

Der RWDR wird auf eine Plexiglaswelle geschoben und die Breite unter dem Messmik-roskop bestimmt.

2.3 Reibmomentmessung

Der RWDR wird am Prüfstand in eine luftgelagerte Dichtringaufnahme eingebaut. Die Aufnahme stützt sich bei Mitnahme durch die Wellendrehung und die Reibung des RWDR auf einem Biegebalkenkraftaufnehmer ab. Das Signal des Kraftaufnehmers wird mit dem PC aufgezeichnet.

2.4 Förderwertmessung

Angewendet wird die Öltropfenmethode. Bei rotierender Welle wird mit einer Mikroliter-spritze eine definierte Ölmenge an der Bodenseite des RWDRs zugegeben. Der Beginn und das Ende der Förderung sind anhand der Reibmomentsprünge zu bestimmen. Zu berechnen sind der umdrehungsbezogene [µI/U] und der wegbezogene [µl/m] Förder-wert.

2.5 Berechnung der spezifischen Reibleistung

Die spezifische Reibleistung lässt sich mit den gemessenen Größen und den Gleichun-gen (3) und (4) berechnen.

3 Ausarbeitung

Die gemessenen und berechneten Werte werden in das beigefügte Prüfprotokoll einge-tragen. Berechnen Sie die spezifische Reibleistung in den zwei Versuchen für die unter-schiedlichen Drehzahlen und tragen Sie sie im Prüfprotokoll ein. Tragen Sie in einem Diagramm den wegbezogenen Förderwert [µl/m] über der Drehzahl für die zwei Versuche auf. Interpretieren Sie die Messergebnisse stichpunktartig (ca. ¼ Seite).

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4 Quellen

[1] OTT, G.: Untersuchungen zum dynamischen Leckage- und Reibverhalten von

Radialwellendichtringen. Universität Stuttgart. Dissertation. 1983.

[2] KAMMÜLLER, M.: Zum Abdichtverhalten von Radialwellendichtringen. Universi-tät Stuttgart. Dissertation. 1986.

[3] MÜLLER, H. K.; HAAS, W.: Dichtungstechnik. 8. Auflage: Vorlesungsumdruck,

Institut für Maschinenelemente, Universität Stuttgart, 2012. [4] Buhl, S.: Wechselbeziehungen im Dichtsystem von Radial-Wellendichtring, Ge-

genlauffläche und Fluid. Universität Stuttgart. Dissertation. 2006.

[5] KUNSTFELD, T.: Einfluss der Wellenoberfläche auf das Dichtverhalten von Radial-Wellendichtungen. Universität Stuttgart, Dissertation. 2005.

[6] REMPPIS, M.: Untersuchungen zum Förderverhalten von Dichtsystemen mit Ra-dial-Wellendichtringen aus Elastomer, Universität Stuttgart. Dissertation 2016.

[7] FIRMA KEYENCE: Digital-Mikroskop VHX-1000. Produktkatalog. 2010.

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Prüfprotokoll Hauptfachpraktikum RWDR

Öl: FVA 3, 𝑉 = 50 µl 𝑑 = 80 mm Datum:

RWDR 1: Material: NBR Prüfstand:

RWDR 2: Material: FKM Prüfstand:

RWDR 1 RWDR 2

Berührbreite 𝑏: 0,15 mm

Radialkraft [N]

ohne Feder 28 21

mit Feder 40 30

Bestimmung des Förderwerts

Vers

uch 1

: R

WD

R 1

Drehzahl [min-1] Ölmenge [µl] mittlere Förder-

zeit [s] Förderwert

[µl/s] Förderwert

[µl/U] Wellenumfang

[m] Förderwert

[µl/m]

Vers

uch 1

: R

WD

R 1

Drehzahl [min-1] Reibmoment nach Förder- ende [Nm]

Berührfläche Spezifische Reibleistung [W/cm2]

Vers

uch 2

: R

WD

R 2

Drehzahl [min-1] Ölmenge [µl] Mittlere Förder-

zeit [s] Förderwert

[µl/s] Förderwert

[µl/U] Wellenumfang

[m] Förderwert

[µl/m]

Vers

uch 2

: R

WD

R 2

Drehzahl [min-1] Reibmoment nach Förder- ende [Nm]

Berührfläche Spezifische Reibleistung [W/cm2]

Arbeit: Nm J Ws

Leistung: J

Ws