Spiegel: Runder Tisch statt High Noon

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  • 8/8/2019 Spiegel: Runder Tisch statt High Noon

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    Der Ausbau des Frankfurter Flug-hafens um eine zustzliche Lande-bahn ist ein wahrlich groes Pro-

    jekt. Mit mehr als vier Milliarden EuroGesamtkosten spielt es in einer Liga mitder umstrittenen Bahn-Investition Stutt-gart 21. Die Auswirkungen auf Umweltund Anwohner drften am Main aberdeutlich mchtiger sein. Dort geht es nichtum knapp 300 Bume, sondern um Hun-derttausende, um einen ehemals geschtz-ten, 300 Fuballfelder groen Bann-wald, der die Anwohner vor Lrm undSchmutz abschirmte; es geht fr vieleMenschen im Ballungsgebiet um Frank-furt, Mainz, Wiesbaden und Offenbachum den Wertverlust ihres Eigenheims unddie Frage, ob man sein Fenster noch ohneTinnitus-Risiko wird ffnen knnen.

    Und doch: Whrend in Stuttgart jedeWoche Zehntausende wtende Brger

    protestieren, blieb es in Frankfurt bishernahezu ruhig. Vor Baubeginn im Mai2009 wurden ein paar Robin-Wood-Akti-visten auf dem Baugelnde von den Bu-men geholt, ansonsten gab es allenfallsversprengte, friedliche Aktionen kleine-rer Brgerinitiativen aus dem Umland.

    Die einleuchtendste Erklrung fr denunterschiedlichen Erregungszustand derMenschen an Main und Neckar lsst der-zeit verantwortliche Politiker bis hin zurKanzlerin interessiert aufhorchen: Me-diation heit das Verfahren, das dieFrankfurter vor Beginn der konkreten Pro-jektplanung ansetzten und das inzwischen

    viele Nachahmer findet. Es ist eine spe-zielle Form der Brgerbetei-ligung, bei der Investoren,Anwohner und andere Be-teiligte sich mglichst frhund auerhalb der strengformalisierten behrdlichenPlanungsverfahren unterLeitung eines Vermittlerszusammensetzen; bei dersie ihre Wnsche und Be-denken auf den Tisch legenund gemeinsam nach einerLsung suchen. Es ist quasieine Variation des RundenTischs, der ab 1989 die Ab-wicklung der ehemaligenDDR betrieb.

    Das Nichtrauchergesetz in Bayern, dieSchulreform in Hamburg oder jetzt derStreit um den Stuttgarter Bahnhof: berallbegehrte das Volk jngst derart auf, dassmanche Politiker schon das Ende jedwederGroprojekte befrchten. Der Flughafen-ausbau in Frankfurt gilt unter Profi-Me-diatoren hingegen als Paradebeispiel da-

    fr, wie Vermittlungsgesprche Konflikteentschrfen knnen. Dabeiwar das Verfahren Ende derneunziger Jahre aus der Notgeboren. Der damalige hes-sische Regierungschef HansEichel sympathisierte mitder Idee einer vierten Lan-debahn, wollte brgerkriegs-hnliche Zustnde wie beimBau der dritten Piste in denAchtzigern aber unbedingtvermeiden. Damals hattendie Auseinandersetzungenum die Startbahn West zweiTodesopfer gefordert.

    Eine Mediationsgruppe be-stehend aus Vertretern von

    Anliegerkommunen, Wirt-schaft und der Flughafen-gesellschaft einigte sich An-fang 2000 auf einen Kompro-miss: Die vierte Piste darfgebaut werden, wenn die An-wohner dafr ein absolutes

    Nachtflugverbot bekommen.Das Modell galt bisher als

    so erfolgreich, dass es inzwi-schen an etlichen Konflikt-punkten Deutschlands ko-piert wird: Der rheinland-pflzische

    Ministerprsident KurtBeck kndigte im Augustein Mediationsverfahrenbeim Streit um die Erd-wrmenutzung in derSdpfalz an. Dort frch-ten Brger, dass zustz-liche Geothermie-Kraft-werke weitere Erdsteauslsen knnten.

    NRW-WirtschaftsministerHarry Voigtsberger willmit Hilfe von Mediatorendie Fronten um eine Koh-lenmonoxid-Pipeline desBayer-Konzerns von Kre-feld nach Dormagen auf-weichen. Anwohner se-hen in der Leitung fr dasgiftige, geruchlose Gasein unzumutbares Risiko.

    Sogar Bundeskanzlerin

    Angela Merkel ist von derHeilkraft der Mediatorenberzeugt und empfahlden Schleswig-Holstei-nern krzlich dieses Ver-fahren fr die geplanteQuerung des Fehmarn-

    belts in der Ostsee und ihre Anbindung.Anlieger-Kommunen frchten denLrm entlang der Verkehrswege.Der hessische SPD-Vorsitzende Thors-

    ten Schfer-Gmbel fordert bereits, Me-diationsverfahren sollten bei Groprojek-ten als festes Instrument im Planungs-recht verankert werden. Die bisherigen

    Mglichkeiten zur Einflussnahme seienunzureichend. Schfer-Gmbel hlteine Brgerbeteiligung und vollstndigeTransparenz fr das Gebot der Stunde.

    Die Mediation sollte jedoch starten, be-vor Fakten geschaffen werden. Wenn einPlanungsverfahren abgeschlossen ist,geht der Handlungsspielraum fr Schlich-ter, wie jetzt fr Heiner Geiler in Stutt-gart, gegen null schon allein, weil be-reits geschlossene Vertrge oft nur gegenhohe Entschdigungen rckgngig ge-macht werden knnen. Wir sollten esgar nicht erst zu High-Noon-Situationen la Stuttgart 21 kommen lassen, emp-fiehlt NRW-Minister Voigtsberger.

    So hat etwa die Stadtverwaltung inMannheim die umstrittene Trassenfh-

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    BORISROESSLER/PICTUREALLIANCE/DPA

    STADTMANNHE

    IM

    Flughafenausbau in Frankfurt, Mediation in Mannheim

    Vollstndige Transparenz als Gebot der Stunde

    CHRISJABLINSKI/ACTION

    PRESS

    Schlichter Geiler

    Spielraum gegen null

    M E D I A T I O N

    Runder Tisch

    statt High NoonWenn Brger frh an der Planungbeteiligt werden, lassen sich

    Konflikte um Projekte wie Stutt-gart 21 entschrfen. Doch nichtimmer halten die Kompromisse.

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    rung einer neuen Straenbahnlinie ineinem Mediationsverfahren mit Anwoh-nern vor Beginn des formellen Planfest-stellungsverfahrens krftig korrigiertund damit zumindest ein Aussetzen derProteste erreicht. Mit berzeugendenBeteiligungsformen, ist sich der Mann-

    heimer Oberbrgermeister Peter Kurzsicher, knne man auch der akuten Ak-zeptanzkrise der deutschen Politik be-gegnen.

    Der professionelle Mediator Hans-PeterMeister, dessen Bensheimer Ifok-Institutdie Beteiligungsverfahren in Mannheimund Frankfurt organisiert hat, hlt sogarhochkomplexe Strukturentscheidungen

    Deutschland

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    Stuttgarts Polizeiprsident wusste,dass der Ruf der Landespolizeiauf dem Spiel stand. Seit Wo-

    chen diskutierte die Republik ber dieProteste zum Bahn-Projekt Stuttgart21. Und nun, am 30. September, standder grte Einsatz unmittelbar bevor.

    Siegfried Stumpf, 60, hatte dahertags zuvor neben der Einsatzbespre-

    chung im Polizeiprsidium einen wei-teren wichtigen Termin: Er prsentier-te seine Strategie direkt in der VillaReitzenstein, dem Stuttgarter Regie-rungssitz. Mit am Tisch, Punkt 16 Uhr:Landespolizeichef Wolf Hammann,Verkehrsministerin Tanja Gnner so-wie der Ministerprsident hchstper-snlich, Stefan Mappus (CDU). Einegute Stunde tagte die Runde.

    Was genau bei diesem Gesprchvereinbart wurde, soll nun ein parla-mentarischer Untersuchungsausschusserhellen. Er muss klren, ob die Lan-desregierung und Mappus Einfluss aufden Polizeieinsatz nahmen. Ob das

    Handeln der Polizei wirklich verhlt-nismig war, wie bislang beteuert.

    Klar ist: Nach Wochen friedlicherDemonstrationen gegen Stuttgart 21eskalierte am 30. September der Kon-flikt pltzlich. Schwarzer Donners-tag wird der Tag nun im Sdwestengenannt. Sechs Beamte und rund 130Protestler wurden verletzt. Selbst

    Polizisten, die im Schlossgarten dabeiwaren, fhlen sich von der Politikmissbraucht. Der Einsatz ist vlligaus dem Ruder gelaufen, sagt etwaThomas Mohr von der Gewerkschaftder Polizei. Er habe an diesem Tageinen absoluten Strategiewechselerlebt, und der Beamte glaubt: DiePolitik wollte das so.

    Schon Anfang November soll derAusschuss seine Arbeit aufnehmen.Mitten im Wahlkampf drohen Minis-terprsident Mappus dann unangeneh-me Fragen. Es gibt eine Reihe vonHinweisen, dass von Seiten der PolitikDruck auf die Polizeifhrung ausge-

    bt wurde, behauptet Hans-UlrichSckerl von den Landtags-Grnen.

    Mappus wollte in die Offensive, riefden Protestlern zu, er werde den Feh-dehandschuh aufnehmen jetzt ister in Bedrngnis. Bereits am 20. Sep-tember absolvierte er eine Art Trup-penbesuch im Polizeiprsidium aufdem Pragsattel. Er versprach den Be-amten, sich in der Zukunft auch umKrperschutzausstattungen und Hel-me zu kmmern.

    Solche Visiten bei den Ordnungs-htern sind eigentlich Privileg des zu-

    stndigen Innenministers. Doch Heri-bert Rech fehlte bei dem Fototermin.Zufall? Oder Indiz einer Absetzbewe-gung in Zeiten, in denen die Polizeieine Politik flankieren soll, die vonvielen Brgern abgelehnt wird?

    Auch bei der Einsatzbesprechungin der Villa Reitzenstein am Tag vordem unglcklichen Groeinsatz fehlteRech. Das Treffen war bereits Themain einer Sondersitzung des Innenaus-schusses. Entlastendes konnte dieoberste Polizeibehrde nicht vorbrin-gen. Im Protokoll ist hierzu nur ver-merkt: Minister Heribert Rech er-

    klrt, er sei nicht dabei gewesen.Die Landesregierung bezeichnet

    die Besprechung als reines Informa-tionsgesprch. Den Vorwurf der Ein-mischung nennt Mappus absurd.Aus Polizeikreisen heit es jedoch, eshabe mindestens ein weiteres Strate-giegesprch zwischen Polizei- und Re-gierungsspitze gegeben.

    Polizeichef Stumpf nimmt derweilsmtliche Last auf sich: Ich trage diealleinige Verantwortung fr den Ein-satz. Dabei hatte er noch im Juni er-klrt, was er persnlich von dem Ein-satz von Wasserwerfern und Pfeffer-spray hlt: Gar nichts! S K

    MICHAELDALDER/REUTERS

    Polizisten im Stuttgarter Schlossgarten

    Vllig aus dem Ruder gelaufen

    wie die Gesundheitsreform fr grundstz-lich mediationsgeeignet. Wichtig sei, dassdie Entscheidungsprozesse fr die Be-troffenen transparent ablaufen und nichtin irgendwelchen Hinterzimmer-Kommis-sionen oder Behrdenstuben festgeklopftwerden.

    Ein Problem allerdings sieht Meister:Anders als in den USA, wo die Kompro-misse aus Mediationsverfahren von Be-hrden und Gerichten als weitgehend bin-dend anerkannt wrden, fehle es hier anausreichenden Traditionen und Regelun-gen. Das zeige ausgerechnet die Media-tion am Frankfurter Flughafen. Denn dieunter Eichels Regentschaft ausgehandelte

    Kompromissvereinbarung wurde vonNachfolger Roland Koch nach jahrelan-gen Beteuerungen am Ende gebrochen:Kurz vor Baubeginn genehmigte dieKoch-Regierung 17 Flge pro Nacht.

    Zwar hat der hessische Verwaltungs-gerichtshof diese Genehmigung in erster

    Instanz wieder gekippt. Doch damit willsich die inzwischen von Kochs NachfolgerVolker Bouffier gefhrte Landesregierungnicht abfinden: Sie ist vor das Bundesver-waltungsgericht gezogen, das nun das Ge-genteil dessen durchsetzen soll, was dasLand einst als vorbildliches Mediations-ergebnis gefeiert hat.

    M B, A B

    Schwarzer DonnerstagWar der harte Polizeieinsatz gegen Protestler politisch gewollt?