Spiegel: Ulrich Beck - Empört euch Europäer

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  • 8/4/2019 Spiegel: Ulrich Beck - Emprt euch Europer

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    Die deutsche Europapolitik steht vor einer Wende, dieso bedeutsam ist wie die der deutschen Ostpolitik An-fang der siebziger Jahre. Die Losung von damals, Wan-del durch Annherung, knnte heute lauten: Mehr Gerech-tigkeit durch mehr Europa.

    Es geht, beide Male, um die berwindung einer Spaltung,zwischen Ost und West damals, zwischen Nord und Sd heute.Europa ist eine Schicksalsgemein-schaft, so wird es von den Politikernunermdlich beschworen. Das warsie schon bei der Grndung. DieEuropische Union ist die Idee, dienach dem Zweiten Weltkrieg ausder physischen und moralischenVerwstung kam. Die Ostpolitikwar die Idee, den Kalten Krieg zuentschrfen und den Eisernen Vor-hang zu durchlchern.

    Anders als frhere Staaten undImperien, die ihren Ursprung inMythen und heldenhaften Siegenfeierten, ist die Europische Union

    eine transnationale Regierungsin-stitution, die aus der Agonie derNiederlage und aus dem Erschre-cken ber den Holocaust geborenwurde. Aber was meint heute, woes nicht mehr um Krieg und Friedengeht, die europische Schicksalsge-meinschaft als neue Generations-erfahrung? Es ist die existentielle Be-drohung durch die Finanz- undEuro-Krise, die den Europern wie-der bewusst macht, dass sie nicht inDeutschland oder Frankreich, son-dern in Europa leben. Die JugendEuropas erfhrt zum ersten Mal ihr

    europisches Schicksal: Besser ausgebildet denn je, trifft siemit ihren Erwartungen auf den durch drohenden Staatsbankrottund Wirtschaftskrise ausgelsten Niedergang der Arbeitsmrk-te. Jeder fnfte Europer unter 25 Jahren ist arbeitslos.

    Dort, wo das akademische Prekariat seine Zeltlager errichtethat und seine Stimme erhebt, geht es in allen Jugendprotestenum die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit und die wirdin Spanien, Portugal, aber auch in Tunesien, gypten undIsrael (anders als in Grobritannien) gewaltlos und doch macht-voll vorgebracht. Europa und seine Jugend eint die Wut bereine Politik, die mit Geldsummen, die alle Vorstellungskraftbersteigen, Banken rettet, dabei aber die Zukunft der Jugendverspielt. Wenn die Hoffnung der europischen Jugend derEuro-Krise zum Opfer fllt, welche Zukunft bleibt dann fr

    ein Europa, das immer lter wird?Fast tglich liefern die Nachrichtensendungen neues An-schauungsmaterial fr den Eintritt in eine neue ra riskanterUnordnung die Weltrisikogesellschaft. Seit geraumer Zeit

    sind die Schlagzeilen austauschbar: Unsicherheit ber die Zu-kunft der Weltwirtschaft, EU-Rettungsschirm in Gefahr, Merkelreist zu Krisentreffen mit Sarkozy, Rating-Agentur erlutertHerabstufung der USA. Signalisiert die globale Finanzkriseden Verfall des alten Zentrums? Ausgerechnet das autoritreChina spielt den Finanzmoralapostel und liest dem demokrati-schen Amerika, aber auch der EU, die Leviten.

    In jedem Fall hat die Finanzkriseeines bewirkt: Alle (auch die Exper-ten und Politiker) sind in eine Weltkatapultiert worden, die niemandmehr versteht. Was die politischenReaktionen betrifft, so lassen sichzwei Extremszenarien gegenber-stellen. Ein hegelianisches Szenario,in dem, mit den Bedrohungen, dieder Weltrisikokapitalismus erzeugt,die List der Vernunft eine histo-rische Chance erhlt. Dies ist derkosmopolitische Imperativ: koope-rieren oder scheitern, zusammen ge-winnen oder einzeln verlieren.

    Zugleich erffnet die Unkontrol-lierbarkeit der Finanzrisiken (unddes Klimawandels und der Migra-tionsbewegungen) aber auch einCarl-Schmitt-Szenario, ein macht-strategisches Spiel, das mit der Nor-malisierung des planetarischen Aus-nahmezustands ethnischer und na-tionalistischer Politik wieder Trund Tor ffnet.

    Der Schicksalsgemeinschaft kannman in beiden Modellen nicht ent-fliehen, weil der Weltrisikokapita-lismus, egal was wir tun, neuartigeexistentielle Spaltungen und Bin-

    dungen ber nationale, ethnische, religise und politische Gren-zen hinweg stiftet.

    Wie kann Europa sich dabei behaupten? Paradoxerwei-se ist der Erfolg der Europischen Union zugleich ei-nes ihrer grten Hemmnisse. Viele ihrer Errungen-schaften sind den Menschen so selbstverstndlich geworden,dass sie diese vielleicht erst dann bemerken wrden, wenn sienicht mehr existierten. Man stelle sich vor, Passkontrollen anGrenzen wrden wieder eingefhrt, es gbe keine verlsslichenLebensmittelvorschriften an allen Orten, keine Meinungs- undPressefreiheit nach den gleichen Standards (gegen die Ungarnheute verstt und sich deswegen dem strengen Blick aussetzt);nicht nur bei Reisen nach Budapest, Kopenhagen oder Prag,

    sondern auch nach Paris, Madrid und Rom msste man Geldumtauschen und sich Wechselkurse merken. Die HeimatEuropa ist uns zur zweiten Natur geworden, und gerade dasknnte ein Grund sein, sie leichtfertig aufs Spiel zu setzen.

    Kultur

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    E S S A Y

    E , EZ V U B

    EMANUELECREMASCHI/LUZPHOTO

    /FOTOGLORIA

    Protestierende Jugendliche in Madrid

    Alle sind in eine Welt katapultiertworden, die niemand mehr versteht.

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    Es geht darum, die Realitt zu erkennen und anzuerkennen,dass Deutschland ein Teil der Schicksalsgemeinschaft Europageworden ist, und zwar in dem Sinne, wie Willy Brandt eswhrend der ersten Sitzung des gesamtdeutschen Bundestagssagte: Deutsch und europisch gehren jetzt und hoffentlichfr alle Zukunft zusammen.

    Gilt der hegelsche Gedanke noch, dass die Vernunft in der

    Geschichte sich am Ende trotz vieler Umwege durchsetzt?Oder hat Carl Schmitt die Regie bernommen, der glaubte,dass zwischen den Staaten im Zweifel immer Feindschaftherrscht?

    Anders als die Zwangsschicksalsgemeinschaft der RivalenUSA und China beruht die Schicksalsgemeinschaft Europaauf gemeinsamem Recht, gemeinsamer Whrung, gemein-samen Grenzen, aber auch dem Prinzip des Nie Wieder!Statt eine hehre Vergangenheit zu beschwren, versucht dieEU sicherzustellen, dass sich die Vergangenheit nicht wieder-holt. Statt ein Superstaat zu werden oder ein Mechanismus,der im besten Fall aufgeklrte nationale Interessen reprsen-tiert, hat sich die EU in eine dritte Form verwandelt. Ihrewichtigste Rolle ist eine orchestrierende. Sie ermglicht dieVernetzung von Engagements undInstanzen, zu denen Nationalstaa-ten gehren, aber nach auen auchnationenbergreifende Organisatio-nen und nach innen Stadt- und Re-gionalregierungen sowie zivilgesell-schaftliche Organisationen.

    Innerhalb dieses Rahmens hatsich mit den Rettungsschirmen frsdeuropische Lnder eine Kon-fliktlogik zwischen Kreditgeber-und Kreditnehmerlndern entwi-ckelt. Die Geberlnder mssen nachinnen Sparprogramme durchsetzenund ziehen deswegen die politischen

    Daumenschrauben bei den Schuld-nerlndern bis ber die Schmerz-grenze hinweg an. Die Schuldner-lnder dagegen sehen sich einemDiktat der EU unterworfen, das ihrenationale Unabhngigkeit und Wr-de verletzt. Beides schrt in EuropaHass auf Europa, da Europa allenals Hufung von Zumutungen er-scheint.

    Hinzu kommt die gefhlteBedrohung von auen. DenKritikern des Islam, derangeblich die westlichen Werte der

    Freiheit missbraucht, gelang es, Auslnderfeindlichkeit undAufklrung zu verbinden. Pltzlich konnte man sogar im Na-men der Aufklrung gegen das Vordringen bestimmter Ein-wanderer sein. So berlagern und verstrken sich wechselseitigdrei selbstzerstrerische Prozesse in Europa: Auslnderfeind-lichkeit, Islamfeindlichkeit und Europafeindlichkeit.

    Vielen steht, wenn sie an Politik denken, das Ende der Politikvor Augen. Wie kann man nur so blind sein! Im Kleinen wieim Groen, auf der nationalen, auf der europischen, insbe-sondere aber auf der weltpolitischen Ebene streiten Hegel, derVernunftglubige, und Schmitt, der berall Feinde sieht.

    Was die ewige Krise namens Europa betrifft, so stehen indieser Auseinandersetzung um die Modelle der Zukunft fol-gende Fragen auf der Tagesordnung: Inwieweit greift der Auf-stand der emprten Jugend tatschlich solidarittstiftend bernationale Grenzen hinweg? Wie weit fhrt das Gefhl, abge-hngt zu sein, zu einer europischen Generationserfahrungund zu neuen europapolitischen Initiativen? Wie verhalten

    sich die Arbeitnehmer, die Gewerkschaften, die Mitte dereuropischen Gesellschaft? Welche der groen Parteien bei-spielsweise in Deutschland bringt den Mut auf, den Brgernzu erklren, was ihnen die Heimat Europa wert ist?

    Angela Merkel zieht die Umwege der Vernunft vor, sie hegelt.Um es in einer Tanz-Metapher zu sagen: zwei Schritte zurck,einen seitwrts, dann die Zirkusnummer der blitzschnellen

    Kehrtwende, abgefedert durch ein Schrittchen vorwrts sohpft, stolpert, taumelt die Berliner Koalition. Nach einer Mu-sik, die weder die Deutschen noch die anderen Europer h-ren und verstehen knnen. Denn whrend Helmut Kohl nochvor einem deutschen Europa warnte und ein europischesDeutschland anstrebte, verficht Merkel einen deutschen Euro-Nationalismus: Am Wesen der Berliner Ordnungs- und Wirt-schaftspolitik soll Europa genesen.

    Was die Ostpolitik der siebziger Jahre im geteilten Deutsch-land war, sollte aber angesichts der Finanzkrise die Europa-politik heute sein: Vereinigungspolitik ber Grenzen hinweg.Warum war die unendliche Kosten verursachende Vereinigungmit der DDR selbstverstndlich, warum ist wirtschaftspolitischeIntegration der Schuldnerlnder wie Griechenland und Portugal

    dagegen verpnt? Es geht nicht nurum das Bezahlen der Zeche. Es gehtvielmehr darum, Europas Zukunftund seine Stellung in der Welt neuzu denken und zu gestalten.

    Die Einfhrung der Euro-Bondswre kein Verrat deutscher Interes-sen. Der Weg in die Solidarunionentspricht, hnlich wie die Anerken-nung der Oder-Neie-Grenze, demwohlberlegten deutschen Interesse.Er ist Ausdruck europisch-deut-scher Realpolitik. Warum sollte Eu-ropa nicht eine Finanztransaktions-steuer einfhren, die niemandem,

    selbst den Banken, wirklich wehtut,aber allen Mitgliedslndern zugute-kommt, die finanzielle Handlungs-spielrume fr ein soziales und ko-logisches Europa erffnet, das denArbeitnehmern Sicherheit durchEuropa verheit und damit dieAnliegen aufnimmt, die den jungenEuropern besonders am Herzenliegen?

    Mehr Gerechtigkeit durch mehrEuropa darin steckt auch der Ap-pell im Sinne der transnationalenSolidargemeinschaft: Emprt euch,Europer. hnlich wie seinerzeit

    die Rede von der Annherung an den kommunistischen Blockvon vielen als Vaterlandsverrat verteufelt wurde, ist heute dieForderung Mehr Europa! ein Schlag ins Gesicht des nationa-len Selbstbewusstseins.

    Merkels Hin-und-Her-Vor-und-Zurck-Politik knnte zu-gleich eine Steilvorlage fr ein rot-grnes Zukunftsprojekt ab-geben. Sobald SPD und Grne begreiflich gemacht haben, dassein soziales Europa mehr ist als eine introvertierte Krmerseele,nmlich mit Hegel gesprochen eine historische Notwendig-keit, wird sogar die SPD wieder Profil und Wahlen gewinnen.Vorausgesetzt, sie hat den Mut, die Europapolitik offensiv zuihrem Hauptprojekt zu erklren, wie vor gut vierzig Jahrendie Ostpolitik.

    Ulrich Beck, 67, lehrt Soziologie in London und Harvard.Nchsten Monat erscheint sein zusammen mit Elisabeth Beck-Gernsheim verfasstes Buch Fernliebe. Lebensformen im glo-balen Zeitalter bei Suhrkamp.

    Vielen steht das Ende derPolitik vor Augen.

    Krawalle in London