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Referat an der Generalversammlung der Gruppe Giardino, Bern, 3. März 2012: Spin doctors im Bundeshaus – Gefährdungen der direkten Demokratie durch Manipulation und Propaganda Von Dr. phil. Judith Barben Sehr verehrte Anwesende Ich freue mich und es ist mir eine Ehre, dass ich heute zu Ihnen sprechen darf. Das Anliegen der Gruppe Giardino, die Selbstverteidigungsfähigkeit und die Milizarmee der Schweiz zu erhalten – oder vielmehr wieder aufzubauen – unterstütze ich voll und ganz, und ich möchte mit meinem Referat dazu beitragen. Getarnte Bedrohung Im letzten November hatte ich Gelegenheit, in Pully das Referat von Professor Jean-Jacques Langendorf zu hören. Er wies darauf hin, dass die Schweiz bedroht ist und allen Grund hat, eine starke, verteidigungsfähige Armee zu haben. Die Schweiz habe nämlich keineswegs nur Freunde, sagte er, wie die Angriffe und Beleidigungen gegen unser Land der letzten Jahre zeigen. Als erste Bedrohung nannte Professor Langendorf, dass wir uns gar nicht bedroht fühlen. Die Bedrohung komme nämlich häufig getarnt daher und verstecke sich hinter vieler- lei Masken. Eine dieser Masken ist 1 die bewusst erzeugte Illusion, wir seien gar nicht bedroht. Damit sind wir bei meinem Thema, der Manipulation: eine heimtückische Waffe – wenn man sie nicht erkennt. Allerdings verliert sie ihre Wirkung im Moment, in dem man sie als Manipulation durchschaut. Deshalb ist die Aufklärung über diese Methoden so wichtig. Wesenszüge der Schweiz Warum wird die Schweiz angegriffen? Wir sind das einzige Land auf der ganzen Welt, das eine direkte Demokratie hat. Kein anderes Land kennt eine so filigran ausgearbeitete, ausgewogene und weitgehende Form der Mitbestimmung wie die Schweiz. Verschiedene Sprach- und Kulturgruppen leben bei uns in Frieden zusammen. Jeder kann zur Gestaltung des politischen Lebens beitragen. Durch diese Form der Mitbestimmung aller Bürgerinnen und Bürger sind Entscheidungen bei uns breit abgestützt, es können gründlich durchdachte, tragfähige Lösungen gefunden werden. Zur direkten Demokratie gehören als weitere Wesenszüge: 1 Im Eikos-Verlag (Baden) erschien 2009 (zweite Auflage: 2010) das gleichnamige Buch der Referentin. Dort sind sämtliche Belege zum Referat enthalten. Die Inhaltsangabe des Buches sowie Angaben zur Autorin finden Sie im Anhang. Das Buch ist im Buchhandel erhältlich oder kann direkt beim Verlag bestellt werden (www.eikos.ch).

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Referat an der Generalversammlung der Gruppe Giardino, Bern, 3. März 2012:

Spin doctors im Bundeshaus – Gefährdungen der direkten Demokratie durch Manipulation und Propaganda

Von Dr. phil. Judith Barben

Sehr verehrte Anwesende

Ich freue mich und es ist mir eine Ehre, dass ich heute zu Ihnen sprechen darf. Das Anliegen der Gruppe Giardino, die Selbstverteidigungsfähigkeit und die Milizarmee der Schweiz zu erhalten – oder vielmehr wieder aufzubauen – unterstütze ich voll und ganz, und ich möchte mit meinem Referat dazu beitragen.

Getarnte Bedrohung

Im letzten November hatte ich Gelegenheit, in Pully das Referat von Professor Jean-Jacques Langendorf zu hören. Er wies darauf hin, dass die Schweiz bedroht ist und allen Grund hat, eine starke, verteidigungsfähige Armee zu haben. Die Schweiz habe nämlich keineswegs nur Freunde, sagte er, wie die Angriffe und Beleidigungen gegen unser Land der letzten Jahre zeigen. Als erste Bedrohung nannte Professor Langendorf, dass wir uns gar nicht bedroht fühlen. Die Bedrohung komme nämlich häufig getarnt daher und verstecke sich hinter vieler-lei Masken. Eine dieser Masken ist1 die bewusst erzeugte Illusion, wir seien gar nicht bedroht.

Damit sind wir bei meinem Thema, der Manipulation: eine heimtückische Waffe – wenn man sie nicht erkennt. Allerdings verliert sie ihre Wirkung im Moment, in dem man sie als Manipulation durchschaut. Deshalb ist die Aufklärung über diese Methoden so wichtig.

Wesenszüge der Schweiz

Warum wird die Schweiz angegriffen? Wir sind das einzige Land auf der ganzen Welt, das eine direkte Demokratie hat. Kein anderes Land kennt eine so filigran ausgearbeitete, ausgewogene und weitgehende Form der Mitbestimmung wie die Schweiz. Verschiedene Sprach- und Kulturgruppen leben bei uns in Frieden zusammen. Jeder kann zur Gestaltung des politischen Lebens beitragen. Durch diese Form der Mitbestimmung aller Bürgerinnen und Bürger sind Entscheidungen bei uns breit abgestützt, es können gründlich durchdachte, tragfähige Lösungen gefunden werden. Zur direkten Demokratie gehören als weitere Wesenszüge:

1 Im Eikos-Verlag (Baden) erschien 2009 (zweite Auflage: 2010) das gleichnamige Buch der

Referentin. Dort sind sämtliche Belege zum Referat enthalten. Die Inhaltsangabe des Buches sowie Angaben zur Autorin finden Sie im Anhang. Das Buch ist im Buchhandel erhältlich oder kann direkt beim Verlag bestellt werden (www.eikos.ch).

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• Der Föderalismus: Unsere 23 Kantone sind souverän und haben sehr viele eigene Hoheitsrechte. Der Bund übernimmt – nach dem Subsidiaritätsprinzip – nur diejenigen Aufgaben, welche die Kantone alleine nicht lösen können.

• Die Gemeindeautonomie: Wir haben rund 2’500 politische Gemeinden in der Schweiz, und diese regeln – ebenfalls nach dem Subsidiaritätsprinzip – ihre Gemeindeangelegenheiten autonom. Die Kantone übernehmen nur diejenigen Aufgaben, welche die Möglichkeiten der Gemeinden übersteigen.

Mit der direkten Demokratie, dem Föderalismus und der Gemeindeautonomie haben wir in der Schweiz eine Gewaltenteilung von unten nach oben, die Machtgelüsten und zentralistischen Bestrebungen entgegenwirkt.

Ganz grundlegend für die Schweiz ist auch die immerwährende bewaffnete Neutralität. Sie gehört untrennbar zu unserer Identität und kann nur mit einer verteidigungsfähigen Milizarmee geschützt werden.

Direkte Demokratie, Föderalismus, Gemeindeautonomie und immerwährende bewaffnete Neutralität – bilden eine Einheit und sind gemeinsam die Grundlage für das «Erfolgsmodell Schweiz».

Personales Menschenbild

Dem skizzierten Staatsmodell liegt ein ganz bestimmtes Menschenbild zugrunde: das personale Menschenbild. Personales Menschenbild bedeutet, dass der Mensch als ganzheit-liches, soziales und vernunftbegabtes Wesen aufgefasst wird, erziehbar und erziehungsbedürf-tig, also ein Familienwesen, das als mündiger Staatsbürger in der Lage ist, ethisch verantwor-tungsvoll zu entscheiden und zu handeln. Dieses Menschenbild ist auch in unserer Bundes-verfassung verankert:

«Die politischen Rechte in Bundessachen stehen allen Schweizerinnen und Schweizern zu […] Alle haben die gleichen politischen Rechte und Pflichten. Sie können an den Natio-nalratswahlen und an den Abstimmungen des Bundes teilnehmen sowie Volksinitiativen und Referenden in Bundesangelegenheiten ergreifen und unterzeichnen.» (Art. 136 BV)

Ähnliche Rechte gelten auf Kantons- und Gemeindeebene. Die direkte Demokratie entspricht in hohem Masse der menschlichen Natur und der menschlichen Würde.

Das «Erfolgsmodell Schweiz» hat eine Ausstrahlung in die ganze Welt. Die Schweiz ist ein Vorbild. Denn sie zeigt, dass ein friedliches, freiheitliches und gleichwertiges Zusammenleben im Staat möglich ist. Daraus können auch andere Länder Mut schöpfen, bei sich ebenfalls mehr direktdemokratische Elemente einzuführen.

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Feinde der Schweiz

Aber eben – die Vorbildwirkung der Schweiz gefällt nicht allen. Viele sind auch neidisch auf unseren Erfolg und auf unseren Reichtum, besonders in einem Europa, das tief in der Wirt-schaftskrise und in der Schuldenfalle steckt.

Die Feinde der Schweiz befinden sich aber auch innerhalb des Landes. Im zweiten Weltkrieg hätte man sie «Quislinge» oder «fünfte Kolonne» genannt. Das sind Personen und Machtzirkel, die nicht dem Gemeinwohl und auch nicht dem Nationalstaat verpflichtet sind, sondern international ausgerichtet und angebunden. Seit Jahren betreiben sie eine verdeckte Einflusskampagne gegen die Schweiz, gegen die Neutralität und gegen die Milizarmee. Weil sie wissen, dass die überwiegende Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer hinter der Schweiz und hinter den Werten der Schweiz stehen, gehen sie verdeckt vor – mit Hilfe von «Spin doctors».

Spin doctors

Der Begriff «Spin doctor» stammt aus Amerika und bezeichnet den neuen Typ des skrupellosen politischen Public-Relations-Experten. «Spin doctors» verdrehen die Wahrheit (Spin heisst ja drehen) und geben der Realität einen versteckten «Spin» (Dreh) in eine bestimmte Richtung, um die Menschen in die Irre zu führen. Schon Machiavelli sagte, man müsse die Menschen «mit List umgarnen» und sich «drehen und wenden nach dem Winde». Dabei dürfe man auch «vor dem Schlechten nicht zurückschrecken». Bis heute wird Machiavelli auf gewissen PR-Schulungen als Grundlagentext verwendet. Allerdings wirft man ihm vor, er sei zu offen gewesen. Heutige «Spin doctors» ziehen es vor, ihre Methoden mit schön klingenden Begriffen wie «Kommunikationsberatung» oder «Öffentlichkeitsarbeit» zu verschleiern.

Neurolinguistisches Programmieren

Damit bin ich beim «Neurolinguistischen Programmieren» angelangt. Das ist eine manipulative Psychotechnik, die in der politischen Propaganda häufig verwendet wird. Das «Neurolinguisti-sche Programmieren» ist eine Form der sprachlichen Hypnose. Der Name bedeutet, dass die Zielpersonen über die Wahrnehmung (Neuro) mit sprachlichen Botschaften (linguistisch) programmiert oder vielmehr umprogrammiert werden sollen.

Raffiniert ausgewählte «hypnotische Worthülsen» sollen die Zielpersonen ablenken und einlullen und sie – ohne dass sie es merken – in eine bestimmte Richtung führen. Die hypnotischen Wörter haben abe keinerlei Bezug zur Realität. Sie werden nur wegen ihrer manipulativen Wirkung ausgewählt. Weil sie direkt auf die Gefühlsebene, auf das Unbewusste zielen, umschiffen sie den kritischen Verstand und schläfern das Denken ein.

Dass diese Psychotechnik wirkt, bestätigte der amerikanische neokonservative Politiker und Politberater Newt Gingrich. Er verfasste auf der Grundlage des «Neurolinguistischen

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Programmierens» eine Anleitung zur Manipulation. Diese enthält zwei Wortlisten. Auf die erste Liste setzte Gingrich lauter verlockende, einlullende Begriffe wie «Reform», «Vision», «Chance» oder «Zukunft». Sie dienen der eigenen Seite. Auf die andere Liste setzte er abschreckende Wörter wie «Betrug», «Krise», «intolerant» oder «rechtspopulistisch». Die Negativ-Liste dient der Anschwärzung des politischen Gegners. Newt Gingrich empfahl, bei der Ausarbeitung von Reden und Statements beide Listen systematisch zu verwenden und diese Wörter regelmässig einzustreuen, weil ihre Wirkung machtvoll sei.

Zur Vermeidung von Missverständnissen. Positive und negative Wörter gehören zur Sprache, es braucht sie. Das Problem sind nicht die Wörter, sondern die Verlogenheit. «Spin doctors» benutzen diese Wörter als Psychotechnik, zum Zweck der Manipulation.

Als Psychologin wehre ich mich entschieden gegen einen solchen Missbrauch der Sprache und der Psychologie. Das ist unethisch. Die Psychologie wurde als Instrument der Hilfeleistung für den Einzelnen geschaffen und hat dort ihren Platz. Sie kann auch wertvolle Beiträge zur Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens leisten. Die Psychologie darf nur zum Wohl des Menschen eingesetzt werden, nie zur Manipulation!

Psychologische Operation Schweizer Armee

Und dennoch geschieht das auch bei uns in der Schweiz. Seit über zehn Jahren läuft beispiels-weise eine langfristig angelegte psychologische Operation mit solchen manipulativen Psychotechniken – gesteuert aus Kreisen des VBS – mit dem Ziel, die Schweizer Armee und die Landesverteidigung schlecht zu machen. Ohne diese psychologische Kriegsführung wäre es niemals möglich gewesen, die Armee derart abzubauen und umzubauen und wertvolle Armeegüter zu verschrotten, wie das leider geschehen ist und immer noch geschieht.

Nato-Teilbeitritt 1996

Ich beginne im Jahr 1996. Damals wollte Bundesrat Adolf Ogi die Schweiz unbedingt in die Nato-Unterorganisation «Partnership for Peace» – PfP – hineinführen. Die Bezeichnung «Partnerschaft für den Frieden» war bereits die erste Manipulation. «Partnerschaft für den Frieden» ist eine typische «hypnotische Worthülse». Die Formulierung tönt beruhigend und angenehm. In Wirklichkeit hat diese Nato-Struktur weder mit Partnerschaft noch mit Frieden etwas zu tun. Sie wurde von der Nato allein deshalb gegründet, um auch die neutralen und osteuropäischen Länder einzubinden. Die meisten damaligen PfP-Mitglieder sind inzwischen Nato-Vollmitglieder geworden.

Doch diesen faktischen Nato-Teilbeitritt wollte Adolf Ogi keinesfalls öffentlich diskutieren. Er war nämlich der Meinung:

«Wir Politiker haben den Auftrag, eine Politik zu entwickeln […] wie ein Bergler: ein Schritt [nach dem anderen] – abgesichert, damit es innenpolitisch keine Diskussionen […], keinen Widerstand» gibt.

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Es gab aber trotzdem Widerstand – und zwar von links bis nach rechts. Um diesen zu beseitigen, holte sich Bundesrat Adolf Ogi einen «Spin doctor» ins Bundeshaus: den «skandalerprobten» «Blick»-Journalisten Thomas Suremann. Dessen Auftrag war, die kritischen Stimmen gegen PfP zum Schweigen zu bringen. Und das gelang ihm auch. Die Wochenzeitschrift «Facts» schrieb damals (Bild 1):

«Noch im Sommer schien [der PfP-Beitritt] an ungewohnter Koalition zu scheitern […]. Dann kam die wundersame Wende […]. Die Wandelhallen-Gespräche des […] Ogi-Söldners zeigten Wirkung […]. Thomas Suremann, Bundesrat Ogis Spin Doctor, […] vermochte dem Geschäft jenen Dreh (englisch spin) zu geben, der letztlich die Wider-ständler ausschaltete. […] Die PfP-Kritik aus den Machtzentren Bodenmanns und Blochers wurden bald als sommerliche Sprechblasen abgetan.»

Nach dieser PR-Aktion konnte Bundesrat Flavio Cotti «ungestört» nach Brüssel reisen, um dort im Nato-Hauptquartier das PfP-Beitrittsdokument zu unterzeichnen (Bild 2). Und das im Namen der Schweiz, obwohl kein einziger Schweizer gefragt worden war! Mit dem PfP-Beitritt 1996 war ein entscheidender Schritt in Richtung Nato getan.

Neue Bundesverfassung 1999

Der nächste Schritt folgte 1999 mit der Abstimmung über die neue Bundesverfassung. Diese Abstimmung beruhte auf einer gigantischen Täuschung. Man verbreitete nämlich gezielt und flächendeckend die Falschmeldung, die neue Verfassung sei nur eine «Nachführung». So stand im «Bundesbüchlein»:

Mit der Verfassungsrevision wird die Sprache «der heutigen Zeit angepasst, und […] verständlicher formuliert.» Das Ziel ist, dass «unser heutiger Staat in der Verfassung wieder erkennbar» wird, «Das Bewährte […] [wird] erhalten.».

In Wirklichkeit leitete man mit der neuen Verfassung umwälzende Veränderungen in vielen Bereichen ein. Es war eine Totalrevision. Das gab der zuständige Bundesrat Arnold Koller im Nachhinein selbst zu: «Im Nachhinein muss ich zugeben, dass der Begriff ‹Nachführung› zu verharmlosend war.»

Aber Bundesrat Koller wollte die neue Bundesverfassung unbedingt am Volk vorbeischmuggeln. Dafür brauchte er Beratung, und zwar von PR-Profis. Sie erfanden hypnotische Worthülsen, um die Vorlage als harmlos und attraktiv zu verkaufen, zum Beispiel: «Die Chance für eine Reform jetzt packen» oder «die Reform macht die Verfassung wieder bürgernah». Eine inhaltliche Diskussion wurde bewusst vermieden. Damit verletzte der Bund seine Verpflichtung zur «objektiven, ausgewogenen und umfassenden Information» schwer.

Ich möchte an dieser Stelle nur einige der Neuerungen im Militärwesen erwähnen:

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• Das Verbot für den Bund, stehende Truppen zu halten, wurde aufgehoben. Und zwar, indem man die Bestimmung «Der Bund ist nicht berechtigt, stehende Truppen zu halten» ersatzlos herausstrich.

• Dem Parlament wurden militärische Entscheidungsbefugnisse entzogen und zum Bundesrat verschoben. Zum Beispiel: Laut neuer Verfassung kann der Bundesrat «in Fällen von Dringlichkeit» Truppen bis zu 4’000 Mann aufbieten, und zwar auch dann, wenn das Parlament tagt und auch dann, wenn der Einsatz länger als drei Wochen dauert. Vorher durfte der Bundesrat dies nur bei Einsätzen bis maximal 2'000 Mann, und nur von maximal drei Wochen Dauer und nur in den Sessionspausen tun – eine markante Machtausweitung des Bundesrates zulasten des Parlaments.

• Die zwei Sätze «Kriegserklärungen und Friedensschlüsse» sind «Gegenstände, die in den Geschäftskreis beider Räte fallen», und «Es dürfen keine Militärkapitulationen abgeschlossen werden» wurden ebenfalls aus der Verfassung ersatzlos gestrichen!

Diese Beispiele zeigen, wie radikal die Änderung der Bundesverfassung 1999 waren – und dies ohne öffentliche Information geschweige denn Diskussion. Mit der neuen Bundesverfassung waren gewichtige Hindernisse aus dem Weg geräumt worden, die einer Annäherung an die Nato im Weg standen.

Bewaffnete Auslandeinsätze 2001 Der nächste Schritt in Richtung Nato war die Abstimmung über die bewaffneten Auslandein-sätze im Jahr 2001. In Bern wusste man, dass diese Abstimmung schwer zu gewinnen war. Zu offensichtlich war der Widerspruch zur Neutralität sowie das Heranrücken an die Nato. Man plante also eine massive Propagandakampagne. Die wichtigste manipulative Psychotechnik dabei war das «Spalten». Diese Methode hat zum Ziel, potentielle Verbündete gegeneinander auszuspielen und gegeneinander aufzubringen, um den Widerstand zu schwächen.

Bei den bewaffneten Auslandeinsätzen funktionierte das so: Man nannte als Gegner der Vorlage bewusst und systematisch nur die SVP und dies stets mit abwertendem Beiklang. In Wirklichkeit waren die Kritiker auf der linken Seite zahlreicher. Doch indem man den linken Widerstand konsequent verschwieg und die Kritiker als Rechtspopulisten verunglimpfte, wurde das Trugbild erzeugt, nur wenige extreme Personen seien gegen die Vorlage. Der Psychotrick zielte vor allem auf die Linken. Weil diese auf keinen Fall als rechts gelten wollen, wurden viele durch das Manöver davon abgehalten, die Kritik aus den eigenen Reihen zur Kenntnis zu nehmen und sich damit zu befassen.

Eine weitere Manipulation bei dieser Abstimmung war die ständige Beteuerung, die Vorlage habe nichts mit der Nato zu tun. Peinlicherweise drang aber kurz vor der Abstimmung ein internes Dokument aus dem VBS an die Öffentlichkeit, welches das Gegenteil bewies (Bild 3). Darin stand:

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«Die Armee ist […] als Gesamtsystem auf Interoperabilität [mit der Nato] auszurichten». Bei der «Schaffung mentaler und prozessorientierter Interoperabilität» geht es in erster Linie «um die Angleichung der Strukturen und Prozesse an die Nato».

Diese Enthüllung war derart entlarvend, dass die bewaffneten Auslandeinsätze vor dem Scheitern standen. Von links bis rechts war man sich einige, dass eine solche Nato-Kumpanei nicht in Frage kam. Da entschloss sich der Bundesrat kurzerhand zu einer abgefeimten Spin-doctor-Übung, um den Widerstand zu spalten. Und zwar schickte er den alt-68er Bundesrat Moritz Leuenberger vor, um auf einer grossen Gewerkschaftsversammlung in Bern seine früheren Genossen und Mitkämpfer aus der 68er Zeit über den Tisch zu ziehen. Leuenberger selbst schilderte die Aktion so:

«Militärgesetzvorlage 2001. Abstimmungsgetöse. Die Rechte war dagegen, ein […] Teil der Linken ebenfalls. Als sozialdemokratischer Bundespräsident wandte ich mich gegen die […] Kampagne der Rechten und setzte [diese] mit der Nein-Parole gleich. Ich errichtete [so] der zweifelnden Linken […] eine moralische Barriere, gegen die Vorlage zu stimmen, weil sie sich sonst im Lager der (rechten) Gegner befunden hätte.» Das «war aber eine verführerische Verkürzung, denn die linken Gegner führten eine eigene Kampagne. Diese Intervention scheint für die knappe Annahme der Vorlage entscheidend gewesen zu sein.»

Tatsächlich bestätigte dies die Bundeskanzlei. In einer nachträglichen Abstimmungsanalyse fand sie heraus, dass es genau die Stimmen des rot-grünen Bern gewesen waren, die den hauchdünnen Unterschied von 1 Prozent (!) ausgemacht hatten. Kann diese Abstimmung als korrekt anerkannt werden?

Armee XXI 2003 Schon 2003 folgte die nächste Etappe der Nato-Annäherung: Die Abstimmung über die «Armee XXI». Ich fasse die wichtigsten Neuerungen zusammen:

- eine massive Verkleinerung der Armee; - eine massive Verjüngung der Armee (grosser Verlust an Know-how); - eine massive Schwächung des Milizprinzips durch 15 % «Durchdiener» (hypnotische Worthülse für temporäre Berufssoldaten); - eine massive Reduktion und teilweise sogar Auflösung ganzer Truppengattungen wie Gebirgstruppen, Radfahrertruppe, Flughafen-Alarmformation, Rettungstruppen, Sanität; - Abschaffung der bisherigen Korps, Divisionen und Regimenter und Ersatz durch die Nato-Kategorien «Bataillone» und «Brigaden»; - Unterhöhlung der Bedingung eines Uno-Mandats für bewaffnete Auslandeinsätze; - Aufhebung der künftigen Mitsprache des Volkes in grundlegenden Armeefragen.

Alle diese Neuerungen zielten darauf ab, die Schweizer Armee im Sinne der Nato umzubauen. Den Stimmberechtigten aber log man vor, die Armeeaufträge – insbesondere die

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autonome Landesverteidigung –, die Neutralität und das Milizprinzip blieben erhalten. Um den Stimmbürgern diese Botschaft einzuhämmern, scheute man auch vor zweifelhaften manipulativen Psychotechniken nicht zurück wie «Psychiatrisieren», «künstlich erzeugtem Gruppendruck» oder «Drohen mit Ausschluss». So verkündete Bundesrat Samuel Schmid:

«Die Schweizerinnen und Schweizer wollen in ihrer Mehrheit – genauso wenig wie Parlament und Bundesrat – nicht in die Nato.» «Deshalb ist das Hauptargument der Gegner [es gehe um eine Annäherung an die Nato] reine Phantasie und an Einfallslosig-keit nicht zu überbieten. […] Eine Lüge bleibt eine Lüge, auch wenn man sie hundertmal wiederholt. Ebenso unsinnig ist der Vorwurf, die Armee XXI verletze die Neutralität und damit die Verfassung. […] Das Milizprinzip wird […] nicht nur gewahrt, sondern in der Substanz verstärkt.»

Ganz anders tönte es VBS-intern:

Wenn das Milizprinzip nicht aufgegeben wird, steht «die ‹Sicherheit durch Kooperation› […] auf schwachen Beinen […]. Das Milizsystem erschwert […] die Rekrutierung für internationale Einsätze.» (Heiko Borchert, PR-Berater des VBS & René Eggenberger, Oberst im Generalstab und Chef Abteilung Prospektivplanung VBS)

Die «Armee XXI» ist für die «autonome Verteidigung der Schweiz» «nicht konzipiert», weil die Verteidigungsaufgabe «zunehmend bedeutungslos» geworden ist. (Anton Thalmann, Schweizer Botschafter bei der Nato)

«Die Armee XXI wird ausschliesslich auf einen Nato-Beitritt ausgerichtet. Die Militärsprache wird nur noch Englisch sein». (Urban Siegenthaler, Unterstabschef Planung im Generalstab).

«[Man muss] die Neutralität, an der keine Bedarf mehr besteht, sanft einschlafen lassen». (Anton Thalmann).

Wer hier wirklich log, möge jeder selbst beurteilen Den wenigsten Stimmberechtigten war bei der Abstimmung über die «Armee XXI» im Jahr 2003 wohl klar, dass diese nur als Zwischenschritt zur weiteren Annäherung an die Nato geplant war.

Aus Zeitgründen muss ich damit – im Jahr 2003 – meine Darstellung der «Psychologischen Operation Schweizer Armee» beenden. Abschliessend möchte ich dazu aber noch den VBS-Chefstrategen Christian Catrina zitieren, der ausdrücklich davor warnte, eine demokratische Diskussion überhaupt zuzulassen, da sie die Gefahr der «Polarisierung» – sprich Widerstand – beinhalte:

«Die grosse sicherheitspolitische Debatte ist nicht nur unnötig, sie würde auch Risiken enthalten, weil sie Anreize zur Polarisierung der sicherheitspolitischen Meinungsland-

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schaft bieten würde.» (Catrina war in der Geschäftsleitung VBS und Chef Strategie und Internationales der Armee)

Und das wollte man in gewissen VBS-Chefetagen offenbar nicht. Man wollte die Nato-Annäherung am Volk und am Parlament vorbei weiter vorantreiben.

Stimmungsumschwung

Gerne würde ich noch ein paar Worte zur heutigen Situation sagen. Ich beobachte in letzter Zeit in der Schweiz in vielen Fragen einen Gesinnungswandel oder Stimmungsumschwung. Diesen stelle ich in Gesprächen mit ganz verschiedenen Menschen fest. Man ist wieder froh und dankbar, Schweizerin oder Schweizer zu sein und in diesem wunderschönen demokrati-schen Land leben zu dürfen. Übrigens sagen dies auch Ausländer. Sicher haben die globale Finanz- und Wirtschaftkrise, die Angriffe gegen die Schweiz und die Krise des Euro zu diesem Stimmungsumschwung beigetragen. Aber nicht nur! Ohne die beharrliche und oft mühselige Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit von engagierten Bürgern wäre es nicht zu diesem Gesinnungswandel gekommen.

Im Armeebereich, waren Sie, die Gruppe Giardino, an diesem Umdenken wesentlich beteiligt, davon bin ich überzeugt. Dass das Parlament im letzten Herbst dem Kauf neuer Kampfjets zugestimmt und das Rüstungsbudget erhöht hat, ist ganz bestimmt mit eine Folge ihres mutigen, kompetenten und ausdauernden Engagements.

Gripen-Affaire

Dass auch diejenigen, die andere Absichten hegen, aktiv sind, versteht sich von selbst, zum Beispiel im Fall Gripen. Die Angriffe gegen den Bundesrat waren scharf und perfid. Sie kamen einerseits von Armee-Insidern und andererseits von den Medien. Einige vermuten, dass der französische Konzern Dassault der Drahtzieher im Hintergrund war. Ich glaube, dass es auch darum ging, Misstrauen gegen den Bundesrat zu säen, um das Land zu spalten und die Armee zu schwächen. Als besonders giftig – zwischen den Zeilen – fiel in diesem Zusammenhang René Zeller von der der Neuen Zürcher Zeitung auf. Ich recherchierte ein wenig und fand Interessantes. Vermutlich wissen Sie das ja bereits, aber für mich war es neu: Nach seinen Tätigkeiten bei der «Neuen Zürcher Zeitung», der «NZZ am Sonntag» und beim Schweizer Fernsehen SF wechselte René Zeller zur «Kommunikationsbranche», und zwar zur Public-Relations-Agentur Farner Consulting AG. Danach kehrte er wieder zur NZZ zurück. Von Farner Consulting AG weiss man, dass sie für Dassault arbeitet.2 Im Gripen-Fall fand ich es jedenfalls erfreulich, dass der Bundesrat und die Armeespitze den perfiden Unterstellungen sachlich, würdig und entschlossen entgegentraten.

2 Wertheimer Léa: GSoA unterstellt Hurter Verbandelung. In: Thurgauer Zeitung, 10.2.2012

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Ausblick

Zum Abschluss noch einige Worte dazu, wie man sich gegen Spin doctors schützen kann. Das ist gar nicht so schwierig. Denn ihre Tricks sind billig und immer wieder dieselben. Hilfreich ist, wenn man einige ihrer Methoden kennt. Und wie bereits erwähnt: Wenn man die Manipulation aufdeckt, verliert sie ihre Wirkung. Auch die Wahrheit ist ein machtvolles Gegenmittel – also Faktenkenntnis. Wenn einer sich traut, den Einschüchterungsversuchen entgegenzutreten und ruhig und sachlich seine Meinung zu sagen, ermutigt das wieder andere, ebenfalls zu ihrer Meinung zu stehen. Damit kann man die fatale Schweigespirale durchbrechen. Das habe ich immer wieder erlebt.

Auch die Verbundenheit und das Gespräch in einer Vereinigung wie Ihrer – psychologisch würde man von einer Gemeinschaft sprechen, militärisch vielleicht eher von einem Verband mit Korpsgeist – sind sehr wichtig. Sie verleihen Rückenstärke, Zuversicht und Mut. In Markus Somms Guisan-Biograpie habe ich gelesen, dass ein Kampf erst dann aufhört, wenn der Wille, die gute Sache zu verteidigen, aufhört – vorher nicht. Auch in einer ungemütlichen Lage – und in der sind wir ja bezüglich Armee – kann man also in guter Stimmung zusammen weiter überlegen, was als nächstes zu tun ist. Und dabei bin ich gerne an Ihrer Seite!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

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Inhaltsverzeichnis: Spin doctors im Bundeshaus Prolog 5

Warum dieses Buch nötig ist 7

I. Manipulatoren und ihre Methoden 13

1. Spin doctor – ein neues Wort für Wahrheitsverdreher 13

2. Manipulation der Sprache 20

3. Politische Manipulation von Machiavelli bis heute 23

4. Manipulative Psychotechniken 31

5. Eine Konferenz von Spin doctors und Journalisten 46

6. Personales Menschenbild als Gegenposition 51

II. Spin doctors im Bundeshaus 58

7. Das Bundeshaus – die grösste PR-Agentur der Schweiz 58

8. Spin doctoring im Bundeshaus – wissenschaftlich untersucht 63

9. Der Bergier-Bericht: Wissenschaft oder Manipulation? 72

10. Kein Persilschein zum Manipulieren 80

III. Abstimmungsmanipulation des Bundes – zwei Beispiele 86

11. Neue Bundesverfassung – Totalrevision oder Nachführung? 86

12. Wie der Bundesrat die Schweiz in die Nato verstrickt 98

Ausblick 132

Dank 133

Literatur 134

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Die Autorin

Dr. phil. Judith Barben-Christoffel, geboren 1953. Ausbildung zur Primar- und Sonderschul-lehrerin und Unterrichtstätigkeit als Primar- und Sonderschullehrerin. Studium der Psycho-logie mit Dissertation über Tiefenpsychologie an der Universität Zürich. Weiterbildung bei der «Arbeitsgemeinschaft für Personale Psychologie und Psychotherapie» mit Fachtitel FSP für Psychotherapie. Vorstandsmitglied VPM bis zur Auflösung des Vereins im Jahr 2002. Langjährige Tätigkeit als Lehrerin, Heilpädagogin, Psychologin und Psychotherapeutin mit Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und Familien. Veröffentlichungen und Vorträge zu Themen der Psychologie, Psychotherapie, Pädagogik und Ethik wie Grundlagen der Personalen Psychologie, Persönlichkeitsentwicklung, Werte- und Gewissensbildung, Gewaltprävention, Bedeutung der Familie für die Demokratie, Ritalinproblematik, manipulative Psychotechniken.

Kontakt: [email protected]