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Ste fan Spjut

TROLLRo man

Aus dem Schwe di schen von Chris tel Hil de brandt

Knaus

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Ste fan Spjut

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Aus dem Schwe di schen von Chris tel Hil de brandt

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Die Ori gi nal aus ga be er schien 2012 un ter dem Ti tel »Stallo«bei Al bert Bon niers För lag, Stock holm, Schwe den

Ver lags grup pe Random House FSC® N001967Das für dieses Buch verwendete FSC ®-zertifi zier te Pa pier

EOS lie fert Salzer Papier, St. Pölten, Austria.

1. Auf a ge© der Ori gi nal aus ga be 2012 by Ste fan Spjut

Pu bli shed in the Ger man langu age by ar ran ge ment withBon nier Group Agen cy, Stock holm, Schwe den

Co py right © der deutsch spra chi gen Aus ga be 2014beim Alb recht Knaus Ver lag, Mün chen,

in der Ver lags grup pe Ran dom House GmbHSatz: Buch-Werk statt GmbH, Bad Aib ling

Druck und Bin dung: GGP Me dia GmbH, Pöß neckISBN 978-3-8135-0535-1

Prin ted in Germ any

www.knaus-ver lag.de

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Juli 1978

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Der Re gen wurm auf dem As phalt ist lang wie eine Schlan-ge. Er zieht sich bis über den Gras strei fen ne ben der

Land stra ße. Der Jun ge folgt dem schleim glän zen den Band mit dem Blick. Es en det im Bauch ei nes grau en Dach ses. Der Dachs ist tot, guckt aber im mer noch. Sei ne Au gen sind aus schwar zem Glas, eine Pfo te ist wie zu ei nem Win ken er starrt.

Die Au to tür geht auf, sei ne Mut ter ruft, aber er kann sich von dem Tier nicht los rei ßen. Da kommt sie he raus. Stellt sich ne ben ihn. Rümpft die Nase, dass die Bril le hoch rutscht. »Der ist über fah ren wor den.«

»Aber wa rum sieht er so aus?«»Das ist der Darm. Ir gend ein Vo gel hat den wohl he raus ge-

zo gen. Oder ein an de res Tier.«Er will wis sen, wel cher Vo gel. Wel ches Tier.»Nun komm schon«, sagt sie.»Aber ich hab noch nicht ge pin kelt.«»Dann mach jetzt.«

Er drückt das Ge sicht an die Schei be, aber die Tan nen sind so groß, dass er kaum se hen kann, wo sie en den. Zwi schen den Kni en hält er eine gro ße Fanta fa sche, und ab und zu pus tet er in sie hi nein. Sie sind schon fast drei Stun den ge fah ren. So lan ge hat er noch nie in ei nem Auto ge ses sen.

Als sie an hal ten, ist ihm klar, dass sie im mer noch nicht an-ge kom men sind. Sie sind mit ten im Wald, und eine Hüt te kann er nicht se hen. Nur Bäu me.

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»Sind wir da?«, fragt er trotz dem.Sei ne Mut ter sitzt eine Wei le in Ge dan ken ver sun ken da,

bis sie end lich den Zünd schlüs sel zieht und aus steigt. Sie öff-net sei ne Tür.

Es scheint, als hät ten die Mü cken nur auf ihn ge war tet. Sie kom men aus al len Rich tun gen, und es sind so un glaub lich vie-le, dass sei ne Bei ne im Nu ge spren kelt sind. Er ver sucht gar nicht erst, sie zu ver scheu chen, er er starrt, und dann stößt er ei nen grel len Schrei aus.

Sei ne Mut ter wirft die Rei se ta sche auf die Mo tor hau-be, zieht ein Ba de la ken da raus her vor und legt es ihm um wie ei nen Man tel. Als sie es an sei nem Hals ver kno tet hat, macht sie sich auf den Weg, die Ta sche in der ei nen Hand und eine Plas tik tü te mit Le bens mit teln in der an de ren. Es sieht aus, als schlü ge sie eine Schnei se durch das hohe Gras. Sie trägt ei nen kurz ärm li gen Pul lo ver aus minz grü nem Frot-tee, auf dem sich zwi schen den Schul ter blät tern ein läng li-cher Schweiß feck bil det. Die aus ge stell ten Jeans bei ne fat-tern beim Ge hen.

Er folgt ihr. In sei nem Ruck sack klap pern die Fi gu ren in der Plas tik do se. Er um klam mert den Schul ter rie men, und mit der an de ren Hand hält er das Hand tuch fest, da mit es nicht rutscht. Er kämpft sich vo ran. Er ruft sei ner Mut ter nach, sie möge war ten, doch sie war tet nicht, sie er wi dert nur über die Schul ter, dass er sich be ei len soll.

In ei nan der ver schlun ge ner Farn säumt den Weg, und da-hin ter er he ben sich die Tan nen, un ter de nen es voll kom men dun kel ist. Um ihn he rum steht in klaf fen den Bü scheln Gras, das von In sek ten nur so summt und knis tert, und der Hand-tuch man tel fiegt auf, als er wei ter läuft.

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Der Wald spie gelt sich in den Fens ter schei ben. Tan nen zap fen, dün ne Zwei ge und Häuf chen al ter Tan nen na deln lie gen auf dem Blech dach. Hoch oben wie gen sich die Tan nen spit zen, und der Him mel ist ganz weiß ge wor den.

Sei ne Mut ter ist an der Tür an ge kom men. Sie lehnt sich zur Sei te, schiebt die Hand un ter eine Fens ter bank und ver zieht das Ge sicht. »Oh bit te«, sagt sie, drückt das Blech nach oben und zwängt die Fin ger hi nein.

Der Jun ge hat den Kno ten am Hals ge löst und das Ba de la-ken wie ein Kopf tuch über ge zo gen. Er dreht Pi rou et ten. Sei-ne Schu he dröh nen auf der Ter ras se. Zwi schen den Bret tern wächst Gras, und er tram pelt es nie der. Auf dem ge drech-sel ten Ge län der steht ein mit Was ser voll ge lau fe ner Aschen-becher. Da rin schwimmt eine Flie ge, oder ist es ein Kä fer? Nur die ge krümm ten Bei ne ra gen he raus. Als er ge nau er hin-sieht, be merkt er die an de ren In sek ten. Der Aschen be cher ist voll von ih nen. Eine ek li ge Sup pe, so eine, wie He xen sie ko chen.

Sei ne Mut ter hat sich hin ge kniet und ver sucht, un ter das Fens ter blech zu gu cken. »Das darf doch nicht wahr sein«, sagt sie und fängt an, das Gras un ter dem Fens ter aus zu rei ßen.

Er be ob ach tet sie eine Wei le. Dann drückt er die Klin ke. »Mama«, sagt er, »es ist of fen.«

Sie schiebt ihn vor sich her. Der Jun ge bleibt vor ei nem Wand-be hang mit dunk len Krei sen und streng drein bli cken den Au-gen ste hen und fragt sich, was das dar stel len soll. Eu len? Dann schiebt ihn wie der die Hand, die die Plas tik tü te hält, kalt von der Milch pa ckung ganz un ten. »Rein mit dir!«

Die her aus ge press ten Wor te schei nen sich fest zu ha ken. In ei ner Art Spin nen netz, das die Stil le in der Hüt te zu rück ge-

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las sen hat. Der Jun ge spürt es und wird un si cher. Am liebs ten möch te er drau ßen ste hen blei ben.

»Geh jetzt end lich rein!«Wach sam be tritt er die Hüt te und sieht sich um. Die Wän de

aus un be han del ten Kie fern bret tern sind mit ei ner Stoff ta pe-te be zo gen. Hier und da hän gen klei ne Bil der und Kup fer ge-fä ße. Durch eine Zwi schen tür sieht er ein Eta gen bett. Ne ben dem Bett steht ein Ho cker mit ei nem Buch da rauf. Vor dem Fens ter wächst ein Baum, des sen spitze Blät ter an die Fens-ter schei be klop fen.

Er legt den Ruck sack auf den Kü chen tisch, öff net den Reiß-ver schluss und holt die Dose he raus. Es ist eine alte Eis ver-pa ckung. BIG PACK, steht auf dem zer ris se nen Eti kett. Vor-sich tig nimmt er das Gum mi band he run ter. Er weiß, es kann rei ßen. Die Plas tik fi gu ren kul lern auf den Tisch. Die Fi gu ren aus Do nald Ducks Keks pa ckung ha ben sich in ei nan der ver-hakt, als woll ten sie zei gen, dass sie zu ei nan der ge hö ren. Dann sind da noch Schlümp fe. Ein Nil pferd mit weit auf ge ris se nem Maul. Ein Go ril la, der sich auf die Brust trom melt. Ein ga lop-pie ren des Pferd, das nicht al lein ste hen kann.

Ge gen über vom Ka min steht ein klei nes Sofa, und da rauf setzt er sich, in je der Hand ei nen Schlumpf. Eine Steh lam pe mit ge fäl tel tem Stoff schirm neigt sich über ihn. Die Glüh bir-ne fehlt, da ist nur ein Loch. Ein Ar beits kol le ge sei ner Mut ter leiht ih nen die Hüt te, und er fragt sich, wa rum er kei ne Glüh-bir ne ein ge schraubt hat. Viel leicht aus dem glei chen Grund, wes halb er kei nen Fern se her hat.

Er fährt mit der Hand fä che über den So fa be zug, der senf-gelb und ge noppt ist, und er weiß, wenn man sich auf so ei-nem Sofa zu wild be wegt, kann man sich ver bren nen.

Er steht wie der auf und geht in die Kü che ne cke. Der Kühl-

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schrank ist so klein, dass er sich hi nab beu gen muss, um ihn zu öff nen. Er ist leer, er leuch tet nicht ein mal, und kalt ist er auch nicht. Die Tür muss er fest zu drü cken, da mit sie rich tig schließt. An der Wand über der Spü le be fin det sich der glei che Be lag wie auf dem Bo den, rot brau ner Kork in ei nem Mus ter aus Sechs e cken.

Ein Knob lauch zopf aus Plas tik hängt an ei nem Na gel. Er fragt sei ne Mut ter, ob er ihn he runt er ho len darf, und sie sagt, das ist in Ord nung. Er nimmt den Ho cker, klet tert auf die Spü le und zieht den Zopf vom Na gel. Nicht dass man viel da mit an fan gen könn te, aber zu min dest kann man so tun, als ob. Er zupft an den Plas tik blät tern und prüft, wie fest sie sit-zen, wäh rend sei ne Mut ter um her geht und Schrank tü ren und Schub la den öff net. Auch sie schaut in den Kühl schrank und schließt ihn wie der.

Der Jun ge sagt, dass der Fuß bo den an der Wand hängt.»Ja«, seufzt sie, »und Fuß bo den an der Wand.«

Es gibt Strom, aber kein Was ser und kei ne Toi let te, und nach-dem sie ei nan der die Wan gen mit ei nem Mü cken mit tel ein-ge rie ben ha ben, ge hen sie als Al ler ers tes hi naus zum Plumps-klo. Da mit er weiß, wo es ist, wenn er kac ken muss. Pin keln kann er, wo er will.

Mit der Ka pu ze über dem Kopf geht er dicht hin ter sei ner Mut ter her, die mit den Hän den we delt und über die Mü cken fucht. Man ge wöhnt sich aber da ran, ver spricht sie. »Die sind am schlimms ten bei Leu ten, die nicht von hier sind.«

Das Plumps klo ist ein Schup pen, der so dicht an ei ner Tan-ne steht, dass sei ne Mut ter die Zwei ge mit dem Rü cken bei-sei te schie ben muss, um zur Tür zu ge lan gen. Er ahnt, dass es da drin nen stinkt, und hü tet sich da vor, durch die Nase ein-

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zu at men. Die Wän de sind mit Holz fa ser plat ten ver klei det, auf de nen die Feuch tig keit dunk le Wol ken ge zeich net hat. Zeit-schrif ten sta peln sich auf der Sitz bank ne ben dem Toi let ten-sitz. Im Fens ter lie gen In sek ten. Sie sind zu hoh len Scha len ge wor den, ver streut un ter ei nem grau en Gar di nen fet zen, der mit Heft zwe cken be fes tigt ist.

Was ser holt man von ei ner Pum pe. Grün an ge stri chen ragt sie wie eine ver krüp pel te Pfan ze aus dem son nen be schie ne-nen Gras. Aber es kommt kein Was ser he raus, es klap pert nur dort un ten, als sei ne Mut ter den Pum pen schwen gel be wegt. Was sie ir ri tiert, das sieht er. Über dem Haar trägt sie ein rot ka rier tes Tuch, und jetzt fährt sie mit den Fin gern da run ter und reibt sich die Stirn, die schon ganz zer sto chen ist.

»Ha ben wir noch was zu trin ken?«Er schüt telt den Kopf. Er weiß, dass sie nichts mehr ha ben:

Je den Trop fen hat er gie rig aus ge trun ken.Sie ver schwin det in der Hüt te, und als sie zu rück kommt,

hat sie ei nen Topf in der Hand. »Komm«, sagt sie und klet-tert über den Holz zaun.

Die Tan nen zwei ge, die sie zur Sei te schiebt, sind grau braun und ver trock net und se hen aus, als wür den sie so fort bre chen. Als er den Fuß auf ei nen di cken Ast setzt, der tief im Moos steckt, schnellt das an de re Ende hoch. Das über rascht ihn, es ist, als wür de der Ast den Kopf he ben, um zu se hen, wer da kommt und stört.

Ein dunk ler Was ser spie gel glänzt hin ter den rau en Baum-stäm men. Rund he rum ste hen Gras bü schel mit lan gen Hal-men. So gar in dem Wald see sind sie zu se hen. Der Him mel schwimmt da rin, weiß zwi schen den Wi der ha ken der Tan-nen spit zen.

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Sei ne Mut ter geht in die Knie und drückt den Topf ins Was-ser. Sol len sie das wirk lich trin ken?

»Du wirst schon se hen«, sagt sie nur. Den Topf trägt sie in ei ner Hand, ach tet nicht da rauf, dass er über schwappt, und auch er fin det das nicht so wich tig, er denkt oh ne hin nicht im Traum da ran, die ses Was ser zu trin ken.

In dem Pum pen kopf ist ein Spalt, und in den kippt sie das Was ser aus dem Topf. »Man muss die Man schet te be feuch-ten«, er klärt sie, zieht den Pum pen schwen gel hoch und drückt ihn wie der hi nun ter. Das macht sie lang sam, kon zent riert, was die Sa che für ihn so span nend macht, dass er nicht wei ter nach fragt.

Zu erst ras selt es nur wie zu vor, doch dann ist ein Seuf zer zu hö ren, dann ein Zi schen. Ist das ein gu tes oder ein schlech-tes Zei chen? Er weiß es nicht, sieht nur sei ner Mut ter zu, die wei ter pumpt. Sie ver zieht ein we nig das Ge sicht, aber es ist un mög lich zu er grün den, was sie denkt.

Eine rost brau ne Brü he wird hoch ge hus tet, aber je län ger der Pum pen schwen gel wei ter ar bei tet, umso kla rer wird das Was ser, und es schießt in ei nem kräf ti gen Strahl aufs Gras. Es ist gelb, eis kalt und schmeckt muf fig, und der Jun ge glaubt, es liegt da ran, dass sie das schmut zi ge Wald was ser in den Spalt ge kippt hat.

»Weißt du, was dein Opa mal ge macht hat?«, fragt sie und hängt ei nen Plas tik ei mer un ter den Hahn. Sie lä chelt ihm ge-heim nis voll zu.

Der Jun ge schüt telt den Kopf.»Er hat in eine Bier do se ge pin kelt und das dann in so eine

Pum pe ge kippt.«War das ihr Ernst?Sie lacht. »Ek lig, oder?«

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Der Jun ge ist ver wirrt, sieht nur den Ei mer an. Als das Was-ser da rin steigt, wird das Plas tik dun kel.

Sei ne Mut ter pfückt Blu men und stellt sie in eine Vase. Die Vase kommt auf den Tisch. Die Blu men duf ten stark nach Kräu tern, sie hei ßen Ka mil len. Der Jun ge sieht, dass auf den Blät tern win zig klei ne In sek ten krab beln, aber sie sagt, das macht nichts. Ei ni ge In sek ten fal len auf den Tisch, und um sie auf der Ma se rung der Holz plat te er ken nen zu kön nen, muss er den Kopf schräg le gen und ganz dicht he ran ge hen. Die Klei-nen ha ben es ei lig. Er ver sucht, sie auf zu hal ten oder die Rich-tung zu än dern, doch es ge lingt ihm nicht.

»Weißt du, wie klein die sind?«, fragt er.»Na, die sind si cher win zig, win zig klein.«»Die sind so win zig klein, wenn du sie be rührst, dann ster-

ben sie.«

Spä ter am Abend lie gen sie in dem Eta gen bett un ter ei ner Bett de cke mit ei nem Mus ter aus gro ßen Fan ta sie blu men und Stie len, die sich in ei nan der ver schlin gen. Sie ha ben ein In sek-ten fens ter ein ge setzt, ein Hand tuch als Gar di ne auf ge hängt, und die gan ze Hüt te ist vom Ge sang der Gras hüp fer er füllt.

»Hörst du das?«, füs tert sie in sei ne Lo cken. »Es klingt, als wä ren sie hier drin nen, fin dest du nicht? Als sä ßen sie hier drin nen und sän gen für uns.«

Der Jun ge nickt. Dann fragt er nach den Senn hüt ten, von de nen sie im Auto er zählt hat. Wo sind die?

»Im Wald.«»Kön nen wir dort hin ge hen?«»Mal se hen.«

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Im Lauf der Nacht setzt Re gen ein. Im Däm mer licht wa chen sie da von auf, dass er auf das Blech dach trom melt. Es reg net ohne Un ter lass.

Jetzt sind nicht mehr die Gras hüp fer in der Hüt te, son dern es ist der Re gen, er pras selt in ei nem fort, und es fühlt sich merk wür dig an, dass sie nicht nass wer den. Die Re gen rin ne läuft über, und ein har ter Strahl er gießt sich vom Gie bel ins Gras. Drin nen ist es kalt ge wor den.

»Mama, es reg net.«»Siehst du ir gend wo mei ne Bril le?«Auf dem Sta pel mit Co mic heft chen ne ben ih rem Bett liegt

sie. Er streckt den Arm da nach aus. Die Bü gel be ste hen aus durch sich ti gem Plas tik, und die Glä ser sind groß wie Un ter-tas sen. Sie setzt sie auf und knufft ihn, so dass er fast aus dem Bett fällt. Es kommt zu ei nem Ring kampf. Sei ne Mut ter johlt, weil er sie un ter dem war men Nacht hemd zwickt. Sei ne Hän-de sind Kreb se.

»Eis kreb se!«

In den Aschen be cher fal len die Re gen trop fen mit sol cher Wucht, dass das Was ser da rin zu bro deln scheint. Jetzt kocht die Hexe ihre Sup pe, denkt er. Er hockt sich auf ei nen Stuhl und zieht den Pul lo ver über die Knie. Er war tet aufs Früh-stück. Wie der fragt er nach den Senn hüt ten. Sind sie weit weg?

»Das müs sen wir an ei nem an de ren Tag ma chen«, sagt sie. Sie ha ben kei ne Re gen sa chen da bei.

Er wi der spricht, er hat doch sei ne Gum mi stie fel mit ge-bracht. Er me ckert, bis sie ihm übers Haar streicht. Ihr di-cker brau ner Pony hängt über die gro ße Bril le. Von ih rer Stirn ist nichts zu se hen.

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Sie es sen kal te Ha ge but ten sup pe und Mar ga ri nen bro te.»Fe ri en brot«, sagt sie.»Fe ri en not«, sagt er.An schlie ßend spie len sie Kar ten. Schlau er Fuchs. Er ist ein

Meis ter da rin. Es geht da rum, die gan ze Zeit kon zent riert da-zu sit zen und die Hand zu he ben, ohne dass der an de re es be-merkt. Des halb heißt es Schlau er Fuchs: Man muss ein Fuchs sein, lis tig und schnell. Sei ne Mut ter hat das nicht ver stan den, sie hat das Kinn auf ge stützt und be trach tet in al ler See len ru he die Kar ten, die um ge dreht wer den. Sie hat kei ne Chan ce. Ein ums an de re Mal tri um phiert er, schlägt mit der Hand fach auf den Tisch und be ki chert sei ne Beu te.

Am Ende gibt sie auf, steht vom Tisch auf und ver zieht sich mit ei nem Buch aufs Sofa. Sie hat ei nen gan zen Sta pel Bü cher da bei. Sie stellt die Füße auf die Arm leh ne und krümmt die Ze hen. Auf den Ze hen nä geln sind noch Res te ro ten Lacks. Sie trägt eine Hals ket te, und wäh rend sie liest, dreht sie die Ket te hin und her, so dass ein Scha ben zu hö ren ist.

In dem Bol ler ofen ist eine Luke, und dort hi nein stopft er sei ne Fi gu ren. Er kniet sich hin, lässt die Ofen tür quiet schend auf und zu ge hen und ruft mit piep sen der Stim me, der Ofen ist ein Ge fäng nis, und die Fi gu ren wol len nicht ein ge sperrt sein, es ist schreck lich da rin. Dun kel ist es, und es gibt nur Asche zu es sen. Aber das ha ben sie sich selbst zu zu schrei ben. Goo-fy ver sucht zu fie hen, wird aber noch am Holz korb ent deckt und un ter lau tem Pro test ge schrei zu rück in die Zel le ge führt.

Sei ne Mut ter lacht über ihn. Das mag er nicht, des halb schweigt er lie ber.

Im Lauf des Vor mit tags hört es auf zu reg nen. Jetzt könn ten sie doch raus ge hen und nach den Senn hüt ten su chen! Aber

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sei ne Mut ter schüt telt den Kopf. Im Wald reg net es im mer noch, sagt sie. Es tropft von den Bäu men. »Wir sind im Nu klitsch nass«, sagt sie und blät tert eine Sei te um. »Aber wenn du willst, kannst du drau ßen spie len.«

Er reibt sich Stirn, Wan gen und Hand rü cken mit Mü cken-mit tel ein, auch die Fin ger. Selbst die Är mel be kom men et was ab und auch die Jeans. Si cher heits hal ber. Dann schlüpft er in sei ne Gum mi stie fel, zieht sich die Ka pu ze über den Kopf, öff-net die Tür und schließt sie hin ter sich schnell wie der.

Das Grund stück ist nicht groß, nur ein klei ner Fle cken im Wald, den hat er schnell er forscht. Die Tür zum Holz schup pen steht of fen, da rin hängt eine grau wei ße Ku gel. Ein Wes pen-nest. Es scheint un be wohnt zu sein, aber er traut sich nicht, es ge nau er zu un ter su chen.

In ei nem an de ren Ver schlag fin det er ein Kro cket spiel. Von der Ku gel ist die Far be ab ge blät tert. Mit ei nem Schlä ger in der Hand läuft er zu rück zur Ter ras se, klopft ans Fens ter und zeigt sei ner Mut ter, was er ge fun den hat. Aber sie will nicht spie len, schüt telt nur den Kopf, und als er die Tür öff net, sagt sie: »Nicht jetzt.« Und als er quen gelt: »Mach die Tür zu!«

Der Jun ge schlägt die Holz ku gel ins Ge strüpp hin ter dem Bret ter zaun. Als er den Schlä ger in den Busch schiebt, an gelt er eine an de re Ku gel her vor. Sie hat fast gar kei ne Far be mehr, könn te aber frü her ein mal grün ge we sen sein. Viel leicht hat te die Ku gel dort ihr Ver steck.

Der Ver schlag gibt noch mehr her: In ei nem ka put ten Plas-tik korb fin det er eine Fris bee schei be, und da run ter liegt ein zu sam men ge fal te ter Was ser ball. Er will ihn auf bla sen, schafft es aber nicht, also läuft er wie der zu sei ner Mut ter. Un ge dul-dig war tet er da rauf, dass sie ihn auf pus tet. »Mir wird da von ganz schwind lig«, sagt sie.

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Wie der drau ßen tritt er den blau-wei ßen Was ser ball in die Luft. Viel mehr ist da mit nicht an zu fan gen. Auch die Fris bee-schei be pro biert er aus, aber er schafft es nicht, sie rich tig weit zu wer fen. Ganz gleich wie sehr er sich be müht, sie will im mer nur im Gras he rum rol len.

Das Schwei gen, das der Re gen mit sich ge bracht hat, liegt noch im mer über dem Wald, doch aus der dich ten, schrof fen Tan nen wand ist ver ein zel tes, ver hal te nes Flüs tern zu hö ren. Vor sich tig be tritt er den Weg und ver sucht, Vö gel aus zu ma-chen, aber die Tan nen ge ben nichts preis.

Es tropft, si ckert, tropft. Die was ser glän zen den Pfan zen leuch ten, sie schei nen sich ihm ent ge gen zu re cken. Hier und da sind ro sa ro te Strei fen zu se hen. Die Pfan zen hei ßen Fuchs-schwanz, das weiß er. Den Na men kann man sich leicht mer-ken.

Er nimmt an, dass er bald beim Auto an kommt; der scho ko-brau ne Lack wird zwi schen den Bäu men auf blit zen. Er weiß al ler dings nicht, was er dort tun soll. Viel leicht nur durch die Fens ter gu cken und wie der zu rück ge hen.

Er ent deckt ei nen Was ser gra ben, der un ter dem Pfad her-vor kommt und dann zwi schen den Bäu men wei ter ver läuft. Das Was ser ist ganz grün, man kann den Grund nicht se hen, aber er scheint nicht tief zu sein. Der Jun ge fragt sich, wo hin der Was ser lauf führt, und be schließt, ihm zu fol gen.

Der Un ter grund, auf dem er vo ran stol pert, ist un e ben. So gut es geht, setzt er die Füße dort hin, wo es nicht all zu holp rig und rut schig ist. Mit klei nen Sprün gen auf Baum stümp fe und Stei ne kommt er gut vo ran. Mit der Ka pu ze über den Oh ren hört er nicht viel, nur die Zap fen und Zwei ge, die un ter sei-nen Gum mi stie feln zer bre chen, und den Wind.

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Eine Senn hüt te ist ein schlich tes Holz haus – so viel weiß er schon. Heu te wohnt dort kei ner mehr, schon seit Lan gem nicht mehr, aber frü her, da wohn ten dort Tie re. Al lein.

Ein Haus mit Tie ren. Wie sieht so ein Haus aus? Hat es Fens ter? Ste hen die Tie re da drin nen und schau en ge lang-weilt aus dem Fens ter? Schon ko misch, sich das vor zu stel-len. Er ist sich si cher, dass Tie re sich oft lang wei len. Aber sie sind es be stimmt so ge wöhnt, dass sie gar nicht mehr da rü-ber nach den ken.

Ab und zu ver schwin det der klei ne Was ser lauf hin ter Ge-strüpp und stör ri schen Bü scheln hoch ge wach se nen Gra ses. Die Gras hal me klat schen ge gen sei ne Stie fel und die Hose, die schon bald so nass ist, dass sie ihre Far be än dert. Au ßer dem klebt sie an der Haut. Sei ne Mut ter hat te recht, er über legt, ob er lie ber um keh ren soll. Doch ein Holz steg bringt ihn auf an de re Ge dan ken. Ein paar mor sche Bret ter, auf die je mand quer Stö cke ge na gelt hat. Ist das die Brü cke zu den Senn hüt-ten? Sind hier die Tie re hi nü ber ge gan gen?

Mit kal ten Fü ßen steht er eine Wei le zö gernd da vor.Das Was ser un ter dem Steg ist erb sen grün. Es sieht gif tig

aus. Ein Tan nen zap fen schwimmt da rin. So kann es kom men, wenn man nicht auf passt. Das weiß er. Ei ner, der ru hig mit dem Ge sicht nach un ten treibt. Ein Er trun ke ner.

Mit ei ner Hand am Ge län der geht er hi nü ber. Er sieht vor sich, wie sei ne Mut ter die Lip pen be wegt, doch da ist er be-reits auf dem Weg hi nein in das Gras meer auf der an de ren Sei-te. Es steht so hoch, dass er schier da rin ver sinkt. Der Wind wiegt die Hal me, drückt sie an ei nan der und er zeugt füs tern-de Wel len.

Wie ein Tier be wegt er sich im Gras. Wie eine Wühl maus, denkt er. Nichts kann er se hen, nur grü ne Strei fen, die sich an-

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ei nan der rei ben. Er hebt die Hän de, teilt das ra scheln de Ge-we be, das vom Wind durch spült wird. So fühlt sich also eine Wühl maus. Ge nau so.

Er zieht ein Ohr un ter der Ka pu ze her vor und lauscht dem Sau sen der Gras hal me. Ein paar mal blin zelt er in Rich tung Son ne. Mü cken be merkt er nicht. Sie se hen wohl kei nen Sinn da rin, hier drau ßen he rum zu fie gen.

Er geht im mer tie fer ins Moor hi nein. Wenn er Was ser vor sei nen Fü ßen sieht, tritt er ein Stück zur Sei te. Das Sump fi ge mag er nicht. Manch mal blei ben die Stie fel ste cken, als wür-de sich die Erde an ih nen fest sau gen, und als er fast aus ih nen her aus rutscht, gibt er auf und will zu rück ge hen. Aber statt zu dem Steg zu rück zu keh ren, geht er quer hi nü ber auf ein paar Bir ken zu, die er von Wei tem ge se hen hat, und schon be fin det er sich wie der im Wald.

Jetzt geht er auf ei nem Tep pich aus bau chi gem, wei chem Moos. Das Moos will über all hin, es kriecht so gar die Baum-stäm me hi nauf. Selbst auf den Stei nen liegt es, und es macht sie ganz ku ge lig. Er fin det, das sieht schön aus.

Die Zwei ge brei ten sich wie ein Dach über ihm aus, so dass er nichts von ir gend wel chem Re gen spürt, und der Wind, der eben noch durch das rie sen haf te Gras ge fah ren ist, ge langt hier nicht hin.

Es ist ver blüf fend still. Wirk lich merk wür dig, wie still es ist. Nichts rührt sich, nicht ein mal die kleins ten Blät ter an den Bü-schen und auch nicht die Gras spit zen. Die Bäu me ste hen dicht bei ei nan der. Nur schma le Licht strei fen fal len auf den Bo den.

Er geht tie fer in den Wald hi nein. Bahnt sich sei nen Weg. In ei ner der Tan nen spit zen hän gen Bün del gelb brau ner Zap fen. Er hat noch nie Zap fen an ei nem Baum ge se hen, im mer nur am Bo den. Sie se hen aus wie Vö gel, fin det er. Er hebt ei nen

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Tan nen zap fen auf und wirft ihn hi nauf in Rich tung Baum kro-ne, doch all zu hoch schafft er es nicht. Er nimmt klei ne Äste und Rin den stü cke. Aber schnell ist er das Wer fen leid, kratzt sich an der Wan ge, spürt, dass er lang sam Hun ger be kommt. Er ist schon ziem lich lan ge fort.

Ein paar blau schwar ze Ku geln glän zen im Ge büsch, er bückt sich da nach. Er kann nur ein paar Bee ren pfü cken, be vor die Mü cken es un ter die Ka pu ze schaf fen. Un er müd lich fie gen sie ihm ins Ge sicht, an die Wim pern und Lip pen und jau len ihm laut in die Oh ren. Das Ge räusch ist fast das Schlimms te, es ist ge nau so scharf wie ihre Stech rüs sel. Doch so bald sie den Ge-ruch des Mü cken mit tels wahr neh men, mit dem er sich ein ge-rie ben hat, fie gen sie da von. Euch zeig ich’s, denkt er.

Am Bo den gibt es viel zu ent de cken. Dort liegt al les Mög li-che wie tot da, und nie mand küm mert sich da rum. Ein Baum ist um ge stürzt, auf ge platzt und in nen hell rot wie Fleisch, und ein Stück wei ter sieht er ei nen ver rot te ten Bir ken stamm, der aus ei nan der ge fal len ist. Die Bir ken rin de liegt drum he rum wie Scher ben ei ner Ke ra mik scha le. Er legt die Stie fel spitze an und tritt vor sich tig zu. Die Bir ke ist ganz weich.

Ein an de rer Baum stamm ist über sät mit schei ben för mi gen gel ben Baum pil zen, die aus se hen wie Oh ren. Er ver sucht, sie zu zäh len. Wie vie le Oh ren kann man ei gent lich ha ben? Als die Mü cken ihm wie der ins Ge sicht fie gen, ver liert er den Fa den.

Ein aus ge höhl ter Baum stumpf sieht aus wie ein in die Hei-del beer sträu cher ver senk ter Krug. Ein Kranz aus Moos um-gibt die Öff nung. Der Jun ge schaut in den Stumpf hi nein, aber er sieht nur Näs se und ver kleb te Tan nen na deln. Er wür de gern die Hand hi nein ste cken, viel leicht schläft dort eine Maus oder eine gan ze Mäu se fa mi lie. Aber er traut sich nicht recht.

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Tief im Wald glei tet ein Vo gel laut los von ei nem Baum zum an de ren. Er sieht ihn aus dem Au gen win kel, und so fort springt er auf, läuft wei ter und fängt an zu sin gen und mit lei-ser, scher zen der Stim me zu re den. Angst hat er nicht, im Wald gibt es nichts, wo vor man Angst ha ben muss, das hat sei ne Mut ter ihm ver si chert. Kei ne Wöl fe, kei ne Bä ren, nichts, was ihn fres sen will. Bis auf die Mü cken.

Doch als gleich ne ben ihm ein ent wur zel ter Baum auf-taucht, kit zelt es ihn doch im Bauch, denn fast meint er, ein Greis steht da und war tet auf ihn. Ein ge sichts lo ser Wald-schrat. So ei ner, der nicht zur Sei te weicht.

Der ent wur zel te Baum sieht an ders aus als al les an de re. Breit und un för mig, un ver rück bar und dun kel. Nach ei ner Wei le traut er sich nä her he ran. Die auf ge bro che ne Rück sei te ist über wu chert von fä dri gen Wur zeln, und am Bo den klafft ein Loch, das von Farn kraut be deckt ist. Zwi schen den Blät-tern ist es pech schwarz. Dort un ten wohnt je mand, des sen ist er sich si cher. Viel leicht ein Dachs. Dach se le ben un ter der Erde. Sie ha ben klei ne Au gen und sind mür risch. Kom men nur nachts he raus, um zu wüh len und zu füs tern.

Wäh rend er noch da steht und in das Loch un ter dem ent-wur zel ten Baum starrt, knackt es. Ein lei ser, schlei chen der Schritt ganz in der Nähe.

Er schiebt die Ka pu ze nach hin ten, um bes ser se hen zu kön nen. Sein Blick wan dert zwi schen den rau en, schup pi gen Stäm men hin und her. Da ist et was, er ist sich si cher.

Er macht ei nen klei nen Schritt zur Sei te, wäh rend er gleich-zei tig den Hals reckt, um zu se hen, was sich hin ter dem um ge-kipp ten Baum be fin det. Viel leicht ist der Dachs he raus ge kom-men und ver är gert, weil er sei nen Bau ge fun den hat? Kaum traut er sich nach zu se hen.

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Eine Be we gung. Ein grau brau ner Fell strei fen.Da läuft er los.Er läuft auf das Licht zu, dort hin, wo der Wald hel ler wird.

Ge strüpp peitscht ge gen sei ne Gum mi stie fel. Er folgt dem Wald rand. Stol pert und strau chelt.

Erst als er den Weg er reicht hat, wagt er es, ste hen zu blei-ben und sich um zu se hen. Er schlägt auf die Mü cken ein. Sei-ne Angst scheint sie an zu zie hen.

Als er he rein stürzt, liegt sei ne Mut ter im mer noch mit dem Buch auf dem Sofa. Mit ei ner schar fen Fal te zwi schen den Au gen brau en sieht sie ihn an. Das Buch hat sie um ge schla-gen, so dass sie es mit ei ner Hand hal ten kann. Um die Fin ger der an de ren Hand hat sie die Hals ket te ge wi ckelt. Die Ket te schnei det ihr am Hals in die Haut.

Sie fragt ihn, wo er ge we sen ist, und als sie sieht, wie durch-nässt er ist, legt sie das Buch bei sei te und hilft ihm aus der Ja cke. Sein Haar steht in feuch ten Sträh nen vom Kopf ab, der Pul lo ver ist am Bauch hoch ge rutscht, er schiebt ihn ei lig zu recht, wäh rend er be rich tet. Dass er ein Tier ge se hen hat.

»Was für ein Tier?«»Ein Tier!«Mit fes ter Hand zieht sie ihm die Gum mi stie fel aus. Die

Strümp fe sind vorn un ter den Bal len zu sam men ge rutscht und trief nass, die Füße ganz rot. Sie seufzt.

Um die Jeans aus zie hen zu kön nen, muss er sich hin le gen, und sie zerrt an den Ho sen bei nen, aber der nas se Stoff klebt an sei nen Bei nen.

»Run ter da mit!«»Es geht nicht!«, ruft er und ki chert, steht wie der auf und

tram pelt die Hose hi nun ter.

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Sie hebt sie auf und fragt ihn, ob er ba den war. Er ist doch wohl nicht am See ge we sen?

Aus der Rei se ta sche, die of fen auf dem Bo den steht, an gelt er eine tro cke ne Un ter ho se mit Mo tor rä dern und feu er spei en-den Hot-Rod-Au tos, und nach dem er sie an ge zo gen hat, klet-tert er aufs Sofa und schlüpft un ter die De cke. An sei nem Bein fühlt sich der Reiß ver schluss des Be zugs an wie kal te Me tall-zäh ne. Der So fa be zug ist rau auf der Haut, doch da, wo sei ne Mut ter ge le gen hat, ist es warm.

Sie stopft Zei tungs pa pier in die Stie fel und hängt sei ne Klei-dung auf.

Er will von dem Tier er zäh len. Dass es grau war. Aber was für ein Tier war das? Sein Mund steht of fen, wäh rend er über-legt. »Es könn te ein Luchs ge we sen sein.«

Sei ne Mut ter schüt telt den Kopf. »Das glau be ich nicht.«»Dann ein Wolf?«»Si cher nur ein Vo gel. Es sind fast im mer Vö gel.«»Nein. Das war kein Vo gel. Vö gel ha ben kein Fell.«Sie setzt sich zu ihm. Mit dem Zei ge fin ger schiebt sie ihm

eine Haar sträh ne aus der Stirn und zupft ihm ein paar Tan-nen na deln aus dem Haar.

Die Fuchs schwän ze un ten an der Lei ter sind vom Re gen zu Bo den ge drückt wor den. Al les ist zu sam men ge presst, sieht an-ders aus, saf tig glän zend. Es reg net im mer noch ein biss chen, au ßer dem ist Wind auf ge kom men. Das er kennt man an den schau keln den Tan nen und an den Laub bäu men, die im Licht fim mern, und ab und zu kommt eine Wind böe, die Re gen-trop fen ge gen das Fens ter weht. Der blau-wei ße Was ser ball wird drau ßen he rum ge trie ben, er weiß nie, wo er ge ra de ist.

Auf der Fens ter bank lie gen tote In sek ten. Sie sind zu sam-

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men ge kro chen, um zu ster ben. Vor al lem sind es Flie gen, aber auch Wes pen, die ganz sprö de ge wor den sind. Ein Schmet ter-ling mit ge schlos se nen Flü geln, wie ein Buch zu sam men ge-klappt. An sons ten kann man nicht er ken nen, dass er tot ist, sei ne Far ben sind noch alle da. Der Jun ge hat sei ne Mut ter ge fragt, wie der Schmet ter ling heißt, aber kei ne gute Ant wort be kom men.

»Ein Pfau en au ge viel leicht. Oder ein Klei ner Fuchs, ich weiß nicht.«

Er reckt sich nach ei ner klei nen Bir ken rin den do se, die auf dem Tisch steht. Dass sie leer ist, weiß er, trotz dem sieht er hi nein. Dann hat er eine Idee. Er nimmt den Schmet ter ling. Ganz vor sich tig ist er, und als er den De ckel zu ge macht hat, schüt telt er die Dose und lauscht dem Ge räusch.

Die Dun kel heit hat den Wald ein ge nom men, und um die ku-gel för mi ge Lam pe ne ben der Tür fat tern Nacht fal ter. Sie pras seln ge gen die Licht ku gel, sind wie ver hext von ihr, es scheint, als ver such ten sie hi nein zu kom men. Der Jun ge steht mit der Zahn bürs te in der Hand da vor und will die Nacht fal-ter zäh len, aber er schafft es nicht. Nur ein Ein zi ger rührt sich nicht. Er sitzt an der Wand, ein bräun li ches, klei nes Drei eck. Die Flü gel se hen haa rig aus. Der Jun ge fragt sich, wa rum die-ser Schmet ter ling so ru hig ist und die an de ren so wild. Viel-leicht schläft er ja. Ob wohl es Nacht ist. Der ist nicht wie die an de ren, über legt er sich. Nicht im mer sind alle wie alle an-de ren.

Sei ne Mut ter steht vorn ü ber ge beugt da, eine Hand auf dem Ge län der. Sie sieht ihm über die Schul ter. »Putz dir jetzt die Zäh ne«, sagt sie, nimmt selbst die Zahn bürs te aus dem Mund und spuckt weiß ins Gras.

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Sie knipst das Licht an. »Aber nur kurz.«Er nickt.Sie liest aus dem Co mic vor, aber mit ten in ei ner Sprech bla-

se ver stummt sie, weil der Jun ge den Kopf ge ho ben hat und mit of fe nem Mund zum Fens ter starrt. »Ich hab was ge hört.«

Sei ne Mut ter stützt sich auf die El len bo gen und lauscht. Gras hüp fer sin gen. Im Schat ten des E ta gen betts sieht ihr Ge-sicht bleich aus, und die Au gen wir ken wie dunk le Scha len. Ihre Lip pen ha ben sich ge öff net. Dann sinkt sie wie der aufs Bett zu rück. »Da ist nichts.«

Das will der Jun ge nicht glau ben. Er springt auf und zieht das Hand tuch, das sie als Gar di ne vors Fens ter ge hängt ha-ben, zur Sei te. Er legt die Hand auf das Mü cken netz, reckt den Hals und sieht den Weg hin ter den schwar zen Rip pen des Holz zauns hi nun ter.

»Es klang, als wäre da drau ßen je mand vor bei ge gan gen. Je mand Gro ßes.«

Sei ne Mut ter hat den Kopf aufs Kis sen ge legt. »Da ist nichts«, sagt sie noch ein mal.

Er kriecht wie der un ter die De cke. Aber er liegt an ge spannt da. Und lauscht.

»Soll ich wei ter le sen?«Er schnaubt und nickt.

Nach dem sie die Lam pe aus ge schal tet ha ben, ra schelt es lei se auf dem Dach. Es reg net, be hut sam, wie zur Pro be.

Au ßer dem hört er, dass eine Mü cke im Zim mer ist, aber sie scheint nicht zum Bett zu fin den. Im mer wie der wird es ganz still. Er nimmt an, dass sie ab war tet.

»Mama«, sagt er, hört je doch an ih rem Atem, dass sie schläft.

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Auf dem Fuß bo den zit tert ein Split ter Son nen licht, er wächst zu ei ner ge bo ge nen Scher be, die wü tend in alle Rich tun gen hackt, wenn die Hand tuch gar di ne sich be wegt.

Er liegt auf dem Bauch und be trach tet den Co mic sta pel, be-vor er die Hand aus streckt und das obers te Heft auf schlägt. Pel lef ant.

Der Dum me in den Ge schich ten heißt Fi lur. Er ist Zau be-rer. Es gibt auch eine Maus, Pip. Sie sieht aus wie die Haus-maus in der Zeit schrift Bamse und sitzt meis tens auf Pel le-fants Müt ze, die ei gent lich gar kei ne Müt ze ist, son dern eine gel be Zier de cke mit ro ten Trot teln. Pel lef ant hat so eine De-cke auch auf dem Rü cken.

Er guckt sich auch noch ei nes der an de ren Heft chen an, die alle lang wei lig schwarz-weiß sind. Die ses Heft han delt von Cow boys. In den Käs ten sind Ge sich ter mit zu sam men ge knif-fe nen Au gen. Die Wor te kom men zwi schen auf ei nan der ge bis-se nen Zäh nen her vor. An ei ner Stel le knal len die Re vol ver. Ei-ner stirbt. Ster ben scheint ziem lich weh zu tun. Mit ei ner Hand auf dem Bauch, krümmt sich der Er schos se ne, die Fin ger sind zu ei ner Klaue ge bo gen.

Nach dem er den Co mic durch ge blät tert und die Bil der auf der letz ten Sei te be trach tet hat, die an kün di gen, wo von die nächs te Num mer han deln wird, stapft er ins Wohn zim mer.

Vor dem Fens ter nimmt er eine Be we gung wahr. Es ist sei-ne Mut ter. Ihr Haar glänzt wie ein po lier ter Bot tich im Mor-gen licht. Sie beugt sich vorn ü ber.

Als er die Tür auf drückt, rich tet sie sich schnell wie der auf.»Was machst du da?«Sie trägt eine gro ße Ja cke. Eine Hand steckt in ei nem Ar-

beits hand schuh. »Ich glau be«, sagt sie, »hier ist ir gend wo eine Fle der maus. Eine tote.«

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»Eine ech te?«, fragt er und kommt nä her.Er ist es, der sie fin det. Das klei ne Tier hängt im Gras, es ist

nicht schwer ge nug, um zu Bo den zu rut schen, sitzt fest, wird von brau nem Laub ge hal ten. Er hat noch nie zu vor eine Fle-der maus ge se hen. Dass sie so klein ist, hat er nicht ver mu tet. Der Flü gel en det in ei ner merk wür dig lan gen, ge krümm ten Klaue, und an der hebt sei ne Mut ter sie hoch. Als sie den Flü-gel au sein and er zieht, ist die Haut fal tig und von fa den dün nen Adern durch zo gen. Auch die ei gen ar tig ver grö ßer ten Aug äp fel sind von die ser Haut be deckt. Sie wirkt alt.

»Sie hat ei nen Ring«, stellt er fest.Die Mut ter hält die Fle der maus hoch, und der dün ne Flü-

gel glänzt, als das Son nen licht ihn trifft. Im Ohr der Fle der-maus fun kelt ein klei ner Sil ber ring. Sie be rührt ihn vor sich tig mit dem Zei ge fin ger.

»Wa rum hat sie ei nen Ring?«»Ich weiß es nicht«, ant wor tet sie nach denk lich. Sie nimmt

den Ring zwi schen zwei Fin ger und mus tert ihn. »Die muss ir gend wie mar kiert sein …«

»Wa rum ist sie tot?«Er be kommt kei ne Ant wort auf sei ne Fra ge.»Wa rum ist sie tot, Mama?«, fragt er wie der.Sie be trach tet noch im mer den Ring und sagt dann ge dan-

ken ver lo ren: »Sie ist ges tern Nacht mit mir zu sam men ge sto-ßen. Als ich raus ge gan gen bin zum Pin keln. Sie ist ge gen mich ge fo gen, hier«, sagt sie und tippt sich an die Schlä fe. Dann lässt sie den Ring los und hält die Fle der maus, als woll te sie ihm zei gen, wie sie schla fen. »Sie war si cher ver wirrt durch das Nacht hemd«, sagt sie. »Fle der mäu se wer den durch hel le Far ben an ge zo gen. Sie hat sich in mei nem Haar ver fan gen, da habe ich sie weg ge ris sen und von mir weg ge wor fen. Di rekt ge-

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gen die Wand. Und da ran ist sie ge stor ben. Sie ist ja so klein, ich woll te sie nicht tö ten, ich woll te sie nur los wer den.« Sie be wegt die Hand, so dass die Fle der maus auf und ab hüpft. »Sol len wir sie be gra ben?«

Der Jun ge geht ganz dicht an das häss li che klei ne Ge sicht he ran. Tief in den zu sam men ge zo ge nen Fal ten glän zen zwei schwar ze Au gen per len. Die Zäh ne in dem of fe nen Maul se-hen aus wie Glas sta cheln.

Er schüt telt den Kopf.»Si cher?«Er nickt.Sei ne Mut ter geht über den Ra sen und wirft die Fle der-

maus zwi schen die Brenn nes seln. An schlie ßend pumpt sie Was ser he rauf, wäscht sich und trock net sich die Hän de an dem Nacht hemd, das un ter der al ten Ja cke her vor lugt.

Sie früh stü cken drau ßen. Im Son nen schein, so dass man blin-zeln muss. Sie müs sen auf pas sen, sagt sei ne Mut ter und brei tet eine De cke aus. Das Gras ist so hart, dass es die De cke hoch-drückt, und sie tram peln es nie der, da mit es schön glatt ist. Die Mü cken, die im Licht her um schwir ren, stö ren sie nicht, es sind nicht vie le.

Es gibt Kas ten weiß brot und eine Tube Streich ka vi ar. Sie es sen Schei be um Schei be und se hen ei nan der an. Er kau ert auf den Un ter schen keln, sie sitzt im Schnei der sitz, das Son-nen licht wie eine Ban de ro le über ei nem ih rer Knie. Der Jun ge trägt eine Base ball kap pe, um sein Ge sicht vor der Son ne zu schüt zen. NORD SJÖ FÄRG, steht da rauf.

Zwi schen zwei Bis sen er zählt sie ihm, dass die Mü cken sei-ner Oma nichts an ha ben konn ten. Weil sie näm lich ein mal im Wald Blau bee ren ge pfückt hat te und der art von Mü cken

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zer sto chen wor den war, dass sie da von erst ho hes Fie ber be-kam und fast durch dreh te. Doch nach die sem Tag war sie da-ge gen im mun.

Wie ist das mit Fle der mäu sen, will er wis sen, kann man ge-gen die auch im mun wer den?

Sie er klärt ihm, dass Fle der mäu se kein Blut sau gen.»Das ma chen sie nur im Mär chen«, sagt der Jun ge, »oder?«»Ja, und nicht in Schwe den.« Mit der Fin ger spit ze wischt sie

sich ein we nig Ka vi ar creme von der Ober lip pe. »Die Fle der-mäu se hier, die fres sen nur alte Schmet ter lin ge und so.«

Die se In for ma ti on ent täuscht den Jun gen, schließ lich hat er die spit zen Fle der maus zäh ne mit ei ge nen Au gen ge se hen. Wie Na deln. Er kann sich schon vor stel len, dass sie Blut sau gen kön nen, wenn sie wol len.

»Ja«, pfich tet sei ne Mut ter ihm bei, »wenn sie wirk lich hung rig sind.«

»Viel leicht bist du jetzt im mun, Mama.«»Aber sie hat mich doch gar nicht ge bis sen.«»Aber stell dir vor, wenn!«»Ja«, sagt sie mit vol lem Mund und nickt. »Dann wäre ich

es wo mög lich.«

In der Nähe gibt es ei nen Ba de platz, und jetzt, da die Son ne brennt, be schlie ßen sie, dort hin zu fah ren. Au ßer dem müs sen sie ein kau fen. Sie pa cken Ba de sa chen und Tau cher bril le in ei nen Stoff beu tel. Auf dem Weg zum Auto hält der Jun ge sei-nen Ba de man tel auf und we delt mit ihm. Er lässt die Mü cken hin ein fie gen, um sie dann tot zu schla gen.

Die Son ne hat das Auto auf ge heizt, und als er auf die Rück-bank klet tert, ist sie bren nend heiß. Er muss auf dem Ba de-man tel sit zen.

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Auf dem Bo den liegt ge streif tes Eis pa pier, und als er es ent-deckt, fällt ihm wie der das Eis ein, das er wäh rend der Fahrt be kom men hat. Ob er heu te auch ein Eis be kommt?

Sei ne Mut ter nickt, scheint ihm aber nicht rich tig zu zu hö-ren. Sie schiebt den Zünd schlüs sel ins Schloss, dreht ihn um und fährt so schnell rück wärts auf den holp ri gen Weg, dass der Jun ge auf den Sitz ge wor fen wird.

»Setz dich wie der hin«, sagt sie, und da muss er ki chern, er schau kelt von ei ner Sei te zur an de ren und will, dass sie das noch ein mal macht, aber sie schüt telt nur den Kopf und lacht ihm im Rück spie gel zu.

Bis zu der Ba de stel le ist es nicht weit, er ist über rascht, als sie schon nach kur zer Zeit auf ei nem Kies platz im Wald par ken.

Er len mit gro ßen, glän zen den Blät tern ste hen ne ben dem Ba de steg, ihre Zwei ge ra gen bis ins Was ser hi nein. Sie sind al-lein, aber ir gend je mand muss vor Kur zem hier ge we sen sein, denn im Gras am Ufer glänzt ein Berg von Schne cken häu sern. Eine klei ne Py ra mi de. Die Schne cken sind sehr klein, die Ge-häu se hauch dünn. Der Jun ge traut sich nicht, sie an zu fas sen, will nichts ka putt ma chen.

Das Was ser hat eine merk wür dig rote Far be, er ver sucht, sie in sei nen zu ei ner Scha le ge form ten Hän den ein zu fan gen, aber das Rot kommt nicht mit. Es ist nur im See, der ei gent-lich gar kein See ist, son dern ein Stück vom Dal äl ven, wie sei-ne Mut ter ihm er klärt. Sie sitzt auf dem Steg, ein Hand tuch über den Schul tern, und hält die Hand wie ei nen Son nen-schirm über die Bril le.

Mit ei nem Stock zieht er Bü schel zä hen See gra ses zu sich her, das er am Strand auf ei nen Hau fen wirft. Dann pro biert er die Tau cher bril le aus. Kann den ge well ten san di gen Grund

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se hen. Da ist auch et was, das schwimmt, Laich, wie er an-nimmt, und er ver sucht, es mit der Tau cher bril le auf zu fan gen, schafft es aber nicht.

Der La den be fin det sich in ei nem al ten Holz haus mit lee ren Wer be ta feln an den Wän den und aus ge bli che nen Mar ki sen. Er sieht ver schlos sen aus, aber sei ne Mut ter sagt, dass er ge-öff net ist. Zur Ein gangs tür hi nauf führt eine Trep pe, am Ei-sen ge län der platzt Rost ab.

Durch das Me tall git ter sieht er, dass et was Glän zen des un-ter der Trep pe liegt. Er kriecht da run ter und kniet sich in den Schutt, er fin det ei nen klei nen wei ßen Plas tik löf fel, Kip pen, Pa pier. Mün zen fin det er nicht, nur Kron kor ken. Da von stopft er sich ein paar in die Ba de man tel ta sche. »Was willst du denn da mit?«, fragt sei ne Mut ter, doch er gibt kei ne Ant wort, er hört ja, dass es ei gent lich gar kei ne Fra ge war.

Ge mein sam fül len sie den Ein kaufs korb. Er legt ei nen Ring Fleisch wurst hi nein, den sie sei ner Mei nung nach es sen soll-ten. Milch tü ten holt er auch, die sind schwer zu fin den, denn sie se hen an ders aus als zu Hau se.

Als sie in der Kas sen schlan ge hin ter ei ner al ten Frau ste-hen, die nur eine Fla sche Ho lun der saft kau fen will, legt sei ne Mut ter ihm die Hand auf den Kopf und prüft, ob sein Haar noch nass ist. »War es schön im Was ser?«, fragt sie, doch wie-der ant wor tet er nicht.

In zwi schen ist das Gras tro cken, und ei gent lich soll ten sie es mä hen, sagt sie, wäh rend sie mit der Ein kaufs tü te da steht. Dann könn ten sie spä ter Kro cket spie len. Aber erst müs sen sie die Ein käu fe rein brin gen. Da mit kann er schon mal an fan-gen, denn sie muss pin keln, sagt sie und läuft zum Plumps klo.

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Mit bei den Hän den schleppt er die schwe re Tüte die Trep-pe hi nauf. Die Luft in der Hüt te ist warm ge wor den, und er hört ein In sekt am Fens ter sur ren. Er stellt die Tüte ne ben den Kühl schrank, holt die Milch he raus, öff net die Tür. Weicht zu rück.

Sie liegt auf dem Me tall git ter ne ben der Ka vi ar tu be. Klein und haa rig, grau braun, die fal ti gen Flü gel fest am Kör per. Die ses ver schrum pel te Hun de ge sicht. Die spit zen, merk wür-di gen Oh ren.

Er stürzt so über eilt hi naus, dass die Ba de man tel zip fel auf-fat tern.

Sei ne Mut ter kommt vom Klo. Sie hat eine zu sam men ge-fal te te Zei tung in der Hand und sieht ihn fra gend an. Als er atem los und mit schril ler Stim me be rich tet, was im Kühl-schrank liegt, will sie ihm nicht glau ben. Ohne ein Wort geht sie an ihm vor bei in die Hüt te.

Sie starrt die Fle der maus an, dann wird sie wü tend. Sie schimpft und be schul digt ihn. Da bricht er in Trä nen aus, und als sie merkt, wie ver zwei felt sein Wei nen ist und wie es in Zorn um schlägt, hockt sie sich vor ihn. Sie fragt, ob er das wirk lich nicht war.

»Nein, ich war das wirk lich nicht!« Er reibt sich die ver wein-ten Au gen. Fährt mit der Hand fä che da rü ber und schluchzt.

»Gut«, sagt sie, »dann will sich wohl je mand ei nen Scherz mit uns er lau ben.«

Sie reißt ein Stück Haus halts pa pier ab und klaubt da mit die Fle der maus he raus. Geht vor die Tür und wirft sie von der sel ben Stel le aus fort, aber die ses Mal weit zwi schen die Baum stäm me. Das Pa pier löst sich und se gelt wie ein wei-ßes Blatt zu Bo den. Dann geht sie wie der hi nein, nimmt den Kühl schrank rost und schrubbt ihn mit der Spül bürs te un ter

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der Pum pe. Der Jun ge fragt, ob Blut da ran ist, be kommt aber kei ne Ant wort.

Tan nen na deln rut schen zu Bo den, als sie den Ra sen mä her vor zie hen. Über der Me tall ab de ckung liegt ein Sta pel feuch-ter, zu sam men ge drück ter Papp kar tons, und als der Jun ge sie weg nimmt, sieht er Ohr wür mer wie brau ne Fun ken da von-stie ben. »Was ma chen die hier, was ma chen die hier?«, ruft er auf ge regt und ängst lich zu gleich.

Sei ne Mut ter rüt telt am Griff des Ra sen mä hers, und als sie es im Ben zin tank gluck sen hört, beugt sie sich vor und zieht an der Start schnur. Nach ein paar Ver su chen rich tet sie sich auf und schaut mit zu sam men ge knif fe nen Au gen in die Son ne.

Der Jun ge kratzt sich an der Wan ge, wo er meh re re Mü-cken sti che hat. Als der Mo tor end lich an springt, läuft er da-von und setzt sich auf die Ter ras se. Er hält sich die Oh ren zu und be ob ach tet, wie sie die Ma schi ne durch das wild wu-chern de Gras zwingt. Es ist ein Kampf. Im mer wie der bleibt der Mo tor ste hen. Er brummt, heult auf und ver stummt. Der Jun ge muss blin zeln, die Son ne hat sich zwi schen die Baum-stäm me ge klemmt und scheint di rekt auf ihn drauf. Sei ne Mut ter geht in die Ho cke und säu bert den Ra sen mä her von un ten, und er be trach tet sei ne Knie und die fei nen Här chen, die dort wach sen. Wo Schorf war, ist die Haut jetzt hell rot und ein biss chen an ge schwol len, das kann eine Nar be wer den, hat sei ne Mut ter ge sagt. Er drückt den Dau men auf die rote Stel le, dann kratzt er sich an der Wade, bis es an fängt zu blu-ten. Er hat im mer gut auf ge passt, die Tür zu schlie ßen, aber die Mü cken kom men trotz dem he rein. An den Wa den und Knö cheln ist es am schlimms ten, da fei ern sie Fes te, wenn er

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schläft. Vor her ho cken sie auf der Ta pe te und an der De cke und ge ben sich nicht zu er ken nen. Erst in der Nacht kom men sie he run ter.

»Mag nus!«Sei ne Mut ter hat sich halb auf ge rich tet und zeigt zum Wald-

rand schräg hin ter der Hüt te, wo die Tan nen zwei ge sich in ei-nan der ver fech ten und al les ver dun keln.

Zu erst sieht er nichts. Doch dann er kennt er, dass sich da et was be wegt, und im nächs ten Mo ment kann er ei nen grau-en Schä del er ken nen. Zu rück ge leg te, knor ri ge, lan ge Oh ren. Schnurr haa re, die vom Maul hän gen wie lan ge Spei chel fä-den. Eine ver filz te, ab ge fach te Stirn, die ih nen zu ge wandt ist.

»Siehst du ihn?«, ruft sie. »Siehst du den Ha sen?«

Ein Wald tier so dicht am Haus, das ist span nend, und um den Ha sen nicht zu ver schre cken, ge hen sie hi nein. Das Ra sen-mä hen kann ru hig war ten. Viel leicht hat er ja so gar Jun ge im Gras? Jun ge, die so klein sind wie Ka nin chen?

Sei ne Mut ter öff net eine Dose mit Ge mü se sup pe und er hitzt den In halt auf dem Herd, wäh rend er an der Fens ter schei be klebt und be rich tet, wo der Hase sich be fin det und was er tut. Be son ders viel ist es nicht. Die Kie fer mah len ab und zu, aber meis tens glotzt er nur vor sich hin.

Als sie am Tisch sit zen, die Tel ler vor sich, und die Sup pe kühl pus ten, fragt er, wer das wohl war, der die Fle der maus in den Kühl schrank ge legt hat.

Sie weiß es nicht.Viel leicht der je ni ge, von dem sie die Hüt te ge lie hen hat?»Ach, das war wohl ir gend je mand«, sagt sie lei se und

schiebt mit dem Löf fel die damp fen den Ge mü se stü cke hin und her, »je mand, der hier im Wald vor bei spa ziert ist und ge-

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se hen hat, wie wir die Fle der maus weg ge wor fen ha ben. Es gibt vie le, die hier zel ten und fi schen. Das war ir gend je mand, der sich ei nen Scherz ma chen woll te.«

Ob sie fin det, dass es ein gu ter Scherz war?»Nein«, sagt sie, »das fin de ich ganz und gar nicht.«»Ich auch nicht«, sagt er in sei nen Tel ler hi nein.

Sie spie len Kar ten. »Quar tett!«, johlt er und blät tert die Kar-ten mit dem blau en Ka ro mus ter auf der Rück sei te vor sich hin. Sei ne Mut ter stützt die El len bo gen auf den Tisch und tut so, als wäre sie sau er, was er su per fin det.

Sie hat sich ein ka rier tes Ge schirr tuch über die Schul ter ge-legt. Wo das Schlüs sel bein vor steht, glänzt ihre Haut, und auf den Ober ar men ist die Haut rot ver brannt. Man kann se hen, bis wo hin das Hand tuch ihre Arme be deckt hat, da ver läuft eine Kan te.

Als sie nicht mehr spie len will, ist er be lei digt, bleibt mit den Kar ten am Tisch sit zen und ver sucht, al lein zu spie len, aber das ist nicht das Glei che. Er ent deckt ei nen Fül ler und krit-zelt in ei nes der Co mic hef te, auf den wei ßen Rand zwi schen den Bil dern. An schlie ßend be malt er sich die Fin ger knö chel, vor al lem um zu se hen, ob das über haupt geht. Aber es geht nicht be son ders gut.

Als er nach se hen will, ob der Hase im mer noch im Gras sitzt, ent deckt er den Fuchs. Er steht ne ben der Lei ter und starrt ihn mit run den, gelb leuch ten den Au gen an.

Der Jun ge zuckt zu sam men und ruft laut: »Komm! Schnell!«Sei ne Mut ter legt ihr Buch weg. »Na so was«, sagt sie und

beugt sich vor, legt ihre Wan ge an die des Jun gen. Schwei gend be ob ach ten sie den Fuchs, und nach ei ner Wei le sagt sie: »Der wit tert, dass ein Hase in der Nähe ge we sen ist. Der Ge ruch

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hängt noch im Gras. Si cher glaubt er, dass der Hase noch ir-gend wo ist.«

»Der ist da«, ruft der Jun ge. »Da ist er!«Sie reckt den Hals. Der Jun ge hat recht. Man kann den Ha-

sen als ei nen dun kel grau en Fleck hin ter den Gras bü scheln er ah nen. »Da be steht be stimmt kei ne Ge fahr«, sagt sie, »der wird weg lau fen, du wirst se hen.«

Der Fuchs hat die Oh ren auf ge stellt, so dass sie aus se hen wie zwei gro ße Kel len. Er dreht die schwar ze Schnau ze in Rich-tung des Ha sen.

»Jetzt hat er ihn be merkt«, sagt sie, »er hat ihn ge wit tert.«Wie eine graue, bu schi ge Bürs te steht der Schwanz von dem

kno chi gen Fuchskör per ab. Die Lef zen hän gen nach un ten. Jetzt schleicht sich das Tier lang sam nä her, die Schnau ze am Bo den. Die schnel len, wen di gen Bei ne sind von vorn ganz dun kel, als wäre er durch ei nen Tüm pel ge lau fen.

Der Jun ge spürt ein Flüs tern an sei nem Haar. »Das riecht für ihn ganz merk wür dig, weil wir auch da drau ßen ge we sen sind. Er kann den Ha sen be stimmt nicht fin den.«

Doch er kann ihn fin den. Er geht ge ra de wegs auf die lan gen Oh ren zu, die aus dem Gras he raus ra gen. Die bei den Tie re se-hen sich ei nen Mo ment lang an, dann hockt sich der Fuchs hin. Di rekt ne ben den Ha sen. Und so blei ben sie sit zen, dicht bei ei nan der, und schau en zur Hüt te.

»Die sind wohl Freun de.«Bei der Vor stel lung, dass Fuchs und Hase Freun de sein sol-

len, reckt sei ne Mut ter den Kopf noch wei ter vor. Ihre ge wei-te ten Pu pil len zu cken hin ter den Bril len glä sern hin und her.

Schließ lich wird es ihr zu bunt, und sie schlägt mit der fa-chen Hand ge gen das Fens ter. Das Ge räusch lässt den Jun gen, der ne ben ihr auf dem Tisch kniet, zu sam men zu cken. Dann

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schlägt sie noch ein mal ge gen das Fens ter und klopft, bis die Schei be er zit tert.

»Mach das nicht!«, ruft er.Aber die Tie re las sen sich nicht ver ja gen. Sie blei ben ein-

fach sit zen.Aus ei nem Kü chen schrank holt sie zwei Töp fe, doch auf

dem Weg zur Tür tauscht sie ei nen da von ge gen die Axt. Die Tie re zu cken zu sam men, als die Tür auf ge ris sen wird und die Frau he raus kommt. Sie rü cken ein Stück von ei nan der ab, lau-fen aber im mer noch nicht weg. Sie ruft dem Jun gen zu, er soll in der Hüt te blei ben, doch er ge horcht nicht. Er schleicht ihr nach. Er will zu se hen.

Kling, kling, klang, er tönt es, als die Axt ge gen den Topf schlägt. Mit stamp fen den Schrit ten geht sie hi nü ber.

Der Fuchs ist auf ge sprun gen, läuft ein Stück und sieht wie-der zu ihr zu rück. Er steht ge duckt da, so dass der Bauch im Gras ver schwin det. Dann legt er die Oh ren an und zieht die Lef zen hoch. Beim An blick der gelb li chen Zäh ne, von de nen Spei chel tropft, bleibt die Mut ter ste hen, doch nur für ei nen Mo ment, dann geht sie ei nen wei te ren Schritt auf ihn zu, die Axt hoch er ho ben, und da schlüpft der Fuchs zwi schen die Bret ter des Holz zauns und ist weg.

Doch der Hase sitzt wie an ge na gelt da. Es sieht aus, als zwin ge er sei ne Schen kel still zu hal ten. Er zit tert, hat das Maul ge öff net, so dass die Zahn stum mel im Un ter kie fer zu se hen sind. Die Oh ren ha ben dunk le Spit zen und se hen aus ge franst aus.

Erst als sie sich über ihn beugt, springt er merk wür dig lang ge streckt da von. Er schlägt ei nen Ha ken um sie he rum und kommt dem Jun gen da bei so nahe, dass der auf schreit. Dann ist nur noch das zit tern de Gras zu se hen.

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Die Mut ter at met laut durch die Nase. Kinn und Wan gen-kno chen glän zen vor Schweiß, die Na sen fü gel auch. Ihre Lip-pen sind fest zu sam men ge presst.

Der Jun ge über schüt tet sie mit Fra gen, er will wis sen, wa-rum sie die Tie re ver scheucht hat. Sie wa ren doch Freun de! Aber sie schiebt ihn nur vor sich her in die Hüt te, und als sie drin nen sind, ver rie gelt sie die Tür.

»Ir gend was stimm te nicht mit ih nen«, sagt sie, wäh rend sie die Wurst für ihn in Schei ben schnei det. Das ver wun dert ihn, weil sie ihn doch sonst im mer auf for dert, es selbst zu tun. »Die wa ren krank, ver stehst du?«

Sie klingt an ge spannt, und ihr Blick huscht im mer wie der zum Fens ter. Ent lang des We ges ist das Gras im mer noch son-nen be feckt, aber un ter den Bäu men ist es be reits fins ter und un durch schau bar.

Nach ei ner Wei le beugt sie sich vor und sieht ihn di rekt an. »Willst du wie der nach Hau se fah ren?«

Der Jun ge hat den Mund voll. Er kaut, schluckt, sieht sie an. »Willst du?«, fragt er zu rück und streckt sich nach sei-nem Milch glas.

Da muss sie ki chern und be kommt klei ne Fält chen um die Au gen.

Er soll te schon lan ge im Bett lie gen, aber es scheint, als hät-te sie ihn ver ges sen, dort am Ka min, wo er auf dem Bo den sitzt. Das Li no le um ist dort über sät mit Holz split tern, Rin-den stück chen und Pa pier schnip seln vol ler Zei tungs buch sta-ben. Er hat ein Bein an ge zo gen und das Kinn aufs Knie ge-legt. Die Fi gu ren ste hen in ei ner Rei he vor ihm. Es soll eine Art Wett kampf wer den.

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Sei ne Mut ter sitzt im mer noch am Tisch und sieht aus dem Fens ter, sie ist wie er starrt, bei de El len bo gen auf der Tisch-plat te. Er zuckt zu sam men, als sie plötz lich auf steht. Der Stuhl schrammt über den Bo den, fällt fast um.

Er starrt sie an. »Was ist?«Aber sie ant wor tet nicht, sieht nur wei ter aus dem Fens ter.Er geht zu ihr hi nü ber. »Ist es der Fuchs?«Sie legt die Hän de an die Fens ter schei be und at met an ge-

strengt ge gen das Glas.Er ver sucht, auf den Tisch zu klet tern, aber sie schiebt ihn

wie der hi nun ter, so dass er fast rück wärts fällt.»Nicht!«, keucht sie.Er wird wü tend. Er will doch nur se hen, was sie sieht. Er

will wie der ans Fens ter, und als sie sich ihm in den Weg stellt, läuft er zur Tür.

»Mag nus!«Sie schreit, so laut sie kann. Es ist ein Fle hen, ihre Stim me

über schlägt sich. Sie ver sucht, ihn zu pa cken, stößt mit der Hüf te ge gen die Tisch kan te.

Aber er ist be reits hi naus ge lau fen.Er ist be reits weg.

Das Foto von Mag nus Brodin aus dem Ge fle Dagb lad vom 24. Juli 1978 er streckt sich über vier Spal ten, und

man braucht nicht erst den Ar ti kel zu le sen, um zu wis sen, dass dem Jun gen et was Schlim mes zu ge sto ßen ist. So ist es doch im mer, wenn ein so gro ßes Port rät in ei ner Zei tung ab-ge druckt wird.

Die ses Foto von ihm war das ein zi ge, das ver öf fent licht wur de. Ein Au to ma ten pass bild in Schwarz-Weiß. Un ge wöhn-

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lich dich tes Haar, der Pony kurz ge schnit ten. Er schaut nicht in die Ka me ra, son dern seit lich da ran vor bei, und er sieht ein biss chen un si cher aus, fast ängst lich, wie ich fin de. Man möch te fast mei nen, dass ein Schat ten des Schick sals in sei nen Au gen sitzt. Wie ein dunk ler Fun ke.

Auf ei nem an de ren Zei tungs fo to ste hen ein paar Män ner auf ei ner Wie se, das Gras reicht ih nen bis zur Tail le. Sie tra-gen wei ße Kurz arm hem den mit Schul ter klap pen. Pi lo ten bril-len, dich te Ko te let ten. Ei ner der Män ner hält eine schwar ze Ak ten ta sche in der Hand. Aus der Bild un ter schrift geht her-vor, dass es sich um Be am te des kri mi nal tech ni schen De zer-nats der Po li zei von Falu han delt. Sie se hen rat los aus.

Man könn te sa gen, es ist ein viel sa gen des Bild.

Zu erst schrie ben die Zei tun gen, dass Mag nus ent führt wur-de, doch nach ein paar Ta gen wa ren sie sich nicht mehr ganz so si cher. Im Ex pres sen wur de es so gar of fen in fra ge ge stellt: WUR DE MAG NUS WIRK LICH ENT FÜHRT? Im Aus druck des Zwei fels auf sei ten der Jour na lis ten spie gel te sich die Er-mitt lungs rich tung der po li zei li chen Un ter su chung wi der.

Mag nus’ Mut ter, Mona Brodin, hat te be haup tet, ein Rie se sei aus dem Wald ge kom men und habe ihr Kind mit ge nom-men, und auch wenn die Kri mi nal tech ni ker Spu ren si cher stel-len konn ten, die ihre Be haup tung un ter mau er ten – an meh-re ren Stel len in der Nähe der Hüt te wur den Fuß ab drü cke von un ge wöhn li cher Grö ße und Tie fe ge fun den –, wur de den un glaub wür di gen De tails ih rer Aus sa ge nicht wei ter nach ge-gan gen. Viel mehr ver mu te te man, dass der Jun ge von ei nem au ßer ge wöhn lich gro ßen Mann ent führt wor den sein könn-te, der in den Au gen der ver stör ten Mut ter nur umso grö ßer ge wirkt hat te. Der dann eins ge wor den war mit den nacht-

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Stefan Spjut

TrollRoman

Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 480 Seiten, 13,5 x 21,5 cmISBN: 978-3-8135-0535-1

Knaus

Erscheinungstermin: März 2014

Ein Spannungsroman aus Schweden, der die Grenzen zum Paranormalen überschreitet - „wieder junge Stephen King!“ (Dagens Nyheter) An einem Sommertag läuft der kleine Magnus in Nordschweden in den Wald und kehrt nichtmehr zurück. Seine Mutter behauptet, ein Riese habe ihn entführt. Jahre später verschwindetwieder ein Junge, und wieder soll ein Troll ihn geholt haben. Alles nur Aberglaube, wie diePolizei meint? Doch die junge Susso ist überzeugt, dass es übernatürliche Wesen gibt. IhreSuche führt sie in eine geheimnisvolle, archaisch anmutende Welt, deren Bewohner sich mitroher Gewalt gegen Eindringlinge wehren.