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Sport Fußballerinnen von Borussia Hannover, Basketballerin Sara, Boxtraining in Berlin: Im Islam gilt der Körper als Gabe Gottes, er soll bewahrt und INTEGRATION Die verlorenen Töchter Einwanderer aus aller Welt prägen den deutschen Sport. Muslimische Mädchen und Frauen sind kaum vertreten. Meist liegt es an den Vorurteilen der Eltern, die die westliche Vereinskultur, mit Sammelduschen und gemischten Gruppen, als Bedrohung für ihre Kinder ansehen. S ie musste all ihren Mut zusammen- nehmen, um sich so zu zeigen, mit einem Basketball unter dem Arm, als Sportlerin mit Kopf tuch.jm einem ihr verbotenen Ort: in einer Turnhalle. Sara K. versucht zu lächeln. Sie weiß nicht, wie ihr Vater auf das Foto reagieren wird, er sei ein Mann, dem schnell die Hand ausrutsche, sagt sie. Sara, 20, ist in Berlin geboren, ihr Vater stammt aus AI- gerien, die Mutter, eine Deutsche, ist zum Islam konvertiert. Die Eltern wollen nicht, dass die Tochter Sport treibt, das gehöre sich nicht für eine Muslimin. Trotzdem spielt Sara seit Jahren heim- lich Basketball und Fußball. Beim Sport fühle sie sich .Jeicht, unabhängig". Jetzt will sie nicht mehr länger etwas verste- cken; was für andere Frauen in ihrem Al- ter völlig normal ist: Sport. Sara will, dass ihre Eltern die Leidenschaft ihrer Tochter 104 DER SPIEGEL 24/2011

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Sport

Fußballerinnen von Borussia Hannover, Basketballerin Sara, Boxtraining in Berlin: Im Islam gilt der Körper als Gabe Gottes, er soll bewahrt und

INTEGRATION

Die verlorenen TöchterEinwanderer aus aller Welt prägen den deutschen Sport. Muslimische Mädchen und Frauen

sind kaum vertreten. Meist liegt es an den Vorurteilen der Eltern, die die westlicheVereinskultur, mit Sammelduschen und gemischten Gruppen, als Bedrohung für ihre Kinder ansehen.

Sie musste all ihren Mut zusammen-nehmen, um sich so zu zeigen, miteinem Basketball unter dem Arm,

als Sportlerin mit Kopf tuch.jm einem ihrverbotenen Ort: in einer Turnhalle.

Sara K. versucht zu lächeln. Sie weißnicht, wie ihr Vater auf das Foto reagieren

wird, er sei ein Mann, dem schnell dieHand ausrutsche, sagt sie. Sara, 20, ist inBerlin geboren, ihr Vater stammt aus AI-gerien, die Mutter, eine Deutsche, ist zumIslam konvertiert. Die Eltern wollennicht, dass die Tochter Sport treibt, dasgehöre sich nicht für eine Muslimin.

Trotzdem spielt Sara seit Jahren heim-lich Basketball und Fußball. Beim Sportfühle sie sich .Jeicht, unabhängig". Jetztwill sie nicht mehr länger etwas verste-cken; was für andere Frauen in ihrem Al-ter völlig normal ist: Sport. Sara will, dassihre Eltern die Leidenschaft ihrer Tochter

104 DER SPIEGEL 24/2011

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gekräftigt werden

akzeptieren. Deshalb gibt es nun diesesFoto in einer Kreuzberger Turnhalle.

"Ich will frei sein", sagt Sara.Sport hat in Deutschland ein gutes

Image. Er fördert die Gesundheit, die An-strengungsbereitschaft. Sportvereine gel-ten als Säulen der Gesellschaft, weil dortim besten Fall Werte vermittelt werdenwie Gemeinschaftssinn, Fairplay.

Warum verbieten Eltern ihrer Tochter,Sport zu treiben?

Weil Sport nichts sei für Frauen - mitdieser Haltung wachsen viele muslimi-sehe Mädchen in Deutschland auf. 68 Pro-zent der türkischen Jungen im Alter von15 Jahren treiben Sport in einem Ver-ein. In der Ll-iz-Nationalmannschaft desDeutschen Fußball-Bundes haben über30 Prozent der Spieler türkische Wurzeln.Muslimische Männer ringen, boxen, ma-chen Kung-Fu. Den Frauen aber wird ein-

geredet, körperliche Ertüchtigung seiZeitverschwendung. Besonders Väter ausarmen, bildungsfernen Milieus betrachtenSportvereine häufig als Orte schamloserFreizügigkeit, an denen ihre Töchternichts zu suchen haben.

Musliminnen sind die verlorenen Töch-ter des Sports. Und ein gutes Beispiel da-für, wie schwierig Integration sein kann,wenn die Welten weit auseinanderliegen.

Laut einer 2009 erschienenen Studieder Technischen Universität Dortmundgehört von den rs-jährigen Türkinnen inDeutschland nur jede fünfte einem Sport-club an. Bei den gleichaltrigen deutschenMädchen sind es 42 Prozent. In der Spra-che der Wissenschaft werden junge Tür-kinnen deshalb auch als "spOltdistanzier-te Gruppe" bezeichnet.

Dabei wachsen die Mädchen mit Sportauf. Auf die Staatliche Europaschule Carl-

von-Ossietzky in Kreuzberg gehen 1200Kinder, sie stammen aus allen Teilen derWelt, ein wilder Mix der Kulturen. Sportist für alle Pflicht, auch für Musliminnen.

"Die Mädchen lieben es, sich zu bewe-gen", sagt die Sportlehrerin GabrieleKremkow. Die Eltern dulden den Unter-richt, weil sie die Schulausbildung derTöchter nicht gefährden wollen. Aller-dings müssten "die Rahmenbedingun-gen" stimmen.

"Wir wissen, dass viele Musliminnenaus religiösen Gründen ein Problem da-mit haben, vor den Augen der JungsSport zu machen", sagt Kremkow. Des-halb ist der Unterricht von der siebtenbis zur zehnten Klasse getrennt. Erst inder Oberstufe werden die Klassen ge-mischt. Von Schülern, die Abitur machen,könne man erwarten, die "Dinge zu re-flektieren", meint Kremkow.

Sara K. hat vor einem Jahr auf derCarl-von-Ossietzky-Schule Abitur ge-macht. Zusätzlich zum Sportunterrichtbelegte sie Förderkurse in Basketball, tratfür ihre Schule bei Volksläufen an. ZuHause erzählte Sara, sie nehme Nachhilfe-stunden in Mathematik.

Die Lehrer deckten sie, wenn es Nach-fragen der Eltern gab. Kremkow, seit ei-nigen Jahren Mitglied der Schulleitung,steht hinter diesem Vorgehen. "Wir wol-len den Mädchen die Chance geben, sichauszuleben. "

Einmal schlugen die Lehrer Saras Mut-ter vor, die Tochter einem Verein beitre-ten zu lassen. ;,Haben Sie schon mal eineSportlerin mit Kopftuch gesehen?", ent-gegnete die Mutter. Damit war der Fallfür sie erledigt.

Im Islam gilt der Körper als Gabe Got-tes, er soll bewahrt und gekräftigt wer-den. Jedoch hat Sport in vielen Ländernder islamischen Welt nicht die gesell-schaftliche Bedeutung wie in westlichenStaaten. Es gibt oft keine Breitensport"kultur. In der Türkei, der bei Olympi-schen Spielen erfolgreichsten Nation mitmuslimischer Bevölkerung, sind nur zweiProzent der Menschen in Sportvereinenorganisiert. In Deutschland sind es 34Prozent.

Das deutsche Vereinswesen wird in vie-len Einwandererfamilien als fremdartigempfunden. Vor allem die Väter betrach-ten Sportclubs nicht als Angebot für ihreTöchter, sondern als Bedrohung.

Umet E. ist ein kleiner Mann mit Halb-glatze. Er arbeitet als Hausmeister in Ber-lin. Er lebt schon lange in Deutschland,spricht mit seiner Frau und seiner TochterDeutsch, sie gucken deutsches Fernsehen.Die Tochter ist zwölf Jahre alt. 'Sie hatin der Schule Schwimmen gelernt. Neu-lich fragte sie, ob sie nun auch in einenSchwimmverein eintreten dürfe.

Umet sagt, es sei wichtig für ein Kind,richtig gut schwimmen zu können. Aberniemals werde er dulden, dass seine Toch-

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--------Jter in einem Verein trainiert. Ein fremderMann könne sich ihr nähern. Das ist dieeine Angst, die ihn umtreibt. Er fürchtetaber auch die Reaktion von Freundenund Verwandten. "Sie alle würden Schamempfinden, wenn unsere Tochter vor denAugen deutscher Männer in einem Bade-anzug herumspringt." Die Familie wäreentehrt, er, der Vater, würde das Gesichtverlieren, das Leben in der Communitywäre vorbei, sagt Umet.Die Politik sieht den Sport seit Jahren

als idealen Vermittler zwischen den Kul-turen. In der Nationalmannschaft spielenProfis mit Wurzeln in der Türkei, inPolen, in Tunesien. Zum deutschen Teambei den Olympischen Spielen 2008 inPeking gehörten 39 Athleten mit Migra-tionshintergrund. "Vereine sind Schulender Demokratie, in denen Migrantenunsere Sprache, Kultur und Verhaltens-weisen kennenlernen können", sagt dieIntegrationsbeauftragte der Bundesregie-rung Maria Böhmer. BundeskanzlerinAngela Merkelließ sich voriges Jahr nacheinem Länderspiel in Berlin mit demFußballer Mesut Özil in der Mannschafts-kabine ablichten. Der Mittelfeldspieler,dessen Großeltern aus der Türkei einwan-derten, gilt als Sinnbild für gelungene In-tegrationspolitik.Die Aussage des Fotos lau-

tet: Na bitte, geht doch!Jetzt böte sich der Kanzle-

rin ein neues Motiv. EndeJuni beginnt in Deutschlanddie Fußball-Weltmeisterschaftder Frauen. Zum deutschenTeam gehört auch die MusJi-min Fatmire Bajramaj, 23, diemit ihrer Familie aus dem Ko-sovo nach Deutschland kam.Nach dem Vormittagstrai-

ning sitzt Bajramaj in einemCafe in Potsdam. Sie ist per-fekt gestylt, trägt hohe Schuhe.Ihr Vater habe nicht gewollt,dass seine Tochter Fußballspielt, erzählt sie. "Die drecki-gen Klamotten, die Fahrtenzu Auswärtsspielen, die Jungsam Spielfeldrand, für ihn ge-hörte sich das alles nicht."Bajramaj trainierte heim-

lich beim DJK/VfL Giesenkir-chen mit und fälschte späterdie Unterschrift ihres Vatersfür ihren ersten Spielerpass."Nein bedeutet nein, so istdas bei muslimischen Vä-tern", sagt sie, "trotzdem hat-te ich den Mut, mich aufzu-lehnen. Ich sagte: Stopp, ichmach jetzt mal was anderes,ich spiele Fußball. DieserSchritt war extrem. Aber alsmeine Schwindelei aufflog,war mein Vater überrascht,wie gut ich kicke. "

"Alle würden Scham empfinden, wenn unserKind in einem Badeanzug herumspringt."

Sport

Schon mit 17 Jahren wurde Bajramajin das Nationalteam berufen. Die Mittel-feldspielerin des 1. FFC Frankfurt gehörtzu den wenigen Profis im Frauenfußball.Ihre Religion, ihr Glaube habe ihr nie imWeg gestanden. "Ich verstehe mich alsmodeme Muslimin" , sagt Bajramaj, "ichbete regelmäßig und faste, aber ich geheauch mal feiern oder trinke ein GlasSekt."Bajramaj ist seit zwei Monaten Integra-

tionsbotschafterin des Deutschen Fußball-Bundes. Sie hält in Schulen Vorträge überdie persönlichkeitsbildende Kraft des

Sports. Die Integrationsbeauftragte MariaBöhmer wünscht sich, dass mehr Musli-minnen den Weg Bajramajs einschlagen.Für die CDU-Frau ist das auch "eine Fra-ge der Gleichberechtigung".Seit 1989 finanziert die Politik das Pro-

gramm "Integration durch Sport". Jähr-lich fließen dafür 5,4 Millionen Euro vomInnenministerium an den DeutschenOlympischen Sport bund, der das Geld anausgewählte Sportvereine weiterreicht,die Integration als Vereinsziel verstehen.

In den Clubs werden die Mittel zurFinanzierung unterschiedlicher Maßnah-men verwendet, zum Beispiel zum Auf-bau spezieller Anlaufstellen für Migran-ten, für Ausflüge oder gezielte Trainer-ausbildung.Seit 2008 trifft sich im Innenministe-

rium in Berlin auch regelmäßig eine Ar-beitsgruppe, die Strategien dafür ent-wickeln soll, wie Sportclubs für Einwan-derer attraktiver werden können. DasDialogforum "Sport", zu dem Politiker,Wissenschaftler und Verbandsfunktionäregehören, ist eines von elf Projektgremien

des Nationalen Integrations-plans, kurz NIP. Vor zwei Jah-ren wurde von der BerlinerRunde eine Broschüre mit demTitel "Interkulturelle Öffnung

im Sport" verfasst, in der unter anderemsteht, dass Vereine bei Feiern auf Schwei-nefleisch verzichten sollten. Auch sei derVerkauf von alkoholischen Getränkenund gelatinehaitigen Produkten wieGummibärehen im Vereinslokal zu über-denken. "Kultursensible Verpflegung"nennt sich diese Anregung.Schwer zu sagen, ob solche Maßnah-

men Musliminnen erreichen.Der klassische deutsche Sportclub, mit

Sammelduschen und gemischten Jugend-gruppen, ist für muslimischeMädchen und Frauen kein ein-facher Ort. Der Islam bildetfür sie die Klammer, innerhalbderen sich das ganze Leben ab-spielt. Bekleidungsvorschriftenund die Geschlechtertrennunggelten auch im Sport.In Badeanstalten prallen die

Welten häufig aufeinander.Deutsche Frauen schwimmenim Bikini, Musliminnen imBurkini. Viele können sich denrund 100 Euro teuren Ganzkör-peranzug jedoch nicht leisten.Deshalb kommt es immer wie-der zu kleinen Katastrophen.Vor zwei Jahren gab es Är-

ger mit muslimischen Schwim-merinnen in Wolfs burg. Sieerschienen in Leggins und T-Shirt zum Schwimmkurs ineiner städtischen Badeanstalt.

~ Der Bademeister holte dieFrauen aus dem Wasser. EinMädchen habe sein Hemdnoch im Becken abstreifenmüssen. Das Kind brach inTränen aus.Ein bedauerlicher Vorfall,

sagt Dieter Kuhfeld, Ge-schäftsbereichsleiter Sport &Bäderverwaltung im Wolfs-burger Rathaus. "Aber Siesollten mal im Sommer in un-sere Freibäder kommen undsich angucken, wie verhüllt damanche Musliminnen rumsit-

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Muslimin im Burkini: Welten prallen aufeinander

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zen." Die Stadt hat Schilderaufstellen lassen. Leggins undT-Shirts sind im Schwimmbe-cken jetzt offiziell verboten.

Es werden künftig wohlweniger Musliminnen zumSchwimmen kommen.

Badeanstalten, Turnhallenund Fitnessstudios sind Brenn-punkte der multikulturellenGesellschaft. Vor allem Mus-liminnen fühlen sich oft aus-gegrenzt.

"Wenn eine Frau mit Kopf-tuch irgendwo putzt, ist dasfür alle Deutschen völlig nor-mal. Aber beim Sport wirdman angeschaut wie einAlien", schimpft die Fitness-trainerin Emine Aydemir ausKöln. Sie hat jahrelang in ver-schiedenen Studios gearbei-tet. Die Türkin trägt auchbeim Sport ein Kopftuch. Des-halb musste sie sich Blickeund dumme Sprüche gefallenlassen. Vor vier Jahren hattesie es satt. Aydemir eröffnetedas erste Fitnessstudio fürMusliminnen. Im "Hayat" imKölner Bezirk Ehrenfeld gibtes Einzelduschen, getrennteUmkleidekabinen und einenkleinen Gebetsraum. Männer.haben keinen Zutritt.

Überall in Deutschlandsprießen kleine Clubs, die aufdie speziellen Bedürfnisse der.Musliminnen zugeschnitten sind. Aber istdas Integration, wenn die Frauen untersich bleiben?

Dieter Schwulera hat auch lange an dieWirkung von Integrationsmodellen ge-glaubt. 15 Jahre lang war er Integrations-referent im niedersächsischen Innenmi-nisterium. Jetzt ist er in Rente und sagt:"Das wahre Leben ist etwas ganz anderesals das, was die Politik in Pläne und Kon-zepte presst."

Schwulera ist Vorstandschef von Bo-russia Hannover. Das Clubgelände liegtin Vahrenheide, einem Stadtteil, in demjeder Zweite einen Migrationshintergrundhat. 80 Prozent der Jugendlichen des Ver-eins stammen aus Zuwandererfamilien.Die meisten davon spielen Fußball.

Integration lasse sich nicht verordnen,sagt Schwulera. "Es passiert automatischund nebenbei - wenn wir Glück haben."Der Borussia-Vorsitzende zieht jedes Jahrdurch die Grundschulen in der Umge-bung und wirbt bei muslimischen Elternfür seinen Verein. "Viele Migranten ken-nen das System Breitensport aus ihrerHeimat ja nicht", sagt er. Also erklärt derClubchef, warum Eintrittsformulare. Bei-träge oder Spielerpässe nötig sind. Unddann zeigt er den Eltern, dass die Borus-sia ein Verein ist, der sich auch den Be-

dürfnissen der Musliminnen anpasst. ImClubhaus gibt es abschließbare Umklei-deräume und getrennte Duschkabinen,die nur von einer Seite aus zugänglichsind. "Das nimmt den Eltern die Angst" ,sagt Schwulera.

In den fünf Frauen- und Mädchenteamsvon Borussia Hannover kicken mittler-weile auch rund 50 muslimische Mädchen.

Wissenschaftler streiten darüber, obder Sport überhaupt Integrationseffekte

den Verein Boxgirls. Came-ron nennt das Trainingsgymihr "Labor". Es ist nicht grö-ßer als ein großzügiges Wohn-zimmer. An der Wand hängtein Poster von Rocky Balboa,von der Decke baumeln zehnBoxsäcke an Eisenketten. Ei-nige der Mädchen und Frauen,die hier trainieren, tragenKopf tuch. Manche der Frauenhaben im Camp die erstenBrocken Deutsch gelernt, ob-wohl sie schon lange inDeutschland leben. "Wennsich eine Muslimin im Ringdurchsetzt, überwindet sieeine Grenze. Das kann sichauch auf das Leben außerhalbder Halle übertragen", sagtCameron.

Boxen ist ein Sport, denmuslim ische Eltern noch amehesten für ihre Töchter dul-den. Aus praktischen Erwä-gungen. "Der Unterschied zuanderen Sportarten ist, dassdie Eltern Boxen nicht alsSpiel oder als Unterhaltungs-sport ansehen. Für sie ist Bo-xen eine Chance für ihre Toch-ter, ihre Ehre zu verteidigen.Das ist den Vätern wichtig.Deswegen erlauben sie denMädchen das Training", sagtCameron.

Manchmal geht die Traine-rin selbst zu den Migranten-

familien nach Hause, wenn dort die Vor-behalte gegenüber ihrem Verein zu großsind. Sie erklärt dann, dass Männer nurmit Anmeldung ins Boxcamp dürften,dass es getrennte Umkleiden gebe, dasshier niemand sein Gesicht verliere.

Sara K., die heimliche Sportlerin ausNeukölln, hätte ein Umfeld wie das derBoxgirls gebraucht. Aber sie war allein.Allein mit dem absurden Konflikt, in ei-ner Welt zu leben, in der Sport etwas

ganz Normales ist - aber nichtfür sie.

Irgendwann rebellierte Saragegen die enge Welt ihrer El-tern. Mit allen Schwierigkei-

ten, die das Leben in Neukölln für einejunge Muslimin so bereithält. Mittlerwei-le hat sie sich wieder gefangen. Sara willKunst studieren. Ihre Eltern haben ande-re Pläne. Kürzlich reisten sie mit derTochter nach Algerien. Dort musste Saraheiraten, ihren Großcousin. Er wird baldnach Berlin nachkommen. Bis dahinjobbt Sara tagsüber in einem Callcenterund abends als Zimmermädchen in ei-nem Hotel.. Vielleicht kann der Sport künftig we-

nigstens eine Ablenkung für sie sein.LUKAS EBERLE, SEBASTIAN EDER,

CATHRIN GILBERT

Nationalspielerin Bajramaj: "Ich hatte den Mut, mich aufzulehnen"

"Beim Sport wird eine Frau mit Kopftuchangeschaut wie ein Alien."

hat. Der Soziologe Michael Mutz von derFreien Universität in Berlin beschäftigtsich seit vier Jahren mit Migranten imSport. Die Zugehörigkeit zu einem Vereinsteigere weder "die Anstrengungsbereit-schaft in der Schule", noch sei erkennbar,dass die "Gewaltbereitschaft" sinke. "Dasind die Hoffnungen der Politik und derVerbände überzogen und unrealistisch",sagt Mutz.

Heather Cameron sieht das anders.Die Kanadierin ist Professorin für Inte-grationspädagogik. Sie lebt seit 14 Jahrenin Neukölln, war Berliner Stadtmeisterinim Boxen. Vor sechs Jahren gründete sie

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