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6 Differentialrechnung 6.1 Einführung I Newton und Leibniz Die Differentialrechnung wurde von Newton (1643–1727) und von Leibniz (1646– 1716) unabhängig voneinander begründet. Zusammen mit der Integralrechnung wird sie „Infinitesimalrechnung“ oder auf Englisch „calculus“ genannt. Newton benötigte diese Art der Mathematik zur Beschreibung und Lösung von Problemen aus der Mechanik. I Ableitung Der wichtigste Begriff der Differentialrechnung ist nun offensichtlich der des „Dif- ferentials“ oder, wie man heute sagen würde, der der „Ableitung“. In der Newtonschen Mechanik haben wir etwa die Geschwindigkeit als (erste) Ableitung der Strecke nach der Zeit und die Beschleunigung entsprechend als Ableitung der Geschwindigkeit nach der Zeit (oder als zweite Ableitung der Strecke nach der Zeit) kennen gelernt. I Maxima und Minima In der Schule wird meist ein zumindest oberflächlicher Ableitungsbegriff erarbeitet, und auch die Ableitungsregeln gehören zum Standardrepertoire der Absolventen wei- terführender Bildungseinrichtungen. Nun ist der Ableitungsbegriff aber keineswegs ein Selbstzweck, sondern er leistet beste Dienste etwa im Auffinden von besonders großen oder kleinen Werten, den so genannten Maxima oder Minima. I Newton’sches Verfahren Eine weitere Anwendung der Ableitung ist z.B. im Newton’schen Verfahren gege- ben: Mit diesem Verfahren löst man nicht lineare Gleichungen und Gleichungssysteme. 213 Y. Stry, R. Schwenkert, Mathematik kompakt, DOI 10.1007/978-3-642-24327-1_6, c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

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6Differentialrechnung

6.1 Einführung

I Newton und Leibniz

Die Differentialrechnung wurde von Newton (1643–1727) und von Leibniz (1646–1716) unabhängig voneinander begründet. Zusammen mit der Integralrechnung wird sie„Infinitesimalrechnung“ oder auf Englisch „calculus“ genannt. Newton benötigte dieseArt der Mathematik zur Beschreibung und Lösung von Problemen aus der Mechanik.

I Ableitung

Der wichtigste Begriff der Differentialrechnung ist nun offensichtlich der des „Dif-ferentials“ oder, wie man heute sagen würde, der der „Ableitung“. In der NewtonschenMechanik haben wir etwa die Geschwindigkeit als (erste) Ableitung der Strecke nach derZeit und die Beschleunigung entsprechend als Ableitung der Geschwindigkeit nach derZeit (oder als zweite Ableitung der Strecke nach der Zeit) kennen gelernt.

I Maxima und Minima

In der Schule wird meist ein zumindest oberflächlicher Ableitungsbegriff erarbeitet,und auch die Ableitungsregeln gehören zum Standardrepertoire der Absolventen wei-terführender Bildungseinrichtungen. Nun ist der Ableitungsbegriff aber keineswegs einSelbstzweck, sondern er leistet beste Dienste etwa im Auffinden von besonders großenoder kleinen Werten, den so genannten Maxima oder Minima.

I Newton’sches Verfahren

Eine weitere Anwendung der Ableitung ist z. B. im Newton’schen Verfahren gege-ben: Mit diesem Verfahren löst man nicht lineare Gleichungen und Gleichungssysteme.

213Y. Stry, R. Schwenkert, Mathematik kompakt, DOI 10.1007/978-3-642-24327-1_6,c� Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

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214 6 Differentialrechnung

Nicht lineare Gleichungen sind wesentlich komplizierter als lineare, mit denen wir uns jaschon im letzten Abschnitt beschäftigt hatten. Solche nichtlinearen Gleichungen kann manoft nur näherungsweise lösen, wobei natürlich an einer allzu genauen Lösung (sehr vieleStellen nach dem Dezimalkomma) kaum jemand Interesse hat. Entsprechende Verfahren(Algorithmen) werden auf dem Gebiet der Numerischen Mathematik bereitgestellt.

I Satz von Taylor

Eine ebenfalls wichtige Anwendung, die Ableitungen benötigt, ist der Satz von Taylor,der die Approximation von Funktionen durch Polynome formuliert. Von diesem Satz pro-fitieren letzlich unsere Taschenrechner: Komplizierte Funktionen werden durch einfachePolynome angenähert, so dass der damit begangene Fehler sehr klein ist. Der Taschenrech-ner wertet dann eben nicht die e-Funktion, sondern ihre Annäherung durch ein Polynomaus – und hier bei dem Polynom kommen nur noch Grundrechenarten vor.

I Funktionen in mehreren Veränderlichen

Im Allgemeinen ist unsere Welt nicht monokausal, d. h. eine Wirkung hängt nichtnur von einer einzigen Ursache ab. Aber genau dies liegt unserem bisherigen Funkti-onsbegriff zugrunde: y D f .x/, d. h. y ist Funktion (nur) von x. Ganz offensichtlichwird dies den Ereignissen unserer Welt, die eben von vielen Parametern abhängen, nichtgerecht. Wir werden uns daher auch mit Funktionen in mehreren Veränderlichen, alsoy D f .x1; x2; : : : ; xn/, beschäftigen. Interessant ist dabei, dass wir viele Eigenschaftender uns bisher vertrauten Funktionen in einer Veränderlichen nun auch auf mehrere Ver-änderliche übertragen können.

In diesem Kapitel werden wir uns also mit der Differentialrechnung, dem Ableitenvon Funktionen in einer oder mehr Veränderlichen und allem, was damit zusammenhängt,beschäftigen.

6.2 Der Ableitungsbegriff

Um die Steigung einer Funktion y D f .x/ berechnen zu können, werden wir im Fol-genden die Ableitung y0 D f 0.x/ dieser Funktion definieren. Man nennt Funktionen,für die diese Definition sinnvoll ist, differenzierbar. Ableitungen stellen eine lokale Ap-proximation von differenzierbaren Funktionen durch Geraden dar. Anwendungen in derFehlerrechnung zeigen die praktische Bedeutung des Ableitungsbegriffes, für den wir un-terschiedliche Schreibweisen kennenlernen werden. Der Zusammenhang zwischen Stetig-keit und Differenzierbarkeit ist wichtig: eine differenzierbare Funktion ist immer stetig,die Umkehrung gilt aber nicht.

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6.2 Der Ableitungsbegriff 215

Abb. 6.1 Steigung einer Stra-ße

Ankathete A

6.2.1 Geometrische Bedeutung und Definition der Ableitung

Steigung im Dreieck, Schulgeometrie Jeder „Brummi“-Fahrer muss sich bei Erreichengewisser Straßensteigungen an vorgeschriebene Geschwindigkeiten halten. Dabei wirdvom Gesetzgeber die i. Allg. „holprige“ Straße als idealisierte Gerade angenommen. Setztman die überwundene Höhe ins Verhältnis zur zurückgelegten Strecke, so erhält man einrechtwinkliges Dreieck. Die Steigung der Straße ist nun durch den Winkel ˛ des Drei-ecks gegeben (siehe Abb. 6.1). Aus der ebenen Trigonometrie (Schule!) ist bekannt, dasssich der Tangens des Winkels ˛ aus dem Verhältnis der Gegenkathete zur Ankathete desrechtwinkligen Dreiecks ergibt.

In vielen praktischen Anwendungen hat man nun aber das Problem, nicht Steigungenvon Geraden berechnen zu müssen, sondern „Steigungen“ von allgemeineren Funktio-nen. Gegeben sei daher jetzt eine Funktion y D f .x/. In Abb. 6.2 untersuchen wir ihrSteigungsverhalten im Punkt P0 D .x0; f .x0//.

Abb. 6.2 Steigung von y Df .x/ im Punkt P0

P

P0

x0 x0+h

Sekante

Tangente }}

h

0

0

0

0

0

x

y

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216 6 Differentialrechnung

Sekantensteigung, Differenzenquotient, Differentialquotient Die Steigung der Sekan-te (als Sekante bezeichnet man i. Allg. eine Gerade, die eine Funktion schneidet) ergibtsich offensichtlich aus dem so genannten Differenzenquotienten

tan ˛ D f .x0 C h/ � f .x0/

h;

bei dem im Nenner die Differenz der beiden Argumente und im Zähler die Differenz derzugehörigen Funktionswerte steht. Lässt man h gegen Null und damit P gegen P0 laufen,so geht die Sekante in der Grenzlage in eine Tangente über (so nennt man eine Gerade,die eine Funktion in einem Punkt berührt). Die Steigung der Tangente ergibt sich aus demso genannten Differentialquotienten

tan ˛0 D limh!0

f .x0 C h/ � f .x0/

h:

Da sich die Tangente in P0 offensichtlich an die Funktion „anschmiegt“, ist es sinnvoll,deren Steigung als Steigung der Funktion in P0 zu definieren:

Differentialquotient – Ableitung einer FunktionFalls der folgende Grenzwert (Differentialquotient) existiert, heißt

f 0.x0/ WD limh!0

f .x0 C h/ � f .x0/

h

Ableitung von f im Punkt x0. f heißt dann in x0 differenzierbar.

Man kann nun jedem Punkt x aus dem Definitionsbereich von f .x/ den Wert f 0.x/

(falls existent!) zuordnen. Durch diese Zuordnungsvorschrift erhält man wieder eineFunktion:

AbleitungsfunktionDie durch die Zuordnung x 7�! f 0.x/ erklärte Funktion heißt (erste) Ableitungs-funktion bzw. kurz (erste) Ableitung.

Ableitungssymbole Für die Ableitung f 0.x0/ haben sich die folgenden völlig äquiva-lenten Schreibweisen eingebürgert:

y0.x0/; y0jxDx0;

dy

dx

ˇˇˇˇxDx0

;df

dx

ˇˇˇˇxDx0

:

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6.2 Der Ableitungsbegriff 217

Die Größen dy bzw. df und dx in den beiden letzten Schreibweisen nennt man auchDifferentiale. Dies erklärt den Namen Differentialquotient für f 0.x0/. Benutzt man andere„Bezeichner“ für Variable und Funktion, wie zum Beispiel s D s.t/, so schreibt mananalog s0.t0/ oder ds=dt jtDt0 . In der Physik wird mit s.t/ der Weg in Abhängigkeit vonder Zeit bezeichnet. Solche Ableitungen nach der Zeit werden dann üblicherweise miteinem Punkt symbolisiert: Ps.t0/.

Manchmal ist es praktischer, den Differentialquotienten in einer anderen Form zu be-nutzten. Hierzu setzt man x D x0 C h. Dann ist h D x � x0 und h ! 0 äquivalent zux ! x0:

Zweite Form des DifferentialquotientenDie Ableitung lässt sich auch durch folgenden Differentialquotienten berechnen:

f 0.x0/ D limx!x0

f .x/ � f .x0/

x � x0

:

Beispiel 6.1a) Wir wollen die Ableitung des Polynoms y D axn mit n 2 N; a ¤ 0 für beliebiges

x0 2 R ermitteln:

limx!x0

f .x/ � f .x0/

x � x0

D limx!x0

a.xn � xn0 /

x � x0

D limx!x0

a.x � x0/.xn�1 C xn�2x0 C : : : C xxn�20 C xn�1

0 /

x � x0

D anxn�10 :

Damit ist f 0.x0/ D anxn�10 und die (erste) Ableitung(sfunktion) ergibt sich zu

f 0.x/ D anxn�1.b) Legt unser „Brummi“-Fahrer abhängig von der Zeit t � 0 die Entfernung s.t/ zu-

rück, so errechnet sich seine Durchschnittsgeschwindigkeit (in der Physik: mittlereGeschwindigkeit) im Zeitintervall Œt0; t � (t > t0) aus dem Differenzenquotienten

s.t/ � s.t0/

t � t0:

Momentangeschwindigkeit Lässt man die Länge des Zeitintervalls gegen Nullgehen (t ! t0), so erhält man die auf dem Tachometer ablesbare Momentange-schwindigkeit aus dem Differentialquotienten

limt!t0

s.t/ � s.t0/

t � t0D Ps.t0/:

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218 6 Differentialrechnung

Übung 6.1a) Berechnen Sie mit Hilfe des Differentialquotienten die Ableitung f 0.x0/ der Funk-

tion f .x/ D 1=x. [Tipp: Differenzen auf Hauptnenner bringen!]b) Ist beim freien Fall eines schweren Massenpunktes (im Vakuum) seit Beginn des

Falles eine Zeit von t Sekunden vergangen, so gilt für den in dieser Zeit zurückge-legten Weg s.t/ die aus der Schulphysik bekannte Formel

s.t/ D g

2t2 mit g D 9;81

m

s2(Fallbeschleunigung):

Welche Momentangeschwindigkeit hat der Punkt zu einem beliebigen Zeitpunktt0 > 0 ?

Lösung 6.1a) Benutzt man die erste Form des Differentialquotienten, so erhält man

f 0.x0/ D limh!0

f .x0 C h/ � f .x0/

hD lim

h!0

1x0Ch

� 1x0

h:

Der Zähler des großen Bruches wird nun auf den Hauptnenner gebracht:

f 0.x0/ D limh!0

x0�x0�hx0.x0Ch/

hD lim

h!0

�1

x0.x0 C h/D � 1

x20

:

Benutzt man die zweite Form des Differentialquotienten, so erhält man

f 0.x0/ D limx!x0

f .x/ � f .x0/

x � x0

D limx!x0

1x

� 1x0

x � x0

D limx!x0

x0�xxx0

x � x0

D limx!x0

�1

xx0

D � 1

x20

:

b) Wie in Teil b) von Beispiel 6.1 ergibt sich die Momentangeschwindigkeit zu

Ps.t0/ D limt!t0

s.t/ � s.t0/

t � t0D lim

t!t0

12g.t2 � t2

0 /

t � t0:

Unter Beachtung von t2 � t20 D .t � t0/.t C t0/ erhält man daraus

Ps.t0/ D limt!t0

1

2g.t C t0/ D gt0:

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6.2 Der Ableitungsbegriff 219

P0 P0

x0 x0x x

y y

Abb. 6.3 Tangente an steigende und fallende Funktion

6.2.2 Tangente und Differential

Aus der Definition der Ableitung ergibt sich folgende wichtige geometrische Eigenschaft:

Geometrische Deutungf 0.x0/ ist der Tangens des Steigungswinkels ˛ der Tangente an die Funktion f .x/

im Punkt x0:

f 0.x0/ D tan ˛:

Abbildung 6.3 veranschaulicht nochmals die geometrische Eigenschaft der Ableitung:Eine steigende Funktion hat eine positive Ableitung, eine fallende Funktion besitzt ei-ne negative Ableitung. Es ist daher möglich, mit der Ableitung das Monotonieverhaltendifferenzierbarer Funktionen zu beschreiben:

MonotonieverhaltenGilt für alle x aus einem Intervall I f 0.x/ > 0 bzw. f 0.x/ < 0, so ist f .x/ in I

streng monoton wachsend bzw. fallend.

Es stellt sich nun die Frage, wie man die Gleichung der Tangente t.x/ erhält: Die Tan-gente geht durch den Punkt P0 D .x0; f .x0// und hat dort definitionsgemäß die Steigungf 0.x0/. Damit lautet die Tangentengleichung offensichtlich:

Gleichung der Tangente

t.x/ D f .x0/ C f 0.x0/.x � x0/:

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220 6 Differentialrechnung

Abb. 6.4 Tangente an Funkti-on y D f .x/

P0

x0

Tangente

x

y

x0x0

Da eine Gerade durch einen Punkt und ihre Steigung in diesem Punkt eindeutig be-stimmt ist, verifiziert sich obige Formel wegen t.x0/ D f .x0/ und t 0.x0/ D f 0.x0/

sofort.

Ableitungsdefinition mit Tangente Schreibt man nun die Identität

limx!x0

f .x/ � f .x0/

x � x0

D f 0.x0/ D limx!x0

f 0.x0/

als

limx!x0

�f .x/ � f .x0/

x � x0

� f 0.x0/

D 0

bzw. auf den Hauptnenner gebracht als

limx!x0

f .x/ � Œf .x0/ C f 0.x0/.x � x0/�

x � x0

D 0; (�)

so erkennt man, dass im Zähler des obigen Quotienten die Differenz zwischen Funktions-wert f .x/ und Tangentenwert t.x/ steht:

limx!x0

f .x/ � t.x/

x � x0

D 0:

Man kann diesen Grenzwert auch anschaulich wie folgt formulieren: Die Funktion f .x/

nähert sich der Tangente t.x/ schneller als der Wert x dem Wert x0. Dies ist eine äquiva-lente Schreibweise zur Definition der Ableitung, die wir später bei der Definition der sogenannten totalen Differenzierbarkeit von Funktionen mehrerer Veränderlicher benutzenwerden.

Wir interessieren uns nun für die Differenz " der Zuwächse zwischen der Funktionund der Tangente, wenn das Argument sich von x0 auf x ändert. Hierzu betrachten wir inAbb. 6.5:

� Argumentzuwachs: dx D x � x0,

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6.2 Der Ableitungsbegriff 221

Abb. 6.5 Zuwächse zwischenFunktion und Tangente

x x

Tangente

f(x)

}}x

y

y

dx

}dy

}0

0

t(x)

� Zuwachs längs Funktion: �y D f .x/ � f .x0/,� Zuwachs längs Tangente: dy D t.x/ � t.x0/ D f 0.x0/.x � x0/ D f 0.x0/ dx,� Zuwachsdifferenz von f und Tangente t : " D �y � dy.

Unter Beachtung der Äquivalenz von x ! x0 und dx ! 0 lässt sich Gleichung (�) mitden eben eingeführten Abkürzungen auch schreiben als

0 D limx!x0

.f .x/ � f .x0// � f 0.x0/.x � x0/

x � x0

D limdx!0

�y � dy

dxD lim

dx!0

"

dx: (��)

In Abb. 6.5 können wir nun aber feststellen, dass gilt

f .x/ D f .x0/ C dy C " D f .x0/ C f 0.x0/dx C "

D f .x0/ C dx�

f 0.x0/ C "

dx

:

Wegen limdx!0 "=dx D 0 (siehe (��)) kann man die Summe f 0.x0/C"=dx für genügendkleine jdxj allein durch f 0.x0/ ersetzen, ohne eine gegebene Genauigkeitsschranke fürf .x/ zu verletzen. Auf diese Weise erhält man zur Berechnung des Funktionswertes f .x/

einer in x0 differenzierbaren Funktion f die Näherungsformel:

Lineare Approximation

f .x/ � f .x0/ C f 0.x0/ � dx:

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222 6 Differentialrechnung

Abb. 6.6 Fehler " bei linearerApproximation

}{{

{

x

x

dx

dx

.

Wenn man die Näherungsformel anwendet, so ersetzt man die Funktion f in der Nähevon x0 durch ihre Tangente, also durch eine lineare Funktion (Gerade). Man spricht daherauch von lokaler linearer Approximation der Funktion f .

Differential einer FunktionMan nennt die Größen dx Differential der unabhängigen Variablen x bzw. dy Df 0.x0/ � dx Differential der Funktion f an der Stelle x0.

Achtung! Viele Bücher bezeichnen Differentiale als unendlich kleine Größen. Dies istnicht korrekt: Differentiale sind in der Tat endliche, von Null verschiedene Größen, diefür einen vorgegebenen Genauigkeitsgrad hinreichend klein gewählt werden müssen.

Beispiel 6.2Gegeben sei ein Quadrat mit der Länge x0 D 5 und dem Flächeninhalt f .x0/ D 25.Jetzt vergrößern wir die Seiten des Quadrats um dx D 0;005 und berechnen den neuenFlächeninhalt mit der Näherungsformel: Wegen f .x/ D x2; f 0.x/ D 2x lautet diese

f .x0 C dx/ � x20 C 2x0 � dx:

Wir setzen x0 D 5 und dx D 0;005 und erhalten

f .5;005/ � 52 C 10 � 0;005 D 25;05 :

Man beachte, dass wegen .x0 C dx/2 D x20 C 2x0 � dx C .dx/2, also " D .dx/2 D

0;000025 die beiden Ziffern nach dem Komma richtig sind. Der korrekte Flächeninhaltwürde sich zu 25;050025 ergeben. Abbildung 6.6 verdeutlicht den Fehler ".

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6.2 Der Ableitungsbegriff 223

Übung 6.2a) Gegeben sei ein Kreis mit Radius r D 3 und Flächeninhalt A D �r2 D 28;2743.

Berechnen Sie eine Approximation des Flächeninhalts, wenn der Radius des Kreisesauf r D 3;0075 geändert wird. Wie groß ist der Fehler?

b) In Beispiel 6.1b beschreibt s.t/; t > t0 die von unserem „Brummi“-Fahrer im Zeit-intervall Œt0; t � zurückgelegte Fahrstrecke. Berechnen Sie das Differential von s.t/

in t0 und interpretieren Sie es als Wegstrecke!

Lösung 6.2a) Es ist dr D 0;0075 und damit A D �.3C0;0075/2 � �.32C6�0;0075/ D 28;4157.

Der Fehler ergibt sich zu " D � � 0;00752 D 0;0002. Der korrekte Wert wäre alsoA D 28;4159.

b) Das Differential lautet ds D Ps.t0/ � dt mit dt D t � t0. Es ist der Weg, den der Fah-rer zurücklegen würde, wenn er seine Momentangeschwindigkeit Ps.t0/ unverändertbeibehält. Für ein kurzes Zeitintervall ist dies eine gute Näherung, da sich in diesemFall nur sehr geringe Geschwindigkeitsänderungen ergeben können.

6.2.3 Differentielle Fehleranalyse

In der Praxis sind nun häufig Größen y0 zu berechnen, die in einem funktionalen Zu-sammenhang mit gemessenen Ausgangsgrößen x0 stehen: y0 D f .x0/. Ist dabei x0 miteinem Messfehler dx behaftet, so stellt sich die Frage, wie sich dieser auf die zu berech-nende Größe y0 auswirkt. Hierzu benutzt man die differentielle Fehleranalyse. Sie lieferteine Näherung für den auftretenden Berechnungsfehler �y D f .x0 C dx/ �f .x0/ durchAnwendung unserer Näherungsformel. Dieser kann auf zwei Arten berechnet werden:

� Absoluter Fehlerj�yj � jdyj D jf 0.x0/ � dxj;

� Relativer oder prozentualer Fehler

ˇˇˇˇ

�y

y

ˇˇˇˇ

�ˇˇˇˇ

dy

y

ˇˇˇˇ

Dˇˇˇˇ

f 0.x0/ � dx

f .x0/

ˇˇˇˇ

Dˇˇˇˇ

f 0.x0/x0

f .x0/

ˇˇˇˇ�ˇˇˇˇ

dx

x0

ˇˇˇˇ:

Beispiel 6.3Unser „Brummi“-Fahrer ist an einer 100 km=h-Stelle in eine Radarfalle geraten. DasRadargerät misst die Zeitdifferenz t zwischen zwei auf der Straße fixierten Punktenund berechnet dann die gefahrene Geschwindigkeit durch die Funktion v.t/ D 150 �150t2, 0 < t < 1, wobei bei der Zeitdifferenzmessung eine Ungenauigkeit von bis zudt D ˙0;02 nicht auszuschließen ist. Der Fahrer erhält eine Strafe, wenn nach Abzug

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224 6 Differentialrechnung

Abb. 6.7 Kurventangenteneiner quadratischen Parabel

x

y

des potentiellen Messfehlers seine Geschwindigkeit über 110 km=h liegt. Erwartet denFahrer eine Strafe, wenn das Gerät 112,50 km=h anzeigt?

Die Lösung der quadratischen Gleichung 150 � 150t2 D 112;50 ist offensichtlicht0 D 0;5. Wir ermitteln (nicht notwendigerweise) beide Fehlerarten:

a) absoluter Fehler: �v � dv D v0.t0/ dt D �300 t0 dt D �300�0;5�.˙0;02/ D 3,b) relativer Fehler: j�v=vj � j 3=112;50j D 0;026:

Der relative Fehler beträgt also 2;6%. Die tatsächliche Geschwindigkeit kann dahermit absoluter Sicherheit nur im Intervall Œ112;5 � �v; 112;5 C �v� � Œ109;5; 115;5�

fixiert werden. Der Fahrer geht somit straffrei aus.

Wichtig ist es, zu wissen, dass die differentielle Fehleranalyse alle Berechnungen mitden Funktionstangenten anstelle der Funktion durchführt. Bei vielen Funktionen ist dasmöglich, da die Tangenten die Funktion sehr gut annähern. Dies zeigt auch Abb. 6.7: Hierwurden nur die Tangenten an eine quadratische Parabel gezeichnet und dennoch denktman beim Betrachten der Abbildung, dass die Kurve selbst gezeichnet wurde.

6.2.4 Stetigkeit und Differenzierbarkeit

Abschließend untersuchen wir noch den wichtigen Zusammenhang zwischen Stetigkeitund Differenzierbarkeit. Hier gilt zunächst die Eigenschaft:

Stetigkeit differenzierbarer FunktionenIst die Funktion f an der Stelle x0 differenzierbar, so ist sie an dieser Stelle auchstetig.

Betrachten wir nun die Betragsfunktion, so folgt, dass die Umkehrung nicht gilt. Einestetige Funktion muss nicht überall differenzierbar sein: Für f .x/ D jxj gilt in x0 D 0

limh!0C

f .0 C h/ � f .0/

hD lim

h!0Ch � 0

hD 1

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6.2 Der Ableitungsbegriff 225

Abb. 6.8 Betragsfunktion mitSteigung ˛

D �45ı und˛

C

D 45ı

x

y

+-

und

limh!0�

f .0 C h/ � f .0/

hD lim

h!0C�h � 0

hD �1:

Links- und rechtsseitiger Grenzwert stimmen nicht überein, d. h. der Grenzwert exis-tiert nicht. Also ist die in x0 D 0 stetige Funktion jxj dort nicht differenzierbar. Sie hat hiereine Knickstelle, da die Steigung ˛� D �45ı sofort in die Steigung ˛C D 45ı übergeht.Anschaulich gesprochen gilt:

Graph einer stetigen oder differenzierbaren FunktionHat der Graph einer Funktion keine Sprünge, so ist sie stetig; hat ihr Graph zudemkeine Knickstellen, so ist sie differenzierbar.

Stetige, nirgends differenzierbare Funktion Es gibt sogar stetige, nirgends differenzier-bare Funktionen. Das berühmteste Beispiel hierfür ist wohl die abgewandelte Sägezahn-funktion, die für x 2 Œ�1=2; 1=2� mit der Betragsfunktion übereinstimmt und periodischauf ganz R fortgesetzt wird. Diese Funktion hat genau an den Stellen k=2, k 2 Z, Knick-stellen. Wie Abb. 6.9 zeigt, kann man diese Funktion nun so „verdichten“, dass unendlichviele, dicht beieinander liegende Knickstellen auftreten. Diese neue Funktion hat alsoüberall Knickstellen, d. h. sie ist nirgendwo differenzierbar.

x x

y y

-1 -10 01 12 2

Verdichtung

Abb. 6.9 Konstruktionsprinzip der Sägezahnfunktion

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226 6 Differentialrechnung

Tab. 6.1 Ableitung elementa-rer Funktionen

Funktion y D f .x/ Ableitung y0 D f 0.x/

x˛ ; ˛ 2 R ˛x˛�1

ex ex

ln x1

x

sin x cos x

cos x �sin x

tan x1

cos2 x

cot x � 1

sin2 x

arcsin x1p

1 � x2

arccos x � 1p1 � x2

arctan x1

1 C x2

arccot x � 1

1 C x2

jxj; x ¤ 0 sgn x; x ¤ 0

6.3 Ableitung elementarer Funktionen und höhere Ableitungen

Die Lösung praktischer Probleme mit Hilfe von Ableitungen erfordert Kenntnis über dieAbleitungen der elementaren Funktionen. Diese sind weitgehend aus der Schulmathematikbekannt und werden daher nur kurz vorgestellt. Die Ableitung einer Funktion ist wiedereine Funktion. Wenn die Ableitungsfunktion sogar differenzierbar ist, können wir dieseauch wieder differenzieren und erhalten eine so genannte „Höhere Ableitung“.

6.3.1 Ableitung der elementaren Funktionen

Die Tab. 6.1 listet die Ableitungen der wichtigsten elementaren Funktionen auf.Man erhält diese durch Berechnung der entsprechenden Grenzwerte, so wie wir das

für Polynome y D axn in Beispiel 6.1 bereits durchgeführt haben. Die Ableitungen derseltener vorkommenden Hyperbelfunktionen haben wir hier nicht vorgestellt, man findetdiese aber in jeder mathematischen Formelsammlung.

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6.3 Ableitung elementarer Funktionen und höhere Ableitungen 227

Beispiel 6.4Die Ableitung der Funktion y.x/ D p

x D x1=2 ergibt sich mit ˛ D 1=2 aus der erstenAbleitungsregel in obiger Tabelle zu y0.x/ D 1=2 x�1=2, d. h. .

px/0 D 1=.2

px/.

Übung 6.3Berechnen Sie die Ableitung von y.x/ D 3

px.

Lösung 6.3Mit y.x/ D x1=3 und ˛ D 1=3 folgt y0.x/ D 1=3 x�2=3.

6.3.2 Höhere Ableitungen

Symbole Wenn die Ableitung y0 D f 0.x/ einer differenzierbaren Funktion y D f .x/

ebenfalls wieder differenzierbar ist, so spricht man von der zweiten Ableitung y00 D f 00.x/

von f . Analog werden Ableitungen höherer Ordnung definiert. Folgende Notationen sindüblich:

1. Ableitung: y0 D f 0.x/ D dy

dxD df

dx

2. Ableitung: y00 D f 00.x/ D d 2y

dx2D d 2f

dx2

3. Ableitung: y000 D f 000.x/ D d 3y

dx3D d 3f

dx3

::::::

::::::

:::

n. Ableitung: y.n/ D f .n/.x/ D d ny

dxnD d nf

dxn

Beispiel 6.5Die Ableitungen der Funktion f .x/ D x4 ergeben sich der Reihe nach zu

f 0.x/ D 4x3; f 00.x/ D 12x2; f 000.x/ D 24x; f .4/.x/ D 24

und f .n/.x/ D 0 für n � 5:

Übung 6.4Berechnen Sie die ersten vier Ableitungen der Funktion f .x/ D cos x.

Lösung 6.4Mit Hilfe von Tab. 6.1 ermittelt man f 0.x/ D � sin x, f 00.x/ D � cos x, f 000.x/ Dsin x und f .4/.x/ D cos x.

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228 6 Differentialrechnung

6.4 Ableitungstechniken

In der Praxis ist eine effektive und leichte Ermittlung von Ableitungen notwendig, ohne diein der Ableitungsdefinition verlangte Grenzwertbildung durchführen zu müssen. In diesemAbschnitt sind daher Ableitungsregeln zusammengefasst, die es gestatten, Ableitungen vonFunktionen mit Hilfe der Ableitungen elementarer Funktionen aus Abschn. 6.3.1 zu be-rechnen. Die bekannten Regeln von Bernoulli-L’Hospital erlauben sogar eine einfacheBerechnung von vielen Grenzwerten.

6.4.1 Ableitungsregeln

Die nachfolgenden Regeln gestatten die Bildung der Ableitung von Funktionen, die auselementaren Funktionen aufgebaut sind:

Faktorregel, Summenregel, Produktregel, QuotientenregelUnter der Voraussetzung, dass die Funktionen f .x/ und g.x/ differenzierbar sind,gilt:

y D cf .x/ H) y0 D cf 0.x/; c D const;

y D f .x/ ˙ g.x/ H) y0 D f 0.x/ ˙ g0.x/;

y D f .x/ � g.x/ H) y0 D f 0.x/ � g.x/ C f .x/ � g0.x/;

y D f .x/

g.x/H) y0 D f 0.x/g.x/ � f .x/g0.x/

g2.x/

Diese Regeln sind leicht zu beherrschen, wenn man sie sich einmal verbal klar gemachtund an Beispielen nachvollzogen hat:

Summen- und Differenzenregel Mittels Summe und/oder Differenz zusammengesetzteFunktionen dürfen immer gliedweise abgeleitet werden:

Beispiel 6.6a) Die Ableitung des Polynoms p.x/ D 5x8 � 3x3 C 4x � 2 ergibt sich zu p0.x/ D

.5x8/0 � .3x3/0 C .4x/0 � .2/0 D 40x7 � 9x2 C 4,b) Die Ableitung von y.x/ D 4x7 C 3ex C ln x, x > 0, erhält man durch Ableiten

einzelner Terme zu y0.x/ D 28x6 C 3ex C 1=x.

Produktregel Besteht eine Funktion aus dem Produkt zweier Funktionen, so bildet manzwei neue Terme: Man leitet immer eine der beiden Funktionen ab und lässt die andere

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6.4 Ableitungstechniken 229

Funktion unverändert multiplikativ daneben stehen. Die gesuchte Ableitung erhält mandann durch Addition der beiden derart berechneten Terme.

Beispiel 6.7a) Gegeben sei die Funktion y.x/ D x3 � ln x, x > 0. Die Ableitungen von f .x/ D x3

bzw. g.x/ D ln x sind 3x2 bzw. 1=x. Die beiden neuen Terme ergeben sich also zu.x3/0 � ln x D 3x2 � ln x und x3 � .ln x/0 D x3 � 1=x. Somit lautet die Ableitung vony.x/ nun

y0.x/ D 3x2 � ln x C x3 � 1

xD x2.3 ln x C 1/:

b) Durch wiederholte Anwendung der Produktregel erhält man zum Beispiel für dieAbleitung eines Produktes von drei Funktionen f; g; h:

y D f � g � h H) y0 D Œf � .g � h/�0

D f 0 � .g � h/ C f � .g � h/0

D f 0 � g � h C f � .g0 � h C g � h0/D f 0 � g � h C f � g0 � h C f � g � h0

Quotientenregel Auch die Anwendung der Quotientenregel ist nicht schwer: Die Ablei-tung eines „Bruches“ Z=N ist ebenfalls ein Bruch. Der Zähler des „Ableitungsbruches“ergibt sich folgendermaßen: Ableitung von Z mal N minus Z mal Ableitung von N . Derneue Nenner ist einfach der alte Nenner zum Quadrat. Gültig ist diese Regel natürlich nurfür einen Nenner, der ungleich Null ist.

Beispiel 6.8a) Wir betrachten die Funktion y.x/ D ex=x, x ¤ 0. Es ist Z D ex , N D x und damit

Z 0 D ex , N 0 D 1. Daher gilt Z 0 mal N ist ex �x und Z mal N 0 ist ex �1. Die Differenzvon erstem minus zweitem Term ergibt den Zähler des „Ableitungsbruches“. DerNenner ergibt sich zu N 2 D x2. Es gilt also

y0.x/ D ex � x � ex � 1

x2D ex

�x � 1

x2

:

b) Gegeben sei nun die Funktion y.x/ D .x C ln x/=ex, x > 0. Es ist Z 0 � N D.1 C 1=x/ � ex , Z � N 0 D .x C ln x/ � ex und N 2 D .ex/2 D e2x . Die Ableitungergibt sich daher zu

y0 D .1 C 1x

/ex � .x C ln x/ex

e2xD x C 1 � x.x C ln x/

xex:

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230 6 Differentialrechnung

Übung 6.5Berechnen Sie die Ableitungen folgender Funktionen:

a) p.x/ D 10x11 � 4x5 C 2x2 � 45,b) f .x/ D arctan x � ln x � 1=x4, x > 0,c) y.x/ D tan x D sin x= cos x, cos x ¤ 0.

Lösung 6.5a) p0.x/ D 110x10 � 20x4 C 4x,b) Am einfachsten schreibt man 1=x4 D x�4 und erhält dann .x�4/0 D �4x�5 (der

Exponent wird multiplikativ neben die Funktion geschrieben und selbst um 1 er-niedrigt). Es ergibt sich dann:

f 0.x/ D .arctan x/0 � ln x C arctan x � .ln x/0 � .x�4/0

D 1

1 C x2� ln x C arctan x � 1

xC 4x�5;

c) Unter Benutzung der Quotientenregel und der Identität cos2 x C sin2 x D 1 gilt

y0.x/ D cos x � cos x � sin x � .�sin x/

cos2 xD 1

cos2 x:

Funktionen werden häufig auch durch „Hintereinanderschalten“ zweier Funktionen,einer inneren Funktion u D g.x/ und einer äußeren Funktion y D f .u/, definiert: y Df .g.x//. Für diesen Fall gibt es eine weitere Ableitungsregel:

KettenregelSind y D f .u/ und u D g.x/ differenzierbar, dann ist auch y.x/ D f .g.x//

differenzierbar und es gilt

y0.x/ D f 0.g.x// � g0.x/ bzw.dy

dxD dy

du� du

dx:

Die Bildung des Faktors g0.x/ D du=dx bezeichnet man als „Nachdifferenzieren“;manchmal wird die Kettenregel auch als „äußere Ableitung (Ableitung der äußeren Funk-tion f .u/) mal innere Ableitung (Ableitung der inneren Funktion g.x/)“ formuliert.

Beispiel 6.9Gegeben sei y.x/ D 5

px3 C 7x C 5. Wir setzen f .u/ D 5

pu D u1=5 und u D

g.x/ D x3 C 7x C 5. Dann gilt

f 0.u/ D 1

5u

15

�1 D 1

5u� 4

5 D 1

55p

u4

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6.4 Ableitungstechniken 231

und g0.x/ D 3x2 C 7, woraus nach Kettenregel folgt:

y0.x/ D 1

5 5p

.x3 C 7x C 5/4� .3x2 C 7/:

Übung 6.6Bilden Sie die ersten Ableitungen folgender Funktionen

a) y.x/ D ax D ex ln a D eu mit u.x/ D x ln a,b) y.x/ D ln.2x C 1/.

Lösung 6.6In beiden Fällen liefert eine Anwendung der Kettenregel die Lösung

a) y0.x/ D .eu.x//0 � u.x/0 D ex ln a � ln a D ax ln a:

b) Mit u.x/ D 2x C 1 folgt für die Ableitung von y D ln.u.x// D ln.2x C 1/

(Ableitung von u.x/ nach Teil a)!)

dy

dxD dy

du� du

dxD 1

u� 2x ln 2 D 1

2x C 1� 2x ln 2:

Mehrfache Anwendung der Kettenregel Oftmals ist eine wiederholte Anwendung derKettenregel notwendig, so ergibt sich zum Beispiel die Ableitung von y D f fgŒh.x/�g zu

y0 D df

dg� dg

dh� dh

dx:

Beispiel 6.10Um die Ableitung von y.x/ D lnŒsin2.x/�, x ¤ k� für k 2 Z, zu bilden, zerlegenwir y in h.x/ D sin x, g.h/ D h2 und f .g/ D ln g. Mit den Ableitungen

f 0.g/ D 1

g; g0.h/ D 2h und h0.x/ D cos x

ergibt sich

y0 D 1

g� 2h � cos x D 2h cos x

h2D 2 cos x

sin xD 2 cot x:

Das Ergebnis lässt sich einfach verifizieren, indem man die äquivalente Darstellungy.x/ D 2 lnŒsin.x/� ableitet.

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232 6 Differentialrechnung

Übung 6.7Ermitteln Sie die Ableitung von y D ln.x C p

x2 C 1/.

Lösung 6.7Zunächst bilden wir die Ableitung der inneren Funktion g.x/ D x C p

x2 C 1. Dazubenötigen wir .

px2 C 1/0. Mit h.x/ D x2 C 1 folgt nach Kettenregel

.p

x2 C 1/0 D .p

h/0 � h0.x/ D 1

2p

h� h0.x/ D 2x

2p

x2 C 1

und daraus nach Summenregel g0.x/ D 1 C x=p

x2 C 1: Setzen wir jetzt y D ln g,dann liefert nochmalige Anwendung der Kettenregel

y0 D 1

g� g0 D

1 C xpx2C1

x C px2 C 1

Dp

x2 C 1 C xpx2 C 1.x C p

x2 C 1/D 1p

x2 C 1:

In vielen Problemen arbeitet man auch mit der Umkehrfunktion einer vorgegebenenFunktion. Um deren Ableitung zu bestimmen, gibt es ebenfalls eine einfache Regel:

Ableitung der UmkehrfunktionEs sei f �1 die Umkehrfunktion der umkehrbaren Funktion f . Dann gilt für derenAbleitung:

.f �1/0.x/ D 1

f 0.f �1.x//; f 0.f �1.x// ¤ 0:

Beispiel 6.11Wir betrachten die Umkehrfunktion f �1.x/ D ln x von f .y/ D ey . Es ist f 0.y/ D ey .Damit ergibt sich die Ableitung von ln x nach obiger Formel zu

.ln x/0 D 1

f 0.ln x/D 1

eln xD 1

x:

Übung 6.8Ermitteln Sie mit Hilfe der Funktion f .y/ D yn die Ableitung von f �1.x/ D n

px.

Lösung 6.8Wegen f 0.y/ D nyn�1 gilt

. np

x/0 D 1

f 0. np

x/D 1

n. np

x/n�1D 1

nnp

xn�1:

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6.4 Ableitungstechniken 233

6.4.2 Grenzwertregeln von Bernoulli-L’Hospital

In diesem Abschnitt stellen wir ein Verfahren vor, das die Berechnung von Grenzwertender Form

limx!x0

f .x/

g.x/und lim

x!˙1f .x/

g.x/;

ermöglicht, bei denen Zähler und Nenner gemeinsam entweder den Grenzwert 0 anneh-men oder gegen ˙1 streben (hierfür schreiben wir symbolisch „0=0“ bzw. „1=1“).

Regeln von Bernoulli-L’Hospital (kurz: Regel von L’Hospital)Wenn der Grenzwert limx!x0

f .x/=g.x/ die Form „0=0“ oder „1=1“ hat, aberandererseits der Grenzwert limx!x0

f 0.x/=g0.x/ existiert, dann gilt

limx!x0

f .x/

g.x/D lim

x!x0

f 0.x/

g0.x/:

Diese Formel kann man anstelle von x ! x0 auch für x ! 1 oder x ! �1anwenden.

Beispiel 6.12Wir betrachten limx!0 sin x=x. Dieser Grenzwert besitzt die Form „0=0“. Mit f .x/ Dsin x, g.x/ D x und den Ableitungen .sin x/0 D cos x, .x/0 D 1 ergibt sich

limx!x0

f 0.x/

g0.x/D lim

x!0

cos x

1D 1

1D 1:

Es folgt daher

limx!0

sin x

xD lim

x!0

cos x

1D 1:

Man beachte aber, dass die Regel von L’Hospital nicht immer (auch nicht durch wie-derholte Anwendung) zu einem Ergebnis führt, selbst wenn der zu untersuchende Grenz-wert existiert. In diesem Fall müssen andere Grenzwertregeln benutzt werden.

Übung 6.9a) Ermitteln Sie den Grenzwert limx!1 ln x

ex .b) Bestimmen Sie durch zweimalige (!) Anwendung der Regel von L’Hospital den

Grenzwert

limx!1

1 C cos.�x/

x2 � 2x C 1:

Page 22: [Springer-Lehrbuch] Mathematik kompakt ||

234 6 Differentialrechnung

Lösung 6.9a) Der gesuchte Grenzwert hat zunächst die Form „1=1“. Die Regel von L’Hospital

darf deshalb angewandt werden:

limx!1

ln x

exD lim

x!1.ln x/0

.ex/0 D limx!1

1=x

exD lim

x!11

xexD 0:

b) Der gesuchte Grenzwert hat zunächst die Form „0=0“ mit f .x/ D 1C cos.�x/ undg.x/ D x2 � 2x C 1. Anwendung der Regel von L’Hospital liefert daher

limx!1

f 0.x/

g0.x/D lim

x!1

�� sin.�x/

2x � 2;

also wieder einen Grenzwert der Form „0=0“. Erneute Anwendung der Regel aufletzteren Grenzwert ergibt jetzt

limx!1

f 00.x/

g00.x/D lim

x!1

��2 cos.�x/

2D �2

2:

Durch zweimalige Anwendung der Regel von L’Hospital erhält man daher

limx!1

1 C cos.�x/

x2 � 2x C 1D lim

x!1

f 0.x/

g0.x/D lim

x!1

f 00.x/

g00.x/D �2

2:

Regeln von L’Hospital für weitere unbestimmte Formen Die Regel von L’Hospitalkann also wiederholt angewandt werden. Natürlich müssen die Voraussetzungen bei jedereinzelnen Anwendung erfüllt sein! Eine Anwendung der Regel auf weitere zunächst un-bestimmte Formen (z. B. „0 �1“, „1�1“) ist ebenfalls möglich. Diese muss man durchgeeignete Umformungen auf eine der Formen „0=0“ bzw. „1=1“ zurückführen.

6.5 Extrema und Kurvendiskussion

In der Praxis ist die Ermittlung von Extremwerten eine wichtige Aufgabe: man denkebeispielsweise nur an Gewinnmaximierung oder Zeitminimierung. Extremwertstellen ge-hören genauso wie Wendepunkte, die Auskunft über das Krümmungsverhalten geben, zuden wichtigsten Charakteristika einer Funktion. Durch Ableitungsuntersuchungen kön-nen diese Punkte recht einfach ermittelt werden. Den wesentlichen Verlauf einer Funktionkann man mit relativ wenig Aufwand durch eine elementare Kurvendiskussion, zu der ne-ben den oben genannten Punkten auch die Bestimmung von Nullstellen, Monotonie undAsymptoten gehört, herausfinden.

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6.5 Extrema und Kurvendiskussion 235

Abb. 6.10 Globale und lokaleExtremwerte

a bx

y

P1

P2

P3

P4

P5 P6

P7

6.5.1 Extremwerte

Zunächst muss der Begriff „Extremwert“ exakt definiert werden:

Extremwerte einer FunktionEine Funktion y D f .x/ mit dem Definitionsbereich D hat an der Stelle x0 2 D

ein globales Maximum bzw. globales Minimum, wenn für alle x 2 D gilt

f .x/ f .x0/ bzw. f .x/ � f .x0/:

Ist eine der beiden obigen Ungleichungen nur für Argumente x aus einer Umge-bung von x0 erfüllt, dann spricht man von einem relativen Maximum bzw. relativenMinimum. Ein relatives Extremum bezeichnet man auch als lokales Extremum (lo-kales Maximum bzw. lokales Minimum).

Gilt in den Ungleichungen für kein x ¤ x0 Gleichheit, so heißen die Extremastreng.

Abbildung 6.10 verdeutlicht diese Definitionen: Strenge relative Extrema liegen in denPunkten P1; P3 (Minima), P2; P4 und P7 (Maxima) vor, während alle Punkte zwischenP5 und P6 nicht strenge relative Minima sind. In P1 und P7 treten zudem globale Extremaauf. Unmittelbar aus der Abbildung ersichtlich ist:

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236 6 Differentialrechnung

Abb. 6.11 Horizontale Tan-genten und Extremwerte

x

yy=f(x)

Max.

Min.

Potentielle ExtremwertstellenMögliche Kanditaten für relative Extrema sind

� Randpunkte des Definitionsbereichs D,� „Nichtdifferenzierbarkeits“-Stellen,� Stellen mit horizontaler Tangente.

Bei Extrema in Differenzierbarkeitsstellen müssen die Tangenten notwendigerweiseimmer horizontal verlaufen. Es lässt sich daher festhalten:

Notwendiges ExtremwertkriteriumWenn die Funktion f .x/ in x0 differenzierbar und x0 ein Extremwert von f .x/ ist,dann muss gelten:

f 0.x0/ D 0:

Diese Bedingung ist jedoch nur notwendig, aber nicht hinreichend. So hat beispiels-weise die Funktion aus Abb. 6.11 drei horizontale Tangenten, aber nur zwei Extrema.Man benötigt daher ein zusätzliches hinreichendes Kriterium. Das hier vorgestellte hin-reichende Kriterium benutzt höhere Ableitungen von f .x/:

Hinreichendes ExtremwertkriteriumWenn für die in x0 differenzierbare Funktion

f 0.x0/ D f 00.x0/ D : : : D f .n�1/.x0/ D 0

und f .n/.x0/ ¤ 0 für ein gerades n 2 N gilt, dann hat f .x/ in x0 ein strengesrelatives Extremum; genauer ein

� strenges relatives Maximum, falls f .n/.x0/ < 0,� strenges relatives Minimum, falls f .n/.x0/ > 0.

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6.5 Extrema und Kurvendiskussion 237

Abb. 6.12 Tangentenstei-gungen im Maximum bzw.Minimum

x x

f’’>0f’’<0

x0 x0

y y

Häufig angewandt wird der – aus dem Schulunterricht bekannte – Fall n D 2, d. h.

f 0.x0/ D 0 undf 00.x0/ < 0

H) x0 ist strenges relatives Maximum,

f 0.x0/ D 0 undf 00.x0/ > 0

H) x0 ist strenges relatives Minimum.

Tangentensteigung und zweite Ableitung Dieser Spezialfall ist auch geometrisch ein-sichtig: Die zweite Ableitung f 00.x/ kann auch als erste Ableitung von f 0.x/ interpretiertwerden. Ist f 00.x/ < 0, so fällt die erste Ableitung monoton, d. h. die Steigungen derFunktionstangenten durch verschiedene Punkte (von links nach rechts in einer Umgebungvon x0) werden immer kleiner. Umgekehrt werden bei f 00.x/ > 0 die Tangentenstei-gungen immer größer. Aus Abb. 6.12 wird die Art des Extremums daher sofort deutlich.

Hat man mit Hilfe obiger Kriterien alle relativen Extrema ermittelt, kann man jetztauch die Bestimmung der globalen Extrema angehen:

Bestimmung globaler ExtremaZur Bestimmung der globalen Extrema muss man

� die zu relativen Extrema gehörigen Funktionswerte vergleichen,� das Verhalten der Funktion für x ! ˙1 und in eventuell vorhandenen Unend-

lichkeitsstellen untersuchen.

Beispiel 6.13a) Die Funktion f .x/ D x4 hat folgende Ableitungen:

f 0.x/ D 4x3; f 00.x/ D 12x2; f 000.x/ D 24x; f .4/.x/ D 24:

Es folgt f 0.0/ D f 00.0/ D f 000.0/ D 0 und f .4/.0/ > 0. Das hinreichende Kriteri-um liefert daher ein relatives Minimum in x0 D 0. Da limx!˙1 x4 D 1, besitztdie Funktion kein globales Maximum, aber x0 D 0 ist globales Minimum.

b) Untersuchung von Differenzierbarkeitsstellen Gegeben sei die Funktion f .x/ Dx3

p7 � x mit dem Definitionsbereich Df D .�1; 7�. Zunächst untersuchen wir

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238 6 Differentialrechnung

Abb. 6.13 Funktionsgraph zuBeispiel 6.13b

y

x

3

-376

216

0

die Differenzierbarkeitsstellen:

f 0.x/ D 3x2p

7 � x � x3

2p

7 � xD 42x2 � 7x3

2p

7 � xD 7x2.6 � x/

2p

7 � x:

Der Definitionsbereich von f 0 ergibt sich zu Df 0 D Df n f7g. Wir prüfen dieStellen x1 D 0; x2 D 6 mit horizontaler Tangente (f 0.x/ D 0!):� x1 D 0: Da f 0.x/ > 0 für x 2 .�1; 6/, ist f im Intervall .�1; 6/ streng

monoton wachsend. x1 kann also kein Extremum sein.� x2 D 6: Es ist f 0.x/ > 0 für x 2 .0; 6/ und f 0.x/ < 0 für x 2 .6; 7/.

Die Funktion ist links von x2 monoton steigend, rechts davon aber monotonfallend. In x2 besitzt f also ein strenges relatives Maximum. Die aufwendig zuberechnende zweite Ableitung hätte sich zu f 00.6/ D �126 < 0 ergeben. Damithätten wir x D 6 mit dem hinreichenden Kriterium ebenfalls als Maximumidentifizieren können.

Untersuchung von Nichtdifferenzierbarkeitsstellen Jetzt muss noch die Nicht-differenzierbarkeitsstelle x3 D 7, die gleichzeitig auch Randpunkt des Definitions-bereichs ist, überprüft werden: Es ist f .x3/ D 0 und f .x/ > 0 für x 2 .0; 7/. Alsoliegt in x3 ein strenges relatives Minimum vor.Ein Vergleich der zu den relativen Extrema gehörigen Funktionswerte f .6/ D 216

und f .7/ D 0 und die Beachtung von limx!�1 f .x/ D �1 zeigt, dass in x2 einglobales Maximum vorliegt, während ein globales Minimum nicht existiert (sieheauch Abb. 6.13).

6.5.2 Wendepunkte und Krümmungsverhalten

Da die Steigung der Tangente einer Funktion y D f .x/ im Punkt x0 durch f 0.x0/ gege-ben ist und die Ableitung einer Funktion deren Wachstum charakterisiert, ist die zweiteAbleitung f 00.x0/ offensichtlich ein Maß für die Änderung der Tangentensteigung. WieAbb. 6.14 zeigt, wird durch diese das Krümmungsverhalten des Graphen von f beschrie-ben.

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6.5 Extrema und Kurvendiskussion 239

y

x

y

x

Linkskrümmung

Rechtskrümmung

Abb. 6.14 Krümmungsverhalten und Tangentensteigungen

y

x

y

x

x w x w

SattelpunktWendepunkt

Abb. 6.15 Wendepunkt bzw. Sattelpunkt

Linkskrümmung, konvexe Funktion, Rechtskrümmung, konkave Funktion Istf 00.x/ > 0 in einem Intervall I , so nimmt f 0.x/ dort streng monoton zu, d. h. dieTangentensteigung wächst ständig. Ein Fahrzeug, das man sich längs der Kurve f fah-rend denkt, durchläuft eine Linkskurve. Man spricht in diesem Fall von Linkskrümmungund nennt die Funktion konvex. Analog erhält man für f 00.x/ < 0 ständig fallendeTangentensteigungen und damit eine Rechtskrümmung (konkave Funktion).

Die Krümmung ändert sich nun offensichtlich in Punkten, in denen steigende Tangen-ten in fallende (oder umgekehrt) übergehen. Dies sind aber genau die Punkte, für die dieerste Ableitung Extremwerte annimmt. Daher definiert man:

Wendepunkt, SattelpunktEin Punkt xw , an dem die erste Ableitung f 0 einer differenzierbaren Funktion f

ein relatives Extremum besitzt, heißt Wendepunkt von f . Ein Wendepunkt mit ho-rizontaler Tangente (zusätzlich f 0.xw/ D 0) heißt Sattelpunkt.

Um Wende- und Sattelpunkte zu finden, sind die Extremwertkriterien aus Ab-schn. 6.5.1 nicht auf f , sondern auf die Funktion f 0 anzuwenden. Das liefert folgendesKriterium:

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240 6 Differentialrechnung

Hinreichendes Wendepunkt-KriteriumHinreichend dafür, dass in xw ein Wendepunkt vorliegt, ist

f 00.xw/ D 0 und f 000.xw/ ¤ 0 :

Übung 6.10Gegeben sei das Polynom p.x/ D x4=4 � 5x3 C 8. Bestimmen Sie Extremwerte,Wendepunkte und das Krümmungsverhalten.

Lösung 6.10Die ersten drei Ableitungen von p.x/ lauten: p0.x/ D x3 � 15x2 D x2.x � 15/,p00.x/ D 3x2 � 30x D 3x.x � 10/ und p000.x/ D 6x � 30. Mögliche Kandidatenfür Extremwerte sind die Nullstellen der ersten Ableitung: x1 D 15, x2 D 0. Dap00.15/ D 225 > 0, liegt hier ein relatives Minimum vor. Die Nullstellen der zweitenAbleitung ergeben sich zu: x2 D 0, x3 D 10. Ferner ist p000.0/ D �30 ¤ 0 undp000.10/ D 30 ¤ 0. Deshalb ist x2 kein Extremwert, sondern ein Sattelpunkt (wegenp0.0/ D 0). Auch x3 ist ein Wendepunkt. Durch die Wendepunkte werden die Interval-le mit unterschiedlichem Krümmungsverhalten abgegrenzt: In .�1; 0/ und .10; 1/ istdas Polynom linksgekrümmt (da dort p00.x/ > 0 stets) und in .0; 10/ rechtsgekrümmt(da dort p00.x/ < 0 stets). Da limx!˙1 p.x/ D 1 ist das relative Mimimum auchglobal, ein globales Maximum existiert nicht.

6.5.3 Elementare Kurvendiskussion

Mit einer elementaren Kurvendiskussion kann man sich mit recht geringem Arbeitsauf-wand einen Überblick über den Graphen einer gegebenen Funktion y D f .x/ verschaffen.Empfehlenswert ist dabei die Bestimmung/Ermittlung von

a) Polstellen, Asymptoten und Verhalten am Rand des Definitionsbereichs,b) Symmetrie (Achsen oder Ursprung) und Periodizität,c) Nullstellen der Funktion,d) Stetigkeits- und Differenzierbarkeitsintervalle,e) Extrema, Wendepunkte mit Krümmungsintervallen,f) und letztlich die Skizzierung des Funktionsgraphen.

Übung 6.11Gegeben sei die Funktion f .x/ D e�1=x . Führen Sie eine elementare Kurvendiskussi-on durch.

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6.6 Numerische Lösung nichtlinearer Gleichungen 241

Abb. 6.16 Graph der Funktionf .x/ D e�1=x

x

y

y=1

0

x=0

Lösung 6.11Polstelle, Asymptote Zunächst stellt man fest, dass die Funktion den Definitionsbe-reich D D R n f0g hat. Interessant ist daher das Verhalten der Funktion am Rand desDefinitionsbereichs:

limx!0C e�1=x D 0 und lim

x!0� e�1=x D 1:

Aus dem letzten Grenzwert folgt, dass 0 eine Polstelle ist und die Gerade x D 0

vertikale Asymptote ist. Weiterhin hat man

limx!˙1 e�1=x D 1;

also die horizontale Asymptote y D 1.

Symmetrie, Nullstellen Die Funktion besitzt offensichtlich keine Symmetrieeigen-schaften. Da die e-Funktion nie Null wird, hat sie auch keine Nullstellen. Die Ablei-tungen von f .x/ ergeben sich zu

f 0.x/ D 1

x2e�1=x und f 00.x/ D 1

x4e�1=x.1 � 2x/:

Extrema, Wendepunkte Mit Ausnahme der Polstelle ist die Funktion überall diffe-renzierbar (und damit auch stetig). Da f 0.x/ ¤ 0 stets, gibt es keine Extrema. Es istf 00.1=2/ D 0. Die dritte Ableitung ergibt sich zu f 000.x/ D .1=x6/e�1=x.6x2�6x�1/,woraus f 000.1=2/ ¤ 0 folgt. x D 1=2 ist nach dem hinreichenden Wendepunktkriteri-um also ein Wendepunkt. Den Graphen von f .x/ zeigt Abb. 6.16.

6.6 Numerische Lösung nichtlinearer Gleichungen

Viele Gleichungen lassen sich algebraisch nicht lösen, obwohl man in der Praxis derenLösungen bis auf eine gewisse vorgegebene Genauigkeit benötigt. Man benutzt deshalbnumerische Verfahren, die die gesuchten Lösungen approximieren. Bisektions-, Sekan-tenverfahren und die Regula falsi sind ableitungsfreie Verfahren und können auch auf

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242 6 Differentialrechnung

nichtdifferenzierbare Funktionen angewandt werden. Schneller ist jedoch das so genann-te Newton-Verfahren, welches allerdings die einfache Berechenbarkeit von Ableitungenvoraussetzt. Dafür lässt es sich aber als einziges der genannten Verfahren auf mehrereDimensionen verallgemeinern.

Lösung einer Gleichung entspricht Bestimmung von Nullstellen einer FunktionGleichungen lassen sich immer so umformen, dass auf der rechten Seite eine Null steht.Die linke Seite kann man dann als Funktion auffassen. Damit ist die Lösung einer Glei-chung äquivalent zur Bestimmung von Nullstellen von Funktionen. Die nachfolgenddargestellten Methoden sind daher Iterationsverfahren zur Nullstellenbestimmung vonFunktionen.

6.6.1 Bisektions- und Sekantenverfahren, Regula falsi

Das Bisektionsverfahren kann Nullstellen von stetigen Funktionen f .x/ ermitteln. ZumStart benötigt man zwei Werte a < b (in der Praxis meist leicht ermittelbar!), an denendie Funktion verschiedene Vorzeichen hat (im Zeichen sgn f .a/ ¤ sgn f .b/). Dann liegtdie gesuchte Nullstelle offensichtlich im Intervall Œa; b�. Nun wertet man die Funktionam Intervallmittelpunkt m D .a C b/=2 aus. Gilt f .m/ D 0, dann hat man sogar eineexakte Lösung gefunden. Andernfalls hat mindestens eines der beiden Intervalle Œa; m�

bzw. Œm; b� an den Endpunkten Funktionswerte mit unterschiedlichen Vorzeichen, enthältalso nach dem Zwischenwertsatz (siehe Abschn. 3.4) die gesuchte Nullstelle. Mit diesem(um die Hälfte kleineren!) Intervall fährt man nun fort, d. h. man berechnet dessen Mittel-punkt usw. Das Verfahren endet, wenn die Länge des aktuellen Intervalls eine vorgegebeneGenauigkeit " unterschreitet. Mathematisch lässt sich das Verfahren folgendermaßen be-schreiben:

BisektionsverfahrenBerechne ausgehend von Werten a0 D a, b0 D b mit a < b und sgn f .a/ ¤sgn f .b/ für k D 0; 1; 2; : : : den Mittelpunkt mk D .ak C bk/=2 des IntervallsŒak; bk � und setze (falls f .mk/ ¤ 0)

ŒakC1; bkC1� WD�

Œak; mk �; falls sgnf .ak/ ¤ sgnf .mk/

Œmk; bk�; sonst

STOP, wenn bkC1 � akC1 < ".

Die sehr (programmier-)technische Anweisung ist leicht verständlich, wenn man sieam Beispiel von Abb. 6.17 nachvollzieht.

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6.6 Numerische Lösung nichtlinearer Gleichungen 243

Abb. 6.17 Bisektionsverfah-ren

a bx

f(x)

a0

a2

a3

a1

b0

b2

b3

b1

0m

2m1m

Tab. 6.2 Intervalle für ausge-wählte Iterationsschritte

k Œak I bk�

0 Œ0I 1�

1 Œ0;5I 1�

2 Œ0;5I 0;75�

3 Œ0;5I 0;625�

4 Œ0;5625I 0;625�

:::

17 Œ0;602249146I 0;602256775�

18 Œ0;602249146I 0;602252960�

19 Œ0;602249146I 0;602251053�

20 Œ0;602249146I 0;602250099�

Beispiel 6.14Start mit a0 D 0, b0 D 1 Gegeben sei p.x/ D 3x3 � 4x2 � 2x C 2. Die dreiNullstellen dieses Polynoms liegen bei x�

1 � 0;602249, x�2 � 1;48 und x�

3 � �0;75.Um beispielsweise die Nullstelle x�

1 zu ermitteln, starten wir das Bisektionsverfahrenmit a0 D 0 < 1 D b0 (es gilt dann f .0/ D 2 und f .1/ D �1!). Die Tab. 6.2 zeigt fürausgewählte Iterationsschritte k die ermittelten Intervalle.

Genauigkeit nach 20 Iterationen Es gilt b20 � a20 D 0;953 � 10�6. Nach 20 Itera-tionen hat man erst eine Genauigkeit von 5 Nachkommastellen erreicht.

Beim Sekantenverfahren berechnet man eine Näherung x2 der gesuchten Nullstelleeiner Funktion f aus dem Schnitt der Sekante durch zwei bereits vorgegebene Punkte.x0; f .x0// und .x1; f .x1// mit der x-Achse. Die nächste Näherung x3 ergibt sich dannals Nullstelle der Sekante, die durch .x2; f .x2// und .x1; f .x1// geht. Abbildung 6.18verdeutlicht dieses Vorgehen.

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244 6 Differentialrechnung

Abb. 6.18 Sekantenverfahren

x

y

0x0

x1

x2

x3

Sekantengleichung Im Allgemeinen lautet die Gleichung der Sekante durch die beidenPunkte .xk; f .xk// und .xkC1; f .xkC1//

y.x/ D f .xkC1/ � f .xk/

xkC1 � xk

.x � xk/ C f .xk/

(da y.xk/ D f .xk/ und y.xkC1/ D f .xkC1/). Der neue Wert xkC2 ergibt sich nun ausder Forderung y.xkC2/ D 0. Man hat daher folgenden Algorithmus:

SekantenverfahrenBerechne ausgehend von zwei beliebig gewählten Startwerten x0 und x1 für k D0; 1; 2; : : :

xkC2 WD xkf .xkC1/ � xkC1f .xk/

f .xkC1/ � f .xk/:

STOP, wenn jxkC2 � xkC1j < " oder Nenner D 0.

Beispiel 6.15Um die Nullstelle x�

1 � 0;602249 von p.x/ D 3x3 �4x2 �2x C2 (vgl. Beispiel 6.14)zu ermitteln, wird das Sekantenverfahren mit den Werten x0 D 0 und x1 D 1 gestartet.Die erste Näherung x2 ergibt sich nach obiger Formel zu

x2 D 0 � f .1/ � 1 � f .0/

f .1/ � f .0/D 2

3:

Tabelle 6.3 zeigt die Ergebnisse weiterer Iterationsschritte des Verfahrens, wobei mitdem tatsächlichen Wert übereinstimmende Nachkommastellen unterstrichen sind.

Bereits nach 5 Iterationen hat man eine Genauigkeit von 7 Nachkommastellen.

Regula Falsi Die Regula Falsi ist dem Bisektionsverfahren sehr ähnlich. Man startetebenfalls mit einem Intervall Œx0; x1�, wobei f .x0/ und f .x1/ verschiedene Vorzeichenhaben. Das Intervall enthält also mindestens eine Nullstelle von f . Der einzige Unter-schied besteht nun darin, dass man nicht den Intervallmittelpunkt, sondern – wie oben –

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6.6 Numerische Lösung nichtlinearer Gleichungen 245

Tab. 6.3 Iterationen des Se-kantenverfahrens

k xk

2 0;666666667

3 0;571428571

4 0;603112840

5 0;602259045

6 0;602249187

die Nullstelle der Sekante x2 benutzt. Man berechnet jetzt f .x2/ und setzt das Verfahrengemäß den Regeln des Bisektionsverfahrens mit einem der beiden Intervalle Œx0; x2� bzw.Œx2; x1�, das die Nullstelle enthält, fort.

6.6.2 Newton’sches Iterationsverfahren

Funktion muss differenzierbar sein Ein recht einfaches, aber sehr effektives Iterati-onsverfahren ist das Newton-Verfahren, welches die Differenzierbarkeit der Funktion f

voraussetzt. Es kann daher zur Bestimmung der Nullstelle x� anstelle von Sekanten dieTangenten an f benutzen. Zunächst sucht man eine gute Näherung x0 für x�, die man bei-spielsweise aus einer Skizze oder Funktionstabelle gewinnen kann. Im Punkt .x0; f .x0//

stellt man nun die Tangentengleichung auf (vgl. Abschn. 6.2.2):

t.x/ D f .x0/ C f 0.x0/.x � x0/:

Nullstelle der Tangente Da die Tangente eine gute Näherung der gegebenen Funktion f

darstellt, ist zu erwarten, dass die einfach zu berechnende Nullstelle x1 von t eine bessereNäherung von x� ist als x0:

x1 D x0 � f .x0/

f 0.x0/:

Nun setzen wir das Verfahren mit dem neuen Näherungswert x1 fort. Dies liefert x2 Dx1 � f .x1/=f 0.x1/. Wiederholte Anwendung (Iteration) – natürlich nur für f 0.xk/ ¤ 0 –liefert:

Newton-VerfahrenWähle x0 und berechne die Folge .xk/ mittels

xkC1 WD xk � f .xk/

f 0.xk/; k D 0; 1; 2; : : : :

STOP, falls jxkC1 � xkj < " oder Nenner D 0.

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246 6 Differentialrechnung

Abb. 6.19 Newtonverfahren

x

y

x1 x0x2

x*

Tab. 6.4 Iterierte des Newton-verfahrens

k xk

0 0;0100000000

1 0;9621441970

2 0;2627451476

3 0;6226741590

4 0;6020648709

5 0;6022491765

6 0;6022491900

Lokale Konvergenz Wie aus Abb. 6.19 ersichtlich, ist in vielen Fällen eine Konvergenzder Näherungswerte xk gegen x� gegeben, d. h. xk ! x�. In der Numerischen Mathema-tik wird gezeigt, dass das Newton-Verfahren unter gewissen Voraussetzungen, die in derPraxis häufig erfüllt sind, konvergiert, wenn man einen Startwert nimmt, der hinreichendnahe bei der gesuchten Nullstelle liegt (lokale Konvergenz). Dagegen konvergieren dasBisektionsverfahren und die Regula Falsi aber stets; man sagt, sie sind global konvergent.

Quadratische Konvergenz Das Newton-Verfahren ist jedoch sehr einfach und – wiegerade bemerkt – häufig konvergent. Deshalb ist es in der Praxis sehr verbreitet. Es kon-vergiert i. Allg. „schneller“ als die anderen Verfahren: die Zahl der gültigen Nachkom-mastellen verdoppelt sich in der Endphase beim Newton-Verfahren in der Regel sogar vonIterationsschritt zu Iterationsschritt („quadratische Konvergenz“).

Beispiel 6.16Gegeben sei nochmals das Polynoms p.x/ D 3x3�4x2�2xC2. Man wählt nun einenStartpunkt x0 hinreichend nahe bei x�

1 . Für x0 D 0;01 ergeben sich die Iterierten ausTab. 6.4. Bei jeder Iterierten sind die gültigen Ziffern unterstrichen. Man erkennt darandeutlich die quadratische Konvergenz. Bereits nach 6 Iterationen sind 10 Nachkom-mastellen korrekt. Nimmt man einen „besseren“ Startwert, z. B. x0 D 0;1, so erreichtman 10 gültige Nachkomastellen bereits nach 5 Iterationen.

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6.7 Taylorpolynome 247

Übung 6.12Benutzen Sie zur Lösung der Gleichung x2 �10x C ln x D 0 das Newtonverfahren mitdem Startwert x0 D 9. Ermitteln Sie die Lösung bis auf 4 Nachkommastellen genau.

Lösung 6.12Setzt man f .x/ D x2 � 10x C ln x, dann ist f 0.x/ D 2x � 10 C 1=x und dieerste Näherung x1 ergibt sich aus x1 D 9 � f .9/=f 0.9/ D 9;83870. Analog ergebensich x2 D 9;76719, x3 D 9;76666 und x4 D 9;76666. Die beiden letzten Iteriertenunterscheiden sich in den geforderten Nachkommastellen nicht mehr, also lautet diegesuchte Lösung 9;7667.

6.7 Taylorpolynome

Ausreichend oft differenzierbare Funktionen lassen sich durch Polynome approximieren.Wie gut diese so genannten Taylorpolynome eine Funktion approximieren, kann man mitdem Taylor’schen Restglied berechnen. Ein Spezialfall der Formel von Taylor liefert denin der Mathematik wichtigen Mittelwertsatz der Differentialrechnung.

Lineare Approximation von f .x/ um x0 In Abschn. 6.2.2 wurde gezeigt, dass maneine Funktion f .x/ in der Nähe eines Punktes x0 linear approximieren kann (man beachte,dass dx D x � x0 gilt):

f .x/ � f .x0/ C f 0.x0/.x � x0/ DW p1.x/:

Verbesserung der Approximation von f .x/ um x0 Beim Gebrauch dieser Formel ver-wendet man also anstelle der (evtl. aufwendigen) Funktion f die leicht berechenbareErsatzfunktion p1.x/, die ein Polynom 1. Grades ist. p1.x/ hat im Punkt x0 denselbenFunktions- und Ableitungswert wie f : p1.x0/ D f .x0/ und p0

1.x0/ D f 0.x0/. Kenntman auch die zweite Ableitung von f , so sucht man eine „bessere“ Ersatzfunktion p2.x/

mit p2.x0/ D f .x0/, p02.x0/ D f 0.x0/ und p00

2.x0/ D f 00.x0/. Die zusätzlich geforderteÜbereinstimmung in der zweiten Ableitung lässt eine höhere Approximationsgenauigkeiterwarten. Man verifiziert leicht, dass das Polynom zweiten Grades

p2.x/ D f .x0/ C f 0.x0/.x � x0/ C f 00.x0/

2.x � x0/2

die geforderten Eigenschaften erfüllt.

Beispiel 6.17Zu approximieren sei die Funktion f .x/ D ex . Da f .x/ D f 0.x/ D f 00.x/ D ex

und f .0/ D f 0.0/ D f 00.0/ D 1, ergeben sich die Polynome zu p1.x/ D 1 C x,p2.x/ D 1 C x C x2=2. Die Güte der Approximationen wird aus Abb. 6.20 deutlich.

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248 6 Differentialrechnung

Abb. 6.20 Polynom-Approximationen für y D ex

y

x0 1-1

2

x

1

2

Kennt man nun die Ableitungen von f bis zur n-ten Ordnung, so sucht man ein Poly-nom pn.x/ n-ten Grades mit der Eigenschaft pn.x0/ D f .x0/ und p

.k/n .x0/ D f .k/.x0/

für k D 1; : : : n. Die Lösung dieser Aufgabe liefert das so genannte Taylorpolynom.

Taylorpolynom bzw. Taylorentwicklung von f .x/ in x0

Das Taylorpolynom n-ten Grades von f in x0 (auch Taylorentwicklung von f umx0 bis zum Grad n genannt) lautet (mit f .0/.x0/ WD f .x0/):

pn.x/ WDnX

kD0

f .k/.x0/

kŠ.x � x0/k

D f .x0/ C f 0.x0/

1Š.x � x0/ C f 00.x0/

2Š.x � x0/2

C : : : C f .n/.x0/

nŠ.x � x0/n:

Diese Formel ist eigentlich leicht zu merken, da sich die auftretenden Summanden sehrähnlich sind. Man geht davon aus, dass alle Taylorpolynome für x-Werte aus einer hinrei-chend kleinen Umgebung von x0 gute Näherungswerte für f .x/ liefern. Diese Näherungist in der Praxis aber nur dann verwertbar, wenn wir Abschätzungen für den Approxi-mationsfehler Rn.x/ D f .x/ � pn.x/ angeben können. Hierfür gibt es die Taylor’scheFormel.

Taylor’sche FormelIst die Funktion f .x/ in einer Umgebung des Punktes x0 genügend oft differen-zierbar, dann gilt in dieser Umgebung

f .x/ DnX

kD0

f .k/.x0/

kŠ.x � x0/k C Rn.x/

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6.7 Taylorpolynome 249

mit dem so genannten Lagrange’schen Restglied (Approximationsfehler)

Rn.x/ D f .nC1/.�/

.n C 1/Š.x � x0/nC1:

Dabei ist � eine Zahl zwischen x0 und x (x0 < � < x bzw. x < � < x0), die i. Allg.nicht bekannt ist.

Auch das Lagrange’sche Restglied ist einfach zu merken, da es sich vom nächstenTerm (k D n C 1) in der Taylorformel nur durch das Argument � unterscheidet. Die Güteder Taylorentwicklungen hängt von der Größe der Restglieder Rn.x/ ab. Da von der Stelle� nur bekannt ist, dass sie zwischen x0 und x liegt, ist es i. Allg. nicht möglich, den Fehlergenau zu berechnen. Aber bei Kenntnis der Funktion f .nC1/.x/ kann man deren Wertefür alle Argumente zwischen � und x nach oben abschätzen und dadurch eine (möglichstgenaue) Schranke für den Fehler Rn.x/ gewinnen.

Beispiel 6.18Gegeben sei die Funktion f .x/ D ex . Wegen f .k/.x/ D ex und damit f .k/.0/ D 1,für alle k D 0; 1; 2; : : :, ergibt sich ihr Taylorpolynom n-ten Grades um den Punktx0 D 0 zu

nX

kD0

f .k/.0/

kŠ.x � 0/k D

nX

kD0

xk

kŠ:

Auch das Lagrange’sche Restglied wird sehr einfach (0 < � < x bzw. x < � < 0):

Rn.x/ D f .nC1/.�/

.n C 1/Š.x � 0/nC1 D e�

.n C 1/ŠxnC1:

Um nun eine Approximation der Zahl e zu gewinnen, muss man das Taylorpolynoman der Stelle x D 1 auswerten: e D e1 � 10=0Š C 11=1Š C 12=2Š C : : :. Wie großist nun aber n zu wählen, um e z. B. mit einer Genauigkeit von 10�4 bestimmen zukönnen? Da man bereits weiß, dass e1 < 3 gilt und die e-Funktion monoton steigt(siehe Abschn. 3.5.3), gelingt folgende Abschätzung des Restgliedes (Elimination derunbekannten Größe 0 < � < 1) :

Rn.1/ D e�

.n C 1/Š<

3

.n C 1/Š:

Es muss also 3=.n C 1/Š < 10�4 gelten, was bereits für n D 7 erfüllt ist. Damit ergibtsich die Approximation e � 1 C 1=1Š C 1=2Š C 1=3Š C 1=4Š C 1=5Š C 1=6Š C 1=7Š D2;718253968.

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250 6 Differentialrechnung

Übung 6.13a) Ermitteln Sie die Taylorentwicklung von f .x/ D ln x um x0 D 1 bis zum Grad n.b) Wie lautet das Lagrange’sche Restglied?c) Welche Entwicklung ergibt sich für ln 2? Ist dieses Polynom sinnvoll, um ln 2 bis

auf einen Fehler von 10�3 exakt zu berechnen?d) Wie viele Summanden benötigt man zur Approximation von ln.3=2/ bis auf einen

Fehler von 10�3?

Lösung 6.13Die Ableitungen der Funktion f .x/ D ln.x/ sind f 0.x/ D 1=x, f 00.x/ D �1=x2,f 000.x/ D 2=x3, f .4/.x/ D �.2 � 3/=x4 und allgemein

f .k/.x/ D .�1/kC1.k � 1/Š

xk:

Somit gilt

f .k/.1/ D .�1/kC1.k � 1/Š

1kD .�1/kC1.k � 1/Š D �.�1/k.k � 1/Š

a) Es ergibt sich die folgende Taylorentwicklung von y D ln x um x0 D 1 bis zumGrad n:

ln.x/ D ln.1/ � .�1/1 � 0Š

1Š.x � 1/ � .�1/2 � 1Š

2Š.x � 1/2

� .�1/3 � 2Š

3Š.x � 1/3 � : : : � .�1/n � .n � 1/Š

nŠ.x � 1/n

D �nX

kD1

.1 � x/k

k: (�)

b) Das Lagrange’sche Restglied ergibt sich zu (1 < � < x bzw. x < � < 1):

Rn.x/ D .�1/nC2 � nŠ

�nC1 � .n C 1/Š.x � 1/nC1 D �.1 � x/nC1

�nC1 � .n C 1/:

Für x > 1 gilt � > 1 ” �nC1 > 1 ” 1�nC1 < 1 (Elimination der unbekannten

Größe �) und daraus ergibt sich die Abschätzung

jRn.x/j <j1 � xjnC1

n C 1:

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6.7 Taylorpolynome 251

Abb. 6.21 GeometrischeInterpretation des Mittelwert-satzes

x

y

ab

f(a)

f(b)

1 2

c) Um die Entwicklung von ln 2 zu erhalten, muss man in (�) x D 2 setzen und erhält

�nX

kD1

.1 � 2/k

kD 1 � 1

2C 1

3� 1

4˙ : : : :

Dieses theoretisch interessante Ergebnis ist numerisch leider nicht brauchbar, da fürden Fehler (vgl. Teil b)) gilt: jRn.2/j < 1=.n C 1/. Aus der Forderung 1=.n C 1/ <

10�3 ergibt sich n D 1000. Für die erwünschte Genauigkeit sind viel zu viele Sum-manden zu berechnen.

d) Für die Berechnung von ln.3=2/ gilt:

ˇˇˇˇRn

�3

2

�ˇˇˇˇ

<1

n C 1

�3

2� 1

�nC1

D 1

n C 1� 1

2nC1:

Bereits für n D 7 ist dieser Ausdruck kleiner als 10�3. Dies ist numerisch brauch-bar, man ist jetzt auch viel näher am Entwicklungspunkt x0 D 1 als in Teil c) dieserAufgabe.

Abschließend sei noch ein Spezialfall der Taylorformel hervorgehoben. Für n D 0

(x D b und x0 D a) erhält man den wichtigen und bekannten Mittelwertsatz der Diffe-rentialrechnung:

Mittelwertsatz der DifferentialrechnungSei f .x/ stetig auf Œa; b� und differenzierbar auf .a; b/. Dann gibt es ein � 2 .a; b/

mit

f .b/ � f .a/

b � aD f 0.�/:

Geometrisch besagt dieser Satz, dass es wenigstens eine Tangente an den Graphenvon f gibt, die parallel zur Geraden durch die Punkte f .a/ und f .b/ liegt.

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252 6 Differentialrechnung

6.8 Funktionen inmehreren Veränderlichen

Nur in ganz wenigen Fällen lassen sich technische und ökonomische Probleme durcheine einzige Variable charakterisieren. In der Regel treten in mathematischen Modellenmehrere Variablen auf, es müssen also funktionale Zusammenhänge mit mehreren Verän-derlichen betrachtet werden. Analog zu eindimensionalen Funktionen werden in diesemAbschitt für mehrdimensionale Funktionen die Begriffe Grenzwert, Stetigkeit und Dif-ferenzierbarkeit definiert. Der letzte Begriff ist im Mehrdimensionalen komplexer: diegeometrische Bedeutung wird aus der Richtungsableitung klar, die Ableitungen nach denverschiedenen Variablen nennt man partielle Ableitungen; diese fasst man wiederum zueinem Vektor, dem so genannten Gradienten zusammen.Die nachfolgenden Betrachtungen werden sich im wesentlichen auf die zwei- und dreidi-mensionalen reellen Räume R2 und R3 beschränken, da hier die nötigen mathematischenGrundbegriffe anschaulich dargestellt werden können. So wird aus der Funktionstangenteim R2 beispielsweise eine Tangentialebene. Auch die Bedingungen für potentielle Extremalassen sich dann geometrisch veranschaulichen. Der dabei entwickelte Formalismus lässtsich auf höherdimensionale Problemstellungen in der Regel analog anwenden.

6.8.1 Definitionen und Beispiele

Funktionen mit mehreren Veränderlichen (und Anwendungen dazu) traten mit der linea-ren Abbildung bereits in Abschn. 5.4.1 auf. Jetzt werden Funktionen, deren Bild nur auseinem Wert besteht (Einschränkung) betrachtet, wobei jedoch nichtlineare funktionale Zu-sammenhänge (Erweiterung) zugelassen sind. In vielen Anwendungen hat man es genaumit diesem Funktionstyp zu tun.

Beispiel 6.19a) Produktionsfunktion Ein Unternehmen produziert Mengeneinheiten y eines

Gutes aus zwei Rohstoffen r1 und r2. Dann gibt die Produktionsfunktion y Dy.r1; r2/ D 4 � r

0;81 � r

0;42 die Ausbringungsmenge (Output) y in Abhängigkeit von

den Einsatzmengen der beiden Produktionsfaktoren r1 und r2 an.b) Beim Internet-Shopping stellt sich ein Konsument einen Warenkorb mit n Arti-

keln zusammen. Von Artikel i D 1; 2; : : : ; n kauft er xi Mengeneinheiten. Derzugehörige Vektor Ex D .x1; : : : ; xn/T heißt Güterbündel. Bezeichen wir mit pi

den Preis (pro Einheit) von Artikel i , so erhalten wir den Gesamtpreis zu P.Ex/ DP.x1; : : : ; xn/ D p1x1 C p2x2 C : : : C pnxn.

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6.8 Funktionen in mehreren Veränderlichen 253

Funktion mehrerer VeränderlicherEine reellwertige Funktion f mit n unabhängigen Variablen ist eine Zuordnung,die jedem n-Tupel .x1; x2; : : : ; xn/ 2 D genau eine reelle Zahl z zuordnet:

.x1; x2; : : : ; xn/ 7�! z D f .x1; x2; : : : ; xn/

Dabei heißen D Definitionsbereich, x1; x2; : : : ; xn Argumente (bzw. unabhän-gige Veränderliche oder unabhängige Variable). z ist die abhängige Veränderli-che oder abhängige Variable, f .x1; x2; : : : ; xn/ der Funktionswert an der Stelle.x1; x2; : : : xn/. Die Menge aller Bilder heißt Wertebereich W .

R1; R2; R3 Die Menge aller n-Tupel .x1; x2; : : : ; xn/ mit xi 2 R für i D 1; : : : ; n wirdmit Rn bezeichnet. R1 ist also die Zahlengerade (d. h. die Menge aller reellen Zahlen R),R2 ist die zweidimensionale Ebene und R3 der dreidimensionale Raum.

Beispiel 6.20a) Eine Ebene im R3 kann durch die Gleichung ax C by C cz � d D 0 dargestellt

werden. Falls c ¤ 0, ist diese nach z auflösbar: z D .�ax � by C d/=c D f .x; y/.Eine Ebene ist also auch durch eine Funktion mit zwei unabhängigen Variablen x; y

darstellbar. Für diese gilt D D R2 und W D R, falls a ¤ 0 oder b ¤ 0.b) Das Volumen eines Quaders mit Kantenlängen x; y; z läßt sich durch folgende

Funktion mit drei unabhängigen Variablen x; y; z angeben: V D xyz D f .x; y; z/.Hier ist die Definition D D f.x; y; z/ 2 R3 j x � 0; y � 0; z � 0g sinnvoll, was zuW D fv 2 R j v � 0g führt.

c) Die Funktion z D f .x; y/ D pa2 � x2 C p

b2 � y2 mit a > 0; b > 0 ist eineFunktion mit zwei unabhängigen Variablen x; y. Sie hat D D f.x; y/ j � a x a; �b y bg als Definitionsbereich und W D fz j 0 z a C bg D Œ0; a C b�

als Wertebereich.

Graph als Fläche im Raum Wie bereits erwähnt, kann man Funktionen zweier unabhän-giger Variablen z D f .x; y/ – im Gegensatz zu höherdimensionalen Funktionen – geome-trisch anschaulich darstellen, nämlich als Fläche im Raum: Man interpretiert .x; y; z/ mitz D f .x; y/ als kartesische Koordinaten eines Punktes im Raum (R3). Die so erhalteneFläche wird auch als Funktionsgraph bezeichnet.

Schnittkurven mit Ebenen Hilfsmittel zur Veranschaulichung der in obigem Sinn er-zeugten „Funktionsfläche“ sind nun Schnitte mit speziellen Ebenen, die auf folgendeSchnittkurven führen:

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254 6 Differentialrechnung

Abb. 6.22 Konstruktion ei-nes Punktes des Graphen vonf .x; y/

x-Achse

y-Achse

z-Achse

(x,y)

0

x

y

P=(x,y,z=f(x,y))

� Schnittkurve mit Ebene x D x0: z D f .x0; y/, x D x0

� Schnittkurve mit Ebene y D y0: z D f .x; y0/, y D y0

� Schnittkurve mit Ebene z D c: f .x; y/ D c, z D c

Höhenlinie, Niveaulinie Die letzte Schnittkurve ist eine Kurvengleichung in implizi-ter Form. Sie wird auch als Höhenlinie oder Niveaulinie bezeichnet, da ihre senkrechteProjektion in die .x; y/-Ebene der geometrische Ort aller Punkte .x; y/ mit gleichemFunktionswert c ist. Mathematisch ist die Niveaulinie charakterisiert durch die MengeIc D f.x1; x2/ 2 D j f .x1; x2/ D cg. Das folgende Beispiel zeigt, wie man mit Hilfe derSchnittkurven die Funktionsflächen visualisieren kann:

Beispiel 6.21Gegeben sei die Funktion z D x2 C y2; D D R2. Es ergibt sich:

a) Schnittkurve mit .y; z/-Ebene (x D 0):z D y2; x D 0: Parabel z D y2 in der .y; z/-Ebene

b) Schnittkurve mit .x; z/-Ebene (y D 0):z D x2; y D 0: Parabel z D x2 in der .x; z/-Ebene

c) Schnittkurve mit der Ebene z D c; c � 0:x2 Cy2 D c; z D c: Kreis in der Ebene z D c mit Radius

pc und dem Mittelpunkt

.0; 0/ (Niveaulinie).Insbesondere: c D 0: Punkt .0; 0; 0/.

Als Fläche ergibt sich daher ein Rotationsparaboloid (siehe Abb. 6.23).

Übung 6.14Gegeben ist die Funktion z D p

1 � x2 � y2, D D f.x; y/ j x2Cy2 1g, W D Œ0; 1�.Skizzieren Sie die Fläche des Funktionsgraphen mit Hilfe der Schnittkurven.

Page 43: [Springer-Lehrbuch] Mathematik kompakt ||

6.8 Funktionen in mehreren Veränderlichen 255

1 2 3 4

22 2

22 2

22 2

22 2

22 2

22 2

x

y

x

y

z 22

22 2z

22 2

x

y1

4

9

16

Abb. 6.23 Rotationsparaboloid z D x2 C y2

Lösung 6.14Man ermittelt folgende Schnittkurven:

� Schnittkurve mit .y; z/-Ebene (x D 0):

z Dp

1 � y2; x D 0 ” y2 C z2 D 1; z � 0; x D 0

Oberer Halbkreisbogen in der .y; z/-Ebene� Schnittkurve mit .x; z/-Ebene (y D 0):

z Dp

1 � x2; y D 0 ” x2 C z2 D 1; z � 0; y D 0

Oberer Halbkreisbogen in der .x; z/-Ebene

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256 6 Differentialrechnung

Abb. 6.24 Fläche der Funkti-on z D p

1 � x2 � y2

z

yx

1

11

0

� Schnittkurve mit der Ebene z D c (0 c 1):p

1 � x2 � y2 D c; z D c ” x2 C y2 D 1 � c2; z D c

Kreis in der Ebene z D c mit Radiusp

1 � c2 und Mittelpunkt .0; 0/ (Niveaulinie).

Die Fläche entspricht der oberen Hälfte der Einheitskugel (siehe Abb. 6.24). Dies siehtman auch durch Quadrieren der Gleichung z D p

1 � x2 � y2. Die so erhaltene im-plizite Flächengleichung x2Cy2Cz2 D 1 beschreibt ja gerade die Kugel mit Radius 1

und Mittelpunkt im Ursprung.

Während bei einer Funktion y D f .x/ auf der Zahlengeraden nur zwei Möglichkeitender Annäherung an einen Punkt x D x0 existieren (nämlich von links x ! x0� bzw.von rechts x ! x0C), gibt es in der Ebene natürlich unendlich viele Möglichkeiten derAnnäherung.

GrenzwertbegriffEine Funktion z D f .x; y/ hat an der Stelle .x0; y0/ den Grenzwert G, falls sichbei beliebiger Annäherung (also auf allen möglichen Wegen) an den Punkt .x0; y0/

stets der Grenzwert G ergibt. Man schreibt dann G D lim.x;y/!.x0;y0/ f .x; y/.

Beispiel 6.22a) Gegeben sind z D f .x; y/ D x C y und .x0; y0/ D .2; 5/.

Dann gilt: lim.x;y/!.2;5/ x C y D limx!2 x C limy!5 y D 2 C 5 D 7.b) Zu betrachten ist f .x; y/ D sin.x2 C y2/=.x2 C y2/ (siehe Abb. 6.25) im Punkt

.x0; y0/ D .0; 0/: Setze v WD x2 C y2, dann gilt lim.x;y/!.0;0/ v D 0. Also folgtfür den Grenzwert: lim.x;y/!.0;0/ sin.x2 C y2/=.x2 C y2/ D limv!0 sin v=v D 1

(L’Hospital!).

Page 45: [Springer-Lehrbuch] Mathematik kompakt ||

6.8 Funktionen in mehreren Veränderlichen 257

Abb. 6.25 Graph von z Dsin.x2

Cy2/

x2Cy2 , �3 x; y 3.

x

y

z

c) Zu untersuchen ist f .x; y/ D x2=.x2 C y2/ (siehe Abb. 6.26) in .x0; y0/ D.0; 0/. Bei Annäherung längs der x-Achse (y D 0) gilt: limx!0 f .x; 0/ Dlimx!0 x2=x2 D 1. Bei Annäherung längs der y-Achse (x D 0) ergibt sichaber: limy!0 f .0; y/ D limy!0 02=.02 C y2/ D 0 ¤ 1. Da die Grenzwerte aufden beiden Wegen nicht übereinstimmen, folgt die Nichtexistenz des Grenzwertes.

Nachdem nun der Grenzwertbegriff geklärt ist, kann mit dessen Hilfe analog zum R1

die Stetigkeit definiert werden.

StetigkeitEine Funktion z D f .x; y/ heißt stetig an der Stelle .x0; y0/, falls

lim.x;y/!.x0;y0/

f .x; y/ D f .x0; y0/:

Wie man beispielsweise in Abb. 6.25 feststellen kann, hat der Graph einer stetigenFunktion („Mexikaner-Hut“) keine „Bruchstellen“. Die Funktion aus Beispiel 6.22b) istnämlich im Punkt .0; 0/ mit f .0; 0/ D 1 stetig ergänzbar. Die Funktion aus Beispiel 6.22c)(„Steilklippe“, Abb. 6.26) ist im Punkt .0; 0/ nicht stetig ergänzbar.

Abb. 6.26 Graph von z Dx2

x2Cy2 , �1 x; y 1.

x

y

z

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258 6 Differentialrechnung

x0

y0

z0

P0

x0 y0( , )

z

x

y

x

y

x

x

0

0

y0

y0

Abb. 6.27 Geometrie partieller Ableitungen

6.8.2 Partielle Ableitungen 1. Ordnung

Steigung in x-Richtung Gegeben sei die Funktion zweier Veränderlicher z D f .x; y/.Schneidet man die Fläche z D f .x; y/ mit der Ebene y D y0, so erhält man die Schnitt-kurve z D f .x; y0/, y D y0 (siehe Abb. 6.27). Die Funktion z D f .x; y0/ D g.x/

ist nun eine Funktion in nur einer Variablen (nämlich x). Ihre Ableitung (nach x) fürx D x0 gibt die Steigung der Tangente an die Schnittkurve im Punkt P0 D .x0; y0; z0 Df .x0; y0// an, d. h.

tan ˛ D lim�x!0

f .x0 C �x; y0/ � f .x0; y0/

�x:

Steigung in y-Richtung Ebenso ergibt sich für x D x0 die Schnittkurve z D f .x0; y/,x D x0. Die Funktion z D f .x0; y/ D h.y/ ist ebenfalls eine Funktion in nur einerVariablen (nämlich y). Ihre Ableitung (nach y) für y D y0 gibt die Steigung der Tangentean die Schnittkurve im Punkt .x0; y0; z0 D f .x0; y0// an, d. h.

tan ˇ D lim�y!0

f .x0; y0 C �y/ � f .x0; y0/

�y:

Page 47: [Springer-Lehrbuch] Mathematik kompakt ||

6.8 Funktionen in mehreren Veränderlichen 259

Partielle Ableitungen 1. OrdnungAls partielle Ableitungen (1. Ordnung) der Funktion z D f .x; y/ nach x bzw.nach y an der Stelle .x0; y0/ definiert man die Grenzwerte

lim�x!0

f .x0 C �x; y0/ � f .x0; y0/

�xDW fx.x0; y0/

bzw.

lim�y!0

f .x0; y0 C �y/ � f .x0; y0/

�yDW fy.x0; y0/:

Für fx.x0; y0/ bzw. fy.x0; y0/ sind auch die Symbole @[email protected];y0/ bzw.@[email protected];y0/ üblich. Die durch die Zuordnungsvorschrift .x; y/ 7�! fx.x; y/ bzw..x; y/ 7�! fy.x; y/ gegebene Funktion heißt partielle Ableitung(sfunktion) nach x

bzw. y.

Man beachte, dass bei einer Funktion y D f .x/ das Symbol df=dx benutzt wird.Bei Funktionen mehrerer Veränderlicher hingegen ist @f=@x gebräuchlich. In letzteremFall kann man auch nicht f 0 schreiben, da dann nicht klar ist, nach welcher Variablenabgeleitet werden soll.

Praktische Ermittlung der partiellen Ableitungen Aufgrund der Definitionen emp-fiehlt sich in der Praxis folgendes Vorgehen zur Ermittlung partieller Ableitungen:

a) Bildung von fx: Behandle y als Konstante und differenziere nach x.b) Bildung von fy : Behandle x als Konstante und differenziere nach y.

Man bedenke aber, dass obiges Vorgehen nur dann möglich ist, wenn die jeweils zu be-trachtenden Funktionen einer unabhängigen Variablen selbst differenzierbar sind.

Beispiel 6.23Die partiellen Ableitungen von f .x; y/ D e�x cos y ergeben sich zu fx.x; y/ D�e�x cos y (y und damit cos y wurde als konstant angesehen) und fy.x; y/ D�e�x sin y (x und damit e�x wurde als konstant angesehen).

Übung 6.15Berechnen Sie die partiellen Ableitungen der Funktionen:

a) f .x; y/ D 2ex C ln.y/ C 5x3y, y > 0,b) f .x; y/ D p

1 � x2 � y2, x2 C y2 1.

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260 6 Differentialrechnung

Abb. 6.28 Tangentialebene anFunktionsgraph

x

y

z

00 00

00

(x,y)

Lösung 6.15a) fx.x; y/ D 2ex C 15x2y, fy.x; y/ D 1=y C 5x3,b) fx.x; y/ D 1=.2

p

1 � x2 � y2/ � .�2x/,fy.x; y/ D 1=.2

p

1 � x2 � y2/ � .�2y/.

6.8.3 Tangentialebene, totale Differenzierbarkeit

Tangentialebene Im R1 haben wir die Steigung der Tangente zur Definition der Ab-leitung einer Funktion y D f .x/ benutzt. Im R2 wollen wir jetzt die in Abschn. 6.8.2eingeführten partiellen Ableitungen zur Definition der totalen Differenzierbarkeit einerFunktion y D f .x; y/ verwenden. Diese geben ja gerade die Steigungen der Tangentenan einen beliebigen Flächenpunkt P0 bzgl. zweier spezieller Schnittkurven, die parallelzur x- bzw. y-Achse verlaufen, wieder. Nun spannen diese beiden Tangenten im R3 na-türlich eine Ebene auf. Wenn der Graph von f im Punkt .x0; y0; f .x0; y0// genügend„glatt“ ist (d. h. keine „Knicke“ aufweist), dann ist diese Ebene, wie Abb. 6.28 zeigt, of-fensichtlich tangential zur Funktionsfläche und man nennt sie Tangentialebene.

Wir wollen nun die Gleichung der Tangentialebene an die Fläche z D f .x; y/ imPunkt .x0; y0; z0/ mit z0 D f .x0; y0/ aufstellen: Als Ansatz für die Tangentialebenewählen wir die übliche Ebenendarstellung z D l.x; y/ D ax C by C c. Die folgendenForderungen dienen der Bestimmung von a; b; c:

a) Die Steigungen der Ebene in x- und y-Richtung müssen mit den Steigungen der Funk-tion bzgl. dieser Richtungen identisch sein, d. h. fx.x0; y0/ D lx.x0; y0/ D a undfy.x0; y0/ D ly.x0; y0/ D b.

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6.8 Funktionen in mehreren Veränderlichen 261

b) Der Punkt .x0; y0; z0/ muss natürlich in der Ebene liegen, d. h. f .x0; y0/ D l.x0; y0/.Damit gilt l.x0; y0/ D ax0 C by0 C c und somit c D f .x0; y0/ � ax0 � by0.

Gleichung der TangentialebeneDie Gleichung der Tangentialebene (falls sie existiert) an die Fläche z D f .x; y/

im Flächenpunkt P0 D .x0; y0; z0/ mit z0 D f .x0; y0/ lautet:

z D f .x0; y0/ C fx.x0; y0/.x � x0/ C fy.x0; y0/.y � y0/:

Beispiel 6.24Um die Tangentialebene der Funktion f .x; y/ D xy im Punkt .x0; y0/ D .1; �1/

zu berechnen, ermittelt man zunächst die partiellen Ableitungen: fx.x; y/ D y,fy.x; y/ D x. Damit gilt fx.1; �1/ D �1, fy.1; �1/ D 1. Ferner ist f .1; �1/ D �1

und man erhält die Tangentialebene zu z D �1 C .�1/ � .x � 1/ C 1 � .y � .�1//, d. h.z D y � x C 1.

Übung 6.16Berechnen Sie die Tangentialebene der Funktion f .x; y/ D x=y im Punkt .x0; y0/ D.1; �1/.

Lösung 6.16Die partiellen Ableitungen ergeben sich zu fx.x; y/ D 1=y, fy.x; y/ D �x=y2.Damit gilt fx.1; �1/ D �1, fy.1; �1/ D �1. Ferner ist f .1; �1/ D �1 Die Tangen-tialebene lautet: z D �1 C .�1/ � .x � 1/ C .�1/ � .y � .�1//, d. h. z D �x � y � 1.

Differenzierbarkeit im R1 Im R1 ist die Differenzierbarkeit einer Funktion im Punkt x0

mit Hilfe eines Quotienten definiert, in dessen Zähler die Differenz zwischen Funktions-wert f .x/ und Wert t.x/ D f .x0/ C f 0.x0/.x � x0/ der in x0 errichteten Tangente steht(siehe hierzu Formel (�) in Abschn. 6.2.2):

limx!x0

f .x/ � Œf .x0/ C f 0.x0/.x � x0/�

x � x0

D 0: (�)

Die Gleichung besagt also, dass der Zähler schneller kleiner wird als der Nenner. Dader Nenner die Entfernung des Punktes x vom Punkt x0 misst, lässt sich festhalten: dieFunktion f .x/ nähert sich der Tangente schneller als das Argument x dem Punkt x0. Die-se geometrische Eigenschaft einer im R1 differenzierbaren Funktion überträgt man nunin den R2: Man verlangt, dass in der Nähe des Punktes .x0; y0/ die Funktion f .x; y/

sehr gut durch ihre Tangentialebene approximiert wird. Beachtet man dabei, dass in derxy-Ebene die Entfernung eines Punktes .x; y/ vom Punkt .x0; y0/ durch die Formel

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262 6 Differentialrechnung

p

.x � x0/2 C .y � y0/2 gegeben ist, so erhält man in Analogie zu Formel (�) für denR2 die folgende Definition der Differenzierbarkeit, die man total nennt, um eine Unter-scheidung zum Begriff der partiellen Ableitungen zu haben:

Totale DifferenzierbarkeitDie Funktion z D f .x; y/ heißt total differenzierbar oder linear approximierbar imPunkt .x0; y0/, falls die partiellen Ableitungen fx.x0; y0/, fy.x0; y0/ existierenund gilt

lim.x;y/!.x0;y0/

jf .x; y/ � t.x; y/jp

.x � x0/2 C .y � y0/2D 0:

Dabei ist t.x; y/ D f .x0; y0/ � fx.x0; y0/.x � x0/ � fy.x0; y0/.y � y0/ dieTangentialebene in .x0; y0/.

Für praktische Berechnungen sind die folgenden Eigenschaften wichtig:

Stetigkeit und totale DifferenzierbarkeitDie folgenden Zusammenhänge gelten allgemein:

a) z D f .x; y/ ist in .x0; y0/ total differenzierbar, falls die partiellen Ableitungenfx und fy existieren und in einer Umgebung des Punktes .x0; y0/ stetig sind.

b) Ist z D f .x; y/ in .x0; y0/ total differenzierbar, dann ist f in .x0; y0/ auchstetig.

Vorsicht!! Man beachte aber, dass aus der bloßen Existenz der partiellen Ableitungen i.Allg. nicht die totale Differenzierbarkeit folgt. Ebenso lässt sich aus der totalen Differen-zierbarkeit i. Allg. nicht die Stetigkeit der partiellen Ableitungen folgern.

6.8.4 Das totale Differential

Im R1 hat man bei der linearen Approximation einer Funktion f .x/ mit dem Differentialdy D f 0.x0/ dx gearbeitet. Es stellt den Zuwachs längs der Funktionstangente dar (sieheAbschn. 6.2.2). Analog dazu benutzt man im R2 den Zuwachs längs der Tangentialebene,um ausgehend von einem Punkt P0 D .x0; y0/ einen neuen Funktionswert f .x; y/ einerin P0 total differenzierbaren Funktion f zu approximieren. Der Zuwachs dz längs der inP0 errichteten Tangentialebene ergibt sich (siehe Formel in Abschn. 6.8.3) aber zu:

dz D fx.x0; y0/ dx C fy.x0; y0/ dy:

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6.8 Funktionen in mehreren Veränderlichen 263

Totales DifferentialDas totale Differential von z D f .x; y/ an der Stelle .x0; y0/ (zu den Zuwächsendx; dy) ist definiert durch

dz WD fx.x0; y0/ dx C fy.x0; y0/ dy :

Analog nennt man dz D fx dx C fy dy totales Differential von z D f .x; y/ ander (laufenden) Stelle .x; y/. In einer hinreichend kleinen Umgebung von .x0; y0/

ist das totale Differential dz eine gute Näherung für den Funktionszuwachs

�z WD f .x0 C dx; y0 C dy/ � f .x0; y0/:

Beispiel 6.25a) Die Funktion z D f .x; y/ D xy läßt sich geometrisch deuten: Sie misst die Fläche

des Rechtecks mit den Seitenlängen x und y. Änderungen von x um dx und y umdy liefern den Funktionszuwachs �z D .x C dx/.y C dy/ � xy D y dx C x dy Cdx dy. Das totale Differential ergibt sich zu dz D fx dx C fy dy D y dx C x dy,woraus für den Unterschied " D �z � dz D dx dy folgt. Man sagt daher auch, derApproximationsfehler ist klein von zweiter Ordnung (siehe auch Abb. 6.6).

b) In der Fehlerrechnung möchte man wissen, wie sich bei der Produktbildung x � y

relative Fehler (vgl. Abschn. 6.2.3) der Faktoren auswirken. Mit z D f .x; y/ D xy

hat man wieder das totale Differential dz D y dx C x dy, woraus sich folgendeApproximation für den relativen Fehler des Produktes ergibt:

ˇˇˇˇ

dz

z

ˇˇˇˇ

Dˇˇˇˇ

y dx

xyC x dy

xy

ˇˇˇˇ

ˇˇˇˇ

dx

x

ˇˇˇˇCˇˇˇˇ

dy

y

ˇˇˇˇ:

Die Regel lautet also: Der maximale relative Fehler eines Produktes ist gleich derSumme der beiden maximalen relativen Fehler der Faktoren.

Übung 6.17Wie groß ist der maximale relative Fehler bei der Division x=y?

Lösung 6.17Man betrachtet die Funktion z D f .x; y/ D x=y. Mit den partiellen Ableitungen ausLösung 6.16 ergibt sich das totale Differential zu dz D .1=y/dx C .�x=y2/dy. Fürden relativen Fehler des Quotienten x=y gilt dann

ˇˇˇˇ

dz

z

ˇˇˇˇ

Dˇˇˇˇ

dx

y

y

x� x dy

y2

y

x

ˇˇˇˇ

ˇˇˇˇ

dx

x

ˇˇˇˇCˇˇˇˇ

dy

y

ˇˇˇˇ:

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264 6 Differentialrechnung

Die Regel lautet deshalb: Der maximale relative Fehler eines Quotienten ist gleich derSumme der maximalen relativen Fehler von Zähler und Nenner.

6.8.5 Gradient und Richtungsableitung

In diesem Abschnitt wird neben der bisher üblichen Notation f .x; y/ nun auch die äqui-valente (vektorielle) Schreibweise f .Ex/ mit Ex D .x; y/T verwendet.

Beispiel 6.26Sei f .x; y/ D 2x2 � 3y und Ex D .2; 3/T , dann sind die Schreibweisen f .2; 3/ D �1

und f .Ex/ D �1 völlig äquivalent.

Nun werden die partiellen Ableitungen einer total differenzierbaren Funktion zu einemVektor zusammengefasst:

GradientDer zweidimensionale Spaltenvektor

grad f .x; y/ D rf .x; y/ WD�

@f

@x.x; y/;

@f

@y.x; y/

�T

heißt Gradient von f an der Stelle .x; y/. Für Ex D .x; y/T wird er auch rf .Ex/

geschrieben.

Beispiel 6.27Der Gradient der Funktion z D f .x; y/ D x2y2 C y C 1 ergibt sich zu

rf .x; y/ D�

@f

@x.x; y/;

@f

@y.x; y/

�T

D .2xy2; 2x2y C 1/T :

Damit gilt beispielsweise rf .0; 0/ D .0; 1/T .

Seien jetzt f W R2 7! R eine total differenzierbare Funktion und Ex; Ev 2 R2 zwei festgewählte Vektoren. Dann betrachte man die Funktion h W R 7! R, die durch h.t/ WDf .Ex C t Ev/ definiert ist. Die Menge aller Punkte der Form Ex C t Ev; t 2 R ist offensichtlichdie Gerade g durch den Punkt Ex parallel zum Vektor Ev (siehe Abb. 6.29). Daher stelltdie Funktion h die Funktion f eingeschränkt auf die Gerade g dar. Der Graph von h

ergibt sich als Schnitt der „Funktionsfläche“ von f mit einer zur xy-Ebene senkrechten,durch g gehenden Ebene. Von Interesse ist nun, wie stark sich die Funktionswerte von f

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6.8 Funktionen in mehreren Veränderlichen 265

Abb. 6.29 Richtungsableitung

g

x

yz

xv

v

verschoben

h(t)

längs der Geraden g im Punkt Ex ändern. Auskunft darüber erhält man aber, wie aus dereindimensionalen Differentialrechnung bekannt, durch die Ableitung h0.t/ an der Stellet D 0.

RichtungsableitungFür eine total differenzierbare Funktion f W R2 7! R ist die Richtungsableitungvon f im Punkt Ex in Richtung des Einheitsvektors Ev (d. h. kEvk D 1) gegeben durch

d

dtf .Ex C t Ev/jtD0:

Da h.t/ WD f .Ex C t Ev/ eine Funktion der einen Veränderlichen t ist, kann man derenAbleitung natürlich nach Einsetzen des Argumentes durch Ableiten bzgl. t berechnen. Esgibt aber auch eine Formel, die die Berechnung mittels Gradienten gestattet und meistweniger aufwendig ist.

Formel für RichtungsableitungFür die Richtungsableitung im Punkt Ex in Richtung Ev D .v1; v2/T , kEvk D 1, gilt:

d

dtf .Ex C t Ev/jtD0 D rf T .Ex/ � Ev D fx.Ex/ � v1 C fy.Ex/ � v2:

Die Richtungsableitung ergibt sich aus dem Skalarprodukt von Gradient und Rich-tungsvektor.

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266 6 Differentialrechnung

Abb. 6.30 Richtung dessteilsten Abstiegs

Beispiel 6.28Zu bestimmen sei die Richtungsableitung der Funktion z D f .x; y/ D x2y2 C y C 1

in Ex D .0; 0/T in Richtung Ev D . 1p2; 1p

2/T . Hierfür gibt es zwei Möglichkeiten:

a) Man stellt die Funktion h.t/ auf und differenziert nach t : h.t/ D f .Ex C t Ev/ Df .t=

p2; t=

p2/ D t4=4 C t=

p2 C 1. Es ergibt sich h0.t/ D t3 C 1=

p2 und daraus

die Richtungsableitung h0.0/ D 1=p

2.b) Man berechnet die Richtungsableitung mittels Gradient nach obiger Formel (vgl.

Beispiel 6.27):

rf T .Ex/ � Ev D .0; 1/ �

1p2

1p2

!

D 1p2

:

Eindeutigkeit der Richtungsableitung Ließe man in der Definition der Richtungsablei-tung alle Vektoren Ev zu, so würde diese nicht nur von einem Punkt Ex und einer Richtungabhängig sein, sondern zusätzlich noch von der Länge des Richtungsvektors. Durch dieEinschränkung auf „Einheitsrichtungen“ erhält man aber eine eindeutige Definition.

Der Gradient hat zwei wesentliche Eigenschaften, die nachfolgend aufgeführt sind:

Richtung des steilsten AnstiegsFür den Gradienten gilt:

a) Falls rf .Ex/ ¤ E0, dann zeigt rf .Ex/ in die Richtung, längs der die Funktion f

am schnellsten ansteigt.b) Falls rf .Ex/ ¤ E0 und Ex auf einer Niveaulinie C von f liegt, dann ist rf .Ex/

senkrecht zur Tangente an die Niveaulinie C im Punkt Ex.

Jedem Wanderer, der schon einmal senkrecht zu den Höhenlinien (D Niveaulinien)seiner topographischen Karte einen Alpengipfel erklommen hat, dürfte dieser Sachver-halt bekannt sein. Diese Eigenschaften lassen sich gut an einem „bergförmigen“ Graphen(s. Abb. 6.30 und 6.31) veranschaulichen. Die Höhenlinien des Berges sind die Niveau-

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6.8 Funktionen in mehreren Veränderlichen 267

Abb. 6.31 Niveaulinien undGradient

Abstieges

f-

f-

Abb. 6.32 Graph vonf .x; y/ D .x2 C3y2/e1�x2

�y2

x

y

z

relativesMinimum

linien der Funktion. Die Gradienten stehen immer senkrecht zu gedachten Tangenten andiese Niveaulinien. rf weist in die Richtung des steilsten Anstiegs, während �rf dieRichtung des steilsten Abstiegs angibt. Die Geometrie ist jedem Wanderer bekannt: umam schnellsten zum Gipfel zu kommen, muss man senkrecht zu den Höhenlinien laufen.

6.8.6 Bestimmung von Extremwerten, höhere Ableitungen

Minima und Maxima Der Begriff Extremwert lässt sich im R2 leicht aus der Definitionfür Funktionen einer Variablen verallgemeinern. Gilt

f .Ex0/ f .Ex/ bzw. f .Ex0/ � f .Ex/

in einer hinreichend kleinen Umgebung von Ex0, dann heißt Ex0 lokales Minimum bzw. lo-kales Maximum von f . Strenge und globale Extremwerte sind analog zum R1 definiert.Die Abb. 6.32 zeigt drei Extrema der Funktion f .x; y/ D .x2 C3y2/e1�x2�y2

. Bei diffe-renzierbaren Funktionen h W R 7! R ist das Verschwinden der ersten Ableitung h0.t0/ D 0

ein notwendiges Kriterium für ein lokales Extremum in t0 (siehe Abschn. 6.5.1). Es lässtsich folgendermaßen auf den R2 verallgemeinern: Falls Ex0 ein lokales Extremum vonf .Ex/ ist, dann hat die durch h.t/ D f .Ex0 C t Ev/ (Ev beliebig!) definierte Funktion h

in t D 0 ein lokales Extremum. Notwendigerweise muss daher h0.0/ D 0 gelten, d. h.

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268 6 Differentialrechnung

0 D h0.0/ D rf T .Ex0/ � Ev für alle Ev 2 R2. Also steht der Vektor rf .Ex0/ auf allen Vek-toren Ev 2 R2 senkrecht. Dies ist aber nur für den Nullvektor möglich, d.h rf .Ex0/ D E0.Geometrisch bedeutet dies, dass die Tangentialebene in Ex0 parallel zur xy-Ebene verläuft.

Notwendiges KriteriumFalls Ex0 ein lokales Extremum einer total differenzierbaren Funktion ist, dann gilt:rf .Ex0/ D E0; d. h. die partiellen Ableitungen müssen verschwinden: fx.Ex0/ Dfy.Ex0/ D 0.

Beispiel 6.29a) Extremum vorhanden Man betrachte das Rotationsparaboloid f .x; y/ D x2 C

y2: Nach dem notwendigen Kriterium ergeben sich mögliche Kandidaten für Ex-tremwerte als Lösung der Gleichungen

@f

@xD 2x D 0 und

@f

@yD 2y D 0:

Der einzig mögliche Punkt ist daher .x; y/ D .0; 0/. Da f .x; y/ � 0 überall (vgl.Abb. 6.23), ist dieser Punkt tatsächlich ein relatives Minimum.

b) Keine Extrema Gegeben sei die Funktion f .x; y/ D x2y2 C y C 1. Diese hatden Gradienten rf .x; y/ D .2xy2; 2x2y C 1/ (siehe Beispiel 6.27). Nach demnotwendigen Kriterium muss das Gleichungssystem

@f

@xD 2xy2 D 0;

@f

@yD 2x2y C 1 D 0

gelöst werden. Aus der ersten Gleichung folgt x D 0 oder y D 0. In beiden Fällenist dann aber 2x2y C 1 D 1 ¤ 0. Das System besitzt deshalb keine Lösung. Damithat f keine Extrema.

c) Sattelpunkt, Kriterium notwendig, aber nicht hinreichend Wendet man dasnotwendige Kriterium auf die Funktion f .x; y/ D x2 � y2 an, so muss das Glei-chungssystem

@f

@xD 2x D 0;

@f

@yD �2y D 0

gelöst werden. Der einzig mögliche Kandidat für ein Extremum ist auch hier.x; y/ D .0; 0/ mit f .0; 0/ D 0. Da aber f .x; 0/ � f .0; 0/ und f .0; y/ f .0; 0/

für beliebig kleine x; y gilt, kann der Ursprung kein Extremum sein. Tatsäch-lich haben wir im Ursprung einen Sattelpunkt, wie aus Abb. 6.33 hervorgeht. Dasnotwendige Kriterium ist also nicht hinreichend.

Page 57: [Springer-Lehrbuch] Mathematik kompakt ||

6.8 Funktionen in mehreren Veränderlichen 269

Abb. 6.33 Graph vonf .x; y/ D x2 � y2

x

y

z

Übung 6.18Bestimmen Sie mögliche Kandidaten für Extremwerte der Funktion p.x; y/ D�9=4 x2 � 17=4 y2 C 28x C 20y � 1=2 xy � 14.

Lösung 6.18Das notwendige Kriterium ergibt (nach Bestimmung der partiellen Ableitungen) dasGleichungssystem

px.x; y/ D �9

2x C 28 � 1

2y D 0; py.x; y/ D �17

2y C 20 � 1

2x D 0:

Die einzige Lösung dieses Gleichungssystems ist .x; y/ D .6; 2/, wie man durchEinsetzen leicht verifiziert. Da das benutzte Kriterium nur notwendig ist, kann nichtentschieden werden, ob es sich hierbei tatsächlich um einen Extremwert handelt.

Partielle Ableitungen 2. Ordnung, Gemischte partielle Ableitungen Um entscheidenzu können, ob ein Punkt Ex0 mit rf .Ex0/ D E0 ein Extremum ist, benötigt man ein hinrei-chendes Kriterium. Im R1 sind bei zweimal differenzierbaren Funktionen h h0.t0/ D 0

und h00.t0/ ¤ 0 hinreichende Bedingungen (siehe Abschn. 6.5.1). Nun ist die zweite Ab-leitung einer Funktion f W R2 7! R ein etwas kompliziertes mathematisches Objekt.Daher wird zunächst der Begriff der partiellen Ableitungen 2. Ordnung eingeführt: Füreine gegebene Funktion z D f .x; y/ berechnet man die partiellen Ableitungen (1. Ord-nung): fx und fy . Beide Ableitungen sind wieder Funktionen zweier Variabler x; y. Wenndiese ebenfalls partielle Ableitungen haben, dann sagt man, dass f zweimal partiell diffe-renzierbar ist. Die Ableitungen

@2f

@x2D @

@x

�@f

@x

;@2f

@y2D @

@y

�@f

@y

Page 58: [Springer-Lehrbuch] Mathematik kompakt ||

270 6 Differentialrechnung

und

@2f

@x@yD @

@x

�@f

@y

;@2f

@y@xD @

@y

�@f

@x

heißen partielle Ableitungen 2. Ordnung, die beiden letzten Ableitungen speziell gemisch-te partielle Ableitungen. In Analogie zur Notation fx; fy für die partiellen Ableitungen1. Ordnung sind hier die Abkürzungen fxx; fyy , fyx D .fy/x und fxy D .fx/y üblich.

Beispiel 6.30a) Für f .x; y/ D xy C .x C 2y/2 gilt fx D y C 2.x C 2y/, fy D x C 4.x C 2y/.

Die partiellen Ableitungen 2. Ordnung ergeben sich nun zu fxx D 2, fyy D 8 undfxy D fyx D 5.

b) Für f .x; y/ D x2y2CyC1 gilt fx D 2xy2, fy D 2x2yC1 und damit fxx D 2y2,fyy D 2x2 und fxy D fyx D 4xy.

In den beiden Beispielen fällt auf, dass die gemischten Ableitungen jeweils gleich sind.Diese Eigenschaft gilt allgemein:

Satz von SchwarzFalls die gemischten partiellen Ableitungen stetig sind, so ist die Reihenfolge derAbleitungen vertauschbar, d. h. es gilt stets fxy D fyx.

Die partiellen Ableitungen 2. Ordnung fasst man nun üblicherweise zu einer Matrixzusammen:

HessematrixSei f .x; y/ eine Funktion zweier unabhängiger Variabler mit stetigen partiellenAbleitungen 2. Ordnung. Dann heißt die Matrix

H.x0; y0/ WD�

fxx.x0; y0/ fxy.x0; y0/

fyx.x0; y0/ fyy.x0; y0/

Hessematrix von f im Punkt .x0; y0/.

Durch ähnliche Untersuchungen wie im R1 erhält man mit Hilfe dieser Matrix nunhinreichende Bedingungen für Extremwerte. Dabei nutzt man aus, dass sich die Determi-nante der Hessematrix H nach dem Satz von Schwarz (fxy D fyx!) zu det H.x0; y0/ Dfxx.x0; y0/fyy.x0; y0/ � f 2

xy.x0; y0/ ergibt (siehe Abschn. 5.5).

Page 59: [Springer-Lehrbuch] Mathematik kompakt ||

6.8 Funktionen in mehreren Veränderlichen 271

Hinreichendes KriteriumDer Punkt .x0; y0/ ist ein

a) relatives Minimum von f , falls die folgenden drei Bedingungen erfüllt sind:(i) fx.x0; y0/ D fy.x0; y0/ D 0,(ii) fxx.x0; y0/ > 0,(iii) fxx.x0; y0/fyy.x0; y0/ � f 2

xy.x0; y0/ > 0.b) relatives Maximum von f , falls die folgenden drei Bedingungen erfüllt sind:

(i) fx.x0; y0/ D fy.x0; y0/ D 0,(ii) fxx.x0; y0/ < 0,(iii) fxx.x0; y0/fyy.x0; y0/ � f 2

xy.x0; y0/ > 0.c) Sattelpunkt von f , falls gilt:

(i) fx.x0; y0/ D fy.x0; y0/ D 0,(ii) fxx.x0; y0/fyy.x0; y0/ � f 2

xy.x0; y0/ < 0.

Keine Entscheidung bei det H D 0 Falls det H.x0; y0/ D fxx.x0; y0/fyy.x0; y0/ �f 2

xy.x0; y0/ D 0, dann ist mit Hilfe der Hessematrix keine Entscheidung möglich, obein Extremum vorliegt oder nicht. In diesem Fall müssen aufwendigere Untersuchungendurchgeführt werden.

Beispiel 6.31a) Gegeben sei die Funktion f .x; y/ D x2 C y2, für die in Beispiel 6.29a) bereits

der Punkt .x0; y0/ D .0; 0/ als möglicher Kandidat (fx.0; 0/ D fy.0; 0/ D 0)ermittelt wurde. Wegen fx.x; y/ D 2x, fy.x; y/ D 2y folgt fxx.x; y/ D 2,fxy.x; y/ D fyx.x; y/ D 0 und fyy.x; y/ D 2. Somit gilt fxx.0; 0/ D 2 > 0

und fxx.0; 0/fyy.0; 0/ � f 2xy.0; 0/ D 4 > 0. Daher ist der Ursprung nach dem

hinreichenden Kriterium (Teil a)) ein Minimum.b) Für die Funktion f .x; y/ D x2 � y2 wurde in Beispiel 6.29c) ebenfalls der

Punkt .x0; y0/ D .0; 0/ als möglicher Kandidat ermittelt. Wegen fx.x; y/ D 2x,fy.x; y/ D �2y, folgt fxx.x; y/ D 2, fxy.x; y/ D fyx.x; y/ D 0 undfyy.x; y/ D �2. Somit gilt fxx.0; 0/fyy.0; 0/ � f 2

xy.0; 0/ D �4 < 0. Nachdem hinreichenden Kriterium (Teil c)) ist der Punkt .0; 0/ deshalb ein Sattelpunkt.

Übung 6.19Welche Extremwerte hat die Funktion p.x; y/ D �9=4 x2 � 17=4 y2 C 28x C 20y �1=2 xy � 14? (vgl. Übung 6.18)

Lösung 6.19In Übung 6.18 wurde bereits px.x; y/ D �9=2 x � 1=2 y C 28 und py.x; y/ D�17=2 y � 1=2 x C 20 berechnet. Der einzig mögliche Kandidat für einen Ex-

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272 6 Differentialrechnung

tremwert wurde zu .x0; y0/ D .6; 2/ ermittelt. Es ergibt sich pxx.6; 2/ D �4;5,pyy.6; 2/ D �8;5 und pxy.6; 2/ D pyx.6; 2/ D �0;5. Wegen pxx.6; 2/ D �4;5 < 0

und pxx.6; 2/pyy.6; 2/ � p2xy.6; 2/ D .�4;5/ � .�8;5/ � .�0;5/2 D 38 > 0 ist

.x0; y0/ D .6; 2/ nach dem hinreichenden Kriterium (Teil b)) lokales Maximum mitdem Funktionswert p.6; 2/ D 90.

6.8.7 Verallgemeinerung auf den Rn

Partielle Ableitungen nach allen n Variablen Sei jetzt z D f .x1; x2; : : : ; xn/ eineFunktion von n unabhängigen Variablen xi ; i D 1; : : : ; n. Dann werden deren partielleAbleitungen 1. Ordnung durch

@f

@x1

;@f

@x2

; : : : ;@f

@xn

bzw. fx1; fx2

; : : : ; fxn

bezeichnet. Die Ableitung nach xi ergibt sich, indem man mit Ausnahme von xi alle Va-riablen als konstant betrachtet und die Funktion nach xi differenziert. Es gibt nun natürlichn2 partielle Ableitungen 2. Ordnung: fxi xj

, i; j D 1; : : : ; n.

Totales Differential im Rn Sinngemäß gelten alle Aussagen der vorangegangenen Ab-schnitte. So erhält man beispielsweise in Analogie zum R2 das totale Differential

dz D @f

@x1

dx1 C @f

@x2

dx2 C : : : C @f

@xn

dxn:

Auch im Rn ist das totale Differential in einer hinreichend kleinen Umgebung eine guteNäherung für den Funktionszuwachs.

.n; n/-Gleichungssystem zur Bestimmung von Extrema Zur Bestimmung potentiellerExtremwertstellen muss man nun ein Gleichungssystem von n Gleichungen mit den n

Unbekannten x1; : : : ; xn lösen:

fx1D 0; fx2

D 0; : : : ; fxnD 0:

Im R3 setzt man häufig x1 D x; x2 D y und x3 D z und betrachtet dann Funktionenf .x; y; z/. Zur Bestimmung von Extremwertkandidaten ist dann fx D 0, fy D 0, fz D 0

zu lösen.

6.9 Steigung von Kurven

Bei Bahnkurven in der Technik interessieren häufig die physikalischen Begriffe der Mo-mentangeschwindigkeit und der Momentanbeschleunigung. In der Mathematik sprichtman von der Steigung und der Krümmung einer Kurve.

Page 61: [Springer-Lehrbuch] Mathematik kompakt ||

6.9 Steigung von Kurven 273

Bahnkurve, Momentangeschwindigkeit, -beschleunigungWird eine Bahnkurve Er.t/ mit der Zeit t durchlaufen, so bezeichnet PEr.t/ die Mo-mentangeschwindigkeit und REr.t/ die Momentanbeschleunigung. Die Ableitung derVektoren erfolgt komponentenweise.

Beispiel 6.32Bahnkurve, Momentangeschwindigkeit und Momentanbeschleunigung eines Kreisesvom Radius R um den Nullpunkt lauten:

Er.t/ D�

x.t/

y.t/

D�

R cos t

R sin t

; t 2 Œ0; 2��;

PEr.t/ D� Px.t/

Py.t/

D� �R sin t

R cos t

;

REr.t/ D� Rx.t/

Ry.t/

D� �R cos t

�R sin t

:

Übung 6.20Geben Sie Bahnkurve, Momentangeschwindigkeit und Momentanbeschleunigung ei-ner Zykloide an.

Lösung 6.20Bahnkurve, Momentangeschwindigkeit und Momentanbeschleunigung einer Zykloidelauten:

Er.t/ D�

x.t/

y.t/

D�

R.t � sin t/

R.1 � cos t/

; t � 0;

PEr.t/ D� Px.t/

Py.t/

D�

R.1 � cos t/

R sin t

;

REr.t/ D� Rx.t/

Ry.t/

D�

R sin t

R cos t

:

Auch für Kurven stellt sich die Frage nach ihrer Steigung, nach der 1. Ableitung y0.x/

also. Die Schwierigkeit ist hier, dass bei Kurven in Parameterdarstellung sich zwar dieAbleitungen Px.t/ und Py.t/ ermitteln lassen, man aber nicht unbedingt den Parameter t

eliminieren kann und eine explizite Darstellung y.x/ erhält. Für die Ableitung einer Kurvein Parameterdarstellung folgt aber:

y0.x/ D dy

dxD

dydt

dxdt

D PyPx :

Page 62: [Springer-Lehrbuch] Mathematik kompakt ||

274 6 Differentialrechnung

Abb. 6.34 Steigungen beimKreis

x

y

t=0

t= 2

t= 4

Ableitung einer Kurve in ParameterdarstellungFür die Ableitung einer Kurve in Parameterdarstellung gilt:

y0.x/ D PyPx :

Beispiel 6.33Die Steigung der Tangenten an einen Kreis berechnet sich demnach (vgl. Beispiel 6.32)zu:

y0 D PyPx D R cos t

�R sin tD �cot t:

Man erhält etwa (vgl. Abb. 6.34):

Für t D 0W y0 D � cot 0 D 1:

Für t D �

4W y0 D � cot

4D �1:

Für t D �

2W y0 D � cot

2D 0:

Übung 6.21Geben Sie die Steigung einer Zykloide für t0 D 0, t0 D �

4und t0 D � an.

Lösung 6.21Für die Steigung einer Zykloide erhalten wir (vgl. Übung 6.20):

y0 D PyPx D R sin t

R.1 � cos t/D sin t

1 � cos t:

Page 63: [Springer-Lehrbuch] Mathematik kompakt ||

6.9 Steigung von Kurven 275

Abb. 6.35 Steigungen bei derZykloiden

t = 0

y

x

t = 4

t =

Damit (vgl. Abb. 6.35):

Für t D 0 W y0 D sin 0

1 � cos 0D 1:

Für t D �

4W y0 D sin �

4

1 � cos �4

D 1=p

2

1 � 1=p

2� 2;41421:

Für t D � W y0 D sin �

1 � cos �D 0:

Oft interessiert man sich für horizontale (waagerechte) bzw. für vertikale (senkrechte)Tangenten. Bei horizontalen Tangenten muss die Ableitung y0 gleich Null werden. Diesgilt, wenn im Bruch y0 D Py= Px der Zähler gleich Null (und der Nenner ungleich Null) ist.

Horizontale und vertikale TangentenFür Kurven in Parameterdarstellung x D x.t/, y D y.t/ liegen

� bei Px ¤ 0 und Py D 0 horizontale Tangenten,� bei Px D 0 und Py ¤ 0 vertikale Tangenten vor.

Der Fall bei Px D 0 und Py D 0 ist gesondert zu untersuchen (Grenzwertsatz vonL’Hospital!).

Ist die Steigung einer Kurve in einem Punkt bekannt, so lässt sich auch die Gleichungder Tangente in diesem Punkt einfach berechnen. Die Gleichung der Tangente an eineFunktion y D f .x/ an der Stelle x0 lautet y D f .x0/ C f 0.x0/ � .x � x0/. Ist die Kurvein der Parameterdarstellung x D x.t/, y D y.t/ gegeben, so erhalten wir:

y.t/ D y.t0/ C Py.t0/

Px.t0/� .x.t/ � x.t0//:

Page 64: [Springer-Lehrbuch] Mathematik kompakt ||

276 6 Differentialrechnung

Umformung dieser Gleichung liefert:

Gleichung der Tangente einer Kurve in ParameterdarstellungDie Gleichung der Tangente an eine Kurve in Parameterdarstellung x D x.t/, y Dy.t/ für t D t0 lautet:

y � y.t0/

x � x.t0/D Py.t0/

Px.t0/:

Beispiel 6.34Die Tangentengleichung lautet für einen Kreis (vgl. Beispiel 6.32):

y � R sin t0

x � R cos t0D R cos t0

�R sin t0D �cot t0:

Für t0 D �4

ergibt sich:

y � R sin �4

x � R cos �4

D �cot�

4; also

y � R 1p2

x � R 1p2

D �1

bzw. y D �x C p2R.

Übung 6.22Geben Sie die Tangentengleichung einer Zykloide an für t0 D �

4.

Lösung 6.22Die Tangentengleichung lautet für eine Zykloide (vgl. Übung 6.20):

y � R.1 � cos t0/

x � R.t0 � sin t0/D R sin t0

R.1 � cos t0/:

Für t0 D �4

ergibt sich:

y � R.1 � cos �4

/

x � R.�4

� sin �4

/D R sin �

4

R.1 � cos �4

/:

Wegen sin �4

D cos �4

D 1p2

erhalten wir:

y D 1p2 � 1

x � R�

4

1p2 � 1

C 2R:

Page 65: [Springer-Lehrbuch] Mathematik kompakt ||

6.10 Implizite Funktionen 277

6.10 Implizite Funktionen

Oft lassen sich kompliziertere Gleichungen in x und y nicht nach y auflösen und als Funk-tion schreiben. Auch wenn dies nicht möglich ist, kann man Aussagen über die zugrundeliegende Kurve treffen.

Nicht immer lässt sich eine Kurve aus der impliziten Form F.x; y/ D 0 nach y in dieexplizite Form auflösen. Aber auch ohne diese Möglichkeit der Auflösbarkeit erhält man(Differenzierbarkeit vorausgesetzt) durch Anwendung der (mehrdimensionalen) Ketten-regel auf 0 D F.x; y/:

0 D d

dtF.x.t/; y.t// D dF

dx� dx

dtC dF

dy� dy

dtD Fx � Px C Fy � Py

und somit

y0 D PyPx D �Fx

Fy

:

Es gilt sogar folgender allgemeiner Satz über implizite Funktionen:

Satz über implizite FunktionenEs sei F W R2 ! R stetig partiell differenzierbar. Der Punkt .x0; y0/ gehöre zurKurve F.x; y/ D 0 und es gelte Fy.x0; y0/ ¤ 0.

Dann lässt sich die Kurve lokal eindeutig um .x0; y0/ durch eine Funktion dar-stellen.

Für die Steigung dieser Funktion im Punkt .x0; y0/ gilt:

y0ˇˇ.x0;y0/

D �Fx.x0; y0/

Fy.x0; y0/:

Beispiel 6.35Wir betrachten den Einheitskreis F.x; y/ D x2 C y2 � 1 D 0 mit Fx D 2x, Fy D2y. Es gilt Fy D 0 für y D 0, d. h. für die beiden Punkte .1; 0/ und .�1; 0/. Andiesen beiden Punkten kann man den Kreis nicht lokal durch eine Funktion beschreiben(anschaulich gesprochen erhielte man zwei Funktionen, den oberen und den unterenHalbkreis). Die Steigung einer Kreiskurve berechnet sich zu

y0 D �Fx

Fy

D �2x

2yD �x

y:

An speziellen Punkten erhalten wir:

Für .x0; y0/ D .1=p

2; 1=p

2/W y0 D �1=p

2

1=p

2D �1:

Für .x0; y0/ D .0; 1/W y0 D �0=1 D 0:

Dies sind die gleichen Ergebnisse wie in Beispiel 6.33.

Page 66: [Springer-Lehrbuch] Mathematik kompakt ||

278 6 Differentialrechnung

6.11 Kurzer Verständnistest

(1) Für die Steigung ˛ von f .x/ in x0 gilt

� f 0.x0/ D ˛ � f 0.x0/ D cot ˛

� f 0.x0/ D tan ˛ � f 0.x0/ D 0

(2) Für das Differential dy einer Funktion y D f .x/ in x0 gilt mit y0 D f .x0/:

� dy D 0 � dy D y � y0

� dy D f 0.x0/ � dx � dy � �y WD y � y0

(3) Die Ableitung von y.x/ D 5x8 C 45 ist gleich

� 40x7 � 40x9 � 5x7 � 5x9

(4) Wie lautet die Ableitung von cos.!t/?

� sin.!t/ � �sin.!t/ � �! sin.!t/ � �!t sin.!t/

(5) Welchen Grenzwert hat limx!0. sin xx

/?

� �1 � 0 � 1 � 1(6) Was muss gelten, damit x0 ein Maximum von f .x/ ist?

� f 0.x0/ D 0 � f 00.x0/ D 0 � f 00.x0/ < 0 � f 00.x0/ > 0

(7) Gilt f 0.x0/ D f 00.x0/ D 0 und f 000.x0/ > 0, dann ist x0

� ein Minimum � ein Wendepunkt

� ein Sattelpunkt � weder/noch

(8) Welche Aussagen sind für das Newton-Verfahren richtig?

� global konvergent � quadratisch konvergent

� benötigt Ableitungen � langsamer als Bisektion

(9) Die partiellen Ableitungen von z D f .x; y/ D ey2Cxy lauten

� fx D y ey2Cxy � fx D x ey2

Cxy

� fy D .2x C y/ ey2Cxy � fy D .2y C x/ ey2

Cxy

(10) Für das Taylorpolynom pn.x/ von f .x/ um x0 gilt

� pn.x/ nähert f .x/ an � pn.x/ D PnkD0

f .k/.x0/kŠ

.x � x0/k

� pn.x/ D f .x/ � pn.x/ D PnkD0 f .k/.x0/ � xk

(11) Für eine Funktion f .x; y/ sei an der Stelle .x0; y0/ erfüllt: fx D 0, fy D 0, fxx > 0 undfxxfyy � f 2

xy > 0. Was folgt daraus?

� .x0; y0/ ist rel. Minimum � .x0; y0/ ist rel. Maximum

� .x0; y0/ ist Sattelpunkt � weder/noch

Lösung: (x ' richtig, o ' falsch)

1.) ooxo, 2.) ooxx, 3.) xooo, 4.) ooxo, 5.) ooxo, 6.) xoxo, 7.) oxxo, 8.) oxxo, 9.) xoox,

10.) xxoo, 11.) xooo

Page 67: [Springer-Lehrbuch] Mathematik kompakt ||

6.12 Anwendungen 279

6.12 Anwendungen

6.12.1 Ökonomie: Preiselastizität der Nachfrage

Viele Gebiete der Betriebswirtschaftlehre, wie etwa Produktions- und Kostentheorie,Preis- und Absatztheorie, Investionstheorie etc., benötigen die Differentialrechnung, umbeispielsweise Gewinnmaxima und Break-Even-Points (Gewinnschwellen) ermitteln oderdie Rentabilität von Investitionsvorhaben beurteilen zu können. Dieser Abschnitt stelltexemplarisch ein Analyse-Instrument der betriebswirtschaftlichen Absatztheorie vor.

Untersucht man auf einem „Markt“ den Absatz eines bestimmten Gutes in Abhängig-keit von dessen Preis, so ergibt sich häufig ein funktionaler Zusammenhang. Dieser lässtsich durch eine sog. Nachfragefunktion y D N.p/ angeben, wobei y die nachgefragteMenge des Gutes und p der Produktpreis ist. Solche Funktionen werden in der Regel vonÖkonomen geschätzt, haben oft die Form y D cp˛ mit Konstanten c; ˛ 2 R und sinddifferenzierbar.

Eine wichtige Fragestellung ist nun die Sensitivität der Nachfrage y D N.p/: Umwelchen Prozentsatz ändert sich diese, wenn der Preis ausgehend vom aktuellen Niveaup0 um x% steigt oder fällt? Da die gesuchte Änderung dem relativen Fehler entspricht,liefert Anwendung der bekannten Formel aus Abschn. 6.2.3 hierfür

ˇˇˇˇ

�y

y

ˇˇˇˇ

�ˇˇˇˇ

N 0.p0/p0

N.p0/

ˇˇˇˇ�ˇˇˇˇ

dp

p0

ˇˇˇˇ:

Die Kennzahl

".N; p0/ WD N 0.p0/p0

N.p0/

heißt Preiselastizität der Nachfrage. Diese gibt näherungsweise an, um wie viel Prozentsich die Nachfrage bei einer 1%-Preismodifikation ändert. Mit Hilfe der Preiselastitzitätlassen sich nun ökonomische Sachverhalte ermitteln:

� Unelastische Preisnachfrage:Dieser Fall gilt für j"j < 1. Die Nachfrage reagiert kaum auf Preisänderungen. DiesesVerhalten zeigt sich bei Produkten, die den Grundbedarf der Marktteilnehmer deckenund nicht substituierbar sind (z. B. Grundnahrungsmittel, Energie, Kraftstoff).

� Elastische Preisnachfrage:Diesen Fall hat man für j"j > 1. Die Nachfrage reagiert relativ stark auf (auch kleine)Preisänderungen. Das gilt vor allem für Luxusgüter wie z. B. Parfüm, Urlaubsreisen,Elektroartikel etc.

� Vollkommen elastische bzw. unelastische Nachfrage:Diese beiden Grenzfälle ergeben sich für j"j ! 1 bzw. " D 0. Im ersten Fall bewirkensogar ganz geringe Preisänderungen sehr starke Nachfrageänderungen. Es kann sichdann um Güter handeln, die durch andere Produkte ersetzt werden können. Im zwei-ten Fall reagiert die Nachfrage nicht auf Preisänderungen. Denkbar ist dieses Verhalten

Page 68: [Springer-Lehrbuch] Mathematik kompakt ||

280 6 Differentialrechnung

für Güter, mit denen Existenzbedürfnisse befriedigt werden müssen (z. B. Medikamen-te) oder bei Monopolprodukten (z. B. Reisepass, GEZ-Gebühr), bei denen der einzigeAnbieter den Preis diktiert.

Aus Unternehmersicht ist folgende Fragestellung interessant: Welche Preissenkung ist nö-tig, wenn ausgehend vom derzeitgen Absatz y0 D N.p0/ die Nachfrage um x % wachsensoll? Da die Nachfragefunktion in der Regel invertierbar ist, kann der Unternehmer nunaus y D N.p/ die Umkehrfunktion p D P.y/ D N �1.y/ (Preisabsatzfunktion) bestim-men und wie oben deren Elastizität ".P; y0/ WD P 0.y0/y0

P.y0/, die sog. Preisflexibilität der

Nachfrage, berechnen. Es geht mit den uns bekannten Mitteln der Differentialrechnungaber auch einfacher! Benutzt man nämlich die Formel für die Ableitung der Umkehrfunk-tion (siehe Abschn. 6.4.1), dann gilt:

1

".N; p0/D N.p0/

N 0.p0/p0

D 1

N 0.p0/� 1

p0

� N.p0/ D P 0.y0/ � 1

P.y0/� y0 D ".P; y0/:

Die Preisflexibilität ergibt sich also als der reziproke Wert der Preiselastizität.Realistischere Nachfragefunktionen hängen meistens nicht nur von einer Variablen ab.

Neben dem Preis p spielt natürlich auch das durchschnittlich verfügbare Einkommen e

der potentiellen Kunden eine große Rolle: y D N.p; e/. Empirisch ermittelte Funktionenhaben dabei häufig die Form N.p; e/ D cp�˛eˇ mit konstantem c 2 R und reellenGrößen ˛ > 0; ˇ > 0. An der Gestalt der Funktion erkennt man eine Gesetzmäßigkeit desMarktes: In der Regel ist die Größe der Nachfrage umgekehrt proportional zur Höhe desPreises – je teurer ein Produkt, desto weniger Konsumenten können es sich leisten. MitHilfe der partiellen Ableitungen lassen sich nun analog zum Eindimensionalen partielleElastizitäten bilden.

6.12.2 Optimierung von Aktienportfolios

„Lege nie alle Eier in einen Korb. Dann verlierst Du nicht alles, wenn der Korb zu Bodenfällt“. Das ist ein Zitat des bekannten Nobelpreisträgers für WirtschaftswissenschaftenH.W. Markowitz. Er erhielt 1990 den Nobelpreis für seine Forschungsergebnisse auf demGebiet der sog. Portfolio-Theorie (veröffentlicht 1952–59). Diese wird heute von vielenBanken und Fondsmanagern angewandt und hätte ohne Differentialrechnung nie entwi-ckelt werden können.

Im Zentrum seiner Idee steht die Beziehung zwischen der Rendite-Erwartung einerWertpapieranlage und deren Risiko. Im Idealfall möchten Investoren natürlich eine mög-lichst hohe Rendite bei geringstem Risiko erzielen. Diese Ziele sind leider konträr: sohaben Aktien ungleich höhere Chancen als Anleihen – aber eben auch größere Risiken.

Vorgestellt wird hier eine Weiterentwicklung der Markowitz-Ideen, an der hochran-gige Wirtschaftwissenschaftler wie J. Tobin (Nobelpreis 1981) und W. Sharpe (Nobel-preis 1990) beteiligt waren: das Capital Asset Pricing Modell (CAPM). Im Wesentlichen

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6.12 Anwendungen 281

Abb. 6.36 Portfolios imRisiko/Rendite-Raum

C

E

B

A

D

Risiko

Rendite

unterstellt es, dass alle Investoren unter Berücksichtigung von Rendite und Risiko ratio-nal handeln („vollkommener Kapitalmarkt“). Ziel ist dann eine Portfolio-Optimierung:verschiedene Anlagen mit unterschiedlichem Risiko werden so miteinander kombiniert(Markowitz-Diversifikation), dass das Wertpapierdepot bei möglichst geringem Risiko ei-ne hohe Rendite erzielt.

Aus Vereinfachungsgründen betrachten wir nun lediglich Anlagen in Aktien. Jede Ak-tie Ai wird durch zwei Zahlen charakterisiert:

erwartete Rendite Ri und geschätztes Risiko �i :

In der Praxis gibt es hier sehr viele Ansätze, diese Zahlen zu ermitteln. Die Rendite ist dergeschätzte Kursgewinn bzw. Kursverlust der Aktie im Betrachtungszeitraum. Sie kannbeispielsweise statistisch aus historischen Daten berechnet (Erwartungswert), aber auchdurch Analystenschätzung quantifiziert werden. Analog kann man das Risiko ebenfallsstatistisch kalkulieren (Standardabweichung), die Finanzwelt spricht dann von Volatili-tät; ein bekanntes Risikomaß ist aber auch der sog. Beta-Faktor, der für die DAX-Wertebeispielsweise regelmäßig in Handelsblatt und FAZ veröffentlicht wird.

Wir gehen nun davon aus, dass zur Anlage höchstens N Aktien in Frage kommen.Ein zu konstruierendes mögliches Portfolio P besteht dann aus jeweils xi Anteilen anAktie Ai , wobei x1 C : : : C xN D 1 gelten muss. Die zugehörige Portfolio-Rendite ergibtsich mit Ex D .x1; : : : ; xN /T 2 RN offensichtlich zu

RP .Ex/ DNX

iD1

xi Ri :

Auch das Portfolio-Risiko �P .Ex/ lässt sich mit Hilfe einer mathematischen Formel leichtbestimmen. Das Portfolio ist somit durch das Zahlenpaar .�P ; RP / charaktersiert und alsein Punkt im sog. Risiko/Rendite-Raum visualisierbar. Mathematische Untersuchungenhaben gezeigt, dass die Visualisierung aller möglichen Portfolios auf eine Form wie dieder schraffierten Fläche in Abb. 6.36 führt.

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282 6 Differentialrechnung

Abb. 6.37 Optimalportfolioim Risiko/Rendite-Raum

B

A

P*

P1

P2

leihen

verleihen

RF

Risiko

Rendite

Ein rationaler Investor wird jetzt natürlich Portfolios suchen, die

� bei gleichem Risiko eine größere Rendite erwarten lassen (B ist besser als E),� bei gleicher Rendite ein geringeres Risiko aufweisen (C ist besser als D).

Offensichtlich liegen alle interessanten, d. h. risiko-effizienten Portfolios auf der konkavenBegrenzungskurve von A nach B . Sie verbindet das Portfolio mit dem geringsten Risiko(A) und das Portfolio mit der größten Rendite (B). Für die Portfolios auf dieser Kurvegilt:

� bei gegebener Rendite existiert kein Portefeuille mit geringerem Risiko,� bei gegebenem Risiko existiert kein Portefeuille mit höherer Rendite.

Das CAPM nimmt nun die Existenz eines risikolosen Investments F zum risikolosenZinssatz RF an. Es ist charakterisiert durch .0; RF /. In der Realität kann ein Investornatürlich Kapital „verleihen“, indem er ein sicheres Wertpapier (z. B. Bundesschatzbrief,Geldmarktfond o. Ä.) kauft. Andererseits kann er sich durch Aufnahme eines Wertpapier-darlehens auch Kapital „leihen“ und die Darlehenssumme zusätzlich in Aktien investieren.Wir gehen hier der Einfachheit halber von genau einem Zinssatz RF aus. Die nachfolgen-den Überlegungen gelten prinzipiell auch für (realitätsnähere) unterschiedliche risikoloseZinssätze.

Kombiniert man nun ein beliebiges risiko-effizientes Portfolio P (z. B. P1; P2; P �)mit dem risikolosen „Portfolio“ F , dann liegen alle möglichen Kombinationen (y An-teile von P und 1 � y Anteile von F ) auf der Geraden durch die Punkte .0; RF / und.�P ; RP /. Diesen Sachverhalt zeigt Abb. 6.37. Offensichtlich werden Kombinationen aufRF P2 denen auf RF P1 vorgezogen, da sie bei gleichem Risiko höhere Renditen erwar-ten lassen. Die optimalsten Kombinationen erhält man also dann, wenn die Gerade durch.0; RF / die Kurve risiko-effizienter Portfolios tangiert. Wegen der Konkavität der Kurvegeschieht dies in genau einem Punkt P �. Die Gerade RF P � bezeichnet man als Kapi-talmarktlinie, das optimale (riskante) Portfolio P � als Marktportfolio. Jeder Investor hat

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6.12 Anwendungen 283

Abb. 6.38 Maximum M vonf .x; y/ unter g.x; y/ D c

g(x,y)=cf(x,y)=c5f(x,y)=c4

f(x,y)=c3

f(x,y)=c2

f(x,y)=c1

M

m2

m2m1

m1

m3

m3

also lediglich in Abhängigkeit seiner individuellen Risikoaversion in unterschiedlichemAusmaß zwei Anlagen zu kombinieren, nämlich das Marktportfolio mit dem risikolosenInvestment. Dieser Sachverhalt ist in der Finanzszene als Two-Fund-Theorem bzw. Sepa-rationstheorem bekannt.

Die Steigung der Geraden für ein beliebiges risiko-effizientes Portfolio P kannman – was wir hier aber nicht tun wollen – mathematisch herleiten. Sie ergibt sichzu .RP � RF /=�P . Das Marktportfolio P � findet man, indem man die Steigung dieserGeraden maximiert und dabei darauf achtet, dass man die Kurve der risiko-effizientenPortfolios noch berührt. Diese Vorgaben führen nun auf folgendes Extremwertproblemmit Nebenbedingungen:

maximiereRP .Ex/ � RF

�P .Ex/unter

NX

iD1

xi D 1: (�)

Die Nebenbedingung stellt sicher, dass jede Lösung des Problems als mögliches Aktien-portfolio (d. h. als Punkt der schraffierten Fläche) interpretiert werden kann.

Zur Lösung dieses Problems benötigen wir nun die mehrdimensionale Differential-rechnung: Es lässt sich mit ihr nämlich zeigen, dass jede Lösung des Maximumproblemsmit Nebenbedingungen der Form

maximiere f .Ex/ unter g.Ex/ D c (��)

auch Lösung des folgenden Gleichungssystems (Kuhn-Tucker-Gleichungen) sein muss:

rf .Ex/ � �rg.Ex/ D E0; g.Ex/ D 0:

Den Parameter � 2 R nennt man Lagrange-Multiplikator. Diese so genannte Methodeder Langrange-Multiplikatoren zur Lösung des Problems (��) kann man sich im R2 rechteinfach plausibel machen:

Die Abb. 6.38 zeigt einige Niveaulinien f .x; y/ D ci , i D 1; : : : 5 der Funktionf .x; y/. Wir nehmen an, dass c1 < c2 < : : : < c5 gilt. Ferner ist auch ein Teil derNebenbedingung g.x; y/ D c, gemäß unserem Ausgangsproblem .�/, speziell als Geradeeingezeichnet. Durchläuft man nun die Gerade – nur hier befinden sich ja die zulässigenPunkte für die Maximierung – so gelangt man von m1; m2 über m3 zum Punkt M , der

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284 6 Differentialrechnung

sich auf der Niveaulinie mit dem höchsten Funktionswert befindet. In diesem Punkt liegtalso offensichtlich das gesuchte Maximum. Der Punkt M zeichnet sich dadurch aus, dassdie Gerade eine Niveaulinie von f .x; y/ berührt, ohne sie zu schneiden, wie das z. B.in den Punkten m1; m2; m3 der Fall ist. Dies impliziert aber, dass im Punkt M die Stei-gung der Tangente an die Nebenbedingung g.x; y/ D c gleich der Steigung der Tangentean die Niveaulinie von f .x; y/ ist. Da aber bekannterweise die Gradienten rg und rf

senkrecht zu den Tangenten sind (siehe Abschn. 6.8.5), verlaufen sie parallel zueinanderund unterscheiden sich höchstens in Richtung und Länge. D. h. aber, dass in M D .x; y/

mit einem � 2 R gelten muss: rf .x; y/ D �rg.x; y/. Dies und die zu fordernde Gül-tigkeit der Nebenbedingung im Optimalpunkt führt aber gerade auf die oben vorgestelltenKuhn-Tucker-Gleichungen.

Löst man die Kuhn-Tucker-Gleichungen mit f .Ex/ D .RP .Ex/ � RF /=�P .Ex/, g.Ex/ DPN

iD1 xi und c D 1, so hat man das in (�) gesuchte Maximum gefunden. Wegen einer spe-ziellen Eigenschaften der Funktion f .Ex/ ist das Erfülltsein des Gleichungssystems sogarhinreichend und es gibt nur eine eindeutige Lösung, nämlich das gesuchte Marktportfo-lio P �.

Falls Sie dieses Verfahren für den eigenen Vermögensaufbau benutzen wollen, solltenSie bedenken, dass das berechnete Marktportfolio selbstverständlich von der geschätztenRendite-Risiko-Struktur der betrachteten Aktien abhängt. Nur wenn diese Strukturpro-gnose hinreichend gut ist, werden Sie Erfolg haben.

Es sei auch nicht die Schwäche des CAPM verschwiegen, die darin besteht, dass es vonrationalen Märkten mit fairen Kursen ausgeht. Dass dies nicht immer so sein muss, zeigtein der Vergangenheit der Neue Markt. Fraglich ist zudem, ob die häufig benutzte Volatilitätstets das adäquate Risikomaß ist. Man denke hier nur an die geringe Volatilität japanischerAktien in den Achtzigerjahren. Der bekannte Kurssturz und die lang anhaltende Baisse desjapanischen Aktienmarktes zeigten aber, dass eine geringe Volatilität nicht unbedingt auchgeringes Risiko bedeutet.

6.13 Zusammenfassung

Differentiation

Differentialquotient in x0 f 0.x0/ WD limh!0

f .x0 Ch/�f .x0/

hD lim

x!x0

f .x/�f .x0/

x �x0

Tangentengleichung in x0 t.x/ D f .x0/ C f 0.x0/.x � x0/,Steigung in x0 tan ˛ D f 0.x0/.

Bsp. f .x/ D ex.x2 C 1/, x0 D 0; f 0.x/ D ex.x2 C 2x C 1/, f 0.0/ D 1;

t.x/ D 1 C 1 � .x � 0/ D 1 C x;

˛ D arctan f 0.0/ D arctan 1 D �4

:

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6.13 Zusammenfassung 285

Lineare ApproximationNäherungsformel f .x/ � f .x0/ C f 0.x0/ � dx,Absoluter Fehler j�yj � jdyj D jf 0.x0/ � dxj,Relativer Fehler

ˇˇˇˇ

�y

y

ˇˇˇˇ

�ˇˇˇˇ

dy

y

ˇˇˇˇ

Dˇˇˇˇ

f 0.x0/x0

f .x0/

ˇˇˇˇ�ˇˇˇˇ

dx

x0

ˇˇˇˇ;

Differentiale dx D x � x0, dy D f 0.x0/ dx.

Bsp. f .x/ D ex.x2 C 1/; x0 D 1; x D 1;1; dx D 0;1;

f .1;1/ � f .1/ C f 0.1/ � dx D 2e C 4e � 0;1 D 6;5239;

j�yj � jf 0.1/ � dxj D 4e � 0;1 D 1;0873;

j �yy

j � j f 0.1/x0

f .1/j � j dx

x0j D j 4e�1

2e j � j 0;11

j D 0;2:

Monotonie, Stetigkeit, Differenzierbarkeit

� f 0.x/ > 0: f .x/ streng monoton wachsend,� f 0.x/ < 0: f .x/ streng monoton fallend,� f .x/ differenzierbar in x0 H) f .x/ stetig in x0.

Anschaulich:keine Sprünge im Graph von f .x/ H) f .x/ stetig,keine Knickstellen im Graph von f .x/ H) f .x/ differenzierbar.

Ableitungen elementarer Funktionen

.x˛/0 D ˛x˛�1 .ex/0 D ex .ln x/0 D 1

x;

.sin x/0 D cos x .cos x/0 D � sin x .tan x/0 D 1

cos2 x;

.cot x/0 D � 1

sin2 x.arcsin x/0 D 1p

1 � x2.arccos x/0 D � 1p

1 � x2;

.arctan x/0 D 1

1 C x2.arccot x/0 D � 1

1 C x2:

Bsp. . 1x2 /0 D .x�2/0 D �2x�3 D � 2

x3 , . 1x3 /0 D .x�3/0 D �3x�4 D � 3

x4 .

Elementare Ableitungsregeln

y.x/ D cf .x/ H) y0.x/ D cf 0.x/; c D const;

y.x/ D f .x/ ˙ g.x/ H) y0.x/ D f 0.x/ ˙ g0.x/;

y.x/ D f .x/ � g.x/ H) y0.x/ D f 0.x/ � g.x/ C f .x/ � g0.x/;

y.x/ D f .x/

g.x/H) y0.x/ D f 0.x/g.x/ � f .x/g0.x/

g2.x/; g.x/ ¤ 0;

y.x/ D f .g.x// H) y0.x/ D f 0.g.x// � g0.x/:

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286 6 Differentialrechnung

Bsp. .5 ln x/0 D 5.ln x/0 D 5 � 1x

;

.ln x C sin x/0 D .ln x/0 C .sin x/0 D 1x

C cos x;

.ex.x2 C 1//0 D .ex/0 � .x2 C 1/ C ex � .x2 C 1/0 D ex.x2 C 2x C 1/;

.tan x/0 D .sin x/0 �cos x�sin x�.cos x/0

cos2 xD cos x�cos x�sin x�.�sin x/

cos2 xD 1

cos2 x;

.ecos x/0 D ecos x � .cos x/0 D �ecos x � sin x:

Ableitung der Umkehrfunktion

.f �1/0.x/ D 1

f 0.f �1.x//; f 0.f �1.x// ¤ 0:

Bsp. f .y/ D ey , f 0.y/ D ey , f �1.x/ D ln x, .ln x/0 D 1f 0.ln x/

D 1eln x D 1

x.

Regeln von Bernoulli-L’HospitalGrenzwert limx!x0

f .x/=g.x/ der Form „0=0“ oder „1=1“:

limx!x0

f .x/

g.x/D lim

x!x0

f 0.x/

g0.x/;

x ! x0 ist auch durch x ! 1 oder x ! �1 ersetzbar.

Bsp. f .x/ D ex.x2 C 1/ � 1, g.x/ D x, x0 D 0, „0=0“,

limx!0ex.x2C1/�1

xD limx!0

ex.x2C2xC1/1

D 1:

ExtremwerteMögliche Kandidaten für relative Extrema von f .x/ im Def.bereich D

� Randpunkte von D, „Nichtdifferenzierbarkeits“-Stellen,� Stellen x0 mit horizontaler Tangente, d. h. f 0.x0/ D 0.

Hinreichendes Extremwert-Kriteriumf 0.x0/ D f 00.x0/ D : : : D f .n�1/.x0/ D 0 und für ein gerades n 2 N (häufign D 2) gilt:� f .n/.x0/ < 0 H) x0 ist strenges relatives Maximum,� f .n/.x0/ > 0 H) x0 ist strenges relatives Minimum.

Bsp. p.x/ D 2x3 � 3x2 � 36x;

p0.x/ D 6x2 � 6x � 36; p00.x/ D 12x � 6;

0 D 6x2 � 6x � 36; Nullstellen: x1 D 3; x2 D �2;

p00.3/ D 30 > 0 H) Min.; p00.�2/ D �30 < 0 H) Max.

HinreichendesWendepunkt-Kriteriumf 00.xw/ D 0 und f 000.xw/ ¤ 0 H) xw ist Wendepunkt,

gilt zusätzlich: f 0.xw/ D 0 H) xw ist Sattelpunkt.

Page 75: [Springer-Lehrbuch] Mathematik kompakt ||

6.13 Zusammenfassung 287

Bsp. f .x/ D ex.x2 C 1/;

f 0.x/ D ex.x2 C 2x C 1/; f 00.x/ D ex.x2 C 4x C 3/;

f 000.x/ D ex.x2 C 6x C 7/; f 0.�1/ D f 00.�1/ D 0;

f 000.�1/ D 2e�1 ¤ 0 H) xw D �1 ist Sattelpunkt.

Elementare KurvendiskussionÜberblick über Graph von y D f .x/ durch Bestimmung/Ermittlung von

� Polstellen, Asymptoten und Verhalten am Rand des Definitionsbereichs,� Symmetrie (Achsen oder Ursprung) und Periodizität,� Nullstellen der Funktion,� Stetigkeits- und Differenzierbarkeitsintervalle,� Extrema, Wendepunkte mit Krümmungsintervallen,� und letztlich die Skizzierung des Funktionsgraphen.

Newton-Verfahren (mit Startwertx0)

xkC1 WD xk � f .xk/

f 0.xk/; k D 0; 1; 2; : : :

STOP, falls jxkC1 � xkj < " (Fehlerschranke).

TaylorpolynomTaylorentwicklung n-ten Grades von f um x0

pn.x/ WDnX

kD0

f .k/.x0/

kŠ.x � x0/k

D f .x0/ C f 0.x0/

1Š.x � x0/ C : : : C f .n/.x0/

nŠ.x � x0/n:

Taylor’sche Formel f .x/ DnX

kD0

f .k/.x0/

kŠ.x � x0/k C Rn.x/;

Lagrange’sches Restglied Rn.x/ D f .nC1/.�/

.n C 1/Š.x � x0/nC1

mit x0 < � < x bzw. x < � < x0 (dabei � im Allg. nicht bekannt).

Bsp. f .x/ D ex , x0 D 0;

pn.x/ D 1 C x C x2

2ŠC x3

3ŠC : : : C xn

nŠ, Rn.x/ D e�

.nC1/ŠxnC1:

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288 6 Differentialrechnung

Stetigkeitbei Funktionen zweier Veränderlicher in .x0; y0/:

lim.x;y/!.x0;y0/

f .x; y/ D f .x0; y0/;

Grenzwert muss für beliebige Annäherung (auf allen möglichen Wegen) an .x0; y0/

existieren.

Partielle Ableitungen 1. Ordnung

fx.x0; y0/ WD lim�x!0

f .x0 C �x; y0/ � f .x0; y0/

�x;

fy.x0; y0/ WD lim�y!0

f .x0; y0 C �y/ � f .x0; y0/

�y:

Berechnung der Ableitungenfx.x; y/: Behandle y als Konstante und differenziere nach x,fy.x; y/: Behandle x als Konstante und differenziere nach y.

Gleichung der Tangentialebene an z D f .x; y/ in .x0; y0/

z D f .x0; y0/ C fx.x0; y0/.x � x0/ C fy.x0; y0/.y � y0/:

Bsp. f .x; y/ D e�2x.y2 C 1/; .x0; y0/ D .0; 1/;

fx.x; y/ D �2e�2x.y2 C 1/; fy.x; y/ D e�2x � 2y;

fx.0; 1/ D �4; fy.0; 1/ D 2; f .0; 1/ D 2;

z D 2 C .�4/.x � 0/ C 2.y � 1/ H) z D 2y � 4x:

Totale Differenzierbarkeit in .x0; y0/

lim.x;y/!.x0;y0/

jf .x; y/ � t.x; y/jp

.x � x0/2 C .y � y0/2D 0

mit t.x; y/ Tangentialebene von f .x; y/ in .x0; y0/.

Gilt bzgl. eines Punktes .x0; y0/

fx.x; y/ und fy.x; y/ stetig H) f dort total differenzierbar,f .x; y/ total differenzierbar H) f dort auch stetig.

Totales Differential von z D f .x; y/ an der Stelle .x0; y0/ (zu Zuwächsen dx; dy)

dz WD fx.x0; y0/ dx C fy.x0; y0/ dy;

Gute Näherung für: �z D f .x0 C dx; y0 C dy/ � f .x0; y0/.

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6.13 Zusammenfassung 289

Bsp. f .x; y/ D e�2x.y2 C 1/; .x0; y0/ D .0; 1/;

fx.0; 1/ D �4; fy.0; 1/ D 2; f .0; 1/ D 2;

dz D .�4/ dx C 2 dy; dx D 0;1; dy D �0;1;

dz D .�4/ � 0;1 C 2 � .�0;1/ D �0;6;

�z D f .0;1; 0;9/ � f .0; 1/ D �0;5181:

Gradient und Richtungsableitung

Gradient von f an der Stelle Ex D .x; y/T

grad f .x; y/ D rf .Ex/ WD �

fx.x; y/; fy.x; y/T

:

Richtungsableitung von f in Ex in Richtung Ev, kEvk D 1

d

dtf .Ex C t Ev/jtD0 D rf T .Ex/ � Ev D fx.Ex/ � v1 C fy.Ex/ � v2:

Richtungsableitung D Skalarprodukt von Gradient und Richtungsvektor.

Bsp. f .x; y/ D e�2x.y2 C 1/; Ex D .0; 1/T ;

rf .x; y/ D .�2e�2x.y2 C 1/; 2ye�2x/T ;

rf .0; 1/ D .�4; 2/T ; Ev D .1=p

2; 1=p

2/T ;

d

dtf .Ex C t Ev/jtD0 D .�4; 2/ � .1=

p2; 1=

p2/T D �p

2:

Gradientenrichtung D Richtung des steilsten Anstiegs von f ,Gradient ist stets senkrecht zur Tangente an Niveauline (D Höhenlinie) von f .

Notwendiges Extremwert-Kriterium

Ex0 lokales Extremum H) rf .Ex0/ D E0 bzw. fx.Ex0/ D fy.Ex0/ D 0.

Bsp. f .x; y/ D e�2x.y2 C 1/;

fx.x; y/ D �2e�2x.y2 C 1/ŠD 0, fy.x; y/ D e�2x � 2y

ŠD 0;

System fy2 C 1 D 0; 2y D 0g hat keine LösungH) Notw. Krit. nicht erfüllt, f hat keine Extrema.

Satz von SchwarzFür stetige partielle Ableitungen 2. Ordnung gilt:

fxy.x; y/ D fyx.x; y/:

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290 6 Differentialrechnung

Hinreichendes Extremwert-Kriterium

Sei D WD fxx.x0; y0/fyy.x0; y0/ � f 2xy.x0; y0/

� fx.x0; y0/ D fy.x0; y0/ D 0, fxx.x0; y0/ > 0, D > 0

H) .x0; y0/ ist relatives Minimum,� fx.x0; y0/ D fy.x0; y0/ D 0, fxx.x0; y0/ < 0, D > 0

H) .x0; y0/ ist relatives Maximum,� fx.x0; y0/ D fy.x0; y0/ D 0, D < 0

H) .x0; y0/ ist Sattelpunkt.

Bsp. f .x; y/ D x2y C x2 C y2;

fx.x; y/ D 2x.y C 1/ŠD 0, fy.x; y/ D x2 C 2y

ŠD 0;

Kandidaten: .0; 0/, .˙p2; �1/;

fxx.x; y/ D 2y C 2, fyy.x; y/ D 2, fxy.x; y/ D 2x;

.0; 0/: fxx.0; 0/ D 2 > 0; fxy.0; 0/ D 0;

D D 2 � 2 � 02 D 4 > 0 H) .0; 0/ ist Minimum,.˙p

2; �1/: fxx.˙p2; �1/ D 0; fxy.˙p

2; �1/ D ˙2p

2;

D D 0 � 2 � .˙2p

2/2 D �8 < 0 H) .˙p2; �1/ Sattelpunkte.

Momentangeschwindigkeit und -beschleunigungvon BahnkurvenWird eine Bahnkurve Er.t/ mit der Zeit t durchlaufen, so bezeichnet PEr.t/ die Mo-mentangeschwindigkeit und REr.t/ die Momentanbeschleunigung. Die Ableitung derVektoren erfolgt komponentenweise.

Ableitung einer Kurve in Parameterdarstellung

y0.x/ D PyPx :

Horizontale und vertikale TangentenFür Kurven in Parameterdarstellung x D x.t/, y D y.t/ liegen

� bei Px ¤ 0 und Py D 0 horizontale Tangenten,� bei Px D 0 und Py ¤ 0 vertikale Tangenten vor.

TangentengleichungDie Gleichung der Tangente an eine Kurve in Parameterdarstellung x D x.t/, y Dy.t/ für t D t0 lautet:

y � y.t0/

x � x.t0/D Py.t0/

Px.t0/:

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6.14 Übungsaufgaben 291

Implizite FunktionenEs sei F W R2 ! R stetig partiell differenzierbar. Der Punkt .x0; y0/ gehöre zur KurveF.x; y/ D 0 und es gelte Fy.x0; y0/ ¤ 0.Dann lässt sich die Kurve lokal eindeutig um .x0; y0/ durch eine Funktion darstellen.Für die Steigung dieser Funktion im Punkt .x0; y0/ gilt:

y0ˇˇ.x0;y0/

D �Fx.x0; y0/

Fy.x0; y0/:

6.14 Übungsaufgaben

Differentialquotient, Tangentengleichung und Fehleranalyse1. Gegeben sei f .x/ D 3Cx

3�x, x ¤ 3. Berechnen Sie f 0.2/

a) mit Hilfe des Differentialquotienten undb) mittels Quotientenregel.

2. Wie lautet die Gleichung der Tangente an die Funktion f .x/ D 2x3 im Punkt x0 D 2?3. Der Durchmesser q einer Kugel wird mit einem relativem Fehler von max. 2 % gemes-

sen. Approximieren Sie den max. relativen Fehler des mittels V.q/ D �6

q3 berechne-ten Kugelvolumens.

Ableitungstechniken, L’Hospital und Kurvendiskussion1. Bestimmen Sie Definitionsbereich und 1. Ableitung für die Funktionen:

a) f .x/ D x3px�x2 ,

b) f .x/ D x3 lnŒ.ex � x/2�.2. Wie lautet die n-te Ableitung folgender Funktionen:

a) y.x/ D .cx � d/m, m > n,b) f .x/ D e�x cos x für n D 4.

3. Ermitteln Sie die Ableitung von y.x/ D arcsin x mittels Umkehrfunktion!4. Berechnen Sie die folgenden Grenzwerte:

a) limx!0ex�e�x�2x

x�sin x,

b) limx!1 x�max, m 2 N, a > 1.5. Führen Sie eine elementare Kurvendiskussion für die Funktion f .x/ D e�2x2

durch.

Newtonverfahren und Taylorentwicklung1. Mit Hilfe des Newtonverfahrens bestimme man ausgehend von x0 D 1 die Nullstelle

der Gleichung 3 cos x � x D 0 mit einer Genauigkeit von 5 Nachkommastellen.2. Ermitteln Sie die Taylorentwicklung von p.x/ D 2x3 C 3x2 C 5 in a) x0 D 0 und

b) x0 D 1 bis zum Grad 3. Wie lautet das Lagrange’sche Restglied?3. Berechnen Sie die Taylorentwicklung von f .x/ D sin x um x0 D 0 vom Grad 8.

Es ist eine möglichst genaue Abschätzung für den Approximationsfehler im IntervallŒ��

6; �

6� anzugeben.

Page 80: [Springer-Lehrbuch] Mathematik kompakt ||

292 6 Differentialrechnung

Abb. 6.39 Epizykloide undKardioide

y

x

t = /4

x

y

0 2aa

= /4

Funktionen mehrerer Veränderlicher1. Bestimmen Sie die Steigungen der Kurven, die im Schnitt der Fläche z D 3x2 C

4y2 � 6 mit den Ebenen durch den Punkt .1; 1; 1/ parallel zur xz-Ebene bzw. yz-Ebene entstehen.

2. Berechnen Sie die partiellen Ableitungen 1. Ordnung der Funktionen:

a) f .x; y/ D x2

yC y2

x,

b) f .x; y/ D ln.tan.xy

//,c) f .x; y/ D xy .

3. Berechnen Sie im Punkt .1; �3; 2/ die Gleichung der Tangentialebene an die Funktionf .x; y/ D p

x � y.4. Die Leistung P , die in einem elektrischen Widerstand R bei Anliegen einer Span-

nung U verbraucht wird, ist durch P.U; R/ D U 2=R Watt gegeben. Es gelte U D220 V und R D 10 �. Wie stark ändert sich die Leistung, wenn U um 10 V und R um0;5 � abnehmen (im Sinne einer differentiellen Fehleranalyse)?

5. Bestimmen Sie den Gradienten von f .x; y/ D yex im Punkt .0; 5/. Wie lautet dortdie Richtungsableitung von f in Richtung Ev D .1=

p2; 1=

p2/ (d. h. 45ı)?

6. Man bestimme Minima, Maxima und Sattelpunkte vona) f .x; y/ D ln.x2 C y2 C 1/,b) f .x; y/ D x5y C xy5 C xy.

Steigung von Kurven1. Bei einer Epizykloiden rollt ein Kreis (z. B. vom Radius 1) auf einem festen Kreis

(z. B. vom Radius 4) ab (s. Abb. 6.39). Die Parameterform dieser Epizykloide ist ge-geben durch x.t/ D 5 cos t � cos.5t/, y.t/ D 5 sin t � sin.5t/, t 2 Œ0; 2��.a) Berechnen Sie die Steigung der Kurve für t D �=4.b) Berechnen Sie die Gleichung der Tangenten für t D �=4.c) Für welche t 2 Œ0; �=2� liegt eine horizontale Tangente vor?

2. Bei der Kardioiden x.'/ D a �.1Ccos '/ �cos ', y.'/ D a �.1Ccos '/ �sin ' ist a) dieSteigung für t D �=4 zu berechnen. Für welche t 2 Œ0; �=2� liegen b) horizontale bzw.c) vertikale Tangenten vor (s. Abb. 6.39)?

Page 81: [Springer-Lehrbuch] Mathematik kompakt ||

6.15 Lösungen 293

Implizite Funktionen1. Eine Kurve ist implizit gegeben durch ey C y C x2 � x � 3 D 0.

a) Bestimmen Sie die zu y0 D 0 gehörigen Kurvenpunkte!b) Bestimmen Sie Steigung und Tangentengleichung an diesen Punkten!c) Ist die Kurve an diesen Punkten lokal eindeutig als Funktion darstellbar?d) An welchem Kurvenpunkt liegt eine horizontale Tangente vor?

6.15 Lösungen

Differentialquotient, Tangentengleichung und Fehleranalyse1. a) Es gilt f 0.2/ D limh!0

f .2Ch/�f .2/h

D limh!01h

.5Ch1�h

�5/. Auf den Hauptnenner

bringen und h kürzen liefert f 0.2/ D limh!06

1�hD 6.

Alternative Lösung mittels: f 0.2/ D limx!2f .x/�f .2/

x�2D .3Cx/=.3�x/�5

x�2D

limx!23Cx�5.3�x/.3�x/.x�2/

D 6x�12.3�x/.x�2/

D limx!26

3�xD 6.

b) Quotientenregel: f 0.x/ D .3�x/�1�.3Cx/�.�1/

.3�x/2 D 6.3�x/2 , also f 0.2/ D 6.

2. Es ist f 0.x/ D 6x2 und f 0.2/ D 24. Für die Tangentengleichung gilt damit y Df .2/ C f 0.2/.x � 2/ D 16 C 24.x � 2/, also y D 24x � 32.

3. Für den relativen Eingangsfehler gilt jdq=qj 2 %. Es ist V 0.q/ D �2

q2. Somit giltfür den relativen Ausgangsfehler:

ˇˇˇˇ

�V

V

ˇˇˇˇ

�ˇˇˇˇ

dV

V

ˇˇˇˇ

Dˇˇˇˇ

V 0.q/ dq

V

ˇˇˇˇ

Dˇˇˇˇˇ

�2

q2 � q�6

q3

ˇˇˇˇˇ�ˇˇˇˇ

dq

q

ˇˇˇˇ

D 3

ˇˇˇˇ

dq

q

ˇˇˇˇ

3 � 2 % D 6 %:

Ableitungstechniken, L’Hospital und Kurvendiskussion1. a) Es gilt D D fx 2 R j x > 0 und x ¤ 1g. Quotientenregel:

f 0.x/ D3x2.

px � x2/ � x3

�1

2p

x� 2x

.p

x � x2/2D 6x3 � 6x4

px � x3 C 4x4

px

2p

x.p

x � x2/2

D 5x2p

x � 2x4

2.p

x � x2/2:

b) Es ist D D R. Wegen ex > x gilt f .x/ D 2x3 ln.ex � x/. Produktregel: f .x/ D6x2 � ln.ex � x/ C 2x3 � ex�1

ex�x.

2. a) Es ist y0.x/ D cm.cx � d/m�1, y00.x/ D c2m.m � 1/.cx � d/m�2 und allgemeiny.n/.x/ D cnm.m � 1/ � : : : � .m � n C 1/.cx � d/m�n D mŠ

.m�n/Šcn.cx � d/m�n.

b) f 0.x/ D �e�x cos x � e�x sin x D �e�x.cos x C sin x/;

f 00.x/ D e�x.cos x C sin x/ � e�x.� sin x C cos x/ D 2e�x.sin x/;

f 000.x/ D �2e�x sin x C 2e�x cos x D �2e�x.sin x � cos x/;

f .4/.x/ D 2e�x.sin x � cos x/ � 2e�x.cos x C sin x/ D �4e�x cos x:

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294 6 Differentialrechnung

Abb. 6.40 Graph vonf .x; y/ D e�2x2

-2 -1 1 2

0.2

0.4

0.6

0.8

1

x

y

x3 x3,( )x2 x2,( )

x1 x1,( )

3. Mit f �1.x/ D arcsin x ist f .y/ D sin y die Umkehrfunktion. Also folgt .arcsin x/0 D1

f 0.arcsin x/D 1

cos.arcsin x/. Aus sin2 x C cos2 x D 1, d. h. cos x D

p1 � sin2 x (da

cos y � 0 für den Hauptzweig Œ��=2; �=2� der arcsin-Funktion) ergibt sich jetzt.arcsin x/0 D 1p

1�sin2.arcsin x/D 1p

1�x2.

4. a) Da der Ausdruck die Form „0=0“ hat, wird die Regel von L’Hospital ange-wandt: limx!0

.ex�e�x�2x/0

.x�sin x/0

D limx!0exCe�x�2

1�cos x. Auch dieser Ausdruck hat die

Form „0=0“. Nochmalige Anwendung der Regel liefert: limx!0.exCe�x�2/0

.1�cos x/0

Dlimx!0

ex�e�x

sin x. Wieder ergibt sich die Form „0=0“. Eine weitere Anwendung der

Regel führt jetzt zum Ziel:

limx!0

.ex � e�x/0

.sin x/0 D limx!0

ex C e�x

cos xD 2

1D 2:

b) Der Grenzwert limx!1 ax

xm hat die Form „1=1“. Wir setzen f .x/ D ax undg.x/ D xm. Dann gilt für deren m-te Ableitungen f .m/.x/ D ax.ln a/m undg.m/.x/ D mŠ . Die m-malige Anwendung der Regel von L’Hospital führt daher

zu limx!1 f .m/.x/

g.m/.x/D limx!1 ax .ln a/m

mŠD 1.

5. Es gilt D D R. Wegen f .�x/ D f .x/ ist die Funktion symmetrisch zur y-Achse. DieFunktion hat keine Nullstellen. Zur Bestimmung möglicher Extrema und Wendepunk-te werden folgende Ableitungen berechnet: f 0.x/ D �4xe�2x2

, f 00.x/ D 16x2�4

e2x2 ,

f 000.x/ D 48x�64x3

e2x2 . Für die einzige Nullstelle x1 D 0 von f 0.x/ gilt f 00.0/ D�4 < 0. Es handelt sich daher um ein Maximum mit f .0/ D 1. Äquivalent zuf 00.x/ D 0 ist 16x2 � 4 D 0. Mögliche Wendepunkte sind also x2 D �1=2 bzw.x3 D 1=2. Wegen der Achsensymmetrie genügt es einen dieser Kandidaten zu unter-suchen: f 000.1=2/ � 9;71 ¤ 0. Die Funktion hat also Wendepunkte in .�0;5; 0;61/

und .0;5; 0;61/. Es gibt somit drei „Krümmungsintervalle“: K1 D .�1; �0;5/, K2 D.�0;5; 0;5/ und K3 D .0;5; 1/. Wegen z. B. f 00.�1/ > 0, f 00.1/ > 0 ist f in K1; K3

linksgekrümmt, in K2 jedoch rechtsgekrümmt (z. B. f 00.0/ < 0). Für das „Grenzver-halten“ gilt: limx!˙1 1

e2x2 D 0. Es gibt daher keine globalen Minima, aber x1 D 0

ist globales Maximum. Den nun einfach zu zeichnenden Graph entnimmt man derAbb. 6.40.

Page 83: [Springer-Lehrbuch] Mathematik kompakt ||

6.15 Lösungen 295

Newtonverfahren und Taylorentwicklung1. Mit f .x/ D 3 cos x � x ist f 0.x/ D �3 sin x � 1. Damit ergibt sich x1 D x0 �

3 cos x0�x0�3 sin x0�1D 1 � 3 cos 1�1

�3 sin 1�1D 1;17617. Analog berechnet man x2 D 1;17013, x3 D

1;17012 und x4 D 1;17012. Damit ist die geforderte Genauigkeit erreicht (f .x4/ �0;0000036).

2. Zunächst werden die relevanten Ableitungen ermittelt: p0.x/ D 6x2 C 6x, p00.x/ D12x C 6, p000.x/ D 12 und p.4/.x/ D 0.a) Damit gilt p0.0/ D 0, p00.0/ D 6 und p000.0/ D 12, sowie p.0/ D 5. Folglich

ergibt sich:

p3.x/ D p.0/ C p0.0/

1Šx1 C p00.0/

2Šx2 C p000.0/

3Šx3

D 5 C 0 � x1 C 6

2x2 C 12

6x3 D p.x/:

b) Wegen p0.1/ D 12, p00.1/ D 18 und p000.1/ D 12, sowie p.1/ D 10 gilt:

p3.x/ D p.1/ C p0.1/

1Š.x � 1/1 C p00.1/

2Š.x � 1/2 C p000.1/

3Š.x � 1/3

D 10 C 12.x � 1/ C 18

2.x � 1/2 C 12

6.x � 1/3 D p.x/:

Für das Lagrange’sche Restglied gilt wegen p.4/.�/ D 0 in beiden Fällen natürlichR3 D 0. Ausgangspolynom und Taylorpolynom sind also identisch!

3. Für die benötigten Ableitungen gilt: f 0.x/ D f .5/.x/ D cos x, f 00.x/ D f .6/.x/ D�sin x, f 000.x/ D f .7/.x/ D �cos x und f .4/.x/ D f .8/.x/ D sin x. Daraus folgtf 0.0/ D f .5/.0/ D 1, f 00.0/ D f .4/.0/ D f .6/.0/ D f .8/.0/ D 0 und f 000.0/ Df .7/.0/ D �1. Die Taylorentwicklung lautet (f .0/ D 0): p8.x/ D 0 C 1

1Š� x C 0

2Š�

x2 C �13Š

� x3 C 04Š

� x4 C 15Š

� x5 C 06Š

� x6 C �17Š

� x7 C 08Š

� x8. Somit ist p8.x/ Dx� 1

3Šx3C 1

5Šx5� 1

7Šx7. Die gesuchte Abschätzung erhält man mit dem Lagrange’schen

Restglied: Es gilt j sin x � p8.x/j D jR8.x/j. Wegen jf .9/.�/j D j cos �j 1 für

� 2 Œ��=6; �=6� folgt jR8.x/j D j cos �9Š

x9j jx9j9Š

.�=6/9

9Š� 8 � 10�9.

Funktionen mehrerer Veränderlicher1. Die Schnittkurve parallel zur xz-Ebene (y � 1) lautet z D 3x2 � 2. Es ist zx.x; y/ D

6x. Setzt man hier x D 1, so erhält man die Steigung 6. Andererseits lautet die Schnitt-kurve parallel zur yz-Ebene (x � 1) z D 4y2 �3. Es ist zy.x; y/ D 8y und für y D 1

ergibt sich die Steigung 8.

2. a) fx.x; y/ D 2xy

� y2

x2 , fy.x; y/ D �x2

y2 C 2yx

.

b) fx.x; y/ D 1tan.x=y/

� 1cos2.x=y/

� 1y

D 1y sin.x=y/ cos.x=y/

.

fy.x; y/ D 1tan.x=y/

� 1cos2.x=y/

� .�xy2 / D �x

y2 sin.x=y/ cos.x=y/.

c) fx.x; y/ D yxy�1, fy.x; y/ D xy ln x (man beachte: .ax/0 D ax ln a/.

Page 84: [Springer-Lehrbuch] Mathematik kompakt ||

296 6 Differentialrechnung

3. Für die partiellen Ableitungen gilt fx.x; y/ D 12

px�y

und fy.x; y/ D �12

px�y

. Es

folgt fx.1; �3/ D 1=4 und fy.1; �3/ D �1=4. Die Tangentialebene lautet z D 2 C14.x � 1/ � 1

4.y C 3/, d. h. vereinfacht z D 1

4.x � y/ C 1.

4. Die zu berücksichtigenden Änderungen sind dU D �10 und dR D �0;5. Die partiel-len Ableitungen von P.U; R/ sind PU D 2U

Rund PR D �U 2

R2 . Das totale Differentialergibt sich damit zu

dP D 2U

R� dU � U 2

R2� dR D 2 � 220

10� .�10/ � 2202

102� .�0;5/ D �198:

Die Leistung ist also um annähernd 198 W verringert.5. Aus fx.x; y/ D yex und fy.x; y/ D ex ergibt sich der Gradient rf .x; y/ D

.yex ; ex/T und damit rf .0; 5/ D .5; 1/T . Für die Richtungsableitung gilt rf T .0; 5/�Ev D 5 � 1p

2C 1 � 1p

2D 3

p2.

6. a) Notwendig ist fx.x; y/ D 2xx2Cy2C1

D 0 und fy.x; y/ D 2y

x2Cy2C1D 0. Ein-

zige Lösung dieses Gleichungssystems ist .x; y/ D .0; 0/. Die zweiten Ablei-

tungen ergeben sich zu fxx.x; y/ D �2x2C2y2C2

.x2Cy2C1/2 , fyy.x; y/ D 2x2�2y2C2

.x2Cy2C1/2 und

fxy.x; y/ D fyx.x; y/ D �4xy

.x2Cy2C1/2 . Nun muss das hinreichende Kriteriumüberprüft werden:

fxx.0; 0/ D 2 > 0; fxx.0; 0/fyy.0; 0/ � f 2xy.0; 0/ D 2 � 2 � 02 D 4 > 0:

In .0; 0/ liegt also ein lokales Minimum vor.b) Notwendiges Kriterium ist: fx.x; y/ D y.5x4 C y4 C 1/ D 0 und fy.x; y/ D

x.x4C5y4C1/ D 0. Einzige Lösung dieses Gleichungssystems ist .x; y/ D .0; 0/.Die zweiten Ableitungen ergeben sich zu fxx.x; y/ D 20x3y sowie fyy.x; y/ D20xy3 und fxy.x; y/ D fyx.x; y/ D 5x4 C 5y4 C 1. Damit gilt:

fxx.0; 0/fyy.0; 0/ � f 2xy.0; 0/ D 0 � 0 � 12 D �1 < 0:

Nach dem hinreichenden Kriterium ist .0; 0/ daher ein Sattelpunkt.

Steigung von Kurven1. a) Mit Px.t/ D �5 sin tC5 sin.5t/ und Py.t/ D 5 cos t�5 cos.5t/ folgt für die Steigung

y0 D PyPx D 5 cos t � 5 cos.5t/

�5 sin t C 5 sin.5t/:

Setzt man t D �=4, so erhält man für die Steigung an dieser Stelle

y0ˇˇtD�=4

D 5 cos �=4 � 5 cos.5�=4/

�5 sin �=4 C 5 sin.5�=4/D 5=

p2 � 5.�1=

p2/

�5=p

2 C 5.�1=p

2/D �1:

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6.15 Lösungen 297

b) Mit x.�=4/ D 5 cos �=4�cos.5�=4/ D 5 �1=p

2�.�1=p

2/ D 6=p

2 und analogy.�=4/ D 6=

p2 folgt als Tangentengleichung

y � y.�=4/

x � x.�=4/D y � 6=

p2

x � 6=p

2D �1; also y D �x C 12=

p2:

c) Zur Ermittlung von horizontalen Tangenten im Winkelbereich von Œ0; �=2� ist derZähler der Steigung gleich Null zu setzen: Die Gleichung

Py D 5 cos t � 5 cos.5t/ D 0

hat die Lösungen t D 0 und t D �=3.Im Falle von t D �=3 ist der Nenner von y0 ungleich Null:

Px.�=3/ D �5 sin.�=3/ C 5 sin.5�=3/ D �5p

3:

Im Falle von t D 0 gilt Px.0/ D 0. Mit dem Grenzwertsatz von L’Hospital folgt

y0ˇˇtD0

D Py.0/

Px.0/D 0

0D lim

t!0

�5 sin t C 25 sin.5t/

�5 cos t C 25 cos.5t/D 0

20D 0:

Also liegen horizontale Tangenten bei t D 0 und bei t D �=3 vor.2. Die Steigung der Kardioide berechnet sich zu:

y0 D PyPx D .�a sin '/ � sin ' C a.1 C cos '/ � cos '

.�a sin '/ � cos ' � a.1 C cos '/ � sin 'D � sin2 ' C cos ' C cos2 '

�2 sin ' cos ' � sin ':

a) Für ' D �4

erhalten wir:

y0 D �.1=p

2/2 C .1=p

2/ C .1=p

2/2

�2.1=p

2/ � .1=p

2/ � .1=p

2/D .1=

p2/

�1 � .1=p

2/� �0;41421:

b) Horizontale Tangenten sind gekennzeichnet durch Py D 0:

� sin2 ' C cos ' C cos2 ' D 0;

�.1 � cos2 '/ C cos ' C cos2 ' D 0;

2 cos2 ' C cos ' � 1 D 0:

Die quadratische Gleichung 2x2Cx�1 hat die Lösungen x1 D 1=2 und x2 D �1.Wir erhalten mit cos ' D x: cos ' D 1

2(d. h. ' D �

3) und cos ' D �1 (d. h.

' D �). An der Stelle ' D �3

aus dem gesuchten Intervall gilt zudem Px.�=3/ D�p

3 ¤ 0, also liegt eine horizontale Tangente vor.

Page 86: [Springer-Lehrbuch] Mathematik kompakt ||

298 6 Differentialrechnung

Abb. 6.41 Implizite Funktioney C y C x2 � x � 3 D 0

y

x(-1,0) (2,0)

c) Vertikale Tangenten sind gekennzeichnet durch Px D 0:

�2 sin ' cos ' � sin ' D 0; bzw. � sin '.2 cos ' C 1/ D 0:

Aus sin ' D 0 folgt ' D 0, während cos ' D �1=2 im Intervall Œ0; �=2� nichterfüllt ist. Wegen Py.0/ ¤ 0 liegt an ' D 0 eine senkrechte Tangente vor.

Implizite Funktionen1. a) Die zu y0 D 0 gehörigen Kurvenpunkte erfüllen die Gleichung e0 C 0 C x2 �

x � 3 D 0 bzw. x2 � x � 2 D 0. Diese quadratische Gleichung hat die Lösungenx0 D �1 und x0 D 2. Die gesuchten Kurvenpunkte sind also .�1; 0/ und .2; 0/.

b) Mit

y0 D �Fx

Fy

D �2x � 1

ey C 1

erhält man y0j.�1;0/ D �.2 � .�1/ � 1/=.e0 C 1/ D 1;5 und y0j.2;0/ D �.2 � 2 �1/=.e0 C 1/ D �1;5. Die Tangentengleichung erhält man durch Einsetzen in dieFormel

y � y0

x � x0

D y0;

also

y � 0

x � .�1/D 3

2; d. h. y D 3

2x C 3

2bzw.

y � 0

x � 2D �3

2; d. h. y D �3

2x C 3:

c) Wegen Fy D ey C1 > 0 ist die Kurve sogar an allen Kurvenpunkten lokal eindeu-tig als Funktion darstellbar. Formal ist die Gleichung F.x; y/ D ey C y C x2 �x � 3 D 0 allerdings nicht nach y auflösbar.

d) Für horizontale Tangenten muss gelten: y0 D �Fx=Fy D 0, also Fx D 2x �1 D 0. Wir erhalten den Wert x D 1=2. Der zugehörige y-Wert ist Lösung voney C y C 0;52 � 0;5 � 3 D 0. Mit Hilfe z. B. des Newton-Verfahrens erhält mandie Näherung y0 � 0;86796.

Die Kurve und die berechneten Punkte findet man in Abb. 6.41.