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www.muenchner-stadtgespraeche.de Nr. 81 Dezember 2018 Münchner Stadtgespräche SORTENVIELFALT Schluss mit Einheitsgemüse REGIONALE LEBENSMITTEL Rein in die Gummistiefel ERNÄHRUNGSRAT Ernährungs- demokratie jetzt! Alles regional?

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www.muenchner-stadtgespraeche.deNr. 81 Dezember 2018

MünchnerStadtgespräche

SORTENVIELFALT

Schluss mit Einheitsgemüse

REGIONALE LEBENSMITTEL

Rein in die Gummistiefel

ERNÄHRUNGSRAT

Ernährungs-demokratie jetzt!

Alles regional?

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aus dem referat für gesundheit und umweltdie seite zwei

Zur Person

Stephanie Jacobs leitet seit dem 1. Sep-tember 2015 das Referat für Gesund-heit und Umwelt. Zuvor arbeitete die Ju-ristin und Fachfrau für Gesundheits- und Umweltfragen im bayerischen Ministerium für Umwelt/Gesundheit und Verbraucher-schutz. Die gebürtige Fränkin ist verheiratet und Mutter zweier Kinder.

Klimaschutzmit Messer und Gabel

Vor dem Hintergrund der zuneh-menden Globalisierung und Anonymi-sierung des Lebensmittelmarkts wird

das Wissen über die Herkunft und Produktion von Nahrungsmitteln immer wichtiger. Regio-nalität steht also hoch im Kurs – und rangiert in manchen Umfragen sogar vor Bio! Direkt beim Bauern einzukaufen schafft Vertrauen und bie-tet die Möglichkeit, die heimische Landwirt-schaft zu unterstützen. Außerdem weisen diese Produkte – dank vieler gesparter Transportkilo-meter – eine bessere Klimabilanz auf.

In München gibt es mittlerweile zahlreiche Initiativen und Angebote, die es uns ermögli-chen, Agrarprodukte aus dem direkten Umfeld zu beziehen. So unterstützt die Landeshaupt-stadt München die im Stadtgebiet wirtschaf-tenden Bauern („Grüngürtellandwirte“) bei der Vermarktung ihrer Produkte. Dies hat in Mün-chen Tradition: Unter dem Motto „bio – regional – fair“ hat der Stadtrat bereits 2006 beschlos-sen, dass München Biostadt werden soll. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, wurde in der Zwischenzeit eine Vielzahl von Projekten

und Aktivitäten umgesetzt. Damit nicht genug, der Stadtrat hat auf Vorschlag des RGU zwei weitere Beschlüsse gefasst: Bei allen Verpfle-gungsangeboten im Zuständigkeitsbereich der Landeshauptstadt München sollen mindestens 20 Prozent bio-regional-faire Lebensmittel und 30 Prozent Fleisch aus artgerechter Tierhal-tung eingesetzt werden.

Mit dem zweiten Beschluss wurde eine Be-schaffungsleitlinie verabschiedet. In dieser wird konkretisiert, nach welchen Prinzipien künftig eingekauft werden soll. So strebt die Stadt an, verstärkt Fleisch- und Fischprodukte in Bio-Qualität gemäß der folgenden „Kas-kade“ zu beschaffen: Der „Goldstandard“ ist das Bio-Regio-Siegel des Bayerischen Staats-ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Falls diese Qualität nicht verfüg-bar ist folgt das EU-Biosiegel, mit nachgewie-sener Herkunft (entsprechend den Herkunfts-vorgaben des bayerischen Biosiegels). Falls vorgenannte Qualität auch nicht verfügbar ist kommt nun das EU-Biosiegel (ohne Her-kunftsnachweis).

Das Bayerische Biosiegel ist also unser Gold-standard. Dies nicht nur, weil die geforderten Qualitätsstandards höher sind als beispielswei-se die des EU-Bio-Logos, sondern weil hier der Regionalitätsanspruch konsequent umgesetzt wird: Lebensmittel, die dieses Label tragen, müssen nicht nur komplett in Bayern produ-ziert, sondern auch verarbeitet werden. Auch müssen die Tiere in Bayern geboren und auf-gewachsen sein. Und das Futter muss über-wiegend vom eigenen Hof stammen.

Die Stadtratsbeschlüsse befinden sich derzeit in Umsetzung. Einige Pilotprojekte zeigen be-reits erste Erfolge. So haben schon vier Pilot-schulen erfolgreich ihre Schulverpflegung auf 100 Prozent Biofleisch aus der Region umge-stellt. Durch die Vermittlung regionaler Lie-feranten, Erzeuger und Metzger konnten alle vier Schulküchen innerhalb kürzester Zeit ih-ren Fleischeinsatz aus der Region bestreiten.

Kombiniert mit einer gezielten Beratung durch die Münchner Biomentoren zur Speiseplanung sowie anderen küchenspezifischen Herausfor-derungen und unterstützt durch das „Bio für Kinder“-Team konnte dieses Pilotprojekt er-folgreich abgeschlossen werden.

TEXT Stephanie Jacobs Referentin für Gesundheit und Umwelt (RGU) FOTOS Adobe Stock Eleana Hegerich

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Liebe Leserinnen und Leser,

nach mehr als 20 Jahren ist es heute soweit: Sie halten die letzte Ausgabe der „Münchner Stadtgespräche“ in den Händen. Natürlich fällt uns der Abschied sehr schwer, konnten wir doch zahlreiche ökologische und soziale Themen beleuchten, die in unserer sensationsgetriebenen Medienwelt sonst gerne untergehen. Die gute Nachricht: Die kritische Perspektive geht nicht verloren, denn das Umweltinstitut wird Sie natürlich auch weiterhin gerne mit Informationen aus München und der Welt versorgen – wenn auch auf anderen Kanälen. An dieser Stelle wollen wir uns noch einmal herzlich beim Referat für Gesundheit und Umwelt der Stadt München bedan-ken, das dieses Projekt über all die Jahre ermöglicht hat.

Doch nun wünsche ich Ihnen noch einmal viel Freude mit unserem Magazin, das ganz dem Schwerpunkt „Alles regional?“ gewidmet ist. Begleiten Sie unsere AutorInnen auf Biobauern-höfe und Wochenmärkte, erfahren Sie mehr über alte Obst- und Gemüsesorten und lernen Sie die Regionalwährung „Chiemgauer“ kennen. In unserem Leitartikel geht es allerdings nicht ganz so idyllisch zu: Unser Landwirtschaftsreferent Karl Bär stellt ganz zu Recht die Frage, was ein Siegel für „Qualität aus Bayern“ wert ist, wenn sich dahinter Produkte aus regionaler Mas-sentierhaltung verbergen können. Bleiben Sie kritisch und informiert!

Eine aufschlussreiche Lektüre wünschtJoy Mann

Editorial

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13

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Inhalt

07 Traum einer großen Gemeinschaft So funktioniert solidarische Landwirtschaft

Markt mit PotenzialWochenmärkte sind beliebt wie nie 16

Ernährungsdemokratie jetzt! Ernährungswende von unten

1820Schluss mit Einheitsgemüse!

Warum wir mehr Vielfalt brauchen

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04 Ist regional die erste Wahl?Ökologischer Konsum ohne Weltflucht

09

02 Klimaschutz mit Messer und Gabel München fördert regionale Bio-Lebensmittel

Geld ohne Gier Wie sozial sind Regionalwährungen?

Sortenvielfalt: Ein Überblick Alternativen aus der Gemüsekiste

13 Rein in die Gummistiefel Auf den Spuren regionaler Lebensmittel

22 Impressum, Kontakte, Termine

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Ist regional die erste Wahl?

Regional gehört zum Vierklang der guten Ernährung: Ökologisch, regional, saisonal und fair. Wie sehr diese vier Ideen zusam-mengehören, merkt man schnell, wenn man eine davon igno-

riert. Ökologisches Gemüse, das in spanischen Trockengebieten von rechtlos gehaltenen AfrikanerInnen gepflegt wird? Ökologische Beeren aus der Region, die im Winter in beheizten und beleuchteten Treibhäu-sern wachsen? Fleisch aus der Tierfabrik in der Nachbarschaft? Das will niemand! Weiter kommen wir nur, wenn wir regional, bio, fair und saisonal zusammenbringen.

Wer will schon regionale Massentierhaltung?

Als in Deutschland vor zehn Jahren Milchviehbetriebe wegen der miserablen Milchpreise streikten, erreichten regionale Probleme die Eine-Welt-Bewegung.

Kann man Schokolade produzieren, um Bauern und Bäuerinnen aus Ecuador oder Ghana faire Preise zu garantieren, aber dabei Milch verarbeiten, von der ihre KollegInnen in Deutschland nicht leben kön-nen? Nein. Das erkannte auch die Fair-Trade-Firma Gepa und ver-

arbeitet seitdem in ihrer Schokolade Bio-Milch von der Molkerei „Berchtesgadener Land“, die dafür bekannt ist, einen guten Milchpreis zu bezahlen.

Doch je populärer Regionalität als Qualitätsmerkmal bei Lebensmit-teln wird, umso leichter kann sie missbraucht werden. Als Adrianus Straathof, einer der schlimmsten Massentierhalter Europas, vor eini-gen Jahren in Nordschwaben eine Anlage zur Produktion von 75.000 Ferkeln pro Jahr bauen wollte, war ein Hintergedanke: Das Fleisch dieser Schweine kann später im Handel mit dem Label „Qualität aus Bayern“ vor weiß-blauem Rautenmuster verkauft werden.

Straathof hat inzwischen in Deutschland Tierhaltungsverbot, so schlecht ging es den Tieren in seinen Ställen. Doch für das Label „Qua-lität aus Bayern“ ist die bayerische Herkunft die einzige Qualität. Regio-nal ist eben nicht immer erste Wahl.

Im Münchner Stadtrat wurde das Ausspielen von „Bio“ gegen „Regio-nal“ sogar zum Politikum. Die große Koalition im Rat reformierte im Sep-tember 2017 die Kriterien, nach denen die Standplätze auf der „Wiesn“

Wer das eigene Leben ökologisch gestalten möchte, steht schnell vor einer unüberschau-baren Zahl an Anforderungen. Dinge direkt vor Ort zu gestalten und regional einzukau-fen kann Beziehungen schaffen und zum Mitmachen anregen. Doch auch das Potential für den Missbrauch des Regionalgedankens und heimattümelnde Weltflucht ist groß.

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vergeben werden. Der Aspekt der regionalen Herkunft der Lebensmit-tel in den Zelten wird seitdem genauso hoch bewertet wie ein Biosiegel.

Der kleine Vorteil für die wenigen, die auf dem Oktoberfest Bioprodukte anbieten, ist verschwunden, weil Hähnchen aus Massentierhaltung jetzt ebenso gefördert werden, wenn sie nur aus Niederbayern kommen und nicht aus Niedersachsen. Trotz der Proteste der Münchner Umweltver-bände hat die Mehrheit im Stadtrat nicht verstanden, dass ökologisch und regional zusammengehört.

Institutionen schaffen statt Gefühle konsumieren

Und so findet die Idee der Regionalität auch immer mehr Kritik. In polemischen Texten liest man von Münchner Schnöseln, die mit ihren SUVs am Schliersee im Stau stehen, um auf einem urigen Ziegenhof vor Bergpanorama besten Bio-Käse zu kaufen und sich da-bei so fühlen, als hätten sie etwas Gutes für die Umwelt getan. Nein, das haben sie nicht. Man kann nichts Gutes für die Umwelt tun, wenn ein SUV beteiligt ist.

Diese Polemik kommt von drei ganz verschiedenen Positionen. Zum einen wird sie gerne von Menschen vorgebracht, die überhaupt nicht wollen, dass sich etwas verändert. „Diese Ökos“, wollen sie sagen, „das sind alles dumme, reiche Menschen, denen es nur um sich selbst geht.“ An der Frage, wie die Umwelt geschützt werden kann, sind die-se KritikerInnen nicht interessiert. Es geht ihnen vielmehr darum, zu verhindern, dass ökologische Ideen sich politisch und ökonomisch durchsetzen.

Zum zweiten kommt diese Kritik aus den eigenen Reihen. So rich-tig du dich auch verhalten möchtest, es gibt doch immer irgendetwas, was du besser machen könntest. Im Idealfall ist eine solche Kritik kon-struktiv, bringt neue Ideen und hilft weiter. Zu oft aber ist sie „friendly fire“ und es handelt sich um Vorwürfe, die Gruppen spalten und die Ver-kürzung des ökologischen Aktivismus auf alternativen Konsum fördern.

Zum dritten kommt solche Polemik von Intellektuellen, die die Selbst-bezogenheit der Konsumkritik kritisieren. Sie zitieren gerne den Frank-furter Philosophen Theodor W. Adorno mit seinem sprichwörtlich ge-wordenen Satz der Minima Moralia: Es gibt kein richtiges Leben im Falschen. Das kann in diesem Zusammenhang etwa übersetzt werden mit: „Während der Klimawandel die Welt bedroht und der Faschismus

zurückkehrt, fragt ihr euch, ob man Biokäse besser auf dem Bauernhof im Umland oder im Bioladen in der Stadt kauft?“

Tatsächlich ist gerade Regionalität anfällig dafür, Welt- und Politikflucht zu fördern. Der Boom regionaler Lebensmittel passt in einen neurechten Zeitgeist, in dem auch Heimattümelei und Grenzkontrollen boomen. Die komplexe, globalisierte Welt, die Größe von Herausforderungen wie dem Klimawandel und der immer brutalere Konkurrenzkampf in der Wirt-schaft treibt manche Menschen in eine private Idylle. Wie Hochzeits-messen und Magazine über das Landleben kann der Bio-Bauernhof ne-benan diese Idylle konsumierbar machen. Und weil nicht alle die Zeit und das Geld aufbringen können, um diesem „richtigen Konsum“ zu frönen, kann daraus sogar noch eine Strategie zur Abgrenzung werden.

Solidarische Landwirtschaft ist möglich

Auf der anderen Seite bietet gerade Regionalität auch eine Möglichkeit, Demokratie und Solidarität zu fördern. Das beste Beispiel dafür ist die Solidarische Landwirtschaft. Konsumentinnen und Konsumenten, die nicht mehr nur konsumieren wollen, tun sich mit einem landwirtschaft-lichen Betrieb zusammen.

Sie tragen die Kosten des Betriebs und das Risiko beim Wirtschaf-ten mit der Natur gemeinsam – und erhalten dafür einen Anteil an der Ernte. Im Idealfall treffen sie darüber hinaus Grundsatzentscheidungen gemeinsam und sind untereinander solidarisch, so dass auch Men-schen mit geringem Einkommen mitmachen können.

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In München ist das Kartoffelkombinat einen etwas anderen Weg gegan-gen. Um eine Solidarische Landwirtschaft aufzubauen gründeten kri-tische KonsumentInnen eine Genossenschaft und kauften eine Gärtne-rei sowie eine Bäckerei.

Die GenossInnen haben investiert, sie bezahlen für Lebensmittel und sie sind zum Mitmachen angehalten, zum Beispiel um im Sommer überschüssiges Gemüse zu verarbeiten und haltbar zu machen. Das Kartoffelkombinat ruft seine Mitglieder zu Demos auf, unterstützt Volks-begehren und Bürgerentscheide und lädt regelmäßig zur „Kartoffelaka-demie“, um Fragen der Ökologie und Ökonomie zu diskutieren.

Aus dem Wunsch, regional und ökologisch zu konsumieren, folgt eben nicht automatisch Welt- und Politikfl ucht. Er bietet vielmehr die Chance, über persönliche und wirtschaftliche Beziehungen hinaus Institutionen zu schaffen, die den Beteiligten mehr Einfl uss auf die Welt um sie he-rum geben – die also politisch sind. Die Sehnsucht nach solchen Insti-tutionen ist groß. Zurzeit boomen nicht nur regionale Lebensmittel, Ur-laube und Baustoffe, sondern auch regionale Bürgerentscheide.

Wo, wenn nicht hier?

Die Wissenschaft sagt uns unisono, dass wir im kommenden Jahrzehnt radikal umsteuern müssen, wenn wir die Katastrophen Klimawandel und Biodiversitätsverlust beherrschbar halten wollen. Der Europäischen Union, der größten Volkswirtschaft der Welt, käme eine Schlüsselrolle zu, um das Ruder herumzureißen. Doch der Tanker bewegt sich besten-

falls in Trippelschritten. Wenn den Blockierern in Brüs-sel alle anderen Argumente ausgegangen sind, dann sagen sie: „Aber China und die USA machen noch viel weniger als wir!“

In lokalen Volksentscheiden beweisen derweil Men-schen auf der ganzen Welt: Es stimmt nicht, dass man nichts tun kann, solange nicht alle mitma-chen. In München erzwang ein Bürgerentscheid die Abschaltung eines Kohlekraftwerks, in Berlin mas-sive Investitionen in die Infrastruktur für Fahrrä-der und das Dorf Mals in Südtirol entschied sich für ein Verbot aller chemisch-synthetischen Pesti-zide. Lokale Bürgerentscheide funktionieren auch auf der anderen Seite des Atlantiks: in der Kleinstadt South Portland an der US-Ostküste verhinderten die BürgerInnen, dass Erdöl aus dreckigen kanadischen

Teersanden durch ihren Hafen den Weg auf den Weltmarkt fi nden.

Mit den lokalen Bürgerentscheiden tragen die Menschen nicht nur punktuell dazu bei, die Welt zu retten. Sie verändern auch die Stim-mung. Anstatt auf „die da oben“ zu schimpfen und sich zu fühlen, als könnte man ohnehin nichts ausrichten, stürzen sie sich in eine Aus-einandersetzung und gewinnen. Man kann eben doch etwas tun!

Wer die Anstrengung auf sich nimmt, wirklich regional einzukaufen, tut gut daran, sich immer wieder zu fragen: Kaufe ich gerade wirklich Getreide und Gemüse, oder kaufe ich mir vor allem ein gutes Gefühl? Denn Adornos Aphorismus vom richtigen Leben im Falschen warnt uns zu Recht vor einem Rückzug ins Private, während uns die Welt um die Ohren fl iegt. Was er sicher nicht gemeint hat ist: „Widerstand ist zwecklos!“

TEXT Karl BärFOTOS Adobe Stock Unsplash

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Die Idee einer Solidarischen Landwirtschaft (SoLawi) ist einfach: Eine Gruppe von Verbrauchern schließt sich mit einem oder mehreren landwirtschaftlichen Betrie-

ben zu einer Gemeinschaft zusammen. Die Landwirte versorgen die Mitglieder der Gemeinschaft mit Lebensmitteln. Umgekehrt stellen die Mitglieder den Land-wirten Geld zur Verfügung, um ohne Verluste wirtschaften zu können. Frei nach

dem Motto: „Du bekommst, was du brauchst. Ich gebe, was ich kann.“

Die Spatengabel sticht unermüdlich in den trockenen Boden. „Das ist ein Verbrechen. Hier ist alles voller To-

pinambur“, murmelt Andrea Vaas vor sich hin. Topinambur – auch genannt Diabetiker-Kar-toffel – breitet sich aus wie Unkraut. Heute hat die Landwirtin ihr den Kampf angesagt. Sie möchte neue Anbaufläche im Kräutergarten schaffen. Auf den Knien buddelt sie eine klei-ne Knolle nach der anderen aus.

Die Inhaberin der Bio-Gärtnerei Siebensee in Landshut trägt ihr Haar in einem lockeren

Pferdeschwanz, ein Strohhut schützt ihre Au-gen vor der Sonne und ihre Beine zeigen Krat-zer von der harten Arbeit in den Gemüsebee-ten. Anders als auf konventionellen Höfen erledigen sie und ihre Mitarbeiter das meiste per Hand. Nur zwei alte Bulldozer kommen dort wo es geht zum Einsatz.

„Da wir viele verschiedene Kulturen anpflan-zen, können wir gar nicht mit Maschinen ar-beiten. Die sind immer nur auf eine Sorte an-gepasst“, erklärt Vaas. Seit 2014 pachtet sie die acht Hektar große Fläche. Von Anfang an

war es der Traum der Landwirtin, eine Ge-meinschaft zu gründen. Sie möchte, dass Menschen die Lebensmittel mehr wertschät-zen. Mit dem Umstieg zu einer Solidarischen Landwirtschaft (SoLawi) kommt Vaas ihrem Traum nun ein Stück näher. Sie ist die Erste in der Region, die umstellt.

Das Grundprinzip ist einfach: Eine Gruppe von Menschen übernimmt gemeinsam die Kosten für einen Hof. Zu Beginn jeden Jahres wird das Budget ausgerechnet, das der Landwirt zum Wirtschaften benötigt. Die Summe wird durch

Der Traum von einer großen Gemeinschaft

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die Zahl der sogenannten Ernteteiler geteilt und in meist monatlichen Be-trägen gezahlt. Im Gegenzug erhal-ten sie den gesamten Ertrag in wöchentlichen Rationen. Je nach Hof gibt es unterschiedliche Regeln. So gibt es Gruppen, die mehr Mitspra-cherecht bei der Wahl der Aussaat und der An-schaffung von Maschinen haben als andere.

Gemüse direkt vom Feld

Auch die Gärtnerei Siebensee wandelt das Prinzip ab. Die Ernteteiler fi nanzieren nicht den gesamten Betrieb. Die Gemeinschaft soll Vaas zunächst helfen, nicht mehr an den Großhan-del verkaufen zu müssen. Denn an diesen muss sie ihr Gemüse häufi g zu sehr niedrigen Preisen verkaufen.

Des Weiteren legt das Gemüse häufi g einen langen Weg zurück, bevor es im Supermarkt ankommt. Im vergangenen Jahr musste sie zum Beispiel Salat nach Nürnberg verkaufen, weil in der Region keine Nachfrage herrsch-te. „Außerdem will der Handel fast alles in Pla-stik verpacken. Das machen wir nicht. Unser Gemüse soll direkt vom Feld, frisch und na-türlich an den Verbraucher gelangen“, erzählt sie, während sie Grasbüschel abschüttelt. Die trockene Erde fällt leicht ab. In der Gärtnerei legen alle großen Wert darauf, ihre Erzeug-nisse als „Lebensmittel“ zu bezeichnen. Nah-rungsmittel kommen aus dem Supermarkt. Lebensmittel sind regionale, unverpackte Bio-Produkte, die auch mal kleine Makel ha-ben dürfen.

Neben der SoLawi sollen weiterhin Erträge im Hofl aden, auf dem Markt und an die Bio-Lä-den der Umgebung verkauft werden. In ein paar Jahren möchte Vaas allerdings die ge-samte Fläche als SoLawi führen. „Wir gehen

es langsam an. Schritt für Schritt. Denn Din-ge, die so explosionsartig anfangen, scheitern häufi g. Das wollen wir nicht“, erklärt sie ihre Vorgehensweise.

Gruppenprojekte zur Stärkung des Gemein-schaftsgefühls möchte die Landwirtin den-noch anbieten. Anfangen möchte sie mit einem Workshop zum richtigen Anbau von Tomaten. Damit sich Vaas auf ihre Gärtnerei konzentrieren kann und nicht zusätzlichen Pa-pierkram erledigen muss, laufen die Verträge und Zahlungen über den gemeinnützigen Ver-ein „Natürlich Landshut“. Erntenehmer müs-sen 45 Euro im Monat zahlen, um Teil der SoLawi zu werden.

Solidarisch essen

Die Landwirtin lehnt am Gartenzaun und gönnt sich eine kurze Pause. Sechs Tage die Wo-che arbeitet sie von morgens bis abends. In ihrer Freizeit macht sie Ausfl üge zu anderen Bio-Gärtnereien und holt sich Inspiration. Die gelernte OP-Krankenschwester hat mit dem Gärtnern ihre Leidenschaft gefunden – und ohne würde es nicht gehen: „Fürs Geld ma-che ich diesen Job nicht, da wäre ich Kran-kenschwester geblieben. Ich habe aber immer gemerkt, dass das nicht zu mir passt.“

Vaas möchte klarmachen, wie viel Arbeit der Anbau, die Pfl ege und die Ernte machen. Des-halb bietet sie eine Begehung durch den Be-trieb an. Die Gruppe von 14 Personen besteht hauptsächlich aus Unentschlossenen. Tina und Madlen überlegen sich, Teil der SoLa-wi zu werden. „Für gute Lebensmittel geben wir gerne mehr Geld aus. Bei coolen Projekten

würden wir auch mitwirken“, erklären die beiden. Die Führung soll sie bei der Entscheidung unterstützen.

Vaas führt ihre Gäste an den Feldern mit Sa-lat und Kohlrabi vorbei zu den Tomatenpfl an-zen im Gewächshaus. Dorothee Kern und ihr Mann gehen neben ihr her. Sie sind bereits Ernteteiler und wollen sehen, wo ihr Gemü-se herkommt. Ihr Sohn ist Teil einer SoLawi in Marburg und hat sie sofort von der Idee über-zeugt. „Mir ist sowohl die Solidarität unterei-nander als auch die Solidarität für den Land-wirt wichtig“, sagt Kern. Außerdem ist es für sie ein Experiment, mit vielen neuen Sorten zu kochen. Der Ernteanteil reicht bisher nicht aus, um ihre Familie eine Woche zu ernähren. Doch die Gärtnerei sucht schon andere Betriebe wie einen Milchbauern oder eine Bäckerei, die die Gemeinschaft erweitern können.

Am Ende der Führung steht die Gruppe vor dem Kräutergarten. Vaas gibt ihnen Rezepte aus den Zutaten der vergangenen Lieferung mit auf den Weg. Ihr Job ist für heute getan: Neben Tina und Madlen hat sich noch eine weitere Familie bei der SoLawi angemeldet.

TEXT Sjauke-Kea HaleFOTOS Sjauke-Kea Hale Fotolia

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Es gibt weltweit schätzungsweise mehr als 30.000 essbare Nutzpflanzenarten. Aber nur ganze neun Arten decken 75 Prozent der menschlichen Nahrungsversor-

gung. Das muss sich ändern!

Schluss mit Einheitsgemüse!

Rund 30.000 der weltweit vorkommenden Pflanzen sind für den Menschen nutzbar. Tatsächlich verwendet werden davon aber nur etwa 7.000. Doch im letzten Jahrhundert fand eine rasante Konzentration auf den Anbau von nur wenigen Pflanzenarten und -sorten statt. Lediglich noch etwa 150 ver-schiedene Arten werden in bedeutenden Umfang angepflanzt, die weltwei-te Vielfalt der Pflanzensorten ist um rund 75 Prozent zurückgegangen. Al-lein die drei Pflanzenarten Weizen, Reis und Mais decken 50 Prozent des weltweiten Energiebedarfs der Menschheit.

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Der Erhalt alter Nutzpfl anzen-Sorten ist von großer Bedeutung, denn diese bergen in ihrem Erbgut viele wichtige Eigenschaf-ten wie Resistenzen gegenüber Krankheitserregern, aber

auch gute Lagerfähigkeit oder besonderen Geschmack. Aus ihnen kön-nen neue Sorten mit neuen Merkmalen entwickelt werden.

Am besten gelingt der Erhalt alter Sorten, wenn sie auch angebaut werden. Für den kommerziellen Anbau fallen die Erträge alter Nutz-pfl anzen-Sorten häufi g zu gering aus. Doch für den Hobbyanbau sind sie nicht zuletzt wegen ihrer Robustheit bestens geeignet.

Einheitsbrei im Supermarkt

An den Obst- und Gemüsetheken der Supermärkte fi ndet sich heute fast überall dasselbe Angebot: Früchte in den immer gleichen Farben, Formen und Größen, die so makellos sind, dass sie manchmal schon beinahe künstlich wirken. Diese Gleichförmigkeit ist von den verarbei-tenden Unternehmen, vom Handel und leider häufi g auch von den End-verbraucherinnen und -verbrauchern gewünscht.

Um sie zu erreichen, nutzen viele der Obst- und Gemüseerzeuger-Innen die gleichen Hochleistungssorten. Doch wenn nur wenige unter-schiedliche Sorten oder Arten angebaut werden, bringt das hohe Ri-siken mit sich: Große Teile der Ernte können beispielsweise durch eine einzelne, sich schnell verbreitende Krankheit zerstört werden.

Das passiert derzeit bei Bananen. Weltweit gibt es zwar etwa 1000 ver-schiedene Bananensorten, doch kommerziell produzierte Obst-Bananen gehören fast alle einer einzigen Sorte an – der „Cavendish“. Caven-dish-Bananen sind genetisch so gut wie identisch, denn sie werden nicht durch Samen, sondern über Schösslinge der Mutterpfl anzen vermehrt.

Seit einiger Zeit wird diese Bananen-Sorte jedoch über die Wurzeln von einem Bodenpilz befallen. Die erkrankten Pfl anzen verwelken und sterben schließlich ab. Auch der massenhafte Einsatz von Pestiziden in den Plantagen konnte die Ausbreitung des Pilzes nicht verhindern. Inzwischen hat sich der Krankheitserreger so weit verbreitet, dass der Cavendish die Ausrottung droht. Durch die geringe genetische Varia-bilität schwindet die Wahrscheinlichkeit, dass die Pfl anzen eine Resi-stenz gegen den Pilz entwickeln.

Neben den Anforderungen von verarbeitenden Unternehmen und dem Handel trägt auch die starke Konzentration auf dem Saatgutmarkt zum Verlust der Vielfalt bei, denn diese bleibt nicht ohne Auswirkung auf das Angebot. Große Konzerne wie Syngenta oder Bayer-Monsanto – die meist auch in der Chemiebranche tätig sind – züchten in ihren La-boren Hochleistungspfl anzen für den weltweiten Anbau, die einseitig auf hohen Ertrag ausgerichtet sind. So kommt es, dass großfl ächig nur noch wenige unterschiedliche Arten und davon nur wenige verschie-dene Sorten angebaut werden.

Durch Saatgut in die Abhängigkeit

Landsorten, deren Anbau sich in bestimmten Regionen bewährt hat, werden durch Hochleistungssorten verdrängt. Diese liefern zwar kurz-fristig höhere Erträge, aber auch nur dann, wenn große Mengen an Kunstdüngern und Pestiziden eingesetzt werden. Hochleistungssorten sind außerdem häufi g Hybriden, die sich nicht für den Nachbau eig-nen, weil sie nur im ersten Anbaujahr hohe Erträge bringen. Die Bäu-erinnen und Bauern müssen das Saatgut also jedes Jahr neu kaufen. Das ist nicht nur teuer und schafft Abhängigkeiten, sondern verhindert

Lesetipp

Bärbel Steinberger stellt in ihrem Buch „Alte Gemüse – Die Wiederentde-ckung des Geschmacks“ alte Gemüsesorten und -arten in ausführlichen Porträts vor – von Winterportulak über den Guten Heinrich, den Baumspi-nat und den Knollenziest bis hin zu einer großen Tomatenvielfalt. Das Buch gibt Tipps zum Anbau und zur Ernte der Pfl anzen sowie zur Verarbeitung in der Küche.

„Alte Gemüse – Die Wiederentdeckung des Geschmacks“ von Bärbel Stein-berger; 176 S., BLV Buchverlag; 15 Euro. ISBN 978-3-835-41703-8

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auch, dass sich die Pfl anzen mit der Zeit besser an ihren Standort und die dort auftretenden Umweltbedingungen anpassen.

Wenn genetische Vielfalt verschwindet gehen mit ihr Eigenschaften ver-loren, die für die künftige Züchtungsarbeit von großer Bedeutung sein können. Die Anpassung an verstärkt oder neu auftretende Krankheiten, Schädlinge sowie veränderte Umweltbedingungen wie dem Klimawan-del wird durch den Verlust der Vielfalt gefährdet. Je vielseitiger die an-gebauten Arten also sind – und innerhalb der Arten die Sorten –, desto weniger können einzelne Krankheitserreger, Schädlinge oder extreme Wetterereignisse ausrichten.

Bunt ist auch gesund

Doch es gibt auch gute Nachrichten: Jede/r Einzelne kann dazu bei-tragen, die Vielfalt unserer Nutzpfl anzen zu bewahren und im Garten,auf dem Balkon oder auch auf der Fensterbank selbst alte Sorten an-pfl anzen, und auch wer diese Möglichkeit nicht hat, kann etwas tun. Beim Einkaufen von Obst, Gemüse und Getreide(-produkten) kann ver-stärkt auf alte Sorten oder Arten zurückgegriffen werden. Zumindest auf Wochenmärkten oder im Bioladen fi ndet man inzwischen immer häufi ger nicht nur die gewohnten orangefarbenen Karotten oder gelb-en Kartoffeln – beide Gemüsearten gibt es dort zum Beispiel auch in lila (siehe Übersicht auf Seite 12).

Die verschiedenen Sorten unterscheiden sich nicht nur in der Farbe, sondern auch in ihren Inhaltsstoffen. Violette Karottensorten wie „Pur-ple Haze“ haben im Vergleich zu anderen Sorten einen höheren Gehalt an Vitamin C und B1 sowie an Carotinoiden und Anthocyanen, die für die violette Färbung sorgen. Vitamin B1 unterstützt unter anderem die Funktion des Nervensystems, Vitamin C das Immunsystem. Carotinoide und Anthocyane gelten als natürlicher Oxidationsschutz der mensch-lichen Körperzellen.

Auch das Sortiment an Tomatensorten ist in der letzten Zeit auf dem Markt und im Bioladen in Form und Farbe wieder vielfältiger gewor-den. Manche Bäckereien bieten nicht nur Weizenbrot an, sondern auch Backwaren aus dem Urgetreide Einkorn oder Emmer. Auch beim Getrei-de liefert Vielfältigkeit nicht nur neue Geschmackserlebnisse, sondern sorgt zusätzlich auch für ein abwechslungsreiches Nährstoffangebot. Wer verstärkt diese Sorten in den Einkaufskorb legt, trägt automatisch dazu bei, dass sie weiterhin angebaut werden. Denn bekanntermaßen bestimmt die Nachfrage das Angebot.

Alte Sorten selbst anbauen

Wer sich dazu entscheidet, selbst alte Sorten anzupfl anzen, sollte Saat-gut und/oder Jungpfl anzen vorzugsweise von Initiativen beziehen, die sich dem Erhalt und der Weiterentwicklung dieser Sorten verschrieben haben. Von Vorteil ist auch, dass diese Initiativen häufi g nach den Krite-rien des ökologischen Landbaus arbeiten.

Das Saatgut alter Sorten ist meist samenfest. Das bedeutet, dass aus den Pfl anzen selbst Samen gewonnen werden können, die im nächsten Jahr wieder ausgesät werden können. Viele Gemüsearten, die im An-

baujahr geerntet werden, blühen allerdings erst im zweiten Jahr. Das gilt zum Beispiel für Rote Bete oder Karotten. Man muss sie für die Saat-gutgewinnung also überwintern. Außerdem kann es passieren, dass sich verschiedene Sorten einer Art miteinander kreuzen, wenn man sie nebeneinander pfl anzt. Doch das ist nicht weiter schlimm, denn dabei können völlig neue Sorten mit neuen interessanten Eigenschaften ent-stehen. Alte Sorten selber anzubauen bringt so manche freudige Über-raschung mit sich. Denn oft haben sie besondere Farben und Formen und schmecken ganz besonders.

TEXT Christine VogtFOTOS Fotolia BLV Buchverlag Unsplash Adobe Stock

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Kleiner Überblick über die Sortenvielfalt

In den meisten Super-märkten fi nden sich nur orangefarbene Karot-

ten von gleichmäßigem Wuchs. Dabei gibt es das Wurzelgemüse in

vielen unterschiedlichen Varianten. Die Farben rei-

chen von hellem Gelb („Gochsheimer Gelbe“) bis hin zu dunklem vio-lett („Purple Haze“). Und auch die Formen kön-

nen sehr unterschiedlich sein. Es gibt dünne und dicke, kurze und lange Möhren. Eine alte Sor-

te ist die „Duwicker Möh-re“ – kurz, dick, kegel-

förmig und orange – soll sie „sehr süß und enorm

aromatisch“ sein.

Auch Kartoffeln gibt es in vielen verschiedenen

Formen, Farben und Ge-schmacksrichtungen. Eine alte Sorte mit be-sonderer Färbung und ungewöhnlichem Ge-schmack ist etwa die „Vitelotte“. Die Knollen sind sowohl von außen als auch im Inneren von einem dunklen Violett, das auch beim Kochen

nicht verloren geht. Auch rote Kartoffelsorten wie

die „Rote Emmalie“ oder gelbe mit rosa Flecken

(„Barbara“) kommen vor. Zu inzwischen wieder

größerer Bekanntheit hat es die alte Kartoffelsorte „Bamberger Hörnle“ mit ihrer außergewöhnlichen Form gebracht. Kartoffel-liebhaberInnen schwär-men von ihrem beson-

ders feinen Geschmack.

Tomaten sind immer rund und rot? Irrtum!

Auch bei den Tomaten verhält es sich wie bei den Karotten und den Kartoffeln: Es gibt eine Vielzahl an Formen und Farben, manche eignen sich hervorragend zum

Einkochen, andere werden besser direkt

nach dem Pfl ücken ge-nascht. „Lämpchen“ ist eine alte gelbe Tomaten-sorte, die sich gut zum

Kochen eignet.

Es gibt aber nicht nur in Vergessenheit geratene Sorten be-

kannter Kulturpfl anzen, sondern auch Arten,

die kaum noch jemand kennt. Dazu gehört etwa die Zuckerwurzel oder der Knollenziest. Beide Arten sind unkompliziert im Anbau, lassen sich leicht vermehren und

sind winterhart. Wer sich bei der Ernte und dem Waschen noch über die kleinen und umständlich zu reinigenden Wurzeln

bzw. Knollen ärgert, freut sich später umso mehr

über die geschmackliche Abwechslung auf

dem Teller.

TomatenKarotten Kartoffeln Zuckerwurzel & Knollenziest

Karotten

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Raus aus dem Klassenzimmer,

rein in die GummistiefelAuf den Spuren ökologischer Lebensmittel aus der Region

Verena Schmitt ist Referentin für Ökolandbau und Ernährung am Umwelt-institut München e. V. Im Rahmen der Bildungsprojekte „Ökolandbau erle-ben und verstehen“ erkundet sie mit Kindern und Jugendlichen aus Mün-chen, wo und wie regionale Bio-Lebensmittel produziert werden. Neben den Ausflügen auf Bio-Bauernhöfe führt sie Aktionstage zu Ökolandbau und ge-sunder Ernährung an Kitas und Schulen durch und gibt Fortbildungen für Pä-dagogInnen zu diesen Themen. Die Bildungsprojekte werden von der Stadt München gefördert und sind für Münchner Bildungseinrichtungen kostenlos. Mehr Infos finden Sie unter www.umweltinstitut.org/bioprojekte

Es ist ein Mittwochmorgen im Septem-ber und ich treffe mich am Bahnhof Puchheim mit einer zweiten Klasse der

Münchner Grundschule an der Dachauer Stra-ße. Gemeinsam machen wir uns auf den Weg zum Hängbüchlhof der Familie Unglert. Nach einem etwa 20-minütigem Fußmarsch werden wir von Michaela, die gemeinsam mit ihrer Fa-milie den Hof betreibt, begrüßt. Im sogenannten

Schnatterstüberl, ein ehemaliger, zu einem ge-mütlichen Aufenthaltsraum für Besuchergrup-pen umgebauter Gänsestall, versammeln sich die Kinder. Michaela stellt die wichtigsten Eck-punkte des Betriebes vor, der vor gut 30 Jah-ren von ihren Eltern gegründet und aufgebaut wurde. Sehr schnell entschieden sich die Ung-lerts für eine ökologische Wirtschaftsweise und wurden Mitglied im Verband Bioland. Eine Ent-

scheidung, die damals hauptsächlich belächelt wurde, die die Unglerts aber nie bereut haben.

Schon bald beginnen die SchülerInnen unru-hig auf ihren Stühlen zu rutschen. Jetzt wird es Zeit, gemeinsam den Hof und die dort le-benden Tiere zu entdecken. Auf dem Weg zum Kuhstall zieht der Stellplatz für landwirtschaft-liche Maschinen die Aufmerksamkeit auf sich.

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Die Kinder nehmen die dort stehenden Trak-toren in Beschlag und wer möchte, darf sich hinters Steuer setzen. Im Kuhstall erzählt Mi-chaela, dass eine Kuh bis zu 80 Liter Was-ser am Tag trinkt und am liebsten Gras und Heu frisst. Außerdem lernen die SchülerInnen, dass auf dem Hängbüchlhof keine Milchkü-he, sondern Mutterkühe leben. Die Kühe wer-den also nicht gemolken und die Kälber dür-fen bis zu ihrer Schlachtung nach etwa einem Jahr bei ihrer Mutter bleiben und werden von dieser aufgezogen. Die Rinderherde selbst be-kommen wir erst einmal nicht zu Gesicht, da diese schon früh am Morgen auf eine Weide nahe am Hof getrieben wurde.

Als nächstes besuchen wir Apollo und Atlantis, zwei Hafl inger, die es bereits gewohnt sind, von Kinderhorden umringt zu werden. Die beiden Wallache werden gestriegelt und gebürstet und genießen ganz offensichtlich die Aufmerk-

samkeit und Streicheleinheiten. Im Schafstall sehen wir Mutterschafe mit ihrem Nachwuchs. Michaela erklärt, dass die große Schafherde von April bis Dezember Tag und Nacht auf der Weide ist. Nur kranke Schafe und Mütter mit ihren neugeborenen Lämmern sind in dieser Zeit im Stall. Nach etwa zwei Wochen, wenn sich Mutter und Kind aneinander gewöhnt ha-ben und der Nachwuchs kräftig genug ist, geht es wieder raus zur großen Herde. Sehr zur Be-geisterung der Kinder, dürfen die Lämmer ge-streichelt und auf den Arm genommen werden.

Nach einem kurzen Besuch der Schweine in ihrem Auslauf nähern wir uns vorsichtig den Kühen auf der Weide. Bei den kräftigen, ka-stanienbraun und weiß gemusterten Tieren mit beeindruckenden Hörnern handelt es sich um Pinzgauer, eine vom Aussterben bedrohte Rinderrasse. Einige Kühe kommen uns neu-gierig entgegen und die Kinder machen Be-

kanntschaft mit langen, rauen Rinderzungen und warmem, weichem Fell.

Zum Abschluss unseres Tages auf dem Hängbüchlhof gibt es für uns eine sehr le-ckere Brotzeit aus hofeigenen Produkten und Bio-Lebensmitteln von Nachbarhöfen. Wir bedanken uns bei Michaela für die tol-le Hofführung und machen uns frisch ge-stärkt mit vielen unvergesslichen Eindrü-cken auf den Heimweg Richtung München.

TEXT Verena SchmittFOTOS Christof Stache

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Frau Höfel, welche Vermarktungswege haben Sie für Ihre Produkte?Das ist schnell erklärt. Unsere komplette Ver-marktung fi ndet über unseren Hofl aden und unseren Stand auf dem Bauernmarkt in Für-stenfeldbruck statt. Der Hofl aden ist freitags und samstags geöffnet. Der Bauernmarkt fi n-det immer dienstags und samstags statt. Das bedeutet, dass wir alle unsere Produkte direkt und persönlich an unsere Kunden verkaufen.

Wie bewerben Sie Ihren Hofl aden und den Marktstand?

Eigentlich ist das nicht notwendig. Meine Eltern haben da sehr gute Vorarbeit geleistet und sich über die Jahrzehnte einen treuen und zufrie-denen Kundenstamm aufgebaut. Mittlerweile sind ja Fleisch und Eier in Bioqualität stark be-gehrt. Als meine Eltern vor 30 Jahren angefan-gen haben, war das alles noch viel schwieriger.

Wir veranstalten alle zwei Jahre zu Ernte-dank ein großes Hoffest. Hier möchten wir den Menschen die Möglichkeit geben, unseren Betrieb genauer kennenzulernen. Natürlich er-hoffen wir uns durch das Fest auch Neukun-

den. Außerdem haben wir eine Homepage und seit drei Jahren hat der Hängbüchlhof auch ei-nen eigenen Facebook-Account. Hier können sich unsere Kunden über Neuigkeiten infor-mieren und uns weiterempfehlen.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

INTERVIEW Verena SchmittFOTO Christof Stache

Der Hängbüchlhof Unglert in Puchheim ist ein Familienbetrieb, unter dessen Dach vier Generationen gemeinsam leben und arbeiten. Er umfasst 400 Mutterschafe, 22 Mutterkühe und

ein Mutterschwein mit deren Nachzucht. Außerdem trifft man auf dem Hof auf etwa 40 freilaufende Hühner und 50 Gänse. Das Futter für die Tiere wächst auf 80 Hektar Grünland und 10 Hektar Ackerland. Wie die Produkte vermarket werden, erklärt Michaela Höfel im Interview.

direkt

ökologisch regional

Regional in MünchenAuch in München gibt es an insgesamt elf Standorten Bauernmärkte. Hier verkaufen Landwirte aus der Re-gion ihre Waren direkt an die KundInnen. Eine ökologische Wirtschaftsweise ist leider nicht Voraussetzung. Aber neben konventionellen Betrieben bieten auch Ökobetriebe ihre Waren an. KundInnen haben die Mög-lichkeit, im direkten Gespräch mit dem Erzeuger mehr über die Produktionsbedingungen zu erfahren. Wo und wann die Bauernmärkte stattfi nden und welche Erzeuger und Erzeugnisse Sie dort antreffen erfahren Sie unter www.muenchner-bauernmaerkte.de

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Die Besucherzahlen der Münchner Bauern- und Wochenmärkte wachsen: Kein Wunder, denn hier bekommt man mehr als nur Lebensmittel.

Samstagmorgen in der Münchner Au: der weitläufige, baum-lose Platz rund um die Mariahilfkirche verwandelt sich für sechs Stunden in einen quirligen, farbenfrohen Treffpunkt. Es ist Wo-

chenmarkt. Junge Familien mit Kindern, alteingesessene Viertelbewoh-ner und Individualisten jeglichen Alters und sozialer Prägung tummeln sich hier, um die Einkäufe fürs Wochenende zu tätigen.

Die meisten Stände und Händler sind schon seit vielen Jahren hier, zu-verlässig stehen sie an ihrem Platz, bei 35 Grad im Schatten ebenso wie im Schneegestöber. Und als Marktbesucher bekundet man seine Soli-darität, indem man sich – ebenfalls bei jedem Wetter – in die Schlan-ge vor den Auslagen einreiht. Anders als sonst im Leben eines Städters spürt man hier die Jahreszeiten: Wenn die Gemüsestände ihre ersten Freilandtomaten anbieten, dann ist der Sommer da. Wenn beim Metz-gerstand die Vorbestellungen für Martini-Gänse anlaufen, steht Weih-nachten bald vor der Tür. Und wenn es nach dem Winter auf dem Markt den ersten Bärlauch gibt weiß jeder: endlich kommt der Frühling. „Ich denke, dass der Markt eine Art Sehnsuchtsort ist“, sagt Gerti Soier-Falk vom Bio-Gärtnerhof Teising. Sie betreibt ihren Stand auf dem Ma-riahilfplatz seit 30 Jahren. „Die Leute in der Stadt vermissen die Natur, und hier zwischen diesen Produkten mit all ihren Formen und Farben finden sie ein Stück davon und können es mit nach Hause nehmen“. Vermutlich ist es nicht nur das. Das Gemüse, die Wurst oder der Käse wird von Menschen hergestellt und verkauft, die man kennt und für ihre Arbeit schätzt. Das verleiht den Lebensmitteln einen zusätzlichen Wert.

Gerti Soier-Falk hat sich über die Jahre das uneingeschränkte Vertrau-en ihrer Kunden verdient: Verkauft wird, was sie und ihr Mann Wolfgang Falk auf den Äckern und in den Gewächshäusern selbst anbauen. Ihr gärtnerisches Wissen teilt sie aufmerksam mit jedem, der danach fragt.

Das Sortiment ist überschaubar, aber trotzdem immer wieder überra-schend: Seltene Kohlarten, alte Tomatensorten oder noch unbekannte Kräuterarten werden nicht nur wegen ihres Geschmacks gekauft – sie sind einfach verlockend schön. „Ich habe immer versucht, die Pflanzen so, wie sie mir in der Natur begegnen, auf dem Markt anzubieten“, sagt Gerti, „und ich glaube, dass das ein Grund ist, warum die Leute gerne kommen.“ Gerti und ihr Mann leben das, was sie verkaufen. Authentizi-tät ist hier kein Marketing-Konzept.

Selbermachen wird populär

„Ursprünglich wollte ich einfach nur autark als Selbstversorger leben“, erzählt Wolfgang Falk, 60 Jahre alt. „Ich habe mir ein paar Kühe ge-kauft, eine landwirtschaftliche Ausbildung gemacht und den Gemüse-bau gelernt.“ Mit dem Milchgeld kam er anfangs über die Runden, aber irgendwann zwangen ihn Krankenversicherung, Berufsgenossenschaft und andere Verpflichtungen, sich neue Einnahmequellen zu erschließen.

„Wochenmärkte waren damals erst so ganz langsam wieder im Ent-stehen“, erinnert sich der Gemüsebauer. „Es gab da eine Zeit zwischen 1979 und 1984, das war noch vor Tschernobyl, da war auf einmal das Selbermachen wieder populär. Einkochen, Obst verarbeiten, Dinge, die

mit PotentialMarkt

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man früher auf dem Land gemacht hat.“ Als Wolfgang Falk den Zu-schlag für seinen ersten Bio-Gemüsemarktstand bekam, musste er bald seine Anbaufläche vergrößern. Per Annonce im Bauernblatt suchte er nach einem Geschäftspartner, und so kam Gerti Soier, seine spätere Frau, zum Betrieb. „Damals waren das noch regelrechte Gräben zwi-

schen den Bio- und den konventionellen Käufern“, erinnert sich Ger-ti Soier-Falk. „Die hätten niemals am gleichen Stand eingekauft.“ Das habe sich erst geändert, als die Grünen-Politikerin Renate Künast Land-wirtschaftsministerin wurde. „Sie hat eine neue Diskussion angestoßen, plötzlich waren die Bio-Betriebe in der Gesellschaft akzeptiert.“

Diese Entwicklung hat sich fortgesetzt, seit Jahren wächst die Nachfrage nach regional produzierten Bio-Produkten. Bei vielen Konsumenten hat ein Umdenken eingesetzt, deshalb respektieren sie, was den klassischen Supermarkt-Einkäufer für gewöhnlich ab-schreckt: Das Angebot vom Bio-Gärtnerhof Teising ist strikt saisonal. Wenn es im Spätherbst nur noch Kraut, Kartoffeln und Wurzelgemü-se gibt, dann stellen die Kunden eben ihren Speiseplan ein Stück weit auf „Winterküche“ um.

Plötzlich kamen die jungen Leute

Rund 44 Bauern- und Wochenmärkte gibt im Stadtgebiet. Auf Anfrage teilen die Markthallen München, Betreiber der Wochenmärkte, mit, bei den meisten Wochenmärkten ließe sich eine steigende Besucherzahl in den letzten Jahren beobachten. „Ich hatte immer Angst, dass es uns wie den Tante-Emma-Läden geht: unsere Kundschaft wird mit uns alt und irgendwann verschwinden wir dann halt gemeinsam“, erzählt Gerti Soier-Falk. „Und auf einmal – das war so vor etwa sechs Jahren – kam dieser Wandel: plötzlich waren junge Leute auf dem Markt.“ Was war der Auslöser für diese Veränderung? Gerti Soier-Falk vermutet, dass das mit dem Trend zur veganen oder vegetarischen Lebensweise zu-

sammenhängt, zumindest aber mit einem bewussteren Umgang mit Le-bensmitteln. Tatsache ist, dass der Markt wieder wie zu Uromas Zeiten zu einem Ort geworden ist, an dem man sich trifft – ob beim gemein-samen Kaffee nach dem Einkauf oder zu Plausch und Tratsch an den Ständen. „Der soziale Aspekt am Markt ist ganz entscheidend“, meint

Gerti Soier-Falk. „Es ist völlig normal, dass man spontan miteinander ins Gespräch kommt“.

Und dann erzählt sie von einem Mann und einer Frau, die in benachbar-ten Häusern leben und immer zur gleichen Zeit zum Bus gehen. An ih-rem Stand hatten sich die beiden zufällig getroffen und sich zum ersten Mal auf dieses gemeinsame Morgenritual angesprochen. „Das ist ein-fach schön – sie kommunizieren plötzlich, weil die Atmosphäre hier auf dem Markt anders ist als in ihrem Alltag.“

Noch zwei Anbauperioden, dann soll der Stand vom Bio-Gärtnerhof Tei-sing an den Nachfolger Martin Wörishofer übergeben werden – voraus-gesetzt, die Markthallen München geben dafür grünes Licht. Wolfgang Falk möchte dann wieder unabhängig als Selbstversorger leben, Gerti Soier-Falk überlegt, sich im Bereich der sozialen Landwirtschaft zu en-gagieren. Nach dreißig Jahren harter und anstrengender Arbeit im Ge-müsebau und in der Vermarktung freuen sich die beiden auf die neue Lebensphase. Aber diesen speziellen Kosmos Wochenmarkt, den wer-den sie schon ein Stück weit vermissen.

TEXT Christiane Kretzer FOTOS Christiane Kretzer

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Geld ohne Gier

Deutschlands erfolgreichste Regionalwährung kommt aus den Landkreisen Traunstein und Rosenheim. Ein Blick auf die Geschichte von „Freigeld“ und

regionaler Mitbestimmung.

Ist Geld „gut“ oder „böse“? Kommt drauf an, ob man welches hat oder nicht, wird der ein oder andere jetzt sagen. Aber

letztlich ist es keine Frage des Besitzes, son-dern der Spielregeln, die man für Geld auf-stellt. Wer ins Chiemgau fährt kann sich davon überzeugen, dass es Geld gibt, das tatsächlich im Dienst des Gemeinwohls steht. Die Rede ist vom „Chiemgauer“, der Regionalwährung für die Landkreise Traunstein und Rosenheim. In Deutschland gibt es über 40 solcher Kom-plementärwährungen, aber mit einem Jah-resumsatz von rund sechs Millionen ist der Chiemgauer derzeit die erfolgreichste. Was machen die Leute im Chiemgau anders?

Zum Teil mag der Erfolg des Chiemgauers an seiner Geschichte liegen: Als der Lehrer Christian Gelleri vor 15 Jahren an der Wald-dorfschule Prien das Projekt „Regionalwäh-rung“ im Wirtschaftsunterricht der 10. Klas-se vorschlug, engagierte sich eine Gruppe von Schülerinnen für das Thema. Die Bereitschaft

der Bevölkerung, ein solches Schulprojekt zu unterstützen war groß – und der erste Schritt damit getan: Es fanden sich genügend Unter-nehmen und Kunden, die sich bereit erklärten, den neugeschaffenen „Chiemgauer“ als Zah-lungsmittel zu nutzen.

In einer wohlhabenden und traditionsverbun-denen Gegend wie dem Chiemgau fiel außer-dem die Idee der Gemeinnützigkeit und der regionalen Wertschöpfung auf fruchtbaren Bo-den. Und als dann die Euro-Turbulenzen viele Menschen zu verunsichern begannen, beflü-gelte so manchen die Vorstellung, notfalls auf eine eigene Währung zurückgreifen zu können – das „Wunder von Wörgl“ ist schließlich noch heute im kollektiven Ökonomie-Gedächtnis.

„Geld muss rosten!“

In Wörgl in Tirol hatte 1932 Michael Unter-guggenberger als Dorfbürgermeisters mit den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise zu kämpfen. Die Fabriken standen still, die Ar-

beitslosigkeit explodierte, die Banken waren pleite oder verliehen kein Geld mehr. Also griff er die Idee vom „Freigeld“ auf, die der deut-sche Kaufmann Silvio Gesell 1916 formuliert hatte. Dessen Theorie: Geld verliert – im Ge-gensatz zu den Waren, deren Gegenwert es darstellt – nicht an Wert. Metall rostet im Lauf der Zeit, Lebensmittel verderben, Informati-onen veralten. Damit besitzt Geld immer mehr Wert als das, was man damit bezahlt. Und mit dem Prinzip der Verzinsung von „gehor-tetem“ Geld steigt dieser Wert und damit das Ungleichgewicht noch einmal zusätzlich. Nur wenn man Geld „zum Rosten“ bringt, wenn es „verderblich“ wird, kann es Wirtschaftskreis-läufe aufrechterhalten.

Also führte Unterguggenberger in Wörgl das „Schwundgeld“ ein: Eine Parallelwährung, die an Wert verliert, wenn sie längere Zeit nicht ausgegeben wird. Gleichzeitig verbleibt sie im regionalen Wirtschaftskreislauf, weil sie eben nur in einer bestimmten Region gilt.

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Der Erfolg dieser umlaufgesicherten Wäh-rung wurde weltweit bestaunt: Verschuldung und Arbeitslosigkeit gingen drastisch zurück. Während der Rest des Landes in der Rezes-sion versank, verzeichnete Wörgl einen wirt-schaftlichen Aufschwung.

Schwund muss sein

Der Chiemgauer ist eine Version 2.0 des Gesell’schen Freigelds: Man kann mit ihm bar oder elektronisch per Karte zahlen. Unternehmen und Konsumenten tauschen ihn bei der Bank im Verhält-nis 1:1 gegen den Euro. Zurücktauschen lässt sich der Chiemgauer auch – aller-dings gegen eine Gebühr von fünf Pro-zent, dem „Regionalbeitrag“. Von die-sem Beitrag fließen 60 Prozent an gemeinnützige Vereine.

Wird das Geld nach dem Umtausch län-ger als sechs Monate nicht ausgegeben verliert es an Wert. Indem man Mar-ken im Wert von drei Prozent des jewei-ligen Notenwerts erwirbt und auf den Schein aufgeklebt, lässt sich die Kauf-kraft der Geldscheine wiederherstel-len. Auch diese „Schwundzahlungen“ fließen gemeinnützigen Projekten zu oder dienen zur Vergabe von zinsfreien Mikrokrediten.

Wer Chiemgauer für eine größere Anschaf-fung sparen will, kann ihn anlegen – allerdings nicht auf der Bank gegen Zinsen, sondern in Form von Anteilen an einem regionalen Pro-jekt seiner Wahl. Wenn er irgendwann auf sein Geld zugreifen möchte, wird es mit Inflations- und Risikoausgleich wieder ausbezahlt.

Christian Gelleri arbeitet mittlerweile als An-gestellter in Teilzeit für den Chiemgauer und forscht außerdem zum Thema Geld. Seit 2008 betreut er die Sozialgenossenschaft Re-

gios eG mit rund 5000 Kunden, darunter 600 Unternehmen und 250 gemeinnützige Ver-eine, die die wirtschaftliche Abwicklung der Regionalwährung übernimmt.

„Der Chiemgauer ist kein Ersatz für den Euro“, sagt Christian Gelleri. „Wir benutzen den Euro

der Einfachheit halber als Recheneinheit und zur Sicherung der Reserven“.

Wie so oft bei regionalen Initiativen sieht auch er sich immer wieder konfrontiert mit Men-schen, die das Thema ihrem weltanschau-liches Narrativ einzuverleiben versuchen: Euroskeptiker, Rechtsnationale und Ver-schwörungstheoretiker. Diese verstehen eine Regionalwährung gerne als Mittel zur Ab-schottung, als Schutz vor dem internationalen Großkapital oder als Symbol einer territorialen

Eigenständigkeit. „Der Chiemgauer ergänzt den Euro da, wo der zu kurz greift“, erklärt Christian Gelleri. „Er strebt eine Kooperation mit dem Euro an und setzt dabei auf Integrati-on und soziale Werte, und zwar auf Basis un-serer Verfassung“.

Eine soziale Währung ist möglich

Das demokratische und soziale Grund-verständnis, auf dem der Chiemgauer basiert, hat sich in den 15 Jahren seines Bestehens bewährt – die Regionalwäh-rung wächst langsam, aber kontinuier-lich weiter: Rund 250 neue Verbraucher kommen pro Jahr dazu. Zwar machen die Umsätze mit dem Chiemgauer nur einen kleinen Teil des Bruttoinlandspro-duktes der Region aus, aber sie fördern das Gemeinschaftsgefühl und die Zu-sammenarbeit im Chiemgau. Niemand in der Region würde auf den Euro ver-zichten wollen, aber auch der Chiemgau-er ist als Komplementärwährung nicht mehr wegzudenken.

Was wir vom Chiemgauer lernen kön-nen? Ob Geld „gut“ oder „böse“ ist hängt davon ab, wie man seinen Zweck defi-niert und nach welchen Spielregeln man es handhabt. Geld, das sich akkumulie-ren und künstlich vermehren lässt, wird

immer die Gier beflügeln – erlaubt man ihm das nicht, zeigt es sich plötzlich auch mal von seiner sozialen Seite.

TEXT Christiane Kretzer FOTOS Chiemgauer e.V. Adobe Stock

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Ernährungdemokratie jetzt!

Die Zeit ist reif ist für eine Ernährungswende. Doch die Politik zeigt wenig Engage-ment und so machen zivilgesellschaftliche Initiativen den Wandel zu ihrer Sache. Food Policy Councils liefern das Vorbild für die vielen hierzulande gegründeten „Ernährungsräte“. Landwirte und Gärtnerinnen aus der Region setzen sich an ei-nen Tisch mit Foodaktivisten aus der Stadt und Bürgerinnen und Bürgern, die wis-sen wollen, woher ihr Essen kommt. Ihre gemeinsame Forderung an die Politik heißt:

Ernährungsdemokratie!

Der Kölner Ernährungsrat wurde als erster in Deutschland ge-gründet. Initiiert vom Verein „Taste of Heimat“ fand im März 2015 ein erstes Netzwerktreffen statt. Es ging darum, eine

große Bandbreite von Akteuren einzuladen, so dass das Ernährungs-system der Stadt möglichst breit vertreten wird.

Als Ort des Treffens wurde bewusst das Rathaus gewählt, obwohl von vornherein feststand, dass es kein „Ernährungsbeirat“ werden sollte, also ein Expertengremium, von der Oberbürgermeisterin einberufen, mit einer Tagesordnung, die von einem städtischen Mitarbeiter verschickt wird und mit Sitzungsgeldern. Wir waren uns sicher, dass ein solches Konstrukt das Engagement schnell ersticken würde, und dass wir eine neue Form von Mitbestimmung schaffen wollen, eine freie Initiative aus der Bürgerschaft, die zwar eng mit den Ämtern der Stadt zusammenar-beiten will, aber unabhängig bleibt.

Es kamen rund 100 Interessierte, Landwirte sowohl von Bio-Verbänden als auch dem Bauernverband, Initiativen wie Slow Food und Foodsha-ring, Köche und Caterer, Lokalpolitiker und Mitarbeiter der Stadtverwal-tung aus mehreren Ämtern. Bei einer Diskussion im Plenum wurden zu-nächst die wichtigsten Themen priorisiert und daraus Arbeitsgruppen geformt. Interessanterweise wurde damit schon der Grundstein gelegt für die späteren vier Ausschüsse, weil die Themen direkt bei diesem er-sten Treffen als besonders dringlich angesehen wurden: Regionale Ver-marktung, Schulbildung und Gemeinschaftsverpflegung, urbane Gärten und Essbare Stadt, Gastronomie und Lebensmittelhandwerk kristalli-sierten sich als bestimmende Themen heraus.

Im März 2016 war es schließlich soweit, wir konnten die Gründungs-versammlung ins historische Rathaus einberufen, 300 Leute kamen, darunter NRW-Ernährungsminister Johannes Remmel und Oberbür-

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germeisterin Henriette Reker. Im Foyer waren Stände mit den Lebens-mitteln unserer Bauern, und am Ende hielt unser Mitglied Severin von Hoensbroech eine Rede über die Notwendigkeit einer Agrarwende, die so kämpferisch war, dass die Delegation des Rheinischen Landwirt-schaftsverbandes fast geschlossen den Saal verlassen hätte.

„Über das Glyphosat werden wir uns nicht einig…“

Das verweist auf eine Grundproblematik breiter Bündnisse: Die Mei-nungen driften weit auseinander. Valentin Thurn, der zum Vorsitzenden des Kölner Ernährungsrates gewählt wurde, formulierte es so: „Wir wer-den uns vielleicht beim Glyphosat nicht einig, aber warum denn nur auf das Trennende schauen, es gibt viele übereinstimmende Ziele wie der Kampf gegen den Flächenverbrauch und für die Erhaltung der kleinen Familienbetriebe in der Landwirtschaft. Wir sollten diese Gemeinsam-keiten nutzen, um ein schlagkräftiges Bündnis zu schmieden. Unter-schiedliche Meinungen müssen wir deshalb nicht zukleistern, aber wir können sie so stehenlassen.“

Am Ende ist es auch ein Kampf um Geld, denn auch andere gemein-same Ziele wie mehr Vielfalt auf dem Acker werden mehr kosten. Da-rin waren sich alle einig: Wenn wir wirklich mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft wollen, dann müssen die Lebensmittel teurer werden. Beim Überbrücken der Gegensätze half sicher auch, dass der Ernäh-rungsrat von Anfang an als Personenbündnis konzipiert wurde – wer benannt wird, ist als Person benannt, und nicht als Vertreter einer Orga-nisation, die diesen Vertreter auch wieder auswechseln kann.

Damit wollten wir vermeiden, dass wir so unbeweglich werden wie viele Dachverbände, die stets nur den kleinsten gemeinsamen Nen-ner ihrer Mitgliedsverbände vertreten können. Ausgenommen von die-ser Regel sind nur die Vertreter der öffentlichen Verwaltung: Sie werden qua Amt ernannt, von der Oberbürgermeisterin, wechseln sie den Po-sten, kommt ihr Nachfolger auf den Sitz.

Ernährungswende von unten

Es war in Köln nicht anders als in anderen Städten: Ernährungspoli-tik gab es nur in vereinzelten Projekten, aber eine kohärente Ernäh-

rungsstrategie fehlte, es gab auch kein Ernährungsamt und analog dazu gibt es auch keinen Ernährungsausschuss im Stadtrat. Bisher wurde Er-nährungspolitik im Wesentlichen auf Bundes-, Landes- oder EU-Ebene gemacht. Wir wollen mit dem Ernährungsrat die Ernährungspolitik zu-rück in die Region holen, auf die kommunale Ebene. In Düsseldorf, Ber-lin oder Brüssel verhindern die Lobbys der Industriekonzerne, dass sich ernsthaft etwas bewegt in Richtung mehr Nachhaltigkeit und regionaler Lebensmittelversorgung. Wir denken, dass wir auf kommunaler Ebe-ne eher vorankommen in Richtung Ernährungswende, mit einem ak-tiven Dialog zwischen Politik, Verwaltung, Bauern, Händlern und Ver-brauchern.

Wie wird Köln 2030 essen?

Wir wollen die immer weiter fortschreitende Zentralisierung am Le-bensmittelmarkt stoppen und stattdessen faire Partnerschaften zwi-schen Verbrauchern und Bauern aufbauen. Deshalb arbeiten wir auch an einer „Vision 2030“ für Köln, die neben den Leitzielen auch eine Ernährungsstrategie mit Maßnahmen und möglichst messbaren Zielen beinhalten soll. Dazu fand bereits ein großes Visions-Treffen im Sep-tember 2017 statt, seitdem arbeitet eine Projektgruppe an einer Be-standsaufnahme und versucht in Zusammenarbeit mit den Ausschüs-sen ein erstes Positionspapier zu erarbeiten, mit dem dann 2019 die nächste Runde gestartet werden soll: Eine möglichst breite Beteiligung der Stadtgesellschaft in Form von Anhörungen und Fachgruppen.

Derzeit arbeiten rund 100 Bürgerinnen und Bürger in den Ausschüs-sen mit, und die Koordination war zunächst die einzige bezahlte Stelle. Das sollte sich aber bald ändern, denn wir beantragten 2018 ein Pro-jekt „Essbare Stadt Köln“ beim Programm „Kurze Wege für den Klima-schutz“ des Bundesumweltministerium, mit dem wir zwei weitere Stel-len für zwei Jahre einrichten konnten. Das Projekt war eng mit dem Grünfl ächenamt abgestimmt, mit dem vereinbart wurde, dass die bei-den Mitarbeiter Frank Bowinkelmann und Britta Eschmann mögliche Bürgeranfragen kanalisieren sollten.

Das Konzept zeigt unsere Arbeitsweise exemplarisch: Wir machen nicht einfach ein Expertenpapier, das dann doch nur wie so viele

Lesetipp„Alle Macht den Räten!“ lautet das Motto dieses Buches, das sich für eine möglichst weitgehende regionalisierte Lebensmittelversorgung einsetzt. Es versteht sich als »Werkzeugkasten« für eine neue soziale Bewegung, die re-gionale Netzwerke zwischen Produzenten und Konsumenten knüpft und ihre Ziele im produktiven Dialog mit der Politik verfolgt – und zeigt, wie das geht.

„Genial lokal – so kommt die Ernährungswende in Bewegung“ von Valen-tin Thurn / Gundula Oertel / Christine Pohl; 288 S., oekom Verlag; 20 Euro.ISBN 978-3-96238-055-7

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andere am Ende in einer Schublade verstaubt und nie realisiert wird. Sondern wir beziehen möglichst viele Menschen ein, die dann die Um-setzung auch einfordern werden. Zunächst in Form eines „Barcamps“, bei dem 250 Kölnerinnen und Kölner in 30 Workshops sich mit den vie-len Möglichkeiten und Fragen beschäftigten. Die Ergebnisse wurden von einem Team zusammengetragen, das daraus einen „Aktionsplan“ formulierte, der später auch beim Erarbeiten einer gesamtstädtischen Ernährungsstrategie einfließen soll.

Jetzt aber beginnt das Projekt erst richtig, und zwar in Form kleiner Zu-kunfts-Werkstätten auf Viertels-Ebene. Die Bürgerinnen und Bürger sol-len über die Gestaltung ihres Wohnumfelds mitentscheiden, aber sie sind auch aufgefordert, mitzuarbeiten, wenn das Grün in ihrem Vier-tel „essbar“ wird – indem sie ernten, bei kleineren Flächen vielleicht auch pflanzen und angießen, und bei größeren Flächen, wo dies von der Stadt übernommen wird, regelmäßig nach dem Rechten schauen.

Mehr regionales Essen für unsere Kinder

Andere Ausschüsse planen ebenfalls Projekte, besonders weit gediehen ist die Zusammenarbeit des Ausschusses „Schulbildung und Gemein-schaftsverpflegung“ mit den Trägern der Kölner Kindertagesstätten. Sie beschlossen, eine gemeinsame Plattform zu erstellen, die den Kontakt zwischen den Kantinenköchen und den Bauern aus der Region erleich-tert. Ein erster Pilot könnte der Neubau der Kinder- und Jugendpädago-gischen Einrichtungen in Köln-Brück sein.

Der Ausschuss „Regionale Direktvermarktung“ hingegen kümmert sich um eine Bestandsaufnahme: Welche Bauern können was liefern? Und fragt sich: Wie können wir den Begriff „regional“ mit ökologischer Nach-haltigkeit hinterfüttern? Dafür wurde ein Fragebogen entwickelt, den die Landwirte ausfüllen sollen. Es sind bewusst keine Ausschluss-Kriterien, denn das Ziel ist es ja, die Landwirte mit auf den Weg zu nehmen, die derzeit noch konventionell wirtschaften, und Gedankenanstöße auszu-

lösen. Eine wirkliche Änderung der Bewirtschaftungsmethoden müsste sich natürlich auch beim Preis niederschlagen, die Küchen müssten ei-nen Aufschlag zahlen.

Wir sehen unsere Rolle eher als Vermittler und als Transmissionsrie-men, der die Wünsche der Bürgerinnen und Bürger in die Stadtverwal-tung bringt. Aber andersherum sind wir auch ein Rück-Kanal, der der Verwaltung helfen kann, ihre Vorhaben in der Stadtgesellschaft besser zu verankern.

Es geht also um Partizipation, um Beteiligung zwischen den Wahl-tagen. Mit dem übergeordneten Ziel, den Menschen eine Beziehung zu ihren Lebensmitteln zu ermöglichen. Mehr Wertschätzung für Essen entsteht auf vielfältige Art und Weise: Zum Beispiel durch den Anbau von Gemüse mit den eigenen Händen, oder durch den direkten Kontakt von Bauern und Verbrauchern.

Wenn wir für mehr Regionalität eintreten, geht es keineswegs darum, den Menschen etwas vorzuschreiben, schon der Versuch wäre kontra-produktiv. Was wir aber können, ist Möglichkeiten aufzeigen. Unser Ziel: Es sollen in Köln wieder mehr frische Produkte und regionale Spei-sen auf den Tisch kommen, in der Kita, in der Gemeinschaftsverpfle-gung, der Gastronomie und im Handel. Das hilft uns, eine vielfältige, kleinstrukturierte Landwirtschaft mit mehr Artenvielfalt und einem schö-nen Landschaftsbild zu erhalten.

TEXT Valentin Thurn / Gundula Oertel / Christine Pohl FOTOS Adobe Stock oekom Verlag

Essen hat meist eine weite Reise hinter sich, ehe es auf unseren Tellern landet. Längst ist es das Produkt einer global agie-renden Agrar- und Lebensmittelindustrie. Das ist ökologischer Irrsinn und es macht arm: Menschen im globalen Süden im Wortsinn; die im globalen Norden an Wahlfreiheit und Mitbestimmungschancen.

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Danke, liebe Leserinnen und Leser!

Zum Abschluss möchten wir uns bei Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, ganz herzlich für Ihre langjährige Treue bedanken. Auch wenn dies die letzte Ausgabe der „Münchner Stadtgespräche“ ist, geht unsere Arbeit weiter. Wir informieren Sie wie gewohnt unter www.umweltinstitut.org über wichtige Umweltthemen und zeigen Ihnen, wie Sie selbst aktiv wer-

den können. Bis bald!

12/2018Münchner Stadtgespräche Nr. 81 23

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Die Münchner Stadtgespräche entstehen in Zu-sammenarbeit und mit Förderung des Referates für Gesundheit und Umwelt der Landeshauptstadt München. Dieses Heft kann im Internet unter der Adresse www.muenchner-stadtgespraeche.de als PDF-Datei heruntergeladen werden.

Impressum

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Ökologisches BildungszentrumEnglschalkinger Str. 16681927 MünchenTel.: 089-93 94 89 60Fax: 089-93 94 89 [email protected]

BürgerstiftungZukunftsfähiges MünchenKlenzestraße 37/Rgb.80469 MünchenTel.: 089-202 38-111Fax: 089-202 38-113mail@bszm.dewww.bszm.dewww.lifeguide-muenchen.dewww.sinn-muenchen.de

Newsletter der Agenda 21Regelmäßige Informationen zu Agen-da-Terminen in München erhalten Sie im kostenfreien Newsletter unter

Kontakte

Sa., 19. Januar 2019, BerlinGroßdemo: Wir haben es satt! 2019 entscheidet die Bundesregierung bei der EU-Agrarreform maßgeblich mit, wel-che Landwirtschaft die EU Jahr für Jahr mit 60 Milliarden Euro unterstützt. Bei den Ver-handlungen in Brüssel muss sie sich an die Seite der Bäuerinnen und Bauern stellen, die Tiere artgerecht halten, insektenfreund-liche Landschaften schaffen und gutes Es-sen herstellen. Deswegen schlagen wir – die bunte, vielfältige und lautstarke Be-wegung – am 19. Januar mit unseren Töp-fen Alarm für die Agrarwende!

www.wir-haben-es-satt.de

So., 24. Februar 2019, MünchenSaatgutfestival Auf dem Markt des 5. Saatgut-Festivals im ÖBZ können Besucher/innen die bun-te Palette alter und samenfester Kultur-sorten wie Hunderte von Tomatensorten, samenfeste Züchtungen von Bingenhei-mer und Saatgut vieler seltener Gemüse-raritäten von regionalen und ökologischen Saatguterhalter/innen für die kommende Saison erwerben. Ein Saatgutfestival mit in-teressantem Rahmenprogramm mit Vorträ-gen, offener Kinderaktion und leckerem Im-biss aus der Gartenküche.

www.oebz.de

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