Stahlwasserbau Probleme beim Betrieb und Lösungsmöglichkeiten

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Erfahrungsaustausch Betrieb von Hochwasserrückhaltebecken in Baden-Württemberg 72 | Unter Stahlwasserbauten werden im Wasserbau meist bewegliche Verschlusskonstruktionen für absperrba- re Öffnungen verstanden, wie z.B. Grundablässe von Talsperren, Wehrverschlüsse, Schleusentore, Regulier- einrichtungen von Hochwasserrückhaltebecken u.a.. Sie bestehen aus Konstruktionen des Stahlbaus, des Maschinenbaus und der elektrischen Ausrüstung und umfassen die Verschlusskörper mit Dichtungen und Lagern, die Antriebe sowie die Verbindungsglieder zwi- schen Verschlusskörper und Antrieb. Bei Hochwasserrückhaltebecken oder bei gesteuerten Hochwasserrückhalteräumen, z.B. bei den Poldern am Rhein, werden dabei in erster Linie Tafelschütze, Roll- schütze, Klappen oder Drucksegmente eingesetzt. Die- se Verschlussorgane müssen im Einsatzfall auch noch unter hoher dynamischer Beanspruchung und unter ho- hen Druckbelastungen bewegt werden können. Grundlage für die Bemessung von Stahlwasserbauten ist die DIN 19704 (Teil 1: Berechnungsgrundlagen, Teil 2: Bauliche Durchbildung und Herstellung, Teil 3: Elektrische Ausrüstung). DIN 19704 ist ebenfalls anzuwenden für Ein- laufrechen und Revisionsverschlüsse. Abb. 1 zeigt das Auslassbauwerk eines gesteuerten Hochwasserrückhaltebeckens mit 2 Tiefschützen, über die der Abfluss aus dem Becken im Einstaufall geregelt wird, sowie mit 2 aufgesetzten Fischbauchklappen, die zur Hochwasserentlastung eingesetzt werden. In der Praxis treten bei Verschlussorganen immer wieder Probleme auf, die folgende Ursachen haben können: - Konstruktions- oder Planungsfehler, - Montagefehler, - Bedienungsfehler, - Materialfehler, - Korrosionsschäden, - chemische oder mechanische Einwirkungen, - Materialermüdung Anhand von ausgewählten Beispielen aus der Praxis wer- den nachfolgend solche Probleme aufgezeigt, die Ursa- chen erläutert und die Problembehebung beschrieben. Stahlwasserbau Probleme beim Betrieb und Lösungsmöglichkeiten Joachim Wald Abb. 1: Auslassbauwerk HRB Waibstadt/Schwarzbach g 18. Jahrestagung 2012 - Berichtsband, S. 72 - 87

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Unter Stahlwasserbauten werden im Wasserbau meist bewegliche Verschlusskonstruktionen für absperrba-re Öffnungen verstanden, wie z.B. Grundablässe von Talsperren, Wehrverschlüsse, Schleusentore, Regulier-einrichtungen von Hochwasserrückhaltebecken u.a.. Sie bestehen aus Konstruktionen des Stahlbaus, des Maschinenbaus und der elektrischen Ausrüstung und umfassen die Verschlusskörper mit Dichtungen und Lagern, die Antriebe sowie die Verbindungsglieder zwi-schen Verschlusskörper und Antrieb.Bei Hochwasserrückhaltebecken oder bei gesteuerten Hochwasserrückhalteräumen, z.B. bei den Poldern am Rhein, werden dabei in erster Linie Tafelschütze, Roll-schütze, Klappen oder Drucksegmente eingesetzt. Die-se Verschlussorgane müssen im Einsatzfall auch noch unter hoher dynamischer Beanspruchung und unter ho-hen Druckbelastungen bewegt werden können. Grundlage für die Bemessung von Stahlwasserbauten ist die DIN 19704 (Teil 1: Berechnungsgrundlagen, Teil 2: Bauliche Durchbildung und Herstellung, Teil 3: Elektrische Ausrüstung). DIN 19704 ist ebenfalls anzuwenden für Ein-laufrechen und Revisionsverschlüsse.

Abb. 1 zeigt das Auslassbauwerk eines gesteuerten Hochwasserrückhaltebeckens mit 2 Tiefschützen, über die der Abfluss aus dem Becken im Einstaufall geregelt wird, sowie mit 2 aufgesetzten Fischbauchklappen, die zur Hochwasserentlastung eingesetzt werden.

In der Praxis treten bei Verschlussorganen immer wieder Probleme auf, die folgende Ursachen haben können: - Konstruktions- oder Planungsfehler, - Montagefehler, - Bedienungsfehler, - Materialfehler, - Korrosionsschäden, - chemische oder mechanische Einwirkungen, - Materialermüdung

Anhand von ausgewählten Beispielen aus der Praxis wer-den nachfolgend solche Probleme aufgezeigt, die Ursa-chen erläutert und die Problembehebung beschrieben.

Stahlwasserbau

Probleme beim Betrieb und Lösungsmöglichkeiten

Joachim Wald

Abb. 1: Auslassbauwerk HRB Waibstadt/Schwarzbach

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Beispiel 1 Einlaufbauwerk Rheinpolder

Es handelt sich hier um ein 3-zügiges Einlaufbauwerk mit 3 x 2 Tiefschützen à 5,0 m x 3,0 m (B x H), die elek-trisch angetrieben werden (Abb. 2).

Problem/Schaden: Deformierung der Spindeln und des gesamten Maschinenrahmens (Tragkonstruktion) durch Fehlbedienung (siehe Abb. 3, 4 und 5)

Ursache: Inbetriebnahme eines Schützes ohne Akti-vierung der Endlagenabschaltung, ohne Motordreh-momentabschaltung und ohne zusätzliche elektrische Überlastkupplung. Dadurch wurden die Spindeln sehr stark beschädigt und die gesamte Tragkonstruktion stark verformt. Die Wirkung der aufgetretenen Kräfte und die entstandenen Schäden sind in den nachfolgen-den Abbildungen zu sehen.

Schadensbehebung: Austausch der Spindeln, Rich- ten der Anlage, Aktivieren der elektronischen Abschal-tungsmaßnahmen

Abb. 2: Maschinenrahmen der Schützantriebe mit Getriebe und Elektro-

motoren bei einem Einlaufbauwerk eines Rheinpolders

Abb. 4 und 5: Stark deformierter Maschinenrahmen (Tragkonstruktion)

Abb. 3: Stark beschädigte

Gewindespindeln

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Beispiel 2 Hochwasserrückhaltebecken

Hemsbach

Das HRB Hemsbach/Rinschbach ist eines von 15 Be-cken des Zweckverbandes Hochwasserschutz im Ein-zugsbereich von Seckach und Kirnau. Es handelt sich um ein mittleres Becken nach DIN 19700. Das Becken wird als gesteuertes Becken betrieben. In Abb. 6 ist das Auslassbauwerk des HRB dargestellt.

Technische Daten HRB: Rückhaltevolumen 227.000 m³ Auslegung (BHQ

3) = HQ

100

Regelabgabe 19,0 m³/s 2 Tiefschütze 4,0 m x 1,8 m (B x H) mit E-Antrieb 2 Fischbauchklappen 4,0 m x 1,7 m (B x H) mit Hydraulik-Antrieb

Problem/Schaden: Schiefstellung einer Schütztafel im Probebetrieb bedingt durch eine defekte Spindelmutter am Umlenkgetriebe nach ca. 3 Jahren Wartungs- und In-standhaltungsbetrieb und einem kleineren Einstauereig-nis. Die Spindel hat sich gedreht, das Schütz aber nicht bewegt. Aufgrund des einseitigen Defektes kam es zu einer leichten Schiefstellung. Das Schütz konnte nicht mehr gefahren werden.

Ursache: Falsch eingestellte Endlagenabschaltung, da-durch bei jedem Probebetrieb mechanischer Angriff an der Spindelmutter (Werkstoff: Messing, siehe Abb. 7

bis 9). Der Werkstoff ist bei den Spindelmuttern be-wusst weich gewählt, um andere (teurere) Bauteile zu schützen (Sollbruchstelle).

Schadensbehebung: Austausch der Spindelmutter und Korrektur der Endlagenabschaltung

Prüfungsmöglichkeiten: Beobachtung der Schützbe-wegung beim Schließen des Schützes, Kontrolle der Endlagenabschaltung!

Abb.6: Auslassbauwerk mit Reguliereinrichtungen des HRB Hemsbach/

Rinschbach im Einzugsgebiet von Seckach und Kirnau

Abb. 7: Spindel nach Ausbau des Umlenkgetriebes

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Beispiel 3 Hochwasserrückhaltebecken

Salemer Aach

Technische Daten: Rückhaltevolumen 1,0 Mio m3

Dammhöhe ca. 17 mAuslegung (BHQ

3) = HQ

20

Regelabgabe 4,0 m³/s

Grundablassrohr DN2000, Länge ca. 100 mSchieberschacht auf Dammkronenhöhe1 Rollschütz ca. 2,0 m x 2,0 m (B x H) mit E-Antrieb Einstauhäufigkeit häufig (ca. 5 – 10 / Jahr)

Abb. 8: ausgebautes Umlenkgetriebe Abb. 9: Defekte und neue Spindelmutter

Abb. 10: HRB Salemer Aach, Blick vom Unterwasser auf den Absperrdamm und den Grundablass

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Problem/Schaden: Keine ausreichende Drosselung der Abgabe bei größe-ren Einstauhöhen möglich, bedingt durch ein Festsitzen der Laufrollen nach über 35-jähriger Betriebsdauer, zu-sätzlich starke Korrosion an der Schütztafel. Anhand von hydrostatischen Berechnungen lassen sich die Druck- und Reibungskräfte ermitteln, die beim Öff-nen des Schützes im Einstaufall auftreten. Nachfolgend ist die Berechnung der Druckkräfte beipielhaft aufge-zeigt, um einen Eindruck von der Größe dieser Kräfte

zu bekommen. Tab. 1 zeigt die hierbei nach DIN anzu-setzenden Gleitreibungszahlen. Für Stahl auf Stahl sind μ-Werte zwischen 0,2 bis 0,35 angegeben.

Schadensbehebung / Problemlösung:

Im Rahmen einer Generalsanierung des Hochwasser-rückhaltebeckens und Anpassung an die neue DIN 19700 wurden die eingebauten Stahlteile (Laufschie-nen) saniert und das Rollschütz durch ein neues Schütz ersetzt. Abb. 13 zeigt das neue Rollschütz.

Abb. 11: Schemazeichnung HRB Salemer Aach, Schnitt durch den Absperrdamm

Abb. 12a u. 12b: Zustand des Rollenschützes und der Laufschienen vor Sanierung

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Tab. 1: Reibungszahlen für Stahlkonstruktionen (Auszug aus DIN 19704-1)

Beispielrechnung: Bestimmung der auftretenden Druck-

kräfte an der Schütztafel beim HRB HohenbodmanAbb. 13: Das neue Rollschütz vor dem Einbau in den

Schieberschacht

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Wasserstoffpaarung

Gleitreibungszahl μ Verhältnis Haftreibungs-zahl zu Gleitreibungszahl

μ0/ μ

wasserbenetzt

Mindestwert Höchstwert

Stahl/Stahl 0,20 0,35 1,1

Stahl/Kupferlegierung 0,18 0,30 1,1

Nichtrostender Stahl/Polyamid (PA6G+PE)

Nichtrostender Stahl/Polyethylen (PE-UHMW)

0,15

0,10

0,25

0,20

1,2

1,2

Stahl/Elastomer (Härte etwa 50 bis 70 Shore A)

Stahl/Elastomer mit PTFE-Auflage

0,80

0,10

1,00

0,10

1,0

1,0

Haftreibungszahl Stahl/Beton μ0 = 0,4

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Beispiel 4 Hochwasserrückhaltebecken

Kupprichhausen

Technische Daten: Rückhaltevolumen 77.000 m3

Dammhöhe ca. 6,6 mRegelabgabe (min) 2,3 m³/s 1 Tiefschütz 1,2 m x 1,2 m (B x H) mit E-Antrieb1 Tiefschütz 1,0 m x 1,0 m (B x H) mit E-AntriebBeide Schütze wurden als Gleitschütze eingebaut!

Problem: Beim 1. Probebetrieb konnten mit steigendem Becken-wasserstand die Schütze nicht mehr gefahren werden. Beim Versuch mehr Zugkraft am Bypassschieber aufzu-bringen, trat ein Defekt an der Klauenkupplung des By-passschiebers auf. Der Probestau musste abgebrochen werden. Vom Schieberhersteller wurde als mögliche Ursache für die Schwierigkeiten beim Öffnen der Schieber ein nicht fachgerechter (nicht lotrechter) Einbau der Schubstan-gen reklamiert, was zu hohen Reibungsverlusten und keiner optimalen Kraftübertragung führt. Der Einbau war von einem lokalen Schlosserbetrieb durchgeführt wor-den. Darauf hin wurden die Schubstangen vom Schie-berhersteller neu justiert. Abb. 15 zeigt die Schubstange und die Schubstangenführung des Steuerschiebers.

Bei einem 2. Probestau zeigte sich, dass die Probleme nach wie vor vorhanden waren. Mit zunehmender Ein-stauhöhe konnten die Schieber erneut nicht mehr be-wegt werden. Als weitere Fehlerursache wurde dieses Mal die Aus-richtung der Schieber selbst vermutet. Um dies zu kor-rigieren, wurden nun zwischen Stauwand und Schieber-rahmen Abstandhalter angebracht (siehe Abb. 16), die Schieber neu ausgerichtet und auch die Gleitschienen neu justiert. Danach wurde die Schieberanlage von den beteiligten Firmen als voll funktionstüchtig eingestuft.

Abb. 14: HRB Kupprichhausen, Blick vom Oberwasser (Stauraum) auf den Absperrdamm und das Auslassbauwerk

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Problemlösung:

Der Betreiber gab sich damit nicht zufrieden und ver-langte von Baufirma und Schieberhersteller eine kom-plette Sanierung des Auslassbauwerks. Hierbei sollten die Schieber ausgebaut, kontrolliert und ggf. hergerich-tet bzw. erneuert werden. Außerdem sollte die Stau-wand saniert werden, so dass die Ebenheit der Wand gewährleistet war. Nach Durchführung dieser Maßnah-men wurden die Schieber und Schubstangen wieder eingebaut.Es zeigte sich, dass diese Maßnahmen noch nicht aus-reichend waren, sondern auch die Antriebsmotoren für die Schieber stärker ausgelegt werden müssen.

Um über die auf die Schieber wirkenden Druck- und Reibungskräfte eine Vorstellung zu bekommen, werden diese Kräfte nachfolgend noch einmal aufgezeigt.

Abb. 17 zeigt hierzu die anzusetzenden Kräfte.

Abb. 15: Schubstange mit Schubstangenführung am

HRB Kupprichhausen vor Sanierung

Abb. 16: Unterfütterung der Befestigungslaschen mit

Stahlblechen am Steuerschieber

(2. Sanierungsversuch)

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Abb. 17: Wirkende Kräfte an einer Schieberplatte bei Einstau des Hochwasserrückhaltebeckens

Bei einer Einstauhöhe von 6,2 m ergeben sich folgende Kräfte:

Größe der Schieberplatte A = 1,2 m x 1,2 m = 1,44 m2

Wasserdruck auf den Schieber FW

= A x x g x WS = 79,1 kNmit = Dichte Wasser in kg/m3 g = Erdbeschleunigung in m/s2 Reibungskraft auf der Gleitleiste F

RW = 0,2 x FW = 15,8 kN

Reibungskraft durch Gummidichtung FRD

= 4,8 m x 1 kN/m = 4,8 kN Gewicht der Schieberplatte F

G = 1,33 kN

____________________________________________________________________________

Zugkraft Schubstange (Spindelkraft) FS = F

RW + F

RD + F

G = 22 kN

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Die berechneten Kräfte gelten für einen fachgerech-ten Einbau der Schieber. Bei unsachgemäßer Montage und aufgrund starker Verschmutzung der Gleitschienen können weitere bzw. höhere Reibungskräfte auftreten. Auch an den Führungen der Schubstangen können bei nicht ausreichendem Spiel zusätzliche Reibungskräf-te entstehen, die in der Zusammenstellung der Kräfte noch nicht enthalten sind. Im vorliegenden Beispiel ergab sich ein rechnerisch erforderliches Drehmoment Mt an der Spindel, um die Zugkraft FS in der Schubstange aufzubringen, von 80 Nm. Das verfügbare Drehmoment am Antriebsmotor betrug ebenfalls 80 Nm. Dies zeigt, dass keine Reser-ven vorhanden waren und unter ungünstigen Bedingun-gen ein deutlich höheres Drehmoment erforderlich ist. Deshalb mussten nach Durchführung der Sanierungs-arbeiten auch die Antriebsmotoren durch stärkere er-setzt werden.

Fazit:

Das Beispiel HRB Kupprichhausen ist kein Einzelfall. Solche Probleme sind, insbesondere bei Gleitschüt-zen, bereits häufiger aufgetreten. Bei der Auslegung von Verschlüssen im Stahlwasserbau sind sehr gute

Kenntnisse über die auftretenden Kräfte, die eingesetz-ten Werkstoffe und deren Eigenschaften erforderlich, um alle notwendigen Bau- und Anlagenteile richtig zu dimensionieren und einen sicheren Betrieb im späteren Einsatz gewährleisten zu können. Dabei muss bei der Bemessung davon ausgegangen werden, dass auf-grund von Verschmutzungen, unzureichender Wartung oder ungenauer Montage eher ungünstige Bedingun-gen im Betriebsfall vorliegen. Die einschlägigen Normen, insbesondere die DIN 19704 „Stahlwasserbauten“ sowie die entsprechenden Nor-men des Stahlbaus und der Elektrotechnik müssen der Planung und Ausführung unbedingt zugrunde gelegt werden. Es ist wichtig, dass die Bauteile fachgerecht vor Ort ein-gebaut werden. Deshalb sollte sowohl die Herstellung solcher Bauteile als auch deren Einbau vor Ort nur an ausgewiesene Fachfirmen mit entsprechender Erfah-rung vergeben werden. Nach Fertigstellung der Anlage ist eine Funktionsprü-fung sowohl im Trockenen als auch „unter Wasser“ durchzuführen.

Beispiel 5 Hochwasserrückhaltebecken mit

seriellen Absperrklappen

Die aufgetretenen Probleme beim nächsten Beispiel sind typische Planungsfehler, die hauptsächlich entste-hen, wenn Planer aus anderen Fachbereichen einge-setzt werden.

Technische Daten HRB:

Rückhaltevolumen 350.000 m³Dammhöhe 10 mRegelabgabe QR 6,0 m³/s Einstauhäufigkeit 2 – 5 JahreGrundablass DN 1400 mit 2 seriellen Absperrklappen Länge Grundablass 102 mSchieberbauwerk auf der Luftseite

Problem / Schaden: Aufgrund der zu eng hintereinander eingebauten Ab-sperrklappen (Abb. 18 und 19) steht im Einstaufall nicht der größtmögliche Abflussquerschnitt zur Verfügung. Da auch der Grobrechen (Abb. 20) am Einlauf zum

Grundablass nicht ausreicht, wird viel Treibgut in den Grundablass hineingezogen, das dann im Bereich der Absperrklappen hängen bleibt und den Grundablass zusetzt. Das eingezogene Treibgut muss anschließend händisch beseitigt werden, was immer wieder einen großen Aufwand erfordert.

Abb. 18: Im Grundablass eingebaute Absperrklappen

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Ursache: Schadensursache ist im vorliegenden Fall eindeutig die gewählte „unglückliche Verschlussart“ im Grundablass. Solche Verschlüsse sollten bei Hochwasserrückhaltebe-cken, insbesondere in Einzugsgebieten mit großem Treib-gut- und Geschwemmselanfall, nicht gewählt werden. Schadensbehebung/Problemlösung:

Vor dem Einlaufbauwerk des Grundablasses soll nun ein räumlicher Grobrechen eingebaut werden. Außer-dem werden die beiden Absperrklappen durch einen Plattenschieber ersetzt. Grundsätzlich ist einzufordern, dass bei der Planung Expertensachverstand gemäß den Vorgaben der DIN 19700 („erfahrene Ingenieure“) eingesetzt wird.

Abb. 19: Einschränkung des Abflussquerschnittes

im Grundablass durch die eingebauten

Absperrklappen

Abb. 20: Unzureichender Grobrechen mit Treibgut vor dem Einlassbauwerk des Grundablasses

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Beispiel 6 Kulturwehr Kehl/Straßburg / Sanie-

rung der Drucksegmente

Das Kulturwehr Kehl/Straßburg liegt südlich von Kehl an einem alten Seitenarm des Rheins (siehe Abb. 21). Die Anlage stützt mit einem Dauerstau, dessen Stauhöhe 6,3 m beträgt, den Grundwasserspiegel im angrenzen-den Binnenland. Zudem dient die Anlage im Rahmen

des Integrierten Rheinprogramms als Hochwasserrück-halteraum. Hierzu ist ein zusätzlicher Aufstau um bis zu 6,0 m auf eine Vollstauhöhe von 12,3 m möglich. Mit einem maximalen Retentionsvolumen von 37,0 Mio. m³ ist das Kulturwehr Kehl/Straßburg die größte Stauanla-ge Baden-Württembergs.Das Kulturwehr wird als gesteuerter Rückhalteraum betrieben. Zur Abflusskontrolle dient eine 85 m brei-te Überfallschwelle in der Mitte des Absperrbauwerks

sowie sechs Öffnungen (B x H: 20 m x 5 m), welche mit Drucksegmenten verschlossen und kontrolliert werden können. In Abb. 21 ist die Überfallschwelle in der Mitte des Wehres zu sehen. Abb. 22 zeigt eines der 6 Druck-segmente.

Probleme:

Seit Inbetriebnahme der Anlage treten beim Öffnen der Drucksegmente Schwingungen auf, so dass das ganze Bauwerk vibriert. Durch diese Vibrationen entstehen laute Geräusche, die man noch auf der französischen Rhein-seite hören kann. Darüber hinaus wurden im Rahmen einer vertieften Sicher-heitsüberprüfung nach DIN 19700 bei der Kontrolle der Drucksegmente Risse an den Druckarmen festgestellt.

Abb. 21: Das Kulturwehr Kehl/Straßburg

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Ursachen und Problemlösung:

Um das Schadensbild in den Druckarmen umfassend aufzunehmen, wurden sowohl nicht zerstörende Prü-fungen (Ultraschall, MP-Prüfung) als auch zerstörende Materialprüfungen zur Bestimmung der Materialeigen-schaften durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass beim Bau der Druckarme unberuhigter Stahl verwendet wor-den war. Dies wird zusammen mit der weichen Trag-konstruktion der Drucksegmente und den auftreten-den Schwingungen beim Öffnen der Drucksegmente als mögliche Schadensursache für die Entstehung der Risse in den Druckarmen vermutet. Eine eindeutige Identifizierung der Schadensursache ist allerdings nicht möglich.Aufgrund der festgestellten Beschädigung der Druck-arme wurde eine umfassende Sanierung der Druckseg-mente beschlossen. Zur Durchführung der Sanierung wurde ein neues Drucksegment hergestellt, das als Ersatz eines defekten Segmentes eingesetzt wurde. Das defekte Drucksegment wurde anschließend saniert und dann wieder im Tausch mit dem nächsten defekten Drucksegment eingebaut. Auf diese Weise werden alle Verschlüsse nacheinander saniert.

Wichtigster Bestandteil der Sanierung ist der Austausch der beschädigten Druckarme gegen neue Bauteile aus beruhigtem Stahl, der im Gegensatz zum unberuhigten Stahl ein reduziertes sprödes Bruchverhalten aufweist. Weiterhin wurde im Rahmen der Sanierung der kom-plette, schadstoffbelastete Korrosionsschutz erneuert und gegen schadstofffreie Anstriche ersetzt.Im Zuge des Ersatzneubaus und der Austauschsanie-rung wurden basierend auf der bestehenden Konstruk-tion auch einige Konstruktionsdetails verändert, um die Schwingungsanfälligkeit der Verschlüsse zu reduzieren. Dabei wurde auf die Erkenntnisse eines wasserbauli-chen Gutachtens zurückgegriffen, das bereits kurz nach Inbetriebnahme der Wehranlage erstellt wurde. In dem Gutachten waren als Ursache für die Schwingun-gen, die beim Öffnen des Drucksegmentes entstehen, die Gestaltung der Sohlnische und die Sohldichtungen verantwortlich gemacht worden. Durch die Nische, in der das Drucksegment aufsitzt, tritt eine Strömungsum-lenkung auf, die bei kleinen Öffnungsweiten die weiche Dichtungslippe zum Schwingen anregt. Abb. 23 zeigt das Detail der ursprünglichen Sohldichtung der Wehr-verschlüsse.

Abb. 22: Drucksegment im Kulturwehr Kehl/Straßburg

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In dem Gutachten wurde festgestellt, dass sich die da-durch entstehenden Schwingungen auf die „weiche“ Konstruktion des gesamten Drucksegmentes und das Bauwerk übertragen. Man spricht in diesem Zusam-menhang von einer „weichen Konstruktion“, weil die Sohldichtung (Klemmleiste am Drucksegment) relativ elastisch ist und die Druckarme ebenfalls elastische Elemente (Sustamid-Isolation, KKS=Kathodischer Kor-rossionsschutz) enthalten. Diese Bauweise begünstigt die Schwingungsanfälligkeit. Die Erkenntnisse aus dem wasserbaulichen Gutachten wurden in die Sanierung einbezogen. Die Sohlendich-

tung samt Sohldichtungsnische wurde verändert. Beim Ersatzneubau wurde die Nische vergossen und ein neu-er Dichtungsanschlagspunkt an der Sohle eingebaut. Abb. 24 zeigt die Konstruktion der Sohldichtung. Zu-sätzlich wurde die Dichtung mit Rippen ausgesteift und verjüngt (siehe Abb. 25).Weiterhin entschied man sich, auf die kathodische Kor-rosionsschutzanlage zu verzichten. Hierdurch muss der Wehrverschluss nicht mehr elektrisch isoliert werden, so dass auf die bisherigen, weichen Isolationsschichten in den Krafteinleitungspunkten verzichtet werden kann und somit die Tragkonstruktion steifer wird.

Abb. 23: Detail der ursprünglichen Sohldichtung der Drucksegmente

Abb. 24: Detail der neuen Sohldichtung der Drucksegmente

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Vergleichende Schwingungsmessungen nach Durch-führung der Umbaumaßnahmen ergaben eine deutliche Reduktion der Schwingungen beim Ersatzneubau im Gegensatz zu den bestehenden Wehrverschlüssen. In Abb. 25 sind die Ergebnisse der Schwingungsmessun-gen dargestellt.

Allerdings veränderte sich durch die Umgestaltung der Sohldichtung auch die Abströmung. Bei den beste-henden Wehrverschlüssen war bisher ein ruhiges Un-terwasser zu beobachten, beim Ersatzneubau mit der veränderten Sohldichtung bildet sich eine bis zu 5 m hohe Wasserwalze im Unterwasser aus. Hier sind noch

Abb. 24: Aussteifung der Befestigung der Sohldichtung mit zusätzlichen Rippen

Abb. 25: Ergebnisse der Schwingungsmessungen an dem neu eingebauten und einem bestehenden Drucksegment

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Verbesserungen durchzuführen. Abb. 26 zeigt den Ver-gleich die Strömungssituation für ein saniertes und ein nicht saniertes Wehrfeld.Durch das Zusammenwirken der einzelnen Maßnahmen wurde die Schwingungsanfälligkeit der Verschlüsse insgesamt soweit reduziert, dass die auftretenden Schwingungen keine Auswirkungen mehr auf die Dau-erhaftigkeit des Verschlusses haben. Dies zeigt, dass bereits kleine geometrische Änderungen an der Kons-truktion große Wirkungen auf das Strömungsverhalten an Verschlüssen haben können. Deshalb wird emp-fohlen, bereits im Vorfeld von geplanten Maßnahmen entsprechende Voruntersuchungen, wie z. B. physika-lische Modelluntersuchungen, durchzuführen. Hieraus können dann wichtige Erkenntnisse zur Ausbildung von Konstruktionsdetails abgeleitet werden.

Anschrift des Verfassers

Joachim WaldIngenieurbüro WALD + CORBE GdbRAm Hecklehamm 18, 76549 Hügelsheim

[email protected]

Abb. 26: Strömungssituation im Unterwasserbereich des Kulturwehres

(links: nicht saniertes Wehrfeld, rechts: saniertes Wehrfeld)

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