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Ösophagusmanometrie T. Wehrmann Die Ösophagusmanometrie gilt als geeignetste Methode, um Funkti- onsabläufe und deren Störungen exakt zu erfassen. Ein echtes Refe- renzverfahren fehlt und bestimmte Krankheitsbilder lassen sich bisher nur manometrisch einwandfrei charakterisieren (z. B. „Nutcracker- Ösophagus“). Die Ösophagusmanometrie wird zumeist nicht primär eingesetzt, sondern ist als Komplementärmethode bei der Erkennung definierter Krankheitsbilder anzusehen, die endoskopisch und radiolo- gisch nicht sicher eingeordnet werden können. 2.1 Manometrieverfahren Prinzipiell stehen 2 methodisch unterschiedliche Verfahren zur Verfü- gung: „Konventionelle“ Perfusionsmanometrie: Hier ist nur eine stationäre Messung der Ösophagusmotilität unter standardisierten Bedingungen möglich. Manometrie mittels elektronischer Drucktransducer: Hier ist sowohl die stationäre Manometrie (s. oben) als auch die ambulante Langzeitre- gistrierung der schluckinduzierten sowie nichtschluckinduzierten Mo- torik der Speiseröhre (bei Verwendung transportabler Datenspeicher- geräte) möglich. Beide Methoden haben überlappende Indikationen: Die primären Motili- tätsstörungen (Achalasie, diffuser Spasmus, „Nutcracker“) werden durch die Befunde bei der stationären Manometrie definiert. Seitdem mit der KAPITEL 2

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ÖsophagusmanometrieT. Wehrmann

Die Ösophagusmanometrie gilt als geeignetste Methode, um Funkti-onsabläufe und deren Störungen exakt zu erfassen. Ein echtes Refe-renzverfahren fehlt und bestimmte Krankheitsbilder lassen sich bishernur manometrisch einwandfrei charakterisieren (z. B. „Nutcracker-Ösophagus“). Die Ösophagusmanometrie wird zumeist nicht primäreingesetzt, sondern ist als Komplementärmethode bei der Erkennungdefinierter Krankheitsbilder anzusehen, die endoskopisch und radiolo-gisch nicht sicher eingeordnet werden können.

2.1Manometrieverfahren

Prinzipiell stehen 2 methodisch unterschiedliche Verfahren zur Verfü-gung:∑ „Konventionelle“ Perfusionsmanometrie: Hier ist nur eine stationäre

Messung der Ösophagusmotilität unter standardisierten Bedingungenmöglich.

∑ Manometrie mittels elektronischer Drucktransducer: Hier ist sowohldie stationäre Manometrie (s. oben) als auch die ambulante Langzeitre-gistrierung der schluckinduzierten sowie nichtschluckinduzierten Mo-torik der Speiseröhre (bei Verwendung transportabler Datenspeicher-geräte) möglich.

Beide Methoden haben überlappende Indikationen: Die primären Motili-tätsstörungen (Achalasie, diffuser Spasmus, „Nutcracker“) werden durchdie Befunde bei der stationären Manometrie definiert. Seitdem mit der

KAPITEL 2

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elektronischen Mikrotransducermanometrie auch die Registrierung desunteren Ösophagussphinkters (UÖS) möglich geworden ist, kann diesesVerfahren auch hierfür verwendet werden. Prinzipieller Vorteil der Perfu-sionsmanometrie ist der wesentlich geringere Preis der eigentlichenDruckmesssonden. Ist einmal ein Messplatz vorhanden, können verschie-denste Sondenkonfigurationen (zur Anwendung am Ösophagus, Dünn-darm, Sphinkter Oddi, Anorektum etc.) für jeweils 150–400 Euro ange-schafft werden. Die Druckmesskatheter für die elektronische Manometriekosten dagegen ca. 1000–8000 Euro. Vorteile der elektronischen Manome-trie sind neben der Möglichkeit einer Langzeitmessung die einfachereHandhabung bei der Kalibrierung und das fehlende „Wassergepansche“während der Untersuchung. Es dürfte daher nur eine Frage der Zeit unddes Preises sein, bis die elektronische Manometrie die Perfusionsmano-metrie vollständig ablöst.

Bei der Fragestellung „nichtkardialer Brustschmerz“ ist die Anwendungeiner kombinierten Langzeit-Ösophagus-pH-Metrie plus Manometrie si-cher rationell.

Vielfältige Symptome können durch Motilitätsstörungen der Speise-röhre verursacht sein: Dysphagie (fest, flüssig), Regurgitation (aktiv/pas-siv), Sodbrennen, thorakale Schmerzen („angina-like pain“, „non-cardiacchest pain“), Odynophagie, Globusgefühl, Aspiration, Husten, Asthmabe-schwerden u. a. m. Störungen der Ösophagusmotilität betreffen meistensdie unteren zwei Drittel der Speiseröhre (überwiegend glatt-muskuläreAnteile). Die Messgenauigkeit der Perfusionsmanometrie ist im Gegensatzzur elektronischen Manometrie in den kranialen Ösophagusabschnittenteilweise nicht ausreichend. Die sehr raschen Druckänderungen des obe-ren Ösophagussphinkters werden z. B. nicht vollständig dargestellt. Hierist die Hochfrequenzröntgenkinematographie bei der Diagnostik z. B. vonEinschluckstörungen bei Zustand nach Apoplex eine Alternative. Falls die-se Methode nicht zur Verfügung steht, gelingt es aber oft auch mit der Per-fusionsmanometrie, insbesondere mit dem elektronischen Verfahren, eineDyskoordination des Einschluckakts (Verhalten von Hypopharynxkon-traktion zur reflektorischen Relaxation des oberen Sphinkters und der tu-bulären Ösophagusperistaltik) zu erfassen.

Hinsichtlich der nachfolgend beschriebenen Untersuchungstechnik so-wie der Datenanalyse wird auf die vom Arbeitskreis für Neurogastroente-rologie und Motilität e.V. vorgelegten Leitlinien hingewiesen, die über dasInternet abrufbar sind. Die nachfolgend aufgeführten Techniken beschrei-ben das am Universitätsklinikum Frankfurt und am Klinikum Hannover

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21Ösophagusmanometrie

angewendete Protokoll, das z. T. geringfügig von den genannten Leitlinienabweicht.

2.2Indikationen

In nachfolgender Übersicht sind die Indikationen für eine Ösophagusma-nometrie zusammengefasst. Die Indikationen 1–3 werden als sog. primäreMotilitätsstörungen, die Indikationen 4–5 als sekundäre Motilitätsstörun-gen bezeichnet. Als Ursache der Indikation 6 kommen somit die Punkte1–5 in Frage.

Indikationen für eine Ösophagusmanometrie

1. AchalasieDysphagie, jedoch uncharakteristischer RöntgenbefundTypischer Röntgenbefund, jedoch uncharakteristische SymptomatikTherapiekontrolle– Nach pneumatischer Dilatation (residualer UÖS-Druck >15 mmHg

spricht für ungünstigen klinischen Verlauf)– Nach Kardiomyotomie (wissenschaftliche Fragestellung)– Nach Botulinumtoxininjektion (wissenschaftliche Fragestellung)

2. Idiopathisch-diffuser Ösophagospasmus3. Hypertensiver Ösophagus (sog. Nutcracker-Ösophagus)4. Ösophageale Beteiligung bei Kollagenosen

Primärer Hinweis für systemische Manifestation der GrunderkrankungVerlaufsbeurteilung

5. RefluxkrankheitPräoperativer Status vor geplanter Fundoplicatio (Peristaltik? UÖS-Kompetenz?) Hinweis: Die klinische Relevanz der manometrischen Be-funde auf den evtl. postoperativen Verlauf ist bis heute nicht gesichertPostoperativ nach Fundoplicatio– Rekurrente Refluxsymptomatik (UÖS-Druck?)– Dysphagie oder „Gas-Bloat-Syndrom“– Postoperative Verlaufskontrolle (wissenschaftliche Fragestellung)

6. Nichtkardialer Brustschmerz7. Oropharyngeale Dysphagie

Wenn alternative Methoden (z. B. Hochfrequenz-Kinematographie)nicht zur Verfügung stehen

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22 Oberer Gastrointestinaltrakt

2.3Apparative Voraussetzungen

Die im Folgenden aufgeführten Geräte stellen die Voraussetzung für dieÖsophagusmanometrie dar (Abb. 2.1 und 2.2).

Für die Ösophagusmanometrie benötigte Geräte

1. Perfusionsmanometrie„Low-Compliance-Perfusionspumpe“Registriereinheit– Analog-Digital-Konverter– Personalcomputer mit Drucker und SoftwareElektromechanische Druckwandler (Anzahl = Zahl der Messkanäle)Perfusionssonden

2. Elektronische ManometrieRegistriereinheit bzw. Speichergerät (für Langzeitmessung)PC mit Drucker und SoftwareElektronische Drucktransducer-Messsonden

Abb. 2.1a–e. Messplatzanordnung für stationäre Manometrie. a Perfusionspumpe,b Druckwandler, c Analog-Digital-Konverter, d PC mit Drucker, e Messsonde

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23Ösophagusmanometrie

2.4Praktische Durchführung

2.4.1Ösophagusmanometrie

VorbereitungDie Patienten sollten zwischen 4 und 8 h nüchtern sein und möglichst 48 hvorher keine motilitätsbeeinflussenden Medikamente einnehmen (z. B. β-Blocker, Kalzium-Antagonisten, Opiate u. a. m.).

UntersuchungsdauerDie eigentliche Untersuchung (ohne Auswertung und Reinigung etc.) dau-ert 15–30 min.

TechnikDie konventionelle Ösophagusmanometrie wird in der Regel als Perfusi-onsmanometrie mittels einer mehrlumigen Perfusionssonde durchge-führt; Messparameter und Normbereiche sind in Tabelle 2.1 aufgelistet.

Abb. 2.2. Standard-Perfusionskatheter für die Ösophagusmanometrie. Beachte, dass die3 distalen, radiär versetzt angebrachten Perfusionslumina im Abstand von je 1 cm zuei-nander, die 3 proximalen Messpunkte im Abstand von je 5 cm angebracht sind

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24 Oberer Gastrointestinaltrakt

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25Ösophagusmanometrie

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26 Oberer Gastrointestinaltrakt

Die Perfusionsrate beträgt 0,4–0,6 ml/min. Die Empfindlichkeit der Re-gistriereinrichtung sollte eine Druckanstiegssteilheit von >300 mmHg/sdetektieren. Alternativ ist die Verwendung von elektronischen Messson-den möglich.

Die Untersuchung umfasst prinzipiell 2 Schritte: 1. Mehrpunktmano-metrie des tubulären Ösophagus und 2. Durchzugsmanometrie des UÖSund OÖS.

Alternativ ist die Untersuchung des UÖS auch mittels eines sog. Sleeve-Katheters möglich: Bei einer solchen Sonde ist zumeist die distale Perfusi-onsöffnung von einem 6 cm langen Ballon umgeben. Diese Anordnung er-möglicht es, auch bei durch Atemexkursionen oder den Schluckakt ausge-lösten Verschiebungen der Messsonde, den UÖS-Druck kontinuierlich zuerfassen. Für die Evaluation pharmakologischer Effekte ist daher heute dieVerwendung des „Sleeve-Katheters“ obligat. Die Ösophagusmanometrieerfolgt in gerader Rückenlage des Patienten. Eine Prämedikation ist nichtsinnvoll, auch auf Rachenanästhesie sollte verzichtet werden. Die Sondekann evtl. mit Xylocaingel vorbehandelt werden (Cave: anaphylaktischeReaktion). Eine simultane Bestimmung der Atmung z. B. durch eine nasaleThermistorsonde wird empfohlen, von uns aber nicht routinemäßigdurchgeführt.

Die Durchführung auf dem Röntgentisch kann die Untersuchung be-schleunigen (rasche Sondenlokalisation mittels Durchleuchtung), ist aberkeinesfalls zwingend erforderlich.

Es wird wie folgt vorgegangen:1. Kalibrieren der Messeinrichtung zumindest im Zweipunktverfahren

(als Nulldruck wird der Raumdruck in Thoraxmitte des Patienten ver-wendet, auf diesem Niveau sind auch die Druckwandler angebracht, derzweite Punkt wird oft bei 40 cm Höhe oberhalb des Nullpunkts angege-ben; bei elektronischer Druckmesssonde erfolgt die Eichung in einerDruckkammer mit Quecksilbermanometer bei 0 bzw. 100 mmHg).

2. Transnasales (zumeist angenehmer für den Patienten) oder transoralesEinführen der Sonde (Diameter ≈ 4,5 mm), ggf. unter Beugen des Kop-fes.

3. Vorschieben der Sonde in den Magenfundus (Durchleuchtungskontrol-le oder Nachweis eines Druckanstiegs bei manueller Kompression imEpigastrium).

4. Rückzug der Sonde, bis die proximalen Ableitungen den UÖS-Druckregistrieren (erkennbar am Ruhedruck mit postdeglutiver Relaxationund postrelaxativem Druckanstieg sowie respirationsabhängiger

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27Ösophagusmanometrie

Druckschwankung durch Verschiebung der Sonde im kurzen UÖS-Seg-ment).

5. Weiterer Rückzug der Sonde, bis die distalen Ableitungen (z. B. 3 radiärversetzt angebrachte Perfusionsöffnungen im Abstand von je 0,5 mm)oder der Sleeve-Ballon im UÖS-Segment liegen. Die proximalen Mess-punkte registrieren nun die tubuläre Peristaltik im Abstand von z. B. 5,10 und 15 cm oberhalb des UÖS (je nach Sondendesign).

6. Patient zum „Trockenschlucken“ auffordern. Mindestens 2-mal im Ab-stand von 30 s. Anschließend 5-mal Gabe von je 5 ml Wasser peroralmittels Spritze (Schluckfrequenz: 1-mal pro 30 s). Bestimmung derUÖS-Relaxation und Peristaltik im distalen Ösophagus.

7. Weiterer langsamer Rückzug der Sonde in 0,5-cm-Schritten (sog. Stati-on-pull-through-Technik) in endexspiratorischem Atemstillstanddurch den UÖS. Bei Verwendung eines Sleeve-Katheters ist dies nichterforderlich; Bestimmung von UÖS-Ruhedruck und -länge.– Nach Durchtritt aller Messpunkte (oder des Sleeve) durch den UÖS

Rückzug der Sonde in 1- bis 2-cm-Schritten mit jeweils erneut 2-mal„Trockenschluck“ und 5-mal „Feuchtschluck“ wie oben beschrieben.Messung der tubulären Peristaltik im distalen, mittleren und proxi-malen Ösophagus. Bei Eintritt der zweiten proximalen Perfusions-öffnung in den OÖS-Bereich Erhöhung der Abtastfrequenz am PCund letztmalige Gabe von 3 Feuchtschlucken (qualitative Beurtei-lung der Koordination zwischen Pharynx/OÖS/tubulärem Ösopha-gus). Dann Entfernung des Messkathetersystems.

8. Einlegen der Messsonde – nach mechanischer Reinigung mit Wasserund Seife sowie Durchspülen aller Perfusionskanäle mit Desinfektions-lösung – in 2%iger Glutaraldehydlösung für mindestens 3 h. Danach er-neute manuelle Reinigung mit Wasser und Trocknung. Zu bevorzugenist – nach mechanischer Reinigung und Spülung der Kanäle – die Rönt-gen- oder Gassterilisation der Messsonden. Bei Verwendung elektroni-scher Drucksonden sind die Herstellerangaben peinlichst zu beachten.Werden z. B. höhere Temperaturen zur Sterilisation verwandt, resultiertein Totalverlust der Sonde.

Tipps und Tricks1. Beim Einführen der Messsonde kann das simultane (Mit-)Trinken von

Wasser hilfreich sein.2. Bei ausgeprägtem Megaösophagus (Achalasie) oder bekannter Torquie-

rung der Speiseröhre empfiehlt sich ein primär endoskopisches Vorge-

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28 Oberer Gastrointestinaltrakt

hen mit Einlage eines 0,035-in-Drahts nach gastral. Anschließend Ein-bringen der Manometriesonde via Führungsdraht.

3. Zeigt sich eine scheinbar retrograde Peristaltik, liegt dies am ehesten aneiner umgeknickten Sondenspitze. In diesem Fall Katheter zurückzie-hen, evtl. unter Röntgendurchleuchtungskontrolle.

2.4.2Langzeitmanometrie

Prinzipiell gleicht das Vorgehen dem der stationären Manometrie, zumEinsatz kommen jedoch nur elektronische Druckmesssysteme. Die Kali-brierung des Systems erfolgt in einer Druckkammer bei 0 und 100 mmHg.Als Abtastfrequenz wird meist 4–6 Hz gewählt. Die Position der Druck-messpunkte wird bei den verschiedenen Arbeitsgruppen unterschiedlichvorgenommen – wir platzieren die 3 Drucktransducer auf 5-, 10- bzw. 15-cm-Höhe oberhalb des (ausgemessenen) UÖS. Bei kombinierter Durch-führung mit einer Langzeit-pH-Metrie erfolgt die Positionierung bei 8, 13bzw. 18 cm oberhalb des UÖS, damit die pH-Metrie-Elektrode 5 cm ober-halb des UÖS positioniert werden kann (s. Kap. 1). Bei der transnasalenApplikation der Messsonde (Diameter ≈ 3 mm) muss ein zu scharfes Ab-bzw. gar das Umknicken der Sonde unbedingt vermieden werden, damitkein Sondendefekt auftritt. Eine Messsonde sollte zumindest 50–100 Un-tersuchungen ohne Reparatur standhalten. Ein Defekt der Drucksensorenwird bei der Kalibrierung leicht erkannt. Der Patient erhält nach Einlageder Messsonde und Verbindung der Sonde zum tragbaren Datenspeicher-gerät ein Tagebuch, worin Essen und Trinken, zu Bett gehen und Ähnlichesprotokolliert werden. Ein hinsichtlich der zeitlichen Nahrungsaufnahmestandardisiertes Untersuchungsprotokoll (z. B. Essen und Trinken nur inder Zeit von 9–10, 13–14 bzw. 18–19 Uhr) ist empfehlenswert. DiätetischeRestriktionen sind bezüglich der Manometrie nicht erforderlich. Als Un-tersuchungszeit werden zumeist 24 h vereinbart.

2.5Normalbefunde

Die Ergebnisse von Trockenschlucken unterliegen einer hohen Varianz,daher werden hier keine quantitativen Angaben gemacht. Die tubuläreÖsophagusperistaltik zeigt normalerweise eingipflige Kontraktionen(Abb. 2.3). Das gehäufte (>10% aller Kontraktionen) Auftreten zwei- oder

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29Ösophagusmanometrie

gar dreigipfliger Kontraktionen weist auf einen diffusen Ösophagusspas-mus oder eine unklassifizierbare Motilitätsstörung hin (s. unten). Ver-schiedentlich wurde postuliert, dass durch die Verwendung eines „semi-soliden“ Bolus (z. B. „Marshmallow“) die Sensitivität der Manometrie beiPatienten mit unklarer Dysphagie erhöht wird. Diesbezüglich müssen je-doch individuell für jedes Labor eigene Referenzbereiche erstellt werden(z. B. Anteil nichtpropagativer Kontraktionen beim semi-soliden Bolus).

Abb. 2.3. Normale Ösophagusmotilität des Menschen mit (schluckinduzierter) primä-rer Peristaltik und Relaxation des unteren Ösphagussphinkters (untere Kurve)

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Die Ergebnisse der ambulanten Langzeitmanometrie am Ösophagusweisen selbst bei Gesunden eine hohe interindividuelle Streuung – beigleichzeitig guter intraindividueller Reproduzierbarkeit – auf. Es ist daherbis heute umstritten, ob Normalwerte durch die Untersuchung asympto-matischer Probanden definiert werden können oder nicht. Zur Fragestel-lung, ob thorakale Schmerzen durch Motilitätsstörungen verursacht wer-den (sog. nichtkardialer Brustschmerz), wurde zumeist die Ösophagusmo-tilität des Patienten während des asymptomatischen Zeitraums mit derMotorik während der Schmerzepisoden verglichen. Somit dient der Pati-ent als seine eigene Kontrolle. Als Messparameter wird v. a. die Amplitu-denhöhe sowie der Anteil propagativ-gerichteter Kontraktionen im tubu-lären Ösophagus verwendet. Die Bochumer Arbeitsgruppe (Adamek et al.)beschrieb bei 30 Probanden Amplituden von im Median 40 mmHg (dista-ler Ösophagus) bzw. 38,5 mmHg (proximal) bei einem Anteil von 56% pro-pagativ-fortgeleiteter Kontraktionen. Durch Verwendung solcher Kriteri-en konnten auch primäre Motilitätsstörungen diagnostiziert werden. Derklinische Stellenwert der Methode zur Evaluation des UÖS ist noch ziem-lich undefiniert.

2.6Pathologische Befunde

Alle übrigen Abweichungen von Parametern der Ösophagusmotilität, dienicht in Tabelle 2.2 eingeordnet werden können (z. B. nur isolierte UÖS-Druckerhöhung ≥40 mmHg, mit regelrechter Relaxation und unauffälligertubulärer Peristaltik; sog. hypertensiver Sphinkter), werden als unklassifi-zierbare Motilitätsstörungen bezeichnet. Ihre klinische Relevanz ist bisheute relativ unklar (z. B. nur segmental im Ösophagus nachweisbare Ver-änderungen der peristaltischen Aktivität – sog. segmentäre Aperistalsik)bzw. umstritten („hypertensiver Sphinkter“ oder ausschließlicher Nach-weis einer nichtvollständigen Einschränkung der UÖS-Relaxation – beisonst regelrechtem manometrischem Befund am Ösophagus).

2.6.1Achalasie

In den meisten Fällen kann die Achalasie aus der Anamnese und dem Öso-phagusbreischluck (Dilatation des tubulären Ösophagus und glattberan-dete Stenosierung am ösophagokardialen Übergang – sog. Sektkelchform;

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31Ösophagusmanometrie

Abb. 2.4) diagnostiziert werden. Die Ösophagusmanometrie ist insbeson-dere bei einem grenzwertigen Befund im Röntgenbreischluck indiziert. Soist bei Frühformen radiologisch noch keine sichere Erweiterung zu sehenund die Diagnose primär lediglich durch die Ösophagusmanometrie zustellen. Die Endoskopie zeigt ggf. die Dilatation der Speiseröhre, zumeisteine deutliche Speichelretention sowie einen festen Kardiaschluss (Inver-sion); die Kardia ist mit dem Gerät meist mühelos oder unter leichtemDruck zu passieren. Dem sehr erfahrenen Untersucher entgeht die Diag-nose Achalasie bei der ÖGD zwar nicht (eine Ausschlussdiagnostik ist mit-tels ÖGD jedoch nicht möglich), sie dient i. Allg. jedoch vorwiegend demMalignomausschluss. Ein Kardiakarzinom kann den manometrischen Be-fund einer Achalasie vollständig imitieren (sog. sekundäre Achalasie)!Aber auch andere Malignome oder Systemerkrankungen können entwe-der durch lokale Nerveninfiltration oder im Sinne eines paraneoplasti-schen Syndroms ein (manometrisches und radiologisches) Bild einer pri-mären Achalasie vortäuschen. Die Anamnese bei Achalasie-Patienten zeigtmeist eine schon länger (>6 Monate) bestehende Dysphagie und einenlangsamen Gewichtsverlust (<2 kg/Monat). Nach Gabe von 20 mg Nifedi-pin sublingual (oder 2 Hb. Nitrolingual) lässt sich bei der primären Acha-lasie meist (Sensitivität des Tests nicht exakt evaluiert) ein UÖS-Druckab-fall registrieren, hingegen nicht bei sekundären Formen. Nach CCK-Gabefindet sich ein paradoxer Druckanstieg des UÖS, als Zeichen der chroni-schen Denervierung.

Je nach Ausprägungsgrad der tubulären Ösophagusperistaltik unter-scheidet man eine hypomotile, eine amotile sowie eine hypermotile Form

Tabelle 2.2. Klassifikation der häufigsten pathologischen Befunde der Ösophagusma-nometrie

Parameter Achalasie Diffuser „Nutcracker“ Refluxkrankheit

Spasmus

Kontraktions- ↓ ; selten ↑ a (↑) ↑↑ ↓amplitude distal Propagation ↓ ↓ – – bis ↓UÖS-Ruhedruck (↑) – – Ø

UÖS-Relaxation ↓↓ – – –

↑ oberhalb der Norm, ↑↑ deutlich oberhalb der Norm; ↓ unterhalb der Norm; ↓↓ deut-lich unterhalb der Norm; – - im Normbereich. a bei hypermotiler Achalasie („vigorousachalasia“).

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(„vigorous achalasia“, klinisch angeblich häufiger mit retrosternalenSchmerzen assoziiert; hat bessere Prognose nach pneumatischer Dilatati-on oder Botulinumtoxininjektion). Es ist unklar, ob es sich hierbei um un-terschiedliche Entwicklungsstadien ein- und derselben Erkrankung han-delt oder ob die hypermotile Form als eigenständige Entität zu betrachtenist. Für Ersteres spricht auch, dass schon häufiger Übergänge des diffusenÖsophagospasmus in eine hypomotile Achalasie beschrieben wurden.

Manometrisch feststellbare Achalasie-Kriterien

1. Unzureichende Relaxation des UÖS (<60%).Bei einer ausreichenden Relaxation des LES ist eine Achalasie praktischauszuschließen.

Abb. 2.4. Manometrischer Befund bei hypomotiler Achalasie

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33Ösophagusmanometrie

2. Nichtzeitgerechte (verspätete) Relaxation des UÖS,später als 4 s nach dem Schluckakt, fakultativ beobachtbar.

3. Erhöhter UÖS-Ruhetonus (>35 mmHg),invariabel bei ca. einem Drittel bis der Hälfte der Patienten.

4. Reduzierte propulsive Peristaltik in der tubulären Speiseröhre (>10%simultane Kontraktionen.

5. Reduzierte Kontraktionsamplituden im distalen Ösophagus (<30 mm-Hg),fakultativ nachweisbar.

Bei Nachweis der Punkte 1 und 4 ist eine Achalasie manometrisch bewie-sen.

2.6.2Idiopathisch-diffuser Ösophagusspasmus

Klinisch imponiert der diffuse Ösophagusspasmus mit anfallsartigenmehr oder minder häufigen Episoden von retrosternalen Schmerzen mitfakultativer Ausstrahlung in die Arme, die stunden-, tage-, wochen- odersogar monatsweise auftreten können. Das Auftreten der Beschwerden istsomit sehr unterschiedlich und selbst bei einer 24-h-Druckmessung kanndie Diagnose möglicherweise nicht gestellt werden. Radiologisch findetsich häufig der sog. Korkenzieher-Ösophagus (Abb. 2.5), bedingt durch diesimultanen Kontraktionen. Die Sensitivität des Breischlucks ist jedochniedriger als die der Manometrie („Goldstandard“). Auch bei der ÖGDlassen sich die simultanen Kontraktionen gelegentlich gut beobachten(Patient zum Schlucken auffordern).

Manometrisch feststellbare Kriterien des diffusen Ösophagusspasmus

1. Reduzierte propulsive Peristaltik in der tubulären Speiseröhre (>10%simultane Kontraktionen).

2. Verlängerte Zeitdauer der Kontraktionen (>6 s) häufig auch als zwei-bzw. dreigipflige Kontraktionen.

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34 Oberer Gastrointestinaltrakt

2.6.3Hypertensiver Ösophagus („Nutcracker“)

Als Krankheitsentität ist der hypertensive Ösophagus zumeist durch rezi-divierende retrosternale Schmerzen gekennzeichnet, häufig lässt sichanamnestisch eine „Triggerung“ der Symptomatik erkennen (z. B. Auftre-ten bei Genuss kalter Getränke). Dysphagie fehlt meistens; es besteht keinrelevanter Gewichtsverlust. Die Diagnose ist ausschließlich manometrischzu stellen (Abb. 2.6), der radiologische und endoskopische Befund ist re-gelrecht. Erhöhte Kontraktionsamplituden lassen sich gelegentlich aberauch bei asymptomatischen Personen nachweisen.

Manometrische Definition des hypertensiven Ösophagus∑ Erhöhung der (distalen) Kontraktionsamplituden (>160 mmHg)

Hinweis: Die angegeben Definitionen in der Literatur weichen beträchtlichvoneinander ab. Das Spektrum reicht vom Nachweis einer einzelnen Kon-traktion >180 mmHg im tubulären Ösophagus bis zu einer Erhöhung dermittleren Kontraktionsamplitude >120 mmHg von 10 Schluckakten bei5 cm oberhalb des UÖS. Die von uns angegebene Definition bezieht sichauf den Median von 5 Feuchtschlucken (s. Tabelle 2.1).

Abb. 2.5. Endoskopischer Befund simultaner Kontraktionen im tubulären Ösophagusbei diffusem Spasmus

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35Ösophagusmanometrie

2.6.4Gastroösophageale Refluxkrankheit

Die Diagnose wird entweder durch den endoskopischen Nachweis einerÖsophagitis oder durch den Nachweis eines vermehrten sauren Refluxesim Rahmen der pH-Metrie (s. Abschn. 1.1) gesichert. Manometrisch wur-den vielfach der Nachweis eines erniedrigten UÖS-Drucks und auch eineHypomotilität im tubulären Ösophagus beschrieben. Diese Befunde sindjedoch völlig unspezifisch. Andererseits konnte aber gezeigt werden, dassKontraktionen <30 mmHg im distalen Ösophagus zu einer signifikantenVerminderung der Transportfunktion der Speiseröhre führen. Somit dientdie Manometrie vorwiegend zur Klärung prä- und postoperativer Fragen(s. Abschn. 2.2):∑ Ist die peristaltische Aktivität des tubulären Ösophagus ausreichend?

– Distale Amplituden >40 mmHg; ≤10% simultane Kontraktionen

Abb. 2.6. Manometrischer Befund bei hypertensivem Ösophagus (sog. Nutcracker-Ösophagus)

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∑ Ist die UÖS-Funktion (sog. UÖS-Kompetenz) eingeschränkt?– Bei manueller Kompression im Epigastrium UÖS-Druckanstieg auf

weniger als das Zweifache des Ausgangsbefunds; UÖS-Ruhedruck <10mmHg.

Hinweis: Die Diagnose Refluxkrankheit wird nicht durch den mano-metrischen Befund definiert! Der klinische Stellenwert der mano-metrischen Prüfung der „UÖS-Kompetenz“ ist nicht klar definiert undwird nur von chirurgischer Seite angeführt. Pathophysiologisch ist derlangzeitmanometrische Nachweis transienter, nichtschluckinduzier-ter, UÖS-Relaxationen (mittels Sleeve-Katheter) bedeutungsvoller, die Methode hat jedoch (noch) keinen Einzug in die klinische Routine erhal-ten.

2.6.5Kollagenosen

Progressiv-systemische Sklerodermie

Die progressiv-systemische Sklerodermie (PSS) befällt die gastrointesti-nalen Organe von allen Kollagenosen am häufigsten und frühzeitig. Da sieam Ösophagus nur die glatte Muskulatur betrifft, ist die Funktion des obe-ren ösophagealen Sphinkters erhalten, wogegen die Kontraktionen derdistalen zwei Drittel des Ösophagus zunehmend hypoton werden und sichzudem eine Insuffizienz des UÖS ausbildet, deren langfristige Folge dieRefluxkrankheit darstellt. Weiterhin nimmt die Propagationsgeschwindig-keit ab. Die Ösophagusmanometrie ist der Goldstandard zum Nachweis ei-nes Speiseröhrenbefalls bei PSS (Abb. 2.7). Da die Sensitivität bei ca.80–90% liegt, wird die Manometrie als Suchtest zum Nachweis einer (ers-ten) systemischen Manifestation der Grunderkrankung bei Patienten mitsklerodermieformen Hautveränderungen eingesetzt (Konkurrenzmetho-de: Ösophagusfunktionsszintigraphie).

Manometrische Definition des systemischen Befalls bei Sklerodermie1. Reduktion der (distalen) Kontraktionsamplituden (<40 mmHg),2. Abnahme der (distalen) Propagationsgeschwindigkeit (<2 cm/s),3. Zunahme des Anteils simultaner Kontraktionen (>10%),

Bei ca. einem Drittel der Fälle nachweisbar.

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37Ösophagusmanometrie

Dermatomyositis

Im Gegensatz zur Sklerodermie befällt die Dermatomyositis seltener denÖsophagus und hier auch nur den proximalen Anteil mit der gestreiftenMuskulatur. Manometrisch findet man eine deutliche Erniedrigung desRuhedrucks des oberen Ösophagussphinkters und eine Abflachung des

Abb. 2.7. Typischer Manometriebefund bei Ösophagusbeteiligung im Rahmen einerESS. Im Vergleich zum Normalbefund (links) fast völliges Fehlen der peristaltischen Ak-tiv ität im distalen Ösophagus bei PSS (rechts).

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postrelaxativen Druckanstiegs. Weiterhin findet sich eine deutliche Er-niedrigung der Kontraktionsamplituden im proximalen Ösophagusdrittel;die distalen Anteile bleiben unbeeinflusst. Die klinische Relevanz dieserBefunde ist i. Allg. gering.

Andere Kollagenosen

Sie können im Verlauf der Erkrankung mit unspezifischen hypotonen Mo-tilitätsstörungen in Erscheinung treten, wobei selten auch der untere Öso-phagussphinkter inkompetent wird. Die peristaltische Aktivität wird inder Regel nicht gestört.

Unspezifische Motilitätsveränderungen

Sekundäre Motilitätsstörungen bei Diabetes mellitus, Alkoholismus undanderen Neuropathien: Es liegen überwiegend unspezifische Motilitäts-veränderungen vor, die zumeist keine klinische Relevanz aufweisen.

2.6.6Nichtkardialer Brustschmerz

Ätiologisch werden beim nichtkardialen Thoraxschmerz (sog. Non-car-diac chest pain-Syndrom) mehrere Faktoren diskutiert:∑ gastroösophageale Refluxkrankheit (ca. 50% der Fälle),∑ unspezifische Motilitätsstörung der Speiseröhre (ca. 20% der Fälle),

– Hypomotilität des tubulären Ösophagus,– hypertensiver UÖS,– aperistaltisches Segment des tubulären Ösophagus,

∑ idiopathisch-diffuser Ösophagospasmus (ca. 5% der Fälle),∑ hypertensiver Ösophagus („Nutcracker“; ca. 5% der Fälle),∑ (Dehnungsschmerz-) Perzeptionsstörung (?),∑ Ischämie des Ösophagus (?).

Bei einmaliger Evaluation lassen sich evtl. episodenhaft auftretende Ver-änderungen der Ösophagusmotilität nicht erfassen. Daher ist hier prinzi-piell der Langzeitmanometrie (am günstigsten gleich in Kombination mitpH-Metrie und evtl. Holter-Ekg) der Vorzug vor der stationären Manome-trie zu geben. Treten die Beschwerden mit einer Häufigkeit von weniger als1-mal/Woche auf, so ist auch die Langzeitmanometrie meist nicht in derLage eine typische Schmerzepisode zu erfassen. Dies ist aber für diese Un-

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39Ösophagusmanometrie

tersuchungstechnik wegen der großen interindividuellen Streuung derMesswerte notwendig ist, da jeder Patient als seine eigene Kontrolle fun-giert. In dieser Situation bieten sich die Provokationstests an.

Provokationstests

Edrophoniumchlorid (Tensilon-Test, Cholinesterasehemmer)Es werden 80 µg/kg KG i.v. eingesetzt. Alternativ können 10 mg Tensilonals Fixdosis injiziert werden. Ein positiver Testausfall ist durch die Repro-duktion der Patienten-typischen Beschwerden definiert. Der Test ist rechtsensitiv, aber wenig spezifisch (falsch-positive Ergebnisse). Lassen sich beieiner simultan durchgeführten Manometrie gleichzeitig Veränderungender tubulären Peristaltik (↓) und Kontraktionsamplituden (↑) nachwei-sen, mag dies die Spezifität des Testergebnisses erhöhen. Gut evaluierteUntersuchungen fehlen.

Cave: Nebenwirkungen im Sinne cholinerger Symptome.

BallondistensionstestBei diesem Test wird wie folgt vorgegangen:∑ Einbringen eines Ballons (oder auch besser Barostats) in den mittleren

Ösophagus,∑ standardisierte, schrittweise Inflation des Ballons und∑ Angabe typischer retrosternaler Schmerzen bei einem definierten Fül-

lungsvolumen.

Der Normalbereich muss wegen der sehr unterschiedlichen physikoche-mischen Eigenschaften der Ballons unbedingt selbst im eigenen Labor er-stellt werden.

Säureperfusionstest („Bernstein-Test“)Via Magensonde wird in das mittlere Drittel der Speiseröhre (in der Regel25 cm ab Zahnreihe) zunächst 0,1 M HCl mit 6–8 ml/min für ca. 5 min in-stilliert. Werden typische retrosternale Schmerzen angegeben, gilt der Testals positiv. Eine Nachinstillation von 0,9%iger NaCl sollte die Beschwerdenzum Abklingen bringen.

Hinsichtlich des Einsatzes der genannten manometrischen Methodenbei Patienten mit nichtkardialen Thoraxschmerzen ist festzuhalten, dassdie klinische Wertigkeit manometrisch nachweisbarer Veränderungen bei

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40 Oberer Gastrointestinaltrakt

solchen Patienten bis heute nicht vollständig geklärt ist. Einzig dem Nach-weis eines gastroösophagealen Refluxes (s. Kap. 1) oder einer primärenMotilitätsstörung der Speiseröhre (bei guter klinischer Selektion sehr sel-ten) scheint eine gesicherte klinische Relevanz im Hinblick auf das thera-peutische Procedere zuzukommen.

Literatur

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