Stellenwert der In-vitro-Diagnostik beim Lungenkrebs · 7 molekulare Analysen am Tumorgewebe...

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4 Medizin | In-vitro-Diagnostik beim Lungenkrebs | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 49 • 04/2016 Stellenwert der In-vitro-Diagnostik beim Lungenkrebs Dr. Thomas Muley und Prof. Dr. Felix JF Herth, Thoraxklinik, Universitätsklinikum Heidelberg Die Mehrzahl der Lungentumoren entwi- ckelt sich aus den Zellen der Schleimhaut, die die Bronchien auskleidet. Hauptursache des Lungenkarzinoms ist mit über 80 % das inhalative Rauchen. Das Erkrankungsrisiko steigt mit der Dauer des Rauchens und der Anzahl der konsumierten Zigaretten. Für Aktivraucher ist das Lungenkrebsrisiko im Vergleich zu Nichtrauchern etwa 20-fach erhöht. Weitere Ursachen stellen das Passiv- rauchen und der Kontakt mit berufsbeding- ten Karzinogenen (z. B. Asbest, Quarzstäube, Arsen, Chromate, Nickel, aromatische Koh- lenwasserstoffe) sowie mit Umweltschad- stoffen (z. B. Dieselruß, Feinstäube, Radon) dar. Eine bessere Kenntnis der genetischen Prädisposition könnte in Zukunft Risikopa- tienten identifizieren. 2 Problematische Früherkennung Lungenkarzinome verursachen in frühen Sta- dien selten Beschwerden und werden dann meist zufällig bei radiologischen Routineun- tersuchungen entdeckt. In der Regel führen erst unspezifische Symptome wie anhalten- der Husten, Atemnot, Abgeschlagenheit und Gewichtsverlust zur Abklärung. Dann aller- dings besteht meist eine bereits fortgeschrit- tene Krebserkrankung. Derzeit sind fast 70 % der Patienten zum Zeitpunkt der Diagnosestel- lung inoperabel und können lediglich in pal- liativen Therapieansätzen behandelt werden. Klassische serologische Tumormarker wie CEA, CYFRA 21-1, NSE, ProGRP oder SCC* sind für Screening oder Früherkennung des Lungenkarzinoms aktuell keine Alternative – aufgrund ihrer mangelnden Organspezi- fität und infolge unzureichender diagnosti- scher Effizienz (Sensitivität, Spezifität) bei geringer Prävalenz des Lungenkarzinoms in der Allgemeinbevölkerung. Dagegen wird derzeit geprüft, ob die soge- nannte Niedrigdosis („low dose“) Computer- tomographie ein Verfahren darstellt, welches eine frühe Detektion in Hochrisikogruppen (z. B. Raucher) zulässt. Erste US-amerikani- sche Studien 3 weisen darauf hin, Bestätigungs- studien werden in diesem Jahr publiziert. Diagnose und Differentialdiagnose Goldstandard für Diagnose und Differential- diagnose aber auch für Staging, Therapiewahl Seit vielen Jahren ist Lungenkrebs eine der am häufigsten diagnostizierten bösartigen Erkran- kungen des Menschen. Weltweit gibt es jährlich ca. 1,4 Millionen Neuerkrankungen. Im Jahr 2016 werden schätzungsweise über 50.000 Menschen in Deutschland diese Diagnose neu erhalten. Lungenkrebs ist sowohl bei Männern als auch bei Frauen eine der führenden krebs- bedingten Todesursachen. Mit einer 5-Jahres- Überlebensrate von unter 20 % hat Lungenkrebs eine der schlechtesten Prognosen. 1 Gezielte therapeutische Ansätze, basierend auf der Ana- lyse spezifischer Biomarker sowie der Einsatz hochsensitiver diagnostischer Verfahren sollen helfen, die Prognose von Lungenkrebspatien- ten zu verbessern. Wichtigste Säule für die Erkennung, Beurteilung und Behandlung von Lungenkrebs sind verschiedene bildgebende Verfahren. Darüber hinaus kann die In-vitro- Diagnostik (Gewebediagnostik, molekulare Verfahren, Serummarker), insbesondere bei der Therapieauswahl, der Prognose und der Verlaufskontrolle, klinisch relevante Fragestel- lungen abdecken. Der Beitrag beschreibt den derzeitigen Stellenwert der In-vitro-Diagnos- tik beim Lungenkarzinom und zeigt mögliche zukünftige Potenziale auf. fotolia/SZ-Designs Hauptursache des Lungenkarzinoms ist mit über 80 % das inhalative Rauchen.

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Medizin | In-vitro-Diagnostik beim Lungenkrebs | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 49 • 04/2016

Stellenwert der In-vitro-Diagnostik beim Lungenkrebs Dr. Thomas Muley und Prof. Dr. Felix JF Herth, Thoraxklinik, Universitätsklinikum Heidelberg

Die Mehrzahl der Lungentumoren entwi-ckelt sich aus den Zellen der Schleimhaut, die die Bronchien auskleidet. Hauptursache des Lungenkarzinoms ist mit über 80 % das inhalative Rauchen. Das Erkrankungsrisiko steigt mit der Dauer des Rauchens und der Anzahl der konsumierten Zigaretten. Für Aktivraucher ist das Lungenkrebsrisiko im Vergleich zu Nichtrauchern etwa 20-fach erhöht. Weitere Ursachen stellen das Passiv-rauchen und der Kontakt mit berufsbeding-ten Karzinogenen (z. B. Asbest, Quarzstäube, Arsen, Chromate, Nickel, aromatische Koh-lenwasserstoffe) sowie mit Umweltschad-stoffen (z. B. Dieselruß, Feinstäube, Radon) dar. Eine bessere Kenntnis der genetischen Prädisposition könnte in Zukunft Risikopa-tienten identifizieren.2

Problematische Früherkennung Lungenkarzinome verursachen in frühen Sta-dien selten Beschwerden und werden dann meist zufällig bei radiologischen Routineun-tersuchungen entdeckt. In der Regel führen erst unspezifische Symptome wie anhalten-der Husten, Atemnot, Abgeschlagenheit und Gewichtsverlust zur Abklärung. Dann aller-

dings besteht meist eine bereits fortgeschrit-tene Krebserkrankung. Derzeit sind fast 70 % der Patienten zum Zeitpunkt der Diagnosestel-lung inoperabel und können lediglich in pal-liativen Therapieansätzen behandelt werden.

Klassische serologische Tumormarker wie CEA, CYFRA 21-1, NSE, ProGRP oder SCC* sind für Screening oder Früherkennung des Lungenkarzinoms aktuell keine Alternative – aufgrund ihrer mangelnden Organspezi-fität und infolge unzureichender diagnosti-scher Effizienz (Sensitivität, Spezifität) bei geringer Prävalenz des Lungenkarzinoms in der Allgemeinbevölkerung.

Dagegen wird derzeit geprüft, ob die soge-nannte Niedrigdosis („low dose“) Computer-tomographie ein Verfahren darstellt, welches eine frühe Detektion in Hochrisikogruppen (z. B. Raucher) zulässt. Erste US-amerikani-sche Studien3 weisen darauf hin, Bestätigungs-studien werden in diesem Jahr publiziert.

Diagnose und DifferentialdiagnoseGoldstandard für Diagnose und Differential-diagnose aber auch für Staging, Therapiewahl

Seit vielen Jahren ist Lungenkrebs eine der am häufigsten diagnostizierten bösartigen Erkran-kungen des Menschen. Weltweit gibt es jährlich ca. 1,4 Millionen Neuerkrankungen. Im Jahr 2016 werden schätzungsweise über 50.000 Menschen in Deutschland diese Diagnose neu erhalten. Lungenkrebs ist sowohl bei Männern als auch bei Frauen eine der führenden krebs-bedingten Todesursachen. Mit einer 5-Jahres- Überlebensrate von unter 20 % hat Lungenkrebs eine der schlechtesten Prognosen.1 Gezielte therapeutische Ansätze, basierend auf der Ana-lyse spezifischer Biomarker sowie der Einsatz hochsensitiver diagnostischer Verfahren sollen helfen, die Prognose von Lungenkrebspatien-ten zu verbessern. Wichtigste Säule für die Erkennung, Beurteilung und Behandlung von Lungenkrebs sind verschiedene bildgebende Verfahren. Darüber hinaus kann die In-vitro-Diagnostik (Gewebediagnostik, molekulare Verfahren, Serummarker), insbesondere bei der Therapieauswahl, der Prognose und der Verlaufskontrolle, klinisch relevante Fragestel-lungen abdecken. Der Beitrag beschreibt den derzeitigen Stellenwert der In-vitro-Diagnos-tik beim Lungenkarzinom und zeigt mögliche zukünftige Potenziale auf.

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Hauptursache des Lungenkarzinoms ist mit über 80 % das inhalative Rauchen.

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Diagnostik im Dialog • Ausgabe 49 • 04/2016 | In-vitro-Diagnostik beim Lungenkrebs | Medizin

array-basierte Genexpressionsanalysen, PCR-basierte Techniken, Analysen epige-netischer DNA-Veränderungen) erlauben neuerdings die molekulare Analyse von asservierten Gewebeproben und von zir-kulierenden freien Nukleinsäuren (DNA, RNA) oder Tumorzellen im Blut. Die Vali-dität für einen Routineeinsatz im diagnosti-schen Repertoire muss sich in den nächsten Jahren zeigen.

Mangels Organspezifität gibt es keine zir-kulierenden klassischen Tumormarker, die eine lokale Eingrenzung des Tumorgesche-

hens auf die Lunge erlauben. Ihr Stellenwert in der Primärdiagnostik ist daher begrenzt.8 Dennoch können Tumormarkerpanel aus CYFRA 21-1, CEA, SCC, NSE und proGRP in Verbindung mit bildgebenden und his-tologischen Verfahren die Primärdiagnostik unterstützen, z. B. bei derO Differenzierung zwischen maligner und

benigner Lungenerkrankung9

O Typisierung zwischen kleinzelligem (SCLC) und nicht-kleinzelligem Lungen-karzinom (NSCLC). Hier wird in jünge-rer Zeit ProGRP als vielversprechender Marker für SCLC diskutiert.9–11

und Verlaufskontrolle des Lungenkarzinoms sind die bildgebenden Verfahren Röntgen-Thorax, Computertomografie (CT), Posi- tronenemissionstomografie (PET), Magnet- resonanztomografie (MRT) und Sonografie, ergänzt durch histo- und molekularpatholo-gische Untersuchungen (Abb. 1, 2).4,5

Die feingewebliche Einordung des Tumors liegt in der Verantwortung des Pathologen. Sie erfolgt in der Regel anhand von Gewebe-proben, die bronchoskopisch, z. B. durch Zan- genbiopsie, Kryobiopsie, Feinnadelbiopsie oder aber unter CT-gesteuerter perkutaner Nadelbiopsie gewonnen werden. Folgende Fragen sind zu klären:O Enthält die eingesandte Gewebeprobe

Tumorzellen? Wenn ja: Sind diese gut- oder bösartig?

O Welche Krebsart liegt vor? O Welchen Differenzierungsgrad hat der

Tumor (sogenanntes „Grading“)? O Welche Hinweise auf die Wachstumsge-

schwindigkeit ergeben sich? O Tragen die Krebszellen Merkmale, bei-

spielsweise genetische Veränderungen oder Bindungsstellen für Wachstums- faktoren und Hormone?

Um möglichst sparsam mit den geringen Geweberessourcen umzugehen, können immunohistochemische Doppelfärbungen mit spezifischen Antikörpern zur Erhebung oder Bestätigung der histologischen Diag-nose durchgeführt werden.6,7 Die histolo-gische Typisierung folgt den Kriterien der WHO/IARC (Tab. 1). Zielmoleküle für die Differentialdiagnose sind:O Marker des Adeno-CA:

Thyroid Transcription Factor (TTF)-1, Cytokeratin (CK) 7, Napsin A

O Marker des Plattenepithel-CA: CK5/6, p40, p63

O Neuroendokrine Differenzierung: CD56, Synaptophysin, Chromogranin A, (NSE)

O Proliferationsmarker: Ki67

Empfindliche molekulare Techniken („Next Generation Sequencing“-Verfahren, Mikro-

Abb. 1: Empfohlener diagnostischer Ablauf beim Lungenkarzinom nach S3-Leitlinie

Verdacht auf Lungenkarzinom

CT Thorax/Oberbauch

Bronchoskopie

Keine Fernmeta-stasen, potenziell respektabel und

operabel?

jaPleuraerguss?

jaZytologie positiv?

Konservative Therapie, ggf.

Pleurodese

ja

nein

Konservative Therapie

ja

PET-CT

nein

nein

Thorakoskopie

neinPleurakarzinose?

ja

Fernmetastasen?

nein

Vd. auf kontra-lateralen Lymph-

knotenbefall?

nein

ja Endobronchialer oder endoösophagealer Ultraschall mit Feinnadelbiopsie,

Mediastinoskopie oder VATS

Stadium IIIA3 oder IIIA4

ja N2-Status prätherapeutisch

positiv?

nein

nein

N3 positiv?ja

Therapie gemäß Algorithmus

NSCLC Stadium IIIB

Therapie gemäß Algorithmus

NSCLC Stadium IIIA

Therapie gemäß Algorithmus NSCLC Stadium I/II bzw. bei postoperativ vorliegendem

Stadium IIIA1 oder IIIA2 gemäß Algorithmus NSCLC Stadium IIIA

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Abb. 2: Darstellung von Lungenkarzinomen mit bildgebenden Verfahren (Quelle: Thoraxklinik Heidelberg). (A) Röntgenbild mit Verdacht auf Tumor rechts, (B) CT mit Tumor im linken unteren Lungenlappen mit (C) korrespondierendem PET, (D) Tumor endobronchial.

StadieneinteilungNach der Diagnose „Lungenkarzinom“ erfolgt anhand der Tumorgröße und dem lokalen Infiltrationsverhalten (T), der Lymphknotenbeteiligung (N) und eventu-eller Fernmetastasen (M) die Einteilung in ein Tumorstadium (TNM-Stadium). Das Stadium ist der aussagekäftigste prognosti-sche Faktor für den Patienten und leitet das weitere therapeutische Vorgehen.

Die serologischen Tumormarker steigen mit zunehmendem TNM-Stadium generell an. Die Ergebnisse mehrerer Studien lassen allerdings nur die Aussage zu, dass hohe Markerwerte in der Regel auf späte Stadien hinweisen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind deshalb klassische Biomarker zum Sta-diieren nicht hilfreich.12

Therapieselektion und -steuerung In der klinischen Routine werden im Rah-men der Primärdiagnostik (s. o.) kleinzel-lige (SCLC) und nicht-kleinzellige Lungen-karzinome (NSCLC) unterschieden, was auch die Therapieselektion steuert.

SCLC: In der Behandlung des rasch wach-senden und frühzeitig metastasierenden SCLC ist eine Operation meist nicht ziel-führend. Hier stehen die primäre Chemo- und Strahlentherapie, simultan oder sequen-ziell im Mittelpunkt. Obwohl auch für das SCLC in jüngster Zeit zahlreiche genetische Veränderungen im Tumor als potenzielle Zielstrukturen beschrieben wurden,13,14 gibt es für diese Tumorentität noch keine ziel-gerichteten Therapien. Ein längerfristiges Überleben stellt trotz aller Anstrengungen eine Rarität dar, die meisten Patienten ver-sterben innerhalb von zwei Jahren.

NSCLC: Im frühen Stadium (Ia–IIIa) des NSCLC ist das Behandlungsziel die voll-ständige operative Enfernung des Tumors.

In gewissen Stadien lässt sich mittels adju-vanter Chemotherapie ein längerfristiger Heilungserfolg erzielen. Hierfür könnte die Selektion von Patienten mit erhöh-tem Rezidivrisiko (ca.  30–60  %) hilfreich sein. Für Tumormarker, wie z.  B. CEA und CYFRA  21-1, wurde ein diesbezüg-licher Nutzen für die Therapiestratifizie-rung beschrieben (Abb.  3).15-17 Diese ein-fach zu bestimmenden Parameter können gegenüber den alleinigen stadienbasierten Modellen einen deutlichen Vorteil bei der postoperativen Risikoklassifizierung lie-fern. Gewebebasierte Ansätze zur therapie- relevanten Abschätzung eines Rezidivrisi-kos, z. B. Genexpressionsanalysen im Tumor, haben zu einer Vielzahl unterschiedlicher „Gensignaturen“ geführt, von denen sich jedoch bisher keine in der täglichen Routine etablieren konnte.18–21 Limitationen liegen in den hohen technischen, analytischen und bioinformatischen Anforderungen dieser Verfahren.

Im fortgeschrittenen Tumorstadium (IIIa/b) erfolgt ohne Vorliegen von Metastasen eine Kombination aus Chemo- und Strahlen- therapie, im metastasierten Stadium oft eine alleinige Chemotherapie. Die Thera-piesteuerung inoperabler Patienten wird meist durch die Ergebnisse der Histo- und Molekularpathologie definiert.22 Insbeson-dere beim Vorliegen eines Adenokarzinoms (Untergruppe des NSCLC) sind zusätzliche

Bildgebung – unverzichtbar für die

Erkennung, Beurteilung und Behandlung von

Lungenkrebs.

Tab. 1: Histologische Subtypen des Lungen-karzinoms

Subtyp Varianten

Plattenepithel- karzinom

papillär

klarzellig

kleinzellig

basaloid

Adenokarzinom azinär

papillär

lepidisch (Unterformen: nicht-muzinös, muzinös, gemischt-muzinös)

solides mit Schleim- bildung

Großzelliges Karzinom

großzelliges neuro- endokrines Karzinom

basaloides Karzinom

Adenosquamöses Karzinom

Kleinzelliges Karzinom

Karzinoidtumor typisches

atypisches

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molekulare Analysen am Tumorgewebe sinnvoll. Hierbei kommen neben der Stan-dard-Sequenzierung nach Sanger und der Fluoreszenz In-situ-Hybridisierung (FISH) zunehmend Next-Generation-Sequencing (NGS)-Verfahren zum Einsatz, was die gleichzeitige Mutationsanalyse mehrerer Gene ermöglicht.

Da für zahlreiche Treibermutationen (EGFR, EML4-ALK, ROS1, BRAF, cMET, usw.) bereits selektive Wirkstoffe existieren, kön-nen die molekularpathologischen Ergebnisse direkt zu zielgerichteten Therapien („Targe-ted Therapy“, „Precision Medicine“) füh-

ren.22,23 Das Cancer-Genome-Atlas-Projekt (TCGA) (www.TCGA.gov) hat durch die Sequenzierung aller wichtigen Tumorenti-täten und Subhistologien einen wesentlichen Beitrag geliefert, der die Diagnostik und Therapie auch von Lungenkrebs zukünftig schneller voranbringen wird.13,14,24–26

Auch neuere Ansätze in Richtung Immun-therapie des Lungenkarzinoms mittels sogenannter „Checkpoint-Inhibitoren“ erfordern die Immunhistochemie. Parame-ter sind hierbei das „Programmed Death 1“ (PD1)-Protein oder die „PD-L1“ (Ligand 1)- Antigenexpression im Tumorgewebe. Aktu-ell wird diskutiert, ab welchem Grad der Gewebeexpression eine Therapie erfolgver-sprechend erscheint. Die Anwendung erfolgt derzeit im Rahmen klinischer Studien.

Aktuelle Entwicklungen bedienen sich im Rahmen der Therapieselektion des Nach-weises spezifischer Mutationen durch soge-nannte „Liquid Biopsy“ (besser: "Liquid Profiling") im Blut**. Diese Methode ist der-zeit noch in der Entwicklung, bietet jedoch langfristig die Perspektive, herkömmliche Gewebeanalysen in definierten Bereichen der molekularen Tumorcharakterisierung zu ersetzen.

PrognoseWie oben erwähnt ist das TNM-Stadium des Tumors der Prognoseparameter mit der

höchsten Aussagekraft. Neben klinischen Faktoren wurde eine Vielzahl prognostisch relevanter Biomarker unterschiedlicher Substanzklassen beschrieben.27,28 Univariant sowie multivariant angelegte Studien weisen darauf hin, dass auch klassische Tumormar-ker zur Prognose des Tumorleidens heran-gezogen werden können.29

O Bei Patienten mit NSCLC haben das mehreren Studien für CYFRA 21-1, CEA oder deren Kombination gezeigt. Bei-spielsweise war in einer internationalen Multicenter-Studie die 5-Jahres-Über-lebenswahrscheinlichkeit bei normalen prätherapeutischen CYFRA 21-1-Kon-zentrationen signifikant besser als bei erhöhten Werten.30 Auch erhöhtes NSE zeigt eine ungünstige Prognose an, vor allem bei Patienten mit nachgewiesener Fernmetastasierung.30

O Bei SCLC-Patienten sind die Höhe der NSE- oder ProGRP-Spiegel sowie die Aktivität der LDH mitverantwortlich für die Prognose.9,31,32

VerlaufskontrolleEine potenzielle Hauptindikation für den Einsatz der klassischen Tumormarker liegt in der Verlaufs- und Therapiekontrolle. Die Erfassung der Tumormarkerkinetik erlaubt eine objektive Einschätzung der therapeu-tischen Effektivität. Das posttherapeuti-sche Monitoring kann auf eine Änderung des Tumorverhaltens hinweisen und der

Abb. 3: Überlebenswahrscheinlichkeit operierter p-Stadium I-II NSCLC-Patienten in Abhängigkeit vom Tumormarkerindex (TMI) basierend auf prätherapeutischen CYFRA 21-1- und CEA-Werten.15 Erhöhte Werte eignen sich zur Empfehlung einer adju-vanten Chemotherapie. TMI ≤ 0,54 (n = 71, schwarze Linie) TMI > 0,54 (n = 174, graue Linie)

Zeit (Monate)

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Weitere Ursachen für Lungenkrebs: Umweltschadstoffe und berufsbedingter Kontakt mit Karzinogenen.

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Abb. 5: Verlaufskontrolle eines mit Chemo- und Radiotherapie behandelten Patienten mit inoperablem Adenokarzinom (T4N3M1). Trotz partieller Remission steigen die CYFRA 21-1-Kon-zentrationen stetig und zeigen 60 Tage vor dem klinischen Befund die Progression an. Bemerkens- werterweise fallen die CEA-Werte kontinuierlich ab, sie weisen somit auf eine Tumorzellensubpopula-tion hin, die sensitiv auf die Chemo- bzw. Radiotherapie reagiert. PR= Partielle Remisson, NC = No Change (keine Änderung ggü. Vorbefund), PD = Progression, M = Metastase, Pfeile = Beginn eines Therapiezyklus, Dreiecke = Zeitpunkte der Bewertung (Quelle: Thoraxklinik Heidelberg)

Früherkennung eines Rezidivs dienen. Die Longitudinal-Beurteilung des Konzentra- tionsverlaufs serieller Markerbestimmun-gen ist ferner als differentialdiagnostisches Kriterium bei symptomatischen Patienten mit pathologischen Tumormarkerwerten indiziert (Abb. 4–6).

Abhängig von der Primärhistologie emp-fiehlt sich O für SCLC: NSE vermutlich in Kombina-

tion mit ProGRP und CEA O für NSCLC: Cytokeratinmarker

(z. B. CYFRA 21-1, SCC) und CEA.

Leider gibt es es zum Thema Verlaufskon- trolle wenige systematische Untersuchungen. Erste Ergebnisse einer internationalen pro-spektiven Multicenterstudie zu ProGRP als Monitoring-Marker beim SCLC erscheinen vielversprechend.32 Eine weitere internati-onale Multicenterstudie setzt sich mit der Wertigkeit eines serologischen Multimarker-panels in der Verlaufskontrolle des NSCLC auseinander. Hier ist mit ersten Ergebnissen frühstens 2017 zu rechnen.

Grundsätzlich gilt: Zur korrekten Inter-pretation der Markerbewegungen bedarf es valider Kenntnisse über die Eliminati-onshalbwertszeit (1–8 Tage) und die Inter- assay-Varianz (bis 10 %) sowie die indivi-duelle biologische Varianz. Bei Chemo-/Radiotherapie ist die Freisetzung der Mar-ker durch Zellnekrose, die zur kurzzeitigen Bildung sogenannter "Spikes" Anlass geben können, zu beachten Die Chemotherapie kann die Markersynthese aber auch ohne gleichzeitige Reduktion der Tumormasse unterdrücken.10

FazitDie In-vitro-Diagnostik hat im diagnos-tischen und therapeutischen Konzept des Lungenkarzinoms einen festen Stellenwert. Die Immunhistochemie steht zusammen mit der morphologischen Beurteilung im Zentrum der pathologischen Differenzial-

Abb. 4: Serielle CEA- und CYFRA 21-1-Analysen bei einem Patienten mit Adenokarzinom im rechten Oberlappen. Nach kurativer Lobektomie und mediastinaler Lymphknotendissektion (pT2N0M0/R0) fallen die Markerwerte in den Normbereich ab. Ca. 100 Tage nach Operation steigt CYFRA 21-1 im Gegensatz zu CEA wieder an, um ein Plattenepithelkarzinom als Zweittumor im linken Oberlappen anzuzeigen. Nach atypischer Segmentresektion und Lymphknotendissektion (pT1N1M0/R0) fällt CYFRA 21-1 in Richtung Normbereich ab (Quelle: Thoraxklinik Heidelberg)

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Korrespondenzadressen

Dr. Thomas MuleyLeiter Biobank und TumordokumentationSektion Translationale Forschung (STF)thomas.muley@ med.uni-heidelberg.de

Prof. Dr. med. Felix HerthMedizinischer Geschäftsführer Chefarzt der Abteilung Innere Medizin – Pneumologiefelix.herth@ med.uni-heidelberg.de

Thoraxklinik Universitätsklinikum Heidelberg Röntgenstr. 1, 69126 Heidelberg www.thoraxklinik-heidelberg.de

Beide Autoren sind Mitglieder im Deutschen Zentrum für Lungenforschung (DZL)

diagnose. Sanger-Sequenzierung und FISH- Analysen sind wichtige Größen in der molekularen Gewebe-Subtypisierung und dienen der Stratifizierung für zielgerichtete Therapieansätze. NGS- und Hochdurchsatz-Verfahren ersetzen zunehmend klassische molekulare Analysen im pathologischen Labor, sind aktuell jedoch noch vorwiegend in spezialisierten Zentren und im Rahmen von Studien anzutreffen.

Der Einsatz klassischer Tumormarker in der klinischen Routine wird von Klinikern kontrovers diskutiert. Es ist unbestritten, dass Tumormarkerstimmungen nur dann sinnvoll sind, wenn aus dem Ergebnis Konsequenzen für Diagnostik oder The-rapie abgeleitet werden können. Tumor-marker können – als Einzelparameter oder als erweitertes Markerpanel – für folgende Anwendungsgebiete eine preisgünstige Alternative oder unterstützende Maß-nahme darstellen:

O Unterstützung der Bildgebung und Pathologie in der primären Diagnostik

O Risikostratifizierung operierter NSCLC-Frühstadien für eine adjuvante Chemo-therapie

O Perioperative Markeranalysen und serielle Analysen in der Nachsorge

O Verlaufskontrolle des SCLC unter Chemo-/Radiotherapie anhand serieller NSE-/proGRP-Bestimmungen

O Verlaufskontrolle inoperabler NSCLC-Patienten unter Chemo-/Radio- therapie anhand serieller Analysen mit CYFRA 21-1, CEA (und SCC).

* CEA: Carcinoembryonales Antigen CYFRA 21-1: Cytokeratinfragment NSE: Neuronspezifische Enolase SCC: Squamous cell carcinoma Antigen Pro-GRP: Pro-Gastrin-Releasing-Peptid

** s. Artikel Laßmann, Werner „Flüssigbiopsie in der Molekularpathologie“ auf S. 10 in diesem Heft.

Abb. 6: Serielle NSE-Bestimmungen bei einem Patienten (männlich, 61 Jahre) mit SCLC, Oat-cell-Subtyp, im Stadium T4N2M1 (Metastase im Schädelknochen) unter Chemothera-pie. Prätherapeutisch erhöhtes NSE fällt in den Normbereich ab. Noch in der Remissionsphase von ca. 300 Tagen steigt NSE mit einer Vorwarnzeit von ca. 50 Tagen vor klinischer Feststellung des Rezidives wieder an. PR = Partielle Remisson, CR = Komplette Remission, NC = No Change, PD =Progression, Pfeile 1–6 = Beginn der Therapiezyklen, Dreiecke = Zeitpunkte der Bewertung (Quelle Thoraxklinik Heidelberg)

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