Steuern und Regeln von chemischen Reaktoren · System bei einem Ausfall des Primären stoßfrei...

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Steuern und Regeln von chemischen Reaktoren Robert Haber Inhalt Einleitung ......................................................................................... 2 Rohrleitungs- und Instrumentierungsießbild .................................................. 2 Binäre Steuerung ................................................................................ 8 Ablaufsteuerung eines Batch-Reaktors ......................................................... 12 Basisregelungen und Erweiterungen ............................................................ 14 Regelungsstrukturen für kontinuierlich betriebene, chemische Reaktoren ...................... 17 Prädiktive Mehrgrößenregelung eines Reaktors ................................................. 31 Literatur ........................................................................................... 34 Zusammenfassung In der Verfahrenstechnik werden Automatisierungsstrukturen mit Rohrleitungs- und Instrumentierungsießbildern dargestellt. Nach der Vorstellung verschiede- ner Regelungsstrukturen wird ihre Anwendung auf die gebräuchlichen, kontinu- ierlich betriebenen, chemischen Reaktortypen gezeigt und erklärt. Die einfachen Schaltfunktionen können im R&I-Fließbild dargestellt werden, jedoch sequenzi- elle Steuerungen nicht. Die Ablaufsteuerung wird exemplarisch für die Abwas- serneutralisation im Batchbetrieb vorgestellt. Schlüsselwörter Ablaufsteuerung · Chemischer Reaktor · Prädiktive Regelung · Rohrleitungs- und Instrumentierungsießbild · R&I-Fließbild · Regelung · Regelungsstruktur · Steuerung Die erste Version dieses Beitrags wurde verlagsseitig nicht korrekt umgesetzt, dies wurde mit dieser neuen Version nun korrigiert. R. Haber (*) Institut für Anlagen- und Verfahrenstechnik, Technische Hochschule Köln, Köln, Deutschland E-Mail: [email protected] # Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 W. Reschetilowski (Hrsg.), Handbuch Chemische Reaktoren, Springer Reference Naturwissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56444-8_19-2 1

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Steuern und Regeln von chemischenReaktoren

Robert Haber

InhaltEinleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2Rohrleitungs- und Instrumentierungsfließbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2Binäre Steuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8Ablaufsteuerung eines Batch-Reaktors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12Basisregelungen und Erweiterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14Regelungsstrukturen für kontinuierlich betriebene, chemische Reaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17Prädiktive Mehrgrößenregelung eines Reaktors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

ZusammenfassungIn der Verfahrenstechnik werden Automatisierungsstrukturen mit Rohrleitungs-und Instrumentierungsfließbildern dargestellt. Nach der Vorstellung verschiede-ner Regelungsstrukturen wird ihre Anwendung auf die gebräuchlichen, kontinu-ierlich betriebenen, chemischen Reaktortypen gezeigt und erklärt. Die einfachenSchaltfunktionen können im R&I-Fließbild dargestellt werden, jedoch sequenzi-elle Steuerungen nicht. Die Ablaufsteuerung wird exemplarisch für die Abwas-serneutralisation im Batchbetrieb vorgestellt.

SchlüsselwörterAblaufsteuerung · Chemischer Reaktor · Prädiktive Regelung · Rohrleitungs-und Instrumentierungsfließbild · R&I-Fließbild · Regelung · Regelungsstruktur ·Steuerung

Die erste Version dieses Beitrags wurde verlagsseitig nicht korrekt umgesetzt, dies wurde mit dieserneuen Version nun korrigiert.

R. Haber (*)Institut für Anlagen- und Verfahrenstechnik, Technische Hochschule Köln, Köln, DeutschlandE-Mail: [email protected]

# Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019W. Reschetilowski (Hrsg.), Handbuch Chemische Reaktoren, Springer ReferenceNaturwissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56444-8_19-2

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Einleitung

Zu den Aufgaben der Automatisierung gehören Messverfahren, Stelleingriffe, binäreSteuerungs- und Schaltfunktionen und auf Messungen der Prozessgrößen basierteRegelungen. Ebenfalls wichtig sind die sicherheitsgerichteten Abschaltungen. DasZiel ist es diese Funktionen für verschiedene chemische Reaktortypen – teils exem-plarisch – vorzustellen.

Alle chemischen Reaktoren besitzen eine Art von sequenziellem Ablauf, auch diekontinuierlich betriebenen Reaktoren müssen hoch- und heruntergefahren werden.Daher wird die Ablaufsteuerung vorgestellt, sowohl allgemein als auch konkret fürdie Batch-Reaktion einer Industrieabwasser-Neutralisation in einem Rührkessel-reaktor. Hier werden die Zusammenhänge zwischen Weiterschaltbedingungen undden Schritten mit den Befehlen gezeigt. Ebenfalls wird die Fehlerbehebung für denFall gezeigt, wenn eine Transition in einer vorgegebenen Überwachungszeit nichterfüllt wird.

Messungen, Stelleingriffe, Regelungen und Sicherheitssteuerungen werden mitRohrleitungs- und Instrumentierungsfließbildern (R&I-Fließbildern) dargestellt.Daher werden die normgerechten Darstellungsregeln ebenfalls vorgestellt.

Eine weitere Gemeinsamkeit von chemischen Reaktoren ist, dass sie Regelungen(mindestens eine Temperaturregelung) beinhalten. Die einfache Regelung kannhinsichtlich einer besseren Störgrößenunterdrückung erweitert werden. Oft müssenchemische Reaktoren am Anfang erwärmt und später gekühlt werden. Deswegenwird gezeigt, wie das Stellsignal zwischen zwei Stelleingriffen aufgeteilt (so genanntgesplittet) werden kann. Reaktanten werden abhängig von der erwünschten Reaktionoder von einer Messgröße nach einem Verhältnis dosiert. Diese und weitere sogenannte, „vermaschte“ Regelungen werden anhand eines Mischprozesses gezeigt.

Entsprechend der Vielfalt der kontinuierlich betriebenen, chemischen Reaktortypenwerden deren unterschiedlichen Regelungsstrukturen vorgestellt und erklärt. Hierbeiwerden die wesentlichen Verfahrensschritte mit den zugehörigen Regelkreisen fürRührkesselreaktoren, Rohrreaktoren, Festbettreaktoren und den Wirbelschichtreaktorbehandelt.

Modellbasierte prädiktive Regelung ist ein modernes Verfahren gekoppelteMehrgrößenprozesse unter Berücksichtigung von Begrenzungen optimal zu regeln.Das Prinzip wird anhand eines Hordenreaktors vorgestellt.

Rohrleitungs- und Instrumentierungsfließbild

Die Norm DIN EN 19227, Teil 1 für Rohrleitungs- und Instrumentierungsfließbilder(in Englisch Piping and Instrumentation Diagram) kurz R&I-Fließbilder wurde in2010 durch DIN EN 62424 (VDI 0810-24) abgelöst. Abb. 1 zeigt eine Füllstands-regelung nach beiden Normen und Tab. 1 weist auf die Unterschiede hin (DIN EN19227-1:1993-10; DIN EN 62424:2017-12).

2 R. Haber

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Tab. 2 fasst die Erstbuchstaben für die physikalischen Größen und Tab. 3 dieFolgebuchstaben der deutschen R&I-Normen zusammen (DIN EN 19227-1:1993-10;DIN EN 62424:2017-12).

In den Fließbildern der Stellantriebe kann man die Sicherheitsstellungen ablesen,siehe Tab. 4 (DIN EN 19227-1:1993-10).

Im Folgenden wird die zurzeit gültige Norm DIN EN 62424 behandelt undangewendet. Tab. 5 zeigt die Kennbuchstaben für die Ansteuerung von Stellgerätenund Motoren (DIN EN 62424:2017-12).

In den R&I-Fließbildern werden die Linien zwischen den Ovalen gestricheltgezeichnet und mit Pfeil versehen. Die Wirklinie wird zwischen Messstelle undMesswertverarbeitung (z. B. Anzeige, Regler) und zwischen Stellgeräte/Motorsteue-rung und Stellgerät durchgezogen.

Die Folgebuchstaben A, H, L, O, S und Z werden rechts, außerhalb des Ovalstief- oder hochgestellt platziert. Links vom Oval können Unterlieferant, Typical-kennzeichnung und Geräteinformation angegeben werden. Letztere ist wichtig, weilman aus der Bezeichnung A (Qualität) nicht weiß, ob es um welche Qualität(pH-Wert, Leitfähigkeit usw.) handelt. Die Schaltbefehle S und Z führen mit gestri-chelten Linien zum Teil über Leitfunktionen zu den Stellorgangen.

a bYC103

LIC102

VC103

VV101

LC102

LT101

VC103

VV101

Abb. 1 Füllstandsregelung (a) nach DIN EN 62424 und (b) DIN EN 19227, Teil 1 (# RobertHaber)

Tab. 1 Vergleich der Normen DIN EN 62424 und DIN EN 19227, Teil 1

Funktion DIN EN 62424 DIN EN 19227, Teil 1

Messumformer (Folgebuchstabe T) nicht erlaubt erlaubt

Wirklinie vom Regler zum Stellsignal mit Pfeil ohne Pfeil

Stellgerätesteuerung/Motorsteuerung mit Oval fehlt

Funktionen A, H, L, O, S, Z außerhalb von Oval im Kreis

GMP, sicherheits- oder qualitätsrelevant Symbole vorhanden keine Symbole

Komplexe PLT-Funktion im PLS Sechseck unüblich

Steuern und Regeln von chemischen Reaktoren 3

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Tab. 2 Erstbuchstaben für die physikalischen Größen in den deutschen R&I-Normen

Erstbuchstabe

nach DIN EN 62424 nach DIN EN 19227, Teil 1

Englisch Deutsch English Deutsch

A Analysis Analyse — —

B Flamemonitoring

Flammenüberwachung — —

C Users’ choice Frei verwendbar — —

D Density Dichte Density Dichte

E Voltage Spannung Electricalvariable

Elektrische Größe

F Flow Rate Durchfluss Flow rate Durchfluss

G Gauge Stellung, Länge Gauge Stellung, Länge

H Manualactuation

Handeingabe Manualactuation

Handeingabe

I Current Strom — —

J Power Elektr. Leistung — —

K Time-basedfunction

Zeitbasierte Funktion Time (plan) Zeit (plan)

L Level Füllstand Level Füllstand

M Moisture Feuchte Moisture Feuchte

N Electricactuation,e.g. drive

Elektrische Betätigung,z. B. Motor

Users’choice

Frei verwendbar

O Users’ choice Frei verwendbar Users’choice

Frei verwendbar

P Pressure Druck Pressure Druck

Q Quantity Menge, Anzahl,Quantität

Quality Qualität,Konzentration

R Radiation(nuclear)

Strahlung Radiation(nuclear)

Strahlung

S Speed,Frequency,RPM

Geschwindigkeit,Frequenz, DrehzahlU/min

Speed,Frequency,RPM

Geschwindigkeit,Frequenz, DrehzahlU/min

T Temperature Temperatur Temperature Temperatur

U Complexcontrolfunction,informationprocessing

Leitfunktion,Informationsverarbeitung

Calculatedvariable

ZusammengesetzteGröße

V Vibration Schwingung Viscosity Viskosität

W Weight, mass,force

Gewicht, Masse, Kraft Weight,mass, force

Gewichtskraft,Masse

X Unclassified Sonstige Größe Unclassified Sonstige Größe

Y Hydraulic orpneumaticactuation, e.g.control valve

Hydralische oderpneumatischeBetätigung, z. B.Stellventil

Users’choice

Frei verwendbar

Z Users’ choice Frei verwendbar — —

4 R. Haber

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Tab. 3 Folgebuchstaben in den deutschen R&I-Normen

Folgebuchstabe(inkl.Ergänzungs-buchstabe)

nach DIN EN 62424 nach DIN EN 19227, Teil 1

Englisch Deutsch Englisch Deutsch

A Alarm Alarm Alarm Alarm

B Boundary Begrenzung — —

C Control Regelung Control Regelung

D Difference Differenz Difference Differenz

E — — Sensingelement

Messfühler

F Fraction Verhältnis Fraction Verhältnis

G — — — —

H High limit Oberer Grenzwert High limit Oberer Grenzwert

I Indicating Anzeige Indicating Anzeige

J — — Scan Abfragen

K Temporalrate ofchange

ZeitlicheÄnderungsrate

— —

L Low limit Unterer Grenzwert Low limit Unterer Grenzwert

M — — — —

N — — — —

O Opticalindicatingof binarysignal

Optische Statusanzeigevon binären Signalen

Opticalindicatingof binarysignal

OptischeStatusanzeige vonbinären Signalen

P Processconnectionpoint fortest

Prozessanschlusspunktfür Prüfzwecke

— —

Q Quantity/Integral

Summe/Integral Quantity/Integral

Summe/Integral

R Record Registrieren Record Registrieren

S Switch Schalten Switch Schalten

T — — Transmitter Messumformer

U — — Complexdrivefunctions

ZusammengesetzteAntriebsfunktionen

V — — Valvefunction

Stellgeräte-Funktion

W — — — —

X Unclassified Sonstiges — —

Y Calculation Rechenfunktion Calculation Rechenfunktion

Z Emergencyswitch

Sicherheits-abschalten

Emergencyswitch

Sicherheits-abschalten

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Die Mess- und Stellstellen werden mit deren Funktion (oben) und mit derMessstellennummer (unten) gezeichnet. Eine mögliche Trennlinie zwischen Funk-tion und Messstellenummer bedeutet die örtliche Zuordnung der Funktion, nämlich:

• einfache Trennlinie: zentraler Leitstand,• keine Trennlinie: nur lokal,• zweifache Trennlinie: lokales Steuerpult.

Die Apparate werden mit Kennbuchstaben nach DIN EN ISO 10628/1, Beiblatt1 gekennzeichnet, z. B.: BE: Behälter, DE: Ofen, PC: Kompressor, PL: Flüssig-pumpe, RW: Rührer, SB: Abscheider, TE: Transporteinrichtung, WT: Wärmetau-scher (DIN EN ISO 10628-1 Beiblatt 1:2016-12). Ebenfalls werden die Stellgerätenach der gleichen Norm genannt. Lediglich der chemische Reaktor wird nach der

Tab. 4 Bezeichnungen für die Stellgeräte

Stellantrieb allgemein

RohrAbsperrarmatur

Stellantrieb

Stellantrieb allgemein(beim Ausfall der Hilfsenergieschließt) Rohr

Absperrarmatur

Stellantrieb z. B. Heizmittel,Einsatzprodukt

Stellantrieb allgemein(beim Ausfall der Hilfsenergieöffnet) Rohr

Absperrarmatur

Stellantrieb z. B. Löschmittel,Kühlmittel,Notentspannungen

Stellantrieb allgemein(beim Ausfall der HilfsenergieStellung unverändert) Rohr

Absperrarmatur

Stellantrieb z. B. begrenztvorhandenes Kühlmittel

Tab. 5 Kennbuchstaben für die Ansteuerung von Stellgeräten und Motoren

Kategorie für Aktoren Bedeutung

YS Auf/Zu-Ventil

YC Stellarmatur

YCS Stellarmatur mit Auf/Zu-Funktion

YZ Auf/Zu-Ventil (sicherheitsrelevant)

YIC Stellarmatur mit kontinuierlicher Stellungsanzeige

NS An/Aus-Motor

NC Motorsteuerung

6 R. Haber

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zurückgezogenen Norm DIN EN 28004 mit dem Buchstaben C (wegen fehlendemneueren Kennbuchstabe) kennzeichnet.

Als Anwendungsbeispiel wird die chargenweise Neutralisierung von Indus-triebwasser mit Chemikaliendosierung in einem Rührkesselreaktor in Abb. 2betrachtet. Wegen des Batchbetriebs werden die Komponenten über Magnetventiledosiert und das Produkt (bzw. bei Fehlproduktion das Abfallprodukt) durch Magnet-ventile abgelassen. Wegen der durch die Neutralisation entstehenden Wärme wirdder Prozess durch Wasser gekühlt.• Messsignale

Zentral gezeigte Messungen: Druck (PI-14), Temperatur (TI-13), Füllstand(LI-16), Durchfluss von Kühlmedium (FI-11), pH-Wert der Lösung (AI-12),sowie lokale Füllstandsmessung (LI-15).

• StellgeräteMagnetventile (VV111 bis VV114), (stetiges) Stellventil (VC131), Rührmotor(M01)

• StellgerätesteuerungenMagnetventile (YS-111 bis YS-114), Rührmotorschaltung (ohne Drehzahlsteue-rung) (NS-121) und (stetige) Stellventilsteuerung (YC-131)

Abb. 2 Rührkesselreaktor für Batch-Betrieb (# Robert Haber)

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Binäre Steuerung

Mehrere Eingriffe in einen Prozess werden zweiwertig realisiert. Einige Beispielezur Erläuterung:

• EinMagnetventil ist entweder geschlossen (zu) oder offen (auf). Die erforderlicheAnsteuerung ist ein binäres (zweiwertiges) Steuersignal.

• Bei teureren Magnetventilen wird das Erreichen der beiden Zustände zur Leit-warte zurückgemeldet. Diese Signale sind ebenfalls zweiwertig.

• Es ist üblich, dass die zentrale Steuerung auf die Rückmeldung bis zu einervorgegebenen Zeitangabe wartet. Abhängig davon, ob die (erwartete) Rückmel-dung ankommt, setzt sich das Programm fort oder weicht zu einer Fehlerbehand-lung ab. Diese Entscheidung ist ebenfalls binär.

• Ein Messwert, welcher eine vorgegebene Grenze über- oder unterschreitet,erzeugt ebenfalls ein zweiwertiges Signal (z. B. einen Alarm).

Durch binäre Steuerungen können Anlagenzustände geschaltet werden. Hierbeimuss unterschieden werden, ob der Schaltvorgang mit Gefährdung verbunden ist.

• Steuerungen ohne GefährdungDie Steuerung kann mit einem beliebigen Gerät und mit einer beliebigen Soft-ware realisiert werden. Eine Fehlfunktion kann zur schlechten Produktqualitätoder sogar zum Abbruch der Produktion führen, jedoch entsteht keine Gefahr fürMensch oder eine Verschmutzung der Umwelt.

• Steuerungen mit Berücksichtigung der GefährdungFalls ein Eingriff mit Gefahr für Mensch und/oder Umwelt verbunden ist, soll dasRisiko geschätzt und eine Sicherheitssteuerung nach einer SIL-Klasse eingesetztwerden. (SIL: Safety Integrity Level: Funktionale Sicherheit) (Die SIL-Klas-sifizierung bewertet die geforderte Zuverlässigkeit von Sicherheitssteuerungenund schreibt entsprechend eine maximale Ausfallwahrscheinlichkeit von denMess-, Steuer- und Stellgeräten vor.)

Abb. 3 zeigt zwei binäre Steuerungen. Der Rührer RW01 darf nur dann einge-schaltet werden, wenn genug Flüssigkeit im Reaktor vorhanden ist. Die SteuerungLIS-141 ist i. d. R. nicht sicherheitsrelevant. Der Reaktor soll gegen Überfüllunggeschützt werden. Diese Gefahr soll abgeschätzt und eine SIL-Klasse zur Steuerungvorgeschrieben werden. Die Steuerungskette besteht aus den FüllstandssensorenLI-151 und LI-152 sowie der Sicherheitssteuerung UZ-153 und den Sicherheits-steuerungen YZ-154 und YZ-155 der Sicherheitsventile SV154 und SV155. DieSteuerung UZ-153 entscheidet anhand der beiden, redundanten Füllstandsmeldun-gen, ob eine Sperrung der Zulaufleitungen erforderlich ist. Wegen der Komplexitätwird UZ-153 mit einem Sechseck-Symbol gezeichnet. Die Verwendung von zweistatt nur einer Messung erhöht die Verfügbarkeit der Messung durch Verringerungder Ausfallwahrscheinlichkeit.

8 R. Haber

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Die Infrastruktur für sicherheitsrelevante Steuerungen wird von der normalenStruktur getrennt ausgelegt. Während für nicht sicherheitsrelevante Steuerungen einLeitsystem verwendet wird, werden für sicherheitsrelevante Steuerungen spezielle,fehlersichere Sicherheitssteuerungen verwendet. Während Leitsysteme einen redun-danten Aufbau dazu nutzen, um die Verfügbarkeit zu erhöhen, indem das sekundäreSystem bei einem Ausfall des Primären stoßfrei übernehmen kann, nutzen Sicher-heitssteuerungen die Redundanz zum Erkennen von Fehlern und zum sicherenAbschalten von Anlagen bei Abweichungen zwischen primärem und sekundäremSystem.

In chemischen Reaktoren werden oft folgende Sicherheitssteuerungen verwendet:

• Übertemperaturabschaltung• Überdruckabschaltung• Überfüllsicherung• Trockenlaufschutz von Pumpen.

Im Folgenden wird nur die nicht sicherheitsrelevante Steuerung behandelt.Die binären Steuerungen unterscheiden sich nach der Berücksichtigung der

früheren Zustände.

Abb. 3 Rührkessel mit Überfüllsicherung (# Robert Haber)

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• Verknüpfungs- (oder Verbindungs-)steuerungenDer Ausgangszustand hängt nur von den aktuellen (oder früheren) Werten derEingänge, nicht aber von den früheren Werten des Ausganges ab. Ein Beispielwurde bereits in Abb. 3 gezeigt; der Rührer darf nur oberhalb eines Mindest-füllstands eingeschaltet sein.

• AblaufsteuerungenDer Ausgangszustand hängt nicht nur von den aktuellen (oder früheren) Wertender Eingänge, sondern auch von den früheren Werten des Ausganges ab. Dadurchwird eine Reihenfolge der einzelnen Verknüpfungssteuerungen vorgegeben,daher nennt man diese Steuerungsart auch sequenzielle Steuerung.

Zu den einfacheren Verknüpfungsteuerungen gehören die statischen FunktionenUND, ODER und Negation, sowie die dynamischen Funktionen: Speicher, Zeitver-zögerungen und Zähler.

Abb. 4 zeigt einen prinzipiellen Ablaufsteuerungsplan einer Anlage mit denüblichen Betriebsschritten (DIN EN 61131-3:2014-06):

• Anlauf,• Betrieb,• Herunterfahren.

Die einzelnen Schritte werden nummeriert und benannt. Zu jedem Schritt gehö-ren Befehle. Jeder Befehl besteht aus einer Befehlsart und Anweisung. Die Zeit-befehle (D und L) müssen auch eine Zeitangabe beinhalten. Folgende Befehlsartensind bekannt:

S1. Grundstellung

T2

S3. Reaktionsführung

Start Vorbereitung T1

S2. Anfahren

T4

S4. Herunterfahren

S5. Ruhestellung

T3

Anfahren beendet & Start Reaktion

Reaktion beendet & Stopp Reaktion

N Rührer einschaltenN ...

N Ablauf schließenN ...

N Heizung ausN ...

Heruntergefahren & keine Fortsetzung

Abb. 4Ablaufsteuerungsplan einerAnlage (# Robert Haber)

10 R. Haber

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• S: Befehl startet speichernd,• R: gespeicherter Befehl endet,• N: Befehl nicht speichernd, endet beim Verlassen des Schrittes,• D: Befehl startet verzögert,• L: Befehl wird zeitlich begrenzt ausgeübt.

Die Weiterschaltbedingungen (Transitionen) werden mit einer kleinen Querlinie– auf den die aufeinander folgenden Schritte verbundenen Linien – platziert. Zujeder Transition gehört eine Überwachungszeit bis die Transition auf das Erfüllen derWeiterschaltbedingung wartet. (z. B. Motor ist hochgelaufen, Ventil hat sich geöff-net) Kommt keine Rückmeldung, wird der Fehler gemeldet und die Anlage fährtz. B. in eine sichere Schutzstellung.

Eine Ablaufkette kann Verzweigungen besitzen.

• Alterative Verzweigung und ZusammenführungEntspricht eine ODER-Bedingung; egal welche parallele Kette durchlaufenwurde, die Ablaufsteuerung wird nach der Zusammenführung weiter ausführt.

• Simultane Verzweigung und ZusammenführungEntspricht einer UND-Bedingung; beide parallelen Ketten müssen durchlaufenwerden, um die Ablaufsteuerung nach der Zusammenführung fortsetzen zudürfen (Abb. 5).

Eine Ablaufsteuerung kann auch zyklisch laufen, siehe Abb. 7.Die Ablaufsteuerungen können in den RI-Fließbildern nicht dargestellt werden.

Daher werden sie extra, wie in Abb. 4 nach der Norm DIN EN 61131/Teil 3 (DIN EN61131-3:2014-06) dargestellt.

Im Fehlerfall kann die Ablaufsteuerung

• gestoppt (und danach neu gestartet) werden• abgebrochen (und danach neu gestartet) werden• angehalten (und danach fortgesetzt oder gestoppt) werden

1

32

4 4

32

1a bAbb. 5 Alternative (a) und

simultane (b) Verzweigungenund Zusammenführungen(C) Robert Haber

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Ablaufsteuerung, Weg-Schritt-Diagramm, aber auch alternative Darstellungenfür Batch-Reaktoren, wie Zustandsdiagramm, sind in (Dwiggins 2006) ausführlichvorgestellt.

Ablaufsteuerung eines Batch-Reaktors

Eine Ablaufsteuerung des in Abb. 2 dargestellten Batch-Reaktors für die Neutrali-sierung von Industrieabwasser mit Chemikaliendosierung könnte in folgende Schrit-te aufgeteilt werden:

S1: Der Batch-Reinigungsprozess wird gestartetS2: Abwasser wird bis Behältermitte gefüllt.S3: Chemikalie wird in den Reaktor gelassen. Die Temperierung (Kühlung) wird

gestartet.S4: Rührer wird eingeschaltet.S5: Rührer wird abgeschaltet, sobald der Füllstand unter der Behältermitte sinkt.S6: Chemikalie wird nicht mehr dosiert, wenn der Reaktor voll ist.S7: Temperierung (Kühlung) wird ausgeschaltet, wenn die Temperatur kleiner als

20 �C ist. Gereinigtes Produkt wird abgelassen, bis der Behälter leer wird.

Hierbei wurde vereinfacht auf eine pH-Regelung verzichtet und mit konstanten(vorgebbaren) Zeitangaben der einzelnen Schritte geplant.

Das Weg-Schritt-Diagramm in Abb. 6 veranschaulicht die Schritte abhängig vonden Füllstandszuständen.

Die geplanten Schritte werden zusammen mit den zugehörigen Weiterschaltbe-dingen in der Ablaufkette in Abb. 7 dargestellt.

Abb. 6 Weg-Schritt-Diagramm zur Ablaufsteuerung des Batch-Reaktors (# Robert Haber)

12 R. Haber

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Bis jetzt wurde ein fehlerfreier Betrieb zugrunde gelegt. In der Praxis sollte maneventuelle Fehlerzustände berücksichtigen. Solche können auftreten, wenn sichentweder das Magnetventil nicht öffnet, oder trotz geöffnetem Zustand des Zulaufsder Füllstand nicht steigt. Wegen der Vielfalt der Fehlerursachen erfolgt die Fehler-behandlung individuell anlagenspezifisch.

Wenn z. B. nach Schritt S2 der Füllstand in einer vorgegeben Überwachungszeitden erwarteten Füllstand in Transition T2 nicht erreicht, erfolgt ein Fehlerbearbei-tungsschritt und der Prozess wird angehalten und kann später fortgesetzt werden.

S_F2: Wenn der Abwasserpegel die Behältermitte in t_S2 = 5 min nicht erreicht,dann wird das Zulaufventil vom Abwasser (V_Zul_Wasser) geschlossen. DieAblaufsteuerung wird abgebrochen und kann später von der gleichen Stellefortgesetzt werden. Die Fehlermeldung „Wasser nicht bis Mitte gefüllt“erscheint.

Abb. 8. zeigt denAnfang derAblaufkette vonAbb. 7 ergänzt durch denSchritt S_F2.

S1. StartR V_Zul_WasserR V_Zul_ChemRR

V_Abl_ProdV_Abl_Abfall

R Temperierung

S2. Abwasser zulassen

N V_Zul_Wasser

L_mitte

S3. Temperierung anChem. dosieren S V_Zul_Chem

S Temperierung

L_vollS4. Ruehrer ein S Ruehrer

S5. Ruehrer aus R Ruehrer

L_mitte

S6. Chem. stoppen R V_Zul_Chem

Temp. < 20 °C

S7. Produkt ablassen R TemperierungN V_Abl_Prod

L_nicht_leer

T2

T3

&

&

&

&

&

R RuehrerL_nicht_leer & T1

T4

T6

T7

Abb. 7 Ablaufkette zur Steuerung des Batch-Reaktors (# Robert Haber)

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Prozessleitsysteme und häufig auch speicherprogrammierte Steuerungen besitzenvorbereitete (leere) Ablaufketten, welche man durch Ausfüllen der vorbereitetenFenster parametrieren kann.

Basisregelungen und Erweiterungen

Abb. 9 zeigt das Blockschaltbild einer einfachen Regelung. Die Aufgabe der Rege-lung ist

• den Istwert der Regegröße (x) auf den Sollwert (w) zu regeln und• die Wirkung eventueller Störungen zu kompensieren.

Die unabhängige Regelung einzelnen Variablen kann in einem R&I-Fließbilddargestellt werden.

Abb. 10a zeigt eine einschleifige Regelung mit Füllstandsmessung (LI-101),Regelung (LC-102) und Stellgerätesteuerung (YC-103) in einem Behälter. DieMessung und die Regelung derselben Variable kann in einem Oval mit LIC-102dargestellt werden. Bei komplexeren Steuerungen und Regelungen entfällt oft dieDarstellung der Stellgerätesteuerung (YC-103), da diese die Übersichtlichkeit min-dert und sowieso immer Bestandsteil des Regelkreises ist. Abb. 10b zeigt dievereinfachte Darstellung, welche im Folgenden angewendet wird.

Im Zulauf vor dem Ventil kann sich der Druck z. B. durch Ab- oder Zuschalteneiner weiteren Anlage ändern. Dadurch ändert sich der Zufluss und folglich auch derFüllstand. Zwar kompensiert die Regelung diese Störung durch eine Ventilverstel-lung, jedoch erst nachdem der Füllstand vom Sollwert abweicht. Es gibt dreiMöglichkeiten, die Störung auf die Füllstandsänderung schneller auszuregeln, umso den Füllstand (nahezu oder genau) konstant zu halten.

R V_Zul_WasserR V_Zul_ChemRR

V_Abl_ProdRuehrer

R Temperierung

S2. Abwasser zulassen N V_Zul_Wasser

L_mitte & L_mittet_S2 > T#5 min

SF2. Abwasser stoppen

R

S

V_Zul_WasserFehlermeldung:„Wasser nicht bis Mitte gefüllt“

L_nicht_leerR V_Abl_Abfall

&

Programm anhalten

&

S1. Start

T1

T2 T_F2

Abb. 8 Auszug aus der Ablaufkette mit Fehlerzustandsbearbeitung des Batch-Reaktors(# RobertHaber)

14 R. Haber

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• StörgrößenregelungDer Druck wird durch eine von der Füllstandregelung LIC-102 unabhängige,jedoch schnellere Druckregelung PIC-101 konstant gehalten. (Abb. 11)

w

-

e y

x

xS Regler Prozess

Abb. 9 Blockschaltbild einereinschleifigen Regelung(# Robert Haber)

YC103

LC102

LI101

VV101

VC101

LIC102

VC101

VV101

a b

Abb. 10 Füllstandsregelung ausführlich (a) und vereinfacht (b) dargestellt (# Robert Haber)

LIC102

PIC101

VC102 VC101

VV101

Abb. 11 Störgrößenregelunggegen Druckänderung in derZulaufleitung (# RobertHaber)

LIC102

PI101

UY103

VC101

VV101

Abb. 12Störgrößenaufschaltunggegen Druckänderung in derZulaufleitung (# RobertHaber)

Steuern und Regeln von chemischen Reaktoren 15

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• StörgrößenaufschaltungDie Wirkung einer Druckänderung auf den Durchfluss kann durch eine gezielteVentilhubänderung kompensiert werden. In Kenntnis der Anlagenparameter kannder Zusammenhang ermittelt und der Ventilhub nach Messung der Druckände-rung PI-101 gezielt so verstellt werden, dass der Durchfluss unverändert bleibt.Diese Aufgabe übernimmt das Rechenglied UY-103 in Abb. 12.

• KaskadenregelungDas Stellsignal der Füllstandsregelung LIC-102 wirkt nicht direkt auf die Ventil-hubsteuerung, sondern stellt den Sollwert einer unterlagerten DurchflussregelungFC-101 dar. (Abb. 13) Wenn die Durchflussregelung viel schneller als die Füll-standsregelung eingestellt wird, ändert sich der Pegel kaum, weil die Durchfluss-regelung den Ventilhub schnell verstellt um die Durchflussänderung zu kom-pensieren. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Wirkung einer nicht linearenVentilkennlinie auf die Füllstandsregelung kompensiert wird.

Bei Mischprozessen und chemische Reaktionen müssen oft mehrere Komponen-ten in einem vorgegebenen Verhältnis in einen Behälter geführt werden. Abb. 14zeigt diesen Fall mit zwei Zuläufen. Der Durchflussregler FIC-101 hält den Durch-fluss der Komponente 1 konstant und Komponente 2 wird über einem Verhältnis-regler FFC-104 dosiert. Das Verhältnis der beiden Durchflusssollwerte kann vorge-geben oder abhängig von der Produktqualität durch einen übergeordneten ReglerAC-103 automatisch gestellt werden. Letzteres ist ein weiteres Beispiel für eineKaskadenregelung.

Bei der Neutralisierung von Industrieabwasser ist die Dosierung von Säure oderLauge abhängig vom gemessenen pH-Wert erforderlich. Das Stellsignal despH-Reglers wird in zwei Bereiche aufgeteilt (aufgesplittet) und immer nur eineDosierung wird aktiv. Je weiter der pH-Wert über dem Sollwert liegt, umso mehrSäure wird zugeführt und je weiter der pH-Wert unter dem Sollwert liegt, desto mehrLauge wird dosiert. Abb. 15a zeigt die sogenannte Split-Range-Regelung mit demSechseck-Modul UC-104, welches das Stellsignal nach Abb. 15b aufteilt.

LIC102

FC101

VC101

VV101

Abb. 13 Kaskadenregelunggegen Druckänderung in derZulaufleitung (# RobertHaber)

16 R. Haber

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Regelungsstrukturen für kontinuierlich betriebene, chemischeReaktoren

Chemischer Reaktoren sind Apparate, in welchen chemische Reaktionen ablaufen.Im Folgenden werden kontinuierlich betriebene Reaktoren beschrieben.

Die chemischen Reaktionen werden durch Stofftransport, Wärmetransport, Strö-mungsverhalten, Reaktorform, Reaktionsgeschwindigkeit, Katalysatoren und che-misches Gleichgewicht beeinflusst.

Die Reaktionsgeschwindigkeit hängt von der Art der Reaktionspartner, ihrerKonzentration und der Temperatur ab. Einige Reaktionen erfolgen nur in Beiseinvon Katalysatoren bzw. laufen mit Katalysatoren schneller ab. Es gibt zwei Artenvon Reaktionen:

LIC102

FC101

FFC104

AIC103

VV101

VC101 VC104

Abb. 14 Verhältnisregelungmit überlagerterProduktqualitätsregelung(# Robert Haber)

Abb. 15 Split-range-pH-Regelung: RI-Fließbild (a) und Aufteilung des Stellsignals (b) (# RobertHaber)

Steuern und Regeln von chemischen Reaktoren 17

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• endotherme ReaktionenUm die Reaktion zu ermöglichen, muss Wärme zugeführt werden. Solche Reak-toren sind stabil, weil ohne externe Wärmzufuhr die Reaktion abklingt.

• exotherme ReaktionenWährend der Reaktion entsteht Wärme. Um die Reaktion in Grenzen zu halten,muss gekühlt werden. Voraussetzung für ein stabiles Verfahren ist, dass einegrößere Kühlleistung als die Wärmleistung zur Verfügung steht.

Übliche Regelkreise bei chemischen Reaktoren sind:

• DurchflussregelungDie Zuflüsse der Reaktanten (Edukten) bestimmen den Produktstrom. Der Durch-fluss (am besten der Gesamtdurchfluss) soll möglichst konstant gehalten werden.Das Verhältnis wird durch die Reaktion vorgegeben und kann in Abhängigkeiteiner gemessenen Qualität (z. B. Konzentration, pH) angepasst werden.

• FüllstandsregelungIn Reaktoren mit Behälterform wird der Füllstand i. R. durch Stellen des Ab-flussventils konstant gehalten werden. Die mittlere Verweilzeit der Reaktantensteigt mit dem befüllten Behälterinhalt und sinkt mit zunehmendem Durchfluss.

• DruckregelungEin Drucksensor misst mit schneller Dynamik. Ist beispielsweise ein Teil derEdukte ein Gas, kann der Reaktordruck über die Gaszufuhr geregelt werden. DerDruck kann dabei auch zur Steuerung der Produktselektivität dienen, oder dafürsorgen, dass der Dampfdruck des Produktes nicht erreicht wird. In diesem Fallläuft das Produkt immer flüssig ab, damit die Ablaufpumpe nicht kavitiert.(Häufigster Einsatz einer Druckregelung in einem Reaktor ist dennoch die sicher-heitsrelevante Notentspannung.)

• Temperaturregelung,Das Zustandekommen und die Geschwindigkeit der Reaktion hängt von einerminimalen Temperatur ab. Die Aufwärmung kann bereits vor der Dosierung derReaktanten aber auch erst im Reaktor realisiert werden. Bei exothermen Reak-tionen muss intensiv gekühlt werden und deren Maß über die Temperaturrege-lung eingestellt werden.

• QualitätsregelungDie Produktqualität (oft Konzentration) ist das Ziel der Reaktion. Diese kanndurch Ändern mehrerer Größen beeinflusst werden. Üblich ist, mehrere Parame-ter konstant zu halten und das Verhältnis der Zuflüsse der Reaktanten durch eineunterlagerte Durchflussverhältnisregelung anzupassen.

Voraussetzung für einen stabilen und sicheren Betrieb sind

• Wahl des zur Reaktion am besten passenden Reaktortyps,• optimale Auslegung des Reaktors,• gute Mess- und Stelleinrichtungen,• gute Einstellung der Reglerparameter,• Sicherheitsabschaltungen.

18 R. Haber

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Im Folgenden werden bewährte Regelungsstrukturen für die verschiedenen,kontinuierlich betriebenen Reaktorarten vorgestellt. Die Einstellung und Optimie-rung der Reglerparameter wird nicht behandelt, weil diese Methoden nichtreaktorspezifisch sind.

Rührkesselreaktoren

In Rührkesselreaktoren reagieren die zugeführten Komponenten unter stetigerMischung. Das Mischen kann mit einem Rührwerk oder durch Strömung erfolgen.Ein weiterer Unterschied liegt in der Kühlungsart des exothermen Prozesses vor,Kühlung durch Mantel, mit Kühlschlange im Reaktor oder Verdampfung (Siede-kühlung).

Rührkesselreaktor mit MantelkühlungAbb. 16 zeigt eine typische Regelungsstruktur für einen Rührkesselreaktor mitRührer und Mantelkühlung (Strohrmann 2002, S. 542; McMillan 2015, S. 139).

Rührkesselreaktoren sind ähnlich zu Mischern, in welchen mehrere Komponen-ten (hier Reaktanten) in einem Behälter (hier Reaktor) unter Rühren durchgemischt(hier Reaktion) werden und das Produkt am Behälterboden abgeführt (oder abge-pumpt) wird. Meist sind die Reaktionen exotherm. Um die Reaktion starten zukönnen, müssen die Reaktanten erwärmt werden. Dies kann auf verschiedene Weiseerfolgen:

M

C1.01

VC1.03

PL1.01

VC1.01

Komponente 1

Komponente 2 VC1.02

Abgas

Inertgas

Heizdampf

Kühlwasser

VC1.06

VC1.07

Produkt

FFIC102

FIC101

TIC105

TIC106.1

LIC103

PIC104.1

M101

UC104.2

VC1.04

VC1.05

UC106.2

Kondensat Kühlwasser

PIC107

VC1.07

WT1.01

Abb. 16 Regelungsstruktur für einen Rührkesselreaktor mit Mantelkühlung (# Robert Haber)

Steuern und Regeln von chemischen Reaktoren 19

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• durch Wärmezufuhr in Wärmeübertragern vor dem Reaktor,• durch Wärmezufuhr mittels Heizschlangen im Reaktor,• über eine Manteltemperierung (in Abb. 16).

• Zufluss- und AbflussregelungDer Zufluss einer der Reaktionskomponenten wird geregelt (FC-101) und dasandere Reaktant wird in gewünschtem Verhältnis (FFC-102) zugeführt. (Üblicher-weise wird die Überschuss-Komponente mengengeregelt und die wertvollere Ne-benkomponente im Verhältnis geregelt.) Der Behälterinhalt wird über die Füll-standsregelung LIC-103, welche das Abflussventil VC1.03 stellt, konstant gehalten.

• KonzentrationsregelungDas Durchflussverhältnis kann in Abhängigkeit der Konzentration gestellt wer-den. Der Konzentrationsregler (AIC, in Abb. 16 nicht dargestellt) ist der Füh-rungsregler der Verhältnisregelung FFC-102.

• TemperaturregelungDer Temperaturregler TC-105 stellt nicht unmittelbar den Kühlmittel- bzw.Heizmittelzufluss, sondern stellt den Sollwert des unterlagerten Manteltempe-raturreglers TC-106.1. Diese Kaskadenstruktur sichert einen gleichmäßigerenTemperaturverlauf. Die Manteltemperierung ist das gebräuchlichste Verfahren,weil es auch zur Kühlung verwendet werden kann, wie dies Abb. 16 zeigt. Beieiner exothermen Reaktion wird der Reaktor gekühlt. Das Kühlwasser wirdnicht einfach zum Mantel geführt und anschließend abgeführt, sondern es zirku-liert um den Mantel. Dadurch bleibt die Dynamik (Wärmedurchgang, Wärme-strom, Wärmeleistung) der Wärmeübertragung möglichst konstant. Das Kühl-wasser fließt von Vorlauf über den Kühlkreislauf und verlässt ihn über dieDruckregelung PC-107. Der zirkulierende Fluss ist viel größer, als der Zu-/Ablauf. Reaktionen starten oft nur ab einer Temperatur, so dass auch eineAufwärmung vorgesehen werden muss. Der zur Erwärmung benutze Heizdampfgibt seine Wärme über einen Wärmeübertrager an das zirkulierende Wasserab. Der Temperaturregler TC-106.1 wirkt über die Split-Range-RegelungUC-106.2 auf das Dampfventil VC1.06 bzw. das Kühlwasserventil VC1.07.

• DruckregelungBei manchen Reaktionen wirkt sich der Druck auf die Selektivität des gewünsch-ten Produkts aus bzw. finden manche Reaktionen erst unter sehr hohen Drückenstatt. In der Gasphase über dem Flüssigkeitspegel wird der Druck PI-104.1 mitdem Split-Range-Regler UC-104.2 eingestellt. Bei einem Druckabfall wird Inert-gas (üblicherweise Stickstoff) zugeführt und bei einem Druckanstieg das Abgas-ventil VC1.04 geöffnet.

(Liptak 2006) präsentiert eine ausführliche Übersicht über die Regelungsmög-lichkeiten für Rührkesselreaktoren.

Eine Anwendung ist die Veresterung von Ethylenglykol mit Terephthalsäure zurBildung eines Prepolymers (Polymer mit geringer Anzahl sich wiederholenderEinheiten) im ersten Reaktionsschritt zur Synthese von PET (Polyethylenterephtha-lat) bei etwa ca. 250 �C und 1,5 bar.

20 R. Haber

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Rührkesselreaktor mit SiedekühlungMit zunehmender Reaktionsbehältergröße kann die Mantelkühlung nicht ausrei-chen, um die notwendige Wärmeleistung zu übertragen, weil bei unveränderterHöhe der Reaktorinhalt quadratisch und die Wärmeübertragerfläche nur linear mitdem Durchmesser steigt. Eine effektive alternative zur Mantelkühlung ist die Sie-dekühlung (auch Verdampferkühlung genannt) (Abb. 17). (Ankel 1981, S. 383;Strohrmann 2002, S. 543).

• Zufluss- und AblassregelungDer Zufluss einer der Reaktionskomponenten wird geregelt (FC-201) und dasandere Reaktant wird im gewünschten Verhältnis (FFC-202) zugeführt. DerBehälterinhalt wird über die Füllstandsregelung LC-203, welche das AblassventilVC2.03 stellt, konstant gehalten.

• KonzentrationsregelungDas Durchflussverhältnis kann in Abhängigkeit der Konzentration gestellt wer-den. Der Konzentrationsregler (AC, in Abb. 17 nicht dargestellt) ist der Füh-rungsregler der Verhältnisregelung FFC-202.

M

C2.01

VC2.03

VC2.04

VC2.05

WT202

WT201

Inertgas

Kühlsohle

Kühlwasser

Kühlsohle

Inertgas

Kühlwasser

Produkt

UC205.2

LIC203

TIC204

PIC205.1

VC2.01

VC2.02

Kompo-nente 1

Kompo-nente 2 FFIC

202

FIC201

M201

Abb. 17 Regelungsstrukturfür einen Rührkesselreaktormit Siedekühlung (# RobertHaber)

Steuern und Regeln von chemischen Reaktoren 21

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• Temperatur- und DruckregelungDer durch Reaktionswärme entstehende Dampf kondensiert im Siedekühlerdurch Kühlung mit Kaltwasser und fließt in den Reaktionsbehälter zurück. DieKühlleistung wird über den Druck der siedenden Reaktanten beeinflusst. Da sichdie Reaktanten genau an ihrem Siedepunkt sind, gibt es einen eindeutigenZusammenhang zwischen Druck und Temperatur über die Dampfdruck-Kurve.Bei zu hoher Temperatur im Reaktor reduziert der Temperaturregler TC-204 denSollwert des Druckreglers PC-205.1. Über die Split-Range-Regelung UC-205.2wird durch Öffnen des Abgasventils VC2.05 der Druck gesenkt, wodurch inerteGase entweichen und im Siedekühler mehr Kühlfläche freigegeben wird. Durchdie vergrößerte Kühlfläche wird mehr Dampf kondensiert, der Dampfdruck unddie dazu gehörende Siedetemperatur sinken. Um die Reaktion zu starten kanneine gesonderte Heizeinrichtung erforderlich sein.

Über dem Siedekühler kann man noch einen Solekühler einsetzen, um auchleichtsiedende Anteile zu kondensieren.

Eine Alternative zum Einsatz von Inerten zur Steuerung der Kühlfläche ist dasStellen des Kühlwasserdurchflusses. (Dann ist der Wärmeübertrager immer geflutet.)(Ankel 1981, S. 384).

Eine Anwendung ist die Herstellung von Polyvinylacetat aus Vinylacetat undLösungsmittel durch Polymerisation.

SchlaufenreaktorDer Schlaufenreaktor (Abb. 18) zählt zu den rührkesselähnlichen Reaktoren, da hierder Inhalt des Reaktors ähnlich durchgemischt wird wie beim Rührkesselreaktor,was allerdings nicht durch einen Rührer, sondern durch Verwirbelung infolge vonUmleitung der inneren Ströme erfolgt. (Ankel 1981, S. 386–387; Strohrmann 2002,S. 545–546). Im Schlaufenreaktor befindet sich ein Einsteckrohr. Im inneren wirddas Reaktionsgemisch von unten nach oben getrieben. Die treibende Kraft ist zumeinen die Konvektion, d. h. durch eine Strömung infolge des Temperaturunterschie-des zwischen Reaktorboden und -kopf. Zum anderen wird der flüssige Reaktorinhaltdurch eine Injektionswirkung des gasförmigen Zulaufstromes (Reaktionsluft) durchdas Rohr zirkuliert. Das Reaktionsprodukt fließt außerhalb des Rohres zum Reaktor-boden. Mit zunehmender Höhe im Reaktor steigt die Temperatur durch die Reaktionim Rohrinneren.

Trotz der fortschreitenden Reaktion und der ansteigenden Temperatur wird derDurchmischungsgrad im Reaktor als ideal betrachtet.

• Zufluss- und AblassregelungEs wird so viel Edukt zum Kondensat gemischt und in den Reaktor gepumpt(PL3.01), dass der Füllstand (LI-303) konstant bleibt. Der Zulauf des Gases (hierLuft-Sauerstoff-Gemisch) wird durch die Durchflussregelung FC-302 konstantgehalten. Es wird die Lage der Trennschicht im Reaktor über den Füllstandssen-sor LI-301 ermittelt und durch Stellen des Produktabflusses in der Abzugsleitungkonstant gehalten.

22 R. Haber

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• Temperatur- und DruckregelungDie Temperatur im Reaktor ist nicht überall gleich, daher wird sie an mehrerenStellen gemessen (in Abb. 18 nicht dargestellt) und ein Mittelwert (noch besserMedian) gebildet. Zur Regelung der Reaktorinnentemperatur TI-305 wird über eineTemperatur-Druck-Kaskade (TC-305 und PC-306) der Abzug des Abgases überdas Ventil VC3.05 gestellt. Am Reaktorkopf wird Dampf abgezogen, der imKühlerWT3.01 teilweise kondensiert. Die Temperatur-Druck-Kaskadenregelung (TC 305und PC 306) ist einer reinen Temperaturregelung vorzuziehen, da die Druckrege-lung schneller auf Störungen reagiert und somit die Wirkung der Störungen auf dieträgere Reaktortemperatur minimiert wird. (Strohrmann 2002, S. 545)

• FüllstandsregelungenDie beiden Füllstandsregelungen LC-301 und LC-303 sorgen dafür, dass dasReaktionsvolumen konstant bleibt. Der Füllstandsregler LC-304 sorgt dafür, dassder Kondensatbehälter weder leer, noch vollläuft.

Eine typische Anwendung ist die Herstellung von organischer Säure durch diepartielle Oxidation von flüssigem Kohlenwasserstoff (Strohrmann 2002, S. 545).

Rohrreaktoren

StrömungsrohrreaktorEine exotherme Reaktion mit zwei gasförmigen Reaktanten in einem Strömungsrohrzeigt Abb. 19 (Ankel 1981, S. 389–390). In der Vorwärmzone wird das Gemisch auf

VC3.01

VC3.02

VC3.03

VC3.04

VC3.05

C3.01

PL3.01

BE3.08

WT3.01

Produkt

Reaktionsluft

Edukt

Abgas

TIC305

PIC306

LIC301

FIC302FIC302

LIC303

LIC304

Abb. 18 Regelungsstruktur für einen Schlaufenreaktor (# Robert Haber)

Steuern und Regeln von chemischen Reaktoren 23

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die Reaktionstemperatur geheizt. Die Reaktionszone muss wegen der exothermenchemischen Reaktion gekühlt werden. Um einen gleichmäßigen Betrieb d. h. dasTemperatur- und Konzentrationsprofil entlang des Rohres aufrechtzuerhalten, wer-den Temperatur, Druck und Durchfluss der Reaktanten bei der Einspeisung konstantgehalten.

• ZuflussregelungDer Zufluss einer der Reaktionskomponenten wird geregelt (FC-401) und dasandere i. R. teurere Reaktant im gewünschten Verhältnis (FFC-402) dazu dosiert.

• TemperaturregelungDas Heizmittel in der Vorwärmzone und das Kühlmittel in der Reaktionszonewerden im Kreislauf gefahren. Die Temperatur am Ende der Vorwärmzone wirderfasst (TI-403) und der erforderliche Heizdampdurchfluss wird über die unter-lagerte Temperaturregelung TC-404 eingestellt. Die Temperatur an der heißestenStelle der Reaktionszone wird erfasst (TI-408) und der Kühlwasserdurchflusswird über die unterlagerte Temperaturregelung TC-409 gestellt. Da die heißesteStelle in der Reaktionszone nicht immer im Voraus bekannt ist, kann man diehöchste Temperatur aus mehreren Messungen (TI 405 bis 407) für den Tempe-raturregler TC-408 auswählen (Luyben 2007, S. 292–293).

• DruckregelungDer Druck PI-410 im Reaktor wird über den Produktabfluss mit dem VentilVC4.05 geregelt.

• ProduktabflussregelungDa sich noch inerte Gase im Produktfluss befinden können, lässt man das Produktin den Abscheider SB4.01 fließen, aus dem dann die Abgase entweichen können.Der Füllstand wird mit dem Niveauregler LC-411 konstant gehalten, so dass auchder Produktabfluss konstant bleibt. Wird eines der Edukte im Überschuss gefah-ren (siehe Zuflussregelung), wird dieses gasförmig dem Abscheider entnommenund dem wieder dem Einsatzprodukt zugeführt um die Verluste zu minimieren.

Abb. 19 Regelungsstruktur für einen Strömungsrohrreaktor (# Robert Haber)

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Eine Anwendung ist die Herstellung von Polyethylen aus Ethylengas und Was-serstoffperoxid bei 100 bis 200 �C und 1500 bis 3800 bar.

SpaltofenIn einem Spaltofen werden langkettige Kohlenwasserstoffe durch thermisches Cra-cken in kurzkettige gespalten. Aufgrund der endothermen Reaktion ist hier eineEnergiezufuhr notwendig um die Reaktion aufrecht zu halten (Abb. 20).

Das Naphtha wird hier vor Eintritt in den Spaltofen verdampft. Vom Naphtha-durchfluss abhängige Massestrom an Wasserdampf wird zum Naphta gegeben unddas Gemisch in die Konvektionszone des Ofens eingespeist („steam cracking“). DerWasserdampf wird zugegeben, um den Partialdruck des Kohlenwasserstoffes zuverringern (für eine günstige Reaktion) und damit er mit dem bei der Spaltungentstehenden reinen Kohlenstoff reagiert (es entsteht Kohlendioxid und Wasserstoff)und somit eine Ablagerung von Koks im Ofen verhindert wird. In der Konvektions-zone wird das Gemisch erhitzt. Es tritt anschließend in die gasbeheizte Strahlungs-zone ein, wo es auf die Reaktionstemperatur aufgeheizt und das Naphtha in seineSpaltprodukte zerlegt wird. In einem Quench-Kühler werden die Produkte sehrschnell abgekühlt, um die Reaktion abrupt zu stoppen. Der bei der Kühlung ausdem Speisewasser entstehende Dampf strömt teils in ein Dampfnetz und teils wirdzum Naphtha-Einsatz gemischt. (Strohrmann 2002, S. 546–547)

VC5.07

C 5.01

WT5.02

VC5.06BE5.02

VC5.03

VC5.04

VC5.02

WT5.01

BE5.01

VC5.01

Speisewasser

Heizdampf

Spaltprodukt

Heizgas

NaphtaKondensat

Dampfnetz

PIC502 LIC

501

TIC507

FIC508

LIC506

PIC505

FFIC504

FIC503

Strahlungsszone

Kon-vektions-

zone

VC5.05

Abb. 20 Regelungsstruktur für einen Spaltofen (# Robert Haber)

Steuern und Regeln von chemischen Reaktoren 25

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• Regelung des Naphta-VerdampfersDer Naphthazufluss wird mit dem Ventil VC5.01 so gestellt, dass der FüllstandLI-501 im Verdampfungsbehälter konstant bleibt. Der gewünschte Naphtadampf-druck PI-502 wird durch Ändern des Heizdampfzuflusses mit dem Ventil VC5.02eingestellt.

• Zuflussregelung in den ReaktorofenDer Naphthazufluss wird mit dem Regler FC-503 konstant gehalten und derWasserdampf in gewünschtem Verhältnis (FFC-504) zugemischt. (Hier wird diebilligere Komponente im Verhältnis geführt, die zudem auch die größere Mengedarstellt. Der Grund ist, dass der Durchfluss an Naphtha die Anlagenbegrenzungdarstellt und daher die geregelte Größe ist.)

• OfentemperaturregelungDie Zusammensetzung der Spaltprodukte hängt von der Temperatur ab. DieProdukttemperatur TI-507 hinter dem Ofen wird geregelt. Das Stellsignal desReglers TC-507 ist der Sollwert des Heizgas-Durchflussreglers FC-508. Durchdie Kaskadenregelung werden eventuelle Heizgasschwankungen kompensiert.

• Regelung der WasserdampferzeugungDas Speisewasser wird im Quench-Kühler verdampft und der Wasserdampf wirdvor dem Ofen zum Naphtha gemischt. Der Druck wird mit dem Regler PC-505konstant gehalten. Da der Druck des Dampfes mit der Siedetemperatur desWassers eindeutig zusammenhängt, wird über den Druck auch die Kühlleistungdes Quench-Kühlers geregelt. Das Speisewasser wird vom FüllstandsreglerLC-506 so nachgeführt, dass der Füllstand des Behälters BE5.02 konstant bleibt.

Eine Anwendung ist die Spaltung von gesättigte ringförmige Kohlenwasserstof-fen (Naphthene) in ungesättigte Olefine für die Kunststoffherstellung.

Festbettreaktoren

Einfacher FestbettreaktorBei einem einfachen Festbettreaktor gibt es nur eine Schicht von Katalysatorschüt-tung. Das Edukt wird vor dem Eintritt in den Reaktor z. B. mit einem Ofen erwärmt.Üblicherweise wird nur die Eingangstemperatur des Eduktes geregelt (Kress et al.2005). Man kann die Qualität des Produktes messen (in Abb. 21. nicht gezeigt) unddie Ofenaustrittstemperatur abhängig davon regeln.

• TemperaturregelungDie Eintrittstemperatur TIC-601 wird mit Hilfe von Ofen DE6.01 geregelt.

Eine Anwendung ist die Entschwefelung von Benzin mittels eines Kobalt/Molyb-dän-Katalysators. Die Produktqualität ist hier der Schwefelgehalt.

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Rohrbündelreaktor mit NaturumlaufDieser Reaktor ist wie ein Rohrbündelreaktor ausgeführt und mantelseitig mitSpeisewasser gefüllt. Die (exotherme) Reaktion findet in den Rohren statt, die mitKatalysator bis zu einer bestimmten Höhe gefüllt sind. Die Reaktion erfolgt in derKatalysatorschüttung. Das Kühlmittel (hier Wasser) strömt durch das Fallrohr untenin den Reaktor ein. Durch die Aufnahme der Reaktionswärme wird das Wasser aufder Mantelseite teilweise verdampft. Der Dampf strömt aufgrund des Dichteunter-schiedes nach oben und reißt Flüssigkeit mit. Im oberen Teil des Reaktors wird dasDampf-Flüssigkeits-Gemisch in die Dampftrommel geleitet, wo sich Dampf undFlüssigkeit trennen. Durch diese Siedekühlung kann die Reaktionstemperatur imReaktor konstant gehalten werden. Oberhalb des Katalysators liegt eine inerteSchüttung. Das gasförmige Edukt strömt durch die Röhre und wird vom siedendenWasser für die Reaktion in der Katalysatorschüttung vorgewärmt (Ankel 1981,S. 393; Strohrmann 2002, S. 547–548) (Abb. 22).

• GaszulaufregelungDas vorgewärmte Reaktionsgas strömt mit dem von Regler PC-701 vorgegebe-nen Druck in die Reaktorröhre.

• Temperatur- und DruckregelungDie Temperaturregelung geschieht durch Druckregelung (PC-702) des Dampfes,denn die Siedetemperatur des Wassers ist druckabhängig, ein höherer Dampf-druck erhöht auch die Temperatur der Reaktion.

• WasserstandsregelungDie durch den Dampfabzug bedingte Füllstandsänderung wird mittels der Füll-standsregelung LC-703 durch Speisewasserzufluss ausgeglichen.

Eine Anwendung ist die Ethylenoxidation bei 200 bis 300 �C und 10 bar mitSilberkatalysator. Auch die Methanolherstellung aus Synthesegas im Niederdruck-verfahren und die Kohleverflüssigung nach der Fischer-Tropsch-Synthese werden inRohrbündelreaktoren durchgeführt.

Abb. 21 Regelungsstrukturfür einen einfachenFestbettreaktor (# RobertHaber)

Steuern und Regeln von chemischen Reaktoren 27

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Hordenreaktor (mehrschichtiger Festbettreaktor)Hordenreaktoren bestehen aus mehreren untereinander durch Zwischenräumegetrennten Schichten von Katalysatorfestbetten. Daher erfolgt die exothermeReaktion in mehreren Stufen. Die obersten Katalysatorschichten dienen zum Kon-ditionieren des Gases um in den untersten Katalysatorschichten die Crackreaktiondurchführen zu lassen. Das vorgewärmte Reaktionsgas wird zur obersten Katalysa-torschüttung geführt und durch die Reaktion weiter erwärmt. Das Gas strömt weitervon Schicht zu Schicht und wird zwischen den Betten mit Kaltgas gekühlt. Das ausdem Hordenreaktor austretende Gasprodukt wird abgeführt und anschließend teilszum Frischgas gemischt (in. Abb. 23 nicht gezeigt). (Ankel 1981, S. 393–395;Strohrmann 2002, S. 548–550)

• Zufluss- und AbflussregelungDas vorgewärmte Edukt wird mit konstantem Durchfluss (FI-805) zugeführt.

• TemperaturregelungDas gewünschte Temperaturprofil entlang des Reaktors wird durch Einstellen derSollwerte der Temperaturregler TC-801 bis TC-804 erzielt. Die jeweilige Bett-eintrittstemperatur wird gemessen und zur Kühlung Kaltgas in den Zwischen-raum vor der Schicht eingeführt. Oftmals wird anstatt der Bettaustrittstemperaturdie Betteintrittstemperatur geregelt, da diese wegen schnellerer Antwortzeiten dieregelungstechnisch günstigere Dynamik aufweist.

Eine Anwendung ist Hydrocracken. Dabei werden Kohlenwasserstoffe mithohem Siedepunkt unter hohem Druck (bis zu 300 bar) und hoher Temperatur (bis480 �C) und Zugabe von Wasserstoff als Kreislauf- und Kaltgas in Produkte mitgeringerem Siedepunkt umgewandelt.

Dampf

Wasser

Zulauf

Produkt

LIC703

PIC702

PIC701

VC7.01 VC7.02

VC7.03

C 7.01

Katalysator

Inerte Schüttung

Abb. 22 Regelungsstrukturfür einen Rohrbündelreaktormit Naturumlauf (# RobertHaber)

28 R. Haber

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Wirbelschichtreaktor

Wirbelschichtreaktoren führen einen Feststoff mit dem gasförmigen Reaktanten ineine Wirbelschicht. In der Wirbelschicht wird der Feststoff mit kleiner Korngrößedurch hohe Strömungsgeschwindigkeiten in Schwebe gehalten, wodurch sich derFeststoff wie ein Fluid verhält. Die Durchmischung ist sehr intensiv und die Ober-fläche des Feststoffes sehr groß, wodurch hohe Umsatzraten erzielt werden können.

Das gasförmige Edukt wird mit Wasserstoff auf Reaktionstemperatur vorgeheizt,entweder mit Hilfe eines Wärmeübertragers oder in einem Ofen. Das Gas wirdzusammen mit dem pulverförmigen Katalysator über mehrere Reaktoren (von obennach unten in Abb. 24) geführt. Unten zieht man den Katalysator ab und regeneriertihn. Das Reaktionsprodukt ist hinter dem Wärmetauscher flüssig und wird imAbscheider SB9.01 vom Abgas getrennt (Poparad et al. 2011).

Wirbelschicht wird üblicherweise durch von unten strömendes Gas erzeugt. Imvorgestellten Aufbau wird die Wirbelschicht durch gezielte Führung des Gases imReaktor erzeugt.

VC8.01

VC 8.04

C8.01

VC8.05

FIC805

Produkt

TIC804

TIC803

TIC802

TIC801

VC8.02

VC8.03

Edukt

Kaltgas

Aufwärm-zone

Crack-zone

Abb. 23 Regelungsstrukturfür einen Hordenreaktor(# Robert Haber)

Steuern und Regeln von chemischen Reaktoren 29

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• ZuflussregelungDas vorgewärmte Edukt wird zusammen mit Wasserstoff mit konstantem Durch-fluss mittels FIC-901 und FIC-902 zugeführt. Eine Verhältnisregelung ist mög-lich, aber üblicherweise wird Wasserstoff in Überschuss und mit konstantemDurchfluss gefahren.

• TemperaturregelungDas gewünschte Temperaturprofil entlang des Reaktors wird durch Einstellen derSollwerte der Temperaturregler TC-905 bis TC-908 erreicht.

• KatalysatordurchsatzregelungDer Katalysator wird mit Zellenraddosierer (FIC 903 und FIC 904) durchsatzge-regelt geführt, sodass immer die gleiche Menge Katalysator im Reaktor vorhan-den ist.

• AbscheiderregelungDas im Wärmeübertrager WT9.01 abgekühlte Produkt gelangt in den AbscheiderSB9.01. Der Druck (PI-909) wird über den Gasabzug, was hauptsächlich ausWasserstoff besteht, und der Füllstand (LI-910) über den Produktabfluss konstantgehalten. Das Abgas wird aufbereitet und als Wasserstoff wiederverwendet.

Eine typische Anwendung ist die kontinuierliche, katalytische Reforming (CCR:Continuous Catalytic Reforming) zur Aromatisierung von Naphtha, zur Oktanzahl-Anhebung, aber auch zur Gewinnung von aromatischen Verbindungen, wie Xylol,Toluol, Benzol für die chemische Industrie.

Abb. 24 Regelungsstruktur für einen Wirbelschichtreaktor (# Robert Haber)

30 R. Haber

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Prädiktive Mehrgrößenregelung eines Reaktors

Wenn es um die Regelung von mehreren Größen geht und diese auch gekoppelt sind,kann man bessere Ergebnisse mit einer prädiktiven Mehrgrößenregelung erzielen. Esist üblich die Basisregelung zu behalten, und die Sollwerte als Stellsignale für dieMehrgrößenregelung zu benutzen. Beim Ausfall der prädiktiven Regelung kann derProzess mit den Basisregelungen – wenn auch nicht optimal – betrieben werden.

Prinzip der prädiktiven Regelung

Die Grundidee einer prädiktiven Regelung ist die relevanten Größen der Regelungnicht nur zum aktuellen Zeitpunkt, sondern auch deren Verlauf in der Zukunft, zubetrachten. Dieses Ziel wird durch eine vorerst heuristischeWahl einer Stellsignalfolgeund wiederholte Simulation des zukünftigen Verlaufs mit einer immer besser passen-den Stellsignalfolge erreicht. Zur Simulation ist ein Prozessmodell erforderlich, daherdas Attribut „modellbasierte“. Aus den vorhergesagten Prozessgrößen können auchEinschränkungen hinsichtlich des Stellsignals und anderer Nebenbedingungen einfachberücksichtigt werden. Diese Algorithmen eignen sich besonders für verfahrenstech-nische Prozesse, die langsam genug sind, die zukünftigen Prozesswerte vorausschau-end zu simulieren und gleichzeitig Nebenbedingungen zu berücksichtigen.

Die Realisierung einer prädiktiven Regelung umfasst folgende drei wesentlicheSchritte:

• Definition der Zielfunktion,• Modellbildung der zu regelnden Anlage,• Optimierung des Stellsignals.

Abb. 25 zeigt das Funktionsprinzip für ein Eingrößensystem (Dittmar und Pfeif-fer 2004, S. 39; Haber et al. 2011, S. 5).

Die wichtigsten Merkmale eines prädiktiven Regelungsalgorithmus (Dittmar undPfeiffer 2004, S. 38–44; Haber et al. 2011, S. 1–7):

• Nicht nur der aktuelle Regelfehler, sondern dessen Zukunftswerte werden mini-miert.

• Der zukünftige Regelgrößenverlauf wird simuliert, dadurch können Verletzungenvon Beschränkungen verhindert werden.

• Auch der Verlauf anderer Größen neben den Regelgrößen können vorausgesagtund Verletzungen verhindert werden bevor diese auftreten.

• Auch die Stellsignaländerungen können berücksichtigt werden, z. B. für dieVermeidung von erhöhtem Ventilverschleiß.

• Die Berechnung der zukünftigen Stellsignalsequenz wird in jedem Abtastschrittneu berechnet aber nur das aktuelle Stellsignal wird ausgegeben. (Prinzip desgleitenden Horizontes) Dies hat den Vorteil, dass Stellsignaländerungen über

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einen längeren Zeitraum verteilt, Störungen aber dennoch in jedem Abtastschritterfasst werden können.

Prädiktive Regelungen werden immer öfters für die Reaktorregelungen einge-setzt. Im Folgenden wird exemplarisch eine Anwendung vorgestellt.

Prädiktive Regelung eines Hordenreaktors

Abb. 23 zeigt die Temperatur-Basisregelung eines Hordenreaktors beispielhaft mit4 Katalysatorbetten. Im Folgenden werden die Stellsignale, Regelgrößen und die zubeschränkende Größen aufgelistet.

• StellsignalDie Stellsignale sind die Sollwerte der Eintrittstemperaturregelungen in denKatalysatorbetten.

• RegelgrößenDie Regelgrößen sind die Temperaturen einzelner oder mehrerer Betten. Anstatteine gemessene Temperatur zu regeln, wird üblicherweise aus mehreren Messun-gen ein gewichteter Temperaturmittelwert (WABT: Weighted Average Bed Tem-perature) unter Berücksichtigung der Einbaulage und der Katalysatormassean-teile gebildet. (Siehe Abb. 26)

Sollwert

Vergangenheit Zukunft

Regelfehlerhorizont

Stellhorizont

geplanter Stellgrößenverlauf

Regelgröße

Stellgröße

Referenz-trajektorie

prädizierte Regelgröße

zu minimierender Regelfehler

Regelungsschritte

Abb. 25 Funktionsprinzipder prädiktiven Regelung fürein Eingrößensystem.(# Robert Haber)

32 R. Haber

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Folgende Begrenzungen können berücksichtigt werden:

• Obere Grenze der StellsignaleDie Stellsignale, d. h. die Sollwerte der Temperaturregelung haben eine obereGrenze, um Reaktor- und Katalysatormaterial nicht zu beschädigen.

• Untere Grenze des Ventilhubs der Temperatur-Basisregler:Um ein Verstopfen der Wasserstoffkühlleitung und ein eventuelles Rückfließenzu verhindern, soll eine minimale Wasserstoffströmung aufrechterhalten werden.(z. B. durch eine Ventilstellung von> 2,5 %) Auch wird durch diese Begrenzungein sogenannter Wind-Up des Basisreglers verhindert, bei dem der Ausgang desReglers sich von der echten Ventilstellung entfernt. Im Notfall (bei einer schnellsteigenden Temperatur) kann der Temperaturregler so viel schneller eingreifen.

• Obere Grenze des Ventilhubs der Temperatur-Basisregler:Um die Katalysatorbetten bei Gefahr sicher kühlen zu können, soll die Ventil-stellung nach oben begrenzt werden (etwa bei 30 %)

• Temperaturunterschiede zwischen Betteingang und BettausgangAbb. 26 zeigt die Temperaturdifferenz TDI-6 in einem Katalysatorbett.– In der Aufwärmzone soll TDI-6 positiv sein, da die Temperatur steigen soll.– In der Crackzone soll TDI-6 Null sein, da die Temperatur konstant sein soll.– Sowohl der Temperaturunterschied, als auch die WABT weisen eine kompli-

zierte Dynamik auf (nicht-minimalphasisches Verhalten), die eine Basisrege-lung üblicherweise überfordert. Die modelbasierte prädiktive Regelung kanndies zuverlässig handhaben.

Über eine industrielle Anwendung wird in (Gökce 2011) berichtet. Die Anlagebesteht aus drei in Reihe geschalteten Reaktoren mit insgesamt 7 Betten. Im Hydro-cracker wird Schweröl (Vakuum-Gasöl) verarbeitet. In der Aufwärmzone werdenStickoxide und Schwefel entfernt und in der Crack-Zone werden langkettigenKohlenwasserstoffen in kurzkettige Kohlenwasserstoffe gespalten.

Abb. 26 Eintrittstemperaturregelung und Temperaturwerte in einem Katalysatorbett (# RobertHaber)

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